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Zu wissen, es ist für immer
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Zu wissen, es ist für immer

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About this ebook

Das Liebesleben von Staranwältin Evelyn verläuft genauso nach Plan wie ihre Karriere. Doch eines Tages stürzt sie bei einem Ausritt vom Pferd und wird von einer jungen Frau gerettet. Andie ist das Gegenteil von Evelyn, respektlos, planlos, bar jeder Manieren. Trotzdem nimmt Evelyn Andie bei sich auf, denn sie hat sich in sie verliebt. Doch die Unfälle häufen sich - und immer ist Andie in der Nähe. War die Rettung gar kein Zufall? Hatte Andie den Unfall geplant? Evelyn will das nicht glauben, doch Zweifel beginnen an ihr zu nagen ... Sie muss das Geheimnis um Andie auf jeden Fall lüften.
LanguageDeutsch
Publisherédition eles
Release dateApr 29, 2013
ISBN9783956090653
Zu wissen, es ist für immer

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    Zu wissen, es ist für immer - Catherine Fox

    Catherine Fox

    ZU WISSEN, ES IST FÜR IMMER

    Roman

    Originalausgabe:

    © 2011

    ePUB-Edition:

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN 978-3-95609-065-3

    Coverfoto:

    © Bas Meelker – Fotolia.com

    1.

    Sie lief zu schnell, um den Strand zu genießen, und zu langsam, um vor etwas davonzulaufen. Ihr Blick war geradeaus gerichtet und schaute doch ins Nichts. Erst als sie kurz vor Evelyn war und sie bemerkte, lösten sich ihre Augen aus der Leere und verfingen sich für Bruchteile von Sekunden in Evelyns.

    Stahlblaue Augen tauchten in hellblaue. Unweigerlich wurde Evelyn von diesen Augen in ihren Bann gezogen. Eine undurchsichtige kalte Mauer sprang ihr entgegen. Verschlossen und doch provozierend. Dann, für einen winzigen Moment, ein Flackern. Ein Aufleuchten.

    Der grelle Blitz traf Evelyn völlig unerwartet, ging ihr durch und durch und ließ ihre Sinne bersten. Evelyn erschauerte. Eine Gänsehaut jagte ihr den Rücken hinunter, und im Gegenzug dazu wirbelte in ihrem Innern ein Hitzetornado ihren Magen durcheinander. Evelyn wurde schwindlig, doch diese stahlblauen Augen hielten Evelyns Blick fest. Sie war gefangen darin und zwang sich dazu, bei Sinnen zu bleiben.

    Die Augen gaben sie frei, und Evelyn schien, als würde sie aus dieser Trance heraus auf kalten, harten Boden aufschlagen. Ihr Gehirn begann wieder zu arbeiten. Was war das soeben gewesen? Es war ihr noch nie zuvor passiert, daß der Blick eines anderen Menschen sie so getroffen hatte. Der ihr bis ins Mark ging und ihr jegliches Denkvermögen für Sekunden raubte. Sie wagte erneut einen Blick in diese Augen.

    Doch das Leuchten darin war verschwunden. Das Stahlblau wirkte wieder verschlossen. Verschlossen und kalt wie ein Eisberg. Die junge Frau ging an Evelyn vorüber, den wieder leeren Blick vor sich hin ins Nichts gerichtet.

    Evelyn zügelte ihr Pferd, drehte sich verwundert nach der Fremden um, die – unbeirrt in ihrem Tempo und die Hände in den Taschen ihrer dunkelblauen Kapuzenjacke vergraben – weiter den Strand entlanglief und nichts um sich herum wahrzunehmen schien. Eine Fremde, deren Augenpaar sich wie ein glühendes Eisen in Evelyns Inneres gebrannt hatte.

    Das Schnauben ihres Pferdes riß sie wieder aus ihren Gedanken. Evelyn ritt weiter. Der laue Wind, der ihr durchs Haar fuhr, spielte ebenso sanft mit dem Meer. Ungestüm kräuselten sich die Wellen und brachen sich an den Steinen, die aus dem Wasser ragten. Das monotone Rauschen wirkte beruhigend. Die Sonne lachte vom fast wolkenlosen Himmel, sah dem bunten Treiben der Natur zu. Ein paar Möwen drehten auf der Suche nach Frischfutter im Gleitflug ihre Runden über der Wasseroberfläche, gelegentlich einen Schrei ausstoßend und sich zwischendurch auf den Steinen niederlassend.

