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Theorie

b e r

schönen Künste

und

Wissenschaften

»SN

Friedrich Just Riedel.

Neue Auflage-

5 Wien und Jena

bey Christian Henrich Cuno

! 7 7 4.
Vorrede/ . '

Buch wurde vor acht Jahren,


^ASsH unter einer Menge anderer akade.
mischen Arbeiten, zusammenge»
" ^ schrieben. Ich sammelte für ei»
ne auserlesene Zahl von Zuhörern , unter welchen
sich seitdem schon verschiedene als gute Schriftstel
ler bekannt gemacht haben , aus den alten und
neuern Autoren die unentbehrlichsten Grundsätze der
schönen Künste und Wissenschaften, ordnete die.
selben, fügte einige eigene Bemerkungen hinzu,
und lies die Abhandlungen, welche hieraus
entstunden , abdrucken, mehr zum Gebrauche

A ! mei»
^ Vorrede. ^

meiner Lehrlinge, als zum Gebrauche für die

Welt.

Gleichwohl wurde das Buch auch von der


Welt/ für die ich es nicht bestimmt halte, mit
einem von mir unerwarteten Tcyfallc aufgenom»

men. Einige lobten es zu übermäßig, ohncZwei»


fel aus Freundschaft für den Verfaßer ; andere/
die bekantermaßen nichts weniger als meine

Freunde waren , schienen doch nicht ganz unzu>


frieden mit mir zu sepn ; und die unparteyischen
Richter, wofern es deren giebt, nahmen Anlaß,
mit mir über verschiedene Gegenstände der Acsthe,
tik zu Philosophiren. Auf diese Art betrachte ich

das, was Klotz, Lcßing und Earve in den


Hallischen Journalen, in den antiquarischen Brie
fen und in der neuen Bibliothek der schönen Wisi
senschaften von meinem Buche gesagt haben.

Ich war indcß unzufriedener mit mir selbst,


als die unzufriedensten Kunstrichter, und sähe den
Bevfall, welchen dieses Werk erhalten hatte,
bloß als eine Ermunterung an , dereinst ein best
sercs
Vorrede,

jeres zu schreiben. An cme neue Auflage des


gegenwärtigen hatte ich auch nicht im Traume ge»

dacht/ als mir solche unvermuthct gleichsam ab,


gedrungen wurde. Man bedrohte nämlich den
Verleger von verschiedenen Orten, das' Werk
nachzudrucken, wofern er nicht bald Exemplar

rien desselben herbeyschaffen würde. Der'ehüi»


che Mann hatte keine mehr; ich muste ihm also,

wollend oder nicht wollend, die Erlaubniß geben,

durch einen rechtmäßigen Abdruck einen, unrechb

mäßigen zu verhindern.

Diese neue Auflage ist weder vermehret,


noch durchgängig verbeßert. Auch wäre beydcs
unnöthig gewesen, indem ich seit mehrern Iah»
rcn beschäftigt bin, die Materialien zu einem grös

sern Werke zu sammeln, welches man theils als


einen Commentar , theils als eine Fortsetzung
dieses kleinern wird betrachten können. Das letz,
tere wird, wie ick glaube, auch in seiner unvoll»
kommenen Gestalt dem Endzwecke, zu w'lchem
es bestimmt ist, nicht ganz unangemeßen sevn:
A z junge
Vorrede.

junge Genies mit den schönen Wißenschasten be


kannter zu machen , sie aufzumuntern und ihrem
Geschmacke wenigstens die erste Richtung zu ge
ben. Ich widme diese neue Auflage meinem ver>
ehrten Freunde, dem Ritter von Gluck/ welcher

gegenwärtig in der Hauptstadt Frankreichs unse

re eifersüchtigen Nachbarcn zwinget , die Kunst


der Deutschen zu bewundern. Geschrieben zu

Wien im Monat April 1774.

I. Eil?»
Denkens, Endelns und Empfindens hat : das VOah,
re , das Gure , das Schöne.

Der letzte Probirsiein des Wahren ist der ^e«/«5


L«m»?»?tt,s / des Kitten das moralische Gefühl ; des
Schönen der Geschmack. Diese drey Fähigkeiten , oder
innere Sinne des Menschen sind Folgen aus den natür,
lichen Gesetzen zu handeln , welchen der Mensch, gleich
«ndern Substanzen, unterworfen ist.

Das innere Gefühl des Menschen , wodurch er,


ehne Vernunftschlüße , von der Wahrheit odec Falsch,
heit einer Sache unmittelbar überzeugt wird, ist der ^e«-

A4 Dtz
8 , Einleitung.
— ^ , „
Das! innere Gefühl des Menschen , wodurch er>
ohne Vernmmschlüße , die Sittlichkeit sciner eigenen und
ftemdcr Handlungen l'eurthcilcn fan , ist das moralijche
Gefühl ; die Wirksamkeit desselben in A!,icht auf unsere

Das innere Gefühl des Menschen , wodurch er,


ohne Vernunfrfchlüße , bloß durch das sinnliche Wohl
gefallen das Schöne da findet, wo es ist und solches von
dem Häßlichen, 'oder minder Schönen unterscheidet ,ist
der Geschmack.

Da man nun insgemein dm Inbearjf 'der denken«


den Kräfte den Geist, so wst dtn Jnbegrif der wollen.'
den Kräfte das Her; Zu nennen pflegt ; so ist di.- Ein.'
theilung der Philosoph« in folgende drey Aeste sehr be,
«reiflich d Philosophie des Geistes ; Philosophie
oes Herzens ; und Philosophie des Geschmacks. ^

Die Philosophie des Geschmacks hat! man ftit eini?


ger Zeit ?lesthecik genannt ; von den allgemeinen
Grundsätzen Derselben wird in,den folgenden A^andlun«
gen. geredet.
Von den schönen Künsten und Wisi
senschaften überhaupt.

lle unsere Begierden stimmen darinn überein,


daß ihnen eine gewisse, oft nur dunkele Idee
im Verstände entspricht, die uns das Objekt
der Begierde von einer solchen Seite zeiget , wo es mit
unfern Grundtrieben in irgend einer Verhältnis stehet.
Aber sie unterscheiden sich wieder dadurch, daß einige
auf die Erlangung des Objekts gerichtet sind, andere hin,
gegen nur das Vergnügen zum Zweck haben, welches aus
der bloßen Empfindung der Sache entstehet. Jene qe«
hen auf das Gute ; diese auf das Schöne. Der Bezirk
der Schönheit ist also weder so enge , als ihn der ösro
Aa?m umschreibet s, noch so weit, als ihn Herr
Moses 6 sich vorstellt. Das Gute muß von dem
. . Schö«

O In den Grundsätzen der Critik !. Th. S. 297. „ Das


,, Wort Schönheit ist , nach seiner ursprünglichen Bedenk
„ tun« nur Gegenständen des Gesichtes eigen. Gegens
„ stände von andern Sinnen können angenehm seyn ; aber
„ die Annehmlichkeit, die wir Schönheit nennen, kommt
nur sichtbaren Gegenständen zu. „ Nach der Ursprünge
lichen Bedeutung hat Home recht ; allein hier müsse«
wir die bequemsten Bedeutungen wählen und diejenigen,
welche die Worte wörtlich haben, nicht diejenigen, welche
sie haben sslten.
ö In den philosophischen Schriften, ll. Th. S. 70. Die
„ Schönheit ist die eigenmächtige Beherrscherin aller unses
„ rer Enivfindmigen , der Grund von allen unfern na«
,, ttNichen Trieben und der beseelende Geist, der die
„ speculmiye Erkenntnis der Wahrheit in Empfindungen
verwandelt und z« thäiiger Entschließung anfeuert. ,.
A 5 Zch
w Von den schönen Künsten

Schönen , der Trieb des Interesse von dem Triebe deS


Wohlgefallens sorgfältig unterschieden werden. Jener
will besitzen ; dieser ist mit dem bloßen Anschauen und
nut den angenehmen Bewegungen zufrieden , die die Ems
pfindung hervordringt. In den meisten Fällen würkm
sreylich beyde zugleich, und daher kömmt es, daß wir sie
insgemein mit einander verwirren. Allein die Bewegung
gen des Ergötzens und des Verlangens sind doch würck
lich nicht eins und werden nur deswegen für eins gehak
ten, weil sie schnell hinter einander erfolgen. Wenn
eine Schönheit mich vergnüget ; so ist es mir ncitür,
lich, daß ich wünsche, dieses Vergnügen noch weit. r zn
geniesscn, und wenn ich glaube, daß dieses ohne den
Besitz des Objekts nicht möglich sei), so entstehet als
dann aus dem bloßen Wohlgefallen auch ei» imereßirlcK
Verlangen. Nur unter zwo Bedingungen kan das
Wohl gefallen allein statt finden ; einmahl, wenn wir die
Erlangung des Objekts für unmöglich halten und dann,-
wei n wir uns immer an den Objekte vergnügen und eS
empfinden können , ohne es zu besitzen. Es wird wohl
keinem einfallen, einen Pallast, eine angenehme Ans?
ficht, den gestirnten Himmel für minder schön zu halten,
n>eU er diese Dinge »icke als eigen besitzt. Unterdessen
muß man gestehen , daß d« Bewegung heftiger und das
Vergnügen größer wird , wenn beyk>e Triebe zugleich
würken. Eine bloße Schilderung ergötzt weniger, als
eine Handlung, an welcher zugleich das Herz Anlheil
nimmt; wir werden wärmer und denken lebhafter,
wenn wir nicht nur anschauen , sondern auch besitzen
wollen.
Schön

Ich ka« mir nicht «inbttdm, daß die SchSnhn't der Grund
von Hunger und Durst scy ; sie i>st der Grund von den Trie«
ten des Wohlgefallens, nicht aber von den. Trieben deS
bloßen Interesse.
und Wissenschaften überhaupt. «

Schön ist also, was ohne intereßirte Abficht sinn?


lich gefallen und auch dann gefallen kan, wenn wir es
nicht besitzen; Häßlich, was auch dann misfällt, wenn
wir uns nicht vor dein Besitze desselben fürchten^ .«
, Unfer Verstand wird oft durch eine neue Aussicht
en'zückt , eine Kette von Ideen, woran er jetzt das.
lehre Glied geknüvfet, ergötzt ihn; dies ist ein geistig
ges Wohlgefallen.
Wir freuen uns , das zu besitzen , was wir ge,
wünscht haben. Dem Geizigen gefallen seine Thaler,
dem Verliebten feine Doris , dem Hoffartigcn seine Ti<
tel ; dies ist eil, imercßirtes VOohlgefaUeU
Hier ist die Rede von dem bloßen an sich unintereft
sirten sinnlichen Wohlgefallen und , um diefeS genauer
zu erklären, ist es nöchiq, den Quellen desselben weiter
nachzuspüren. Und wenn nur sie auch nicht finden , so
entdecken wir doch vielleicht auf dem Wege etwas am»
heres , was unsere Mühe belohnet. ,
So gut wir für das gestimmte BegehrungsVermö?
gen einen Gruudttieb zur Vollkommenheit annehmen
dürfen, um in diesen die letzten sonst unauflöslichen Wür.'
kungen unserer wollenden Kraft aufzulösen ; so gut sind
wir berechtiget ,, einen ähnlichen Gruudtrieb für die Em
pfindung des Schönen zu behaupten. Je mehr etwas
Mit diesem Triebe, dem ein dunkles Gefühl der Schön
heit zu Hülfe kömmt ^ übereinstimmet ; desto mehr g«
fällt es uns.
Wir müssen noch einen Schritt weiter gehen»
Alle körperliche Handlungen erfolgen nach beständige«
«nd wenigstens für uns unveränderlichen Gesetzen^
Die geistigen Würkungen müssen so gut dem Gebote
der Natur gehorchen > wie die Bewegungen , denen der
Nacuriehrer seine Unterftichungeu widmet« Die Psy.
choloi
K Von den schönen Künsten

choloqie beschäftig« sich mit Geistern . wie die Physik


Mit Körpern und folglich ist es eine große Pflicht des
Weltweisen, die Grundsätze aufzusuchen, nach welchen
die geistigen Handlungen «folgen.
Niemand wird dasjenige im Ernste verabscheuen,
was er selbst unter allen Bedingungen für gut hält und
dasjenige begehren, was er unter allen Bedingungen
für böfe hält.
Niemand wird dasjenige im Ernste leugnen, was
er nicht anders als wahr gedenken kan , oder dasjenige
bejahen , was er nicht anders als falsch gedenken kan.
Niemand wird dasjenige haßlich nennen , was ihm
würklich unter allen Bedingungen gefällt, oder daeje«
«ige schön, was ihm würklich misfällr.
Wir müssen annehmen, daß sich die nochwendigen
Würkungen der Seele Key allen Menschen aus eme ahn,
liche Art «et halten und dicö giebt uns Grund orey
HauptGesetzc der . geistigen Würkungen anzunehmen :
I. Was jedermann begehren mus , ist gut und W«H
jedermann verabscheuen mus, ist böse.
II. Was jedermann als wahr denken mus, ist wahr
und was jedermann als falsch denken mus, ist
falsch.
III) VOas allen gefallen mus, ist schön und
was allen mißfallen mus , ist hatzllch.
Hier stoße ich auf die berühmte Grundregel iongins, de?
ren sich schon Boileau wider den Huerius u,,d ClericuS
bedienet. Dasjenige , sagt longin , c ist würklich schön
und

^«5
und Wissenschaften überhaupt.

und erhaben, was allen immer gefällt. Denn wenn


,^eute , die im Charakter , in der tebensart , in den
Känntnissen und im Alter verschieden sind, alle einerley
Rührung von einer Sache empfinden ; so giebt die Ver?
schiedenhcit der Menschen und die Achnlichkeit ihrer Ur-
theile eine desto größere Gewisheit , daß diejenigen
Dinge wörtlich gros und erhaben sind/ die von allen
gewundert werden. Dübos lehret , ^/ die Stimme oeS
Publicums scy die Richterin der schönen Produkte;
dies ist eine unmittelbare Holge aus obiger Grund?
regel.
Und folglich gründet sich der Trieb des Wohlge,
sallens auf die allgemeinen Gesetze unserer Empfindung.

