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NO. 93-81294-
MICROFILMED 1993
aspartofthe . „ • .»
Project
"Foundations of Western Civilization Preservation
Funded by the
NATIONAL ENDOWMENT FOR THE HUMANITIES
TITLE:
DIE STOA
PLACE:
STUTTGART
DA TE:
1903
Master Negative #
MICRQFOR M TARGFT
xvi)
1. Stoics.
Library of Congress
u B528.B8
3-15824
Restrictions on Use:
301/587-8202
Centimeter
12 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
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15 mm
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Frommanns Klassiker der Philosophie
herausgegeben
von
Richard Falckenberg
Dr. u. 0. Professor der Fhilosophie an der Universität Erlangen.
^^s^
XVI.
DIE STOA
VON
PAUL BARTH.
DIE STOA
Von
PAUL BARTH.
. *
Eil I
STUTTGART
FR. FROMMANNS VERLAG (E. HAUFF)
1903.
DIE STOA
Von
PAUL BARTH.
» . *
STUTTGART
FR. FROMMANNS VERLAG (E. HAUFF)
1903.
•*>
Herrn
dankbar gewidmet
vom Verfasser.
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352689
Vorwort.
familie, der Verbindung mehrerer Männer mit mehreren ^) Von Attika wird dies besonders genau berichtet. Die alten
ionischen Phylen wurden von Kleisthenes aufgehoben und durch 10
Frauen, entstanden war. hatte sich immer mehr die
neue, künstliche, ersetzt, deren Mitglieder aus drei verschiedenen, von
Einzelfamilie eines Mannes mit einer Frau heraus- einander entfernt liegenden Bezirken stammten, also keineswegs alle
gebildet und befestigt, die nun ihr eigenes Leben zu blutsverwandt sein konnten. Vgl. E. Meyer, Geschichte des Alter-
führen, insbesondere ihren Grundbesitz dem Zurück- tums, II, Stuttgart 1893, § 493.
fallen an das Geschlecht zu entziehen und auf die Kinder ^) Diese Stände werden bei den Hellenen und Römern Klassen
genannt, sie sind aber ihrer nach gleich sowohl
sozialen Funktion
zu vererben strebt. Wahrscheinlich reizt dazu noch
den orientalischen Kasten, bei denen nur die Scheidung durch Starr-
besonders das Vorbild des Königs, dessen Krongut heit und Vererbung viel schroffer erscheint, als auch den mittelalter-
(rsßsvos, was ein „abgeschnittenes" Stück Land be- lichen Ständen, die, gleich den Kasten, nicht auf Abstufung 3es
Vermögens, sondern auf sozialer Arbeitsteilung beruhen. Das Ein-
*) Vergl. meine .Philosophie der Geschichte als Sociologie" I, teilungsprinzip mag verschieden sein, das Wesentliche ist, dass Kaste,
Leipzig, 1897, S. 379 ff. und meine Ahhandlung: ^Die Frage des Klasse (im Sinne der Griechen und der Römer), Stand, an
alle drei
sittlichen Fortschritts der Vierteljahrs-
Menschheit" in der Stelle des Geschlechts treten, um den Einzelnen zu binden und zu
schrift für Wissens chaftlichePhilosop hie, 23. Jahrg. stützen, wie es das Geschlecht that, und darum die gleiche soziale
(1899) S. 87. Funktion ausüben.
Philosophenstantl 15
14 Geschichtlicher Hintergrund.
der gewirkt hat, Organismus wohl bewusst. Und, wenn einem ihrer
Thätigkeit der Gesellschaft, in sie
Stände Gefahr droht, so setzt sie die Kraft des Staates,
unser Augenmerk richten.
ihrer austiihrenden Gewalt, ein, um sie abzuwenden.
Als Zeno auf Cypern um das Jahr
aus Citium
der Stoa Poikile in Athen, in einem
Die antike Gesellschaft in ihrer Blütezeit Hess es nie ^
300^) V. Chr. in
zur Verarmung von Massen von Bürgern kommen, son-
den Gemälden Pol^^gnots gewidmeten Museum, das die
dern wirkte ihr durch eine planmässige Kolonisation
Form einer Säulenhalle hatte, seine philosophische
entgegen, die nicht bloss Privatsache der ausziehenden
Schule eröffnete, da war die Blüte Attikas, wie der
Kolonisten, sondern insofern Staatssache war, als der
übrigen hellenischen Staaten längst dahin. Kraftvoll
Staat alleKosten ihrer Ansiedlung trug, wofür er
waren sie gewesen, so lange die ständische Verfassung
billigerweise eine ewige Bundesgenossenschaft von ihrer
in aller Streno;e bestand. Die Reichen hatten Vorrechte,
Seite forderte, so dass die xlussendung einer Kolonie
sie allein waren wählbar zu den h()heren Amtern. sie
niemals als Schwächung, sondern als Erweiterung und
hielten, auch bei äusserlich demokratischen Formen, die
Stärkung der Mutterstadt gemeint war.
Zügel in der Hand, zumal sie allein Zeit hatten, den
widmen und der vornehme Desgleichen dienten Beschränkungen des Eigen-
Staatsgeschäften sich zu ^)
Beschäftigung ausser Krieg und tumsrechts, wie das Verbot, den Grundbesitz der Familie
Hellene jede andre
zu verkaufen ^) und Eingriife in die Vermögens Verteilung,
Staatsdienst für seiner unwürdig erachtete. Aber der
viel häufiger als in der Neuzeit, die „Lastenabschütte-
Ausübung der Vorrechte entsprach die der Vor-
lungen" und „ Schuldverminderungen " {x^bcd-
{asLaayrd^siai)
\ pflichten, so dass der soziale Organismus gesund
xoniai), deren Begriife und Namen in den modernen
büeb. Da jede Gesellschaft in ihrer Fortpflanzung, der
Sprachen überhaupt fehlen, der Verhütung allzugrosser
Erziehung, ihre wesentlichen Ziele oifenbart. so zeugt
Klüfte und Abgründe im Vermögensstande der Bürger,
die lange und strenge, bis zum 18. oder 20. Lebensjahre
der Gesunderhaltung des sozialen Organismus.
fortgeführte gymnastische Erziehung von dem tiefen
Ernste, dem die Vornehmen das Staatsleben auf-
mit
Und das ganze Denken und Dichten der Bürger
fassten. Und wir wissen ja, wie sie thatsächlich ,.Gut war auf das Gemeinwesen gerichtet. Selbst in ihren
und Blut"^ ihrem Staate zum Opfer brachten. ^) Auch Mussestunden wollten sie davon hören. Die alte attische
ist die ständische Gesellschaft sich ihrer selbst als eines
Komödie wählt immer nur politische Stoffe. Ein solches
Gemeinwesen muss äusserlich und innerlich gesunde,
*) In die diesem Jahre zunächst voraufgehenden legt die Gründ- nach allen Seiten ihrer Fähigkeiten ausgebildete Men-
ung E. Zeller, die Philosophie der Griechen, lll, l\ Leipzig 1880, schen erzeugen. Sokrates und Plato, beide starke Per-
S. 29. A. C. P e a rs o n hingegen (the Fragments of Zeno and
sönlichkeiten und doch auf das Ethische und Soziale
Kleanthes, London, 1891, p. 4) setzt sie unter das Jahr 300 herab.
gerichtet, keine Asketen und doch unbeschränkte Herren
2) H. S. Maine, Über volkstümliche Regierung, deutsche Aus-
/
:
Individualismus. 19
Geschichtlicher Hintergrund.
18
Atmosphäre der Blütezeit des hellenischen Lebensgenüsse, und nur, was zu ihr gehörte, wurde
gesunden
Jugend staatlich organisiert, von den Lehrern, die der Staat
Staates möglich, der auch Plato noch in seiner
angehört hat.
besoldete, gelehrt. An Stelle des Turnlehrers und Ge-
Wille eine sangmeisters tritt der Grammatiker (Philolog) und der
Aber es scheint, als ob der menschliche
Blüte nötig Rhetor. ^) Die neuere attische Komödie stellt nicht
solche Anspannung, wie sie eben zu jener
könnte. Denn mehr das Staatsleben dar, das den meisten nicht mehr
war, auf längere Dauer nicht ertragen
von den Athenern wenigstens, nicht bloss so wie früher am Herzen liegt, sondern entweder die
es wurden ja,
Thaten, son- Litteratur mit ihren Fehden, oder die alltäglichen häus-
die höchsten politischen und kriegerischen
auch die höchsten geistigen Leistungen lichen Scenen, besonders Liebeshändel und Dienerstreiche.
dern gleichzeitig
vollbracht. Derselbe Sophokles, der die athenische Was in früheren Zeiten für schimpflich galt, das
Antigone reine Privatleben, das wird jetzt normal. Das ganze ^)
Flotte siegreich geführt hatte, errang mit der
Streben des Bürgers erschöpft sich in der Vermehrung
und vielen anderen Tragödien den Sieg über mehrere
seines Vermögens. Der Grundbesitz häuft sich in immer
andre gleichstrebende, nicht allzusehr ihm nachstehende
weniger Händen an, die Zahl der Sklaven wächst, ab-
Dichter. Es war nicht die Nachwirkung des unglück-
solut und relativ, da die freie besitzlos gewordene
lichen peloponnesischen Krieges, was mit dem
Beginne ,
Folge jenes Krieges, zum grösseren Teile aber das Er- Kinder nicht auf, sondern setzt sie aus. Wohl erkennen
gebnis gewisser psychophysischer Prozesse, durch die
einige tiefblickende Staatsmänner den gefährlichen Weg,
jeder herrschende Stand gefährdet scheint, die hier zu
analysieren zu weit führen würde. Die Vorrechte ^) Unter ^encyklopädischer Bildung* versteht man vor allem
Grammatik, d. h. Kenntnis der Sprache und der Litteratur und
werden zwar noch festgehalten, die Vor pflichten aber
Rhetorik, d. h. Fähigkeit der kunstgerechten Rede, erst in dritter
nicht mehr erfüllt. Vor allem hört die wichtigste Reihe Philosophie. Bei den Römern umfasst diese Bildung die so-
Pflicht, der Kriegsdienst, auf erzwungen zu werden; genannten sieben freien Wissenschaften: Grammatik, Dialektik,
an die Stelle des Bürgers tritt der Söldner. Damit Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Musik, Astronomie.
ändert sich auch die Erziehung. Während die alte 2) Vergl. J. Burckhardt, a. a. 0., I, S. 273. Und zwar schon der
Jüngling lebt nicht mehr dem Staate, sondern seinen Privatneigungen.
Erziehung, Gymnastik und Musik ^) pflegend, für den
Bezeichnend ist, was in der im Athen der letzten Hälfte des 4. Jahr-
dem Titel Musik behandelt. alere aut canes ad venandum aut ad philosophos»
Ersatz für den Staat. 21
OQ Geschichtlicher Hintergrund.
die sich
grossen Haufens ist. Die ersteren nahmen ihre Zuflucht
Sechs Senatoren,
seiner Habgier verschwinden. zu allerlei orientalischen Kulten, die dem Sinnengenusse
wurden entdeckt, hingerichtet
..egen Nero verschworen, neben allerlei Büssungen Raum gaben die anderen
sie zu-
,
in Italien, dann
Aussterben der freien Bürger zunächst
der Provinzen und in
auch in den römischen Kolonien
Provinzen selbst. Der Staat ist nicht mehr lebendig
den
Glieder. Aus dem
durch lebendige Hingebung seiner
toter Mechanismus, von aussen
Organismus wird ein
Willen des Despoten und die be-
bewegt durch den
zahlten Dienste seiner Beamten.
antiken Welt, der
So war der eigentliche Gott der
politische Religion, von den Alten
Staat, gestorben,') die
y
Demetrius, der Pompejaner
TTpTui u s , Histor. natur. XVIII, § 35.
Heer Soldaten zählt. Vgl.
so viele Sklaven als ein ganzes
hatte
Seneca, de tranquillitate animi K. 8, 6.
In Italien z. B. Collaüa,
«)
Anlemnae. Fidenae, Labicum. Vgl.
Strabo V, K. 3,2. , . ^ „ . .
Die äussere Geschichte der Stoa. es Plutarch*) sehr leicht wird, ihm die schreiendsten
Widersprüche nachzuweisen. Auf ihn folgten einige
Schule
Wie schon erwähnt, wurde die stoische weniger bedeutende Schulhäupter. Neues Leben er-
einer
durch Z e n aus der cyprischen Stadt Citium . wacht in der sogenannten mittleren Stoa, zum Teil in-
halb phönicischen Kolonie um 300 folge einer Abweichung von der bisherigen Dogmatik
halb hellenischen , ,
V. Chr. gegründet. Gleich den schon bestehenden Philo- der Schule einer Annäherung an den Piatonismus.
,
schöpferischer Geist. Wie Scipio und des Laelius, Posidonius aus Apamea in
Zeno war kein eigentlich
entlehnte er die Ele- Syrien, beide fruchtbare Schriftsteller, geben den, aller-
wir im einzelnen sehen werden,
den schon vorhandenen Schulen, dings gemilderten Hauptgedanken der Schule weite
mente seines Systems
so dass der Akademiker Polemon
ihm vorwarf, er stehle Verbreitung. Panaetius war der ursprünglichere Geist,
ein phönicisches Gewand.M Posidonius in den philosophischen Lehren wesentlich
die Lehren und gebe ihnen
Sein Stil war nicht rein griechisch-).
Er war aber sein Nachfolger, aber in den Einzelwissenschaften ausser-
vorbildlicher Charakter so ordentlich fruchtbar^). Panaetius lebte mehrere Jahre
ein guter I^ehrer und ein ,
gewann. Als er
dass" er bald bedeutenden Anhang *) die wir von ihm haben, enthalten manches
Die Fragmente,
264 V. Chr. gestorben war, wurde Kleanthes und treffende Bild. So Fragm. 44 (Pearson, p. 269): „Die
i. J. originale
Sehweine haben die Seele anstatt des Salzes, damit ihr Fleisch nicht
M Diogenes Laertius VII, 1,25.
...,, faule." Treffend und bündig ist auch Fragm. 99 (Pearson S. 319).
=
Ver"! Pearson, p. 34.
Überhaupt hört ja seit Anstote es
Anm. 1. „Sehr verschieden sind Wohlthat und Geschäft." Auch ist er der
Aristoteles
reine attische Sprachgefühl auf. Schon ij&iwe, das Verfasser des später zu erwähnenden Hymnus auf Zeus.
das
gebildet. Denn die Adjectiva auf -ixog -) Pearson a. a. 0. S 36.
prägt, ist nicht attisch
zweiten Deklmat.on. U.e
kommen im Attischen nur von Substantiven der trog.
3) Vergl. Diogenes Laert. Vif, 7, 180.
Barbarisch sind auch des Aristoteles ä^i^fiol elSr,Tiy.o,. schliesslich mit Ghrysipp beschäftigt. So weist Plutarch (a. a. 0.
erraiOQ
Barbarismus emyswmia, wie die K. 16) ihm nach, er finde es in einer Schrift gegen Plato ungereimt,
Bei den Stoikern ist z. B. ein
Lust genannt wird, offenbar mit Anlehnung an Aristoteles, der sie dass der Böse sich selbst schädige, behaupte dies aber selbst sehr
£lI^)'£vvacr^a^, das entschieden in anderen Schriften.
imyiyvdtnvov TtKoi nennt, also mit Übergang zu
unterscheiden. Darum entschuldigt
Zeno *) Vergl. über beide A. Schm ekel , die Philosophie der mittleren
sie von yiyniivsa&ai nicht
Solöcismen. Stoa, Berlin, 1892.
(Frg. 30, Pearson p. 81) auch die
Seneca. 25
Äussere Geschichte
24
lehrte in Rhodus, wo viele Römer sagt ist, gilt ihm stumpf und matt. ^) Was sich dagegen
in Rom, Posidonius
beigetragen, die antithetisch behandeln lässt, darin schwelgt er, auch
ihn hörten. Beide also haben viel
wenn es sachlich unerheblich ist. So schreibt er fünf
stoische Rom heimisch zu machen. Der erste
Lehre in
Tode da Kapitel über die Frage, ob man sich selbst Wohlthaten
wirkte in dieser Hinsicht noch nach seinem ,
Wichtiger noch für seine Mitwelt sowohl wie für ^) Sehr charakteristisch ist in dieser Hinsicht der Schluss des
die Nachwelt ist L. Annaeus Seneca.
In den ersten
8. Briefes , wo Seneca Alienum
einen Vers des Publilius erwähnt. :
Jahren unsrer Zeitrechnung in Corduba in Spanien ge- est omne, quidquid optando evenit und seinen Freund Lucilius dafür
Seneca, ge-
boren, als Sohn des Rhetors M. Annaeus lobt, dass er ihm eine bessere Form gegeben habe: Non est tuum,
langte er durch seinen Reichtum und seine Geschick- fortuna quod fecit tuum. Die Antithese tuum non tuum ist es —
eben, die den Vorzug ausmacht Als allerbeste Form schlägt Seneca
lichkeit als Sachwalter in Rom zu grossem Einfluss,
schliesslich vor: dari bonum quod potuit, auferri potest, eine
im Jahre 41 n. Chr. von Claudius nach Korsika
bis er Steigerung der Antithese, indem die den Gegensatz bildenden Worte
verbannt wurde. Im Jahre 50 n. Chr. zurückberufen, dari — auferri, dadurch, dass sie an den Anfang ihres Satzgliedes
Minister zu
stieg er unter Neros Regierung als dessen treten, auch äusserlich hervorgehoben werden. Demgemäss schwelgt
grosser Macht empor, fiel jedoch nach einigen
Jahren Seneca auch in seinen Tragödien in Antithesen. Z. B. der einfache
verurteilt stoische Lehrsatz: „der Tod steht uns immer frei" wird öfter anti-
in Ungnade, wurde im Jahre 65 zum
Tode
thetisch ausgedrückt. So Oedipi Fragm. (in der neuesten Ausgabe,
und starb, indem er sich die Adern öifnete. 3)
von Richter, Lipsiae 1902 Phoenissae A. V. 152). Eripere nemo
einer der geistreichsten Stilisten
der vitam non homini potest, at nemo mortem. Ähnlich Phaedra V. 885
Seneca ist
Besonders eines der „Lichter" u. 886 (bei Richter V. 877 u. 878). Bezeichnend ist auch, wie im
Römer und aller Zeiten.
erstaunlicher Oedipus, V. 970 ff. (bei Richter 949 ff.) die BHndheit in Antithesen
der Darstellung, die Antithese hat er mit
beschrieben wird: quaeratur via, qua nee sepultis mixtus et vivis
Gewandtheit anzuwenden gelernt. Es ist, als ob er tamen exemptus erret. Die Octavia, die ja zweifellos nicht von
überall Heraklits Geiste den ewigen Kampf und
in Seneca herrührt, eben dadurch, dass sie gar keine Antithese
zeigt
Gegensatz der Dinge, der das Leben erzeugt und
erhält,
hat, ihre Unechtheit. Der zweite Teil des Hercules Oetaeus ist eben-
Was nicht antithetisch ge- falls viel ärmer an Antithesen, als der erste und darum möchte ich,
veranschaulichen wollte.
trotz den beachtenswerten Gegengründen G. Richters (S. 319 seiner
Ausgabe) die Ansicht festhalten, dass jener zweite Teil unecht oder
») Vergl Sehmekel, a. a. 0. S. 18 ff.
von einem Christen des duodecim tabulas loquuntur, also duodecim tabulas statt sermone
des Augustus, nichts zu thun hat, sondern
0. S. 677, Anm. 5.
duodecim tabularum.
3. Jahrhunderts herrührt, beweist
Zeller a. a.
Anm. 5.
*) Vergl. Zeller III, 1,* S. 718, Anm. 2.
3) Vergl. Zeller, UI, 1,' S. 693,
-
Äussere Geschichte.
Epiktet und Marc Aurel. 27
26
fern; doch hielt ihn vielleicht weise mögen folgende Zeilen^) aus einer Unterredung
dem Hofe Neros nicht
schlechten Zeit Neros zwischen einem römischen Statthalter und dem Philo-
die Hoffnung zurück, auch in der
Böses verhindern zu sophen eine Probe geben: Statthalter: Ich kann, wen
noch Gutes wirken oder wenigstens
Leben durch eine würdige ich will, ins Gefängnis werfen. — Ep. : Wie einen Stein.
können. Und er schloss sein
beherrschte — St.: Aber kann auch prügeln lassen, wen ich
ich
Haltung bei seinem Tode. Durch seinen Stil
er die ganze folgende Generation
und flösste ihr so die ^ill. — Ep. Wie einen Esel. Das ist keine Herrschaft
:
12 und
bam ut. Dieselbe Construction nach andern Verben 11, 6,
Ebenso lateinisch ist der blosse Konjunktiv, nach
Be-
IV 13 19 IH, 93, 2—36.
wie II, 19,34; 1,9,15; II, 18,24; 111,12,15. Echt
griffen'des'wollens ^) Selbstgespräche VIII, 9.
auch das Iva des Ausrufs, z. B. I, 29, 16.
lateinisch ist
^t:
Erlöschen der Stoa. 29
Äussere Geschichte.
28
ein Augen- fanden und darum dem Neuplatonismus und dem Christen-
dienen*): „Des menschlichen Daseins Zeit ist
Die Empfindung ist tum zufielen, welches letzte ausser Wunderglauben und
blick, sein Wesen vergänglich.
Mystik auch noch manches andre brachte. Einzelne
des ganzen Körpers Gefüge zum Verwesen
ge-
dunkel,
Kreisel, das Schicksal schwer zu stoisch denkende Männer finden wir immer noch, so den
neigt, die Seele ein
ernsten Dichter und gründlichen Hasser des Orients,
ahnen, der Menschen Nachrede verworren; was zum
Körper gehört, ein Strom, was zur Seele gehört,
Traum Ru tili US Namatianus. Und dem Namen nach be-
Kampf und eine Reise im stand die stoische Schule neben der akademischen, der
und Rauch, das Leben ein
peripatetischen und der epikureischen noch bis zum
fremden Lande, der Nachruf Vergessenheit. Was giebt
Jahre 529, in welchem sie samt den übrigen drei vom
das uns geleiten kann? Einzig und allein
die
es nun,
man den Gott Kaiser Justinian verboten wurde. In demselben Jahre,
Philosophie. Diese besteht darin, dass
über- in dem in Italien auf dem Monte Cassino das erste
im Inneren vor übermütiger Schädigung bewahrt,
zwecklos Kloster der Benediktiner gegründet wurde, flohen die
legen der Lust und dem Schmerze, nichts
unabhängig vom Thun letzten Philosophen zu den Persern, freilich ohne dort
thuend, ohne Lüge und Heuchelei,
zufrieden hinnehmend, was ge- die gehoifte Denkfreiheit zu finden. Die Geschichte
und Lassen der andern,
zugeteilt wird, weil es daher kommt, begann ein neues Buch. ^)
schieht und uns
woher wir selbst kommen, bei allem den Tod mit ge-
denn die
neigter Gesinnung erwartend, als nichts andres
Trennung der Elemente, aus denen jedes lebende Wesen
zusammengesetzt ist."* —
Auch nach Marc Aurel bestand die Stoa fort und
philosophische
zählte so viele Anhänger, wie keine andre
Schule. -) Erst im dritten Jahrhundert wird die schrift-
zugeschriebenen aber in den allgemeinen Sprachgebrauch ging dieser Sinn der i'. noch
So der Verfasser der falschlich dem Plutarch
')
lange nicht über. Ausserdem weist bei Posidonius die Verbindung
Placita philosophorum I, prooem. 2.
-i//j
-^
32 Aufgabe und Einteilung.
sind ihm, was vielen „Ab Jove principium" gilt ancli für die stoische
der formalen Logik, die er aufzählt,
also der Ethik.*) Schule. Bei jeder anderen wäre es angemessener mit
verborgen sei, Fragen der Pflicht,
So ist die stoische Philosophie im wesentlichen ihren Lehren von den formalen Elementen der Er-
konnte der oben gekennzeichneten sozialen kenntnis, also mit ihrer Logik und Erkenntnistheorie,
Ethik, und es
Umwelt wegen nicht anders sein. Wer sich der Philo- zu beginnen um in das System einzudringen. Die Stoiker
Epikur, hatte ihr Schwergewicht in der Ethik. E pikur Zeno von Plato, 2) machte aber einen Zusatz, der eine
verachtete die gelehrte Bildung und alle
wissenschaft- Vereinfachung bedeutet, wie ein solches Streben nach
liche Untersuchung, sobald sie nicht ganz unmittelbar Vereinfachung überhaupt charakteristisch für die Stoa
dem menschlichen Glücke dient.^) Dühring«) hat ist. Während Plato körperliche und unkörperliche
Stoiker, wie die Epikureer im Wesenheiten (die Ideen) unterschied, lehrte Zeno, dass
Recht, wenn er die
und hat mit manchen seiner Nach-
-^
Vergl. d. Kap. über die formale Logik. ») Vergl. Plutarch, de Stoic. repugn. IX, Bf. Gomm. Not. 31.
Kritische Geschichte der Vergl. Pearson p. 85. Pearson 0.
Vergl. Zeller, III. 1 ^ S. 381. ') M. Aurel ^} a. a.
'^)
->) III, 13.
^.
u Physik und Theologie. Feuerwerdung. 35
half sich, indem er den Äther mit dem Feuer für aus ihm der unedlere, abwärts gehende Weg war.
an Feinheit verschieden erklärte.^) Von der näheren Ausführung des Werdens der
wesentlich gleich, nur
Stoffe sind freilich nicht Elemente im Sinne Dinge wissen wir nichts: nur das ist berichtet, dass
Diese vier
noch im Sinne der modernen Chemie, da Zeno aus dem Feuer die Luft, aus dieser das Wasser,
der Atomistik
sie nicht absolut beharrend,
irreduzierbar sondern ,
m aus diesem die Erde hervorgehen liess- Den empirischen ).
ihre Gruppierung, da ihre Lage wegen der Kugelgestalt, dafür sind die berühmtesten der Inseln. Rhodos und
die sie alle haben sollen, gleichgültig ist. Delos. Denn ehemals waren sie unsichtbar, unter das
als leidend
Drei von den vier Urstoffen nahm Zeno Meer getaucht, später, als es kleiner wurde, erhobeu
das Feuer, als thätig. Freilich sie sich allmählich, wie die Aufzeichnungen über sie an-
an. nur den vierten,
nur seinen feineren .... Ausserdem aber sind grosse und tiefe
auch nicht das ganze Feuer, sondern geben
er den Äther identifi-
Teil, eben denjenigen, mit dem Zungen grosser Meere durch Eintrocknung zu Festland
zierte. Dieses nannte er das
sc höpf er i sehe Feuer geworden und bilden jetzt einen nicht unbeträchtlichen
das ursprünglichste Element, aus dem
die Teil des angrenzenden Landes, der besät und bepflanzt
(nvo TBjCvrAov),
gröbere Feuer, also in-
anderen drei Elemente und das wird. Als Zeichen ihrer alten Meeresnatur sind ihnen
überhaupt, entstanden seien, in das noch Kieselsteine und Muscheln übrig geblieben und
direkt alle Dinge
sich auch die ganze Schöpfung zurückverwandele. Perio- ähnliches, was an den Meeresstrand ausgeworfen zu
(fxni^^r.cjte)^) der ganzen werden pflegt .... Wenn aber das Meer kleiner wird,
disch trete eine „Feuerwerdung"
nach ihr eine Wiederholung alles Dagewesenen so wird auch die Erde kleiner werden, in den langen
Welt,
werde Sokrates wiederkehren, ebenso Plato, Zeiträumen wird überhaupt jedes Element verzehrt
ein. Dann
aber auch Anytos und Meletos, um
Sokrates anzuklagen, werden, auch die gesamte Luft wird sich verbrauchen,
allmählich sich vermindernd, und alles wird in den einen
mehr gegeben.
Zeller hat erwiesen, das^ Jiese
«) Pearson S. 106
Vergl. ff.
Vergl. Pearson p. HO f ') Vergl. Schmekel, S. 239 ff. -) Vergl. Plutarch, de commu-
Ausführun/von Zeno stammt.
') Pearson S. 135. auch Marc Aurel nibus notitiis, Kap. 45.
') Vergl. Pearson S. 137.
^) Vergl. Schmekel S. 240. *) Vergl. G. Prantl, Geschichte
V, 33 und VI, 15. ,
„ ,..
3-2. Vergl. Fowler, Panaetu et, der Logik im Abendlande 1, Leipzig, 1S55, S. 436. ») Vergl. Zeller III,
*, Nach Cicero, Tusc. Disp. I,
Die römische Stoa zeigte sich wissenschaftlich ge- "Wasser Luft, aus Luft Wasser, aus Luft Feuer, aiis
nug, zu dem exklusiven Materialismus der Alten nicht Feuer Luft warum sollte nicht aus Erde Wasser
,
nehmen muss -). Dann behauptet er geradezu, dass ein nehmen, da er fest an die Feuerwerdung der Welt glaubt.
Teil des Seienden körperlich, der andere unkörperlich
3) Das Feuer ergreift die Welt und verwandelt alles in
Was allerdings unkörperlich sei . wird bei Seneca sich. Hercules, der, müde von seinen Arbeiten, sich selbst
sei.
nicht ganz klar. Nach der einen Äusserung'*) scheint verbrennt, ist der Welt Vorbild 2). Wenn das Feuer
er einen Teil der objektiven Welt, eben die Weltver- erloschen ist wird Feuchtigkeit daraus die Hoffnung
, ,
') Ep. 58, 11 und Ep. 89, 16. Auch in letzterer Stelle werden sondern teils durch Verdichtung aus dem von der Erde aufsteigen-
ausdrücklich unkörperliche Elemente der Natur festgestellt,
da .die den Hauche, teils unmittelbar aus der Erde selbst entstanden und
Naturphilosophie in 2 Teile, das Körperliche und das
Unkörperliche entstehend glaubt. Nat. Quaest. III, cap. 7, cap. 9, cap. 10, cap. 26,
beweist,
geschieden wird*. Wie aber schon dieser eben citierte Satz cap. 29.
unexakt und vielleicht lückenhaft. Denn, De benef. IV, 8.
ist die ganze Stelle recht 2)
wird, fehlt die Spezifi- Nat. Quaest. Auch Ad Marciam, cap. 26. Epigr.
während das Körperliche näher spezifiziert ^) III, cap. 13.
kation des Unkörperlichen. super exiliq VII, 5 fif. und De benef. VI, 22.
