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Kann man Gott beleidigen?: Zur aktuellen Blasphemie-Debatte
Kann man Gott beleidigen?: Zur aktuellen Blasphemie-Debatte
Kann man Gott beleidigen?: Zur aktuellen Blasphemie-Debatte
Ebook266 pages2 hours

Kann man Gott beleidigen?: Zur aktuellen Blasphemie-Debatte

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About this ebook

Das Thema Blasphemie hat explosionsartig an Bedeutung gewonnen. Vom "Punk-Gebet" in einer orthodoxen Kirche über Mohammed-Karikaturen bis zum Papst auf dem Cover einer Satire-Zeitschrift. Während die einen auf die Meinungsfreiheit pochen, sehen viele Gläubige den Tatbestand der Blasphemie erfüllt. Können Gott und der Glaube überhaupt beleidigt werden? Deckt die Meinungsfreiheit jede Äußerung ab? Braucht Religion den Schutz durch den Staat?
LanguageDeutsch
PublisherVerlag Herder
Release dateDec 5, 2013
ISBN9783451800610
Kann man Gott beleidigen?: Zur aktuellen Blasphemie-Debatte

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    Book preview

    Kann man Gott beleidigen? - Ingeborg Gabriel

    Kann man Gott beleidigen?

    Zur aktuellen Blasphemie-Debatte

    Herausgegeben von Thomas Laubach

    Logo_herder

    Impressum

    © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013

    Alle Rechte vorbehalten

    www.herder.de

    Umschlaggestaltung: Verlag Herder

    ISBN (E-Book): 978-3-451-80061-1

    ISBN (Buch): 978-3-451-30905-2

    Inhalt

    Gotteslästerung 2.0. Thesen zur Blasphemie in der Gegenwart

    Thomas Laubach

    Wie viel Blasphemie verträgt der Glaube?

    Gottesfrevel oder: Das Problem des freien Eintritts und freien Austritts

    Arnold Angenendt

    Blasphemie. Erinnerung an eine Zeit, als Religion noch Nervensache war

    Jean-Pierre Wils

    Gott lässt sich nicht spotten! (Gal 6,7). Eine protestantische Positionierung zum Thema Blasphemie

    Harald Schroeter-Wittke

    Vor dem Kreuz. Blasphemische Inversionen

    Gregor Maria Hoff

    Empört – verletzt – beleidigt. Recht und Grenzen emotionaler Reaktionen auf Blasphemien

    Hans-Joachim Höhn

    Der lächerliche Glaube. Ethische Aspekte der Blasphemie

    Thomas Laubach

    Darf Kunst alles?

    Anstößige Bilder. Aspekte des Blasphemischen im Film

    Reinhold Zwick

    Loslassen mit Blick nach vorne

    Wolfgang Wunden

    Ein Recht auf Blasphemie?

    Blasphemie im Spannungsverhältnis zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit?

    Barbara Rox

    Klagen gegen Blasphemie? Zum schwierigen Verhältnis von Religions- und Meinungsfreiheit

    Ingeborg Gabriel / Irene Klissenbauer

    Blasphemie und säkularer Staat

    Josef Isensee

    Die Autorinnen und Autoren

    Der Messias, Marias Sohn, ging an einer

    Gruppe von Juden vorbei.

    Sie schmähten ihn.

    Er aber segnete sie.

    Da wunderten sich seine Schüler:

    „Die anderen schmähen dich, und du segnest sie?"

    Jesus erwiderte: „Jeder Mensch kann nur austeilen, was er hat.

    Michael Asin et Palacios

    Gotteslästerung 2.0

    [1]

    Thesen zur Blasphemie in der Gegenwart

    von Thomas Laubach

    Die Beleidigung Gottes hat eine lange Geschichte. Im Christentum beginnt sie mit dem Vorwurf der jüdischen Autoritäten an Jesus, er würde Gott lästern (Mk 14,63f). Dazu kommt, dass bereits in der Antike die Verehrung eines Gekreuzigten dem Christentum Unverständnis und Spott eingebracht hat. Der heidnische Philosoph Celsus aus dem 2. Jahrhundert tat die Nachricht vom leeren Grab als Frauengeschwätz ab, und die erste bildliche Darstellung des Gekreuzigten ist ein römisches Graffiti aus dem 2./3. Jahrhundert, das einen angenagelten Esel darstellt, versehen mit der Unterschrift Alexamenos betet seinen Gott an. Kein Wunder, der Antike galt das Kreuz nicht als Heilszeichen, sondern als Schandmal. So wird der Gekreuzigte zum Narren – ein echter Esel, der sich ans Kreuz schlagen ließ.