Hier ist der schicklichste Ort, eine Frage zu berüh«


ren , d>e vor einigen Jahren von verschiedenen verschieb
dentlich beantwortet wurde, e Ist die Schönheit eine
innere Eigenschaft der Dinge, die wir schön nennen, und
kömmt sie den Gegenständen schon für sich betrachtet zu,
wie

>^«k vo<? «1?S ö/«choLK>v STs'iT'^Fsu^st'T'eov , A«v , Ax<i,v,


yX<««K>v, /.e>v«v 5V i°« x«^' vscui-sv «^>« 7r5j>t i»k>v «u»
^«v «?r«<7« oe«>? , >z 5^ «nv,ctch«v«v K>? «j>«cr,z
««^ <ri,'/««'7'«Hs<7^ vyv STr« -3-«vj«^s/«sv« 7^/5«^
/s^u^xv «0^ «v«^.^)/^e>t?-ov. Die Regel j>Z
gm; allein, um sie brauchbar zu machen, mus man sie in
Prämmtion verwandeln. Selten, oder niemcchls gefällt
ein Meisterstück allen ; in diesem Falle muS allein die Zeit,
oder das anhaltende Unheil des Publicums entscheiden.
<i Kritische Betrachtungen über die Poesie und Maklerei,,
II. Theil, Cap. 22. bis z«. Die ganze AusfüKrima de«
Abts kan als ein Commenrar über die angeführte Stelle
aus dem Lcngin angesehen werden.
, S. die Briefe über doS Publiemn und die Recension dersel«
ben in der nr n.n Bibl. der schönen Wißenschaften. In«
gleichen des Verfaßers phil. Bibliothek.
,4 > Von den schönen Künsten

wie die Vollkommenheit, ohne Rücksicht auf ein empfitt»


dendes Wesen ? oder, ist sie subjckkivischcr Natur, und
bloß eine Verhälmiß, in welcher uns etwas gefällt ?
Schön nennen wir, was nns gefällt; nur als
NcminalSatz, nicht als Bcgrif, wird man dies gelten
laßcn. Es ist ein Postulat der täglichen Erfahrung, „Das
Buch ist schön — die Aussicht ist schön ., — was Heist
das anders , als : das Buch , die Aussicht gefällt uus.
Es gefallen uns unfere Gedanken, innere Empsin,
düngen, Emschliessungeu und Handlungen; die Hand?
lungen anderer gefallen uns ; es gefallen nns körperliche
G gensiande, die unfere sinnliche Werkzeuge rühren.
Es gicbt also zwo Arten von Schönheit , deren eine in,
nerlich, und die andere äußerlich empfunden wird.
Die Schönheit für die innere Empsindung betrist
entweder die bloße Einbildungskraft, oder sie gründet sich
auf höhere Ideen von Ordnung, Größe, Erhabenheit,
Tugend , Edelmuth und Moralität. Jenes nennen wir
die imaginative, und dieses die inrellecruale Schönheit.
Zuerst von der körperlichen Schönheit, die von ei,
«igen ohnehin vorzugsweise Schönheit genenm wird.
Hier sind drcy mögliche Fälle. Entweder die Schö ?«
Heit ist bloß fubjektivischer Narur, bloß eine Empsindung
des Subjekts, welches etwas schön find« ; oder sie ist
eine dem schön befundenen Gegenstande würklich inhäri,
rende Eigenschaft, von der adjektivischen Art, oder end?
Zich sie ist eine Relation zwischen dem Gegenstände und
dem empfindenden Wesen, vermöge weicher jcncö in dies
scs einen Eindruck macht, der uns gcfaüt, u»d iveSKc,
gen wir die Sache schön nennen, ob gleich in dieser nicht
die Schönheit selbst , sondern nur chre Vcranlaßung ist.
Das erste zu behaupten nnist man ein '5 ceplicus
seyn, o!>er eine Einbildungskraft Hab. u von b.r Att, wie
ste zu Fe-Ä««k angetroffen wnd.
und Wissenschaften überhaupt. H

Das zweyte ist nicht minder widerfinnifch. Wenn


es keine Gegenstände gäbe, die schön sind, wer würde
Schönheit empfinden ? Aber wenn niemand ems
, wäre da wohl die Schönheit in den Sache»
nemine co^irsme. etwas von den andern Prä«
dicaten der Sache verschiedenes ? Sie wäre Ordnung,
Harmonie, Symmetrie, Proportion ; aber alle diese Bei
griffe entstehen ans dem Zusammennehmen mehrerer EmB
pflindungen, und setzen folglich ein denkendes Wesen
voraus. Die Symmetrie, sagt Mendelssohn, und
Regelmäßigkeit besteht in der Zusammenfaßung und Ver-
gleichung vieler einzelnen unregelmäßigen Theile. Aber
diese Vergleichnng und Gegeneinanderhält»!^ , ist sie
wohl etwas anderes, als die Wirkung des DenkungS,
Vermögens ? und wird sie außer dem denkenden Wesen,
irgendwo in der Natur anzutreffen seyn ? Ohne Hin-
zurhun des denkenden Neesens ist das regelmäßig
ste Gebäude ein bloßer Sandhaufen , und die
Stimme der Nachtigall nicht harmonischer, als
das Aechzen der NachrEule.
Folglich wäre wohl der dritte Fall anzunehmen :
Die Schönheit ist eine Verhältnis) , und nichts , als ein
relati«isches Prädicat , welches den Sachen zukommt in
Rücksicht auf ein empfindendes Wesen.
Was für eine Verböliniß ? Eine ideale, die blos
Wirklich ist, wiefern sie gedacht wird, oder eine reelle, die
auch außerhalb der Gedanken etwas ist ?

In verschiedenen Beziehungen beydes zugleich.


Reell ist die Verhältniß in Ansehung der Einwürkung
de« Gegenstandes auf das sinnliche Werkzeug : sie ist hin«
gegen bloß ideal in Ansehung des refleetirten Sinn«,
welcher über die Schönheit urtheilt, und eben so ideal,
in Rücksicht auf die Einförmigkeit in dem Maunichfalri«
gen,
z6 Von den schönen Künsten

gen, unter welcher Idee man die Schönheit denkt, wie


ich hernach zeigen werde. Die tichtstralen würfen aller»
Vings riemine c«Airsnre in mein Auge : aber daß das
durch ihren Zusammenfluß entstandene Bild schön wird,
ist bloß etwas in meinen Gedanken.
Ueberhaupt sind die wenigsten sinnlichen Eigenschaft
iten etwas in der Sache selbst. Einige darunter gc,
hören freylich dem Subjekte eigciithümlich z„, wenn
es auch nicht gedacht wird, weil sie ummiltelbare Be«
stimmungen desselben sind, wiefern es im Räume ist,
zum Beyspiel, Figur und Jmpenetrabililät. Andere
Hingegen sind nicht Grundbestimmungen der Sache für
sich , sondern bloße Würtingen von den innern Eigen«
schatten des Subjekts auf unsere Empfindmg, wie die
Süßigkeit, Bitterkeit, die Töne und ähnliche Phäno»
mena. In diesem Falle liegt zwar in der Sache der
Grund der Empfindung ; aber die sinnliche Eigenschaft
ist nicht sowohl in dem Gegenstände selbst, als vielmehr
in unscrm Gefühle.
Es ist also klar , daß die körperliche Schönheit kei,
«e dem Objekte anklebende Eigenschaft ist, die auch
außer unfern Ideen in ihm von andern Eigenschaften
würklich verschieden wäre. Sie ist aber in dem Gegen,
stände gegründet , und das Resultat von den partialen
Würkungen seiner Theile auf unfere Empfindung. Wür?
kung erfordert von der einen Seite das Vermögen, auf
eine bestimmte Art zu würken, und von der andern Sei,
re die R^ccptivikät , jene Würknug auf eine bestimmte
Art anzunehmen: aus beyden zusammengefaßten Erfor?
dernißen cwillt die Idee der Schönheit hervor. Sie
kan als eine Bestimmung, oder Relation des empfinden«
den Wesens angesehen werden ; und ist , außer diesem,
und, wenn sie nicht empfunden wird, nichts. Für Gort
kan , nach den Kehren der natürlichen und der geoffen,
bahrten Religion , nichts schön seyn.
und Wissenschaften überhaupt. l/

Der Beobachter untersucht die Natur des Objekts,


welches schön gefunden wird, und lehrt uns in vielen
Zölle» diejenigen Beschaffenheiten kennen , aus welchen,
sobald sie in der Empfindung zusammenfließe,?, die
Schönheit entstehet. -Diese Eigenschasten selbst Schön,
heit nennen , das Heist die Ursache tnt der Würkung vcr»
Wechseln nnd jener den Namen geben, welcher eigentlich
nur für diese gehöret.
In den Schönheiten fürs Auge , als da sind Ord,
nung, Symmetrie, Ebenmaaß, findet man gewißeVer-
häitniße unter den einzcimu Theilen ; aber eben diese
Vcrhültmße sind nichts , wenn sie nicht gemocht werden.
Proportion setzt Aehulichkcit und Gleichheit vrraus ; und
Ähnlichkeit und Gleichheit sind bloß ideale Relationen.
Erst durch die in unsirn Sinn znsanmienlauscnden WÜr«
klingen der Thnle entst ht das Wohlgefallen, und mit
dem Wohlgefallen die Idee von der Schönheit, die wir
nun auf das Obj kt überzutragen mis berechiigk glauben,
ob sie gleich mir ein Absrrartum unserer Empfindung ist.
Die Schönheiten für das Ohr, für den Geschmack rmd
für die übrigen körperlichen Sinne sind von gleicher Na-
turj 'ihr eigentlicher Sitz ist da, wo das Wohlgefallen
ift.,.in der Einpfindung; und die Gegenstände nennen
wir^Mr schön, angenehm, ergötzend, wiefern sie das
Wohlgefallen hervorbringen, und Wiefel n cS uns sehr
gewöhnlich ist, in den Benetnungen der Dinge Urftche«
und Wüvkungen mit einander zu vertauschen» " , ,'
^'^u der körperlichen Schönheit gehört folglich d«yer,
lch: ein Objekt mit sinnlichen Beschaffenheiten d,e Ein,
würkung dieses Objekts in den Sinn; und eine .solche
RtteptivikSt des empfindende» Wesens, nutze welch«
ihm d« Ewpflndttng gefättt. Da ich noch «ich! voraus?
setzen kän, daß diese Rsteptivität übeeaS dieselbe fey,
duß Eitt Objekt überalt einerley Wurkunge« hervocbrin,
gen , Und folglich, was «m gefüllt, allen gefMn mül>
B se;
den schönen Künsten

st; so Hab« ich auch bis jetzt noch kein Recht, das über?
Haupt und im absoluten Verstände schön zu nennen,
was mir schön ist. Oder die Idee der Schönheit ist,
wie die Begriffe vom Guten nudBösin, Key deren
Bestimmung immer auf das Subjekt zu sehen ist,
weichem etwas gut , oder böse seyn soll. Einerley Ur- .
fachen bringen einerley Würkuuaen nur unter einerley"
Umstünden hervor; es wäre also zu nntersi-.chen , ob hie
wesentliche Receptivität zur Empfindung des Schönen
Hey allen Menschen einerley, oder nach der Verschiedenheit
der Umstände selbst verschieden, ist. Dock diese Unter.''
suchnng ist all;umek,physisch, als daß sie hier könnte, ,
ausgeführt werden; denn sie führt uns m,f uneStreit,.
frage, über welche, nach den Realisten und Nomina^
listen, Christian Tbomasius nach feiner Art viel wahres
und viel Falsches qefagt hat : ob die einzelnen Mensch
noch durch wesentliche specisische Bestimmungen vo
ander verschieden sind. ,
Was von der körperlichen Schönheit gesagt wyr?
den, das kan vollkommen auf die imaginative Schönheit
angewendet werden, die auf einer angenehm » Rül>rUng
des innerlichen Sinnes beruhet, es fey durch Bilder
der Phantasie , oder durch die Bewegung des Herzen«
und der wollenden Kraft. Auel) hier ist die Schönheit'
nicht m dem Bilde der Phantasie, nicht iu der Verve?
gnng des Willens ; fondern in dem reflectirten Sin>
ne, der Bild und Bewegung fchön sindet, weil bcydes
ihn ergötzt. N^ch der vermiedenen Stimmung dieses
Sinnes kan Eine und dieselbe Empfindung bald anges
nehm , bald verdrüßlich sinn, wie ein scherzhafter tzin»
fall in einer ruhigen Stunde uns vergnügt, den wjr i»
einer ernsthaften iaae, bey wichtigen Befchüfkiqungeu,
oder in der Belegung des Zorns nicht vertragen kön
nen. Eine Handlung , deren wir uns bewust si«H /und
die Entstehung des angenehmen Gefühls «US/ tzie.se«,
'>> Be
und Wissenschaften überhaupt. H-

Ustseyn machen hier das Wesen der Schönheit

Bey der intellectualen Schönheit hat es das An-


sehett, als wenn diese Vorstellung««« nicht statt fände.
Die höhern Ideen von Ordnung, MoralikSt . Erhaben^'
heiz gründen sich mehr auf Vernutlflschlüßc, denen un,
ser Gefühl nur zu Hülfe kommt ,; die Schönheit einer ,
tugendhaften Handlung scheint also in ihr selbst zu lie?
ge«> nicht bloß in dem angenehmen Eindrucke, den sie
hervorbringt; uni folglich könnte man behaupten, daß -
eine erhabne That schön wäre für sich, auch wenn sie '
nicht gedacht, nicht empfunden würde. Allein bey eii ^
net genauern Uimrfuchnng sindet sich hier eben das'/ -
was wir bey den übrigen Arten der Schönheit entdeckt '
habend Tugend ist uns zu unserer Glückftligkeit nvtlzk ^
wenSi^. Eine tugendhafte Handlung hat also ihre Voll,
keMnenheit in sich selbst. Aber dies ist nicht nothwen« '
diF, daß sie auch schön befunden wird; die Schönheit
derselben ist erst eine Folge unsere Gefühls, welches von -
det^Marur fo 'ömgefichtet worden, dkch es in solche«
Fällen mit den moralischen Ideen Harmoniret, um uns ^
desZd>Imehr anzuspornen, das Gute zu rhun, weil es
nicht bloß gut, sondern auch schön ist, das böse zu flie-'
hei?,' weil es nichr KNr böß, sondern aiich häßlich ist.
Begehrenswerrh ist eine jede erhabene Handlung für sictz;
abtt?dsS Begehrenswerche ist darum nicht immer schött.
Dsv eigentliche. <Zitz dieser inlelleckualen Schönheit ist
wiederum nichr in der Handlung, die an sich weiter nichts
alSzgut , als erhaben ist,, sondern in der Empfindung,
diekZMsentlich so beschaffen ist, daß sie durch Erhabenheit
und> Würde unterhatten und ergötzt wird.
« AolMide>'Sätzf wären also von alle« Arten der
Schönheit außer Zweffel gefctzr:
<„DW' Schönheit ist keine innere Eigenschaft d«
Ding«, VZe wie schön nennen. »
B T'"^ ' ' . , ^ Die
ig. Von den schönen Künste»

Die Schönheit kömmt nicht den Gegenständen fü«.I


sich betrachtet zu, wie die "Vollkommenheit, ohne Rück
sicht auf ein empfindendes Wesen., . . , ,
Die Schönheit ist also relativischer Natur, und bloß
Hm Ve'hältniß, in welcher uns etwas gefällt.
Hier sind einige Bemerkungen, wodurch der Grund,
satz des Wohlgefallens weilvr bestimmt wird.
Das Obj^t, was gefaUen soll, mus sinn? -,
lich se^n ; man muß es von der Seile vorstellen, ^
«vo es km, empfunden werden. Unter den aussei liche» ^
Sinnen steh«, in Beziehung auf die Schönheit dikjeni? .
gen oben an, Key welchen wir uns der äuArlichen Be«.
rührung nicht bewusi sind./ Die innere Empfindung,
wodurch wir uns dessen bewust werden, was in uusexer ^
Seele vorgehet, ist in die imaginative und intellcctu<!le
abzutheilen. Jene ,ist das Gefühl der sinnlichen Begier,
Hen, Affekten, Bewegungen^ teidenschaftt» und allep >z
Idee» der äußerlichen Sinne. Diese ist das Bewust-
seyn der höher« Begriffe, die durch Absivaction ge, .
würkt werden. . .,',,.>...
. , ' .,. . , In,
.. > ^ , > .
/ Ich sehe eine Beobacktunq des Herm H«ne chieher,, t>«e ich
in der Fslge brauchen tan. Sie sicher in Z>er Einleitung
S. >. „ Unsere Sinnen ftiimnen darinn übcrein, daß ß«
>, nichts äi,sserl«i'es wahrinhwen , was nicht zuerst das. "?
„ sinnliche Wcrk^enq beehret. — — — Aber sie in»
„ kei»scheiden sich hier wieder, in so fern w<r unS dies«
„ Be,chhni«,Z bewust , uHrr nicht bewust sind. Beym
„ Fühlen, Sckmecken, Riepen sind wir u„s der Berühr
„ rung de« sinnlichen Werkzeugs brwuft , aber nicht beym '
„ Sehen und Hören — In Ansehung Neffen sielt ^
„ <e» wn> uns kues, lchkern Empfindungen feiner und
„ grisliaer vn, als dieicmaen, die a„s dein Geschmaeke, '
« dem 'Gefühle und Sem ^Gtt'tiche entspringen...
M WsftWaM MGMt. ... .«

- ' )n dem Objekte , was gefallen soll , mus


km Manzen keine Unvollkommenbeic, als solche,
sinnlich seyn. Ein wankendes Gebäude , ein sich
'««qender Thurm kömmt uns nie schön vor. Die Um
Vollkommenheit de? Theile, wofern sie als Unvolikom»
menheit nicht sehr hervorstechend ist, tan nickt nur mit
der Schöichnr bestehen, sondern sie erhebt so>M diese
durch da? Gefühl des Contrastes noch mehr. Einige
«erlangen noch, man müsse in dem Objekte, was gefall
len soll, Vollkommenheit empfinden. Diese sollen über
lebe!, , daß Vollkommenheit und Schönheit Dinge sind,
die in ganz verschiedene Fächer qehö.en , und wovon das
eine oft dem andern widerspricht. Wenn man ihnen
einwirft, eS könne ein schöner Gegenstand, auch unvolls
kommen und ein vollkommenes Objecr oft häßlich seyn?
so otirwormr sie nut dem Unterschiede umer einer wah,
ren und anscheinenden Vollkommenheit und verwandeln
dadnrch die ganze Slrettigkett in ein wahres Wort^
spiel. F
, . iLin Objekt, was gefallen soll mus weder
zu heftig, nach zu schwach würken. Eine allzu-
schwache Bewegung wird nicht bemerket, eine allzustarke
betäubet, an stall zu rühren und tidlet, anstatt zu
entzücken.
Ein Objekt , was gefallen soll , mus uns
auf eine befriedigende Art unterhalten und un,
sere ganze Aufmerksamkeit von uns weg und auf
sich wenden. Dadurch wird die Folge der Momente
m der Zeit aus unftrer Empfindung hinweqqerückt,
unser Trieb, immer beschäftiget zu seyn, genährt und
wir von den verdrüslichen Gefühl uuserer eigenen Um
Vollkommenheit abgezogen.
B z Ein

5 Man lese ^den fünften und achten Brief über die Empfin
dungen.
« Von den schönen Künsten

—-Ein ^vdjekc, was gefallen soll, miw nicht


allzudeutiich vorgestellt werden. Ein Berg , ein
Wald köiNmc uns iu der Ferne, wo wir seine Tt>ite
noch in eine Idee fassen , fchöuer vor , als in der Nähe,
wo wir das Mamiichfallige einzeln erkennen.