*) Ep. 89, 16. ^) Ep. 65, 2 u. 12. «) Ep. 90, 29. ') De brev. *) Nat. Quaest. III, cap. 28.
5) Nat. Quaest. III, cap. 30.
vitae 8. ») De benef. V, cap. 8.
T^
zufliesst" ^).
Prinzipien nimmt er nun ohne So wird der starre Materialismus, mit dem die Stoa
Die materiellen
auch das wie es scheint, beginnt, im Laufe der Entwicklung überwunden. Die
weiteres von der Schule auf,
desgleichen die periodische Ver- Differenzierung des Stofflichen und des Unstofflichen ist
schöpferische Feuer«),
Wiedergeburt aller Dinge ein Sieg der Wissenschaft über die Naivetät.
brennung und die periodische
[Tieoi' dinrj TiaXiyyevsaia tcdv öXcjv)'^).
wie in der unbelebten Welt, es ist also auch identisch Die Aufeinanderfolge: Körper Sameneuer — —
Volksglaube Schicksal nennt, jener Same ist vorbildlich für die Folge:
Samenartige Ver-
mit dem, was der
gewaltigen Macht, der nach Homer
auch die Gotter nunft, —
Welt —
Samenartige Vernunft, die nach der
unterworfen sind. „Jener Gründer und
Lenker des Welt- Verbrennung im schöpferischen Feuer übrig bleibt. Da
aber befolgt sie am Anfang wie am Ende der Welt wirkt, so ist sie
allshat den Schicksalsspruch geschrieben,
ihn auch. Immer gehorcht er
einmal nur hat er be- .
das Beharrende, aus dem die Vernunft des einzelnen
Wesens, des Menschen, hervorgegangen ist, in das diese
fohlen^^)
Wie sich diese materielle Vernunft zur Welt
ver- wieder zurückkehrt. .,Du wirst verschwinden in dem.
naive Anschauung be- was dich erzeugt hat. Vielmehr, du wirst nach dem
hält, wird gleichfalls nur durch
Ohne Gleichnis als sachliche Bezeichnung
ist allgemeinen Stoifwechsel zurückgenommen werden in
stimmt. ,
ren oder schwächeren Spannung 3) des schöpferischen, Wie die menschliche Vernunft aber abgesehen —
von der Fähigkeit die höchsten Prinzipien zu denken —
Relimke, Schubert-
Bei den immanenten Philosoplien (Schuppe,
») zugleich die durch das Denken gewonnenen, allgemein-
was die eine Seite
Soldern) verschwindet das Objekt im
Subjekt,
Subjektivität dei« Empfindung
des Denken., das Bewusstsein von der
des Widerstandes der Objekte darstellt. Im Empiriokriticismus aber *) Pearson, pag. 88.
fato doctrina, Numburgi 1859, S. 27. Schau' alle Wirkenskraft und Samen
3) Vergl. Kleanthes fragm. 24 (Pearson, p. 252) und Seneca, Und thu' nicht mehr in Worten kramen.
Nat. Quaest. II, 8, wo die Spannung, intentio als specifische Eigen-
,
^) So Kleanthes bei Pearson, pag. 25:2.
dass Marc Aurel. von als Luft, den Zeus (des Volksglaubens, nicht der Schule)
der Einzahl so sehr gleichgesetzt,
dem wir oben sahen, dass er die einzelne Seele m die als den Himmel, den Poseidon als das Meer, den He-
zurückgehen lässt an einer phästos als das Feuer und überhaupt alle vom Volke
eine samenartige Vernunft .
eingehen lässt».)
Xuyot'g) Die Methode allegorischer Deutung ist später weiter
Vernunftinhalte (onsQ^aTixovQ
einzige grosse Kraft, ausgeführt und zur Zeit Senecas von Cornutus und
Es ist also diese Weltvernunft eine
unendlich viele schon vorher von Herakleitos in ein System <]:ebracht
und doch, ohne ein Chaos zu werden, in
Äusserung für die Materialität Jupiter, einen des Volksglaubens, der auf dem Kapitol
sich keine unzweideutige
Gottes 1), mehrere aber dagegen. Über Epiktet lässt
verehrt wird, den andren, der mit der Weltvernunft
sich nichts entscheiden-). Marc Aurel aber identifiziert
identisch ist ^.) Die Grazien der Grriechen sind ihm wie
Grott sicher mit dem oben (S. 40) erwähnten „ver- Chrysipp die Gröttinnen des Dankes und der Wohlthat ^).
nünftigen Urquell", dessen UnstofFlichkeit oben nachge- Aber ausser dem höchsten Gotte sind ihm noch alle be-
wiesen wurde. Denn er nennt Grott auch „den Ver- weglichen Gestirne Götter ^.) Epiktet und Marc Aurel
stand des Alls" 3). hingegen vereinigen den volkstümlichen und den philo-
aber die Einzigkeit Gottes betrifft, so herrscht
Was sophischen Glauben. Epiktet glaubt an Zeus, als den
auch hier nicht allgemeine prinzipielle Klarheit. allmächtigen, weisen Schöpfer und E-egierer der Welt *),
Panaetius' System hat infolge seiner starken plato- ausserdem aber an alle guten Götter des Volksglaubens,
nischen Ader nur einen einzigen, ewigen, allmächtigen an Demeter^), an Apollo*'), die Moiren (I, 12), auch an
Gott, neben ihm nur die Gestirne *), die gewordenen
Pluton den er zu den guten zu rechnen scheint ^),
.
Götter des Platonischen Timaeus. alle anderen Götter während ihm Hades Acheron Kokytos und Pyri-
, ,
sind ihm nur .Gebilde fabelnder Dichter oder berech- phlegethon Fabelwesen sind ^). „Alles ist voll von
nender Staatsmänner" ^) Posidonius folgt seinem Meister, Göttern und Dämonen^)." Aber auch von den Dämonen
glaubt aber noch an die den Luftraum erfüllenden hält er nur die guten für wirklich existierend
jedoch keine Götter, sondern nur die Seelen
Geister^'), die
die bösen nicht ^'^). Marc Aurel spricht von Asklepios
der Verstorbenen sind. Seneca steht wohl auf demselben und Demeter ^^), von „Helios mit den übrigen Göttern" ^^)
I
Standpunkte wie Panaetius. Die Götter des Volks- als von wirklichen Wesen. Dagegen glaubt er nicht an
glaubens nimmt er allegorisch. Er unterscheidet zwei die bösen Geister, die von den Wunderthätern ausge-
itl
Zwar heisst es bei Epiktet (III, 13, 7): ,Zeus ist bei sich
2)
selbst und ruht auf sich und betrachtet seine Verwaltung der Welt, 1) Nat. Quaest. II, 45. «) De benef. I, 3. ^) De benef. IV, 23.
wie sie ist, und hat dabei ihm geziemende Absichten% aber daraus ') III, 13, 4—7. 5) II, 20, 32. «) III, 1, 18. ') II, 20, 32,
folgt nur, dass er nicht der Welt immanent, sondern
transcendent
«) IIJ, 13, 15. Vergl. Seneca Ep. 24, 18. ») III, 13, 15. "j 1, 22, 16.
ist; keineswegs lässt sich sicher schliessen, dass er immateriell sei.
»0 VI, 43.
3) IX, 28. *) wie Schmekel, S. 190 mit Recht vermutet.
^^) VIII, 19. Dagegen scheint mir Klotho (IV, 34) bloss sym-
^) Schmekel a. a. 0.
bolisch gemeint. *^) I, 6.
«) Schmekel, p. 243 und R. Heinze, Xenokrates, Leipzig
ii\
*) Epiktet I, 14, 6; auch II, 8, 11.
1892, S. 98.
jg Theologie und Teleologie. Die Vorsehung. 49
ii
an begleitete'). Seneca sagt: ihre Bestimmungen noch nicht erschöpft. Es fehlt noch
Schützer von Geburt
* unverletzlicher Geist in uns, der Be- eine sehr wichtige Die Gottheit oder das Urfeuer, oder
Es sitzt ein :
Übeltuns, unser Hüte.r. die Natur oder die keimfähige Vernunft oder das
obachter unseres Gut- und
behandelt er
Wie er von uns behandelt worden ist, so Schicksalist zugleich eine zielbewusste Vorsehung
\).
gewissermassen das bessere, Es wird dadurch ihre Theologie zur Teleologie.
uns wieder" »). Er ist also
Kantischen Ausdrucke „der Kleanthes' realistischer Sinn widersprach zwar der
das ideale Ich, mit einem
des Menschen. Dasselbe finden Allmacht der Vorsehung -), er meinte, nach dem Fatum
intelli^'ible Charakter"
Aurel. Epiktet sagt:
wir bei Epiktet und bei Marc
geschehe alles, nur ein Teil der Ereignisse aber nach
jedem seinen Dämon als Vormund an die der Vorsehung, aber Chrysipp kehrte, wenn auch, in-
(Zeus) stellte
Seite und übergab ihn
diesem zur Bewachung, einem dem er auf die „Hindernisse und Hemmnisse" der Welt-
zu betrügenden Hüter"'). regierung hinwies, nicht ohne anthropomorphe Inkonse-
nie schlafenden und nie
wiederholen, dass
Und Marc Aurel wird nicht müde zu quenz »), zur Meinung Zenos zurück.
gegeben hat *). der Die mittlere Stoa war viel zu platonisch, um der
Zeu-* jedem einen Dämon
als Leiter
den es gilt von wirren Vor- leidenden Materie, der Bedingung alles
gleich der Vernunft ist 5), Unvollkomme-
Leidenschaft Unzufriedenheit mit ,
dem nen, grosse Macht beizulegen, fest an der sie hielt darum
stellungen ,
dass Gott und der Allmacht der gütigen Vorsehung, an der höchsten Voll-
Schicksal rein zu verwahren«),
Mächte sind '), dass sein kommenheit der geschaffenen, bestehenden Welt.^)
Dämon die beiden sittlichen
Walten die Glückseligkeit bedeutet «). Für die römische Stoa wird dieses Walten einer
(Gottheit odei-
Wenn nun Zeno und die alte Stoa die gütigen Vorsehung ein Lieblingsdogma. Seneca meint,
Zeus, mit der Weltvernunft dass die Welt zufällig sei, ist ein arger Irrtum^).
das schöpferische Feuer mit
der Natur (cfva^sy mit Der Mechanismus der Natur dient nicht unmittelbar
mit der Seele der Welt, mit
identifizieren'"): so sind damit
^u^taofiiv.i) dem Menschen. Regengüsse, Stürme, Erdbeben geschehen
dem Schicksal
in der griechischen
'y^l M. Heinze, Der Eudämonismus tive Gesetzmässigkeit der Welt zu bezeichaen, aber nie wird die
Leipzig, 1883, 3. 15. '-) Ep. 41 2. dvdyxT] personifiziert. Aus gulein Grunde. Denn seit Plato ist sie
Philosophie," 1.
12. *) V, 27. ») in, :1; Hl, 6; 111, 7. gleich der blinden, ziellosen Notwendigkeit, fast dem Zufalle, tv^t}^
ä) I 14,
«) 11, 13; III, 12; m, 16; Vlü, 45. gleichbedeutend, jedenfalls das Gegenteü der Vorsehung. (Vergl.
Vü, 17. R. Heinze, Xenokrates S. 19, Anm. 1). Und auch von Marc Aurel (Xlf,
7) V 10 ')
schaffend, ge-
sondern immer aU lebendig, 14) wird sie der Vorsehung direkt entgegengesetzt, indem er sagt: I
t
Dieser Terminus wird in den ^1^-"«^-;- (Pearson S. 93) auf eigene Faust unternommen.
u^^d ücWen.
immer nur in Schlüssen gebraucht, um
^'^^.^'^«"'X
die log.sche
Zeno bei Pearson,
*) p. 93 und öfter. Pearson 248
in den Fragmenten
-) p. f.
/
Erklärung aus Teleologie. 53
Theologie und Teleologie.
52
hat sich die römische Stoa
liegt. 8o hat der Mensch den Kopf oben und den Hals
lan-e schlafen zu lassen »),
des Blicks frei ge- drehbar, damit er die Gestirne betrachten und überallhin
Beschränktheit
von" dieser Enge and
Sie betrachtet zunächst jedes Wesen als Zweck seinen Blick richten könne ^ Dass die Maulwürfe, die
).
halten
gut, was die schat- unterirdischen Mäuse und die in unterirdischen Teichen
Jedem Teile der Natur ist
an sich lebenden Tiere blind sind, dafür wird auch keine Ur-
Ganzen hervorbringt, und jener zur
fende Natur des
sache angegeben, sondern nur der Zweck, dass sie eben
Erhaltung dient« ^). So sind auch die Tiere zunächst
Teile des Ganzen sind sie im Dunkeln ihr Leben führen und darum keinen ihnen
für sich geschaffen, erst als
den Menschen. Die überflüssigen Sinn haben sollen 2). An diesem Beispiel
Vorstufen und darum Mittel für
weitsichtige Teleologie wie zeigt sich zugleich
der volle Gegensatz der stoischen
römische Stoa hat dieselbe
erklärt'): „Keine Substanz Teleologie der modernen Theorie der Entwicklung
zu
Leibniz, der ausdrttcklich
hervorgeht auch kein durch Anpassung, wie sie Darwin und seine Nachfolger
(und wie aus dem Zusammenhange
vor Gott unbedingt verächt- ausgebildet haben. Denn nach Darwin^) haben die
Tier und kein Mensch) ist
Diese Ansicht (die gegen- Maulwürfe ursprünglich ebenso gute Augen wie die an-
lich oder schätzenswert
Überbleibsel des alten, Übel be- dern Nager, nur dass sie eben verkümmert sind. „Dieser
teilige) wäre noch ein
alles für den Menschen Zustand der Augen rührt wahrscheinlich von fort-
rüchtigten Grundsatzes, wonach
Die alte Stoa hingegen hatte die
währendem Nichtgebrauche her, dessen Wirkung aber
allein "gemacht ist."
in der Einzelausführung
vielleicht durch natürliche Zuchtwahl unterstützt wird".
engherzig anthropozentrische,
die Chr. Wolff später aus der
Er meint, die Maulwürfe, deren Augen nicht vom Felle
oft kindische Teleologie,
überwachsen und so geschützt würden, seien durch
Leibniz'schen sich zurecht machte.
Zweckmässigkeit der Welt häufige Entzündungen der Augen zu Grunde gegangen.
Für Seneca wird die
Erklärung, das er überall da, Aus dem Vorsehungsglauben entsteht aber nicht
ferner ein Hilfsmittel der
bekannten Ursachen einer Erscheinung dazu bloss eine stets bereite Fertigkeit das scheinbar Zu-
wo ihm die
fällige zu erklären,
Dass die Spiegelung nur sondern auch die Gemütsstimmung,
nicht ausreichen, anwendet.
sei, damit wir die
Sonne schauen dieman Frömmigkeit nennt. Alles ist gut, das Übel
deshalb in der Welt
Sehen blenden würde"), das ist dem Guten dienstbar oder ohnmächtig, darum keine der
die "ns bei direktem
Teleologie, da neben dem Gottheit ebenbürtige Macht. Epiktet findet es lächer-
nur ein Beispiel immanenter
angegeben werden^ lich, dass in Eom ein Altar des Fiebers ist, dieses also
Zwecke auch Ursachen der Spiegelung wie eine Gottheit verehrt wird*). Gott hegt väterliche
als der einzige Grund
Aber daneben wird oft der Zweck Gesinnung gegen uns oder wenigstens gegen die Guten ^).
Ursache fehlt, der Zweck
angegeben, die voraufgehende
an die Ursache der Die Götter wollen weder noch können sie schaden^).
wird also nicht mehr als
Wirkung
die Teleologie wird trans-
Erfahrungswelt angekettet, De
Ursache jenseits der Erfahrung *) otio 5.
cendent, da die wirkende -) Nat. Quaest. III, 16.
^j Die Entstehung der Arten, 5. Kap., S. 160 der Übersetzung
von J. V. Carus, 7. Aufl. Stuttgart, 1884.
») Plutarch, De Stoic. lepugn. K. 21.
Theodicee § 118. *) Epiktet I, 19,6. ») Seneca de prov. 2.
II, 3. ')
^) Marc Aurel,
*) Seneca, de ira,UI, 27.
*) Nai. Quaest. I, 17.
4
Theologie und Teleologie. Glaube an die Vorzeichen. 55
54
sind Es gilt nur die besonderen (xesetze dieses Zu-
Die unsittlichen Fabeln der Dichter über Jupiter sehen.
i).
Die (lötter haben bei der sammenhanges durch Beobachtung zu finden wie die
albern und schändlich ,
Weltschöpfung eines jeden Lebenszeit und Schicksal zu Astrologen gethan haben und noch thun. Die Sterne
seinem Besten bestimmt 2). Die erste Stufe der Frömmig« nun sind grosse Weltkörper, oder sie wandeln wenigstens
ihre
keit ist an die Götter zu glauben, die zweite ihnen in grossen Bahnen, ihre Herrschaft über die Erde und
Majestät und Güte wiederzugeben ^ ). alles irdische Leben lässt sich nach einfacher Mechanik
Mit der stoischen Frömmigkeit hängt aufs engste begreifen. Dass aber kleine Ereignisse, wie Vogelflug,
zusammen ein Glaube, der sonst den Philosophen fremd Richtung des Blitzes, Lage der Eingeweide des getöteten
war, der Glaube an Vorzeichen, die die Götter Opfertieres, kurz alle die Erscheinungen, aus denen der
senden. Weder Plato noch Aristoteles, noch andre, die konnte man nur aus der besonderen Vorsehung der
für die Stoiker führend waren, hatten das System
der Götter ableiten die gewissen äusseren
, scheinbar zu- ,
Zeichen zu deuten, ernst ge- fälligen Begebenheiten gewisse Erlebnisse des Menschen
Mantik, der Kunst solche
nommen. Sokrates hatte es als einen äusseren religiösen zugeordnet haben.
Gebrauch wie andre befolgt, mehr aus politischer Rück- So hatte Chrysipp den stoischen Glauben an die
sicht als aus Überzeugung. Zeno d-agegen hat ein be- Mantik zu begründen gesucht^). Panaetius aber ver-
sonderes Buch darüber geschrieben^). Er bewies seinen warf ihn ganz und gar 2). Der, wie schon oben bemerkt,
Glauben wohl nur durch das bei vielen Prophezeiungen weniger selbständige Posidonius kehrte zur Lehre Chry-
beobachtete Eintreffen, später suchte man ihn auch durch sipps zurück, er fügte sogar noch eine neue Art der
die Voraussetzungen des Systems zu rechtfertigen. Mantik hinzu, die sogenannte „natürliche" , die keines
Wenn die sichtbare Welt gewissermassen der Körper vermittelnden Zeichens bedarf, die unmittelbar, ohne
Köi-per
Gottes, die unsichtbare seine Seele, die den die Sinne die Zukunft voraussieht, freilich nur in sre-
dnrchdringt, die Welt mithin ein belebtes Wesen ist, wissen ausserordentlichen Zuständen, in manchen Träumen
muss in ihr wie in jedem Organismus eine Verein- und in der sogenannten Ekstase, dem Zustande des
so ,
heitlichung oder besser ausgedrückt, eine Tendenz zur Hellsehens, in dem der Geist vom Körper getrennt, die
Einheit herrschen. Wie in jedem Lebewesen das Leiden Schranken der Sinne überschreitet und die Zukunft
eines den andern in Mitleidenschaft zieht, so
Teiles schaut'^). Diese durchaus orientalische Methode der
müssen die Vorgänge an dem einen änssersten Ende der Erkenntnis, die Ekstase, hat Posidonius zuerst in die
Welt doch mit denen, die am andren änssersten Ende Philosophie eingeführt, ein gefährliches Element, von
geschehen, im Zusammenhange stehen. Also wirken
die dem später alles gesunde Denken überwuchert wurde.
Bewegungen der Sterne auch auf die Ereignisse auf der" Doch vermochte er in der mittleren Stoa nicht durch-
Erde und mittelbar auf das Leiden und Thun der Men- zudringen. Es blieb in ihr die gegen die Mantik ge-
richtete Anschauung, wenn nicht herrschend, doch stark
Kleanthes' Hymnus. 57
Theologie und Teleologie.
56
Wichtigste, das Wesen des Guten und des Bösen, kann
verbreitet. Der Stoiker Blossius aus Cumae der ,
nach andern ungünsti- den Menschen durch Träume und Orakel gewähren 2)
verhängnisvoll werden sollte, als
hinabgestossener teilt aber nicht den Volksglauben an Wunderthaten und
gen Vorzeichen ein von einem Raben
Gaukler').
Dachziegel Tiberius vor die Füsse gefallen war und
hatte, So finden wir im Gottesbegriffe der Stoiker sehr
selbst die mutigsten seiner Freunde erschreckt
wenn Tiberius, verschiedenartige Elemente vermischt Materialismus
^es sei eine Schande und eine Feigheit,
:
wegung und durch seine Begegnung mit uns^). Aber Dir nur gehorchet das Weltall, das um die Erde sich drehet,
gefügt haben, sind Wie du es fuhrst, und lässt sich von dir nur willig beherrschen.
diese Zusammenhänge, die die Götter
Dir nur dienet, gehalten in nimmer bezwinglichen Händen,
noch nicht alle erforscht. Niemals ermattender Kraft, zweischneidig und feurig der Blitzstrahl.
Epiktet nimmt alle Arten der Wahrsagung ernst, Seinen gewaltigen Schlägen ist alle Natur unterworfen.
Orakel«), Eingeweideschau, Deutung des Vogelfluges ^) Durch ihn bringst du zur Macht die Vernunft, die, allen gemeinsam,
und der Traumgesichte »). Aber er misst ihnen keinen Allwärts schreitet, die grossen und kleinen Gestirne durchdringend.
wesentlichen Wert bei. Sie können nur über das, was Nichts auf Erden geschieht, o Gott, ohn' deine Bewiirgung,
Noch im feur'gen Gewölbe des Himmels, noch in der Meerflut.
I
») Dieses Beispiel wird bei Prantl a. a. 0. angegeben. ^) Vergl Prantl I, 466. Auch Epiktet, Diss. I, 7, 13 fif.
») Vergl. Prantl I, S. 462. «) Dies alles ist am bündigsten entwickelt III, 2, fast gleich auch
») Ep. 87, 30 und 31. Ep. 65, 14. III, 12; TOVQ ipsvdofiBVOVQmnss man wohl auffassen als gleichbedeu-
aber ist es die oben dargestellte Lehre von Grund und mit der Vorstellung (cpavTaoia), die bei Aristoteles wesent-
Folge, die auch in der formalen Logik die Arbeit der lich das Erinnerungsbild, bei den Stoikern aber sowohl
lässt. dieses als auch die Empfindung nach ihrer Spaltung
Schule nicht ganz vergeblich erscheinen
in
die subjektive und die objektive Seite, also die sinnliche
Yorstellung bedeutet.^) Sie ist nach Zeno ein Abdruck
tend mit ipevdelg. Prantl I, S. 487. - Vielleicht sagt Epiktet das -) Freilich auch wieder von einer Empfindung (aicf&rjffiQ)
ist
weüer an den historisch gewordenen .Lügner nach der Prüfung und Zustimmung, von der weiter unten zu spre-
erste statt des letzten,
folgende Form bringt: .Wenn chen sein wird, die Rede. Vergl. A. Bon hoff er, Epiktet und die
der Megariker denkt, den Cicero auf
wahr lugst du dann oder sagst du Stoa, Stuttgart, 1890, S. 124. (Dieses Buch von Bonhöffer wird im
du sagst, und
ich lüge dies ist,
51. folgenden immer mit I, sein zweites, die Ethik des Stoikers Epiktet,
die Wahrheit?"* VergU Prantl, I, S. ^ ,, «
44; lü, 12, 14 fif. Stuttgart, 1894, mit II bezeichnet werden). Die Terminologie der
M Ausser III, 2 auch I, 29, 55 f; II, 23,
28. *) I, 7, 21 u. 33. ») Vergl. I, 17. Stoiker ist eben nicht immer scharf und reinlich.
'^) I, 17, 10. ') 1, 7,
Prantl ebenda. *j Prantl S. 521 3) Vergl. Diog. L. VII, 1, 51.
•) Prantl I, S. 517. ^)
Barth, Die Stoa. 5
Erkenatnistheoiie. Später ein andres Kriterium.
66 67
in^'die Seele geprägte Bild dem Objekt entspricht, sichbewogen die Brauchbarkeit des stoischen Kriteriums
das
Objekt existiert, dafür zu prüfen und zu lehren, dass nicht die Sinne,
ob überhaupt ein entsprechendes sondern
sehr naives Kriterium, näm- der Verstand entscheide, „ob und welches
erlebt er wiederum nur ein der wahr-
fich die Greifbarkeit, die
Vorstellung muss eine greif- genommenen Merkmale das Wesen der Sache ausdrückt
bare (xaraXryTirtx^) sein, was natürlich nur den Smn und daher einen richtigen Schluss gestattet.''
Das
dass nicht sie, sondern ihr Objekt greifbar sei.-) Gleich e war Posidonius' Lehre,^ ) der dem prüfenden Ver-
hat
und appelliert
Es ist dies zwar ein dürftiges Kriterium der Stoiker, Leipzig 1886, S. 24 und 28 ff.), der schliesslich meint
von den Sinnen im allgemeinen an
einen Sinn, an den (a. a. 0, S. '^9), dass die Stoiker mit dem Adjektiv x. vielleicht eine
Tastsinn, es gilt nur für die Existenz oder Nicht- Zweideutigkeit beabsichtigt haben, indem sie es teils aktiv als „ergrei-
es ist, streng gefasst, nicht
zu fend", teils passiv als „ergreifbar" verstanden wissen wollten.
existenz von Objekten, möchte noch weiter gehen und wie oben bei Ghrysipp
Ich
.rebrauchen, wo es sich um Wahrheit oder Unwahrheit Frage nachgewiesen wurde, ein Schwanken
in einer andern
stände den Namen aufrechte Vernunft (koyog, oQd-ög) gab.M stimmen nicht Sache des immer passiven Sinnesein-
Leider sind wir über ihre Neuerung nicht genauer unter- druckes sein kann, sondern ein höheres Seelenvermö^en.
richtet.
die Vernunft, schon zur Gewinnung der ersten Elemente
In der römischen Stoa treten die erkenntnistheo- der Erkenntnis unentbehrlich ist. Und auch Epiktet und
retischen Fragen vor den praktischen sehr zurück, da- Marc Aurel waren sich sehr wohl der denkenden Thätig-
rum finden wir in ihr keine Weiterführung der Frage keit bewusst, die der Vorstellung den Charakter „wahr"
des Kriteriums. Seneca scheint die „greifbaren Vorstel-
oder „unwahr" aufdrückt. Epiktet verlangt „eine unge-
lungen" aufgegeben zu haben, denn er hat sie nicht über- prüfte Vorstellung nicht anzunehmen" so wie Sokrates
setzt und erwähnt sie nie ausdrücklich. Dagegen ver- verlangt hatte, nicht ein ungeprüftes Leben zu führen.^)
langt er vom menschlichen Geiste : „er solle, den Sinnen Und Marc Aurel empfiehlt „an der Vorstellung kunst-
durch sie sich auf die Aussenwelt erstrecken, voll zu arbeiten, damit nicht unbeachtet etwas Ungreif-
folgend,
dennoch aber der Sinne und seiner mächtig bleiben". 2) bares einlliesse".^)
Und nur angedeutet wird die „greifbare Vorstellung", Mit dieser Einführung der Zustimmung ist der Weg
wenn er von der Vernunft erwartet, „dass sie in Mei- des Sensualismus verlassen. Wie sehr auch die Stoiker
nungen, Ergreifungen (comprehensionibus) und Über- nach konsequenter Durchführung desselben strebten, die
redungen nicht hängen bleibe.^)" Wahrheit ist mächtiger als das theoretische Prinzip.
Epiktet und Marc Aurel haben die greifl)are Vor- Es ist eben unmöglich die Thatsache zu verkennen, dass
stellung ausdrücklich wieder aufgenommen.^) das eigentlich menschliche Denken im Gregensatze zum
Freilich — und das ist ein sehr bedeutungsvolles tierischen, die Empfindungen als Material benützt aber
Moment — die greifbare Vorstellung wirkt nicht so, nicht in den Empfindungen aufgeht. Auch keiner der
dass wir dabei rein passiv bleiben. Sie löst gewisser- späteren Sensualisten hat dies vermocht. Selbst Con-
massen nur unsere Thätigkeit aus, nämlich die Zu- dillac, der am konsequentesten sich bemüht hat, jede
stimmung (ö-uyxara^fö-te), kraft deren wir ihr Wirk- Aktivität seiner
beseelten Statue zu leugnen, muss
lichkeit oder Unwirklichkeit zusprechen.^) Es wird so- schliesslichdoch die Eeflexion, d. h. die Analyse und
mit die Anerkennung der Wahrheit ein Akt des Willens. Synthese als Thätigkeiten der Seele zugeben 3).
Zeno, Kleanthes und Chrysipp haben kaum je das Be-
denken gefühlt, dass der Wille doch nicht über Wahr-
*) III, 12, 15. Im Sinne der Alten freilich klingt es wieder,
wenn es in demselben Kapitel heisst: jede wahre Vorstellung habe
heit und Unwahrheit entscheiden könne. Posidonius und von Natur ein Kennzeichen. -) VII, 54.
