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BILDUNG
Bachelor im Zelt
Politiker aller Parteien sind sich einig: Deutschland braucht mehr Hochschulabsolventen, um
im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Doch mit der Ausbildung der Massen sind
die Universitäten schon jetzt überfordert – ist eine höhere Akademikerquote wirklich sinnvoll?
M
anchmal kann Bernhard Eitel, 51, und älter als so viele andere in der Welt. Wo in den fünfziger Jahren kaum 4000
das alles noch spüren: den Glanz Da darf man als Rektor, bei einem Festakt Studenten durch Altstadtgassen flanier-
und das Gloria, die Macht und in der Alten Aula, vor dem metergroßen ten, sind es heute mehr als siebenmal so
die Herrlichkeit eines Rektors der Ruper- Bildnis der Athene, der Göttin der Weis- viele. Um den Andrang bewältigen zu
to Carola. heit und Künste, schon einmal große Wor- können, hat die Uni weite Teile der Stadt
Er muss dafür nur in eine Schublade te wählen. „Die Menschen sind die Uni- okkupiert, 277 Gebäude innerhalb der en-
in seinem Büro greifen, zur golden glän- versität“, sprach Eitel, „Form und Struk- gen Grenzen Heidelbergs.
zenden Amtskette der Ruprecht-Karls- tur machen aus der Vielfalt die Einheit Wenn Eitel den Talar ablegt und der
Universität Heidelberg. An besonderen des akademischen Kosmos.“ Anzug zum Vorschein kommt, ist er ein
Tagen hebt Eitel sie vorsichtig, mit beiden Als er den gebildeten Gästen im nächs- moderner Manager, der mit der Überlast
Händen, über den Kopf und legt sie auf ten Satz den lateinischen Wahlspruch sei- und der Kapazitätsverordnung, mit engen
den Talar, der dann seine Schultern be- ner Universität referierte, semper apertus, Budgets und übervollen Seminarräumen
deckt. „Ein Symbol für Stil und Würde verzichtete er auf die Übersetzung. Hier klarkommen muss. Und selbst beim Fest-
der akademischen Gemeinschaft“, so be- verstanden sie, was das heißt: immer of- akt zum Auftakt des akademischen Jah-
zeichnet Eitel das klobige Ding. fen – die Universität als Hort hehren und res, als noch die Kette auf seine Schultern
Zuletzt hat Eitel das Schmuckstück elitären Strebens, so wie es viele Jahr- drückte, konnte er das wenig feierliche
häufiger getragen, denn die Uni feiert ih- hunderte lang war. Thema Geld nicht meiden.
ren 625. Geburtstag. Älter als alle ande- Doch außerhalb der Aula sind andere Vor dem Ersten Weltkrieg habe das
ren Universitäten in Deutschland ist sie Zeiten angebrochen, selbst in Heidelberg. Großherzogtum Baden 4,7 Prozent des
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Ein Abitur braucht es dafür nicht mehr
unbedingt, andere Qualifikationen wie
eine abgeschlossene Berufsausbildung
können reichen. Im Studienjahr 2010 fan-
den nach Angaben des Statistischen Bun-
desamts 46 Prozent eines Altersjahrgangs
den Weg an die Hochschule, fünf Jahre
zuvor waren es nur 37 Prozent.
Ausgerechnet jetzt verlassen in bevöl-
kerungsstarken Bundesländern zwei Jahr-
gänge auf einmal die Gymnasien, weil
die Schulzeit verkürzt worden ist, und
ausgerechnet jetzt setzt die Bundesregie-
rung auch noch die Wehrpflicht aus. Der
Ansturm wird deshalb, das zeichnet sich
bereits ab, im Herbst den nächsten
Höchststand erreichen.
Die Unis aber sind schon jetzt überfüllt.
Was das heißt, merken die Studenten vie-
lerorts mittlerweile nicht erst nach Jahren,
wenn sie immer noch keinen Professor
persönlich gesprochen haben; sie erfah-
ren es, wenn sie ihre erste Vorlesung oder
ihr erstes Seminar besuchen.
In Kassel kauern sie in Kirchenbänken,
seit die Uni die Auferstehungskirche ge-
mietet hat. Eine Leinwand steht vor dem
Altar und ein Pult neben der Kanzel. Vor-
her saß es sich bequemer – da wurde in
REINHARD ROHLF / NEUE WESTFÄLISCHE
einem Kino gelehrt.