Ich habe diese Gesetze bloß durch di? Aufmerksam


keit auf mich selbst gt bildet; jetzt vergleiche ich die Em?
pfindungen anderer mit den meinigen und ich sehe, sie
stimmen überein. 6 Ich schließe daraus, dieses Gefühl
muß allgemein senil und habe daher das Recht , die an,
gegebenen Regeln als Gesetze des Wohlgefallens anzu
nehmen. Wir wollen es versuchen , ob wir nun bald
hinlänglichen Vorrath zu einem reellen Begriffe von der
Schönheit haben.

Mannichfalltgkeit in der Sacke ohne Einheit in der


Vorstellung wird zn deutlich, oder ermüdet ; Einheit
ohne Mannichfaltigkcir schläfert ein. Jene zerstreuet die
Aufmerksamkeit und diese tödtet sie. Das Manuichfal-
tige unterhält; die Einheit befriediget. Und dies ist
auch gerade diejenige Mischung welche die Bewegung
mäßiget, daß sie weder zu schwach bleibet, noch zu hef
tig wird. Ist ferner die Einheit durchgängig, so kan
im ganzen ki.me Unvollkommenheit sinnlich werden, weil
wir die Uebercinftimmung aller Theile mit allen ihren
sinnlichen Endzwecken ei kennend Alle obige Regeln der
Schönheit werden daher durch die Ideen von der Ein«
heic und von der Mannichfaltigkcit erschöpft.

Die

i Briefe Wer die Empfindungen S. , < z«. Home im


ganze» ersten Theile seiner Gnmdiatzc der Crmk. Gerard
««n Beschwacke dritter Abschnitt. Schlegei in der Abs
h«»dlunz vom höchsten Grundsätze der Poesie. Dubos all
verkhiedeue» Orten.
und Wissenschaften überhaupt. 2z

Die Schönheit ,st also sinnliche Einheil in


sinnlicher ManittchftUklgkeit. H. Moses hak die Ur^
fachen schön emwickelk weswegen uns das Mannich,
fallige dam, erst gefall,, wem, wir es uns so vorstellen,
daß seine Th^ile in einander fließen« Es ist dies ein
Vergnügen , wodurch wir für unsere Endlichkeit und für
die Einschränkung unserer Kräfte euiigermaftn schadlos
gehalten werden.
KU Am tt??'. ?
Man unterscheide die würkliche Schönheit in der
Natur und unser Ideal von einer höchstmöglichen
Schönheit. In der N.tur soll nicht blos Schönheit,
es soll auch Vollkommenheit da seyn. Beyde widere
sprechen oft einander und dann nu.« jene dieser weichen.
Dies ist die Ursache , weswegen die Schönheiten der
Natur nicht an das Ideal reichen, von welchem sie doch
die Basis sind und weswegen sie sogar von den Pl0duk>
ttn unserer Künstler übertroffen werden. Diese stellen
O« Schönheit oben an, oder besser, sie ist ihr einziger
Zweck, sie kau mit nichts in Colllsion gerathen ; der
Künstler hat keine Ausnahme zu machen und wenn er
auch die Natur nachahmet, so ist er doch im Stande da
Schönheit anzubringen, wo die Natur uns «us Unkosten
der Schönheit Vollkommenheit gab.

^ Die schönen Nünsie und Wissenschaften sol«


len dergleichen Produkte hervorbringen, die über die
Schönheiten der Natur hinaufsteigen und sich dem
Ideal der höchst möglichen Schönheit nähern. Einen
bloßen Portraitmahler , einen bloßen Schildern von
Profeßion kan man nicht unter die schönen Künstler rech,
nen. Sie sind Künstler im gemeinen Verstände ; ha-
ben sie g« copiret, so lobe ich sie ; aber wenn sie mich
durch ihre Werke sehr zu vergnügen glauben, so mu«
B 4 ich
i im fünften Briefe über die Empfindungen.
54 Von den schönen Künsten

?ch ihnen diesen Jrrthum benehmen. Ihre Nacbah,


niunq , als Nachahmung ist angenehm ; ich null aber
immer lieber da« Original < sehen. Ein iandschafkS-
Mabler schildert schon nicht mehr die Natur völlig so,
wie sie ist, sondern nach dcm Ideal, wiesle seyn würde,
wenn ihr Schöpfer bloö etwas Schönes Halle machen
wolle». 6

Herr Moses und Herr ießing haben uns viel


Gründliches über den Unterschied und über die Gran?
zen der schonen Künste und Wissenschafren gcsaqt /. Und
WÜrklich es war einmal Zeit, das gewöhnliche Raison-
»ement dercrlenigen in seiner Abgeschmacktheit zu zeigen,
die den ganzen Dichter in einen Mahler und den ganzen
Mahler in einen Dichter melamorphosiren wollen.
Achulrchkeiten sehen ist Witz ; Verschiedenheiten be,
werken ist Scharfsinn ; auf der Oberfläche der Dinge
siehe» bleibe« ist Uebereilung. Wenige sind scharfsinnig,
Wetzrere witzig und die meisten übereilen sich. Wer will
«S nun unfern Knnstlehrern verdenken, wenn sie bisher
immer m Entdeckung der Ähnlichkeiten ftuchbarer ge»
«esen sind , als in Bestimtmmg der Gränzeu , wo sich
die Künste von einander scheiden !

Aristoteles nennte die Dichtwnfl so gut eine


Rschahmnng ^ wie die Mahlerey ; Gimonides hatte
den EmfaK, daß die Mahlerey eine stumme Poesie und>
die Poesie eine redende Mahlerey fey ; ^>oraz sagt ein.
Mihi! : Vr piÄurs psiil^ erir und meint es so böse
»ckch« ; KreittvFer und Dodmer vergleiche« immer
diie Poesie mit der Mahlerey : würklich ein Kunstrichter
'MÜKe uiche hauszichskeu wige», wenn er sich dieses
« nicht
i T.S«erh«»^ Sch«stn» r° Thcrk S> 5z, «4.
l Z«»r j» ftw« Abk. öber dir H>Mp,lGrund!«tze der schön«,
«.»»5 W. »«d d»ftr m ftiittt» vorlnftichen LovKon4
und Wissenschaften überhaupt.

nickt zu Nutze machen und darans aus die völlige Uebtt,


beyder Künste schließen motte. .

Die bestm deutschen Kunsirichker haben endlich


das. Publicum aufmerkfam gemacht «?, Ich will, um
noch einiges Verdienst zu haben, das was bereits über
diese ich
Materie
vielleichtgesagt
selbst ist,
gedacht
in einen
habe, Auezug
hinzuchun.
fassen und>

> Die Quellen, aus welchen die Verschiedenheiten


der schönen Künste und Wissenschaften bestimmt werden,
sind folgende : ^ .

D« Beschaffenheit des ganzen sch,St»n Produkts.


^ Die Beschaffenheit der schönen Gedanken. '
i. ,^Die Zeichen für sich betrachtet.
, ?z.Die Zeichen in Absicht auf ihre Bedeutung.
-.-s^Die würksame geistige Rrafc, wodurch das pro«
>,.,' . dukt geschaffen wird. ,
Das Ideal , nach welchem der Rünstler arbeitet.
Das Gbjekr, was schön gedacht und geschildere
wird. , » ,

Das. ganze Produkt muö die' allgemeine GrundEiaen-


schaft der Schönheit haben ; es mus stunlich seyn.
Es muS also durch den Weg der äusern Empsiudung
scköne Gedanken und Vergnügen für die Seele erzeugen.
Ben ewigeir Produkten wird die Schönheit an dem
Produkte selbst , bey andern aber nur in den Gedanken
gefunden , welche das Werk erreget und die der Meister
hmeingeleget hat. Jene vergnügen mehr die äußere
Empsindlmg, diese , die man idealische Produkte
nennen könte, sind für den innerlichen Sinn und sollen
»ornemlich in der Einbildung schön gefunden werden^
B5 Em

« S. di« neue BtSk. der sch. K. »nd W. l Band S. 17,.


,6 Vön den schönen Künsten

Em Gedicht ergötzt mich am wenigsten durch den schp,


nen Druck, wenn ich es lese, oder durch deriaugeneh?
mnn Gang der Versification, wenn ich es laut lese.
Das HauptWerk ist Hier das geistige, und idealische
Vergnügen , was mir der Poet durch Hülfe seiner Zei>
chen gewähret. Eine Mahlerey hingegen belustiget
vornehmlich das Auge, eine Musik das Gehör, und
wenn dadurch die innere Empfindung wach und das
Herz warm wird, so ist das erst eine Folge von dem poe»
tischen Theile der Kunst und kan der Kunst selbst unmit«
telbar nicht zugeschrieben werden. Die idealischen Werke
sind entweder bloße imaginative, oder zugleich in-
tellecmale. Jene bringen nur die sinnlichen Bilder
und den untern Theil des BegchrungsVcrmögens in
Bewegung ; diese aber würken auch höhere Ideen, sie
nehmen den Weg zum Geiste durch das Herz und lassen
auch in der Vernunft ihre Spuren zurück. I» jene
Elasse gehören die meisten Werke des Dichters ; für
diese solle der Redner arbeiten. Die Produkte, welche
vornehmlich für die äußere Empfindung gemacht werden,
sind bald bedeutende Handlungen , wie i» der Mu«
sik uttd Pantomime , bald vor stch bestehende N)er,
kc die entweder eine Bedeutung haben, oder für ande
re Zwecke des menschlichen iebens geschaffen werden.
In das erste Fach stelle ich die bildenden Künste und in
dieses die Architektur und Gartenkunst.

Die Gedanken , welche das schöne Produkt aus,


machen, sind entweder ganz sinnlich , oder zum Toeil
auf eine höhere Art deutlich, wie in der RedeKunst.
Die Sinnlichkeit der Gedanken hat ihre Grade. Wenn
ein Gedanke durch feine Zeichen die äußere Empfindung
auf eine angenehme An rühret , dann die Buder der
Im ginarion in Bewegung setzet, den inmrn Smn ent
zück: und das Herz an seinen zärtlichsten Süllen rühret ;
dann
und Wissenschaften überhaupt. 27

dann ist er vollkommen sinnlich und solche wjll die


Poesie. ^' .-'..„, .'«.-u5^

Die Zeichen, deren sich der Künstler bedienet,


müßen wie alle Zeichen , der äüserlichen Empfindui«;
sinnlich feyn. Sie können entweder nur durch einen
Sinn empfunden werden/ oder durch mehrere zugleich.
Die Musik ergötzet nur das Gehör ; verbindet man sie
mit der TanzKunst; so reißet sie zugleich das Gesicht.
Die Figuren der Mahlerey sind nur für das Auge ;
vielleicht kan der Bildhauer durch seine Formen auch den
Blinden, vermittelst des Gefühls, vergnügen. Worte
können geschrieben und ausgesprochen, gelesen und ge/
höret werden. In einer Beobachtung des tord Kay«?,
die ich oben angeführet habe , liegt' die Ursache, weswe,
Len wir noch keine schönen Künste für den Geruch, den
Geschmack, und das Gefühl haben. Diese Empfindung
gew kommen ups allzu grob und körperlich vor : wix
setzen sie , weil wir uns der Berührung bewust sind/
nicht in die Seele , sondern wir denken die Bilder da,
wo die Berührung vorgehet. Dies verhindert das in?
«erliche Verzügen, welches von einer schönen Kunst
unzertrennlich^ ist. . ,

Ferner sind die Zeichen entweder solche, dje im


Räume zugleich neben einander sind, oder solche, hie in
der Zeit. auf einander folgen. Durch jene werden Kör?
Per, oder Handlungen andeutungsweise durch Körper
und durch diese Handlungen , oder Körper andeutungs?
weise durch Handlungen abgeschildert ». Jene gehören
für die bildenden Künste, diese für Musik, Pantomime,
Poesie und RedeKunst.

Die Zeichen in Absicht auf ihre Bedeutung sich


entweder natürliche, oder willkührliche. Die Töne der
Musik
» S. den Laokoon l6Cap.. , ... ^ .
28 Von den schönen Künsten '

Musik sollen gewisse Bewegungen, ieidenschaften , Aft


sekten auf eine natürliche Att ausdrück.,,,. Das Zeichen
eines Menschen in den bildenden Künste» ist ein gemahl«
ter , oder gehauener Mensch «. Der Poet bedient sich
der Worte und sucht diese wilZkührlichcn Zeichen soviel
als möglich durch Zusammensetzung und Wendungen na?
türlich zu machen. Der Redner braucht Worte und
verbindet mit diesm die Minen unö Geberden , natürliche
Zeichen des Affekts.