    Evelyn genoß die Ruhe an diesem Stück Strand, der von Touristen kaum besucht wurde. Selten verirrte sich jemand hierher, und gerade deswegen ritt sie hier besonders gern entlang. Hier konnte sie die Stille genießen und vom Arbeitsalltag abschalten.

    Evelyn nahm den schmalen Pfad das Steilufer hinauf. Fast oben angekommen, knackte es dicht neben ihr in den Büschen, eine Schar Vögel flatterte hoch. Evelyns Pferd erschrak, stieg panikartig in die Höhe und stürzte zusammen mit seiner Reiterin den Hang hinunter.

    Der Schrei verhallte im Rauschen des Meeres. Dunkelheit legte sich um Evelyn.

    Wie lange die Dunkelheit währte, wußte Evelyn nicht. Nur langsam kam sie zu sich. In ihren Ohren rauschte es, um sie herum war Nebel. Dichter, undurchdringlicher Nebel. Wie lange war sie bewußtlos gewesen? War sie überhaupt schon wieder bei Bewußtsein?

    Evelyn versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Doch alles war so verwirrt und verschwand in diesem Nebel. Sie versuchte, die Augen zu öffnen. Ihre Augenlider waren zu schwer. Als würde eine Masse aus Blei darauf lasten. Außerdem war ihr schwindlig. Alles in ihrem Kopf drehte sich.

    Von irgendwoher drang eine Stimme zu ihr, doch sie wußte sie nicht zuzuordnen. Eine fremde Stimme, aber angenehm zu hören. Etwas Beruhigendes lag darin. Etwas, das ihr das Gefühl vermittelte, geborgen zu sein. Wem gehörte diese Stimme?

    Die Stimme rückte wieder in die Ferne. Evelyn wollte ihr folgen, sie festhalten in der Einsamkeit des Nebels, doch die Stimme war verschwunden. Alles schien so unwirklich. War es real gewesen oder nur ein Traum? Evelyn fühlte sich ziellos zwischen den Welten umherirren, nicht wissend, wo sie hingehörte. Sie tappte im Dunkeln. Müdigkeit überwältigte sie.

    Plötzlich fühlte sie diesen Blitz. Er ging durch und durch, zeigte ihr den Weg aus der Dunkelheit ins Licht. Dieses Gefühl kam ihr bekannt vor. Woher kannte sie es nur?

    Auf einmal erschienen ihr diese Augen. Dieses Paar stahlblaue Augen, die wie ein Blitz in den ihren eingeschlagen hatten. Wieder rieselte ein Schauer durch Evelyns Körper. Ein wohliger Schauer, der ihre Lebensgeister so langsam zurückholte. Sie spürte den warmen Hauch, der sich über ihre Lippen legte. Eine zarte Berührung weicher Haut.

    Evelyn ließ sich in die Sanftheit dieses Kusses hineinfallen. Woher sie das Vertrauen nahm, diesen Kuß zu erwidern, wußte sie nicht. Auch wenn ihre Sinne noch völlig durcheinander waren, so war sie sich dieses Gefühls sicher. Dieser Kuß gab ihr Stärke und Vertrauen. Wem diese Lippen auch gehörten, Evelyn wußte in diesem Moment instinktiv, daß sie aufgefangen werden würde.

    Erneut wurde es dunkel um sie herum. Doch in der Ferne fühlte sie das Feuer des Kusses, der noch auf ihren Lippen brannte und dessen Wärme sich in ihrem gesamten Körper ausbreitete, sich wie zwei schützende Arme um sie legte, sie festhielt und durch die Dunkelheit sicher wie auf einer Welle dahintrug.

    2.

    Evelyn erwachte und fand sich in ihrem Bett wieder.

    »Ich dachte schon, du wolltest den Rest deines Lebens verschlafen«, stellte ihre Freundin Rita fest, die neben dem Bett saß.

    »Wieso? Wie lange habe ich denn geschlafen?« wollte Evelyn wissen, deren Gedächtnis jetzt auch erwacht war und zu arbeiten begann.

    »Zwei volle Tage.«

    »So lange? Was ist eigentlich passiert?« Evelyn griff sich an die Schläfen, ihr Kopf schmerzte leicht. Sie konnte sich an nichts erinnern.