    Sich über den Glauben lustig zu machen, Witze über Glaubensinhalte zu reißen oder gar Gott selbst zu beleidigen sind die Begleittöne der Entwicklung des frühen Christentums. Fast 2000 Jahre später scheint sich nichts geändert zu haben. Mehr noch: Die mediale Öffentlichkeit wird fast wöchentlich mit dem Blasphemievorwurf konfrontiert. Schon länger zurück liegt die Auseinandersetzung mit dem Musical Jesus Christ Superstar, der Jeans-Werbung von Otto Kern, die das Abendmahl von Leonardo da Vinci persifliert, oder dem Film Die letzte Versuchung von Martin Scorsese, der einen expliziten Liebesakt zwischen Jesus und Maria Magdalena zeigt. Dann richtet sich der Blasphemiekonflikt auf Konzerte der Popmusikerin Madonna, die sich an ein Kreuz nageln lässt, oder auf einen Bildband der Fotografin Bettina Rheims, der eine Frau am Kreuz zeigt. Ganz aktuell steht der Blasphemievorwurf im Raum im Zusammenhang mit dem Auftritt der russischen Punk-Band Pussy Riot in der Moskauer Kathedrale, den Karikaturen über Mohammed in der Zeitschrift Charlie Hebdo, dem beschmutzten Papst auf der Titelseite der Titanic oder dem Trailer zum Film Innocence of Muslims.

    Zum Eindruck, dass die Gegenwart durch einen neuen Blasphemismus gekennzeichnet ist, gesellt sich eine neue Empfindlichkeit von Gläubigen für Blasphemie. Diese Empfindlichkeit beschränkt sich keineswegs auf Muslime, die vor allem auf Darstellungen Mohammeds reagieren. Auch im christlichen Kontext zeigt sich eine neue Aufmerksamkeit für das Blasphemische. Im säkularen und pluralen Staat kommt der heftige Kampf hinzu, der um die Frage geführt wird, wie die moderne Gesellschaft auf Gotteslästerung, die Verunglimpfung des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses und die Störung des öffentlichen Friedens einerseits antworten soll – und wie sie andererseits mit Gewalt als Reaktion auf tatsächliche oder vermeintliche Blasphemien reagieren muss. Ob Gott selbst beleidigt werden kann – diese Frage wird dabei in den Hintergrund gedrängt. Im Vordergrund des Blasphemiediskurses stehen vielmehr die Gläubigen und ihr Glaube.

    Deutlich tritt diese Perspektive in der Argumentation des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick zu Tage, der in der Süddeutschen Zeitung forderte, Gotteslästerung solle künftig stärker unter Strafe gestellt werden. Seine Position:

    „Wer die Seele der Gläubigen mit Spott und Hohn verletzt, der muss in die Schranken gewiesen und gegebenenfalls auch bestraft werden."¹

    Das bischöfliche Argument: Spott und Satire über religiöse Einstellungen verletzen die Menschenwürde. Von der Sphäre Gottes ist hier nicht die Rede.

    Noch dezidierter formulierte der Schriftsteller Martin Mosebach in seinem Beitrag Vom Wert des Verbietens in der Berliner Zeitung sein Unbehagen über die Popularisierung von Blasphemie, die, wenn sie sich nicht gerade gegen den Propheten Mohammed richten würde, vollständig risikolos sei. Diese Risikolosigkeit nimmt Mosebach ins Visier und plädiert für Blasphemie als gefährliche Option künstlerischen Handelns:

    „Es gehört zum Stolz und zur Ehre eines Künstlers, dass er den Zusammenstoß mit der Rechtsordnung, wenn er sich aus seiner Kunst notwendig ergibt, nicht bejammert und nicht nach dem Kadi ruft. Der Künstler, der in sich den Ruf fühlt, eine gesellschaftliche Konvention, den Glauben derjenigen, für die Gott anwesend ist oder auch ein Gesetz für seine Kunst verletzen zu müssen, der ist – davon bin ich überzeugt – dazu verpflichtet, diesem Ruf zu folgen. Die daraus entstehenden Unkosten wird er generös begleichen, auch wenn sie seine Existenz gefährden."²