Ben Hcrvorbringung eines Kunstwerks arbeiten


entweder blos die sinnlichen Kräfte , oder zugleich die
höhern. Dieses findet bey der Redekunst un!> bey eini«
gen Produkten der Poesie st.ttt. Ii, jenem Falk wür
fen entweder alle sinnliche Kräfte, oder mir einige, oder
nur Eine. Zuweilen wird ein Werk blos durch eine
glückliche EmbMmgsKraft, oder durch eine einzige An?
Wendung des Witzes hervorgebracht ; bey einem andern
MUS

« Je mehr sich die bildenden Künste von dem Natürlichen in


den Zeilen entfernen, desto mehr entfernen sie sich von
, ihrer VollkvMMnheir. Die grösten Meister haben, am >ve<
nigste» > vn der allzukünstlichen Allegorie gehalten. Wenn
«in Künstle, das nicht mshten will, was er kan , fo wird
er Sri afe das nichr mahlen können , was er will. Ich
habe ei»mahl bey Bobmcrn gelesen, die Allegorie sey d«
schlechtste Art des Witzes und ich diu sehr ausgeleget , eS
zu glauben. Wenn eine Allegorie ungezwungen ist, dann
findet das Natürliche in den Zeichen noch statt und mir dann
«fr sie untaoechast. Außerdem kan eine Allegorie nie aus
sich selbst verstanden werden. Hr. Wmketmann rechnet f in
dem Versuch einer Allegorie ) viele Bilder unter die Alles
gorren, die kerne sins und unrer denen , die es find, trift
man, «iele an , o« mehr die Einbildungskrafr , als die Klug<
heir ihrer Urheber beweisen. Der Künstler soll das , was
«r ?!'",'eilen n»o Nmh thun mue, nicht zu einer Gewohn«
heit machen. Man lese im Iciotoo» oaS iote Cap.
und .Wissenschaften überhaupt. ,9

Muy der Künstler alle seine Kräfte aufbieten, um etwas


vMojumenes darzustellen. , _ ^

' ^«D^s Ideal/ nach welchem der Künstler arbeitet,


ist Wnveocr die würkliche Natur, oder die eingebildete
ideoMchr Narur , oder cnn' ganz eigene Schöpsi.ng, wo« '
zu nur die kieinsten Jiq.edirntien aus der Natnr genoni- ^
med siAd. Im ersten Falle ist er ein Nachahmer
dM t^atur, int zwetew Falle ein Nachshnier der
schonen t^atur und im dritten Falles ein. Schöpfer.
ZSvokcs ist ein Nachahmer der Natur > Geßner ei«'
Nachahmer der schönen Natur , NMon ein Schöpser,
^- ! .. ---^
Der Endzweck eines schönen Produkts ist alle-
mahl das Vergnügen. Dicfts VerZnüaen ist entwe»
dir'blos ^sinnlich^'. odex^,HehiZkt zttM'Thett fÄr/däs tz'^e
h^r^'^BegchtüngkWkniöLeV.' Es ist entweder mit utt?
mMlbÄren Nutzen verknüpft, oderuicht:. Dieser Nu
tzen kan nochvendig, oder zufällig s/l/n; et betttst eM
»eder «nmiltelbar vle U^ber^edung undBelchrung, oder
er äusftrr sich in den Mö^iM^-Se^-mmschlichen
bei«.' , .
^ Die Dbiekte "W' D föl«
che, Me,' vermöge ih. rer N^M, weil ste eiiie'Seilfolge ent«
Hai«»,' >««ch uuH uack? «AKe«W^achx Mrtzsi^ oder solche
de^e», TtzeUe-.zugl.eich MiP^Drose, rpekl« nian über«
Haupt Körper nennen kaif , qvhörett W diexemgen
KMsie-, Heren Zeiche« vdv^ch bestände Din^e fink^
für^ MaKlerey, u«d^ OtMaÄerkiM', jenlz aber für diejeni,
gen ," dtte^n Zeichen süs- Succ. ßjoneu' züsamtuengefetzt
^ für Poesie , MuM und Hackomime, , /
,>',!i.k^ Der
, .n-.k-c,./.,^ O . ..
- ? SießinH sagt, ikM Mcheer sichttdevt, nur
das ich, soMmckt dada»s, idsß er gar teme
körperlich« K« teir» HUßt«WP«d«l^ Gegen,
zz Von den schönen Künsten

Der Künstler, der mit Körpern za thun hat, be


arbeitet entweder nur ihre Oberfläche, oder zugleich den
Raum, den sie enthalten, wie in der. Baukunst. Zu
weilen thut die Geschicklichkeit des Artisten alles , zuwei, ,
lep hilft sie nur, wie in der Gartenkunst, der Natur,'
die schon die erste Anlage gab. .
Eine Succeßion. wird entweder durch willkührliche '
Zeichen,, oder^durch eine andere Succeßion ausgedrückt, >
die eine Folge ^ oder ein natürliches Zeichen von der ersten
ist,, Dies geschieht in der Musik und Pantomime, je
nes in der Poesie ,unk Redekunst. Doch ist es zuweilen^
der einen Kunst erlaubt , «inen kleinen Eingrif iu. die
Rechte der aniiern zu thun. ?' '
' Dies ist der grobe Abriß , MS welchen die Ideen .
voA dem Müerschiede der schönen Künste und Wissen- '
schuften müssen genommen werden. Diesen vorausgesetzt "
bilde ich mir folgende Begriffe ^ 7/ ^
Die Vieweutigkeit der Worte Runst und Ms, '
sinschaft ist jn.d^n iitteralurBriefcn gehoben woxden. ^ ^

, stZnde tyahle» kan, wie eiyMMs den Worten des Herrn


' LeßingS haben schliessen wollen. Wenn uns mehrere Kör,
per nach und nach in die Augen fallen , so ist das anch'Sucs ,'
~ ceßion und' so kan sie der Dichter schildern. Deswegen -
mahlt sich der Poet eine Aussicht, wo er die Dinge nach
,uNd nach erblicket, wie der Herr von Kleist : ... ^
Hier, rvo'Zur Linken der Sels, bekleidet mitStrnu-
.^ chen und Tannen ,
Zlur Hälfte den bläulichen Strom, sich drüber nei
gend, beschattet, '
will ich inSiGrüne mich setzen auf seinen Gipfel «»d
'. . um mich
Thal und Gefilde beschauen.
Von jedem KSrper, deN er. fielst , wÄhlt er die schiAsteSet>
tt und schildere sie durch wenige; aber interessante Züge.
Das ist «S «uch> Herr L«Mg.S..l55' >«^'
^ « Th. S. Z5Z. u. folg.
und Wissenschaften überhaupt.
. .. , —^ ^
Fertigkeit in SchaffunKeinev Produkt« nenne ich Dunst;,
Theorie der Kunst Heist Wissenschaft. WM man Di«
schönen Künste den schönen Wissenschaften entgegen
sehen, so rnnssen die Begriffe auf eine andere Art ge,
bildet werden. Hier nenne ich Nttttst eine regelmäsige
Fertigkeit, die ihren lehren Sitz Klos in dem umern Er-
kennrnisVermögen hat ; Wissenschasd, eure regelmä,
'ige Fertigkeit , die ihrem Sitz zugleich in dem höher«-,
^kenntnisVermögcn hat. Die schönen Aünste,
rken durch nanu liche Zeichen solche Produ kte, die
vHkflehmlich ig hie öusc lichen Sinne fallen ^nh dort ,
schön ergötzen. Die schönen WHnschafien würken
durch willkührttche Zeichen idealische Produkte , dje
hauptsächlich durch die Würkungen der imaginativen
Ideen ergötzen^ die sie hervorbUngen., ^

Die Poesie ist die Kunst und Wisseuscha,ft ^ voll


kommen sinnliche, schöne, imaginative ' und mcccßi've '
Produkte, vermittelst einer vollkommene» harmonischen
Rede darzustellen. > ^
Die Redekunst ist die Wissenschaft sinnliche und
zum Theil deutliche Gedanken durch ei::e harmonische
Rede und schickliche Geberdett zu? Ueberredung, Beleh?
rung und Rührung sinnlich zu machen.

Die Mahlerey ist die Kunst , sinnliche Dinge,


als znglcichftyend , dem Auge auf einer ebenen Fläche
durch Figuren , als narürlich« Zeichen , zum Vergnügen
abzubilden. / ^
Die Bildhauerkunst ist Vie Kunst, sinnliche
Dinge, als zugleickseyel.d , auf Körpern oder unebenen
Flächen durck nakürllctie Zeichen erhabener Figuren und
Formen zum Vergnügen abzubilden.

Die Musik ist die Kunst, durch abgemessene TS-


.l.l ne
Z2 Von den schönen Künsten und :c.

ne Handlungen zum Vergnügen für lns Gehör sinnlich


zu machen.

Die Pantomime ist die Kunst , die Handlungen,


die die Musik dem Ohre mablt, durch abgemessene und
schön regelmäßig verwickelte Stellungen nachzuahmen.

^ Die Architektur ist die Kunst , nach einem


Grundrisse von sinnlichen deutlichen Jdcen die Produkte
für die Bedürfnisse des tebens, ihrer Vollkommenheit
unbeschadet, schön zu machen. Dieser Begrif ist zu
weit ; er soll dann verbess rt werden , wenn sich die Ar,
chitekten über die Erklärung eines Gebäudes werden
«erglichen haben.
Die GarrenNunsi ist die Kunst , die Anlage
und Ordnung der Gewächse zu verfeinern und die lvürk-
liche Natur nach der idealifchen zu verschönere
Auflösung der Schönheit in ihre
einfachen Bcstandtheilc.

habe gesagt, sinnliche Einheit in der sinnlichen


^ Mannichfaltigkeit sey Schönheit. « Mau würde
dieser Beschreibung zu viel Ehre anthun , wenn
man sie .für eine förmliche und schulgerechte Definition
halten
« Home will diesen Begrif Nicht gelten lassen. Sr sagt litt
ersten Theile S. 49z. „ ES fehlt dieser Bcschreibimg in
„ Ansehung der Schönheit überhaupt sehr vieles an iht
rer Richtigkeit/ sö gut sie such sonst mit einer, oder
„ der andern Gattung von Schönheit übereinstimme«
„ mag. Die Mannichfaltigkeit hat keinen Thcil an de«
„ Sck)önheit einer moralischen Handlung , oder eines ma»
„ thematischen Theorems und die schönen Gegenständ« des
„ GesichtS sind unzählbar , die wenig, oder gar keine
„ Mannichfaltigkeit haben. Die Kugel, die einförmigste im«
„ ter allen Figuren , ist unter allen die schönste; und das
„ Quadrat ist schöner als! das TrapeziuM, ob eS gleich
„ weniger Mannichfaltigkeit i» seinem Theilen hat. .,
Hier sind einige Anmerkungen , wodurch vielleicht Heme
widerlegt wird. Eine moralische Handlung kan ohne Mant
nichfaittgkeit der Sentlmenö , der Motive, der Endursache«,
der Triebfedern , der Folgen u. s. w. nie schön seyn. Ein
mathematisches Theorem, als Theorem, hat keine Schön«
heit. Bey allen schönen Gegenständen deS GesichlS ist
Mlmtttchfalllgkeil, Mischung und Brechung der Strnlen,
die in ein Bild zusammenfließen und dadurch schön werden.
Die Kugel ist die einförmigste Figur unree allen UN» , ich
setze hinzu, zugleich diejenige, in welcher die meist, Man«
nichfaittgkeit ist. Viele kleine gerade Linien , das ist Man«
ntchfaltkgkeit, fließen in krumme zusammen, das ist Eini
heit. Daher die hogarthtsche Beobachtung von der Schön«
heit der WellenLinie. Wenn das Quadrat schöner ist, als
E das
halten wolle. Die Schönheit ist ein «'^«v; sie wird
besser empfunden , als gelehret. Hütte d,e Natur einem
Menschen diejenige Femhrit der Organen gänzlich ver,
sagt, die zu einem zarten Gefühl erfordert wird: fs
tönte man ihm so wenig einen Begrif von her Schönheit
beydrinqen, als einem Blindgebohrnen von der Karbe.
Eine empfindungsvolle Seele wird die Schönheit, wo
sie ist, schöner finden und ohne Kunst richtiger beutthei?
len, als ein Ehrling, der alle Bücher vom Aristote
les an bis auf den Vaumgarren studirt hat. Ich
brauche den gegebenen Begrif nur, um einen t,eiHl-
den zu haben , woran ich mich halten kan und der mich
allenfalls, wenn ich ausschweifen folte, erinnern wird,
wieder in meinen Weg zurück zu kommen.

Unsere Kunsilehrer haben lange den höchsten


Grundsatz der schönen Künste und Wissenschaften gesucht
und vor vielem Suchen dasjenige nicht findm können,
was vor ihnen lag. Baumgarren hat zuerst gesehen
und gedacht, wo die andern vielleicht nur gekünstelt hat
ten. Fragt man nach der gemeinschaftlichen Regel , un
ter welcher alle Produkte der schönen Künste und Wissen?
schaften enthalten sind, fo ist das die Schönheit,
«der die vollkommene Sinnlichkeit selbst. Fragt man
nach dem Probierstein der Schönheit , so ist dieser das
aus der Schönheit entspringende und an sich unintereßir-
te

dos Trapezium , so rühret das von der größern Einheit und


niar von der gcringern Mannichfaltigkeit her. Die ang?
fi'ikrte Beschreibung schickt sich also doch wohl auf alle
Schönheiten und nicht etwa blos auf gewisse Gegenstände
in einem Grupp, oder in einein Forkgange, bry dem eine
gedickte Mischung des Einförmigen und Mnnnichfaltigen
allezeit «ngenehm ist.
in ihre einfache Bestandteile. zs

te Wohlgefallen. ^ Fragt mau nach den Gründen die,


ses Wohlgesallens , so sind das die Gesehe unserer Em,
psindung , die ich zum Theil vorher angegeben habe.
Und so wären wir mit leichten Füßen über eine Materie
gewandelt/ die, wie sie insgemein von unstrn Aestheti,
kern bearbeitet wird, eben so steril und unwichtig ist,
wie die logische SireitiaM über den höchsten Grundsatz
-"-r Menschlichen Erkenntnis.

^ Das wichtigste , was ich hier thun kan, ist die all
gemeine Avöeinandersetzung dererjcnigett Begriffe , die
in der Idee von der Schönheit liegen, aus ihr folgen,
oder unter ihr enthalten sind. Diese trokne Beschafti»
gung ist doch fruchtbar und liefert uns den Grundriß,
zu allen folgenden Abhandlungen.

Wo Schönheit ist , da ist Mannichfaltigkeit, Man,


nichfaltigkeit, die sinnlich gedacht wird, sinnliche Ueber?
einstimmung und Einheit. Ich unterscheide hier die
Theile, welche übereinstimmen, den Punkt, in welchem
sie übereinstimmen, die Uebereinstimmung selbst und die
sinnliche Erkenntnis derselben. Endlich katt man lwch
die Schönheit in Beziehung auf ihre Arten, auf ihre
Mücklingen und auf ihrer moralischen Seite betrachten.
Bcy den Thv'ilett, welche msammenstimmen, hat
Matt cheils auf ihre Größe und Wichkiqkeir , theils auf
ihre Menge und Verhältnis zu sehen. Daher zwo Be-
trachtungen; die erste vom Großen und Erhabenen,
die andere vön der Einförmigkeit und Mannichfal«
tigkeit.
" " C t Das

ö Deswegen nennt der Verfasser des Werks, l>l,ilss«p!,t<-sl


Lixzuiix int« tke Origin «5 «ur lllL«! of t>,e sunlime
»nci öttlis»! die Schönheit eine gesellschaftliche Leiden
schaft, weil sie u»S antreibt, andere D,„g« auch ohne
Eigennutz zu lieben,
z6 Auflösung der Schönheit :c.

Das Mannichfaltige mus in Einem Mittelpunkte


übereinstimmen. Dieser Gedanke führt auf die Ab-
Handlung von der Einheit.
Je größer diese Znsammenstimmung ist, desto
größer ist die Schönheit. Daher entstehen Ausführun
gen über die Harmonie , Natur , Simplicitac und
Naivere, Aehnlichkeit und Contrast, Wahrheit
und Wahrscheinlichkeit, Rorunditäc , Nachah
mung und Illusion.
Je vollkommener die sinnliche Erkenntnis ist, desto
größer wird ihre Schönheit. Daher die Zeichnung,
das Colorit , die Vergleichungen , Figuren , Tro
pen , das Aörnigte , die schöne Folge der Gedan,
ken u. s. w.
Auch die Schönheit des Ausdrucks darf nicht
vergessen werden.
Es giebt ernsthafte , lacherliche , belachens«
rverthe, komische, launische, sanfte, tändelnde,
Vorstellungen , die alle unter die Schönheit als Ar
ten können gebracht werden.
Die schöne Erkenntnis würkt auf das Herz durch
das Interesse, durch Sentimens und überhaupt
durch das Pathos.
Sie darf Tugend und Decorum nicht verletzen.
Schicklichkeit, Würde, Sitten, Costume und
Anstand sind ihn nothwendig.
Endlich noch ^)on den Stücken, die die Kunst er
fordert, wenn man würkich Hand anleqcn will. Sie
sind Geschmack , Genie , Enthusiasmus und Lr-
dichrung.
Ich werde von allen diesen Pu«kten nach und nach
reden und dann die befondere Annendung auf eine jede
der schönen Künste versuche«. Zuerst also vom Großen
und Erhabenen.
' ,< ,

llll.