In Berlin kursierten Gerüchte, dass die
Studenten demnächst in Containern un-
terrichtet werden. Und in Paderborn wur-
den den Hochschülern im vergangenen
Semester mehrere Zelte geboten, „be-
Studienveranstaltung in Paderborn im vergangenen Wintersemester heizt, belichtet und mit Strom versorgt“,
betonte die Uni-Leitung und vertröstete
aufs Sommersemester, wenn „der benach-
Staatsbudgets für seine drei Universitäten 2,21 barte Baumarkt umgebaut und betriebs-
Heidelberg, Freiburg und Karlsruhe aus- bereit“ sein soll.
gegeben, führte Eitel aus. Etwa so viel, 1,99 Die Sorgen sind in diesen Wochen be-
wie sich das heutige Baden-Württemberg 2,0
0 sonders in zwei Bundesländern zu spüren,
1,86
Forschung und Entwicklung kosten lässt, in Niedersachsen und Bayern. Hier ma-
etwa 4,4 Prozent des Bruttoinlandspro- chen zwei Jahrgänge gleichzeitig Abitur,
dukts. Aber: Das Geld muss für ungleich 1,80 der eine nach neun Jahren Gymnasium,
mehr Studenten und ungleich mehr Bil- 1,71 der andere nach acht. Solche Doppeljahr-
dungsstätten reichen. gänge sind nicht neu, es gab sie zuletzt
Aus 3 Hochschulen mach 70, aus ,5 im Saarland und in Hamburg, doch jetzt
1,5
einigen tausend Studenten mach fast sind erstmals große Länder dran (siehe
300 000 – nicht nur in Baden-Württem- 1,34 Grafik Seite 42).
berg hat eine wundersame Vermehrung In Niedersachsen hat der Vorsitzende
der Akademiker und Akademien stattge- der Landeshochschulkonferenz bereits
funden. Von Rekord zu Rekord eilen die Anstieg von
von alle Erstsemester vor Abendschichten,
Statistiken deutschlandweit, die Studie- 1,04 11975 2010
975 bis 2010 Wochenendschichten und Semesterferien-
rendenzahl steigt und steigt und steigt, ,0 schichten gewarnt. Jürgen Hesselbach,
1,0
innerhalb weniger Jahrzehnte hat sie sich ++163
163 % Präsident der Technischen Universität
verzehnfacht. Braunschweig, sprach von Vorlesungen
Der letzte Pegelstand an den Univer- 0,844
0,8 bis 22 Uhr, von der Sechstagewoche mit
sitäten, Fachhochschulen und sonstigen Veranstaltungen auch am Samstag und
Hochschulen, gemessen vom Statisti- von Kompaktseminaren in den Sommer-
schen Bundesamt: 2 214 112 Studenten. 0,5
ferien. „Der ganze Vorlesungsbetrieb
Und die Welle rollt weiter, wird höher wird anormal laufen“, sagt Hesselbach.
und höher, sie flutet die Universitäten Über
Überfüllter
füllter Campus
Campus In Bayern haben sie die Anormalität
und droht sie hinwegzureißen. Studierende
Studier ende in Deutschland*,
Deutschland *, in einen Modellversuch gepresst. Die
Besonders viele junge Leute schließen in Millionen Technische Universität München ver-
derzeit die Schule ab, denn die Jahrgänge *
*bis
bis 11989
989 früheres
früheres Bundesgebiet marktet ihn unter einem Label, mit dem
sind geburtenstark, und fast die Hälfte Quelle: Destatis sonst Haarpflegeprodukte beworben wer-
der 18- bis 20-Jährigen in Deutschland ist 0 den; „two-in-one“, zwei Semester in ei-
berechtigt, ein Studium aufzunehmen. 19 75 80
1975 85 90 95 2000 05 10 nem, ein Turbostudium. Rund 1200 junge
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Deutschland
Leute seien zusätzlich immatrikuliert wor- meln. Von Mitschülern hat Melina gehört, leide die Qualität, „für die Lehrenden und
den, berichtet ein Uni-Sprecher. Wer im dass es keine bezahlbaren Wohnungen für die Studierenden“.