    Blasphemie als gefährliche Handlung? Bestrafung für Blasphemie? Schick wie Mosebach brechen mit Ihren Vorstößen Steine aus der Mauer des derzeit immer noch herrschenden gesellschaftlichen Konsenses. In symptomatischer Weise steht dahinter die Frage, welche Rolle und welchen Schutz Glaube und Religion, religiöse Gefühle und Überzeugungen im modernen, säkularen und pluralistischen Staat genießen.

    Offenkundig keinen geringen, wie das aktuelle Beispiel der Komikerin Carolin Kebekus zeigt, die in ihrer Show Kebekus zunächst ein Video unter dem Titel Dunk dem Herrn platzierte – dabei rappt Kebekus in einem Nonnen-Kostüm, singt „Er ist meine Bank, nur für ihn zieh’ ich blank" und leckt auf laszive Art und Weise ein Kruzifix ab. Noch vor Ausstrahlung der Sendung strich der Westdeutsche Rundfunk den Clip aus der Show. In einer Pressemitteilung ließ der Sender unter anderem verlauten:

    „Nach eingehender redaktioneller Diskussion und rechtlicher Prüfung haben wir uns daher entschieden, das Video, das ursprünglich Bestandteil der Show Kebekus bei Einsfestival war, nicht auszustrahlen. Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen Kritik an der Institution Kirche und der Verunglimpfung religiöser Symbole. Dies zu beachten, hat nichts damit zu tun, ob sich eine Sendung an ein jüngeres oder älteres Publikum richtet."³

    Kurz: Noch bevor überhaupt jemand Anstoß an der Sendung nehmen konnte – die daraufhin allerdings zu einem Internet-Hit wurde – nahm der WDR einen Fernsehbeitrag aus dem Programm. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die den Blasphemievorwurf ganz und gar aus Recht und Staat verabschiedet sehen wollen. Die Kehrseite der Forderung, dass Blasphemie gefährlich und geahndet sein soll, zeigt sich in der Kritik, die beispielsweise Uwe Wesel an Mosebachs Konzept äußerte. Letztlich, so der Jurist, ziele Mosebach auf einen „christlichen Gottesstaat".⁴ Die Verfassung dagegen sei offen und keineswegs auf eine christliche Interpretation verpflichtet – und zudem sei der Gott, der in der Präambel des Grundgesetzes bemüht wird, einer, „der den liberalen Rechtsstaat ganz gewiss nicht zu verpflichten vermag, ihn vor Lästerungen zu schützen."⁵

    Was sich als roter Faden durch den Diskurs zwischen Gegnern und Befürwortern eines neuen Blasphemieverständnisses in der Gegenwart zieht: Es wird eine Frontstellung aufgemacht, die hier den Gläubigen respektive Gott sieht – und dort den Nicht-Gläubigen, den Lästerer, den Blasphemiker. Dabei spielen, wie schon angedeutet, die theologische Frage nach Sinn und Unsinn der Rede von der Lästerung oder Beleidigung Gottes nur noch eine untergeordnete Rolle. Es geht um Lästerung und Beleidung im umfassenden Stil – alles was mit dem Siegel des Religiösen gekennzeichnet werden kann, kann auch blasphemisch traktiert werden.

    Verkannt wird durch diese Frontstellung, dass Blasphemie mehr zu denken geben kann. In vier Thesen sollen diese anderen, oft übersehenen Aspekte der Blasphemie erläutert werden und so der Horizont für ein neues Nachdenken über den Topos der Gotteslästerung gekennzeichnet werden. Dadurch lässt sich zum einen die Frage nach Sinn und Unsinn des Blasphemievorwurfes neu stellen – und zum anderen sollen durch die aufscheinende neue Version der Gotteslästerung, eine Gotteslästerung 2.0, vor allem die produktiven Aspekte der Beleidigung Gottes für Gläubige wie den Glauben deutlich gemacht werden.