Vom Großen und Erhabenen.

^Xie Natur, sagt Longin, s hat iit unser Herz


^ / „ einen unüberwindlichen Hang gegen das,
„jenige gelegct, was für uns erhaben und
,, fast göttlich ist. — — — Wir bewundern na,
„ kürlicher Weise niemahls kleine Gewässer, nicht ein?
„ mahl ihrer Klarheit und Nutzbarkeit wegen , aber
„ wohl den Nil , die Donau , den Rhein und am mei>
,, sien den Ocean. „ Das Erhabne füllet unsere Seele
mit großen Vorstellungen und diese geben ihr gleichsam
einen Schwung , wodurch sie sich über ihre gewöhnliche
Sphäre erhebt und in eine höhere versetzt. Daher kommt
«S , daß wir gegen alles das varteyisch werden , woran
wir etwas Erhabnes finden ; und dies ist es , wodurch
uns die epischen und tragischen Dichter zwingen , Antheil
zu nehmen an den Schicksalen ihrer Helden und Hel,
dinnen.

Wir wollen deswegen nicht mit Gerard behaupten,


daß das kleine und niedrige nothwendig unangenehme
Bewegungen hervorbringen müsse 5. An sich ist das
Kleü
« Iis?« vv/«? im zzten ( nicht wie Home citirt'im izten )

i Versuch vom Geschmacke, im zweyten.Cap. ,, Die Nie«


C z „ drig
;8 Von Großen und Erhabenen.

Altine weder angenehm , noch unangenehm. Es kan


beydeö durch die Vergleichumz werden., in welche eö mit
andern Dingen gesetzt ist. In der Vergleichung mit dem
größern wird es bald widrig , bald verächtlich , bald
lacherlich. Im Eontrast mit dein Kleinem bekommt
es selbst einen Anstrich von Größe , den es vorher nicht
hatte und bringt dadurch die verhalmißmäßige Bewegung
hervor.

Wenn das Große zu groß ist , um in seinem


ganzen Umsanqe sinnlich übersehen zu werden, so ver?
liehrt es dadurch in Absicht auf »nö seine Größe. Weil
wir in diesem Falle qenöthiger sind, unsere Aufmerksam?
feit blos nach und nach auf die Thcile zu richten, so
fällt er uns schwer, diese einzelne» Ideen in Eine ganze zu
Aßen, die da? Objekt erschöpfte und das Ganze chut
also keine Würkung mehr, Ben allegorischen Personen
können dergleichen Vorstellungen noch am ersten gedul,
tet werden. Man übersieht die Zwietracht beym
Homer e und die Fama beym Virgil weil man
«'eis, daß durch t>ie Größe der Ausdehnung ^ die der
Dichter seiner Person giebt, nur die Größe ihrer Wür?
kun«

„ vrigseit macht jede» Gegenstand , dem sie anklebt , ,,»>


angenehm »nd widrig, „ ^ome bemerkt weil richtit
9, ger ; ( , TK, S, i. „ Das Kleine und Niedrige
,, sind darinnen vollkommen gleichartig daß sie an sich
weder Vergnügen , noch VerdruS erregen, ! z Wcks
„ re das Kleine u»d Nied, ige angenehm < so würde es d«S
,, Arv.se «nd, Echabenx nicht seyn können. Wären aber
„ jene «»angenehm . sy würden sie M's eine HMMZe ,Pe>
« ftlMeritchkeit verursachen. „ '

L> ö> V» 44Z, .


<k IuWn«jKuk^« «is et e^t im«» »,,Kil« ««öit.
^«u. llll, v.>?7>
Vom Großen und Erhabenen.

kungen figürlich bedeutet wird. M'ttons Teufel aber


will sich sinnlich denken und ich kan nicht. Ick stelle
mich vor das Ungeheuer hin und werde, anstatt es ganz
zu setzen , immer nur ein Stück von ihm gewahr ; dos
ist unerträglich und Miöhandelt meine Begierde, immer
das Gan;e zu denken, auf eine unausstehliche Art. Di«
alten Rabbinen bedienten sich einer solchen ausschweifen-
den Vorstellung, um die Unermcßlichkeit Gottes sinn,
lich zu machen. Die Augen Gottes , faqten sie, sind
ZO«8ao göttliche Meilen von einander ; Eine Fusfole
fasset deren zooso. Eine göttliche Meile ist losnaos
göttliche Ellen und eine solche Elle vier göttliche Span?
nen lang. Eine göttliche Spanne aber ist fo groß , als
der Diameter der Erde. Ungeheuer ! und ohne Pro?
portion !
Eine ahnliche schlechte Würkunq thun übertrieben
große moralische Gesinnungen. Wir wollen auch 5iefe
sinnlich denken ; unfer Geist will sich mit dem Helsen
in einerley Verfassung fetzen und sich zu eben de, Höhe
empor schwingen , wo er jenen erblickte. Wenn ihm
dies unmöglich fallt, wenn die Tugend des Helde» mis
allznrein, der Heroismus zu gros und feine Thoren zu un?
eigennützig fcheinen ; dann geben wir niemals uns die
Sckuld , daß wir sie nicht erreichen können , fondern
allemahl dem Helden. Wir fühlen innerlich die UnmögB
lichkeit eines solchen Charakters und dieser, fo groß er
ist, verliehrr auf uns alle Würkung.

Da die Genies verschieden sind, fo sind auch die


Eindrücke von der Größe verschieden. Auf einen erha?
denen Geist thut manches keine Würkung, was einen
andern in Erstaunen fetzt. Jener sieht manches als
klein an , was diefem sehr wichtig ist , und um ,ckchrr.
Die Bewegungen , welche die Größe verursacht , richten
sich also nicht allein nach den Graden der Größe , son?
C 4 dern
4« Vom Großen und Erhabenen.

bern vornehmlich nach dem Verhältnis zwischen der


Größe der S^che und der DenkungöArt desjenigen, auf
welchen die Sache würkt.
Eben so wird ein großes Objekt in dem Gegensätze
mit einem größern klein. Die ägyptischen Obelisken,
welche igrvstenthcils Sixtus der fünfte wieder in Rom
«ufrichten lassen, hat man fast insgesamt in die Vorhöfe
der grösten Gebäude gesetzt , deren Nachbarschaft sie
verkleinert und ihre Würkung auf das Auge hindert.
Der auf der ?ia??a 6e> ?c>pol« ist noch der einzige,
welcher am rechten Orks steht e.
Unsere Gedanken sollen ihren Gegenständen ähnlich
seyn und müssen also mit ihnen auf uns mich ähnliche
Wirkungen äußern. Ein Gedanke von einem großen
Gegenstande, wird also, wenn er der Sache angcmeßen,
lebhaft und täuschend genug ist, ebcn die Würkung her,
vorbringen , wie die Sache selbst. Und also entstehen
große Gedanken, wenn große Gegenstände auf eine
ihnen gemäße Art gedacht werden /.
Auweilen betrachtet man auch die Gedanken selbst
«ts Gegenstände und nennet sie groß , wiefern sie kühn und
gewagt sind. Doch diese Bedeutung hat keine Schwier
rigkcit und couebt sich ohnehin , wenn wir nur die erster«
Henauer untersuchen.
Diese Untersuchung zerfällt in zwo Fragen : Wenn
ist «ine S^che groß ? und was gehört dazu , wenn die
Gedanke» ihren großen Gegenständen entsprechen sollen ?
Ich mnß gleich erinnern , daß hier nicht von der
komischen Grösse geredet wird, wo ein kleines und
un,
« B die «nwn Nachricht«, über Italien von zween Schw«
tischen Vde!te«e» . (»der demHr«, Ersslep) um« dem
Tuet : MeS R««.
Vom Großen und Erhabenen. 41

unwichtiges Subjekt durch die Association hinzugedachi


ter Verhaltniße einen Anstrich von Wichtigkeit erhält.
Diese gehöret in das Capitel vom lächerlichen. Auch
ist die Größe der Gegenstände , mit welcher ^wir hier zu
thiin haben , nicht diejenige in ihrem ganzen Umfange,
welche sie würklich haben, sondern diejenige, welche ihi
nen zukommen kan, wiefern man sie sinnlich denket.

Ein Objekt, welchee viele^nnlicheTheilebat,


ist gros, wiefern seine Theile in iAne Idee ran
nen zusammengefaßt werden. Betrachtet im May
das junge taub, den bunten Teppich der Wiese, den
SilberBach, die MorgenTuipe voll Thau , die harmo
nischen Gesänge der Vögel , den heitern Himmel ; fast
set alles zusammen und nennet es Frühling , so denkt
ihr ein großes Objekt. Wohlverstanden, daß das Gan
ze in Einer Phantasie muß gedacht werden , die es auf
«inen Mick übersehen läßt. Ein Gegenstand , sagt
Home F, der so groß ist, daß man ihn nur bey Thei-
len saßen kan, verwirrt die Seele mehrmals daß er sie
befriedigt. Addison bemerkt sehr richtig , daß die Ma?
iestät , die sich in einer der Statuen das tysipvuS vom
Alexander zeigte, ob diese gleich nur in Lebensgröße
war, vielleicht mehr Bewunderung erregt hat, als der
Berg Alhos erregen würde,, wenn er nach dem Vor,
schlage des PhiViaS in die Figur dieses Helden wäre ge-
"> ' hauen worden , mit einem Fluße in einer Hand und ei-
' ver Stadr in der andern. ^ Äri^oteles sagt eben das H :
Erwas aöziigroßes, z. B. ein Thier von zehntausend
Stadien ist nickt schön , weil man es nicht mit einem
Blicke übersehcu kan und über der Betrachtung .der
Theile die Idee des Ganzen verlieh«^
C 5 Durch

5 SrundsLtz' drr Cririk. r.S.z4Z.


t im ft«henl«u Eap. tzer Poetik.
4! Vom Großen und

Durch die Ausdehnung wird eine Sache


größer , oder kleiner nach dein Nlaase der Aus«
dehnung selbst und nach dem Conrraste, in wel-
chem die Sache gedacht wird. Em Berg ist gros,
wenn er an ein Thal , oder an niedrige Hügel gränzer.
Denket zuerst den Berg und dann den Erdball, wie klein
wird jener ? Die Erde gegen die Sonne ist ein Berg, ge
gen das SonnenSysteni ein Punkt, gegen die Schöpfung
ein Nichts.
Unrerdeß eilte der Seraph zur äußersten Gränze des
Himmels,
wie ein Morgen empor. Hier füllen nur Sonnen
den Umkreis
Und , gleich einem von Lichte gewebten ätherischen
vorhäng.
Zieht sich ihr Glanz um den Himmel herum. Rein
dämmernder Erdkreis
Naht sich des Himmels verderbenden Vlick. Entflie
hend und ferne.
Geht die bewölkte Natur vorüber. Da eilen die lLr«
den
Rlein, unmerkbar dahin, wie unter dem Luße des
Wandrers
Niedriger Staub , von Gewürmen bewohnt , auf,
wallet und hinsinkt.
RIopstok.
Durch eine solche Art von Progreßion können auch
Objekte nch sinnlich gemacht werden, die sonst zu gros
sind , als daß man sie ganz übersehen könte. Man
giebt einen Fingerzeig aus ein Objekt, was schon über«
aus gros und dock noch sinnlich ist ; man sagt, das an,
dere sei? noch größer : so verliehrt sich der Gedanke! mit
dem Objekt in das Unendliche. Ueberhaupt ist der
Fortgang , oder Climar von kleinen aufs größere an sich
allcmahl angenehm ; der Anlielimar aber bald unange«
nehm, bald lächerlich.
Rör,
Vom Großen und Erhabenen. 4z

Nörperliche Höhe , mit proportionirrer


Breite und Dicke , ohne sinnliche Unvollkom,
rnenheit, ist gros. Wenn die Breite für die Höhe
zu klein ist , so vermindert die Empfindung der Dispro-
portion das Gefühl der Größe. Ein Thurm, der den
Amsturz drohet, zeiget zu viel sinnliche Unvollkommen-
heit, um große Bewegungen hervorzubringen. Die
Besorgung , er werde fallen , behält vor dein Gefühl
der Größe die Oberhand.
Die Tiefe , wenn sie sich zuletzt in Dunkelheit ver,
Ziehrt , die aber nicht allzu abstechend und schneidend
seyn darf, bringt ein vermischtes Gefühl von Erstaunen
und Ehrfurcht hervor , welches mit demjenigen kau ver
glichen werden , was wir Key dem Eingange einer gera«
den und unabsehlichen Allee empfinden. Eben diese
Würkung thut eine jede Entfernung , deren Ende das
Auge' nicht zu finden weis , . welches sich gleichsam im
Anschauen verliehret. Dieser Effekt wird wieder ver,
mindert , wenn in der Weite Ruhepunkte sind , auf
welchen sich die Blicke heften können. Der Himmel
mit seiner Dämmerung , zu der Zeit , wenn die Sonne
untergegangen ist und noch keine Sterne sichtbar sind,
erfüllet, mich mit größern Phantasien, als der gestirnte
Himmel, wenn gleich die Idee, welche dieser hervor
bringt, mannichfaltiger ist.
Die lange Dauer einer Sache , besonders die,
tvelche
solang, als die Seele
Sich die Ewigkeit denkt, wenn sie in schnellen Ge
danken
Aus den, Rörper entfleucht,
Rlopstok.
«rregt ein betäubendes Staunen , welches In der gehöri
gen Abstcchuug zugleich angenehm ist. Wofern, mein
Gefühl
44 Vom Großen und Erhabenen.

Gefühl mich nicht trüget, so ist die Ewigkeit a parte an-


te an sich angenehmer, als die s parte polt. In die
Empfindung der letztern mischt sich zuqleich unsere Er«
Wartung und diese bringt einen ungewissen Zustand d«
Seele hervor, der nicht leicht zu befriedigen ist.

Kan die Zeit sinnlich als ein Theil der Ewigkeit


gedacht werden , so mus sie auch ahnliche Emp findungen
Hervorbringen. Wir berechnen die länge der Dauer ei
nes Dinges immer verhältnisweise und nemnen das
Alter eines Menschen gros , wenn es größer ist , als das
gewöhnliche. Der Gedanke davon ist fähig , nns mit
Ehrfurcht zu erfüllen , wenn vorher alles ist entfernt
worden, was Ekel, Mitleiden, lachen, oder Abscheu
erregen kan. Wie ehrwürdig ist Nestor und P riamus !
Anchises ist es schon weniger ; eine betagte Frau am we
nigsten und ein verliebter Greis gar nicht. Ueberhaupt
stellt uns die gemeine Empfindung immer das weib,
Ziche Alter unangenehmer vor, als das männliche, weil
slch in jenes insgemein mehrere sinnliche Unvollkom,
nienheiten und zweckwidrige Phanomena mischen , als
zN dieses.