Mai begonnen hat, soll im Oktober schon mehr in den Hochschulstädten gebe. „Die Besonders beliebt bei den Deutschen
ins dritte Semester wechseln können. Zimmer sind jetzt schon fast alle weg“, ist die traditionsreiche Uni Wien. Dort
Not macht eben erfinderisch, aber sie sagt sie. Mindestens 25 000 Wohnheim- platzt beispielsweise die Publizistik aus
verschwindet nicht, nur weil einige sams- plätze fehlten bereits, hat das Studenten- den Nähten, ein Viertel der Studenten in
tags und andere schneller studieren. Selbst werk errechnet. dem Modefach sind mittlerweile Deut-
manchen Menschen, die lange für stei- Etliche Mitschüler wollen nach Öster- sche. Eigentlich wolle Wien ja eine Uni
gende Studentenzahlen stritten, scheint reich ausweichen. Das ist vor allem in für ganz Mittel- und Osteuropa sein, sagt
es nun mulmig zu werden. den südlichen Bundesländern ein belieb- der Publizistik-Studienleiter. Doch die
Rolf Dobischat etwa hat zwiespältige ter Ausweg: auf ins Nachbarland, wo das deutsche Übermacht mache es schwer für
Gefühle. Einerseits freue er sich ja, als Studium in der Regel nichts kostet und Studenten aus diesen Ländern. Deshalb
Präsident des Deutschen Studentenwerks: der Zugang weniger eingeschränkt ist. In nutzt sein Fach nun den Notfallparagra-
„Du jubelst öffentlich, das sei eine Rie- den vergangenen zehn Jahren hat sich fen 124 b des österreichischen Hochschul-
senchance für Deutschland, endlich kom- die Zahl der Deutschen an Österreichs gesetzes. Er erlaubt Aufnahmeprüfungen,
men all die künftigen Fachkräfte, endlich Unis etwa verdreifacht, an manchen Fa- wenn die Studienbedingungen unvertret-
mehr Hochqualifizierte“, so schreibt Do- kultäten könnten sie bald die Mehrheit bar sind.
bischat, „du appellierst an die Politik: stellen. Die Universität Salzburg zählte In den medizinischen Fächern mussten
Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“ zuletzt im Fach Psychologie unter den sich die Österreicher eines juristischen
Andererseits plagten ihn als Professor Studienanfängern 76 Prozent Deutsche, Kniffs bedienen, um den Ansturm aus
an der Universität Duisburg-Essen Sor- dem Nachbarland zu stoppen. Drei Vier-
gen. „Warum gibst du nicht zu, dass die
Klasse in der Masse zu verschwinden
Schneller Abgang tel der Plätze sind für Einheimische re-
serviert. Die Gesundheitsversorgung des
droht?“, frage er sich. „In deiner Vorle- Erster Jahrgang mit Abitur nach 12 Jahren Landes sei sonst gefährdet, weil die aus-
sung ,Einführung in die Bildungssozio- ländischen Studenten in ihre Heimatlän-
logie‘ sitzen regelmäßig circa 200 Stu- Schleswig-Holstein der zurückkehrten und Österreich zu we-
dierende, in deine wöchentliche Sprech- Mecklenburg- nige Mediziner blieben, so lautet die Be-
stunde kommen 30, noch einmal so viele Hamburg Vorpommern gründung. Die Europäische Union wird
betreust du per E-Mail.“ Im Februar habe Bremen im nächsten Jahr darüber befinden.
er 100 mündliche Bachelor-Prüfungen Niedersachsen Der Ansturm deutscher Studiosi auf
abgenommen, im vergangenen Jahr 80 Berlin österreichische Unis könnte sich jetzt
mündliche Abschlussprüfungen, ganz zu Sachsen- Branden- noch verstärken. Denn in Deutschland
schweigen von den Bachelor-, Master- Nordrhein- Anhalt burg bekommen die Hochschulen die Vertei-
und Diplomarbeiten, von den Promotio- Westfalen lung der Plätze in den begehrten Fächern
nen und Habilitationen, von Gremiensit- Sachsen* nicht auf die Reihe.
zungen und Ehrenämtern. Hessen Thüringen* Viele Jahrzehnte lang gab die Zentral-
Dobischat, der Professor, wundert sich Rheinland-Pfalz stelle für die Vergabe von Studienplätzen
über sich selbst: „Und da jubelst du über (keine landesweite (ZVS) die Sortiermaschine für die Hoch-
viele, viele neue Studierende?“ Einführung geplant) schulen, jedenfalls in den Fächern mit
Den vielen, vielen künftigen Studie- Saarland Bayern zu wenigen Plätzen. Dafür wurde sie als
renden scheint zu schwanen, was da auf planwirtschaftliches Ungeheuer ge-
sie zukommt. Abiturienten wie Melina Baden- vor 2011 schmäht und schließlich 2003 ent-
Württem-
Albrecht aus Aichach bei Augsburg wä- berg 2011 machtet.