Panaetius hingegen haben wohl gerade aus der Thätig- ^) Aufmerksamkeit, Vergleichen, Urteilen, auch Abstrahieren
keit, die im Zustimmen liegt, geschlossen, dass dies Zu- soweit es infolge der mehreren
Zuständen gemeinsamen Lust und
Unlust geschieht, alles dies sind nach Gondillac (Abhandlung über
M. Heinze Lehre Yom Logos die Empfindungen, deutsch von E. Johnson, Berlin 1870,
*) Vergl. Schmekel S. 268. (die 1. Teil,
mit dem allgemeinen, die 4. Kap S. 45) passive Vorgänge in der Seele, jedenfalls nur
S. 150) bringt die , aufrechte Vernunft" ,
von
der grösseren oder geringeren Intensität der Vorstellung, nicht von
Welt beherrschenden Logos in Zusammenhang.
2) De vita beata, Gap. 8. ^) Ebenda, irgend einer Kraft abhängig.
Der Tastsinn aber giebt ihr den ße-
*) Epiktet, III. 8, Marc Aurel, VII, 54. IX, 6. IV, 22. griff des äusseren Körpers, dem sie verschiedene Empfindungen
in
Indem nun die Stoa die stete Prüfung des sinnliclien Und in der neueren Philosophie, seitdem in der Renais-
Eindruckes an die Schwelle des Erkennens stellt, hat sance gerade durch das Wiedererwachen des Stoicismus
sie in den älteren Vertretern unbewusst, in den späteren das Problem von neuem gestellt war, hat die Frage
bewusst, —
Kantisch ausgedrückt, — dem grossen Gegen- nach dem Verhältnis des aktiven und des passiven Teiles
satze der Rezeptivität der Sinnlichkeit und der Spon- des Erkenntnisvermögens nie aufgehört, sondern im
taneität des Verstandes Ausdruck gegeben. Allerdings Mittelpunkte der ganzen Erkenntnistheorie gestanden.
stellt ja schon Plato überall der Empfindung das Denken, Ohne die Zustimmung, die gewissermassen den ersten
der wechselnden Mannigfaltigkeit der sinnlichen Objekte Akt geistiger Mündigkeit bedeutet, oder wenn diese bloss
die Einheit und die Unveränderlichkeit des wahrhaft schwach oder irreführend ist, giebt es keine für das
Seienden gegenüber. Aber er bezeichnet nicht so deut- Wissen brauchbare Vorstellung, sondern bloss eine
lich, wie den Punkt des Eingreifens der
die Stoa. Meinung (86^a) ^), womit man seit den Eleaten das un-
Thätigkeit, da die Sinne bei ihm für die wahre Er- wissenschaftliche Vorstellen bezeichnete.
kenntnis überhaupt nicht in Betracht kommen. Und Aber mit der Anerkennung der greifbaren Vor-
Aristoteles unterschied ja den leidenden und den thätigen stellung beginnt erst deren teils unwillkürliche, teils
Geist, aber hatte nicht den Einzelakt des Erkennens willkürliche weitere Verarbeitung im Seelenleben. Sie
im Bezug auf Aktivität oder Passivität einer Analyse kann zunächst in der Seele beharren, wird dann eine
unterzogen. Dagegen spricht Epiktet von „der Ein- ivvoLa oder ein svvorjua, d. h. ein Gedanke, der im Gegen-
richtung unseres Verstandes, kraft deren wir, nicht ,satz zur sinnlichen Vorstellung auch Vorstellung der
einfach den wahrgenommenen Objekten unterliegend, Seele Da diese Gedanken als einer-
genannt wird. -).
durch sie Bilder empfangen, sondern auch etwas heraus- seits und eigenschaftslos, andererseits
unindividuell
nehmen, abziehen und zusetzen, sodass wir durch jene wieder als bestimmt und mit bestimmten Eigenschaften
Bilder dies bestimmte Einzelne zusammensetzen und. ausgestattet bezeichnet, da ferner von Zeno und seinen
beim Zeus, von dem einen zum andern, das uns nicht Nachfolgern ausdrücklich die Ideen Piatos, natürlich
unmittelbar gegeben ist, übergehen". ^) Er ist sich also nur nach ihrer subjektiven Seite zu ihnen gerechnet
sehr bewusst der Analyse und der Synthese, die der werden, so ist es offenbar, dass mit den stoischen „Ge-
Verstand an den Objekten der Wahrnehmung vornimmt. danken" die allgemeinen, schematischen Vorstel-
lungen, die, wie Herb art^) sagt: „schwebenden Gesamt-
düngen zusammenfügt, daraus äussere Ganze herstellt und sie, in-
vorstellungen" gemeint sind, die nicht einem einzelnen
dem sie sozu sagen bald auf dieses, bald auf jenes ihr Licht fallen
Objekte, sondern einem Begriffe entsprechen sollen *).
lässt, unter verschiedenen Gesichtspunkten mit einander vergleicht:
Diese ewoiau im Sinne der allgemeinen, schematischen
sie ist das, was ich Reflexion nenne* (U, 8, U). Gondillac unter-
scheidet also 2 Arten der Aufmerksamkeir., eine, die von den übrigen
der Tastsinn erweckt. Die *) Zeno frg. 15. (Pearson S. 68).
Sinnen gegeben wird, die andere, die
letzte nennt er Reflexion und beschreibt sie, wie die zitierten Worte Mitdo^a synonym ist ot/ycrtg, frg. 16 (S. 68). Auch Epiktet
11, 17, 1: „Was ist die erste That des Philosophierenden? Die Mei-
beweisen, durchaus als Thätigkeit. Wie schöpferisch die Reflexion
aus kleinen Räumen nung aufzugeben." ^) Zeno frg. 21 (S. 71); auch frg. 23.
bei ihm ist, geht auch daraus hervor, dass sie
') Lehrbuch zur Psychologie § 182.
den Raum und aus kleinen Zeiten die Zeit zusammenfugt»
*) Zeno frg. 23 (Pearson p. 72 f.), Kleanthes frg. 6.
») L 6, 10.
72 Erkenntnistheore. Angeborne Begriffe? 73
Vorstellungen sind ein Gemeingut der stoischen Schule sindi), so heissen sie Vorwegnahmen, Annahmen, ttoo-
o-eblieben^) und von der neueren Philosophie, von den h]il}eLQ, bei Seneca praesumtiones -).
Empirikern nicht minder als von den Rationalisten an- Der wesentliche Inhalt, der diesen „Annahmen"
iTenoihmen worden. Erst Berkeley machte einen Ein- zugeschrieben wird, ist vor allem eine gewisse instink-
wand gegen ihre psychologische Wirklichkeit mit der tive Erkenntnis des sittlich Guten im allgemeinen,
bekannten Bemerkung, dass, wenn es solche (abstrakte auch der einzelnen Tugenden und der Existenz Got-
Vorstellungen) giebt, sie auf die Gelehrten beschränkt tes, sogar seiner Ewigkeit und Güte 3). Bei Seneca
sind-). Unter diesen sind die xotyal tvvoiai^ von Cicero
mit notiones communes übersetzt^), besonders wichtig. *) Zeller III, P, 75 meint, dass auch die „gemeinsamen Be-
Chrysipp ^) und Posidonius ^) haben wohl am eingehend- griffe •* nur aus der Erfahrung abgeleitet werden, wie andere Be-
griffe. Dies scheint mir angesichts der Quellen unhaltbar. Anderer-
sten von ihnen gehandelt und ihre Lehre darüber zum
seitsgeht Bonhöffer wohl wieder zu weit, wenn er (I, S. 191) glaubt,
Gemeinbesitz der Schule gemacht. Sie heissen „gemein- dass sie „von allen gleichmässig an jede Erfahrung herangebracht
same Begriife^, weil sie allen Menschen gemeinsam nerden." Die Auffassung Bonhöffers würde sie in eine Linie mit den
sind *'
), sie heissen ferner eingepflanzte [eacpvroi^ insitae) ideae innatae von Descartes und Leibniz, den notiones com-
munes Spinozas,. sogar mit den apriorischen Begriffen Kants stel-
oder natürliche (^udixat), im Gegensatze zu den nur durch
len; darum geht sie über den Horizont der Stoa hinaus. Es scheint
kunstmässiges Denken aus der Erfahrung erworbenen
mir, dass die Stoiker die gemeinsamen Begriffe nach Analogie des
Erkenntnissen ^) und in dem Sinne, dass nicht sie selbst
tierischen Instinktes gedacht haben; Die Biene hat eine der Anlage
ihrem Inhalte, wohl aber die Anlage zu ihrer not- nach angeborene Kenntnis der zu bauenden Zellen, die aktuell wird,
wendigen Entstehung angeboren sei ^). Denn nach all- sobald sie, zur Arbeit herangewachsen, anfängt, Wachs zu sammeln.
Sie lernt aber die Zelle durch die Übung noch genauer kennen. So
gemein stoischer Auffassung ist die Seele bei der Geburt
sind die x. £., die semina scientiae, wie sie Seneca (ep. 120,
leer, ein leeres, zur Aufnahme der Schrift wohl ge-
4)
nennt, nicht die scientia selbst.
eignetes Papierblatt ^).
2) Ep. 117, 6. Der Terminus nQüXr]il)LQ scheint im Laufe der
Da die gemeinsamen Begriife, wenn auch nicht voll- Zeit in der Stoa seine Bedeutung geändert zu haben. In der von
kommen klar und deutlich, vor aller Erfahrung in uns M. Heinze (zur Erkenntnislehre der Stoiker, S. 32, Anm. 3) aus
Pseudo-Plutarch, Plac. phil. IV, 11, 3 citierten Stelle ist ewoia
das allgemeine Wort für „Begriffe"; diejenigen, die auf „natürlichem
•) Vergl. Epiktet II, 12,6. Wege* und ohne künstliche Bemühung in uns kommen, heissen
-') Principles of human knowledge, Inlroduction, X. n^oAijipEL^. Bei Epiktet hingegen scheinen mit diesem letzten Aus-
3) Disput. Tusc. IV, § 53. Vergl. Bonhöffer I, 209 ff. drucke gerade diejenigen bezeichnet, die durch die Vernunft schon
*) Vergl. Bonhöffer I, S. 219 u. 222. ^) Schmekel S. 266 ff. „artikuliert*, d. h. in ihren Merkmalen differenziert und ausgearbeitet
®)So ist das y.oLvai hier zu verstehen. Bei Aristoteles ist das worden sind (I, 17, L Vergl. II, 17, 13 u. II, 11, 18.) I, 25, 6
xüivov , von Begriffen gesagt, etwas anderes. Es kennzeichnet die- werden die UQo'k. mit den Beweisen als gleichwertig genannt und
jenigen, die nicht aus nur einem Sinnesgebiet stammen, sondern aus HI, 22, 1 nennt er so den Lehrbegriff der kynischen Schule, die er
mehreren, und darum im empfindenden Centrum also im Herzen , doch sehr ernst nimmt.
entstehen, besonders die Begriffe: Bewegung, Ruhe, Zahl, Gestalt, ^) So bei Ghiysipp. Vergl. Piutarch Stoic. repugn. K. 17. Auch
Grösse. Vergl. Zeller, II, 2\ S. 543. Plutarch, Not. comm. K. 32, wo unmittelbar vorher Chrysipp und
•) Bonhöffer S. 199. ^) Bonhöffer, S. 191. Kleanthes, unmittelbar nachher wieder Chrysipp genannt wird, be-
zieht sich sicher auf Chrysipp. Ferner Cicero Tusc. IV, § 53.
*) Vergl. Kleanthes frg. 4.
74 Erkenntnistheorie. Sensualismus und Rationalismus.
ro
kommt noch das Wissen der Unsterblichkeit der Seele halten gerechnet i),
so dass von Aristoteles' Zehnheit
hinzu ^ ).
nur vier Kategorien übrig blieben Substanz,
Qualität, :
Wahrscheinlich schon in der alten Stoa^). weniger Verhalten und Relation. Doch sind diese vier
Kate-
bei Posidonius 3), sicherlich aber bei Cicero*), der sich gorien nicht nebengeordnet, sondern das
Vorangehende
hierin an stoische Quellen zu halten scheint, und bei bleibt im Folgenden, es tritt nur eine neue
Bestimmung
Seneca wird aus der Übereinstimmung aller Menschen, hinzu 2). So wären z. B. nach stoischer Auffassung
die inBezug auf den Inhalt der notiones communes zehn ähnliche weisse Pferde unterzuordnen unter
die
herrscht, auf dessen Wahrheit geschlossen. „Wir pflegen erste Gattung, als materielle Substanzen,
unter die
viel zu ireben auf die Annahme aller Menschen, und es zweite als lebendig und Pferdegestalt habend 3).
unter
ist bei uns ein Wahrheitsbeweis, dass etwas aller Mei- die dritte als weisse ^) und 10 an der Zahl, unter die
nunir ist.~sas-t Seneca^). Dieser Beweis ex consensu vierte als ähnlich.
«»entium ist im 16. und 17. Jahrhundert, nach dem Dies war seit Chrysipp die stoische Gemeinlehre.
Wiederaufleben der Stoa. besonders für den Begriff der Nur Seneca hat eine gewisse Modifikation angestrebt er ;
natürlichen Religion sehr beliebt geworden. lässt die vier Kategorien versucht nur nach bestehen,
Die „gemeinsamen Begriffe", die in gewisser Piatos Prinzipien eine Sechsteilung der ersten, die
wir
Weise angeboren sind, sind nicht zu verwechseln mit nicht weiter verfolgen wollen ^j.
den „allgemeinsten Begriffen" ^'), den seit Aristoteles Unsere Skizze der Erkenntnistheorie der Stoiker
so o-enannten K
a t e frorien die durch wissenschaftliches
. möge der trotz seiner Bildlichkeit treffende Satz be-
Denken gewonnen werden. Sie vertreten die allgemein- von Seneca^) stammt: „Wir müssen den
schliessen, der
sten Bestimmungen, denen jede Erscheinung je nach Bienen nachahmen, die umherfliegen und an den zur
ihrer Art unterzuordnen Aristoteles hatte zehn
ist. Honigbereitung geeigneten Blumen saugen, dann alles
Kategorien angenommen, die aber sehr der Verminderung Mitgebrachte ordnen und in die Waben verteilen.-'
fähig waren. Liegen, Leiden und Thun konnten unter Bacon hat diesen Satz adoptiert und in angemessener
.sich verhalten" subsumiert werden. Damit waren drei Weise ergänzt^): „Die, welche die Wissenschaften be-
Katefrorien beseiti":t. Ferner Hessen sich Orts- und arbeiteten, waren entweder Empiriker oder Dogmatiker.
Zeitbestimmung als Beziehung auffassen, da sie ja immer Jene sammeln nur wie die Ameisen; letztere aber, welche
relativ sind, von einem gegebenen Punkte ausgehen. mit der Vernunft beginnen, ziehen, wie die Spinnen das
Die Quantität wurde etwas gewaltsam unter das Ver-
') Vergl. Trendelenburg. a. a. 0. S. 228. Prantl, Geschichte
der Logik I, S. 435.
') Ep. 117, 6.
dieser Hinsicht und für die Geschichte der Terminologie hielten. Aber sie fassten diesen „natürlichen" Ursprung
viel Nachwirkung gehabt hat. der Sprache doch nicht in demselben Sinne, wie die
Die alte Stoa lehrte in ihrem beschränkten Materia- Epikureer, die gar kein bewusstes Denken dabei vor-
lismus, die Worte seien körperlich. Sie wirkten doch aussetzten^),wenn sie auch von Konvention und sogar
auf die Seele, und alles, was wirke, sei körperlich. Die vom Namengeber sprachen. Die Stoiker lehrten viel-
Aussage (ksy.Tüv) aber war ihr unkörperlich sie ,
mehr eine gleich bei seinem Ursprünge sehr enge Ver-
stand zwischen dem körperlichen Dinge, von dem etwas bindung des menschlichen Lautes mit dem Gedanken, so
ausgesagt wurde, und dem ebenfalls unkörperlichen Ge- dass Zeno^) meint, wenn das Denken im Gehirn sässe.
danken. Die Aussage unterscheidet sich vom Gedanken
nur durch die Existenzweise, nicht durch den Inhalt \), ') Vergl. Steinthal I, S. 235. -) I, 17, 12.
Die inhaltliche Gleicheit von Sache, Begriff und ge- 3) Wie Gertrud ihre Kinder lehrt, ed. Reclam, S. HO.
*) Steinthal I, 291. Vergl. ausserdem Diog. L. VII 1, 63 ff.
so müsste auch die Stimme aus dem Gehirn kommen. Diese Ansicht vom Ursprünge der Wörter führte
Da aber nicht daher komme, so sei das Gehirn auch
sie zu der hohen Wertschätzung, deren die Etymologie
nicht der Sitz des Denkens. sich bei den Stoikern erfreute. Sie war .,eine Entfaltung
Wegen des grossen Anteils des Denkens an der der Worte, durch die die Wahrheit deutlich gemacht
Sprachbildung ist der Laut eine b e w u s s t e Nach- wird."i) Die Proben ihrer etymologischen Thätigkeit
ahmung der Eigenschaften der Dinge. Der Gefühls- sind ebenso kindlich wie die des ganzen Altertumes,
ton, modern gesprochen, war es, der das Band zwischen z. B. wenn q)covjj (Stimme) ihnen gleich (fäg vov (Licht
den Eindrücken der Dinge (und darum nach der stoischen des Geistes) ist. -) Aber wie in diesem Falle, so glaubten
Auifassung den Dingen selbst) und den Worten herstellte. sie auch sonst die Elemente nicht bloss des Wortes,
Wenn der stoische Autor der Schrift de principiis dia- sondern auch des damit l)ezeichneten Objektes entdeckt
lecticae (Pseudo- Augustinus) sagt Res ipsae aificiunt, ut
; zu haben. Wie Aristoteles, wenn er i]d-Ly.6s (sittlich)
verba sentiunturM, so ist darin, wenn auch sehr unklar, von e^oQ (Gewohnheit) ableitet, nicht zwei Worte, sondern
geahnt, was W. Wundt-') die Analogie des Gefühles zwei Dinge in Verbindung gebracht zu haben meinte ^i.
genannt und als wesentliches Bindeglied zwischen I^aut so auch bei der Etymologie die Stoa.
und Vorstellung zu erweisen mit Erfolg versucht hat. Man sollte nun glauben, in dem grossen Streite über
Es ist so z. B. bei der Onomatopöie, die die Stoiker Analogie und Anomalie, der die Blütezeit der griechi-
als Beispiel der Nachahmung sehr verwerten, weniger schen Sprachwissenschaft bezeichnet'*), hätte die Stoa
eine direkte Nachbildung des objektiven Schalles vor- auf die Seite der Analogie treten müssen. Die Ana-
handen, als vielmehr eine Bildung eines neuen Schalles, logie bedeutet, dass den Gedanken die Worte genau
der jedoch dasselbe Gefühlselement wie der ursprüngliche entsprechen, dem einfachen Gedanken ein einfaches Wort,
Naturschall enthält. ^^Aly^e ßlog^ es schwirrte der Bogen;" dem zusammengesetzten ein zusammengesetztes, also ein
sind beide keine phonographische Reproduktion des strenger Parallelismus zwischen Gedanken und Worten
Schalles der gelösten Bogensehne, sie geben aber beide herrscht.^) Der berühmte Aristarch von Alexandria
einen Laut mit dem gleichen erregenden Gefühlstone, war ihr Vorkämpfer. ") Die Anomalie hingegen, —
wie die wirklich gehörte, den Pfeil abschnellende Sehne. ein Terminus, der in der Stoa entstand — besagte, dass
Es ist darum keine Gleichheit, sondern eine Metapher das Wort nach seinem Inhalte und seinen Beziehungen
und zwar eine „Lautmetapher", wie Wundt im Gegen- dem Begriffe und seinen Beziehungen nicht entspreche.
satze zur Satzmetapher sagt, die hier in der Onomato- Zunächst ist es überraschend, dass die Stoiker trotz
pöie und bei vielen ähnlichen Prozessen als der Konsti- dem oben gekennzeichneten Bemühen, den Klang des
tution und der Abwandlung der Worte zu Grunde liegend Wortes aus dem Objekte herzuleiten, doch eine Ungleich-
gedacht werden muss, allerdings eine Nachahmung, wie heit des Inhalts des Begriffes oder Objektes und des
die Stoiker meinten, aber eine sehr verwickelte, in-
') Steinthal, I, S. 331, Anm. 2.
direkte. =') Steinthal, 1, S. 285.
3) Steinthal, I, S. 340.
Wortes annahmen. Dies erklärt sich aber aus ihrer Sprachmaterial ohne weitergehende Absichten zu ordnen
Ansicht, dass die Trworte allerdings den Dingen ver- suchte. Aristoteles hatte drei Redeteile unterschieden:
wandt gewesen sind, aber im Laufe der Zeit ihre Form Nomina, Zeitwörter, Bindewörter, unter welche letzte
oder ihre Bedeutung sehr verändert haben. M Klasse er alles rechnete, was nicht zum Subjekte oder
Was aber die Beziehungen der Begriffe zu dem das Objekt einschliessenden Prädikate gehörte.^)
kam Chrysipp zu dem Ergebnis, dass Laut- Die Stoa fügte als vierten hinzu den Artikel (ä^d^Qov),
betrifft, so
sich nicht decken.-) worunter sie die Pronomina und den heutigen Artikel
form und begriffliches Verhältnis
verstand, so dass die „Bindewörter" auf Konjunktionen
So muss man nach Chrysipp beim Adjektiv dreierlei
Privation, Mangel einer Eigenschaft, und Präpositionen eingeschränkt wurden. Chrysipp unter-
unterscheiden : d. h.
schied beim Nomen noch nomen proprium und nomen
Negation, d. i. was wir kontradiktorisches Gegenteil
,
schiedenen Endungen ausgestattet. Ein der Form nach -) Steinthal, I, 297. ^) Steinthal, I, 298 auch II, 212 f.
Steinthal, 302.
plurales Wort wie nuptiae bezeichne doch eine einzige *) I,
Gratete Maliota, Lipsiae, 1860, p. 13 ff. in dem Sinne, wie Priscian diesen Ausdruck versteht. Vergl. Stein-
-) Vergl. Steinthal, I, S. 367 u. 368. ») Vergl. Steinthal, I, S.361f. thal, I, 302.
Barth, Die Stoa. 6
82 Sprachwissenschaft. Casus, Tempora, Modi, Satzverbindung.
83
ri-x^^) (accusativus). Man sieht, wie viel davon noch dass er sich der ganzen Bedeutung seiner Entdeckung
in unserer heutigen Terminologie lebt! bewusst war. ^
Am Verbum haben die Stoiker zuerst da.s sogenannte Die erste Beleuchtung der Modi des Verbums,
Genus desselben benannt. Die Verba sind ihnen reeta^), die ebenfalls von den Stoikern ausgeht, steckt in ihrer
supina. neutra. reciproca. Die erste Klasse uinfasst die Klassifikation der Sätze nach ihrem Inhalte. Sie unter-
Verba aktiver, die zweite die passiver Bedeutung, die schieden als Satzarten: Behauptung oder Satz schlecht-
dritte die intransitiven, die vierte die bloss reflexiven hin. Frage. Erkundigung, Befehl, Schwur, Gebet, Voraus-
oder zugleich reflexiven und kausativen Verba z. B. ,
setzung. Erklärung. Anrede -') und was einer Behauptung
xBi^ofiiaL. ich schere mich oder lasse mich scheren. Es gleichkommt ^^). Von bleibenderer Wirkung als diese
kommt bei dieser Einteilung, wie die antike Sprach- Lehre von der Modalität der Sätze war ihre Untersuchung
philosophie überhaupt mehr auf die Sache, als auf das über einfache und zusammengesetzte Urteile^). Das zu-
Wort auf die Form, als auf die Bedeu-
sieht, w^eniger sammengesetzte Urteil ist entweder hypothetisch, z. B.:
tung an, so dass z. B. övaXeyof^iai, ich unterhalte mich, zur wenn es Tag ist. Oder kausal, z. B. ^ieweil
ist es hell.
ersten Klasse gerechnet wird^). Diese Einteilung hat es Tag ist. ist es Oder kopulativ: Es ist Tag und
hell.
brauch erweist, nicht durchgedrungen. es ist Nacht. Oder consecutiv: ^) Da es Tag ist, ist es
Was die Zeiten
Verbums betriflt so haben
des .
hell. Oder vergleichend Mehr (weniger) Tag als Nacht
:
auch ihr die Stoikei- die erste Aufmerksamkeit zuge- ist es. Wie ein Blick auf diese Terminologie der Satz-
wendet. Doch ist ihre Anschauung noch eine sehr un- verbindungsn lehrt, ist auch sie in lateinischer Über-
vollkommene, da sie Zeit und Handlung durchaus nicht setzung zum Teil bis heute geltend geblieben. So hat
die Stoa überall teils grammatische Fragen beantwortet,
unterscheiden. Sie kennen nur eine einzige Zeitlinie,
nach der sie gegenwärtiges Sein", „vergangenes Sein", teils der
eigentlichen grammatischen Wissenschaft der
.,
„gegenwärtige Vollendung" und „vergangene Vollendung" alexandrinischen und der römischen Zeit die weiteren
anordnen. Aorist und Futurum sind ihnen unbestimmte Wege der Forschung gewiesen.
Zeiten, das Futurum exactum kennen sie gar nicht '^). ') Steinthal, 1, S. :309. '')
Womit wohl der Vokativ geraeint
Die drei Zeitstiifen. die wir unterscheiden, und inner- ist, der in der Stoa als Satz gilt. Vergl. oben S. 81.
halb ihrer je zwei Zustände der Handlung. also im — ^) Diese letzte Klasse, die ein bloss äusserliches
Kennzeichen hat,
ganzen sechs Zeitformen diese sind erst von dem— nämlich eine die Behauptung irgendwie qualifizierende Partikel, um-
fasst den Verwunderungssatz, den beschreibenden, den
tadelnden, den
römischen Grammatiker Varro entdeckt worden, ohne zweifelnden Satz. Vergl. Steinthal, I, S. 318.
*) Vergl Steinthal, I, S. 319 und Diog. L. VII, 1, 71 f.
Name ^) Prantl, Gesch. der Logik, I, S. 447. Was Prantl mit ,kau-
*) Auch der vierte Kasus ist falsch übersetzt worden. Sein
sal* übersetzt {atTLwdsc;),glaube ich besser mit ^consecutiv" wieder-
kommt nicht von ahiäod'av^ anklagen, sondern von aiTta, Ursache,
her. da die Handlung des Verbums eine Änderung des Objekts ver-
zugeben, zum
Unterschiede von der zweiten Art, deren Namen Prantl
gar nicht übersetzt, die aber dem Beispiele nach eine kausale
ursacht. Ver-
bindung ist. Vielleicht liegt hier die erste Spur einer Unterscheidung
-) Hier liegt dasselbe Bild zu Grunde, wie oben beim casus rectus.
von realer Ursache und logischem Grunde vor, die es in der
») Steinthal, I, S. 299. -•) Steinthal, I, S. 310 flf.
antiken Philosophie giebt.
Dreiteilung der Seele. 85
»)So Marc Aurel III, 16, dasselbe II, 2 und Xll, o, au welchen 4j Fragm. 100 (Pearson, S. 147) und 141 (Pearson S. 181).
beiden Stellen nur statt il^v//; nvsvfjbdtiov steht, der Seelenstoff ^) Vergl. R. Hirzel, Untersuchungen zu Giceros philosophischen
angegeben ist. Ganz gleich ist die Einteilung bei Panaetius: cpvaiQy Schriften. 2. Teil, I.Abteilung. Leipzig 1882, S. 151. L. Stein, die
ilfv/i], }]y£fiovLyi6v oder loyog. (Vergl. Schmekel, S. 198) und Psychologie der Stoa, Berlin 1886, S. 170, erhebt Gegenbemer
bei Posidonius: cpv(n<;^ S-vjULosidsQ^ Xöyog oder voifQ (Schmekel, kungen gegen Elirzel, die mich nicht überzeugen können, weil Kleanthes
S. 259 f.), auch bei Seneca, (Ep. 92,1). Über Zeno wird zwar (Fragm. 93) auch sonst in seiner Psychologie Platoniker ist, besonders in der
berichtet, dass er S Teile der Seele unterschieden habe: die fünf wörtlichen Annahme der Dreiteilung Piatos, durch die er von der
Sinne, das Zeugungsverraögen, das Sprach vermögen und die Vernunft. gesamten Stoa abweicht. Vergl. Fragm 85. Übrigens hat vor
Aber demselben Zeno schreibt TertuUian eine Dreiteilung der Seele Plato schon Alkmaeon von Kroton das Gehirn als Gentralorgan der
zu (Fragm. 94). Vielleicht vertragen sich beide Nachrichten so mit- Geislesthätigkeit erkannt. Vgl. Th. Gomperz, Griechische Denker, I»
einander, dass die erste Einteilung nur die weitere Ausführung der Leipzig 1896, S 119 ff.
86 Seelenleben. Der Trieb. 87
nur „Veränderungen der Seele zum Besseren oder nach Kants Terminologie Leidenschaft heisst, wenn jener
Schlechteren/ M vom Gefühl gelenkte Vors tellungs verlauf durch Gewohn-
Die Psychologie der Empiindungen und der aus ihnen heit einwurzelt. ^) Eingehender wird diejenige Erschein-
entstandenen Vorstellungen ist in der Stoa wenig ent- ung behandelt, die wir Trieb (oq^h] , impetus) nennen.
wickelt. Die Vorstellung ist, wie oben bemerkt, Sein Gegenteil ist der Abscheu (dcpogfirj). Im Triebe sind
ein Abdruck in der Seele der wie Epiktet -) sagt in
, , , alle drei Elemente des Seelenlebens zu einer untrenn-
der Seele bewahrt wird, gelegentlich wieder die Seele baren Einheit verbunden. Denn „zuerst muss jedes vernünf-
bewegt und sie zu denselben Gedanken führt, die sie bei tige Wesen durch die Erscheinung irgend eines Dinges ge-
der ersten Wahrnehmung der Dinge selbst hatte'). So reizt sein, dann fasst es den Trieb dann bestätigt die,
allgemein nur ist von der Reproduktion der Vorstellungen Zustimmung (der Vernunft) diesen Trieb", sagt Seneca^).
die Rede, wie auch Zeno *) das Gedächtnis nicht anders, In der Erscheinung irgend eines Dinges liegt das Ele-
denn als „Aufspeicherung von Vorstellungen" zu be- ment der Vorstellung das Element des Gefühls ist,* wie
;
stimmen wusste. eben aus Epiktet erwiesen, ebenfalls beim Triebe vor-
Genauer, wenn auch mehr vom ethischen, als vom handen, und endlich ist dieser, da er auf eine Handlung
psychologischen Standpunkte aus sind Gefühl und , gerichtet ist, die ursprünglichste Erscheinung des Willens-
Wille in der Stoa behandelt worden. lebens.