Vielheit und Inrension der Arasie ist gros


und wird am besten aus den Effekten gemessen. Die
Erlösung der sündigen Menschen ist gros an sich und
gros , durch die Würkungen , die sie hervorbrachte. Zu-
weile« wird das Subjekt durch seine Würkungen selbst
gros, zuweilen aber ist die Würkung gros, wenn sich
gleich das Subjekt in derselben nur von einer kleinen
Seite gezeigt hak. Der Fall Adams ist gros durch seine
Würkungen und Adam war in seinem Falle überaus
klein. Achilles hingegen war auch in seinem Zorne gros.
Es kan sich ferner zutragen, daß eine Begebenheit, die
«n sich nicht wichtig ist, durch Folgen gros und wichtig
wird, die sie nur zufälliger Weise und durch einen Zu,
samt
Vom Großen und Erhabenem 45

sammcnfluo verschiedener Umstände erzeuget. So war


das Urtheil des Paris , oder vielmehr die Hochzeit der
Thctis das erste Glied an der Kette von großen Bege«
benhenen und Unglücksfällen , an welche ganz Griechen-
lang und ein großer Theil von Asien geknüpft wurde.

. Geschwindigkeit und Heftigkeit , mit An«;


stand , ohne Unschicklichkeit ist gros.
von des Richters Angesicht flog Llo« herunter,
Raum den Unsterblichen sichtbar , so eilr er die Hin«
v mel herunter. ^
Und die Himmel umher vernahmen des Rufende»
. > , Stimme;^
Doch Won war er vorübergeeilt ; zwo winke , so
schwebt er
Ueber Golgatha.
Rlopsto?. >
Sobald sich etwa« unanständiges in das Gefühl der
Heftigkeit mischet , fo wird sie unangenehm und kan bei
sonders in den bildenden Künsten auf keine Weife gedull
tet werden. Herr öeßing darf sogar behaupten, daß
die alten Artisten nie eine Furie gebildet haben. ?

Wahre Verdiensie, uninrereßirte , patrioti«


sche heldenmürhige Gesinnungen zeugen von
der Größe des Geistes und "sind selbst gros.
Wenn in der bekannten Tragödie des Herrn Wies
lands Johanna Gray zu ihrer Mutter sagt :
wenn Edward würklich
Berechtigt war, die Rron auf Heinrichs Schwester
Rinder
Zu übertragen , ist die Reihe dann
An mir^ was müste meine Mutter sey»/
tLH mir der Thron gebührer? —
und
, im Laokoon S. l 6.
46 Vom Großen und Erhabenen.
> ' ' ''" ' l ^ :
und ihre Mutter amwyrket:
Deine Mutter —
Und stolzer auf den Titel deiner iMutter,
Als auf den Ruhm, die glänzendste Monarch!«
Der ganzen Welt zu seyn — . . t
So sind das Sentimenö, welche nicht heroischer und un,
eigennütziger seyn können. Wie gros mus nicht die
Seele seyn, welche fähig ist, sie z» denken! 6 Solche-
Züge machen mit ihren Grundursachen zusammengenom,
wen einen großen Charakter aus. Ein großer Cha,
rakter mus nochwendig die Uneigeimützigkeii als einen
Bestandcheil haben. Das ganze Jntexcße wird ge
schwächt : sobald wir denken , daß ein Held nur um sei,
nttwillen ein Held ist.

Große Ursachen Können nur große Effekte hervor?


bringen und folglich wird ein Objekt auch dadurch gros
und wichtig, wenn man seine Entstehung aus
gros.

i Vielleicht wäre des Senriment noch vortreflicher, wenn eS


nicht durch den Schwanz einstellt würde, den es, wie ci„e
verwundete Schlange, hinter sich herschleppt. Eine ah»,
liche Critik hat der Herr von Alembert über das berühmte
<^u'il mourut des Corneille gemacht. Man lese seine Btt
trachtungen üFer den Gebrauch und MisbraucK der Philo,
sophie in Dingen , die für den Geschmack gehören. Doch
Rowe, den Herr Wieland copirt hat, macht es eben nicht
besser. Hier ist die Stelle:
Lv'o >ou in/ ßrscious Notker, vkst moli 7«u bs
Lre l csn be » <Zueen k

?'K,t , sn^ tkst vnly


l'Kv Notker; foncier «5 tkst tenöer ««ne,
l'K,» «II tke prouck ^<i<iitic»tt , ?o«r c,n xive.
Siehe den 4ten THeil der LitterakurBricfe. S. 252,.
Vom Großen und Erhabenen. 47

großen Ursachen denket Das Schild , die Waffen


des Achilles, die Mauren von Troja sind gros, weil sie
ven Göttern hcnühren. Ucberhaupt müssen wir noch,
wendig eine Sache für wichtig halten , die selbst den
Göttern nicht zu klein ist , sie mag nun eine Würkung
von ihnen seyn , oder doch sonst ihre Aufmerksamkeit auf
sich ziehen.

Aehnlichkeir und Gleichheit mit großen Ob


jekten ist SelbstGröße. Eben dadurch werden
Michmsse und Tropen der Größe beförderlich, weil sie
uns ein Objekt mir einem andern als ähnlich , oder
gleich abschildern.
Also versammelten sich dieLürsten derHölle zu Satan,
Wie die Inseln des Meers, aus ihren Sitzen gerissen,
Rauschren sie hoch, unaufhaltsam einher. Der Pöbel
der Geister
Slos mit ihnen unzählbar, wie "wogen des kommen«
den Weltmeers
Gegen den Sus gebirgter Gestade, zum Sitze des
'^ Satans-
Rlopstok.

Was von einem großen Genie für groß ge,


halten wird, mus selbst groß seyn. Man kau" in
diesem Falle dem einen nichts nehmen , ohne es auch
dem andern zu rauben. Ramler hat sich dieses Kunst-
griffe vortreflich zu bedienen gewust : /
Wagst du noch mehr zu singen? daß der Sieger
So weit er in der Feinde Land ,
Mit seinem Lager flog, gesegnet, seine Rrieger
Zum Wohlthun ausgesandt ?
Selbst
i in seiner Od, an die Muse, Berlin, d. l«. Jenner 1764.
4i Vom Großen und Erhabenen.'

Selbst unerforschlich , jeden Anschlag kanntet


Hrüh thätig, jeden hintertriebe
Nein, sage, daß ihn Friedrich selbst den Seldherrn
' nanyt^'
Der ohne Sehler blieb.
Viele Subjekte werden auch dadurch gros , weil sie
durch die gemeinen Meinungen der Menschen einen hö
hern Rang erhalten. Hierher gehören Reichchum,
Pracht, Ansehen und Gewalt ohne Verdienst. Dlese
Dinge haben zwar, wie tougin sagt,?« nichts hohes
an sich, weil selbst ihre Verachtung für gros gehalten
wird und weil wir diejenigen nicht so sehr bewundern,
welche sie besitzen, als diejenigen , welche sie besitzen
kömen und aus Grosmuth nicht wollen. Und eben das
bemerkt auch Herr Moses. » Allein diese Dinge thun
doch einige Würkung auf die gemeine Empfindung und
dienen wenigstens dazu , Gegenständen Erhabenheit mit«
zucheilcn, die sie von Natur nicht haben.

Unsere Aesihetiker sagen insgemein, die Große der


Gegenstände sey entweder eine absolute oder eine Vor,
hältnisGröße. Fragt ihr sie , Wommen die absolute
Größe bestehe, so werden sie antworten ; Gros ist ein
Objekt , was im ästhetischen Horizonte lieget. Und die
sen nelmeu sie denJnbegrif aller Gegenstande des schönen
Den.-

««H-«?reL, i'« «o/v« Abi, «<^5v i^«^« /ue^«>


« vs ««?«<p^sv«v ^e>/«' ^Oiöv 7rx«vo< ^<^«k,
ös^««, ^^«vv^r?, ««< o?« F>z «XX« öx« üttXv
e^kiÄ-Lp ?j.^«5^«^koFzk/«evoi> , «'« «v vs <p^ov<^k> ^s»

, Phil. Schriften «. S.
Vom Großen und Erhabenen. 49

Denkens, Nach allen diesen Definitionen weis ich weiter


nichts, als, daß ein Objekt eine G:öße hak, wiefern öS
kan schön gedacht werde» Und das wölke ich nicht wisse«,
oder wvsie es schon. Mit einem Worte : dieser Unter,
schied ist nicht wichtig und sagt höchstens eine fthr ge
meine Idee auf eine gelehrte Art.
Gennq von der Große der Sachen Z Um mehr zu
sagen, müste ich den Home abschreiben, welches ich
nicht gerne wolle.
- "« Es folgt nun die würkttche Größe der Gedanken,
bereu Hülfsmittel , Kennzeichen, Arten und entgegen
gesetzte Fehler wir kürzlich abHandel» wollen.
Longin giebt fünf Mittel zum Erhabenen an, s
wdvött nur zwey hierher gehören , da die andern schon
Charakteristik voraussetzen. Diese sind 5,
s-tts «^«-«BsXo» > die Anlage, welche Baumgarten
die ästhetische GroSttluttz nennet,/? Und ?s s-chs^sr ««<
irA«««?'/»« ^«H« « eitte brausende , enthusiastische teü
denschaft. Von diesen Stücken behauptet der Kunst,
richrer , deß »sie das wahrhaste Hohe vornehmlich aus,
machen und Talente sind, die wir «her aus den Häuden
der Natur empfangen, als durch kunstmößiges Versah,
ren erwerben müssen.
Er hat Recht. Sollen unsere Gedanken ihren
großen Objekten gemSS seyn , so gehört dazu eine gewiss
natürliche Anlage des Geistes , wodurch er über
die gewöhnliche DenkungsArt hinausgesetzt, ein edler
j,nd stolzer Eifer, ? ein fester, lebendiger Ent,
schlus, keine andere als große und erhabene Gedanken

g ?/^se ^
p ^ettk. F. lZK«
5». Vom Großen und Erhabenen.

zu «zeugen , und die durch die Uebung erlangte Star,


ke , Spannung und iLlasiicirat des Geistes , wo»
durch jener Entschlus in Fettigkeit übergeht. Diese
Stücke zusammengenommen , machen die Größe der
Seele aus , wodurch der Artist sich über die gewöhnliche
Sphäre der Menschenkinder zu erheben und den Dialekt
der Götter nachzusprechen , im Staude ist.
Ferner gehört nach dem Longin hicher o «äs-
««/>«> »«t X«i/U«?'a7'5i>' , die Auswahl großer
Objekte und der prägnantesten Umstände. Der Künst
ler, wählt nicht gemeine, nicht niedrige Gegenstande; ,
Mn Kuic Iis elr 6e rribus capellis;

Sondern an wichtigen Sachen entdeckt er die wichtigsten


Seiten , so klein sie oft bey dem ersten Anblicke scheinen
möchten und diese denkt er auf eine proportionirte Art.
So Nlopstok :
Sarai: sprach es. Indem meng von dem Versöhner
Entsetzen
Gegen ihn aus. Noch war in den einsamen Gräbern
der Gorrmcnsch.
Mit dem Saute, womit der Lasterer endigte, rauschte
Vor dem Lus des Meßias ein wehendes Blat hin.
Am Vlane
Hieng ein sterbendes Würmgen. Der Gottmensch
gab ihm das Leben.
Aber mir eben dem Blick stmdt er dem Satan Lnp
setzen.
Wie Wichtig wird d«ser kleine Umstand, dieses unansehn»
liche Würmgen, verglichen mit dem Fürsten der Hölle!
Diese kluge Wahl der Umstände nennt Addison die
große Manier. 5
.Dies

5 Sieye den Home l. S, Z52.?


Vom Großen und Erhabenen. n

Dies alles vorausgesetzt/ vorausgesetzt, daß der


Künstler Anlage , Entschlus, Eifer und Fertigkeit be,
sitzt, vorausgesetzt, daß er wichtige Objekte gewühlt und
an diesen die wichtigsten Selten entdecke har; können
wohl seine Produkte anders als gros werden , wenn nun
noch Emhusiasmus, oder die gehörige und der Wich,
tigkeit der Sache angemessene Anstrengung der Kräfte
hinzukommt ? Er setze sich in die Verfassung des wü«
tenden Ajax und rufe mit ihm aus ;

Oder er fliege mit Eloa von des Richters Angesicht her«


unter, schwinge die Posaune und ruft mit dem Nächsten
nach dem Unerfchaffenen :
Heyerr! Ls stamm Anbetung der große, der Sab,
bath des Bundes
Von den Sonnen zum Throne des Richters —
Rlopstok.
Aus diesen wird es nicht schwer fallen , mir dem Lon,
gin die Kennzeichen großer Gedanken zu bestimmen.
Nicht alles ist Gold , was glänzet und wir stvsscn nicht
selten auf Gedanken, die uns überraschen und mit Ge
fühl von einer Größe erfüllen, die sie nicht haben und
die verschwindet , fo bald wir sie näher betrachten.
Wenn der Dichter einen tvwen aufstellet, der. fo laut
brüllet und so grimmig um sich her fchnaubet , baß selbst
sein Schatten sich nicht untersteht , ihm zu folgen , so
ist das eine Phantasie, die ein großes Gepräge führet
und doch auf dem Test falsch befunden wird. Durch
Di das
x U. XVU. v. 645. und Longitt v^/«« H-''
Zt Vom Großen und Erhabenen.

das wahrhafte Hohe, sagt Lsngin , « wird die Seele


von Natur entzückt und eine Sttlle tan unmöglich erha
ben seyn , die ein Mann , der Geschmack und Gelehr
samkeil hat, eiuigemahl anhöret, ohne durch dieselbe ge,
rührt zu werden. Es wäre lacherlich , dao Erhabene in
einem Gedichte demonstriren zu wollen, noch lächerli
cher, Demonstration zu verlangen, wo man nur füh
len darf, um zu glauben. Doileau, hat das Ungereim
te einer solchen Forderung aus dem Longin langst ein,
gesehen : Er unterrichtet den Clericus , der das Echa»
bene in den Worten: Gott sprach: es werde iichl und es
ward iichr, nicht fühlen wolle, welches fogar der Hey,
de, v gefühlt hatte : Von» crojes cloric, ^onlieur,
et vous le croies 6e Könne 5oi, «zu'il n'^ s point
6e lublime 6gns ce» psi oles de !s (Zenele : Oieu
lZit : que la lumiere le taue et Is lumiere le lit. ^
cela je pouvois vou8 revondre en KenersI , lsris
entrer o?sns une plu8 Algn<le dileulZion . czue le
lublime n'elt pss provrement une cbole qui ls
prouve et qui le clemontre; msis <zue c'eli un.
merveilleux <zui läillt, czui srapve, et czuj le lsit
lentir. — — L i! le trouve <zuelque Komme
bizarre «zui n'v en trouve vomt , i! ne fgut pss
cbercker lies rsilons pour lui rnontrer. qu'il ^ en
L ; msis le borner ä le vlsmö're 6e lon peu 6e
conception et de lon peu cle ^out qui l empecke
de lentir ce que tout le mnnde lent d'sborcl. »
Eben so wenig kan man durch Demonstration einen ho«
hen Gedanken in Nonsense verwandeln. Die Greifs-
^waldisckcn Kunstrichter desiniren auf eine lächerliche Art
K>aft, Nichts, Raum und Ort, um zu beweisen, die
Hallenschen Verse:

« ?^>?^«

» Oeuvre» «je öoil«« i I, tt,vo l?7»i l'om. III. p. 2z x.


Vom Großen und Erhabenen.

Befruchtet mit der Rraft des wesenreichen Wortes,


Gebiert das alte Nichts ; den Raum des öden Ortes
Erfüllt verschiedner Zeug.
wären eben so leer , wie der Raum des öden Ortes und
das alte Nichts, Melius erschöpft alle Schatze der
natürlichen Theologie, um zu beweisen, daß Haller oft
nichts , oft etwas falsches gedacht habe ^, Und niemand
hat sich an ihre Demonstrationen gekehret.