    1. These: Blasphemisch kann auch im Raum des Glaubens gesprochen werden. Zunächst lässt sich festhalten, dass Zweifel, Auseinandersetzung, Hader, Verzweiflung und Gottesbeschimpfung Teil des jüdisch-christlichen Glaubens sind – und vermutlich jeden Glaubens. Zwei Beispiele: Hiob hadert mit und zweifelt an Gott, Jesus lästert, zumindest nach Meinung der Jerusalemer Autoritäten, Gott. Mehr noch könnte eine Interpretation des gekreuzigten Esels auch lauten, dass die Urchristen in diesem Bild den tieferen Sinn ihrer eigentlich absurden Lage erkannt haben könnten. Als verfolgter Minderheit, einer Gruppe von Outlaws und Randfiguren muss ihnen, wie der Theologe Harvey Cox schrieb,

    „gelegentlich zum Bewusstsein gekommen sein, wie lächerlich ihr Anspruch scheinen musste. Sie wussten, dass sie Narren in Christo waren, behaupteten aber zugleich, dass die Narrheit Gottes weiser sei als die Weisheit des Menschen. Christus muss für sie selber so etwas wie ein heiliger Narr gewesen sein."

    Cox macht deutlich: Vom Narren zum eselhaften Christus ist es nur ein kleiner Sprung. Vom Glauben zur Blasphemie ebenfalls. Mehr noch ist zu beachten, dass der klassische Vorwurf der Gotteslästerung im Sinne einer Beleidigung Gottes immer mit einem bestimmten Gottesbild einhergeht. Damit aber stellt sich das Problem, dass das eigene Gottesbild zu dem Gottesbild schlechthin erhoben wird – und dies wiederum setzt den Glaubenden selbst dem Verdacht der Gotteslästerung aus. Denn das verabsolutierte Bild Gottes, das nicht angetastet werden darf, ist eben ein Bild Gottes und kollidiert damit mit dem Gottesbildverbot des Dekalogs, das in unmittelbarer Nähe zum Verbot der Gotteslästerung steht.

    2. These: Das Blasphemische ist dem Glauben inhärent. Das Christentum selbst steht für eine Säkularisierung des Glaubens. So deutete etwa der evangelische Theologe Friedrich Gogarten die Säkularisierung als einen Vorgang, „der sich ganz folgerecht aus dem Wesen des christlichen Glaubens ergibt."⁷ Zentral an dieser These ist die Idee des Sohnseins Gottes. Säkularisierung nämlich steht begrifflich für den unabwendbaren Prozess eines Freiwerdens der Welt von der Beherrschung durch Mythen, durch Mächte, durch Götter. Die christliche Überzeugung der Menschwerdung Gottes sorgt dezidiert für eine Trennung der profanen und der numinosen Welt. Wenn Gott Sohn und Mensch werden kann, dann kann zwar die Welt von Gott durchwirkt sein, aber sie ist nicht einfach so göttlich, sondern hat ihre eigene Freiheit. Der katholische Theologe Johann Baptist Metz hat in ähnlicher Art und Weise von der „weltlichen Welt"⁸ gesprochen.

    Die Blasphemie wiederum, das Lästern oder Beleidigen Gottes, entspringt einer dementsprechenden radikalen Säkularisierung, einer Entfremdung zwischen Gott und den Menschen. In der archaischen Welt ist alles von göttlichen Kräften gewirkt und durchwirkt. Eine Distanz zwischen Gott bzw. Göttern und Welt ist undenkbar. Erst ein Aufbrechen dieser Symbiose, erst die Entdeckung der Weltlichkeit der Welt ermöglicht es, dass sich Menschen gegen Gott und Götter auflehnen. Von daher wohnt das Blasphemische auch dem Christentum inne, weil der Topos der Menschwerdung in vergleichbarer Weise einen Schnitt zwischen Gott und die Welt legt.

    3. These: Die Rede von der Blasphemie in einer säkularen, weltlichen Gesellschaft weist auf die Vitalität von Religion hin. Immer dort, wo „Blasphemie! gerufen wird, muss eine Grundvoraussetzung erfüllt sein. Es muss Menschen geben, die bestimmte religiöse Vorstellungen haben – und andere, die diese Vorstellungen aufgreifen, verfremden, ins Lächerliche ziehen. Der Vorwurf der Blasphemie weist damit unter anderem auf die Vitalität von Religion hin. Denn um „Blasphemie sagen zu können, muss zum einen überhaupt erst eine Abweichung von einem Glaubenssystem kenntlich gemacht werden können, und zum anderen überhaupt ein solches Glaubenssystem bestehen und vital sein, das in bestimmter Hinsicht als unantastbar gilt. Wenn der Blasphemievorwurf erhoben wird, ist dies also ein Indikator für die Lebendigkeit des Glaubens.

