Ein anderes Leben: Was ein Mönch erfährt
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Bernardin Schellenberger
Bernardin Schellenberger, geb. 1944, war 15 Jahre Trappistenmönch bevor er den Orden verließ, danach 10 Jahre Seelsorger. Seit 1998 ist der Theologe freiberuflich Übersetzer und Autor vor allem spiritueller Literatur. Der viel gefragte Referent und Kursleiter von Besinnungstagen lebt in Fischbachau in Oberbayern.
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Book preview
Ein anderes Leben - Bernardin Schellenberger
Bernardin Schellenberger
Ein anderes Leben
topos taschenbücher, Band 1003
Eine Produktion der Verlagsgemeinschaft topos plus
Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck
Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement
www.topos-taschenbuecher.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8367-1003-9
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5011-0
E-Pub: ISBN 978-3-8367-6011-9
2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen bei der
Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer.
Umschlagabbildung: © K. Finken, Prüm
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany
Inhalt
Vorwort zur Neuausgabe
Vorwort
I.Ein ganz anderes Leben
II.Leer werden für Gott
III.Die Quelle der inneren Ruhe
IV.Von der Trauer und von der Freude des Christen
V.Eine Erfahrung des Karsamstags
Nachwort
Anmerkungen
Vorwort zur Neuausgabe
Dieses Buch habe ich 1980 geschrieben. Damals war ich 36 Jahre alt und seit 14 Jahren Mönch in der Abtei Mariawald, dem einzigen Trappistenkloster Deutschlands. Seit sechs Jahren war ich Prior und Novizenmeister des Klosters und bekam in diesen beiden Ämtern ganz besonders stark die Turbulenzen der Krise mit, in die das traditionelle Ordensleben geriet. Darüber hielt ich 1977 bei einer Tagung über die verschiedenen Formen des Ordenslebens in Freiburg einen Vortrag, der große Aufmerksamkeit erregte, weil er an die Substanz der Problematik rührte. Sein Text findet sich im Wesentlichen hier im 2. Kapitel („Leer werden für Gott"). Ich wurde gebeten, mich noch ausführlicher zu diesem Thema zu äußern, und so entstand schließlich nach etlichem Zögern und Überlegen das Buch Ein anderes Leben, mein erstes Buch. Es erschien bald danach auch im englischen und französischen Sprachraum und in Polen.
Ich spreche in diesem Buch in „Wir-Form, also als Ordens-Insider. Was ich formulierte, half mir auch selbst, mit der Krise umzugehen, die mein Kloster an den Rand des Erlöschens und mich schließlich ins sogenannte „Weltleben
führte. 1991 schied ich formell aus dem Klosterleben aus.
Im Nachhinein entdeckte ich, dass ich mir – damals noch nicht ahnend – bereits 1980 den Weg selbst gewiesen hatte. Da hatte ich zum Beispiel im 5. Kapitel formuliert: „Wäre es nicht möglich, dass wir auf eine neue, intensive und sehr existenzielle Weise aufgefordert sind, jenes ‚Ite, missa est‘, das am Ende zahlloser feierlicher Choralämter in reichen, herrlichen Melodien gesungen worden ist, nicht nur in seinem ästhetischen Wohlklang, sondern in seinem letzten Ernst zu hören und zu befolgen: Geht hinaus aus dem Raum der religiösen Erfahrung und lasst die Messe, die ihr zelebriert habt, wahr werden in eurem Leben! … Geht mit Christus hinaus ‚außerhalb des Lagers‘ der religiösen Kultur, ‚um seine Schmach mit ihm zu teilen‘ (vgl. Hebräer 13,13) […] Das wäre keine Verarmung, sondern eine intensive Möglichkeit, in das Schicksal Christi einzugehen und ihm nahe zu sein."
So kann ich auch heute noch voll und ganz zu diesem Buch stehen und habe seinen Wortlaut nicht verändert. Mit dem „Wir kann ich jetzt mühelos auch alle sogenannten „Christen in der Welt
umfassen. Sie werden rasch merken, dass das, „was ein Mönch erfährt", sich mit ihrer Erfahrung deckt und folglich auch ihnen helfen kann.