    »Du bist vom Pferd gestürzt. Eine Frau hat dich gefunden und hierhergebracht. Der Arzt hat dir für die nächsten Tage noch Bettruhe verordnet. Du hast eine Gehirnerschütterung. Sonst ist dir zum Glück nichts weiter passiert.«

    Evelyn schüttelte den Kopf. Sie wußte von alldem nichts mehr.

    »Möchtest du etwas essen oder trinken?« bot Rita ihr an.

    »Wasser wäre nicht schlecht, und vielleicht eine kleine Hühnerbrühe. Großen Hunger habe ich nicht, nur Durst.«

    Rita reichte ihr ein Glas Wasser. »Die Brühe kommt sofort.«

    Sie verschwand in der Küche. Evelyn setzte sich auf, stopfte sich das Kissen in den Rücken und lehnte sich bequem zurück. Ihr Gehirn schien Karussell zu fahren, zumindest fühlte es sich so an.

    Kurz darauf kam Rita mit der Suppe herein. Während Evelyn ruhig die Brühe löffelte, fragte sie Rita nach der Frau, von der sie gefunden worden war.

    »Keine Ahnung, wer das war. Sie kam mit dir zusammen auf dem Pferd hier angeritten. Du warst bewußtlos, und wenn du mal kurz zu dir gekommen bist, hast du nur wirres Zeug gefaselt. Wir haben dich schnellstens ins Haus gebracht und einen Arzt gerufen. Als ich danach wieder nach unten kam, stand das Pferd abgesattelt im Paddock, und die Frau war weg. Ich hatte keine Gelegenheit, sie nach ihrem Namen zu fragen.«

    »Kam sie dir bekannt vor?«

    »Nein. Ich glaube auch nicht, daß es eine Touristin war. Dafür war sie zu schlampig angezogen. Zerrissene Jeans und eine abgetragene Kapuzenjacke. Sie war sicher eine aus dem Ghetto.«

    Ghetto wurde das Wohnviertel der Arbeitslosen und einiger asozialer Alkoholiker in der Stadt genannt. Evelyn und Rita verkehrten nicht in diesen Kreisen, dafür waren sie selbst sozial um vieles besser gestellt. Rita war eine weithin anerkannte Architektin und Evelyn eine Rechtsanwältin, die mit solchen Menschen im Höchstfalle als Angeklagte zu tun hatte. Sie hielt von dieser sozialen Schicht nicht viel. Evelyn war nicht eben begeistert von Ritas Schilderungen und daß sie von solch einer Frau gerettet worden sein sollte. Ihr Murren war nur allzu deutlich.

    »Selbst wenn sie eine von denen wäre, so hat sie dir doch das Leben gerettet«, erwiderte Rita.

    Evelyn winkte ab. »Sie wird schon gemerkt haben, daß das hier nicht ihre Ebene ist, deswegen hat sie sich wahrscheinlich auch so schnell verzogen. Wen interessiert das schon?«

    »Du solltest nicht so voreilig über sie urteilen. Es war ja auch nur eine Vermutung meinerseits. Vielleicht stammt sie auch von ganz woanders. Wichtig ist doch, daß du okay bist.« Sie strich Evelyn liebevoll über den Arm.

    Evelyn teilte im Stillen nicht die Meinung ihrer Freundin. Zu oft schon hatten sie darüber miteinander diskutiert. Für Evelyn war das Leben eine Prestigefrage, alles mußte perfekt sein. Rita hingegen sah vieles lockerer.

    Diese Gedanken gingen ihr wieder durch den Kopf, als sie zwei Wochen später am Fenster ihres Büros im achtundzwanzigsten Stock eines Wolkenkratzers stand und auf die Stadt zu ihren Füßen blickte. Eben hatte sie wieder einen Fall erfolgreich abgeschlossen. Wie immer. Sie lächelte zufrieden vor sich hin.

    Evelyn lebte für ihren Beruf, ging voll darin auf. Entsprechend ehrgeizig arbeitete sie an ihren Fällen – und wenn sie auch noch so aussichtslos erschienen, Evelyn schaffte es immer wieder, sie mit einem positiven Ergebnis abzuschließen. Sie konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wann sie in ihrer zwanzigjährigen Laufbahn als Rechtsanwältin zuletzt einen Fall verloren hatte. Doch nur durch hartnäckige Genauigkeit und der Sicht für die Realität hatte sie sich in dieser Branche den Ruf erkämpft, eine der besten Anwältinnen weit und breit zu sein. Sie stand ihren männlichen Kollegen in nichts nach.