Das Gefühl selbst die elementare Erscheinung,
,
Aber das Vorstellungselement, das dem Triebe zu
aus der alles weitere sich aufbaut, heisst wohl Leiden Grunde liegt kann grosse Veränderungen erleiden^).
,
{nad^oQ) in dem allgemeinsten Sinne eines seelischen Ein- An Stelle der einfachsten Empfindung können zusammen-
drucks. „Für den Trieb nach et-
So sagt Epiktet^): gesetzte Gebilde in mannigfacher Weise treten. Auch
was ist das Gefühl, dass es sich gebührt, und für das das Gefühlselement ist mannigfacher Modifikationen fähig,
Begehren nach etwas das Gefühl, dass es mir nützt, sodass aus dem einfachen Triebe eine Anzahl verschiedener
veranlassend." Von Fragen der modernen Psychologie^ Arten seelischer Erscheinungen hervorgeht.
ob das Gefühl eine selbständige Erscheinung ist oder .
Zunächst ist es ein Unterschied, ob dem Triebe die
lediglich| in Begleitung von Vorstellungen auftritt, ob Vorstellung eines Objekts oder einer Handlung zu Grunde
sinnliche und intellektuelle, niedere und höhere Gefühle liegt. Im ersten Falle wird er ein Begehren (ögs^ig),
zu unterscheiden seien, davon ist nicht die Rede. Auch im zweiten Falle bleibt er ein Trieb. ^ Dieser Trieb
wird das Wort ndd^og sehr selten auf das elementare Ge-
^) Vergl. Wundt, Grundzüge der physiol. Psychologie,
fühl, viel öfter dagegen auf das angewandt, was wir 4. Aufl. II, S. 501. Hoff ding, Psychologie, 3. Aufl., S. 384.
entweder Affekt nennen, d. h. ein Gefühl, das den Ver- -) Ep. 113, 18.
lauf der Vorstellungen beeinflusst oder auf das was , , Für die moderne Psychologie ist dem „Triebe" ein geringer
^)
*
i
88 Seelenleben. Der Affekt. 89
kann von sehr vernünftiger Einsicht begleitet sein, durchgeführte Ordnung, deren Überschreitung eine
er findet sich z. B. bei allen pflichtgemässen Handlungen. Störung des organischen Zusammenhangs und Zusammen-
Er kann dann noch immer Trieb genannt werden, oder wirkens, also Krankheit zur Folge hat. Somit ist der
auch, wenn man die Bewusstheit der Vernunft betonen AiFekt als übermässiger Trieb eine Störung und
will, wählender Wille. ^) Krankheit des Seelenlebens^), und darum ist er
Noch eingehender, als der Trieb, ist von der Schule wider die Natur-). Da in dem Triebe alle drei ver-
der Affekt in dem Sinne behandelt worden, dass nicht schiedenen Elemente des Seelenlebens vereinigt sind, so
bloss der Affekt in unserer Auffassung, sondern auch müssen sie notwendigerweise auch im Affekt erscheinen,
die Leidenschaft darunter begriffen wurde. der eben nur graduell, nicht aber toto genere vom
Die allgemeine stoische Definition des Affekts ist: Triebe verschieden ist.
^ein übermässiger Trieb" (6()/*?i TiAaova^oixra-). Der Trieb Und zwar ist der Gefühlsbestandteil, die rein sub-
ist die Gattung , das Übermass die spezifische Differenz. jektive Seite des Affekts, sehr ausführlich, aber in physio-
Zum Wesen der Seele, wie zu dem der Flamme ge- logischen Begriffen beschrieben.
hört die Bewegung'). Wenn Epiktet ^) und Marc AureP) Allen Affekten gemeinsam ist die schon in der Defi-
von völliger Windstille der Seele, Seneca^) von ihrer nition angedeutete Heftigkeit der Bewegung
beständigen Ruhe tranquillitas spricht, so ist dies eben
( )
der Seele, d. h. des durch den ganzen Körper verbreite-
ein hinkendes Gleichnis. Jede Bewegung aber hat in ten feurigen Pneumas. Das wird bezeichnet durch Zenos
der organischen Welt ein bestimmtes Mass in jedem :
Bild, jeder Affekt sei ein „Flattern der Seele" wie eines
*) n^oalosaig oder n^oat^sri-x/J dvvafXK^. Der wählende Wille Zeno, 138 und 144.
frg.
ist so wesentlich unterscheidend für die menschliche Seele, dass er -) Vergl. Zeno, frg. 136. Für Krankheit wurden in der Schule
oft für diese selbst steht. Vergl. Bonhöffer I, 118 ff.
zwei griechische Ausdrücke gebraucht v6ar]f.ia und aQ^cjaTr]fia.
-) Vergl. M. Heinze, Stoicorum de affectibus doctrina, Bero- Der letzte scheint einen höheren Grad der Krankheit zu bezeichnen.
lini 1860, p. 3. Vielleicht liegt hierin die erste Unterscheidung zwischen Affekt und
^) Seneca, Ep. 39, 3. So auch, ohne das Gleichnis, Posidonius. Leidenschaft, die oben S. 87 erwähnt wurde. Doch ist dies sehr
Vergl. Schmekel, S. 249. ^) II, 18, 30. ^) VIII, 28. ungewiss. Vergl. Bonhöffer, I, S. 276.
•*) De tranquillitate animi, Kap. 2, 3. Diese Seelenruhe wird ^) Zeno, frg. 137. *) Zeno, frg. 142.
die Furcht als Niederschlagung ^), die Lust alsHebung oder der Hand der allgemeinen materialistischen Auffassung
Hinschmelzung der Seele 2) beschrieben. Weniger wird physiologische Vorgänge vorausgesetzt.
die Begierde physiologisch geschildert. Nur der Zorn, Viel mehr als das Gefühlselement kommt in der
den zur Begierde rechnen ^j, wird wie die
die Stoiker stoischen Lehre von den Affekten die V r s t e 1 1 ung s -
Lust als Hebung (tumor = enaQ ais) der Seele aufgefasst. Seite derselben zur Geltung. Zeno betrachtet sie als
Äusserlich betrachtet sind alle diese Begrifi'e , immer auf Urteile folgend i), Chrysipp infolgedessen als
materialistisch und mechanisch; bei genauem Zusehen Urteile selbst-). Besonders wichtig aber wurden zwei
findet man aber , dass damit die Grefühlsseite des Definitionen Chrysipps, die das Wesen der den Affekt
Affekts psychologisch beschrieben wird. Die neuere einleitenden Vorstellung näher bestimmen. Den Schmerz
Psychologie, z. B. diejenige Wundt's, charakterisiert die nannte er „einen frischen Wahn
von der Anwesen-
Affekte wie die einfachen Gefühle durch drei Gregen- heit eines Übels",und die Lust, „einen frischen Wahn
satzpaare: Erregung und Depression, Lust und Unlust. von der Anwesenheit eines Gutes." 3) Die „Frische"
Spannung und Lösung. *) Lust und Unlust oder Schmerz des Wahns sollte den Sinn haben, dass er noch Kraft
werden als Affekte selbst betrachtet. Erregung aber und eine gewisse Wachstumsfähigkeit (viriditas) haben
und Depression finden wir in den oben genannten Ter- müsse ^), um einen Affekt zu erregen, durch längere
mini als Hebung und Senkung angedeutet, Spannung und Dauer aber vertrockne und unwirksam werde.
Lösung als Zusammenziehung und Lösung, die freilich Dieser Betonung der Neuheit der veranlassenden
zusammen in der Stoa wohl nicht als Gegensätze gelten, Vorstellung liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass alles,
einigermassen antizipiert. was in das Seelenleben eingeht, der geistigen Ver-
Und da die Affekte zunächst doch nur
in der That, arbeitung unterworfen wird und dadurch oft an gefühls-
psychologisch gegeben und zu betrachten sind physio- , erregender Kraft abnimmt. Wenn die Aufmerksamkeit
logische Beobachtungen aber in der Stoa nicht gemacht einem Gefühle und damit auch notwendigerweise den
wurden, so ist es einfach die Gefühlsseite des Affekts, Vorstellungen, an denen es haftet, sich zuwendet, um
die hier, allerdings noch sehr unvollkommen, dargestellt sie zu analysieren, oder sie sich auf ganz und gar disparate
wird. Und nach dieser Gefühlsseite wurden dann an Vorstellungen richtet, in beiden Fällen wird das Ge-
a. 0., und Epiktet an vielen Stellen, z. B. 8id)(vaiQ: 111,24, 85; *) Vergl. Pearson, S. 180.
snaiQSCFd^aL : III, 7, 7. Die dLa'/^vaig heisst bei Seneca dififusio Pearson, a. a. 0.
-j Dass Ghrysipp damit die anderen
animi=gaudium de vita beata, Kap. 4. Bonhöffer betrachtet (1,264)
:
beiden Seiten des Affekts nicht ausschliessen wollte, beweist Zeller,
\vaiQ als synonym mit ina^aLQ und dt,d)(V(ng und bezieht es eben- III, 1
3, S. 228. Anm. 2.
falls auf die ijSovi]. Aber Cicero bezieht die XifatQ bei Ghrysipp 3) ff. Nach Stobaeus, Ecl. II, 173 (ed.
Vergl. Bonhöffer,»!, S. 266
auf den Schmerz (vergl. Pearson, S. 180), womit auch besser über- Heeren), wurden auch Furcht und Begierde entsprechend definiert. Dass
einstimmt, dass Kleanthes (frg. 86) den Schmerz als na^dXvavg dies eine willkürliche Erweiterung seitens des Stobaeus sei, wie M. Heinze
TTjQ ipi'/^e bezeichnet. (S. 26) meint, kann ich nicht finden wegen Giceros (Tusc. disp. III, 25).
3) Vergl. Bonhöffer I, 265. So Gicero, Tusc. disp- III, 75. Was Gicero vom opinatum
*)
*) Vergl. W. Wundt, Grundriss der Psychologie 4. Aufl., Leipzig malum aussagt, kann man auch von der opinio mali selbst aussagen,
1901, S. 101, auch Völkerpsychologie, Leipzig 1900, I, 1, S. 38. die bald darauf genannt wird.
-
fühl schwächer — so lehrt die neuere Ps^^chologie. ^) wird von der Schule öfter betont, da sie für die sitt-
Dies war im allgemeinen auch der stoischen Schule be- liche Behandlung der Leidenschaften sehr wichtig ist.
kannt. Marc Aurel empfiehlt ausdrücklich, dasjenige, „Das beste Heilmittel gegen den Zorn ist die Zeit",
was eine gefährliche Gewalt über uns hat. wie Gesang. sagt Seneca^). Und auch dieser EinÜuss der Zeit ist
Tanz, Ringkampf, in seine Elemente, die einzelnen Töne in der Lehre vom „frischen Wahn'^ der die Ursache ,
und Bewegungen zu zerlegen, um „durch die Zerlegung des Aifekts sei, zum Ausdruck gekommen. ^1
zur Verachtung dieser Dinge zu kommen." -) überhaupt Dieser Wahn ist — das ist wichtig — keine Wahr-
uns gegen das. was gleichgiltig werden soll, dadurch heit. Alle Vertreter der alten Stoa waren darüber
deichoriltiii: zu stimmen dass wir es nicht als Ganzes,
. eins, dass „das Urteil, aus welchem der Affekt Heftig-
sondern zerlegt betrachten'''). Er weiss also sehr wohl, keit und Stärke gewinnt^ ein falsches und fe h 1
dass die Anal y s e der Vorstellungen den Gefühlston gehendes sei", ^) dass die Leidenschaften „Verdrehungen
herabsetzt. Diese Analyse tritt aber ganz unwillkürlich der Vernunft" seien. Wer dagegen die Wahrheit er-
ein. wenn eine Vorstellung länger dauert, und darum kannt hat, der hat das „gemeinsame Gresetz" erkannt, nach
kann eben nur eine „frische" Vorstellung die ganze dem alles geschieht, er lebt nach diesem Gesetze, gemäss
Macht des Gefühls bis zur „St()rung" der Seele ent- der Natur, nicht wider die Natur, also ohne Leiden-
fesseln. schaft. Die Wahrheit befreit vom Kummer. „Zweierlei",
Aber ganz abgesehen von der seelischen Verarbeitung, sagt Seneca, „giebt der Seele die meiste Kraft, das
die Zeit selbst wirkt auf die H eftigkeit des Gefühls Glauben der Wahrheit unddas Vertrauen auf sich selbst".*)
lindernd ein. Die heutige Psychologie weiss dass die . „Niemand wurde ie durch die Wahrheit o-eschädijrt".
Intensität Gefühls in einer Kurve verläuft, dass
des erklärt Marc AureP).
nach einem Höhepunkte ein allmähliches Niedergehen Die Betonung der Vorstellungsseite des Aifekts
stattfindet^). Diese Erfahrung des täglichen Lebens geht soweit, dass er geradezu schlechtes und un-
gezügeltes Denken genannt wird. ^) Es wird dies
Vergl. Kaut, Von der Macht des Gemüts, besonders folgende
verständlich, wenn man bedenkt, dass in der Stoa der
V)
denkende Seelenteil überhaupt die ganze Seele darstellt. V) Darstellung der Gemütshewegungen eine ethische
In ihm finden die Leidenschaften statt, nicht in einem Disjunktion eingedrungen.
anderen, untergeordneten Seelenteile, der ja von M. AurePj Neben den Affekten, von denen bisher die Eede ge-
auch angenommen wird. Damit ist aber ein starkes wesen ist, die sämtlich sittliche Verirrungen darstellen,
Willenselement in ihnen notwendig gegeben. Denn der nehmen die Stoiker noch edle Affekte (evnddsiav.
führende oder denkende Seelenteil ist völlig sou- honesti affectus) an, die, wenn das Verfahren psycho-
verän gegenüber der Umgebung. Von seinem Willen Arten der allgemeinen Gattung „Affekt"
logisch wäre, als
hängt es ja al) einem Satze zuzustimmen oder nicht,
.
erscheinen müssten; da aber die ethische Wertung vor-
ihn als wahr oder und demgemäss
falsch zu betrachten waltet, so werden sie als neue Gattung eingeführt.
sich zu verhalten. In immer neuen Wendungen wird Freilich nur die alte Stoa scheint die „edlen Affekte''
diese Souveränität gepriesen: „Der führende Seelenteil einer besonderen Lehre gewürdigt zu haben, die spätei^
lässt alles, was geschieht, sich erscheinen, wie er will."') wohl nicht weiter ausgebildet wurde. Wenigstens findet
^Die Dinge haben nicht die Fähigkeit, unsere
selbst .sich weder bei Epiktet noch bei Marc Aurel das ent-
wenn Marc Aurel wiederholt auffordert: „Lösche die Jedem der drei ersten Typen der unvernünftigen
Vorstellung aus !
" ^) Affekte entspricht als Gegenstück ein vernünftiger Typus.
So ist also, von den Handlungen, die in der Leiden- Der Begierde steht gegenüber der rechte Wille
Schaft geschehen, abgesehen, schon mit der Vorstellung -), der Furcht die Vorsicht (evlaßsia), der
(ßovX7]CFig)
allein ein starkes Willenselement im Affekte vorhanden.*^) Lust die Freude (x«?« Der vierte Typus, der leiden-
).
Wie aber die ganze Affektenlehre der Stoa der schaftliche, vernunftwidrige Schmerz, kann ein ver-
Ethik dienen soll, so ist auch in die psychologische nünftiges Gegenstück nicht haben. Denn ein vernünftiger
Schmerz ist durch die durchaus optimistische Weltan-
schauung der Stoa ausgeschlossen.^)
>) VergU Bonhöffer I, 95 fif., 113 ff. 'Hysfiovixov^ (Principale)
und ÖLcivoLa bedeuten ursprünglich nur den denkenden Seelenteil, Der rechte Wille besteht zunächst aus zwei Teilen,
bald aber das ganze Seelenleben, Gefühl und Willen einschliessend» dem rechten Willen gegen die Mitmenschen und dem
2) III, 16 und XI, 19. gegen das Schicksal. Der erste Teil heisst Wohl-
3) Marc Aurel VI, 8.
wollen (evvoia^ svfievsLa). der zweite Zufriedenheit
*) M. Aurel VI, 52. Ähnlich auch IV, 3, V, 19, V. 26, XI, 1.
(ay(xnrj(TLQ^ danaafioQ). ^) Doch wird noch ein dritter Teil
5) VII, 29, VIII, 29.
*)Wegen dieser Allmacht des denkenden und wollenden Seelen- hinzugefügt, der eigentlich im ersten enthalten ist, nur
teils wäre es nicht allzusehr zu verwundern, wenn, wie Cicero wegen seiner besonderen Beziehung auf die Philosophie
berichtet, die Affekte schliesslich „freiwillige Störungen** genannt
') Vergl Bonhöffer, I, 286.
wurden (Zeno frg. 138, Pearson S. 178). Doch widerspricht dies dem
^) Vergl. Bonhöffer, I, 284 ff. ^) Dies, scheint mir, ist der Grund
eigentlichen Wesen der Affekte, die eben nicht den freien, sondern
den vom Irrtum verführten Willen, ausserdem Schwäche, Leiden der
des Fehlens des vierten Edelaffekts, denTh. Ziegler, Geschichte der
Ethik I, Bonn 1881, S. 169, vermisst.
Seele und Mangel an Spannkraft (so Ghrysipp ; vergl. Bonhöffer, I,
275) voraussetzen, so sehr, dass ich diese Angabe Giceros für einen
*) Eine hiervon abweichende Deutung der äydnqaig und des
oanaa^iOQ hat Bonhöffer (II, 57) zurückgenommen.
seiner nicht allzu seltenen Irrtümer halte.
.
AusdrucksbeAveguDgen. Bewusstsein 97
Seelenleben.
96
d r u c k s b e w e g u n g e n. Doch ist diese Seite des
von ihr getrennt wird nämlich der Eros, die philo-
,
Philosophen zu einem sind von unserem Willen unabhängig und können, wie
sonders auf das Verhältnis des
z. B. das Schliessen der Augenlider vor der geballten
gut beanlagten Jüngling bezieht. 2)
Faust, nur durch lange (Tcwöhnung und Beobachtung
Die Vorsicht hat zwei Teile, Ehrgefühl
{aiöcog)
mit entsprechenden der Mensch auch ein Bewusstsein seiner geistigen Zu-
sich alle edlen Affekte sehr nahe
wurde, stände,z. B. seiner Schwäche und Unfähigkeit in den
Tugenden, wie vom Ehrgefühle schon bemerkt
notwendigen Dingen des Lebens.")
vom Wohlwollen, der Zufriedenheit mit dem Schicksale
klar ist.
und dem philosophischen Eros ohne weiteres
notwendig dazu führen, dass die Lehre von De De
Dies musste ') ira II, 3. -') ira II, 4.
verschmolzen
den edlen Affekten mit der Tugendlehre
3) Enr.bir., K. 33, 16. ^) III, 7, 27.
dem stoischen Materialismus. Er lehrte:^) Alles, was *) Ausgenommen Fragm. 30 (Schweighäuser) (fr. 19 bei Schenkl,
S. 467), das aber Schenkl (S. 461) mit vollem Rechte für unecht
hält. Ench. 15: „Du wirst ein würdiger Zechgenosse der Götter sein",
M Zeno, frj;. 95. istbloss Ausdruckweise in populärer Mythologie, die keinen Glauben
2) Kleantiies, frg. 41. Wenn Kleanthes ausdrüclclich nur von an diese Mythologie einschliesst, wie Epiktet auch sagt (II, 6, 18):
der Fortdauer der Seelen bis zur nächsten Feuerwerdung spricht, so ,Was kümmert's dich, wie du in den Hades gehst?" und doch nicht
kommt dies doch wegen der ewigen Wiederkehr der Dinge auf Un- an die Existenz des Hades glaubt (III, 13, 15).
sterblichkeit hinaus.
') III, 13, 14. 3) IV, 21. *) IV, 21 und VII, 50. Vgl. oben, S.43.
3) Vergl. Schmekel, S. 197,
5) Vergl. Schmekel, S. 249 ff.
Unsterblichkeit. Senecas Unsterblichkeitslehre. 101
100
Erkenntnis. ^) Sie stammt aus dem göttlichen Urfeuer, werden dir die Geheimnisse der Natur ent-
also aus der Welt jenseits des Mondes,
vom Himmel, hüllt werden, das Dunkel hier wird sich zerstreuen und
Das Leben
und kehrt durch den Tod dorthin zurück. überallher wird helles Licht durchdringen. Denke dir, wie
nicht sehr ähnliches Abbild der gross jener Glanz sein wird, wenn so viele Sterne ihr
istnur ein schwaches,
Da auch dieses mit dem Tode vergeht, so lässt Licht vereinigen! Kein Schatten wird die Helligkeit
Seele. «)
zurück, sondern entflieht ganz. trüben Gleichmässig wird jede Seite des Himmels
sie nichts von sich !
Fehler und den ganzen Schmutz des sterblichen Lebens untersten Luftschicht. Du wirst dann sagen, dass du im
abschüttelt, kurze Zeit über uns
geweilt hat, erhebt sie Dunkel gelebt hast wenn du und zwar mit deinem
. ,
seligen Geistern. Es hat sie eine heilige Schar aufge- das du jetzt nur durch die sehr engen Wege deiner
nommen."^) Dort vollendet sich die Erkenntnis, die Augen unklar anschaust. Und dennoch, schon aus der
hier angestrebt, doch immer
unvollkommen war. Die Ferne bewunderst du es. Wie wird das göttliche Licht
unsterbliche Seele „freut sich des Anblicks der ganzen dir erscheinen, wenn du es an seinem eigenen Orte
schaust!" ^) Selbst die Christen konnten von den Freuden
Quaest. III, 30, 7, spielt er nicht auf die Seelenwande-
») Nat.
des Himmels keine lebhaftere Darstellung geben. Die
rung an, sondern meint sittliche Vertierung.
den Seele gebraucht. Ep. 41 : Sacer inter nos spiritus sedet, maloruiii *) Ep. 102, 26 und 28.
102 Das ethische Ziel.
Die Konsequenz. 103
mögliehen, die zweite Klasse die der formalen, ,,Du darfst nicht ein Mal Sklave sein wollen, ein
nicht gegebenen, sondern konstruierten Prinzipien. ander Mal nicht, sondern einfach und aus ganzer Seele
Die stoische Ethik ist weder rein formal, noch rein entweder dies oder jenes," verlangt Epiktet^) und dass
material, sondern sie hat verschiedene Prinzipien beider man bei dem richtig Entschiedenen bleiben solle. ") Jede
Arten zusammengewoben. Sünde schliesst ausserdem schon in ihrem Entstehen nach
Ein formales Prinzip und zwar ein sehr wichtiges ihm einen Widerspruch in sich ^), nämlich zwischen dem
ist schon von Zeno mit folgenden Worten ausgesprochen Wollen, das nach der Stoa von Natur gut ist, und dem
worden: ^ ^Das Ziel ist übereinstimmend zu
) : Handeln. ^)
unkörperlichen Prinzipien, die älter (uQeaßvTSQa) sind, als die ^) II, 2, 13. Der Sinn verlangt notwendig am Anfange des
körperlichen. Satzes nach dem 'Aal ein ^irj einzuschieben, das in allen Ausgaben
2) S. oben S. 32. fehlt. «) II, 15, 7.
') Frgm. 120. Epiktet II, 26, 1. «) Vergl. Seneca, Ep. 89, 14 f.
)
da dieser Wegweiser gut sein muss, so steht Gewissen wird die Reue verworfen, weil sie zur Unlust, also zu
bei Seneca geradezu für „gutes Gewissen."-) Mit den schwächenden und darum zu meidenden Affekten
sehr beredten Worten preist er dieses , wie es auch in zählt. ^) Bei den Stoikern tritt mehr ihr intellektueller
höchster, unverdienter Pein doch nicht von seiner H()he Gegensatz gegen die über alles gepriesene Konsequenz
herabsteigt.^) Bei Epiktet und bei M. Aurel wird das hervor^) und mehr die sittliche Verwerflichkeit des
Gewissen mit dem einem jeden beigegebenen Dämon Irrtums, der ja der Tugend der Weislieit widerspricht.
identifiziert. '
„Das dachte ich nicht, zu sagen, betrachte ich als die
Mit der Hoehschätzung der Konsequenz hängt es schimpflichste Entschuldigung für einen Menschen", ß)
zusammen dass die R e u e nicht nach ihrer positiven
.
Noch näher kommt Seneca an strengen Formalis-
Seite, als Rückkehr zum Guten geschätzt, sondern nach mus heran, wenn er meint, nicht auf Erreichung des
I ihrer intellektuellen Seite als Zeichen einer geschehenen Zweckes komme es an, sondern darauf, dass man alles
Abirrung, und als ein gewisses Verweilen bei dieser in der rechten
Weise thue. Ebenfalls formal, so- "')
Abirruns; verboten wird. .,Der Weise bereut nie sein gar Kantisch scheint: „Wir wollen nicht ein und das-
Thun. er ändert nie, was er gethan hat, er wechselt nie selbe begehren! Unter Mitbewerbern entsteht Streit!"»)
seinen Entschluss". sagt Seneca.^) Und da. wie wir
oben gesehen haben, „sich selbst ungleich zu sein", das
Seneca Ep. 115, 18. Auch De ira II, 28: ,Nobis ne irasca
Allerschimpflichste ist, so muss die Freiheit von diesem mur, minime dis".
Fehler, also auch die Freiheit von der Reue sehr hocli -) II, 22, 35. ^) VIII, 53.
stehen. ^) Vergl. Spinoza, Ethica IV, prop. 54.
•^)
-Die Philosophie wird dir das leisten, was ich für Vergl. A. Bonhöfifer, I, S. 303. „Dass Epiktet die ^srdvoia
(Reue) als Bekehrung nicht verwirft," hat Bonhöffer nur gefolgert,
das Grösste halte : Niemals wirst du dich selbst (Dein
ausgesprochen ist es nicht.
«) Seneca, de
ira, II, 31. Vergl. auch Zeno, frg. 153.
*) X, 11. Auch IV, 18 und V, 3. Ebenso wenn er ein Ziel Ep. 85, 32 huic enim (sapientij propositum est in vita agenda-
')
f durch das Leben festzuhalten rät. (XI. 21.) non utique, quod temptat, efficere, sed omnia recte facere. Und
-) Ep. 81, 20: »ne conscientiam perderet« Ep. 97, 16 hingegen scheinbar wird auch Ep. 73, 3 der Zweck zurückgewiesen mit den
bedeutet conscientia das strafende Gewissen. Worten: nee ambitio tantum instabilis est, verum cupiditas omnis.
quia incipit semper a fine. Hier wird nicht das Zwecksetzen an sich,
5) De beneficiis, IV. 21.
sondern nur das ruhelose Hasten von einem erreichten zu einem
*) Vergleiche : Bonhöffer II, S. 83. Anm. 2. Und oben S. 47. neuen Zwecke getadelt.
^) Mit den Worten eines Gegners, die er sich zu eigen macht. Ep. 14, Auch
«) 9. Epikt. I, 22, 14. Vergl. Kant, Kritik der
De benef. IV, 34. pr. Vernunft, ed. Kehrbach. S. 33.
106 Das ethische Zie?« Die Freiheit.
107
Aber, wie sehr dies alles nach Ausschliessung; des Zweckes, A f f e k t e und die
ä u s s e r e n D i n g e. Diesen beiden
des Objektes des Willens klingt es ist eben nur ein . Feinden gilt der sittliche Kampf der Stoa.
Anklingen, ein vorübergehendes Gefühl für die Bedeutung Die Voraussetzung aber der Forderung der Freiheit
des Formalen nicht die Erkenntnis, dass ein formales
, ist ihre Möglichkeit. In dieser Beziehung geht die Stoa
Prinzip allein herrschen müsse. Dazu ist das hellenische trotz ihres Grlaubens an die Gesetzmässigkeit aller Dinge
Denken noch zu sehr mit der Anschauung verwachsen. sehr weit. Sie lehrt die volle Souveränität
des
Es bedarf eines anschaulichen, wenn auch inneren, Geistes gegenüber den inneren Erlebnissen sowohl wie
seelischen Zieles des Handelns. den Vorstellungen, mittels deren die Aussendinge auf
In der That wird ein solches imter mannigfaltigen uns wirken. „Mir ist mein Seelenleben der Stoff, wie
Namen immer und immer wieder dem Hörer oder Leser dem Baumeister das Holz, dem Schuster das Leder",
vorgehalten, der häufigste der Xamen dieses Zieles ist: sagt Epiktet. 1) Und Marc Aurel 2); „Der Geist macht
Ereiheit.M Sie gehört in der Stoa so zum Wesen alles zum Stoffe, was ihm entgegengebracht wird, wie
der Sittlichkeit, dass sie den Satz prägte: „Der Weise ein Feuer, wenn es das Hineinfallende bewältigt, von
ist allein frei!"-), dass Epiktet den Freien, dem höch- dem ein kleines Licht ausgelöscht worden wäre. Das
sten Gotte, Zeus, gleichstellt ^j, dass er in seinen Vor- leuchtende Feuer aber macht sich das Zugelegte sehr
trägen seinen gedachten Gegner oder den Unweisen schnell zu eigen, und verzehrt es und erhebt sich aus
immer mit Sklave anredet oder bezeichnet.^)
.,
•"
dem Zugelegten desto höher".