Bernardin Schellenberger, im Herbst 2014
Vorwort
Eine alte Redewendung sagt, es sei noch kein Baum in den Himmel gewachsen. Wie wahr das ist, spüren wir besonders schmerzlich in unserem Zeitalter, da uns der Flug zum Mond gelingt. Je mehr wir können, desto ferner rückt uns der Himmel.
Entsprechendes empfinden eigenartigerweise auch viele, die sich ehrlich mühen, in Treue und Geduld nach Gott zu suchen. Allen Techniken und Methoden zum Trotz scheint er sich immer mehr zu verbergen. Wer redlich versucht, seine Wurzeln am Wasserstrom des Glaubens in die Erde zu senken, erfährt nicht alsbald, was der erste Psalm so verlockend verheißt: dass er Frucht bringt zur rechten Zeit, dass seine Blätter nicht welken und dass ihm alles wohl gerät, was er tut. Nein, der Gottsucher gedeiht nicht wie die Palme und wächst nicht wie eine Zeder des Libanon (vgl. Psalm 92), und auch die Kirche insgesamt bietet nicht gerade das Bild einer Pflanzung üppiger Ölbäume, die sprießen im Haus ihres Gottes (vgl. Psalm 52). Wir wissen nicht, weshalb das so ist und womöglich so sein muss. Wir wissen nur im Glauben, dass es seinen Sinn hat, weil es ganz wesentlich mit dem Schicksal Jesu Christi zusammenhängt, dessen gewaltsam abgerissenes Leben und dessen gebrochener Leib uns den ganz anderen Gott und ein ganz anderes Leben erschließen.
Das Mönchsleben, wie ich es erfahre, ist in diesem Grund der christlichen Existenz angesiedelt. So hoffe ich, dass ich mit dem vorliegenden Buch einigen Brüdern und Schwestern helfen kann, ihr Leben und ihr Schicksal im Licht des Glaubens zu sehen und zu bestehen, damit wir alle zu Zeichen in der Landschaft unserer Zeit werden und einander etwas zu sagen haben und damit so neues Leben entsteht, oder ganz einfach die Geduld des Wartens auf das Feuer vom Himmel, das auch noch den ausgedörrtesten Baum zu verwandeln vermag.
Abtei Mariawald, Januar 1980
Bernardin Schellenberger
I. Ein ganz anderes Leben
Das romantische Missverständnis
Vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert gehörte zum Bestand der höfischen Parks und Anlagen neben dem Gehege mit seltenen exotischen Tieren eine malerisch eingerichtete Einsiedelei, nach Möglichkeit mit einem „richtigen Eremiten. Diese „Ziereremiten
, wie man sie in England nannte, sind sozusagen die Vorläufer unserer Gartenzwerge. Ziereremit zu sein war ein regelrechter Beruf, und wenn eine Stelle vakant geworden war, konnte es geschehen, dass der Arbeitgeber durch eine Zeitungsannonce einen neuen Mann suchte. In einem Inserat Mitte des 18. Jahrhunderts schrieb Charles Hamilton für die Eremitage im Park von Pain’s Hill in Surrey folgende Bedingungen aus: „Der Eremit soll mindestens sieben Jahre in der Eremitage bleiben. Er wird mit einer Bibel, mit optischen Gläsern, einer Fußmatte, einem Betschemel, einem Stundenglas, mit Wasser und Nahrung vom Hause versehen werden. Er muss eine Kamelottrobe tragen und darf sich nie, unter keinen Umständen, das Haar, den Bart oder die Nägel schneiden, noch den Grundbesitz von Mr. Hamilton verlassen oder mit dessen Dienern sprechen. Nach sieben Jahren Eremitenlebens sollten diesem Einsiedler 700 Pfund ausgezahlt werden. Der schließlich eingestellte Eremit musste aber schon nach drei Wochen wieder entlassen werden, weil er unerlaubterweise in ein Wirtshaus geschlichen war. Mr. Hamilton legte offensichtlich Wert auf ein „authentisches
Eremitenleben.