ren schon froh, wenn sie es in überfüllte 2012 Das wirkte modern, war aber nicht
Vorlesungen oder rare Sprechstunden 2013 zu Ende gedacht, denn die Abstim-
*schon vor der Reform
schaffen würden. Sie fürchten, erst gar Abitur nach 12 Jahren 2016 mung zwischen den Hochschulen
keinen Studienplatz zu erhalten. klappte nicht. Manche Abiturienten
Die 18-Jährige gilt als eine der Besten und Innsbruck meldet Werte von 55 Pro- bewarben sich parallel an mehreren Orten,
in ihrer Jahrgangsstufe am Aichacher zent (Katholische Theologie) oder gar 74 sagten dann hier zu, dort ab oder melde-
Gymnasium. Vergangenen Donnerstag Prozent (Psychologie). ten sich nie wieder, die Nachrückverfah-
legte sie die letzte mündliche Abiturprü- Dass sich die „Studierendenströme aus ren zogen sich in die Länge, und schließ-
fung ab, Melina hofft auf einen Noten- Bayern ab 2011 deutlich erhöhen“ wer- lich blieben sogar Studienplätze frei.
durchschnitt von 1,6. Für den gewünsch- den, prophezeiten die Rektoren der öster- Die Verantwortlichen taten zunächst
ten Psychologie-Studienplatz in München reichischen und bayerischen Unis schon gar nichts und dann zu wenig. Für das
wird er wohl nicht reichen. Melina müsste vor einem Jahr in einer gemeinsamen Er- Wintersemester 2009/10 gaben sie das
ausweichen, nach Nord- oder Ostdeutsch- klärung, die weitgehend ohne Folgen Versprechen ab, dass nun doch wieder
land, doch auch an dortigen Unis ist Psy- blieb. eine zentrale Koordinierung über die
chologie hoffnungslos überbelegt. Die „Die Zahl der Deutschen hat in einigen ZVS erfolgen solle, die mittlerweile Stif-
Abiturientin will sich nun zunächst in Fächern mittlerweile eine Größe erreicht, tung für Hochschulzulassung heißt. Dar-
München bewerben und auf eine Warte- die für die österreichischen Universitäten aus wurde nichts – und ist bis jetzt nichts
liste setzen lassen. „In einem Jahr viel- schwer zu bewältigen ist“, sagt die frühere geworden, trotz immer neuer Verspre-
leicht kann ich dann in München starten“, Wissenschafts- und heutige Justizministe- chen. Vielleicht klappt es in gut einem
sagt sie. Dieses Jahr will Melina wie viele rin Beatrix Karl (ÖVP), einst selbst als Pro- Jahr, vielleicht aber auch erst noch später.
Schulabgänger für Reisen nutzen. fessorin tätig. Sie freue sich ja grundsätz- Während die Zahl der Studenten und
Melina plant, ins Ausland zu gehen, lich über jeden Lernwilligen. Aber: „Wenn die Zahl der Hochschulen stetig steigt, gibt
vermutlich nach Afrika, wo sie rund sechs sich die Studenten nur hier einschreiben, es keinen entsprechenden Zuwachs bei den
Monate für ein Hilfsprojekt arbeiten will. weil sie vor dem Numerus clausus flüchten Professorenstellen. Selbst wenn die Abitu-
Danach muss ein Job her, um ein bisschen oder Studiengebühren vermeiden wollen, rienten von heute so schlecht rechnen
Geld für die kargen Lernjahre zu sam- ist das fragwürdig.“ In den Massenfächern könnten, wie dies Professoren zuweilen
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„Die Studierendenschaft an deutschen
Hochschulen wird sowohl in ihrer Zusam-
mensetzung als auch in ihren Interessen
in Zukunft noch heterogener, als sie es
in den letzten 30 Jahren bereits geworden
ist“, prophezeit der ehemalige Stanford-
Professor Hans N. Weiler. Er kennt deut-
sche Hochschulen bestens, mehrere Jahre
lang hat er die Viadrina-Universität in
Frankfurt (Oder) geleitet. Den Umgang
mit der Vielfalt nennt Weiler „eine der
zentralen hochschulpolitischen Heraus-
forderungen, denen sich Deutschland zu
dass es jede und jeder im deutschen Bil- Doch was sagen solche Zahlen wirk- Analyse“, „kompetenzorientiertes Vorge-
dungssystem schaffen kann. Natürlich hät- lich? Nicht viel, schon weil in den Mit- hen“. Hennicke schreibt Notizen in ihren
te Uzun nicht flüchten müssen, sondern gliedstaaten der OECD unterschiedlich Block. Mit 14 weiteren Studentinnen, für
es weiter hier versuchen können. Aber gezählt wird. Deutschland bildet Fach- den „Bachelor of Science in Midwifery“.