Da Freiheit und Gebundenheit korrelative Begriffe Dass wir unser Lmenleben, bis zu einem gewissen
sind, so ist der erste durch den letzten zu erläutern. Grade wenigstens, in unserer Gewalt haben, lehrt die
Es zu bestimmen, was den nicht sittlichen Menschen
ist Erfahrung. Aber die Stoa lehrt, wie schon oben erwiesen.
fesselt um zu erkennen wovon der sittliche frei ist.
, . dass wir auch über die Vorstellungen, die von aussen
Es sind vor allem zwei Fesseln, die immer kommen, Herr sind. „Die Dinge selbst sind nicht fähig
1!
des Lasters."
Triebe, die durch ihr Übermass die all waltende Ord-
2j Eines der berühmten Paradoxa Stoicorum. Dass es, wie die Vergl. Bonhööer,
') III, 22, 20. I, S. 113. 2) jy, \,
andern, schon von Zeno ausgesprochen wurde, lässt sich folgern 3) M. Aurel VI, 52. Vergl. oben S. 94.
aus frg. 155. =») IV, 1, 90. *) Vergl. Seneca Ep. 82, 5, M. Aurel VIII, 48.
*) I, 4, 14. I, 22, 20 und an vielen anderen Stellen. 5) Vergl. S. 88.
l
I
Das .nalursemässe' lieben. 1(J9
108 Das ethische Ziel.
1
So der Zorn, den Aristoteles und seine Schüler zu-
*) Wie Slobaeus, Ecl. II, 34 f., ausdrücklich bezeugt. Diesem
lassen, der aber der Freiheit widerspricht, wie jeder
Zeugnis gegenüber kommt Giceros und Diogenes' Angabe, dass schon
Zeno die erweiterte Formel gebraucht habe, nicht in Betracht, da andere Affekt^). nur bei Auch er ist den Schwäch-
Diogenes sich öfter als ungenau erweist, Cäcero aber leicht eine lingen, also den Unfreien, möglich ^*^).
Verwechslung Zenos mit Kleanthes begegnen konnte. Vergl. Hirzel
») Vergl. A. Dyroff, Die Ethik der alten Stoa. Berlin 1897,
a. a. 0. S. 105 ff. Der Zusatz ist übrigens nicht original, schon der
S 132, 147. 2) Vergl. M. Aurel V, 3. ^) Siehe oben S. 93.
Akademiker Polemo hatte das naturgemässe Leben empfohlen. Vergl.
*) Seneca, de ira I, 8. ^) Marc Aurel VI, 28; VII, 29. ß) Siehe oben
M. Heinze, Stoicorum ethica ad origines suas relata, Numburgi
S. 88. ') Epiktet, Ench. K. 38. ^) Epiktet III, 4, 9. Ench. K. 4.
1862 S. 13 f. und Zeller, II, 1,-» S. 1045.
^) Seiner Bekämpfung ist die ganze Schrift Seneca's de ira
^} Vergl. Seneca, de vita beata Kap. 3 Interim, quod inter
gewidmet. Vergl. daselbst II, 7 : „Quid indignius quam sapientis
omnes Stoicos convenit, rerum naturae assentior. Ab illa non
affectum zornig sein darf) ex aliena pendere nequitia!"
(falls er
deerrare et ad legem exemplumque formari sapientia
illius est.
*®) Seneca, a. a. 0. I, 20: IIa ira muliebre maxime et puerile
3) Vergl. Diog. S. VII 1., 88 f.
Vitium est. Marc Aurel XI, 9. XI, 18.
*} Frg. 180—184.
"
Aber ebenso wie der Zorn, wird da.s Mitleid , das E igene und das F remde unterscheiden zu lernen.
behandelt. ^) Ancb dieses widerspricht der Ruhe des Zu den fremden Dingen gehört anch der eigene Körper.
Weisen. 2) Der Weise leidet nicht, da jedes Unglück Die Dinge bewegen uns überhaupt nicht, sondern die
nur Aussendinge betrifft, die ihm fremd sind. Nur der Ansichten über die Dinge ^). Diese aber sind in unserer
Unweise leidet. Diesem kann der AVeise nicht nach- (lewalt. So können wir von den Dingen frei werden.
fühlen, doch kann er zu seiner Tröstung mit ihm seuf- AVir brauchen nur unser Begehren und unsren Abscheu
zen, wenn er nur nicht innerlich seufzt. ^)
auf das zu l)eschränken . was eben in unserer Macht
Und da Furcht zu den Affekten gehört, so ist
die steht, das andere aber als uns nichts angehend zu be-
es o-anz foln-erichti«:. dass der vollkommenen Freiheit trachten. -) die Kyniker die Bedürfnislosigkeit, also
1 )a
jede Furcht fremd ist, auch die vor den (iöttern. ^) Die die Freiheit von Genussmitteln lehrten, so sind sie die
stoische Frömmigkeit stellt sich vertraulicher zu den ersten, die den Menschen frei machten.^)
I
(nQoaioeTLviov) . sondern ausserhalb seiner Herrschaft bedeutet, darum auch nie und nimmer die Lust. Die
(anooalosrov) darum fremd ist. Die Unterscheidung Lust gehört ja, wie oben dargethan, zu den Atfekten,
der von uns abhängigen und der fremden, ausserhalb und wie sehr sie auch von den Neueren seit Spinoza
nnseres Machtbereichs liegenden Dinge ist bei Epiktet mit der Hebung des Lebens indentiti ziert wird, für die
der Anfang der Sittlichkeit.^) Kurz und bündig sagt Stoiker ist sie eine Störung des Lebens.
er (lY, 5, 7) „Die philosophische Bildung besteht darin,
: Sie darf darum niemals Gegenstand des Strebens
in der Stoa
sein. Dies war und bleibt die schärfste Antithese der
*) Auch hier, wie oben bei der Reue, finden wir
Gedanken, die später Spinoza, wenn auch wohl anders abgeleitet, Stoa gegen Epikur und seine Schüler. In der alten
ausgesprochen hat. Auch ihm ist das Mitleid, weil Unlust, also Stoa war namentlich Kleanthes ein Bekämpfer des
schwächend, ,an sich schlecht und unnütz\ Vergl. Ethica IV, Strebens nach Lust. Er nennt sie sogar naturwidrig'').
prop. 50. Die Unterstützung des UnglückHchen erfolgt beim Tugend-
liaften nicht aus Mitleid, sondern nach dem Gebote der Vernunft.
152 (Pearson 1) Epiktet, Ench. K. 5,
2) Das lehrt vielleicht schon Zeno. Vergl. frg.
spectat, dementia rationi accedit. Auch Epiktet III, 22, 13 ver- 11; IV. 1, 175; IV. 1, 4) sondern überhaupt äussere Dinge zu begeh-
ren untersagt (IV. 4, 33; IV. 10, 6). Vergl. oben S. 87.
bietet das Mitleid
3) Ench.K. 16. *) Seneca, Ep. 75, 18: Quae est absoluta
Epiktet,
5) Epiktet IV, 4, 1 und III. 20, 8.
Non homines timere, non deos. ^) Euch. K. 1 und öfter. ^) Frgm. 88.
libertas?
112 Das ethische Ziel.
.Lust" und .Freude". 113
was freilich wohl in dem weiteren Sinne zu verstehen Freilich für die seelische Lust, welche die Tugend
ist, dass sie . wie eben jeder Affekt , der auch in der
begleitet, hat sich wohl schon frühe in der Stoa ein
Natur waltenden vernünftigen Ordnung zuwider sei. besonderer Ausdruck, die Freude (xccod) , eingebürgert,
Sie ist ihm so wertlos wie ein falscher Kopfputz ^). Er wenn auch der Sprachgebrauch keine strenge Scheidung
meint ferner, bei Annahme der T.ust als letzten Zieles
zwischen „Lust" und „Freude" durchgeführt hat^).
werde diese die Königin, die man sich auf dem Throne Jedenfalls linden wir die sachliche Unterscheidung schon
sitzend denken müsse, von allen Tugenden bedient, und bei Panaetius, während es unbestimmt l)leibt, ob sie bei
diese Rolle sei der Tugenden unwürdig. -) Und er ver- ihm terminologisch ist. Seneca aber neigt trotz einiger
tlucht endlich denjenigen, der zuerst das (irerechte vom Rückfälle sehr entschieden dazu, die Freude einerseits,
Nützlichen geschieden hat, also Epikur und die Epi- die Lust andererseits auch sprachlich auseinander zu
kureer^). halten, indem er die erste gaudium, die letzte voluptas
So streng wie Kleanthes sprach sich keiner der oder laetitia nennt. Er giebt eine sehr bestimmte klassi-
späteren aus. Nur Panaetius meinte es sei nicht alle ,
fizierende Definition: „Die Freude ist die Erhebung der
Lust naturofemäss. sondern nur die eine, die andere da- Seele, die auf ihre eigenen wahren Güter vertraut.--)
gegen natui-widrig. •*) Alle aber haben das Streben nach Er fügt bald darauf und öfter das den Gegensatz zur
Lust verworfen. Seneca geht so weit, dass er die Lust Lust bezeichnende Merkmal hinzu: „Es ist mit ihr ver-
(voluptas) eine res infamis nennt, -^l immer wieder vor- bunden, nicht aufzuliören und nicht ins Gegenteil umzu-
schreibt, die Sittlichkeit nur um ihrer selbst willen zu schlagen." Sie kann also, wie er auch weiter ausführt,
I erstreben^) und gegen die Lust sich sogar die metaphy- nie schlecht sein. «Sie wird den Göttern und den Xach-
sischen von Plato im Philebus erhobenen Gegengründe eiferern der Götter zu Teil:
ist nicht von aussen
sie
zu eigen macht, dass unbegrenzt und darum unsitt-
sie
genommen. Da von aussen kommendes
sie nicht ein
lich sei, während bei der Tugend nichts zu fürchten Geschenk ist, so ist sie auch nicht vom fremden Willen
sei,da ihr Mass in ihr liege ^). abhängig" ^) es werden hier voluptas und laetitia der
,
Ebenso ist die ganze Stoa der Ansicht, dass die Freude ausdrücklich entgegengesetzt und wird noch die
Lust, obgleich nicht erstrebt, doch der Tugend als Be- genetische Bestimmung hinzugefügt: „Die Freude ent-
«rleiterin sich zucc^sellen kimne'*).
steht nur aus dem Bewusstsein der Tugenden"^).
Epiktet und Marc Aurel haben in den uns erhaltenen
») VergL die richtige Erklärung des betreffenden Fragments des Schriften den Ausdruck „Freude" (xaod) nicht gebraucht.
Kleanthes bei Bonhöffer I, 313 ff.
Doch spricht Epiktet von der „seelischen Lust", die das.
-) Frg. 90. ') Frg. 77.
Historia phUosophiae graecae 7. ed.
wodurch wir vernünftiger Weise eine Erhebung erfahren^),
*) YergL Ritter et Preller,
also die Tugend begleitet, woraus hervorgeht, dass sich
Gothae 1888, S. 438.
*) Ep. 59, 2. ^) De benef. IV, 16. seine „seelische Lust" zum Teile mit der Freude deckt.
^ Ad Gallionem de ?ita beaU K. 13; wenigstens klingt dies an
an Plato, Phüebus Kap. 15 (27 E.) und Kap. 16 (31 A.). ') Vergl. Bonhöffer, L S. 293. Oben S. 95. -) Ep. 59, 2.
^) Ep. 59, 18.
•) S. oben S. 22. Seneca (de vitabeata, c. 8)
Epiktetlll, 7, 7.
*) Ep. 59, 16. Dagegen Ep. 23, 3 und Ep. 109, 5 werden
ergleicht die Lust, die ohne Absicht der Tugend zuwächst, der
gaudium und laetitia in gleichem Sinne gebraucht. ^) HI, 7, 7.
Blume im Saalfeld, die ohne Arbeit des Landwirts gedeiht.
Barth, Die Stoa. 8
112 Das ethische Ziel.
.Lust" und .Freude*.
Sie ist ihm so wertlos wie ein falscher Kopfputz ^). Er wenn auch der Sprachgebrauch keine strenge Scheidimg
meint ferner, bei Annahme der T.ust als letzten Zieles
zwischen .,Lust" und .Freude- (hirchgefiihrt hat').
werde diese die Königin, die man sich auf dem Throne Jedenfalls tinden wir die sachliche Unterscheidung si-hon
sitzend denken müsse, von allen Tugenden bedient, und bei Panaetius, während es unbestimmt bleibt, nh «iV Im»i
diese Rolle sei der Tugenden unwürdig. -) Und er ver- ihm terminologisch ist. Seneca aber neigt Imtz eiiu>;er
flucht endlich denjenigen, der zuerst das (lerechte vom Rückfalle sehr entschieden dazu. di<' Freude einerseits,
Nützlichen geschieden hat, also Epikur und die Epi- die Lust andererseits auch sprachlich auseinander
zu
kureer^). halten, indem er die erste gaudium, die b^tzt ...Itiptmi
So streng wie Kleanthes sprach sich keiner der oder laetitia nennt. Er giebt eine sehr bestimmte klasmi-
späteren aus. Nur Panaetius meinte es sei nicht alle ,
fizierende Definition: ..Die Freude ist die Krhebnng der
Lust naturo-emäss. sondern nur die eine, die andere da- Seele, die auf ihre eigenen walmMi (lüter vertraut -*^
gegen naturwidrig.^) Alle aber haben das Streben nach Er fügt bald darauf und nüin^ .l;i< den Üegeuzjatz /.ur
Lust verworfen. Seneca geht so weit, dass er die Lust Lust bezeichnende Merkmal hinzu: .,Esist mit ihr ver-
(voluptas) eine res infamis nennt, ^) immer wieder vor- l)unden, nicht aufzuhr»ren und niclit ins «legenteil umzu-
schreibt, die Sittlichkeit nur um ihrer selbst willen zu schlagen." Sie kann also. wi(^ er nnrh weitor ansfiihrt.
.erstreben^) und gegen die Lust sich sogar die metaphy- nie schlecht sein. „Sie wird den (lottern und «len Xaeh-
sischen von Plato im Philebus erhobenen Gegengründe eiferern der (xötter zu Teil: si,. ist nicht von au>M»n
zu eigen macht, dass unbegrenzt und darum unsitt-
sie
genommen. Da sie nicht ein von aussen kommende.i
lich sei, während bei der Tugend nichts zu fürchten Geschenk ist, so aucli nicht vnm fremden Willen
ist sie
sei, da ihr Mass in ihr liege ^). abhängig" werden hier voluptas und laetitia der
3)^ es
Ebenso ist die ganze Stoa der Ansicht, dass die Freude ausdrücklich entgegengesetzt und wird mich die
Lust, obgleich nicht erstrebt, doch der Tugend als Be- genetische Bestimmung hinzugefügt: „Die Freude ««nt-
»
gleiterin sich zugesellen könne '^). steht nur aus dem IJewusstsein der Tugenden-
^j.
Epiktet und Marc Aurel haben in den uns erhaltt»nen
*) Vergl. die richtige Erklärung des betreffenden Fragments des Schriften den Ausdruck ..Freude*^
(X"9"' nicht gebrancht.
Kleanthes bei BonhöfTer I, 313 ff.
Doch spricht Epiktet von der ..-eelischen liUst-. dit- das.
2) Frg. 90. 3) Frg. 77.
wodurch wir vernünftiger Weise ein«» Erhebung <»rtaliren-*>.
*) Vergl. Ritter et Preller, Historia philosophiae graecae 7. ed.
also die Tugend begleitet, woraus hervorgeht, dass sich
Gothae 1888, S. 438.
5) Ep. 59, 2. «) De benef. IV, 16. seine „seelische Lust zum Teile mit der Freude d.»rkt
-^
/'
Das ethische Ziel. Die Glückseligkeit. 11 o
114
Wenn man Senecas obige Lobpreisungen der Freude Idee in die Wirklichkeit, also im Handeln. Aristoteles
liest, die den Göttern und den Nacheiferern der in der dem Menschen
eigentümliclien Thätigkeit. die vor
r Götter zu wird, so fühlt man, dass sie nur noch
teil allem eine theoretische, in zweiter Linie eine praktische
einen Schritt höchstens entfernt ist von der Krönung des sein, alle Tugenden, die des Denkens wie die des Han-
Lel)ens, die mit der Tugend für die Stoa unzertrennlich delns bewähren muss\). So sehen wir seit Sokrates als der
verbunden ist, von der .Glückseligkeit (Eudä- Eudämonie wesentlich das T h u n. Und das ist es, was
monie)'^. sieauch bei den Stoikern von der Lust, sogar von der
Schon Zeno lehrte dies, er betonte, dass die Tugend Freude unterscheidet. In der wirklichen Definition, die
allein für sie ausreichend seiM. und — gegen die Peri- (^rvsipp neben der eben erwähnten Umschreibung giebt.
patetiker — dass es keines anderen Hilfmittels bedürfe, heisst es. dass die Glückseligkeit eintritt, „wenn alles
gab auch eine vermeintliche Definition, indem er sie gethan wird nach Übereinstimmung des einem jeden
„schönenFluss des Lebens" nannte^). Keiner der späteren innewohnenden Dämons mit dem Willen des Verwalters
Stoiker hat an dieser Lehre etwas geändert.^) des Alls-).'- Dagegen wird von der Lust ausdrücklich
Die Endämonie ist ein sehr wichtiger und sehr als stoische Ansicht berichtet, dass ,,sie keine Thätigkeit,
charakteristischer Begriff des antiken Denkens. Zuerst keine Disposition, nicht einmal ein Teil von uns ist" 3).
scheint Anaxagoras diesen Terminus gebraucht und auf Die Thätigkeit aber ist das wesentlichste Element der
denjenigen angewendet zu haben, der ein reines Leben Tugend, nicht die Erreichung eines bestimmten Objektes*).
nach der Gerechtigkeit führe, oder teilnehme an einer Darum kann die Tugend nie nach blossem Leiden, nach
Art göttlicher Betrachtung^). Sokrates verstand dar- Lust streben. Und auch von der Freude wird nicht
unter sowohl die Bedürfnislosigkeit als auch die gesagt, dass ihr ein Element der Thätigkeit innewohne,
svn^a^la, d. h. „das rechte Handeln, das auf Einsicht wie sehr auch sonst ihre Beschreibung sich derjenigen i
und Übung beruht, mit dem aber zugleich das Wohl- der Eudämonie annähert, so dass auch sie nicht mit der
befinden verbunden ist"^). Plato findet die Eudämonie Tugend identisch ist.
Richtung der Ethik wieder verlassen. So abstrakt wie dieser Begriff Anwendung.^ Schon aus dieser Definition
)
li
die Ethik Kants ist die Ethik der Stoiker nicht. Und -ergiebt sich, dass damit der Umfang des Begriffes sehr
wie sehr auch Kant ihre Ethik rühmt wegen „der weit gezogen ist.
Würde der menschlichen Natur und der Freiheit (als In der That wurde er in der Stoa immer weiter.
Unabhängigkeit von der Macht der Neigungen)-^), von Bei Epiktet umfasst er schliesslich sogar, wenn man
der sie ihr sittliches Prinzip nahmen, so sehr trennt er von den rein pliysischen Verrichtungen der Pflanzen ab-
sich von ihnen in der Auffassung der (llückseligkeit, sieht, immer noch dreierlei sehr verschiedene Stufen der
die nach ihnen mit der Tugend unzertrennlich verbunden, Pflichterfüllung: 1. die in der erlaubten Befriedigung
nur durch ein analytisches Urteil von ihr zu der Bedürfnisse und in der verständigen Verfolgung des
sondern ist, während Kant die Glückseligkeit mit der eigenen Vorteils besteht. 2. die sich auf die durch (xe-
Tuirend nicht notwendi<2: verbunden findet, und dieses setz und Sitte allgemein gebotenen Handlungen richtet,
Verhalten beider zum Ausgangspunkte transcendenter welche die nur dem philosophisch Grebildeten
3. diejenige,
*) So bei Stobaeus. Bei Pearson frg. 145. -) Vergl. Bonhöffer II, S. 204 ff.
Die Pflicht und die Pflichten. Keine Handlung indifferent. 119
118
sie werden aber nie denselben sittlichen Wert haben, da unbewusst, noch diesseits von Grut und Böse auf. wie etwa
sie nicht aus der richtigen geistigen Disposition ent- das tierische Handeln. Aber auch so stand es in scharfem
springen und so gewissermassen nicht von der vidligen Gegensatz zum Handeln des Weisen, denn darin giebt
sittlichen Reife zeugen. Dieser Standpunkt führt zu der es —
von der Bewusstheit abgesehen nichts, auch —
grossen Härte, dass bei den Rigoristen der Stoa ein und das Kleinste nicht, was sittlich indiiferent wäre. Die
dieselbe That. vom Weisen vollbracht, als „rechte That" Stoa ist hierin strenger als Kant.^) Alles, was der Weise
zum höchsten sittlichen Verdienst gerechnet, dagegen, oder der nach Weisheit Strebende thut, muss zu der
vom Unweisen gethan, als Sünde betrachtet wird.M Erreichung des Zieles dienen, der dnäd^eia oder Freiheit;
Wer ein neues Prinzip hat, sieht eben alles im und zwar muss er auf dem geraden Wege darauf hin-
Lichte dieses Prinzips oder er sieht es gar nicht. ]\Iit gehen.-) Eine Handlung bleibt also auf dem geraden
Recht vergleicht Bonhölfer-) mit diesem stoischen Wege und ist dann sittlich, oder sie weicht ab und ist
Rigorismus das harte Wort des Paulus:^) „Was aber dann unsittlich; ein Mittleres zwischen diesen beiden
nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde." Die mil- Möglichkeiten kann es nicht geben.
deren Denker der Stoa fassten wohl alles Thun des Un- So ist der Unterschied der gebührenden und der
weisen als nicht zurechnungsfähig, weil gewissermassen rechten That nicht geeignet, eine neue, für zweilelhafte
Fälle anwendbare Richtschnur des Handelns zu geben,
sondern nur die Art und Weise der Erfüllung der an-
^) Bonhöffer II, pag. 211 ff. Bonhöffer citieit als stoische Sätze
erkannten, bestehenden Pflichten zu beleuchten.^) Keine
ausStobaeus Ekl. II, 117: Zwischen Tugend und Laster giebt es kein
Zwischenglied. Der Unweise thut alles, was er thut, schlecht. — Ethik aber, die wissenschaftlich sein will, darf sich der
Und aus Plutarch, de aud. poet. 7: Durchaus und Überali ist der Un- erstgenannten Aufgabe entziehen; denn ohne ein Krite- I
weise sündhaft, in allein aber recht thut der Weise. Vergl. auch Seneca, rium, nach dem man in zweifelhaften Fällen urteilen
ep» 95, 43. In der ganzen Auffassung der „mittleren Pflicht", die kann, bliebe sie auf dem Standpunkte der öffentlichen
Cicero mit officium medium übersetzt, aber nicht verstanden hat.
Meinung, die sie vorfindet, auf dem Boden des gesunden
und der vollkommenen Pflicht, officium perfectum, folge ich der sehr
Menschenverstandes, könnte sie höchstens eine Beschrei-
klaren und wohlbegründenden Darlegung Bonhötfers, der Dyroff (die
Ethik der alten Stoa, Berlin 1897, S. 133 f.) im wesentlichen bei- bung der bestehenden Sitten, aber nicht eine Begrün-
stimmt. , Mittlere" Handlungen in dem Sinne „sittlich indifferent" giebt dung einer neuen, mehr einheitlichen und vollkommenen
es, Avie sogleich zu erweisen sein wird , in der Stoa nicht. Zeller Sittlichkeit liefern.
nähert sich mit seiner Auffassung des v.ad^ri-^ov als Legalität und
Die Stoiker haben aber noch ein zweites Prinzip,
des yaro^d-co^ia als der Morahtät sehr der von Bonhöffer ergründeten,
das ihnen eine neue Ableitung sittlicher Pflichten und
wie mir scheint, richtigen Erklärung; denn die Pflichterfüllung kann
eben beim Unweisen nur Legalität sein, nie Moralität. AVas der
Weise wird von der Stufe der Legalität zu der der Moralität
thut, *) Bei Kant giebt es sittlich indifferente Handlungen. Vergl.
erhoben. Dagegen findet, wie Bonhöffer II, 230 ff. nachweist, Zellers Metaphysik der Sitten, ed. Kirchmann, S. 23.
gleichzeitige Deutung des ^ad-fjy.ov als bedingter und des Y.aT6o&o}iia
'-)
Vergl. oben S. 103 u. M. Aurel II, 16: „Es muss auch das
als unbedingter Pflicht in den Quellen keine Rechtfertigung. Über Kleinste nach der Beziehung auf das Endziel geschehen.**
Verstand und .richtigen Verstand* oder „aufrechte Vernunft" vergl. 'j Auch W. Windel band, Geschichte der alten Philosophie,
120 Die Pflicht und die Pflichten. Zweite Formel: Allgemeine Sympathie. 121
ein neues Kriterium der Entscheidung ermöglicht. Seneca Aber schon aus dem ersten Prinzip, der allgemei-
giebt es uns in dem Briefe,^) in dem er ein Kompendium nen Sympathie, ergeben sich allerlei Pflichten, die die
seiner ganzen Philosophie liefert. Nachdem er von den Stoa entweder im Gegensatze zu anderen Schulen oder
Pflichten gegen die Götter gehandelt hat, geht er zu zu der volkstümlichen Sittlichkeit ihrer Zeit aufstellte.
denen gegen die Menschen über, und nach allerlei darauf Aus der Sympathie aller Teile des Alls folgt, dass
bezüglichen Einzelfragen unterbricht er dieselben mit der 3Iensch Mitglied eines grossen Staates ist, der
der Bemerkung, dass eine Antwort darauf überflüssig aus den vernünftigen Wesen, den Göttern und den Men-
sei. da er ganz kurz die Formel der menschlichen Pflicht schen, besteht, desgleichen aber auch Mitglied des im
lehren könne: „Alles das, was du siehst, w^orin alles nächsten Sinne sogenannten Staates, der eine kleine
Menschliche und Göttliche eingeschlossen ist, bildet eine Nachahmung des Gesamtstaates, der Welt, ist.^) Und
Einheit. AYir sind Glieder eines grossen Körpers".^) der Staat oder die Gesellschaft, die ja das antike Denken
Dio Lehre von der Einheit des Weltalls ist bereits vom Staate nicht unterscheidet, wird ganz und gar als
erwähnt worden. Innerhalb ihrer gab es wieder eine Organismus aufgefasst. „Wir sind zum Zusammenwirken
noch engere Einheit des Gleichartigen. M. AureP) führt geboren, wie die Füsse, wie die Hände, wie die Äußren-
aus dass alles dem Verwandten zustrebe
, das Feuer , iider. wie die Eeihen der oberen und der unteren Zähne.
nach oben, die Erde nach unten, dass Tiere und Menschen Einander entgegenzuwirken ist gegen die Natur." f>o
Gemeinschaft mit ihresgleichen suchen und zwischen den sagt 3Iarc Aurel.Und derselbe weist auch hin auf die
noch höheren Wesen, den Gestirnen, sogar eine Sympathie Folgen der Zerreissung des organischen Zusammen-
aus der Ferne bestehe. Die allgemeine Sympathie hanges: „Ein Zweig, von dem Nebenzweige getrennt,
ist wohl schon von Kleanthes gelehrt worden.^) Die muss notwendigerweise auch von dem ganzen Baume
Sympathie des Gleichen lehrt jedenfalls Seneca. indem abgeschnitten sein. So ist auch der Mensch, von einem
er (»fter wiederholt , dass die Tiere gleicher Gattung Menschen getrennt, von der ganzen Gemeinschaft abge-
sich nie angriffen oder gar auffrässen, dass nur der fallen."-) Während die Epikureer gerade von den ver-
Mensch das traurige Vorrecht habe, ö^o'
ffejren sein Geschlecht nünftigen Wesen behaupten, dass es keine durch die
zu wüten.^) Natur begründete Gemeinschaft zwischen ihnen gebe,^)
mahnt Marc Aurel immer zu bedenken, „wie gross die
') Ep. 95.
Verwandtschaft des Menschen mit dem ganzen Menschen-
') Ep. 95. 52. geschlechte ist. Denn sie beruht nicht auf des Blutes
'j IX. 9. Vergl. Zeller III, 1», pag. 170. oder des Samens, sondern der Vernunft Gemeinsamkeit. " ^)
*J Vergl. Pearson, S. 117. Aus dieser Auffassung folgt zunächst die Hingebung
^) De ira II, 8; auch de
clemenüa I, 26; doch ist dies ein Irr- an die Aufgaben der engeren Gemeinschaft, des Staates,
tum Senecas. Es giebt Kannibalismus im Tierreiche.