    Auch wenn sie in ihren Fällen großen Wert auf Detailtreue legte, so war doch das große Geheimnis ihres Erfolges jegliches Verbot von Gefühlsduseleien. Daran hielt sie sich strikt, auch in ihrem privaten Leben, um keine verletzlichen Schwachstellen ihrerseits aufkommen zu lassen und ihren Gegnern damit keine Angriffsfläche zu bieten. Alles hatte seine Ordnung und wurde sorgfältig durchdacht.

    All das ging ihr durch den Kopf, als sie auf die Stadt hinunterblickte, die im Glanz des Sonnenlichts erstrahlte und deren emsiges Gewusel auf den Straßen von Leben zeugte. Ein Meer aus Betonklötzern verschiedenster Bauformen, dazwischen die mehrspurigen Straßen der Großstadt, auf denen sich die Autos wie Ameisen drängten und zäh dahinwälzten. Ganz am Rand die Menschenmassen, die aus den Geschäften oder Büros strömten und sich in das bunte Bild des Trubels reihten. Klar und deutlich zeichnete sich das emsige Treiben ab, lud zum Mitmachen ein.

    Evelyn blickte auf ihre Uhr. Für heute war sie fertig mit ihrer Arbeit. Lediglich ihren Termin für die Nachuntersuchung im Krankenhaus hatte sie noch wahrzunehmen. Ihre Genesung war gut verlaufen, obwohl sie sich nach wie vor noch nicht an das Geschehene erinnern konnte.

    Eine Stunde später verließ sie mit einem zufriedenstellenden Ergebnis das Sprechzimmer ihrer Ärztin. Die Gehirnerschütterung hatte keine weiteren Auswirkungen gehabt, dennoch hatte die Ärztin Evelyn geraten, sich in der nächsten Zeit noch etwas zu schonen.

    Rita erwartete Evelyn im Wartezimmer. »Na? Wie ist es gelaufen?«

    »Es ist alles in Ordnung. Ich habe wirklich Glück gehabt.«

    Zufrieden fuhren sie mit dem Fahrstuhl nach unten. Ein Stockwerk tiefer hielt er, um neue Personen aufzunehmen. Die Tür öffnete sich, und Evelyn blickte in ein Paar stahlblaue Augen.

    Der Blitz aus ihnen raste ihr durch den ganzen Körper bis hinunter in die Zehenspitzen. In Evelyns Kopf zeichneten sich plötzlich die Bilder einer Frau am Strand. Ihre blaue Kapuzenjacke und die zerrissenen Jeans ließen keinen Zweifel daran, wen sie hier vor sich hatte. Und diese Augen, aus denen wieder trostlose Leere blickte. Ein Schatten legte sich darüber. Evelyn bemerkte das kurze Zögern der Frau, dann betrat diese doch den Fahrstuhl. Die Tür schloß sich.

    »Welch ein Zufall, daß wir Sie hier treffen. Sie waren neulich so schnell verschwunden, und keiner wußte, wer Sie sind oder wo man Sie finden kann. Evelyn, das ist die junge Frau, die dich gefunden hat.« Rita hatte sie ebenfalls erkannt und war ganz aufgelöst. »Ich hoffe, Sie erinnern sich an uns«, sagte sie zu der Frau gewandt.

    »Ja«, kam die karge Antwort der Fremden, die Evelyn mit verschlossenem Blick musterte. Sie hatte die Hände in den Taschen ihrer Jacke vergraben.

    Evelyn fühlte sich unter diesem Blick verunsichert. »Sie haben mir das Leben gerettet, am Strand. Ich möchte mich gern bei Ihnen dafür bedanken, obwohl mein Dank das wohl lange nicht wettmachen kann, was Sie für mich getan haben. Mein Name ist Evelyn Reuther. Das hier ist Rita Morgner, meine Freundin.« Evelyn hielt der Frau ihre Hand zur Begrüßung hin.

    »Andie«, stellte sich die Frau vor, erwiderte jedoch nicht Evelyns Händedruck, sondern ließ ihre Hände in den Jackentaschen.