Von den Kennzeichen der Größe gehe ich fort auf


ihre Arten.
Woher mag eS kommen , daß der Dichter im
Stande ist , die Größe höher zu treiben , als der bil,
dende Künstler? Ich nehme da« Suppositum in der
Frage vor bekannt an. Die engen Grunzen der Mah«
lerer, und Sculvtur sind Schuld an dieser Einschränkung.
Anstatt mtt dem ganzen iaokoon des Herrn ießinqs zu
antworten , wie ich wohl könnte, will ich nur eine einzig«
Betrachtung machen, wodurch obige Frage zum Theil
entschieden wird. , Progreßion und Contrast sind die
zwey vornehmsten Hülfsmittel , die Gegenstände groß
darzustellen. Die succeßive und fortlaufende Progreßion
ist die angenehmste und angenehmer , als die ruh«ge>
welche blos eine Art von Contrast ist, wo man mehrere
ungleiche Gegenstände neben einander stellet. Und die«
ser sncceßwe Fortgang, unter welchen auch stufenweis
anwachsende Leidenschaften begriffen werden, ist gerade
nickt für dem Mahler. Es bleibt ihm also nur die kör«
perliche Größe übrig, die die Objekte für sich und im
Connaste mit andern haben, da hingegen der Dichter
D z Eon-
« Ccitischer Versuch zur Aufnahme der Deutschen Sprache.
I. Band S. iz l.
^ In den Höllischen Bemühungen, I. Band. S. f. f.
und 148. f. f. . .
54 Vom Großen und Erhabenen.

Contrast und Progreßion auf allerley Art in feiner Ges


walt hat. Schildert der Mahler ja eine andere, als
körperliche Größe , so schildert er sie doch andeutungs
weise durch Körper mid ist ein bloßer Nachahmer des
Dichters. D>' als? dem Dichter ein weiteres Feld offen
stehet, als dein Mahler, so ist es kein Wunder, wenn
dieser das Erhabene des erster« zu erreichen nicht im
Stande ist.
Hier, möchte es scheinen, wäre der Ort, von den
gewöhnlich,?« Euuheiwngen der Denkungsart und des
Styls zu reden, die durch die Gradation der Objekte
nach ihrer Große bestimmet werden. Allein nicht ohne
Grund verschiebe ich die AKHandlung dieser Materie bis
in das Capitci von den Zeichen und von dem Styl in
den Werken der Kunst nnd setze hier bloö einige Be«
trachtunqcn her , die ich nickt füglich anderswo anbringen
kan« Zwei? Worte also vom Erhabenen, wiefern es vom
Großen überhaupt unrerfchicdm wird.
Longin sagt : „ Das Erhabene überredet und
„ entzückt s — „ unsere S^'ke wird dadurch von
„ Natur gehoben und mit einem edlen Stolze erfüllt, als
„ wenn wir das , was wir lesen , s lbst erfunden hat»
„ ten „ s — „es verursacht Nachdenken , würfet
„ auf eine unwiderstehliche Art, haftet fest im Gedüchu
niße und wird schwerlich vergessen. „ H
Hei>

« ^«^ uns ^'«X^-A«? üv^«? S7r«^e?«f ^s>p


Vom Größen und 'Erhabenen«, 55

Heinere , tongins Uebersetzer und Commentator :


„ Durch das Wort, Erhaben , versteht man überhaupt
die höchste Vollkommenheit , welche man bey einigen
„ Sachen antrift. Eben dicse Vollkommenheit wird
„ auch zuweilen das Hohe, Vortrefliche, Mächtige,
„ Maiesiätische und Göttliche genennt. „ c-
ZSatteux und Ramler : Die Seele wird durch
,. erhabene Muster selbst in die Höhe gehoben ; Be?
„ wunderung ist die Folge des Erhabenen. ,. ^

Curtius : ,. Erhaben ist, was die gewöhnlichen


>. Begriffe übersteiget und das menschliche Gemüth mit
,, Bewunderung erfüllet. „ e
Home;

^- Faber, Darier und Heineke übersetzen die Worte:


n',f di^'e Art : welches man schwerlich, oder unmög
lich besser geben ran. Ich glaube, der Context rechtfers
tiaet die gewöhnliche Uebersetzung , der ich auch gefolget
bin. Longin hakte vorher gesagt, wenn ein Mann von
Geschmack und Gelehrsamkeit eine Stelle mehr als einmahl
anhörte, ohne zu fühlen , daß sein Geist dadurch gehoben,
würde, so könne sie unmöglich erhaben seyn, weil ihr Eins
druck nur momentan wäre und mit der Stimme des Neos
ners wieder verschwände. Nun fähret er fort : dasjenige
aber ist in der That erhaben , dessen Eindrücken man uns
möglich widerstehen tan u. s. w. Wenn ««i-e^«v«5«<tt?
auf den Ausdruck gehen soll/ so verstehe ich nicht, wie Lon«
«zin die lezte Periode , als einen Gegensatz , oder als eine
Erläuterung mit der erster» durch ein ^«L hat verbinden
können.
e S. die Untersuchung von dem, was Longin ' eigentlich durch
das Wort Erhaben verstehe. S. z i6, z 17.
<i Einl. in die schönen Wissenschaften, II. Th. S. z?.
e in der Abh. von dem Erhabenen in der Dichtkunst. S, die
LitteraturBrieft IX. Th. S. 58.
D 4
;6 Vom Großen und Erhabenen.

H^me z „ Jede Bewegung, aus welcher Ur,


« fache sie auch entspringen mag, die einer Bewegung
„ ähnlich ist, welche grvße und erhabene Gegenstände
„ verursachen , wird anch mit denselben Namen be-
„ Nennt. Eine jede Bewegung ist niedrig, welche die
„ Seele verengt und auf gemeine nichtewürdige Gegen/
„ stände heftet. Eine Empfindung oder ein Ausdruck,
„ der die Seele erhebt, wird erhaben, oder groß ge-
«nennt, und daher kommt das Erhabene in der Poe»
«sie«/.. <

Eexqrd ; „ Diejenigen Dinge sind erhaben,


„ welche O«,>antitSt , oder Umfang , mit Simplicitöt
„ Vereint, besitzen. „ S
Moses z das Erhabene in den schönen Künsten
„ und Wissenschaften bestehet in einer künstlichen sinn«
„ lichen Vorstellung , die Bewunderung erreget, „ ä
Wer hak nun Recht? Vielleicht« wje eS gemeinig,
lieh bey solcher Verschiedenheit der Meynungcn zu gehen
pfleget, alle mit einander, jeder auf seine Art? Mr. wol
len sehen.
Erhaben nennen wir dasjenige , was über uns Z
Niedrig , was unter uns ist. Der Hügel ist für n«S er«
haben , wenn wir in der Tiefe stehen »nd wird niedrig^
sobald wir ihn von der Spitze eines höhern Berges cr.5
blicken, Eben so kan eine Gesinnung, oder Handlung,
für einen Menschen von der untersten Gattung erhaben,
seyn , die für einen Helden nur niedrig styu würde und,
umgekehrt. Wir wollen daraus schließen , daß das Er,
Habene.

/ Grundsätze W'Ditik l. Th. f. f.


F Versuch Abn- den Gxschw«ck, zweytcr Abschnitt,
Phil. Gchnstxn il, TH.S. ,Az, AtterslurVrieft N.
Zh. S, z«< zg.
Vom Großen und Erhabenen. 57

haben« und Niedrige nur verhältnismäßige Ideen find,


die nach dem Standorte desjenigen , der sie denkt , vc»
schieden sind und oft, aus verschiedenen Gesichtspunkten
betrachtet, gar in einander fließen. Für einen Menschen
von der niedrigsten Claße kau Schönaichs Herrman«
erhaben seyn ; er ist es nicht für einen andern , der Ge
schmack hat, den Homer und Klopstok zu kosten. Ho
mer ist erhaben , aber nur erhaben für u»s ; einem Gei,
sie von einer hölzern Ordnung kan er nicht anders , als
niedrig vorkommen und für Gott ist nichts erhaben, als,
menschlich zu red«n , Er selbst.
Ich sslte meinen , diese Begriffe wären richtig ; ob
sie aber brauchbar sind , das ist eine andere Frage. Es
ist uns ein beständiger Maasstab nöthig, nach welchem
wir unsere Vorstellungen beurthcilen müßen , ob sie für
die Klasse , zu welcher wir gehören , erhaben sind , oder
picht. Wir stellen uns also das höchste vor , was eine
menschliche Seele fassen kan und nennen das erhaben.
Da die wenigsten Menschen sich diesem Nonplusultra
nähern , so mns nothwendig das Erhabene sie mit Be?
Wunderung erfüllen, weil wir gewohnt sind, alles das,
jenige zu bewundern, was wir selbß nicht, oder schwer,
lich erreichen zu können glauben. Dieses Gefühl wird >
Mir einem andern verknüpft , wenn wir das Erhabene an,
schauend denken. Wir heben uns nämlich dadurch aus
unserer ordentlichen Sphäre empor und nähern uns
der Regio» , in welcher wir das Erhabene Objekt erblick»
xen. D> ser Schwung mischt in das ehrfurchtsvolle
Smunen einen heimlichen Stolz , der mit Sympathie
gegen das erhabne Subjekt vergesellschaftet ist und eben
dadurch wird die Empfindung des Erhabenen angenehm.

Dieses Erhabene kan in das physische und in das


hnoralische abgeklMt werden. Ein Körper, der so gros
, ist, daß wir ihn kaum «och in seinem ganzen Umfange
D 5 sinn.
58 Vom Großen und Erhabenen.

sinnlich fassen können , eine weite dunkele Einsamkeit , die


uns mit Küstern Vorstellungen füllt und diese mit sich i»
das Unendliche ziehet , eine Tiefe , die zuletzt in sich selbst
«erschwindet, eine Zeit, die an die Ewigkeit grünzet,
oder in diese fließt, eine Kraft, die größer ist, als die
gröste Kraft , deren wir uns bewust sind ; alle diese Din
ge werden erhaben, wenn ihnen eine Vorstellung zu
Hülfe kömmt, die uns gerade das ohne Umschweife an
ihnen empfinden macht, was über das gewöhnliche
Maas hinaufsteigt. Noch größer wird die Erhabenheit,
wenn Gesinnungen hinzukommen , die eine solche Inten?
sion und Stimmung der geistigen Kräfte verrathen,
welche das ordentliche Ziel der Menschheit zu übertref
fen scheinet. Tapferkeit mit Uncigennützigkeit, Uner-
schrockenheit, unintereßirte iiebe, Patriotismus, große
menschenfreundliche Leidenschaften , Tugend gros im
Glück und im Unglück ; Wohlwollen , geschwinder und
heroischer Entschlus , Heftigkeit mir Standhaftigkeit,
ein vernünftiger Stoicismue u. f. w. dies sind die Züge,
welche einzeln , oder zusammen genommen das Erhabe,
ne des Charakters auemachen. Alle diese Dinge müs
sen , wenn sie durch die Kunst schön und täuschend vor«
gestellt werden, auch in der Vorstellung, oder Nachah?
«nittg noch das Erstaunen , die Bewunderung , die Ehr,
furcht und lie Hochachtung erregen, die sie sonst durch
sich selbst hervorbringen. /

Dergleichen künstliche sinnlich vollkommene Vor


stellungen , die weit über die gewöhnlichen hinaufsteigen
und eben dadurch Bewunderung erregen, machen das
Erhabene in den schönen Künsten und Wissenschaften
aus. Der leidende iaokoon , dessen Schmerz sich mit
keiner Wuth in. dem Gesichte und in der Stellung aus?
sm,

5 S. die alte Bibl. der sch. K. u. W. III. D. S. ,5«. f. f.


Vom Großen und Erhabenen. 59

sert , Cato , der lieber frey sterben , als überwunden le


ben will, Alexander, der das Lösegeld vor die Gefange
ne nur würde angenommen haben, wenn er Parmenio
gewesen wäre , Ajax , der den Jupiter nicht um sein le
ben, nur um Tag bittet,
Der^Held, der dreymahl Frieden heischt.
Bevor sein schwerer Arm durch sieben Donnerwetter
Der Fürsten Raubsucht tauscht, i
Beyspiele genug von Erhabenen und von der
Kunst, die da gerade am wenigsten Kunst scheinet, wo sie
es am meisten ist !
Herr Moses bemerkt / zwo Gattungen des Erha
benen. Entweder das Objekt ist selbst erhaben ; hier
wus aller Putz und alle aufferliche kunsimüßige Verschö
nerung wegfallen , die das Erhabene nur allenfalls auf
das bloße Schöne zurück setzen würde. Oder das Objekt,
was an sich nicht erhaben ist, erhält die Erhabenheit
durch die Hand des Meisters. In diesem Falle ist Aus
bildung uöthig , um eine Bewunderung hervorzubringen,
die aber mehr auf die Weisheit und Kühnheit des Künst
lers, als auf die Sache ftlbst zurückfällt.
Genug hiervon ! Von dem Niedrigen und denen
damit verwandten Begriffen soll an einem andern Orte
geredet werden.
Die Fehler , welche wider das Grosse und Erhabe
ne in den schönen Künsten und Wissenschaften können be,
gangen werden, sind! vornehmlich folgende :
Der Artist sirengt zuweilen feine Kräfte auf eine
«nnarürllche Art <m ; um nicht zu kriechen , verliehrt er
sich
K Hn. Namlers Ode an d» Göttin d«r Eintracht»
i Phil. Schriften ll. Th. S. r54-
6o Vom Großen und Erhabenen.

sich in den Wolken , 5« er bildet Vorstellungen , die ent


weder auf Unkosten der Sinnlichkeit erhaben, oder doch
übertrieben und ungleich höher sind , als ihre Objekte ;
»,an kennt diesen Fehler unter dem Namen der
Schwulst. Virgil hat die Schilderung eines Meer,
flnnns aus dem Homer » auf eine unnachahmliche Art
«achgeahmet : 0
ttaee vbi «Ms csuum eonuerla culpicZe monrern
, Impulit in latus : sc venti, velut sgmine fs6to,
(^ua data porta , ruunr et terra» turbme perKanr.
IncuKuere mari totumczue a lecZibus imi8 — ,,
Vna Lurusczue ^otuslzue ruunt creberczue pro»
cellis
^sricus et vakos voluunt s6 littora KuKus.
Inlequimr clsmorque virum ltriäorczue ru6en»
tum.
Lripiunt tuoito nubes coelumczue lliemczue
l^eucrorum ex oculis : ponto nox ineubst atrs :
Intonuere poli et erebris micat i^nibu« aetker
?rselentem<zue viris intentsnt omm'a mortem.
Postel will es besser machen, als Homer und Virgil und
wird auf eine unerträgliche Art schwülstig : /?
— — Es warf mit grausem Schallen
Der kalre Boreas die Retten von Crystallen
Und altem Eise weg ; der Srurmberühmte West
Blies beyde Backen auf, band seine Haare fest
Und
fl, « Z> peur <l« rumper , il l« perä <li»>» I» nue.

» Oclxls. I^ib. V. vers. 291 » 296 und ZlZ » Z20.


0 /Ven. l.ib. I. v. 8«. k^q.
x im viertem Buche des Wittekinde.
Vom Großen und Erhabenen. 6«
r," , - ,. ,
Und schlos die Augen zu. Esfieng schon an zu
ringen
Mic ihm des Eurus Arm, wodurch sie wollen Krim
W - gen
Sturmwirbel in die Luft , MordWirbel auf da«
Meer.

Bald stürzet eine See das Schiff in Abgrund nieder,


Bald hebt ein wellenBerg es an die Sterne wieder;
Bald jagt es nach dem Strand ein wind von Westen
'her,
Bald wollt es Lurus Slut ersticken in dem Meer.
Des Sturmes Grausamkeit nahm zu mit solchem
Toben ,
Als wenn das unterste des WeltGebaudes oben
Geseyec sol« seyn und daß ins Chaos Nacht
Dies alles wiederum nun solte seyn gebracht.
Denn aus dem Meere schlug mit wütenden Gerling
mel
Das aufgeschwellte Salz bis an den dunkeln Himmel,
Die Wolken stürzeten sich ab mit solcher wurh
Daß sie in ihren Schwamm selbst sogen MeeresLlur.
Die Sische sähe man sich in die Luft erheben.
Die Vögel durch den Schaum der grünen ^Wellen
schweben. u> s. w.
Ausgesuchte Verspiele von dem falschen Erhabnen und
Schwülstigen kau man in den Grundsätzen der Critik
des Herrn Home finden. F

Zuweilen ist der Künstler nicht sähig , die Größe


der Objekte zu erreichen z er thut einen Sprung und fällt,
oder bleibt vom Anfange in der Tieft und schildert große
Gegenstände auf eine kleine Art. Um die Zufriedenheit
vvrjustellen , ruft er mit dem Schwabacher Poeten aus:
Ran
, I. Th. S. z68. f. f.
6t Vom Großen und Erhabenen.