hätte sie nicht auch besser unterstützt kräfte in Betrieben und Berufsschulen Hennicke dachte, sie hätte alles über ih-
werden müssen? aus, Frankreich und Großbritannien wäh- ren Beruf gelernt: Drei Jahre lang war
Die Politiker möchten jedem einzelnen len einen anderen Weg, und das System sie in die Lehre gegangen, hatte Kollegin-
Schüler eine realistische Chance auf einen der dualen Ausbildung ist nirgendwo so nen in den Kreißsaal begleitet, Medizin-
Studienabschluss in Deutschland eröff- ausgeprägt wie in den deutschsprachigen Bücher gelesen. Doch als sie ihre Arbeit
nen. Und sie wollen viele Schüler ans Ziel Ländern. Man muss nur Elektroniker und als Hebamme beginnen sollte, konnte sie
bringen. Der Ansturm auf die Unis ist Laboranten, die ihr Handwerk außerhalb nur mit den Schultern zucken, wenn Müt-
also nicht nur Folge der doppelten Abi- der Hochschulen lernen, hinzuzählen, ter ihr Fragen stellten. Sie wusste nicht,
turjahrgänge und der Wehrreform; er ist wie dies anderswo üblich ist – schon nä- wie sie mit Frauen umgehen sollte, die
nicht nur ein Kollateralschaden, sondern hert sich Deutschland dem OECD- eine schwierige Schwangerschaft durch-
volle Absicht. Schnitt. litten. Sie sei im Alltag früh an Grenzen
Denn trotz aller Glaubenskriege in der In den USA nahmen 2009 zwar mehr gestoßen, sagt Hennicke, dies wolle sie
Bildungspolitik sind sich die Parteien bei als 70 Prozent der Highschool-Abgänger nun ändern.
einem Thema erstaunlich einig: der Aka- ein Studium auf, wie das Arbeitsministe- Die Midwifery-Studentinnen sind zwi-
demikerquote. „Klar ist, dass wir mehr aka- rium verkündete. Aber längst nicht alle schen 22 und 45 Jahre alt, alle absolvieren
demisch Ausgebildete brauchen“, sagt Bun- von ihnen studierten an einer wissen- eine Hebammenausbildung oder haben
desbildungsministerin Annette Schavan schaftlichen Hochschule. Viele hatten sich sie schon abgeschlossen, viele stehen be-
(CDU). Die niedrige Quote „schreit nach hingegen an Einrichtungen wie den „Cu- reits seit mehreren Jahre im Beruf. Die
Korrekturen der Bildungs- Hochschule Osnabrück ar-
politik“, sagt der zuständige beitet eng mit den Kranken-
Sprecher der SPD-Bundes- häusern im Land zusam-
tagsfraktion, Ernst Dieter men. Schon während der
Rossmann. „Wir brauchen Ausbildung können die
hierzulande nicht nur mehr Frauen Kurse an der Hoch-
Studienanfänger, sondern schule belegen, nach dem
deutlich mehr Absolventen“, Abschluss folgen drei Se-
sagt auch Kai Gehring, hoch- mester Vollzeitstudium.
schulpolitischer Sprecher Dies könne jungen Hebam-
der Grünen, und ist damit men helfen, mit den neuen
ganz auf der Linie der FDP. Anforderungen besser um-
Niemand scheint daran zugehen, sagt Anja Rieckel,
zu zweifeln, dass es gut und die die Abteilung am Klini-
richtig ist, ja unabdingbar kum Osnabrück leitet.
UWE ZUCCHI / PICTURE ALLIANCE / DPA