Der alte Krebs zu dem der Philosoph gehört. Die Kyniker, deren Lehre
junge Krebse, wenn die Mutter sie nicht schützt. Vergl. H u x l e y
frisst
lücht Bürger eines bestimmten Staates, sondern Bürger Was in diesen Bildern schon enthalten ist. dass
der Welt sein/) In der That lebten sie als Bettler,
i
jeder an seiner Stelle dem Ganzen zu dienen hat.
also mögliclist unpolitisch. Epikur riet im allgemeinen das wird mit Beziehung auf das Verhältnis zur Gesell-
von politischer Bethätigung ab, nur in aussergewöhn- schaft noch ausdrücklich ausgesprochen, wenn es heisst:
lichen Fällen sei sie notwendig, wenn nämlich der Weise „es ist genug, wenn jeder seine Aufgabe erfüllt"^). Aus
sonst Schaden litte.-) Dagegen verlangte Zeno vom diesem positiven Verhältnis zur menschlichen Gesell-
Weisen, dass er dem Staate diene, wenn ihn nicht ein schaft ergiebt sich notwendig die Stellung der Stoa zur phy-
f
bestimmter Grund daran hindere.^) sischenund zur ökonomischen Erneuerung des Lebens,
Und dies ist im wesentlichen die Lehre der Schule zur Ehe und zur Arbeit. Die Ehe wird in scharfem
geblieber., wenn auch freilich über die hindernden (Iründe Gegensatze zur Schule Epikurs bei Zeno geboten,-) der
nicht alle ganz einig waren. Chrysipp verlangte, der Ehebruch verboten.^) Wenn Zeno und Chrysipp die
Weise nur denjenigen Staaten dienen, die einen
solle Frauengemeinschaft für ihren Idealstaat forderten,^) so
Fortschritt zu einem in seinem Sinne vollkommenen war dies eben die ideale Eheform ihres idealen Gemein-
Staate zeigten. Also Stillstand war schon ein Hinde- wesens die eine Würdigung der bestehenden Eheform
,
rungsgrund.*) Seneca dagegen lässt nur hoffnungslose des bestehenden Gemeinwesens nicht ausschloss. L^nd
Verderbtheit der Zustände als solchen gelten.^) Aber
wenn Epiktet die Kyniker verteidigt, dass „sie anstatt
selbst wenn der Weise vom ()ffentlichen Leben sich zu-
zwei oder drei hässliche Kinder statt ihrer in die AVeit
rückgezogen hat so dient er doch einem Staate der
, .
III, 24, 34; auch III, 24, 95. ») XI. 9. dem Markte nichts verkauft hatten. Vergl. Aristoteles Pohtik, III, 3.
Die Pflicht und die Pflichten. Der Fleiss in der antiken Philosopie. 125
124
Wertigkeit für identisch.^) In seinem Idealstaate sehliesst gewidmet haben.M Von der körperlichen Arbeit erwartet
er ja alle Handarbeiter, einschliesslich der Ackerbauer Plato nicht die Gesundheit des Leibes und der Seele,
von der Regierung und von der Verteidigung des Landes sondern beides von der Gymnastik, die sowohl auf den
aus. und diejenigen Kinder der beiden ersten Stände, Körper wie auf die Seele wirke wenn sie zur Vollen- ,
die eine unedle Natur verraten, werden in den Stand dung der letzteren Wirkung auch noch der musischen
der Arbeiter hinabgestossen.-) Aristoteles sagt: „Es ist Bildung bedürfe.-) Kein Pädagoge des Altertums hätte
)
nicht m()glich. die Werke der Tugend zu üben, wenn zur Ausbildung der sittlichen Persönlichkeit die Ver-
;
man das Leben eines Handwerkers oder Tagelöhners bindung von Schulunterricht und produktiver Handarbeit
tÜhrt".^) An einer andern Stelle^) sehliesst er in sein verlangt wie es Pestalozzi gethan und zum Teil
,
Yerwerfungsurteil auch die Händler ein. Ackerbauer durchgesetzt hat. Bei Aristoteles giebt es 3 oder 4 dia-
und Hirten schätzt er höher, aber nur deshalb, weil noetische und 11 ethische, im ganzen also etwa 15
sie arbeiten und darum auf Anteil an der Staatsregie- Tugenden, aber man sucht darunter vergeblich die Tu-
rung keinen Anspruch erheben. Er hält sie also nicht gend des Fleisses.
für tüchtig zu den Pflichten eines tugendhaften Bürgers, Erst bei den Kynikern tritt eine gewisse Wandlung
sondern bloss für unschädlich. Und in seinem eigenen ein. Die Mühe (nuvoc;), die freilich mit der Arbeit nicht
Musterstaate sind die Ackerbauer fast blosse Passivbürger, gleichbedeutend, aber ihr nahe verwandt ist,^) wird bei
jedenfalls Von der Staatsverwaltung, ausgeschlossen, nur ihnen ein Gut. Herakles, der so viele Mühe hatte, wird
diejenigen, die als Schwerbewaffnete oder als Eatsherrn ihr Vorbild, ihr Schutzheiliger.^) Indessen trug diese
dienen können, also die Wohlhabenden und Reichen, sind neue Anschauung keine Frucht; denn die Kyniker
,, Teile des Staates".^) bettelten lieber, als dass sie durch Arbeit ihren Unter-
die Schätzung der Arbeit in ethischer Beziehung. Die Erst die Stoa hat diese[,Gedanken der Kyniker ver-
sreistiß-e Arbeit, das Forschen und Wissen, wird tieft und teilweise ins Leben*übertragen. Chrysipp kennt
zwar über alles gefeiert, aber sie gilt den Alten, den im Kataloge seiner Tugenden eine svnovia,^') die onan
Griechen sowohl als den Römern, doch weniger als Ar- wohl nur mit Fleiss übersetzen kann, sein Schüler
beit, denn als würdige und angenehme Ausiüllung der Herillus zählt unter den „ersten naturgemässen Dingen",
Müsse. Die philosophische Betrachtung der Welt, be- die neben Lust und Schmerzlosigkeit das „Unterziel"
sonders das Studium der Idee des Gruten, ist nicht eine d. h. das dem Nichtweisen erreichbare Ziel
{0710X6X10)
Arbeit, sondern eine regelmässige Erholung von den ausmachen, auch die „Liebe zur Arbeit" auf.'} L^nd
Ämtern, die Plato in seinem Idealstaate nur den am i
meisten hervorragenden Geistern gönnt, nachdem sie bis Der Staat VII, 18. ^) Staat, III, Kap. 17. (410 G).
Wir unterscheiden beide Begriffe wohl so, dass wir bei
^)
zum 50. Lebensjahre sich ausschliesslich dem Staatsleben
.Arbeit" mehr an das objektive Ergebnis denken, als bei „Mühe",
^) Vergl. Staat, III, 14 (405 a): „Die Schlechten und Hand- so dass Arbeit sogar dieses Ergebnis selbst bezeichnen kann.
arbeilenden.*' *) Vergl. Zeller, II, 1^ S. 307.
2) Staat, III, 20; III, 21 (415 Bf.). ») Potitik, III, 3. 5) Vergl. Zeller, a. a. 0., S. 317.
^) Politik, VI, 2; auch VII, 8. "O Politik, VII, 8. 6) Vergl. Dyroff, S. 85. ') Vergl. Dyroff, S. 49 f.
126 Die Pflicht und die Pflichten. Die Wohlthat. 127
Kleanthes bewährte diese im Leben. Da er sehr arm Marc AurelM sagt: ,,Ein Bettler ist der, der eines an-
war, so truo; er des Nachts Wasser in den Gärten, um
I
Die mittlere Stoa machte, ihrer platonischen Ten- Kyniker geschieht, zurückweisen.
denz gemäss, in der Schätzung der Arbeit einen Eiick- Wenn so der aus der Solidarität der Gesellschaft
schritt. Panaetius erklärte, wie Plato selbst, jede kör- Üiessende PflichtbegriÜ' in der Schätzung der Arbeit die
perliche Lohnarbeit für ehrlos,-) Posidonius^) erachtete crriechische Volksmeinnno; weit hinter sich lässt. so erst
wenigstens die Künste der Handwerker für .gemein und recht in der Pflicht des Wohlthuns . die allen Menschen
niedrig"^, weil dem äusseren Leben des Menschen dienend. ireffenüber o-efordert wird. Dieses Wohlthun (evnoisXv
Die römische Stoa hingegen kehrt zu der Auffassung beneficium) bedeutet keineswegs etwa bloss die ökono-
der Alten zurück. Seneca verteidigt die Müsse des Weisen. mische Hilfeleistung, sondern diese einschliessend, ein
Er überschreitet gewiss die römische Volksmeinung, wenn allgemeines Wohlwollen, ein aus wirklicher Liebe her-
er sagt, dass „Zeno und Chrysipp Grösseres gethan vorgehendes Streben, das Los jedes Mitmenschen, auch
haben, als wenn sie Heere geführt, Ämter bekleidet, des Unweisen-) in jeder Hinsicht, durch Verteidigung
Gesetze gegeben hätten ^*) Er verteidigt hierin die freie vor Gericht,^) durch Heilmittel gegen Krankheit und
Der Stoiker Musonius meinte, dass der
geistige Arbeit.^) durch andere Hilfe zu erleichtern, sogar in sittlicher
Beruf des Landmanns für den Philosophen vorzugsweise Beziehuno; ihn zu heben, wie die Kyniker schon die
passe.«) Epiktet, sein Schüler, redet den, der den Hunger sittliche Besserung ihrer IMitmenschen für ihre Pflicht
fürchtet, an:^) „Kannst du nicht Wasser tragen, nicht hielten.-^) Mehr als auf die That kommt es dabei auf
schreiben, nicht Kinder hüten, nicht eine fremde Thür die Gesinnuno' an. „Weder Gold noch Silber ist die
bewachen? — Aber es ist schimpflich in solchen Dienst Wohlthat, sondern der Wille dessen, der sie ausübt",
zu gehen. — Lerne nur
was schimpflich ist, und
erst, sagt Seneca.^)
dann nenne dich vor uns Philosoph Für jetzt aber dulde I
Die hellenische und auch die römische Volks-
es nicht, wenn ein anderer dich so nennt Und aus- !""
meinung war der naiven, vom natürlichen Egoismus
drücklich empfiehlt er den zugleich studierenden und eingegebenen Ansicht, dass man seinen Freunden wohl,
wassertragenden Kleanthes zur Nachahmung.*) Und wenn seinen Feinden Übles thun müsse. L^nd indem Sulla
sich als Grabschrift bestimmte: „Er liess sich von keinem
') Diog. VII, 5, 168.
•-) Vergl. Bonhöffer II, S. 74, 235. Freunde im Wohlthun, von keinem Feinde im Ubelthun V
•^) Vergl. Schmekel, p. 277; auch Seneca, Ep. 88. 21. übertrefl'en" " glaubte er alle seine Grausamkeiten ge-
).
*) De olio, K. 6.
ii
^j Immer nur freilich, soweit sie auf das Notwendige des stoi-
M IV, 29.
schen Systems geht, also auf die Ethik. Alles andere, „was dem -) De beneficiis IV, 26. ^) De benef. I, 11. V, 17* 4.
Geiste nur Bildung, nicht Stärke bringt," ist auch ihm nur oblecta- *) Über den Kyniker: Epiktet III, 22, 72 u. 77, 82, 96 f. Er
mentum otii; vergl. de benef. VII, 1. ist Vater und Bruder aller Menschen.
«) Vergl. Zeller III, 1 ^ S. 734. ^) De benef. I, 5; auch V, 19.
') III, 26, 7. ') III, 26, 23. ^) Vergl. Plutarch, Sulla, Schluss.
:fl
rechtfertigt und hatte sie wohl auch in den Augen des Gottes 1), alle untereinander Brüder 2), die Alten sind
(I
Volkes gerechtfertigt. Selbst die Philosophie blieb lange ebensogut die Väter aller Jüngeren wie ihrer eigenen
an diesem naturalistischen Prinzip der mei^schlichen Kinder. Es giebt keinen Unterschied des Eanges
Beziehungen haften. Noch der Sokrates des Xenophon zwischen Herren und Sklaven, Vornehmen und Ge-
erklärt^), dass „ihm derjenige höchst lobenswert er- ringen ^).
.
scheint, der den Feinden im Ubelthun, den Freunden Damit ergiebt sich zunächst ganz unmittelbar
im Wohlthun zuvorkommt. " Plato -) hingegen geht da- gegenüber der Volksmeinung Piatos Bestimmung des
rüber sehr entschieden hinaus, indem er gegen diese Verhältnisses zum Mitmenschen. Der Nächste ist ja
Ansicht geltend macht, dass die Gerechtigkeit als mensch- nicht verschieden von mir, sondern wesensgleich, ich
liche Tugend niemanden auch den Feind nicht in seiner ,
würde gegen mich selbst wüten, wenn ich ihn verletzte.
menschlichen Tüchtigkeit schädigen dürfe, was not- Also, wie Seneca sagt: „Homo res sacra homini" und
wendig geschähe, wenn der Gerechte dem Feinde Übles doch wird er —
eine der ersten römischen Stimmen, die
zufügte. sich gegen die Gladiatorenkämpfe erhebt zum —
Die Stoa geht noch weiter als Plato. Nicht bloss Spiele und Scherze getötet! ^) „Frevel ist es, das Vater-
keinen Schaden, sondern sogar Gutes thun soll man jedem, land zu schädigen, also auch den Mitbürger, denn dieser
selbst dem, der sich feindselig stellt. ]\Iindestens seit ist ein Teil des Vaterlandes. Heilig sind die Teile,
Chrysipp^) herrscht die aus ihrer Allbeseeltheitslehre wenn das Ganze verehrungswert du ist. Also darfst
II sich ergebende Vorstellung, dass alle Menschen unter- auch einen Menschen überhaupt nicht schädigen,- denn
einander verwandt und auf enge Gemeinschaft unter- dieser ist in dem grösseren Staate dein Mitbürger.^ 5)
einander angewiesen seien. Dagegen erfolgte in der Nicht darf der Mensch dem Menschen gegenüber ein
If! mittleren Stoa gemäss ihrem Piatonismus und dem sich wildes oder überhaupt ein angreifendes Tier werden,
daraus ergebenden aristokratischen Zuge ein llückschlag. wodurch er ja selbst herabsinken und sich selbst am
Bei Panaetius und bei Posidonius giebt es innerhalb meisten beeinträchtigen würde. ^) Eine der Ursachen,
der menschlichen (Tcsellschaft sehr bedeutende E ang- durch die „die Seele zum Geschwür und gleichsam zum
unterschiede ^ ).
Gewächs auf dem Körper der Welt wird," besteht darin,
Die römische Stoa hingegen hat mit der Theorie dass „sie einen Menschen verabscheut und ihm feindlich,
der Gleichheit aller Menschen Ernst gemacht. Aus der um ihn zu schädigen, begegnet, wie es die Seelen der
pantheistischen Psychologie ergab sie sich als notwen- Zürnenden thun.""^) Und alles dies gilt nicht minder
dige Folgerung.
Jede Seele ist ein Fragment^), ein den Feinden gegenüber. Auch gegen sie wird der
Teil der göttlichen. Also sind alle Menschen Söhne Weise milde und freundlich sein^) nach dem Vorbilde
^) Memorabilia, II, 3, 14; dass hier mehr Xenophon als Sokrates ^) Epiktet I, 8, 2. -') Epiktet III, 22, 96. ^) Epiktet I, 13, 5.
spricht, wie Zeller (II, 1*, S. 171 f.) meint, halte ich allerdings für Seneca, Ep. 44; de benef. III, 28. Ep. 47, 1 ff
sehr wahrscheinlich. Vergl. auch Memor. II, 6, 35. *) Ep. 95, 33. ^) de ira II, 31.
-^3 -) Staat I, 9. ») Vergl. Dyroff, S. 228 ff. •) Epiktet IV, 1, 127.
^) Bonhöffer II, S. 99 f. ') M. Aurel II, 16. Zu den schlechten Charakteren gehört auch
^) ^ dnoonaai-ia^ Epiktet II, 8, 11. der tierisch wilde (IV. 28). ^) Seneca, de vita beata, c. 20«
Barth, Die Stoa. 9
> I
132 Die Tugend und die Tugenden. Einheit der Tugend. 133
Diese Eigenschaft ist die Tugend. Die alte Stoa auch für die Tugend der gewöhnlichen Menschen Übung
definiert sie einstimmig als „eine gewisse Disposition und Gewohnheit genügten^). Aristoteles war sich der
und Kraft des führenden Teils der Seele, die durch Bedeutung des AVillens mehr bewusst. Bekannt ist ja
seine Bestimmung, dass die Tugend, auch bei ihm ein
die Vernunft entstanden ist"^). Sie fügte hinzu, dass
dieser Zustand weder der Steigerung, noch der Ab- Zustand (s^ls), durch drei Mittel zu erwerben sei, durch
schwächunoj fähio; sei. Da die Vernunft mit der Natur Natur. Gewöhnung und Vernunft ^) und zwar jede Tugend,
dem oben darge- rücksichtigung des Willens die auch sonst bei Aristo-
naturgemässe-), und widerspricht nicht ,
stellten Zielbegriife.
teles bewnsst hervortritt. Auch die Stoa ist sich im
allgemeinen des nicht rationalen Momentes, des Willens,
Mit sehr geringer Schwankung^) ist diese Definition
bewusst. Nur bei Panaetius findet, seinem Platonismus
massgebend geblieben. In der römischen Stoa wird die
i gemäss, ein Rückschlag statt. Für ihn ist die Tugend
Konstanz des Grades der Tugend durch einen schon oben*)
erwähnten Vergleich begründet. Allen jenen Tugenden,
») Ep. 66, 13. '^j Ep. 66, 8.
sagt Seneca, „liegt eine Tugend zu Grunde, die den
^) Ep. 71, 19: „Das Sittliche [honestum, das objektive Gegen-
bild der subjektivenTugend] kann weder nachgelassen noch ange-
*) Zeno, Frag. 135. ^tcf^ScJts, oben mit , Disposition" wieder-
spannt werden, ebensowenig wie man ein Lineal, mit dem man die
gegeben, bezeichnet einen dauernden, sich gleichbleibenden Zustand.
Gradlinigkeit prüft, biegen darf."
Vergl. Dyroff, S. 58 fif.
•-)
Vergl. Dyroff, S. 28. *) Ep. 71, 16« 5) Vergl. Zeller II, 1*, S. 880.
3) Bei Herillus. Vergl. Dyroff, S. 59. *) S. 103, «) Vergl. Zeller H, 2^, S. 631. Auch Th. Ziegler, a. a. 0. S. 112.
134 Die Tugend und die Tugenden.
Wille und Intellekt in der Tugend.
135
ein Wissen^), für Posidonius dagegen auch das ent- siegt wird, kann auch die Tugend nicht ohne Anteil
sprechende Verhalten des unvernünftigen Seelenteils-), des Triebes, des AVillens bestehen.
„Ein Teil der Tugend", sagt Seneca, „besteht aus Lehre, Eine Hindeutung auf den Willen ist endlich auch
ein anderer aus Übung" ^). Der Gleichstellung der enthalten in Tvleanthes' materialistischer Erklärung der
Lehre mit der Übung liegt das Bewusstsein zu (Irunde, Tugend, wenn er sagt: „Und ebenso wie die Körperkraft
dass die Lehre allein den etwaigen AViderstand des eine hinreichendeSpannung in den Sehnen, ist auch
Willens noch nicht besiegt. Und wie der Soldat sich die Seelenkraft eine hinreichende Spannung beim Ur-
im Frieden für den Krieg übt, so empfiehlt Seneca, im teilen und Handehr-. Die Spannung beim Handeln,
Wohlstande gelegentlich die Lebensweise äusserster Ar- neben der beim Urteilen, kann eben nur der Wille sein.
mut zu führen, oifenbar in der Einsicht, dass bei einem Dass Kleanthes in dieses Urteilen und Handeln das
wirklichen Umschwünge der Verhältnisse nicht bloss
tugendhafte Handeln einschliesst ist ausdrücklich be- ,
das Bewusstsein von der Notwendigkeit der Änderung zeugt i). Epiktet lässt ebenfalls die Tui^end auf „Wohl-
der Lebensweise vorhanden, sondern auch der Wille da- gespanntheit'' der Seele beruhen-).
zu vorbereitet sein muss^). Und dasselbe bedeutet es, Aber freilich die bewusste Tendenz der stoischen
wenn Epiktet^) meint, die Frucht der Einsicht der Lehre in k u al
ist t e 1 1 e t i s t i s h nicht volunta-
c ,
Menschen, also die Tugend, könne nicht in kurzer Frist ristisch. Darum tritt in ihrer Ausdrucksweise das
und bequem erworben werden, sie bedürfe vielmehr, wie Willenselement zurück.
Schon die ältesten Stoiker
die Feige, längerer Zeit zur Reife. hatten neben der erwähnten Definition der Tugend eine
Eine gewisse Anerkennung des Willens liegt auch kürzere, die
nicht als von der Vernunft bewirkte
sie
inden allerdino-s seltenen Sätzen, die den Affe k t d u r c h Disposition und Kraft der Seele, sondern als „konse-
den Affekt bekämpft wissen wollen. Denn alle Er- quente, feste, nie wankende Vernunft selbst "3) fassten.
scheinungen des Willens werden ja von den Stoikern in Seneca sagt: .,Die Tugend ist nichts anderes als die
die Terminologie der Atfekte eingeordnet. Seneca zwar rechte Vernunft" ^).
spricht sehr misstrauisch von dem „unsicheren, schlechten Intellektualistisch begründet wird auch die Ansicht,
Frieden", der entsteht, wenn ein Affekt den anderen die in der Stoa vorherrscht, dass die Tugend unverlier-
zurückgeschlagen hat^). Aber Epiktet fragt: „Wer bar Chrjsipp hielt
ist. sie für verlierbar, z. B. durch
kann einen Trieb besiegen als ein anderer Trieb?"*) Rausch oder Geistesstijrung Kleanthes aber hatte sie, .
Da nun von der Tugend der „übermässige Trieb" be- wohl in Übereinstimmung mit Zeno und gleich ihm in
Anlehnung an Antisthenes^). für unverlierbar erklärt
') Vergl. Schmekel, 3. 213; mit geringer Einschränkung, S. 216. und zwar wegen der festen Überzeugungen, auf denen
-) Schmekel, S. 271.
^)Ep. 94, 47, auch 90, 45: non enim natura dat virtutem, ars
^) Kleanthes, frg. 76. Vergl. L. Stein, die Psychologie der
est bonum fieri hat wohl den gleichen Sinn. Dieser Satz klingt zu-
Stoa, Berlin, 1886, S. 73. Und oben S. 42, S. 94.
erst unstoisch; er schliesst aber die Xaturgemässheit der Tugend
-) II, 15, 8.
nicht aus.
') Vergl. Zeno, frg. 135.
*) Ep. 18, 5 fif.; vergl. auch Bonhöffer II, S. 147.
V Ep. 66, 32; recta ratio, Übersetzung des oodroc, \oyoc,.
^) I, 15, 8. «) De ira, I, 8. ') I, 17, 24.
^) Vergl. Zeller II, 1 \ S. 313.
136 Die Tugend und die Tugenden. Die vier Kardinaltuffenden.
137
sie beruht^). Auch Seneca sagt: „Die Tugend wird Feuers verglich, mit denselben Namen wie Plato Weis- il\
*) Vergl Kleanthes, frg. 80. Derselben Ansicht war Persaeus; tugend, indem er die Gerechtigkeit einerseits neben den
vergl. Hirzel, S. 104.
•-) Ep. 50, 8; auch Ep. 113, 8.
^) Vergl. Zeller II, 1*, S. 146. ^) Vergl. Zeller, a. a. 0., S. 882 ff. ') Vergl. Dyroff, S. 73 ff.
ein Ausschnitt
Denn Aristoteles hatte dasselbe orelehrt „Die Gerechtio--
von beiden ist. Die erste Bestimmung ist :
meisten bei Seneca. Es lassen sich diese jedoch teils losigkeit , Bedürfnislosigkeit , Freiheit , Prunklosigkeit.
als Arten oder Abteiinngen oder Folgeznstände jener Schweigsamkeit zur Selbstbeherrschung, Ergebung in
vier betrachten, teils aus der Pflichtenlehre der Stoa das Schicksal, wie die Frömmigkeit überhaupt nach
ableiten die sogar allein genügt
, uin ein System von ,
Sokrates' Vorgange zur Gerechtigkeit. Sie ist nach
Tilgenden darauf zu gründen, bei Seneca aber mit der diesem die Gerechtigkeit gegen die Götter^). So be-
allgemeinen und besonderen Tugendlehre verbunden er- stimmte sie auch ausdrücklich Posidonius-).
scheint. Seneca zählt ausser den vier Haupttugenden Wie aber die Tugenden untereinander eine „untrenn-
am Weisen noch auf^) Massigkeit. Enthaltsamkeit,
:
bare Gefolgschaft" bilden, so auch die Laster. Wer eine
Sparsamkeit, die doch wohl aus der Selbstbeherrschung Tugend hat, der hat alle^). Wer ein
Laster hat, der
folgen, Geduld als ..Zweig der Tapferkeit" -). wozu auch hat alle Laster^). Ferner sind, wie schon Zeno lehrte,
die Standhaftigkeit geh()rt, ferner Voraussicht. Gleich- alle Laster untereinander gleich^), ein
mut, Seelenruhe, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Ge- Satz, der dann mit Ausnahme des Heraklides von Tar-
schmack (elegantia), Hochsinn, die wohl alle Anwendungen sus, des Antipater von Tarsus und des Athenodorus von
der praktischen Vernunft, der der platonischen Weisheit allen Stoikern anerkannt wurde"). Auch dies ist ein
in der Stoa entsprechenden Kardinaltugend sind. Frei- Ergebnis des Intellektualismus ihrer Ethik. „Es giebt
gebigkeit aber, Freundlichkeit, Menschlichkeit, Gnade ^), nichts, was wahrer ist als das Wahre", so schloss
Geselligkeit^) ergeben sich ohne weiteres aus der zweiten, Chrysipp^), „oder, was falscher ist als das Falsche.
von Seneca aufgestellten Pflichtformel , die von der Also auch keinen Irrtimi, der grösser wäre als ein anderer
Einheit des Menschengeschlechts ausgeht. Und wenn und keine Sünde, die grösser wäre als eine andere.
M. Aurel^) Wahrhaftigkeit, Ernst, Grösse rühmt, so ge- Wer hundert Stadien und wer ein Stadium von Kanobos
hört dies zur praktischen Vernunft, Fleiss. Anspruchs- entfernt ist, sind beide gleicherweise nicht i n Kanobos.
So auch, wer mehr und wer weniger fehlt, beide sind
') Ep. 66, 13; 88, 29—30;Das »praeter has% womit
115, 3.
gleicherweise nicht im Zustande der Pflichterfüllung".
Seneca nach der letzten Stelle sekundären Tugenden einfülirt,
die
zeigt freilich, dass er sich ihrer logischen Unterordnung unter die
Und in der That, wer nur den kontradiktorischen Gegen-
ersten hier nicht bewusst ist. Aber das beweist nichts gegen den
wirklichen logischen Zusammenhang, zumal dieser an anderer Stelle ^) Bei Xenophon, Memorab. IV, 6, 4, wird der Fromme von
ausdrücklich festgestellt wird, nämlich Ep. 67, 10, wo es heisst, bei Sokrates definiert als das, was den Göttern gebührt, wissend, bald
jeder tapferen That sei individuus iste comitatus virtutum, zugleich darauf (§ 6) der Gerechte als das, was den Menschen ge-
aber auch eine Unterordnung der patientia, perpessio und tolerantia bührt, wissend. Dies wird wiederholt in Piatos Euthyphron.
als der „Zweige der Tapferkeit* unter diese stattfindet. Für beide, die Memorabilien wie den Euthyphron, nimmt K. Joel
-) Vergl. Ep. 67, 10. (Der echte und der xenophontische Sokrates H, 1, Berlin 1901, S. 512)
^} Ihre Definition (de dementia II, 3): Die Gnade (dementia) Antisthenes als Quelle dieser Definition an.
ist Macht des Strafens, oder
die „Selbstbeherrschung der Seele in der -) Vergl. Schmekel, S. 273; auch den Stoiker ApoUodor bei
die Milde des Bestimmung der Strafen".
Höheren gegen den Niederen bei Diog. L. VII 1, 119.
ist wohl dasselbe wie der englische common sense, nicht Gemeinsinn. *) Vergl. Seneca, de benef. V, 15. ^) Zeno, frg. 132.
') IV, 5. «) Bei Diog. L. VH, 120, 121. ') Bei Diog. L. VII, 120.
Quelle der Laster. 143
142 Die Tugend und die Tugenden.
nung", die gerade Erkenntnis ermöglicht, sehr widerspricht. S. oben «) Vergl. die Ausgabe Schenkls, S. 411. Dieser Wahlspruch
ist von Gellius aufbewahrt worden. Nach ihm bezieht sich das Tra-
S. 135.
gen auf das Unrecht, das Entsagen auf die Lust.
3) Frg. 128.
144 Die Tugend und die Tugenden. Zuverlässigkeit und Sittsamkeit bei Epiktet. 145
Er ireht den Grundla<^en
vielmehr o-eraclezu von verbundene Rücksicht auf Götter und Menschen
\) um-
des Systems aus. Wir sahen, dass die Konsequenz eines fasst.Die Zuverlässigkeit ist die individuelle, subjektive,
der ethischen Prinzipien der Stoa ist. Und demgemäss die „Sittsamkeit" die soziale Tugend.
verlangt er wieder als erste Tugend Der Gute soll vor :
Es ist darum ganz folgerichtig, wenn Zuverlässig-
allem zuverlässig (TiKjro^) sein. Die Treue gegen keit und Sittsamkeit zusammen bei Epiktet das
sich selbst oderZuverlässigkeit (nlaTig) ist ihm Wesen der Tugend erschöpfen.-^) Die erste bedeutet den
die erste Tugenden, sie ist gewissermassen die
aller
subjektive Seite des gesamten Wesens der Tugend:
^ didcog bedeutet bei Epiktet zunächst Scham, den Affekt, den
„Der Mensch ist zur Zuverlässigkeit geboren; wer diesen alle unter diesem Worte verstehen, der Erröten zur Folge hat.