    Evelyn merkte, daß die, wie sie schätzte, etwa zehn Jahre jüngere Frau nicht mehr von sich preisgeben wollte als nur ihren Rufnamen. Sofern dieser überhaupt richtig war. Evelyn ließ ihren Blick an Andie hinuntergleiten. Die Kleidung war zwar abgetragen, aber dennoch sauber. Ihre Augen schweiften wieder nach oben, und Evelyn schien, als fühle sich diese Andie unwohl, obwohl sie es zu verbergen versuchte. Aber Evelyn war sich dessen nicht sicher.

    »Welch ein Zufall, daß wir Sie ausgerechnet im Krankenhaus treffen«, stellte Rita fest. »Evelyn mußte noch eine Nachuntersuchung über sich ergehen lassen, aber der Sturz hat zum Glück keine weiteren Schäden verursacht. Wieso sind Sie hier?« Rita schnatterte ohne zu überlegen drauflos.

    Andie zuckte bei dieser Frage leicht zusammen. »Ich . . . bin zu Besuch gewesen«, stockte sie. Evelyn entging das Zögern nicht. Rita schon, denn sie plapperte unentwegt weiter.

    Sie waren mit dem Fahrstuhl im Erdgeschoß angelangt und verließen das Krankenhausgebäude. Andie sog tief die Luft in sich ein und atmete, wie es Evelyn schien, erleichtert aus. Nun, das Krankenhausklima war nicht jedermanns Sache.

    »Evelyn, was meinst du? Wir sollten Andie auf einen Kaffee zu uns nach Hause einladen«, riß Rita Evelyn aus ihren Gedanken und Beobachtungen.

    Evelyn sah Rita überrascht an. »Nun ja, du hast recht. Warum bin ich nur selbst nicht darauf gekommen?« Evelyn versuchte zu lächeln. »Vielleicht fällt mir bis dahin etwas ein, wie ich mich am besten bei Ihnen revanchieren kann«, sagte sie zu Andie. Irgendwie war ihr diese Frau etwas unheimlich. Andererseits wurde sie von ihr unweigerlich in den Bann gezogen. Evelyn konnte es sich nicht erklären, was es war, was ihre Augen immer wieder zu Andie zog.

    »Wenn das dein größtes Problem ist, so kann ich dir versichern, daß das die kleinste Sorge ist, die du hast.« Zum ersten Mal lächelte Andie.

    Evelyn war von diesem plötzlich sichtlichen Sinneswandel überrascht und wußte nicht recht, wie sie diese Worte zu deuten hatte. Außerdem überraschte sie das Du, mit der Andie sie respektlos ansprach. Sie sah irritiert zu Rita. Die schien das Ganze zu amüsieren. Evelyn sah wieder zu Andie und wurde auf einmal von diesem warmen Lächeln eingenommen, das Andie ihr entgegenbrachte. Überhaupt schien sich mit ihr eine Wandlung vollzogen zu haben, seit sie das Krankenhaus verlassen hatten. Andies Ausdruck wirkte offener und freundlicher, ihre Haltung war gestrafft, wogegen sie vorhin im Fahrstuhl doch eher einen geknickten Eindruck gemacht hatte.

    Sie stiegen in Evelyns Cabrio und fuhren die Bundesstraße stadtauswärts. Rita hatte hinten Platz genommen und Andie den Beifahrersitz überlassen. Andie spielte am Radio herum, ohne Evelyn um Erlaubnis gefragt zu haben. Auf einem der Sender ertönte Bryan Adams’ Summer of 69. Andie drehte die Lautstärke voll auf und jauchzte vergnügt.

    Evelyn war von ihrer Unverfrorenheit überrascht und blickte sie erstaunt von der Seite an. War das diese in sich gekehrte Frau, der sie am Strand begegnet war? Genauso diese Unsicherheit vorhin im Fahrstuhl . . . Und jetzt plötzlich solch eine Wandlung? Das konnte nicht wahr sein. Hier präsentierte sich ihr eine völlig andere, viel lebenslustigere Frau und dazu noch ein bißchen unverschämt.

    »Ich wollte schon immer einmal im Cabrio übers Land rauschen«, gestand ihr Andie, die Evelyns fragenden Blick bemerkt hatte, im selben Moment mit warmem Lächeln.