    Gerade aus sozialethischer Perspektive ist dieser Gedankengang relevant. Denn in der säkularen, weltlichen Gesellschaft wird Religion als reine Privatsache angesehen. Was und wie jemand glaubt, fällt in den Bereich des Privaten. Die Blasphemie setzt sich gegen diese Verprivatisierung des Religiösen zur Wehr, indem sie als kommunikativer Akt die Religion in die Mitte der Gesellschaft stellt. Blasphemie macht Religion zu einer öffentlichen Angelegenheit – und fordert dazu auf, in sozialen, öffentlichen Diskursen Relevanz und Tragfähigkeit des Glaubens zu erörtern. Sie zwingt damit die Gesellschaft, sich mit Religion und Glauben auseinanderzusetzen und Glauben als öffentliche Angelegenheit wahrzunehmen.

    4. These: Nicht nur der Blasphemiker, auch der Glaubende hat ein Recht auf Blasphemie. Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit Blasphemie umgeht, kann zum einen Auskunft über den Zustand der Gesellschaft selbst geben, indem deutlich wird, welcher Stellenwert der Meinungs- und Pressefreiheit in ihr zukommt. Zum anderen aber besitzt Blasphemie für den Glauben selbst Relevanz, gerade in einem säkularen Umfeld. Blasphemie kann positiv gewendet als Religionskritik verstanden werden. Sie hilft, die Grenzen zwischen dem, was zu glauben ist, und dem, was eben nicht zum Glauben gehört, klarer zu ziehen. Der evangelische Theologe Wilhelm Gräb hält fest:

    „Der Gott, der Verehrung und Unterwerfung verlangt, gehört zu Recht gelästert. Denn nur der Gott ist der wahre Gott, dem allein der Glaube, bedingungsloses Vertrauen, entspricht. Das aber ist der Gott der gläubigen Subjektivität, des grundlosen Grundvertrauens, der sich gerade nicht mit dem Anspruch auf absolute, objektive Wahrheit proklamieren lässt, dem gegenüber keine Verehrung eingefordert werden kann. Es ist der Gott, der sich der menschlichen Verfügung entzieht, der nicht für politische oder ökonomische Interessen missbraucht werden kann. Es ist der Gott, der geglaubt sein will, unvertretbar vom einzelnen Glaubenden, der der ganz Andere ist, der, den wir nie in die eigene Hand bekommen, sondern der uns in seinen Händen hält – unendlich liebevoll, wie die Bibel sagt, zur Hoffnung ermutigend, auf einen neuen Himmel und eine neue Erde ausrichtend."

    Mit anderen Worten: Blasphemie relativiert den Glauben, fragt an, ob all das ernst zu nehmen ist, was Glaubenden ernst ist, fragt an, ob der Glaubende nicht selbst blasphemisch ist. Blasphemie ist in diesem Sinne ein hermeneutisches Prinzip, das hilft, die Chancen und Grenzen des Glaubens auszuleuchten. Die Blasphemie leistet damit Widerstand auch gegen eine unmenschliche Verernstung der scheinbar unverrückbaren Grundsätze und Prinzipien des Glaubens. Wenn aber die Blasphemie den Glauben zu einer eigenen, immer wieder notwendigen Selbstklärung verhilft, muss der Glaubende seine Umgebung geradezu auffordern: „Seid blasphemisch!"

    Wo Grenzen und Probleme, Grundthemen und Grundfragen der Blasphemie und des Umgangs mit Blasphemie liegen, das wird in diesem Band der Reihe Thelogie kontrovers auf ganz unterschiedliche Art und Weise thematisiert. Stets aber geht es darum, das Phänomen der Blasphemie zwischen Gotteslästerung und Religionsbeschimpfung, zwischen Beleidigung religiöser Persönlichkeiten und der Verunglimpfung ganz normaler Glaubenden, zwischen Meinungsfreiheit und dem

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