Satz aufhebt, hebt das auf, was dem Menschen eigen- Vergl. IV, 3, 2. frg. 14, 8 (Schenkl, S, 414). In demselben Sinne
tümlich ist".i) Schärfer als es mit diesen Worten ge- das Adjektiv aidi^ficjv, z. B. III, 7, 27. Daneben aber haben beide,
schieht, konnte Epiktet den grundlegenden Charakter das Substantiv wie das Adjektiv, eine zweite, ethische Bedeutung,
wie oben gesagt: die ehrfürchtige Scheu vor und die Rücksicht
der Zuverlässigkeit nicht betonen. Wenn der Mensch auf
Götter und Menschen, die wir am besten mit „Sittsam keif
wieder-
zum Tiere entartet, so ist die Unzuverlässigkeit seine geben, die sich am deutlichsten an den Stellen offenbart, wo
die
erste Untugend.-) Wo die Tugenden der Götter aufge- Götter oder die Menschen ausdrücklich genannt sind, aber auch
an
zählt werden, da ist die Zuverlässigkeit die erste.^j Und allen übrigen Stellen anzunehmen ist. Euch. Kap. 33, 15. Euch.
das ganze Wesen des Unweisen wird darin zusammen- 36. 16, 7: „Eins genügte, um die Vorsehung zu fühlen, wenigstens
I,
des für den Sittsamen und Dankbaren". IV, 1, 106: „Tritt ab (vom
gefasst, dass seine Seele nicht zuverlässig ist."^) sitt-
Leben) wie ein Dankbarer und aidrjfjicov (gegen die, die deinen Platz
lich Gesunkenen darin, dass er gute Gesinnung und Zu- wollen)." H, 20, 32 werden die Menschen, die die Gaben der Götter
verlässigkeit verloren hat.^) Die erste Eigenschaft, die geniessend an ihnen zweifeln, ironisch dankbar und sittsam genannt.
von Freunden verlangt wird, ist Zuverlässigkeit ^) Unter III, 18, 6 heisst der dankbare Sohn sittsam.
den wahren, unentreissbaren Gütern der Menschen wird So ist bei Epiktet II, 10, 29 der zuverlässige und sittsame
-)
Seneca^) sagt mit kurzer, aber durchaus schulgetreuer Da die Gottheit fürunsere Glückseligkeit gesorgt
Begründung: „Wenn die Vernunft gottlich, kein Gut hat, diese aber von unserem Denken und Wollen ab-
aber ohne Vernunft ist, so ist jedes Gut göttlich. Ferner hängt so muss alles was nicht von unserem Denken
, ,
giebt es zwischen göttlichen Dingen keinen Unterschied, und Wollen abhängt, für unsere Glückseligkeit gleich-
also auch nicht zwischen den Gütern." giltig, also kein Gut sein. So lehrte auch Zeno in seiner
Wie die Tugend allein ein Gut ist, so das Laster ersten Periode „Gleichgiltig sind Leben und Tod, Ruhm
:
allein ein Übel. Dies ist von Zeno schon proklamiert-) und Ruhmlosigkeit, Unlust und Lust, Reichtum und
und seitdem, ebenso wie die These über die Tugend, un- Armut, Krankheit und Gesundheit und alles dergleichen".^)
abänderlich festgehalten worden. Das einzige Übel ist Und die Lehre der Schule ist dies immer geblieben.
die Unsittlichkeit, sagt Seneca.^) Und Epiktet erklärt, So sagt noch Seneca:-) „Was den Göttern fehlt, kann
das Wesen des Übels bestehe im Gebrauche der Vorstel- kein Gut sein." Den Göttern fehlt aber nach seiner
im falschen Gebrauche derselben, der zum
lungen,*) d. h. Auffassung alles, was die unweisen Menschen begehren.
Laster führe. Und oft wiederholt er das Übel liegt im : Nur Vernunft und Wille ist ihnen mit den Menschen
üblen Willen, nie in den fremden von meinem Willen ,
gemeinsam. Und Epiktet wird nicht müde zu wieder-
unabhängigen Dingen.^) Jedes Laster hat auch seine holen, dass alles, was nicht in unserer Gewalt ist, ganz
Übel in sich, nicht etwa in den Strafen, die es nach sich und gar keine Beziehung auf unsere Glückseligkeit habe.
zieht.^) „Die sittliche Schlechtigkeit trinkt den gross ten Lidessen nur der Weise, „den seine Tugend in ein
Teil ihres Giftes selbst."^) anderes Gebiet der Welt gestellt hat, der mit euch nichts
gemein hat," ^) kann diese den Göttern mögliche Verach-
^) Ep. 66, 12. Wenn er dennoch Guter von dreierlei Quellen
tung alles Irdischen durchführen. Da aber die Stoa auf
anfuhrt (triplex conditio, Ep. 66, 5): 1. Freude, Frieden und Wohl- die Erdenbewohner wirken wollte, so musste sie auf die
ergehen des Vaterlandes, 2. solche, „die sich an unglücklichem Stoffe thatsächlichen Werte, die die Dinge für das Leben
ausprägen*. Geduld in Qualen und Selbstbeherrschung in schwerer
haben, schliesslich Rücksicht nehmen. Die Natur, der
Krankheit, 3. sittsamen und würdigen Gang, ehrliche Miene und Ge-
die Stoa doch folgen will, lehrt uns ja diese Rücksicht.
bärden, wie sie einem würdigen Manne ziemen, so liegt darin kein
Widerspruch gegen die Gleichheit der Güter. Denn die angeführten
Schon Zeno unterschied in einer späteren Lebensperiode ^)
drei Arten sind nicht graduell verschieden, sondern nur ^ebensoviele unter den gleichgiltigen Objekten drei Klassen, wodurch
Erscheinungsweisen (species) des tugendhaften Geistes, die nach der er die allgemeine Gleichgiltigkeit aufhob: 1. vorge-
Verschiedenartigkeit des Lebens und nach den verschiedenen Hand-
zogene Dinge {nQoi)yf.dva) wie Leben Ruhm Lust,
,
, ,
lungen sich entfalten/ (Ep. 66, 7.) Dass auch Friede und Wohl-
Reichtum, Gesundheit, Schönheit; und 2. nachge-
fahrt der Mitbürger zu den Gütern gehören, zeigt deutlich die Wich-
tigkeit des zweiten Pflichtprinzips bei Seneca. Sie sind Ziele der setzte Dinge (d7ro7i^ory7/i£va), wie Tod, Schande, Mühe,
Humanität, also darum ein Gut. S. Rubin (die Ethik Senecas, Armut, Krankheit, Schwäche, Schmerz.^) Die ersten sind
München 1901, S. 58 ff.) hält diese drei Arten von Gütern für drei keine Güter und tragen zu der Glückseligkeit nichts
Arten von Werten, die wir weiter unten charakterisieren werden,
und begeht damit eine Verwechslung.
2) Frg. 128. ^) De constantia sapientis V, 3; auch ep. 94, 8.
» ) Vergl. Frg. 128. ^) Ep. 74, 14. ^) Seneca, de const. sap. Kap. 15.
*) II, 4. ^) Z. B. II, 6; auch II, 5, 5.
•») Vergl. Dyroff, S. 108.
1, 1,
«) Seneca, Ep. 87, 24. ') Ep. 81, 22. 5) Zeno, Frg. 131 (Pearson, S. 171), und Dyroff, S. 110.
152 Das Gut, die Guter und die Werte. Freundschaft, Ruhm, Reichtum u. a. 153
bei, werden aber als naturgemäss den anderen als den donius betrachtet als wesentlichen Wert die Lust, so-
naturwidrigen vorgezogen.^) Freilich ist liier nicht die- weit sie der Erhaltung des Lebens dient, als Misswert
jenige Natur gemeint, die mit der Weltvernunftidentisch den Schmerz, als weitere, mit dem ersten zusammen-
ist, sondern diejenige, die mit einer gewissen
Blindheit hängende Werte Leben, Gesundheit, Reichtum, Kunst
Leben und Lust schafft und mehrt.^) Als dritte Klasse und Wissenschaft.^)
aber nannte Zeno noch schlechthin gleichgiltige Dinge, Seneca will nur diejenigen als Güter anerkennen,
für deren Annahme oder Ablehnung es gar keinen die dieVernunft giebt. Alles andere sind nur Werte,
Grund gebe, von denen aber auch kein Beispiel erwähnt (commoda), des Namens „Güter" nicht würdig.^) Eine
wird.3) Diese völlig des Wertes oder des Misswertes ^) genauere Abstufung dieser Werte hat er nicht gegeben.
entbehrenden Objekte sind eine Inkonsequenz gegenüber Nur so viel lässt sich aus zerstreuten Äusserungen
der Pflichtenlehre. Wenn es in der Stoa keine sittlich entnehmen, dass die Freundschaft einen sehr hohen
indifferentenHandlungen giebt wie wir oben (S. 119)
,
Wert hat. Denn „ohne Freund ist das Leben die Fütte-
gesehen haben, so kann es auch sittlich indifferente Ob- rung eines Löwen und eines Wolfes." 3) Obgleich der
jekte oder Gemütszustände nicht geben; denn jede Hand- Philosoph wie jedes Wertes, so auch der Freundschaft
lung bezieht sich auf einen Gegenstand und hat einen entbehren kann,^) so ist doch „keines Gutes Besitz ohne
Bewusstseinszustand zur Ursache und zur Wirkung. einen Gefährten angenehm ".s) Der Weise ist darum ein
Wenn sie selbst aber nicht indifferent ist, so kann auch Künstler in der Schliessung von Freundschaften (artifex
das, was ganz untrennbar mit ihr verknüpft ist. nicht faciendarum amicitiarum).^)
indifferent sein, da jeder Wert oder Misswert sich von Der zweite Wert ist der Ruhm, der ja auch von
der Ursache auf die Wirkung, von dem Motiv auf den Zeno unter den bevorzugten Objekten genannt wird,
erreichten Zweck ebenso überträgt, wie umgekehrt, und freilichmit einer gewissen Einschränkung. Nur die Be-
ein unmittelbarer Wert oder Misswert, oder eine Hand- rühmtheit (claritas), die als Anerkennung des sittlich
lung, die nie indifferent sein kann, vermittelte Werte Guten durch die sittlich Guten definiert wird, betrachtet
oder vermittelte Misswerte erzeugen muss^). Seneca Gut, d. h. nach strengem Sprachgebrauche
als
als Wert.^) Diese Berühmtheit scheidet er scharf von
Die Annahme verschiedener Werte ist in der Stoa dem
seit Zeno geblieben. Nur die Einordnung der verschie-
gewöhnlichen Ruhme (gloria), der auf dem Urteile der
denen Objekte in die Wertklassen hat geschwankt. Posi- Menge beruht.«) Und wie die Gerechtigkeit beiden Segen
bringt, dem, der sie giebt, wie dem, der sie empfängt,
1) Zeno a. a. 0. und Frg. 130.
•-) Wie überhaupt „Natur* bei den Stoikern nicht eindeutig ist. ') Schmekel, S. 275 ff.
Vergl. oben S. 134. M ')Ep. 74, 17; doch wird dieser Sprachgebrauch nicht festgehalten.
3) Vergl. Pearson, S. 168—170. So'heisst es Ep. 4, 6 nuUum bonum adjuvat habentem, nisi ad cuius
:
*) Diesen Terminus für die , nachgesetzten* Dinge entlehne araissionem paratus est animus. Die wahren Güter können nie ver.-
loren werden, also sind hier nur
ich Bonhöffer. Er drückt den konträren Gegensatz besser aus als commoda gemeint.
') Ep. 19,10.
.Unwert".
^) Vergl. Chr. von Ehrenfels, System der Werttheorie, I, *) Ep. 9, 5.
so ist auch diese Berühmtheit, die gerechte Anerkennung das Leben selbst nicht mehr ein Wert, sondern ein
des verdienten Mannes, sowohl für den Anerkannten wie Misswert, ein Hindernis der Freiheit, der Tugend ist.
für die Anerkennenden wertvoll.^) In ihr findet Seneca Solange das nicht der Fall ist, ginge der Selbstmord
einen noch nach dem Tode fortwirkenden Segen eines
hervor aus der blossen „Willkür zu sterben" i) (libido
sittlichen Lebens,^) und sogar der Sohn, der sie seinen moriendi), die von Seneca wie von Epiktet und M. Aurel
Eltern erwirbt, erweist ihnen einen unschätzbaren aufs schärfste verworfen wird. Wann Zeit und Grrund
Der gewöhnliche Ehrgeiz hingegen und die
Dienst.^) des freiwilligen Scheidens gegeben sind, lehrt die Philo-
Ruhmsucht werden als Laster betrachtet und selbst an sophie als „Wissenschaft des Lebens und des Sterbens"-).
einem so hervorragenden Manne wie Julius Caesar Dass wir so den wahren Übeln entgehen können, ist
getadelt.^) ein wesentlicher Bestandteil der stoischen Theodicee.
Endlich gehört zu den Werten bei Seneca auch der „Das ist das einzige, warum wir über das Leben nicht
Reichtum. Er kann zwar Böses zur Folge haben, klagen dürfen. Es hält niemanden" 3). Freilich, wie
aber nicht als bewirkende Ursache (causa efficiens), Zeller bemerkt, der hochgespannte FreiheitsbegriiF der
sondern nur aus Anlass (causa praecedens). Er erzeugt, Schule hat in der Praxis den Selbstmord oft wegen
wie Seneca mit Posidonius feststellt, nichts Böses, sondern unbedeutender Beschränkungen des freien Willens her-
reizt nur dazu^). Der Weise liebt den Reichtum nicht, beigeführt*). Die aber einen grossen Anlass hatten,
aber zieht ihn der Armut vor "). Doch ist er kein Gut. wie Cato von Utica, die galten gewissermassen als
Demokrit wird gerühmt, weil er seinen Reichtum als Heilige der Schule^).
Und Seneca
eine Last für einen edlen Greist fortwarf ^). Der natürliche Tod ist also, wie wir sehen, vieler
betrachtet es als ein Zeichen schlimmer Entartung, dass Übel Ende , also ein Wert , der pflichtgemässe Selbst-
die Armut als Schande gilt^). mord der Bürge der Freiheit, also ein Gut. Dennoch
Leben und Tod sind nach der strengen Lehre gleich- klingt es wieder, als Tod etwas ganz Grleich- ob der
giltig, nicht so bei Seneca. Zunächst ist ihm der Tod giltiges sein sollte wenn Seneca sagt „Niemand lobt
, :
„keines Übels Stoß*, vieler Übel Ende"»), er muss also den Tod, sondern nur den, dessen Seele der Tod eher
ein Wert sein. Die Furcht davor, im ersten Jahrhundert dahinraffte als erschütterte^)". Er fühlt hier, dass.
der römischen Kaiserzeit eine sehr verbreitete Stimmung, wie alle Dinge, so auch der Tod rein an sich betrachtet,
die unter anderem bei Horaz sehr hervortritt, wird von gar keinen Wert oder Misswert hat, sondern erst durch
ihm scharf zurückgewiesen^^). die Beziehung auf den menschlichen Willen einen solchen
Andererseits ist der freiwillige Tod oft eine sitt- erhält. Hätte er den Gredanken zu Ende gedacht, so
liche That, der „vernünftige Ausgang aus dem Leben" r
wie ihn die Stoa von ihrem Stifter an gebietet, sobald ') Ep. 24, 25. Epiktet, I, 9, 17; I, 29, 29. M. Aurel XI, 8.-
hätte er gefunden, dass es eben darum, wenn man über aber wird an anderen Stellen von ihm ausdrücklich als
die Dinge einmal Werturteile fällt, keine gleichgiltigen nicht wünschenswert bezeichnet^).
Dinge geben kann, wie es nach der strengen Lehre der Während so bei Seneca ein arges Schwanken in
Schule keinen völlig gleichgiltigen Willen und keine der Wertlehre stattfindet, ist Epiktet zwar nicht ganz
völlig gleichgiltige Handlung giebt^). Da Seneca diese klar, aber einheitlicher und folgerichtiger. Freilich ist
Folgerung nicht zieht, so bleibt die Kategorie der völlig auch er nicht bei der ersten Lehre Zenos geblieben.
gleichgiltigen Dinge bei ihm bestehen. Aber er ver- Auch für ihn haben die äusseren Dinge, die nicht Güter
mag sie ohne Widersprüche nicht auszufüllen, weder oder Übel sind, einen Wert oder Misswert. Und bei
mit dem natürlichen Tode, noch mit dem pflichtgemässen der Beurteilung des vernünftigen oder unvernünftigen
Selbstmorde, wie wir gesehen haben, noch mit dem Lebens müssen wir darauf Rücksicht nehmen -). Auch
bürgerlichen Tode, der Verbannung. Diese nannte er diese Unterscheidung der Werte und Misswerte ist eine
zwar einen blossen ^Ortswechsel"-), muss aber in dem- Thätigkeit der Tugend 3). Aber dem Weisen hat er
selben Atem zugeben, dass sie „Miss werte, nämlich Ar- bestimmte Werte nicht zugewiesen. Für ihn bleiben
mut. Schande. Verachtung im Gefolge hat", also selbst „die Stoffe gleichgiltig, nur ihr Gebrauch ist nicht
ein mittelbarer Misswert ist. Die Adiaphorie aller gleichgiltig"^). Er
bearbeitet sie frei für seinen Zweck,
äusseren Dinge, die von der ersten, strengen Richtung die Tugend, wie der Weber die Wolle ^). Nur für den
gelehrt wird, ist logisch unanfechtbar. Die Adiaphorie durchschnittlichen Menschen ist das Leben dem Tode,
der mittleren Dinge aber, die zwischen Werten und die Lust dem Schmerze vorzuziehen 6). Der Weise wählt
Misswerten liegend keins von beiden sein sollen, bleibt die naturgemässen Werte nur, „solange ihm die Folgen
auch bei Seneca ein leeres Wort, ist überhaupt eine unklar sind", ^) d. h. solange sie eben nicht sein Ideal
logische Missbildung, wahrscheinlich lediglich durch den der Freiheit beeinträchtigen. Wenn dies aber der Fall
schon oben (S. 138j erwähnten, verkehrten Formalismus ist, so verziehtet er auf alles. „Nimm das Körperchen,
Chrysipps veranlasst, der gleichviel ob berechtigt oder nimm den
,
Besitz, nimm den Ruf, nimm die Meinen"^).
unberechtigt zu je zwei Grliedern eines Gregensatzes
immer ein drittes suchte.
Insbesondere wird im Gegensatze zu Seneca der Ruhm
in keiner Weise von Epiktet bevorzugt, sondern er
Was Seneca sonst noch als gleichgiltig anführt, bleibt in der grossen Menge der gleichgiltigen Dinge ^).
Armut, Krankheit, Schmerz^), kann er eben- Auch Gesundheit, Reichtum und Armut ^") werden aus-
falls nur im Widerspruche gegen sich selbst so benennen. drücklich Adiaphora genannt und zwar scheint es, als
Wenn ihm der Reichtum, wie oben erwiesen, ein Wert ob er damit eben wieder zur strengen Lehre zurück-
ist, muss die Armut ein Misswert sein. Und wenn Gre- kehrte, von der er in Bezug auf den Weisen gar nicht
sundheit *) wünschenswert ist so kann die Krankheit,
abgewichen iet. Seine Hochschätzung der kynischen Darstellung wäre es nun gewesen, wenn man in dichter-
Lehre scheint Epiktet zur schärferen Fassung des Wert- ischer Weise anschaulich das Lebensbild des tüchtigen
begriffs geführt zu haben. Mannes der Gegenwart oder der Vergangenheit in Form
Marc Aurel im ganzen Epiktet gleich. Nur in-
ist einesRomans, etwa wie der Kyrupädie, gezeichnet hätte.
dem er eine massige Sorge für den Körper empfiehlt i), Einer solchen künstlerischen Gestaltung aber war nie-
scheint er unter den „fremden" Dingen eine gewisse mand in der Schule geneigt oder niemand gewachsen.
Rangordnung festzustellen. Der Ruhm ist auch ihm im Statt dessen wurde der Begriff des Weisen wie ein
strengsten Sinne etwas Gleichgiltiges"), er macht den Puppenleib behandelt, um den man als schöne Kleider
Menschen abhängig von fremder Thätigkeit, d. h. von alle die sehr gesteigerten stoischen TugendbegrifFe um-
fremder Anerkennung^), widerstreitet also der Selbst- legte. So entstanden allmählicli die mannigfaltigen
ffenüo:samkeit, nach der man streben muss. Thesen über den Weisen, die einen grossen Teil der
stoischen Paradoxa ausmachten, die teils den Spott, teils
die Kritik herausforderten, aber durchaus richtio:e
6. Kapitel. Folgerungen aus der stoischen Tugendlehro waren.
Schon Zeno rühmte vom Weisen, dass er allein
Das Ideal des Weiseu. frei, allein reich, allein schön sei ^), was
uns nicht überrascht, da ja in der Stoa der Tugendhafte
Jede Religion, die auf die Massen begeisternd wirken
innerlich frei, die Tugend und die Tugend,
allein ein Gut.
will, bedarf nicht bloss transcendenter sondern auch ,
nicht sicher sind. Die dritte Stufe ist über viele der ') IV, 7, 6.
schlimmsten Übel, aber nicht über alle hinaus, z. B. ') HI, 14, !. ^) III, 9, 12—22.
frei von Habgier und Ausschweifung, aber nicht von ^) III, 23, ,Wie die Sonne die Nahrung an sich zieht."
27:
Jähzorn und Ehrgeiz. Sich selbst wagt Seneca kaum Aber hinter dem Worte Nahrung (r^ogp^v) steckt sicher ein passen-
deres verborgen. An sich ist der Satz nicht sinnlos, denn nach all-
gemein griechischer und stoischer Vorstellung nährt sich die Sonne
*) De provid, Kap. 6* ^j De const. sap. 4, 2.
wie alle Gestirne von den Flüssen und vom Meere. Vergl. Kleanthes
3) Ep. 59, 16. dem Monde bestand nach Ari-
Die Welt über
Frg. 29 (Pearson, S. 257) und Seneca, nat. quaest. III, 26; V, 8; VI,
stoteles, an den Seneca wohl hier denkt, aus reinem Äther. Vergl.
16. Aber das Bild von der Sonne, die ihre Nahrung verzehrt, wäre
Zeller II, 2\ S. 451, Anm. 1.
sehr ungeschickt. Vielleicht ist wirklich etwas ähnliches wie »Blüten*
^) Ep. 9, 3. 5) Ep. 42, 1. De tranqu. 7, 4.
oder eine bestimmte Blüte zu lesen.
^) Vergl. Cicero, Paradoxa Stoicorum 4.
') Vergl. Zeno, Frg. 160. ') I, 18; auch Ili, 1, 36 11'., wo er nur Werkzeug Gottes sein will.
Barth, Die Stoa. 11
162 Das Ideal des Weisen. Erfolg der stoischen Moral.
163
nicht absprechen können. Mit grossem
Ernste ^) kon- Helvidms
,
Priscus verbannt ^j. Und Tacitus,
und die der strenge
zentriert sie den Willen auf hohe Aufgaben Sittenrichter findet nur anerkennende
der Worte für diese
Menschheit, die an Stelle des Volkes, der Weltstaat Schule^). Er berichtet von ihrer Lehre ohne in
beschränk- ihr
vernünftigen Wesen, der an Stelle des alten, einen Widerspruch zu ihrem Leben
zu finden.
einen weiten Wäre
ten Heimatsstaates tritt, geben ihr ein solcher vorhanden gewesen, so
hätte er ihn sicher
Horizont. nicht mit Schweigen übergangen.
Wichtiger noch als ihr wissenschaftlicher
aber
Charakter ist nach der eignen Meinung der Schule ihr
Leben. Die Meinungen darüber sind
Erfolg für das
om -
M m
7. Kapitel.
geteilt. Es giebt Geschichtsschreiber, wie Th.
grossmäuligen und lang- Die Staats- und Bechtslehre der Stoa
sen, der die Stoiker, „die und ihre
Ge- praktischen Folgen.
weiligen Pharisäer", ihre Lehren „terminologisches
einen
klapper und hohle Begriffe"'^), Cato von Utica Die Staats- und Eechtslehre der Stoa
ist aus den-
Narren und politischen Don Quixote 3) nennt, andere, wie selben Grundsätzen, wie ihre Ethik,
Worte aus- erwachsen.
Montesquieu, der über sie in folgende Wie die Sprache, so glaubten die Stoiker auch
bricht^): „Es scheint, dass diemenschliche
Natur sich die
Gesellschaft von Xatur entstanden, sie
bewunderns- war ilmen neben
angestrengt habe um aus sich
,
selbst jene
der Vernunft als dem ersten das zweite
gleicht, Geschenk des
werte Secte zu erzeugen, die den Pflanzen höchsten Gottes, durch das er die schwache
Erde an den vom Himmel nie gesehenen Menschheit
welche von der kräftigen wollte.-^)
Orten hervorgebracht werden". Der Wahrheit
kommt
Durch diesen Ursprung hatte die Gesellschaft,
wie
jedenfalls Montesquieu näher als Mommsen. das Recht und die Sittlichkeit bei
ihnen eine höhere
Dass es unwürdige Anhänger der Schule gab, wissen
,
vere est militare), ist namentlich von hier (der Stoa) in die Vor- ') Vergl. Zeller III 1^, s. 683, Anm. 2. Auch Th. Ziegler
stellung der Menschheit eingegangen." a. a. 0., S. 214. ^) Z. B. Hist., IV, 5.
*'
'
Ahnen geboren: wie er auch sein mag, er berge sich im Schatten der Ideal. Vergl. K. Hildenbrand, Geschichte und System der Rechts-
Sonne beleuchtet und Staatsphilosophie,
Seinen. Wie hässHche Orte durch den Reflex der I, Leipzig, 1860, S. 536 und 589.
werden, so mögen die Untüchtigen im Lichte ihrer Vorfahren er- *) Vergl. VV. Oncken, die Staatslehre des Aristoteles, I,
Leipzig, 1870, S. 231. ^) S. oben S. 56.
glänzen." ') I, 11.
166 Staats- und Rechtslehre, Die Philosophie des Strafrechts. 167
sondern damit nicht gefehlt werde, in den Gesetzen aber auf die antiken Philosophen.^) Seine Ideen wurden fort-
die Strafe als Heilmittel betrachtet wissen wollte.^) Das gebildet von Thomasius, Montesquieu und Beccaria. In
letzte lehrt auch die Stoa, und zwar hat nach ihr die allen diesen leben neben andern Gedankenreihen plato-
Strafe — was genau mit Piatos Thesen übereinstimmt nische und stoische Elemente fort und haben schliesslich
— drei Aufgaben den Verbrecher zur Reue zu bringen,
: 1. den grossen Fortschritt, der sich im 18. Jahrhundert
2. die übrigen Bürger durch Abschreckung zu bessern, im Strafrecht vollzieht, die Vermenschlichung der Strafen,
3. durch Beseitigung der Unverbesserlichen die andern bewirken helfen.
zu sichern.2) Den Zweck erreichen am besten die
ersten Am
tiefsten aber ging der Einfiuss der stoischen
milden Strafen. immer noch etwas
Der Bestrafte muss ßechtslehre in der Gestaltung des römischen Privat-
zu verlieren haben; denn, wer nichts zu verlieren hat, rechts, wie sie sich in der römischen Kaiserzeit voll-
lebt ohne Bedacht. [Für den zweiten Zweck müssen die zogen hat. Im letzten Jahrhundert der Eepublik gab
Strafen selten sein. Eine Strafe, die sehr häufig ist. wird es in Eom verschiedene Tendenzen in der Hechtsent-
eben dadurch weniger entehrend. Und auch die ärgste wicklung, die dem alten jusstrictum entgegenwirkten:
Grausamkeit stumpft sich durch Häufigkeit ab. Claudius Erstens das jus gentium, d. h. das internationale
Hess die auf Elternmord gesetzte Strafe innerhalb fünf Handelsrecht,-) das sich im Verkehre mit Nichtbürgern
Jahren öfter vollstrecken, als sie in der ganzen Ver- herausgebildet hatte und das eigentlich römische Besitz-
gangenheit vollstreckt worden war.^) Dennoch stand es recht sich zu assimilieren strebte. Zweitens die aequitas,
unter ihm mit der Elternliebe schlechter als jemals.^) d. h. das Streben der praktischen Juristen, der Prätoren,
Alle diese Gedanken wurden im Altertume wenig das formale Recht mit höherem, materialem Rechtsbewusst-
wirksam, da das allmählich die ganze Welt beherr- sein in Einklang zu bringen.^) Drittens das Naturrecht,
schende römische Eecht in seinen strafrechtlichen Teilen jus naturale, keineswegs ein Eecht des Stärkeren,
d. h.
sehr wenig entwickelt war und die Juristen mehr dem wie man wenn man „Natur" bloss
es auffassen könnte,
Privatrecht ihre Aufmerksamkeit zuwandten. Sehr als das Primitive, Tierische versteht, sondern ein Eecht,
\) Vergl. Hildenbrand, a. a. 0. S. 215. -) Vergl. Hildenbrand, a. a. 0., S. 612. Jus gentium heisst bei
-) Vergl. Seneca, de dementia I, K. 22 f. Auch de ira I, 19, 7. den Römern keineswegs „Völkerrecht% wofür der entsprechende Aus-
^) Sie bestand darin, dass der Verbrecher, lebendig in einen druck etwa jus fetiale wäre. Diese Bedeutung nimmt es erst im 16.
Sack eingenäht, in den Tiber geworfen wurde. Jahrhundert an, z. B. bei H. Grotius. ^) Hildenbrand, a. a. 0., S. 622 f.
*) Seneca, de dementia, I, K. 23. ') Marc Aurel IV, 23. ^) Marc Aurel III, 11.
168 Staats- und Rechtslehre. Das Recht der Frauen und der Sklaven.
169
herrschen, die Schranken des Standes, des Creschlechts, Noch bedeutsamer als diese Wandlung im Erbrecht
der Nationalität aufheben. Ja, sogar auf alles Lebende war die zweite allmähliche Gleichstellung, die sich
soll es sich nach einer besonders kühnen Definition be- durchsetzte, die der Fr au en
mit den Männern in Bezug
ziehen und die Tiere mit einschliessen.i) Es ist also ein auf Rechtsfähigkeit. Nach dem alten Rechte war keine
idealesRecht der allgemeinen Grleichheit und darum der Frau rechtsfähig, sondern entweder in der Gewalt ihres
allgemeinen Freiheit. Es ist zuerst von der Stoa be- Mannes, oder, wenn unverheiratet, ihres Vormundes.
wusst definiert worden,^) wenn es auch als unausge- Augustus machte den Anfang zur Besserung, indem er
sprochenes Gefühl schon dem jus gentium und der die Witwen, die mehrere Kinder hatten, von der Vor-
aequitas zu Grunde lag. Es wurde von den römischen mundschaft befreite.!) Diese wurde nun immer mehr
Juristen, die die Systematik des Rechts schufen, beson- eingeschränkt, bis Theodosius sie ganz aufhob.'
ders von G a i u s ,3) U 1 p i a n*) und mit sehr bewusster Am einschneidendsten in das antike Leben war die
Anlehnung an stoische Dogmen von M a r c i a n^) als dritte grosse Eechtsveränderung der Kaiserzeit, die
idealer Massstab angenommen und hat die im jus gentium allmähliche Anerkennung des S k 1 a v e n als rechtsfähigen
und in der aequitas liegende Richtung sehr verstärkt. Menschen.