    Evelyns Antwort war ebenfalls ein Lächeln. Warum auch nicht? Es war schönes Wetter, die Musik paßte, und Andies Lachen verleitete zu mehr. Evelyn war kurz davor, das Gaspedal stärker durchzutreten. Doch im letzten Moment rief sie sich zur Ordnung. Nein, so etwas konnte sie sich nicht erlauben. Das war ihrer nicht würdig, außerdem würde das ihrem Ruf schaden. Wie konnte Andie sie nur so in ihren Bann ziehen, daß sie Evelyn fast dazu verleitet hätte, etwas zu tun, was gegen ihre Prinzipien war? Verlegen schaute Evelyn in den Rückspiegel, ob Rita davon etwas mitbekommen hatte. Scheinbar nicht. Evelyn atmete erleichtert auf.

    Zivilisiert fuhr das Cabrio mit konstanter Geschwindigkeit die Hauptstraße entlang und wurde dann auf der leicht unebenen Landstraße, die zu Evelyns Anwesen führte, langsamer.

    »Ich dachte vorhin wirklich, du würdest mit dem Cabrio abheben«, bemerkte Rita von hinten zu Evelyn. »Ich habe schon nach einem Brechbeutel Ausschau gehalten.«

    Evelyn fühlte sich durchschaut. »Dann wäre dies das erste Mal gewesen, daß ich die Geschwindigkeit überschritten hätte.«

    »Irgendwann ist immer das erste Mal.« Andie lachte wieder, und genau dieses Lachen war es, was Evelyns innere Selbstsicherheit wieder ins Wanken brachte. Ihr war selbst nicht klar, wie Andie das schaffte, doch ihr Lächeln war einfach so hinreißend, daß sie Evelyn damit fast aus dem Konzept brachte. Sie mahnte sich erneut zur Selbstdisziplin.

    Das Cabrio bog in die Einfahrt zum Hof ein. Ein Dreiseitengebäude, welches aus Wohnhaus, Scheune und Stallungen mit obenauf gesetzten Wohnräumen bestand. Alles strahlte in weißem, ordentlich gepflegtem Zustand. Einige bunte Blumenkästen auf dem langen Balkon brachten Farbe und Leben in das Gehöft.

    Andie interessierte das nur wenig, sie hatte sich bereits ein Bild davon machen können, als sie Evelyn hier schwerverletzt abgeliefert hatte. Vielmehr ging sie gezielten Schrittes in Richtung Paddock, kletterte über den Zaun und begrüßte eine der weißen Stuten, die friedlich in der Sonne dösten. Ohne ein Wort zu sagen, hielt Andie der Stute ihren Handrücken hin, den diese beschnupperte und dann, wie zum Zeichen des Erkennens, freundschaftlich ihren Kopf an Andies Schulter rieb. Andie streichelte ihr über die Stirn und verließ das Paddock wieder.

    »Sie mögen Pferde?« fragte Evelyn, die das Ganze immer noch am Cabrio stehend beobachtet hatte.

    »Ich mag schöne Pferde, schöne Autos, schöne Frauen . . .« Dabei warf Andie Evelyn einen verführerischen Blick zu, der diese erröten ließ. Rita bemerkte es und feixte.

    »Gehen wir ins Haus«, lenkte Evelyn ab und drehte sich rasch um. Andie lächelte schmunzelnd vor sich hin und folgte ihr. Im Haus wurden sie bereits erwartet.

    »Da bist du ja endlich«, wurde Evelyn von einem jungen schlanken Mann begrüßt. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht.« Er drückte Evelyn einen Begrüßungskuß auf die Wange und umarmte Rita herzlich.

    »Du wußtest doch, daß ich den Termin im Krankenhaus hatte. Rita hat mich von dort abgeholt.«

    »Es hätte ja auch sein können, daß sie dort noch etwas festgestellt haben.«

    »Die Untersuchung hat nun mal ihre Zeit gedauert. Aber es ist alles in Ordnung. Dafür habe ich zufällig im Aufzug meine Lebensretterin getroffen. Das ist Andie. Andie, das ist mein Sohn Oliver«, stellte Evelyn die beiden vor.

    Andie nickte ihm flüchtig zu, musterte ihn dabei jedoch aufmerksam. Ein athletischer, sonnengebräunter Typ, etwa Ende zwanzig und sicher seine einsneunzig groß. Dem Aussehen nach mußten die Frauen auf ihn fliegen. So wie er sich aber um seine Mutter sorgte, konnte es nur ein verwöhntes Muttersöhnchen sein. Die bekamen natürlich nicht so schnell eine Frau ab.

    Seine Körpersprache verriet zudem Zurückhaltung, und das kam Andie sehr gelegen. Sie machte es

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