Ließ sich kein lebendiger Einsiedler anheuern, so tat es auch eine lebensgroße Einsiedlerfigur. Jean Paul beschreibt 1793 die Bayreuther Eremitage: „… neun bemooste Klafter Holz […] Die Klafter umrangen eine Klause, die man – weil am ganzen Hofe keine Seele zu einem lebendigen Einsiedler Ansatz hatte – einem hölzernen anvertraute, der still und mit Verstand darin saß und so viel meditierte und bedachte, als einem solchen Manne möglich ist. Man hatte den Anachoreten aus der Scheerauischen Schulbibliothek mit einigen aszetischen Werken versehen, die für ihn recht passten und ihn zu einer Abtötung des Fleisches ermahnten, die er schon hatte …"
Diese Einsiedelei besuchten die Damen und Herren des Hofes, wenn sie im Park lustwandelten, um sich von einem romantischen heiligen Schauer anrühren zu lassen. In Bayreuth spielte Anfang des 18. Jahrhunderts der Markgraf Georg Wilhelm mit seiner Gemahlin Wilhelmine – der Schwester des aufgeklärten Friedrich des Großen – und seinem Hof zuweilen gar selbst Eremit. Die ganze Gesellschaft hüllte sich in malerische Einsiedlerkutten, logierte in kleinen, aus Tuffstein gebauten Höhlen, die über den Wald verstreut und durch unregelmäßig geschlängelte Pfade mit dem Hauptbau verbunden waren, und ein Glöcklein rief die Herrschaften zum Gebet.
Den Sinn einer solchen Einrichtung gibt C.C.L. Hirschfeld in seinem umfassenden Werk „Theorie der Gartenkunst (Leipzig 1780) an: Die beim Anblick solcher Einsiedeleien erwachende Erinnerung habe „eine Kraft zu Rührungen, die ein Herz, das nicht allein für die Welt empfindet, gern bei sich unterhält. Ich weiß nicht, warum wir solche Bilder nicht wieder erneuern sollen, die Veranlassung zu sanften und der menschlichen Würde so angemessenen Empfindungen sind. Es ist schon eine Äußerung von Tugend, wenn uns die Denkmäler der Tugend erwärmen; und man nähert sich schon um einige Schritte der Frömmigkeit, wenn man den Ort ehrwürdig findet, wo ein frommer Mann in Anbetung liegt.
In der Eremitage im Park zu Hagley fand sich eine Inschrift nach Miltons „Penseroso, die Hirschfeld so „sehr passend
fand, dass er sie abdruckte: „Möchte ich doch in meinem entkräfteten Alter eine ruhige Einsiedelei, ein schlechtes Kleid und eine bemooste Zelle finden, wo ich sitzen und über jeden Stern des Firmaments, über jedes vom Tau befeuchtete Gras nachdenken kann, bis ich eine vieljährige Erfahrung und dadurch gleichsam einen prophetischen Geist erreiche. Dies Vergnügen gewähre mir, Melancholie, so will ich gerne mit dir meine Tage beschließen."¹
Das hier beschriebene romantisch-sentimentale Verständnis, von Carl Spitzweg, Ludwig Richter, Moritz von Schwind und vielen anderen anmutig ins Bild gebracht und von Wilhelm Busch karikiert, hat bis in unsere Tage die landläufige Vorstellung vom Mönchs- und Eremitenleben beeinflusst, und noch heute gehört das Rückenfoto des Mönchs mit großer Kapuze, der melancholisch in eine weite Landschaft oder über einen stillen See blickt oder in einem alten Buch liest, zum festen Bestand der Broschüren und Bildbände, in denen wir unsere Lebensweise der Öffentlichkeit darstellen. Es fehlt dann nicht an Menschen, die uns ihren Dank und ihre Wertschätzung aussprechen, dass es uns Mönche „noch (!) gibt, und die uns sagen, sie beneideten uns aufrichtig um unsere Möglichkeiten zu einem intensiveren, erfüllteren, stilleren Leben, nach dem auch sie sich sehnen. So nähren wir immer wieder selbst ein „ziereremitisches
Missverständnis des Mönchslebens: Wir verkörpern und bestätigen bestimmte Sehnsüchte, Wünsche, Träume und Illusionen, die in vielen Menschen stecken – Sehnsüchte und Träume, die diese Menschen freilich niemals allen Ernstes zur bestimmenden Form ihres eigenen Lebens machen würden, weil nämlich, wie sie doch richtig spüren, diese Lebensform so gar nicht lebbar ist, sondern am ehesten von ausgestopften oder gemalten Eremiten verwirklicht werden