Besonders auf drei Gebieten vollzog sich in der Für das
jus strictum ist der Sklave nichts weiter
römischen Kaiserzeit unter dem Einflüsse des Natur- als eininstrumentum vocale, wie das Zugvieh ein in-
rechts der Fortschritt von der Ungleichheit zur Gleich- strumentum semivocale. Aber schon Nero gab Polizei-
heit. Erstens im Erbrecht. Das jus strictum machte gesetze, die der Unmenschlichkeit der
Herren Schranken
einen scharfen Unterschied zwischen a g n a t i und c o g- setzten.2)Hadrian setzte auf Ermordung eines Sklaven
nati, d.h. zwischen Nachkommen in männlicher und durch den Herrn Strafe, Antoninus Pius gab dem ge-
solchen in weiblicher Linie. Die letzteren waren allerlei misshandelten Sklaven das Recht der Flucht zu den
Beschränkungen der Erbfähigkeit unterworfen, die im Altären der Götter oder den Statuen der Kaiser, die
Laufe der Kaiserzeit aufhörten, sodass sie schliesslich zur Folge hatte, dass er an einen anderen Herrn ver-
dasselbe Erbrecht wie die agnati hatten.'*) kauft werden musste.^) Marc Aurel, der stoische Kaiser,
verbot alle Gladiatorenkämpfe, also auch die Benutzung
*) Seneca, de dementia I, 18,2: commune jus animantium, von Sklaven zu solchen.^) Im 3. Jahrhundert n. Chr.
2) Es ist, jedenfalls aus stoischen Quellen, schon bei Cicero voll- wurde verboten , die Sklavenfamilie durch Verkauf zu
kommen bewusst dem geltenden Rechte entgegengesetzt. Vergl.
Hildenbrand, S. 566 ff. der Agnation eine Redeutung für das Intestaterbrecht gegeben.
Durch
Gaius definiert es als jus, quod naturalis ratio inter omnes
^) die kaiserliche Gesetzgebung langsam voranschreitend, das Gog-
ist,
homines constituit. Vergl. Hildenbrand, S. 607. nationsprinzip immer massgebender entfaltet worden S. 411:
^) Ulpian nimmt sogar, wie nach der oben citierten Stelle Justinian setzte cognatische Geschwister nebst ihren Kindern den
Seneca, diejenige Definition an, die die Tiere einschliesst. Vergl. agnatischen gleich.
Hildenbrand, S. 606. *) Vergl. P. Gide, Etüde sur la condition priv6e de la femme,
5) Vergl. M. Lehre
Voigt, die vom jus naturale, aequum et Paris, 1867, S. 157 ff.
bonum und jus gentium der Römer, I, Leipzig, 1856, S. 275 ff. 2) Vergl. H. Wallon, histoire de l'esclavage dans Tantiquitö,
ß) Vergl. R. Sohm, Institutionen des römischen Rechts, 4. Aufl., 2. 6d. III, Paris, 1877, S. 56.
1889, S.410: „Bereits das prätorische Edikt hatte der Cognation neben 3) Wallon a. a. 0., S. 57. *) Winckler (s. S. 28), S. 35.
170 Staats- und Rechtslehre. Das Recht der Kinder. 171
seits die Gresetzgebnng auf Anerkennung der Rechte aber wird sie die Formel, in der man die Forderungen
aller Menschen als der Kinder Gottes zu lenken suchte, des Einzelnen an die Gesamtheit geltend machte, unter
so hat es keine neue Bewegung eingeleitet, sondern eine der sich in der Wissenschaft wie im Leben der Libera-
längst bestehende in seinem Geiste fortgesetzt. Die Stoa lismus durchgesetzt hat. Dies berechtigte Ideal des
war es, die zuerst, wie in der Ethik für die Würde, Liberalismus, die möglichste Selbständigkeit des sittlich
so im Rechte für den Wert des Menschen ihre Stimme reifen, mündigen Menschen, kraftvolle Entfaltung des
erhob. nicht bloss der Erwachsenen, auch der Un-
Und Individuums, die keineswegs Individualismus zu sein
mündigen, der neugeborenen Kinder hat die Stoa sich braucht, im Vergleich zum Mittelalter immer mehr
ist
zuerst angenommen. Seneca zwar findet es nützlich Thatsache geworden und wird, falls unsere Kultur be-
und vernünftig, Missgeburten und schwächliche Kinder stehen bleibt, auf immer weiteren Gebieten durchdringen.
zu töten *), schweigt aber über die Aussetzung, die viel Zu den mannigfaltigen Wurzeln dieses Eechtszustandes
härter war, da sie die Kinder in furchtbare Gefahren gehört auch die stoische Schätzung des Menschen.
brachte. Denn man machte sich ein Geschäft daraus,
Findelkinder aufzulesen und zum Gladiatorengewerbe
oder zur Prostitution aufzuziehen, oder man verstüm-
melte sie aufs grausamste, um sie zur Bettelei zu miss-
brauchen. ^) Seinen Grundsätzen gemäss verwirft Seneca
diese ganz allgemeine Sitte wohl stillschweigend, aus-
und das ()ffentliche Leben scheuende Menge (delieata et Stoikern als unsterblich. Sogar auf die Terminologie
i).
umbratica turba), die bei ihrem Mahle philosophiere erstreckt sich die Opposition es scheint, als
hätten die
;
Epiktet tadelt die Epikureer sehr hart. Er hält ihnen Stoiker absichtlich den Kunstausdrücken der
Epikureer
vor, dass sie durch ihren Rat, die Kinder nicht aufzu- einen anderen Sinn, als diese, gegeben.^) Z. B.
n^oXr^ipig
ziehen, sondern auszusetzen den Menschen unter das un- ist bei Epikur, der diesen Terminus aufbrachte,^) 'ebenso
vernünftige Tier herabsetzen, dass sie G-erechtigkeit wie ävvoLa, die
schematische, einen Begriff vertretende
und Ehrfurcht vernichten, nur Vorsicht bei Verbrechen Vorstellung, bei den Stoikern aber, später
wenigstens,
empfehlen und dadurch das Leben und Gedeihen der der Begriff, der wissenschaftlich bearbeitet ist,
wie oben
Staaten untergraben,^) dass sie besonders durch ihre (S. 73) erwiesen; 86^a bedeutet bei den
Epikureern
Lehre von der Gleichgiltigkeit der Götter gegen alles eine Vorstellung, die auch wahr sein kann,
schrieb —
Menschliche alle Keime des Edlen aus den Seelen der doch Epikur xuotca öö^ai^-) —
bei den Stoikern nur einen
Jünglinge ausrotten.^) Freilich erkennt er an, dass vieler Wahn, Epikureer sprechen von alaö-riaig dvrLh]nTim],^)
die
Epikureer Leben besser ist als ihre Lehren,^) aber im die Stoiker hingegen von cpavracria xaraXijnTLyiTj,
obgleich
allgemeinen sind sie ihm doch hoffnungslos „stumpf- sie wohl beide dasselbe meinen.
sinnig und verblendet in Bezug auf die wahren Übel des Auch in der Philosophie leider, wie in der Religion,
Lebens ".5) giebt es Parteileidenschaft, sogar bei denjenigen
Denkern,
In der That, auch abgesehen von der Ethik, in der die alle Leidenschaft verwerfen.
ja die Gegensätze am lebhaftesten empfunden werden,
selbst in den theoretischen Fragen vertraten die Stoiker
immer das gerade Gegenteil dessen, was die Epikureer
lehrten. Die Gottheit ist bei diesen ausserhalb der Welt,
jedenfalls ausserhalb der den Menschen wahrnehmbaren,
bei der Stoa der Welt immanent. Die Epikureer nehmen
Atome an, die Stoiker die vier Elemente, dort ist die
Welt nach Raum, Zeit und Menge ihrer Teile unbegrenzt,
l)ei den Stoikern begrenzt,'"') dort herrscht in der Welt
fang der Menschheit."^) Epikurs Schule nicht. Bei den ') Die Schule Epikurs scheint mir
früher begründet, als die
Zenos; nach der Überlieferung nur sechs Jahre etwa vorher,
Epikureern gilt die Seele als sterblich, bei den meisten aber
Epikur war ausserdem ein frühreifer Geist, Vergl. Zeller III, 1^,
M De benef IV, 2. -') I, 23. II, 20, 25 ff. IIT, 7, 11 ff. S. 364. Anm. 2. Also, obgleich mit Zeno gleichaltrig (beide sind
^) II, 20, 34. *) III, 7, 18. ^) II, 20, 37. 341 V. Chr. geboren), war er wohl früher fertig.
^) Vergl. Plutarch, de stoic. repugn., K. 9 G. ') Vergl. Zeller, III, l\ S. 389. ^) Zeller III 1^, S. 367,
'j Vergl. Schmekel, S. 453. Anders Panaetius S. 337. Anm. 6. *) Sextus Empiricus, Adf. Math. VII, 9.
Die Einzelwissenschaften in der
Stoa. 177
der Spartaner ^1) desgleichen eine
solche von Sphaerus
vom Bosporus erwähnt wird,-) so werden
auch andere
der weniger bedeutenden Mitglieder
der Schule sich mit
geschichtlichen Fragen beschäftigt haben.
In der mittleren Stoa erreichte
die Pflege der
Wissenschaft ihren Höhepunkt. Panaetius war nicht
bloss Astronom, indem er eine neue Theorie der
Kometen
V. Teil. gab,3) und Geograph, sondern auch
Historiker, und zwar
nicht nur für die Geschichte der Philosophie,
zu der er
Das Verhältnis der Stoa zur positiven ausser anderen Werken ein sehr wichtiges
über Sokrates
Wissenschaft. und seine Schule beitrug,^) sondern auch für
die Kultur-
geschichte, zumal die Geschichte der
Religion.^) Posi-
Man sollte erwarten, eine Schule, die von den donius war ein sehr vielseitiger Forscher. In
der Astro-
Kynikern ausging, hätte sich deren Verachtung des rein nomie, in der
mathematischen und physikalischen Geo-
theoretischen Wissens zu eigen machen müssen. In
i) graphie war er voll ursprünglicher eigener
Gedanken
der That finden wir gelegentliche geringschätzige Ur- und Methoden, kraft deren er z. B. den
ersten Versuch
teile über den Wert der reinen Theorie, wie wir oben machte, die Länge des Erdmeridians zu
berechnen.''>
S. 149 gesehen haben. Doch haben dieselben auf das Ferner schrieb er eine Weltgeschichte vom
Untergange
faktische Verhältnis der Schule zur positiven Wissen- der griechischen Freiheit bis zur Diktatur
Sullas (llb
schaft keinen ungünstigen Einiiuss ausgeübt. bis 82 vor Chr.) ^)
Auf zweifache Weise vielmehr ist dasselbe ein In der römischen Stoa hielt Seneca die
wissenschaft-
sehr inniges gewesen.Philosophen der Schule
Viele lichen Überlieferungen der Schule aufrecht. Zwar ge-
waren zugleich in einer Einzelwissenschaft thätig, oder schichtliche Studien hat er, wie es
scheint, gar nicht
wissenschaftliche Forscher fühlten sich zur Weltan- getrieben, aber in der Naturwissenschaft
hat er durch
schauung der Stoa hingezogen, auch dies letzte ein — viele, nichtauf uns gekommene Schriften und durch
die
Beweis, dass das ganze System des wissenschaftlichen uns erhaltenen naturales quaestiones wenn
nicht neues ,
man nach der Auffassung der Stoiker zu den logischen rechnen. 3) Schmekel, S. 230, *) Schmekel, S. 236. '^) Schmekel, S. 237 ff.
Immerhin gehören von den Titeln bei Baguet (Sammlung der Frag- «) Schmekel, S. 285. ») Schmekel, S. 289.
angestellt. Er rühmt zwar seine Erfahrungen, die er Beides, das Fehlen genauer Methoden und
die Ein-
sorgfältiger Winzer über die Feuchtigkeitsgrenze mischung religiösen Glaubens, sind IMängel seiner
als'' Xatur-
des Erdbodens gemacht habe,^) spricht aber bald darauf betrachtung. Ein Vorzug aber, der Seneca auszeichnet,
Beweis,
von der „ewigen Tvälte^ unter der Erde.') ein ist wiederholt hervorbrechende B e w u n d e r u n o^
die
Zwecke der Untersuchung der Tempe- der SclK'hiheit und Erha1)enheit der Xatur
dass er nie zum besonders .
etwas tiefer gegraben hat. Und wie sehr er auch des nächtlichen Himmels ^^). Dies Gefühl
ratur bleibt auch ])ei
drohenden
über den Volksaberglauben spottet, der den Epi];tet=^) und bei M. Aurel^). die im übrigen für die
die 12
Hagel durch Opfer abzuwenden hofft, und über eigentliche Wissenscliaft der Xatur keinen besonderen
Feldfrüchte
Tafeln, die Leute bestrafen, weil sie anderer Sinn zeigen.
er selbst ist dem
durch Zaubersprüche behext hätten.^) Nicht minder nahe als die Stoa zur Wissenschaft
unterworfen, den die r(*)mische Priester-
Aberglauben stellte sich diese zur Stoa. Wenn wir die Vertreter
über die der E i n z e 1 w i s s e n schatten überblicken,
schaft und nicht minder die stoische Schule so finden
Vorzeichen in ein testes System gebracht wir verhältnismässig viele, die in ihrer
Bedeutung der Weltanschauung
Einteilungen der Blitzvorzeichen, die Caecinna der Stoa
hatte. Die sich anschlössen. Von den Mathematikern
berichtet war der
nach der Lehre der etruskischen Priester giebt. l)erühmte Euklides aus Alexandria Stoiker.
ernsthaft wie die des Stoikers Attalus.") Die Grundsätze der
er ebenso Geometrie nannte er notiones
die über-
Seneca glaubt an Naturgesetze (jura naturae), communes (yioival twoiai)^). Der Astronom Aratus'=).
der
all, unter der Erde ebenso wie
über der Erde gelten.') Astronom und (Geograph Eratosthenes^) bekannten
sich
er o'laubt, wie ganze Stoa. an die unabänderliche
die ebenfalls zur Stoa. Desgleichen von den berühmten
Notwendigkeit des Schicksals, aber zugleich möchte
er Ärzten A. Cornelius Celsus. der im ersten Jahrhundert
Fähigkeit ein drohendes
den religiösen Gelübden die V. rhr. lebte 8j. von den grossen
Grammatikern sowohl
Übel abzuwenden nicht absprechen. Darum
nimmt er Aristarch aus Alexandria als K rates von ]\rallos ^
von ).
1) Vergl. Joh. Muller. Über die Originalität der Xat. Quaest. ^) Vergl. S. Günther,
Abriss der Geschichte der Mathematik
aus Innsbruck an die 42. deutsche Philologen- und der Naturwissenschaften im Altertum, Anhang zu W.
Senecas (Fe^'stgruss Windel-
und de prov. I, 4. band, Geschichte der alten Philosophie, 2. Aufl., München,
ver>ammlung). Innsbruck, 1893, S. 19 f.
1894, S.252.
-) Nat. Quaest. V, 6 und 12. ^) Nat. Quaest. 111. 7.
«) Überweg-Heinze, Grundriss der Geschichte der Philo-
') Xat, Quaest. III. '•». '^) Nat. Quaest. IV, 6 und 7. «) NaU sophie. I, ^ S. 261.
Schule des Aristoteles kann in Bezug auf die Verbindung Der Einfluss der Stoa ist nicht
auf das Altertum
mit der Wissenschaft der Stoa sich vergleichen, wenn beschränkt. gehört zu denjenigen Elementen der
Sie
auch nicht gleichstellen. Auch dies vielleicht ist eine antiken Kultur, die über das Ende derselben hinaus
Folge des Ernstes und der Energie der stoischen Ethik. gewirkt haben, und zwar nicht bloss durch ihre Rechts-
lehre, diewir in dieser Hinsicht schon verfolgt haben,
sondern auch durch andere Teile ihres Systems.
Zunächst hat sie wichtige Stücke zur christlichen
Lehre beigetragen. Der Gregensatz zwischen Geist
und Fleisch, den die Stoa in aller Schärfe vertritt,
ist in das System des Paulus übergegangen, der, wie
sein Citat aus Kleanthes oder Aratus (Acta Apost. 17,28)
beweist, stoische Schriften gelesen hatte i). Der stoische
Glaube an die Unsterblichkeit, der allerdings
sehr pantheistisch gefärbt ist, hat Paulus mindestens
wankend gemacht, so dass er die jüdische Vorstellung
der Auferstehung nicht mehr rein durchführt. Der
K s m p 1 i t i s mus ,
den Paulus im Gegensatze zu
Petrus vertrat, ist wohl aus derselben Quelle verstärkt
worden-). Die Lehre von der allwaltenden Weltver-
nunft, dem Logos, der gleich Gott ist, ist durch
Philos Vermittluii*^: in das vierte Evan;^elium gelangt \). Durch die Renaissance erwachte neben Plato auch
Und noch manchen Zug der urchristlichen Lehre könnte die Stoa zu neuem Leben. Insbesondere war es zuerst
man wohl auf die Stoa zurückführen; doch darf man Cicero, durch den man die stoischen Lehren kennen
andererseits die anderen Quellen dieses Glaubens nicht lernte. Durch ihn leben sie neben epikureischen in
vergessen-). Laurentius Valla auf ^). Energischer aber aus ,
stark hervortritt, dann wieder durch Clemens von Ale- scher Weise gelehrt und begründet; stoisch ist auch
xandria und andre bis zu Origines fortgepÜanzt wird, die Immanenz aller Geschöpfe in Gott, die er lehrt,
um schliesslich, mit anderen Gedankenrichtungen ver- sein Determinismus und sein religiöser Universalismus,
bunden, in Augustins System zu enden. Kein Wunder da- der ihn in allen Religionen Spuren der Offenbarung
her, dass noch zu Justinians Zeiten ein Kleriker es ünden lässt. Auch Calvin noch studierte Senecas
wagen durfte mit sehr geringen äusserlichen Abänder-
.
Schriften^).
Ausnahme des Aristotelischen die stoische Philosophie Inhalte nach für angeboren. Die wichtigsten davon
vergessen.
Epiktets wörth'ch beibehalten worden und arge Widersprüche gegen
^) Vergl. M. Heinze, die Lehre vom Logos, S. 255 u. S. 330.
die christliche Lehre, wie z. B. dass das Naturgemässe. gut sei, sind
') Wincliler fuhrt auch den ethischen Rigorismus des Jalcobus-
ohne Änderung stehen geblieben. Nur hier und da ist ein Satz weg-
briefes : „So jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der
gelassen oder ein neuer hinzugesetzt. Der heilige Nilus, ein Ana-
ist es ganz schuldig", auf die Stoa zurück. Doch scheint es mir, dass
choret des 6. Jahrhunderts, hat ebenfalls eine christliche Paraphrase
er aus der jüdischen Gesetzeslehre kommen könne. Über Philo
Schweighäuser im 5. Bande abgedruckt
veranstaltet, die gleichfalls bei
vergl. auch P. Wendland, Philo und die kynisch-stoische Diatribe,
i ist,aber fast nichts geändert, nur z. B. rein äusserlich statt Sokrates
in P. Wendland und 0. Kern, Beiträge zur Geschichte der griechi-
Paulus gesetzt, dagegen das ransivov im tadelnden Sinne stehen
schen Philosophie und Religion, Berhn, 1895, wo besonders bewiesen
lassen.
wird, wie sehr zu Phüos Zeit die stoischen Gedanken Gemeingut der
Gebildeten waren.
^) Vergl. W. Dilthey, das natürliche System der Geisteswissen-
des Handbuchs Epiktets'" schaften im 17. Jahrhundert, 11, im Archiv für Geschichte der Philo-
^) Diese „christliche Paraphrase ist
sophie, VI (1893), S. 117
von Schweighäuser im 5. Bande seiner Epikteteae Philosophiae f.
waren ihm die Ideen der natürlichen Religion: (xott, auch das der Stoiker. Die allgemeine Zweckmässig-
Unsterblichkeit, Vergeltung nach dem Tode. Sie em- keit der Welt und die Ohnmacht des Bösen ruht bei
pfingen Wahrheitsbeweis abgesehen von ihrer
ihren ihm auf logischen und metaphysischen Gründen, aber er
intuitiven Gewissheit auch vom consensus universalis zitiert auch gern die allgemeine Ansicht der Stoiker,
wie bei den Stoikern. Und wenn er es für gottlos hält, dass es ein physisches Übel nicht gebe: „Wie des Ver-
die Natur verdorben und schlecht zu nennen^), so er- fehlens wegen kein Ziel aufgestellt wird, so entsteht
klingt auch darin die Stoa wieder. auch kein von Natur Übles in der Welt" i). Und unter
Der grosse Begründer der wissenschaftlichen Philo- den einzelnen Gründen für die Vollkommenheit der
sophie, Descartes, ist ebenfalls in wichtigen Lehren Welt und die Güte Gottes kehrt auch derjenige wieder,
Schüler der Stoa. Erstens ist ihm das Urteil, wie in der bei den Stoikern öfter angeführt wird: „Ein ge-
der Stoa. ein Willensakt. Denn es gehört dazu die Zu- wisses besonderes Übel kann sehr wohl mit dem. was
stimmung zu einer sinnlichen Wahrnehmung oder einem für das Allgemeine das beste ist, verknüpft sein"-).
darauf gegründeten Gedanken, die man geben oder ver- Oder „die scheinbaren ünschönheiten unserer kleinen
weigern kann-). Zweitens stellt er in seiner Ethik als AVelton vereinigen sich in der grossen zu Schönheiten,
Ursache vieles schlechten Begehrens, wie Epiktet, den und enthalten nichts, was der Einheit eines allgemeinen,
Irrtum fest, der die in unserer Gewalt befindlichen unendlich vollkommenen Prinzips zuwider wäre"^).
Dinge mit denen, die nicht in unserer Gewalt sind, ver- Der Kritizismus Kants ist in der Erkentnistheorie
wechselt^). Die Lehre von der Zustimmung als über die Stoiker so weit hinausgegangen, dass es hierin
Voraussetzung des Urteils setzt sich l)ei Spinoza fort. keine Beziehung mehr zu ihnen giebt. In seiner Ethik
In Spinozas „Ethik" klingt mancher Satz der Stoa aber erinnert sich Kant öfter der Stoiker er ist durch .
geradezu entgegengesetzt. So der folgende: „Weil alles siewohl in seiner Anschauung bestärkt worden. So
das .dessen bewirkende Ursache der Mensch ist not- , rühmt er an ihnen, dass sie ihr allgemeines moralisches
wendig gut ist so kann ihm Übles nur v o n
, Prinzip „von der Würde der menschlichen Natur, der
äusseren Ursachen begegnen"*). Dies letzte Freiheit (als Unabhängigkeit von der Macht der Neig-
aber schon die Fortsetzung mildert den
ist unstoisch,
Gegensatz: „nämlich soweit er ein Teil der gesamten
^) Leibniz, Th^odicee, § 378, citiert aus Epiktet, Ench.
K. 27.
Natur ist, deren Gesetzen die menschliche Natur zu Epiktet sagt yiay^ov cpvaLg und meint damit eine zweite, schlechte
gehorchen, der auf fast unendlich viele Weisen sich an- Natur neben der guten. Dem Sinne nach kommt es darauf hinaus,
zupassen sie gezwungen wird." dass er die schlechte Weltseele, die manche neben der guten an-
Leibniz suchte in seiner Weltanschauung aus nehmen, leugnet.
allen Svstemen, die sich der Wahrheit nähern, die 2) Theodicee § 145. Vergl. oben S. 51.
1
i
186 Nachwirkung der Stoa. Bei Kant und bei Ficlite. 187
ungen) hernahmen-^ ^). ^Ein besseres und edleres konn- keimfähige Vernunft in den verschiedensten Greistern
ten sie auch nicht zum Grunde legen. Die moralischen aufgeht und Frucht bringt. Wie in der physischen
Gesetze schöpften sie nun unmittelbar aus der auf solche Welt, so giebt es auch in der geistigen ein Gesetz der
Art allein gesetzgebenden und durch sie schlechthin ge- Erhaltung der Energie. Darum war die Kraft des
bietenden Vernunft"^. Auch bei Kant ist ja die Freiheit Willens und des Denkens der Stoa mit ihrem äusser-
die Vorbedingung des sittlichen Handelns; freilich ist lichen Aufhören nicht erloschen, sondern half noch der
diese sittliche Freiheit bei ihm nicht naturgemäss^ neueren europäischen Xachwelt die Probleme des Denkens
sondern erst nach Überwindung derjenigen natürlichen und des Lebens befriedigender als vorher lösen. Und
Regungen, die böse sind, nämlich der egoistischen er- die ganze Nachwelt muss ihnen dankbar sein.
reichbar-). Er rühmt ferner an den Stoikern, dass sie
das Übel und das Böse, also das physische und das
moralische Übel streng schieden^). Er erkennt auch den
hohen AYert ihres Wahlspruchs: sustine et abstine (trage
und entsage) für die Übung in der Tugend^) an, und
widerspricht ihnen nur darin, dass sie Glückseligkeit
und Tugend für identisch halten^).
Kants Ethik setzt sich unter den deutschen Idea-
listen am meisten in Fichte fort. Darum finden wir
auch bei ihm noch eine starke Ader der ethischen Ge-
danken, die zuerst von der Stoa geprägt wurden. Wie
Kant in Anknüpfung an die Stoa die Konsequenz rühmt").
so ist diese auch bei Fichte ein wesentlicher Bestand-
teil Und auch der Satz: „Meine Welt
der Sittlichkeit.
ist Objekt und Sphäre meiner Pflichten und absolut
Bacon 75 f^ Cornelius Gelsus 179. Heraklides von Tarsus 141. Marc Aurel 25 u. passim.
Baguet 176. Gornutus 45. 162. Heraklit 24. 35. 36. Marcian 168.
Barth, P. 12. Heraklit der Stoiker 45. Megariker 136.
Beccaria 167. Darwin, Gh. 53. Herbart 71. Metronax 101.
Bentham 130. Demokrit, Demokriteer 11. 34. 154. Herbert von Gherbury 183. Meyer, E. 13.
\
190 Namenverzeichnis. Namenverzeichnis. 191
Mommsen, Th. 162. Prantl, C. 37. 59 ff. 75 83. Tacitus 147. 163. Winckler, H. A. 28. 162. 181.
Montesquieu 162. 165. Preller s. Ritter. Terenz 19. 182.
Müller, Joh. 178. Priscian 81. Tertullian 49. 84. 182. Windelband, W. 119.
Musonius 26. 126. 162. Pseudo-Augustinus 78. Thomasius 167. Wolff, Ghr. 52.
Pseudo-Plutarch 73. Trendelenburg 66. 74. 75. Wundt, W. 78. 87. 90. 92.
yilus 183. Publilius 25.
Cberweg-Heinze 179. 180. Xenokrates 30. 59.
Oncken. W. 165.
Pythagoras, Pythagoreer 11. 15.
Ulpian 168. Xenophon 128. 141. 159.
Orestano, Fr. 116. 34. 100.
Origenes 182. Tarro 82. Zeller, E. 16. 24. 25. 26. 32. 36.
Kehmke 42.
66.
Voigt, M. 168. 37. 72. 73. 74. 91. 114.
Panaetius 23 f. 36. 45. 46. 55. Richter, G. 25.
Vollmann, F. 170. 115. 118. 120. 122. 125. 126.
63. 66. 67. 68. 84. 99. 100. 101. Ritter et Preller 112.
133. 135. 136. 155. 158. 160.
112. 113. 114. 126. 128. 133. Rubin, S. 150.
Wachsmuth, C. 80. 163. 175. 177. 181.
137. 174. 177. Rutil ius Namatianus 29.
Wallon, H. 169. 170. Zeno 14. u. passim.
Paulus 118. 181. 182. 183.
Wendland, P. 182. Ziegler, Th. 95. 133. 163.
Pearson, A. C. 16. 22. 23. 30. Saussaye, de la, s. Ghantepie.
;
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II. Hobbes
Leben und Lehre.
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IV. Rousseau
und seine Philosophie
Von Prof. Dr. H. Höflfding in Kopenhagen.
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Stoa — III. Die Lehre. — IV. Das Verhältnis der Stoa zu anderen Schulen. V. Das —
Verhältnis der Stoa zur positiven Wissenschaft. -
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Professor an der üniverslt&t Erlangen.
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DarBtellnnirsweise darauf angelegt, dem LcBer einen wirkli(hen ästhetischen Qenosa zu be-
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Goethes Charakter.
Eine S e el e n s oh 11 d er u n g
von Robert Saitschick.
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tiebt das moderne Volkerleben heute mehr denn Je, und keiner kann sich mehr
der Em-
pfindung erwehren, dass alle modernen Nationen vor eine Entscheidung, eine Prüfung ge-
stellt sind, was sie al<s Nationen —
d. h. eben nach Ihrer Racen-Anlage, ihren Mischungs-
bestandteilen, dem Ergebnisse ihrer Raoenmischungen —
wert seien, inwieweit sie dunkel
geahnten, vielleicht mit Vernichtung drohenden Stürmen der Zukunft gewachsen sein werden.
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COLUMBIA UNIVERSITYUBRA^^^
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Printed
tn USA