Ran ich nur mein täglich Brod


Ruhig und vergnügt geniesen!
<Z) was Hab ich denn vor Noch;
Schade vor die LeckerBissen ! >-
Oder er denkt sich die Planeten, wie Erbsen, die im
ÄLasser schwimmen , um gewaschen zu werden:
lLs kommen im vergleich
Mit dieses Lichtes weitem Reich
Mit diesem glanzenden unmeßlichem Revier
Nns die Planeten ja nicht anders für.
Als schwammen in dem weiten Meer,
Damit sie wohl gewaschen werden möchten,
Nur sechzehn Erbsen hin und her.
Brokes.
Dieser Fehler wird von den Kunstlehrern das Bathos
oder das kriechende genennt.

Große Objekte, im Detail gedacht, werden in der


Vorstellung kleiner, als sie an sich sind. Boileau ta,
delt diesen Fehler und macht ihn durch Bcyspiele sinn
lich :
üri aureur quelques«!» rrop pleiri 6e lon obiek,
Dlmais lsri8 I'eouilel' n sbsnllonrie un lujet.
s il renconrre un palais , il m'en «Zerzeim la
rsce.
ZI me promene spres lZe terrslle en terralle.
!c! s'olZre un perron ; re^ne un corriclor ;
Z^s ce bslcun s'en5erme en un bslultre cZ'or.
l!
^ Die Poeten S. 62.
5 Hr. Boviner will diese Stelle ouS der Optik und aus dein
Endzwecke deö Verfassers vertheidigen« S. die Betrachtmu
S«n über die poetischen Gcmählde S. 224, 12;, Allein
der Dichter würde seinen Endzweck noch immer haben er<
reichen können , wenn er gleich ein anständigeres Bild g«
Wählt hätte.
Vom Großen und Erhabenen. 8z
— , v
II compte 6es plstonllk, les r«n6s et les «vgles,
de ne lout yue I^eltoris, ce ne tont <zu'^lrrs>
Asles. '
le laute vinA seuiüets pour en trouver Is
Lt je me Isuve ä peine su traver8 6u jar6ln.
k'uies lZe ces Hureurs I'sbonllauce sterile
ne vous ckarges point 6'un ^e/s?/ inurile.
Wenn ein an sich erhabner Gegenstand in der Borstel«
lung allzusehr auegebildet , oder durch den Ausdruck zu«
sehr verschönert wird , so vermindert der äußerliche Putz
die Würkung des Erhabenen. Das Erhabene in der
Stelle: GÖtt sprach : Es rvc;He Licht und es
ward Licht , ist so gros an sich , daß alle Zierrachen
es nur verunstalten, oder auf einen geringem Grad heri
absetzen würden. Simplicität wird hier Größe, e
In dem Pyrrhus des Herrn Crebillon kommt eine vor-
trefliche Stelle vor, die nur dadurch etwas von ihrer
Erhabenheit verliehrt, weil der große Gedanke zu sehr
auegebildet ist. Man muß dem !cser auch etwas zu
denken lassen. PyrrhuS redet unter dem falschen Namen
Helenus mü dem Neovtolcm. Er versprach diesem,
ihm den Pyrrhus ( d. i. sich selbst ) in die Hände zu lie
fern und verlanget nur vorher sein Schicksal zu wissen :
8«i lincere lur rout ! quel lera-r-il?
Neoptolem antwortet kurz und gut:
la rnort.
Pyrrhus erwiederr ganz unerschrocken:
8'il rie crsiAnoit czue r«Z , l'^rsn , ts barbsrie
?e c«uterl>it bientöt et le l'rone et la vie.
Vn^cins llonc ju8c>u'uü peut aller ta fermete !
^lsis p«ur Isisser ra Ksiue sgir eu liberte,
le
k Longin -S^
64 Vom Großen und Erhabenen.

le vais re rsllurer contre uri fer relZoutsble.


(^ui renklroie cjsns rn«8 mains ts perte inevirsble.
trappe ! voila ?^rrkus!
Das Semimmt ist heroisch und erhaben; aber Pyrr-
hus ist zu wortreich ; er sagt uns mehr , als wir wissen
wollen und auch das , was wir selbst schon würden hin?
zugedacht haben. «

Diese Fehler bekommen in der Kunstsprache aller


hand Benennungen. Das Erhabene am unrechten Orte
Heist paremh'xrsus. v phöbus und BombafZ
ist Schwulst, der uns noch mit einigen Phantasien
füllet ; wenn man ihn aber gar nicht mehr sinnlich ge
denken kan , so Heist er Nonsense und Galimarhias.

« Siehe die kritischen Briefe deS Hrn. Dusch« S. «7. f. s.


v Lonqin T-^u« >/- Doch ist der ParenthyrsuS mehr ein
Fehler, der zu dem übertriebenen Pathos gehöret.

V.
V.

Einförmigkeit und Mannich-


^. .faltigkeit.

ir bilden allgemeine Begriffe, weil wir nicht


vermögend sind , das Magazin unserer Em,
pfindungen mit einem Blicke zu übersehen und
jedes individuelle Bild so oft hervorzurufen, als es uns
gefällt ; wir führen die allgemeinen Ideen auf besondere
Gegenstände zurück, weil wir nicht aufgelegt sind, uns
lange mit einer Sache zu beschäftigen, die uns nicht viel
mannichfaltiges zu denken giebt. So würkt der Ve«
stand, si> würkt auch die Empfindung. Wenn unfere
Wißbegierde nach Mannichfaltigkeit strebt , so ist hinge,
gen die Einförmigkeit unserem eingeschränkten Wesen ans
gemessener; wir müssen daher zwischen beyden den Mit-
telweg suchen , den uns. die Natur selbst gezeigt hat,
die mit einer bewundernswürdigen Kunst Systeme ver,
bindet und diese Verbindung durch den ganzen Umfang
ihrer Werke fortführet. « Welches sind alfo die Grün-
zen, wo die Einförmigkeit mit der Mannichfaltigkeit auf
eine angenehme Art zufammensiiestet, diese cerri Kues,

Huos vlrrs citrsque nequit coosittere rectum ?


Unsere Sinnen haften nicht lange an einem Gegen,
stände, dessen Theile entweder mit dem Ganzen, oder
unter, sich gleichartig, oder allzueinfach sind, um eine
anhaltende sinnliche Belustigung zu würken. Hingegen
wird durch den Fortgang von einem Objekte zu einem an
dern , welches eine mit der vorigen abstechende Idee her,
vorbringt, das Gefühl einer angenehmen Abwechselung
E erzeu.,

« Home l. Th. ^S. 4«i.und; 499.


66 Einförmigkeit und Mannichfaltigkcit.

erzeuget, was von der Schönheit nicht kan getrennet


werden. Wir wollen immer etwas neues empfinden ; ei«
nerley, vielmahl und an vielen Subjekten empfunden,
ist immer einerley und tödtct unsere Aufmerksamkeit^ an,
sratt sie zu unterhalten. Ein langes Gedicht in Einem
Tone mit Versen ohne Abwechselung, eine Satire mit
einerley Gemählden, ein Drama mit Charakter« ohne
Contrast , eine G«llerie von Bildern , wo man nur eineß
sehen darf, um sie alle gesehen zu haben , ein Warten,
dessen Beete lauter Quadrate sind, ein Tanz mit einer
ley Touren, eine Musik, die wie das Thier ist,
.das gieng, und wiederkam; 6
alle dergleichen Produkte sind unendlich ermüdend und
unangenehm. Der Himmel, mit Sternen besäet, ist
ordentlicher Weise schöner, als der bloße blaue Himmel,
wenn gleich dieser erhabner seyn und uns in melancho,
lischen Stunden durch tiefe Betrachtungen, die er ent«
stehen macht, unterhalten kan. Ein Feld, ganz mit
Schnee bedeckt, ohne Hervorragungen, kau nicht vergnm
gen , weil wir nur einerley, unendlichemahl wiederhohlr,
empfinden. Bey denenjenigcn Werken der Natur uni)
Kunst, wo sich die deutliche Idee der Vollkommenheit
in dasGeft'chl der Schönheit mischt; mus man eine Aus,
nähme machen. Diese findet also bey Gebäuden, bey
Städten und bey denenjenigcn Theilen des menschlichen
Körpers statt, die glciche Zwecke haben und einerley
Nahmen führen. Ju allen andern Fällen aber gilt die
Megel , daß ein Objekt , dessen Theile alle einerley und
einander sinnlich vollkommen ähnlich sind, keine unter«
haltenden Bewegungen verursacht.
Eben so unangenehm ist ein Fortgang, der sich von
dem Einförmigen am ailerweuesten entfernet und allzu
man-
i Ramlers Ode an di« Feinde des König«, d. 24. Jenner
1760.
Einförmigkeit und Mannich faltigkeit. 67

heterogenen Dingen zugleich gedacht wird, odcr"dessen


Theile höchstwidrig und auf eine widrige Art mit ein
ander gemischt sind , wird entweder verdrüßlich, oder
lächerlich. So ungereimt ist die Vorstellung eines Del»
xhins, der den Wald durchwühlet , oder eines wilden
Schweins, das. den Arion auf seinen Rücken durch die
Wellen trägt.
' Hui variare cupir rem prom'siglirer vnsm,
DelpKinum Aluis s^ingit, nucÄibus s^>rum.

Oder :
ttumsno cspitl ceruicem piKor equinsm
lungere li velir, et varig8 inöucere plumss '
Vnclique cvllatis memkris, vt turoiter slrum
Delinar in pilcem mulier forrnvls lupernei
L^eätstum s6milli rilum tenesris, smici.

Wiederum, ein Ganzes, dessen regelmäßige Anordnung


allzu sinnlich ist, da die Regel sogleich am Tage lieger,
nach welcher die Theile verbunden sind, bringet ein Bild 1
hrrvor, in welchem die Idee der Einförmigkeit oeulli,
cher ist, als die Idee des Maimichfaltige« und wird
eben dadurch unangenehm.
Wir lernen aus diesen Ersahrungen , daß in einen
schönen Objekte die Einförmigkeit immer dunkler seyn
mus, als die Idee der mannichfaltigen TheUe, daß zur
, Schönheit eine unordentliche Ordnung gehöret , Mau»
Nichfalügkeit in einer gewissen Mischung von Regelmäßig?
Kit und Unregelmäßigkeit verbunden — und «och weit
mhr, welches wir nun insonderheit auf die fchvue Er?
kannmis anwenden wollen.
Zu einem Produkte der Kunst , diesem G«
siriM
68 Einförmigkeit und Mannichfaltigkeit.

fichtsPunkte betrachtet , gehören, also orey Stücke : Ab


wechselung und Mannichfaltigkeit , Verbindung de«
Mannichfaltigen nach einer gemeinschaftlichen Regel und
endlich Verbergung dieser Regel unter einem Colorit,
wodurch das Mannichfaltige sinnlicher und Hervorstechens,
der wird, als die Regel selbst. Fehlt einem Produkte
die Mannichfaltigkeit, so wird es nüchtern, oder tro
cken , wie man es nennen will. Ist die Mannickfal?
tigkeit zu gros und ohne Einförmigkeit, so denkt man
allzuweitlauftig , ausschweifend, kostbar, gezieret und
unordentlich. Wird die Ordnung nicht sein genug verk
stecket, so bekommt das Werk ein steifes Ansehen, wel,
cheS in Schriften der Schulten -und in den Künsten
überhaupt Pedanterey ist. Doch ich solte noch nicht
von den Fehlern reden, da ich von den Schönheiten
noch nicht genug gesagt habe.
Zuerst also von den Mannichfaltigen und von den
Eigenschaften des Artisten , des Objekts und der Gedan
ken, die durch dasselbe bestimmet werden.
Fruchtbarkeit, Gegenwart des Geistes , Biegsam,
Kit und Gelenkigkeit, Dauer und Munterkeit des Ge,
nies sind die Eigenschaften, welche der Künstler haben
tnuö, um Mannichfaltigkeit in feinen Werken zu zeigen.
Fruchtbarkeit : Er mus einen großen Justus
von sinnlichen Ideen haben und in sich selbst Vorrath
genug finden, einen simplen Sroff auszubilden und unter
verschiedenen Formen zu verarbeiten. Für einen Künst
ler, der diese Gabe besitzt, ist kein Gegenstand zu trocken ;
er weis aus der Sache selbst Reichthum zu ziehen , wo
ein gemeines Auge Armuch würde gesehen heben. Für
einen kurzsichtigen Meister würde der Zorn des Achilles
Nichts als Zorn gewesen scyn ; für einen Homer war er
der Stof zu einer ganzen Jliade. Wie fruchtbar waren
die alten dramatischen Dichter, wenn c« darauf ankam,
aus

i
Einförmigkeit und Mannichfaltigkeit. 69

«US einer sehr einfachen Handlung eine ganze Tragödie


mit Anfang , Mittel und Ende , Knoten und Peripetie
zu schaffen ! Und wie unfruchtbar sind nicht unsere Bär,
manns und Schönaichs , die in den grösten und mannich,
faltigsten Begebenheiten das nicht sehen können , was sie
sehen würden , wenn sie poetische Augen hätten.

Gegenwart des Geistes : Die Ideen, die sich der


Artist gesammelt, müssen ihm auf jeden Wink zu Gebote
stehen ; er mus Herr und Meister über sie feyn und seine
Phantasie gewöhnt haben , daß sie ihm immer dasjenige
darbietet , was er haben will und was zur Sache gehöret.
Sein Genie müß immer bey ihm , sein treuer Gefährte
seyn und ihn niemahls in der Ausarbeitung verlassen ;
IndiZrior qusncloc^ue Konus 6«rmitsr ttomerus.

Biegsamkeit und Gelenkigkeit : der Künstler


betrachtet seinen Gegenstand von verschiedenen Seiten ;
er wendet ihn herum und lenket sinne DenkungsArt nach
dem Objekte, nicht nach der DenkungsArt das Objekt.
Er verändert den Gesichtspunkt , so oft es die Sache be,
fiehlt und legt seine eigene Person ab, um mit dem Sub,
Me, was er bearbeitet, durch alle Scenen hindurch zu
wandern. Jetzt ist er Achill, dann Agamemnon und
nun wieder Achill, bald Hector, bald Priamus. jezt
begleiret er den Ulysses in die Grotte der Calypso, oder
an das Ufer des Tartarus und denn eilt er zurück, um
sich von der langen Reise zu erhehlen und mischt sich un«
ter die Buhler der keuschen Penelove; noch einen Schritt,
so wird er Penelope selbst.
Dauer und Munterkeit des Genies : Wenn
die Hitze, mit welcher der Artist sein Werk angreifet,
' nicht anhaltend ist , wenn sie verrauchet ; fo wird oie ver,
gnügenoe Mannichfaltigkeit, die er im Anfang über fein
E z Pro«
7« Einförmigkeit und Mannichfaltigkeit.

Produkt verbreittt , bald in ein ödes einförmiges Wesen


übergeben, welches desto verdrüßlicher ist, je größer der
Reichthum war , auf welchen eine betrübte Armuth fol,
gel. Wir fragen ihn unmuthövoll :
cur vrceus exit, ?
Und wundern uns, wenn wir sehen , daß kreisende Ber«
fle nur Mäuse gebähren. ^Nur der Künstler wird diesem
Tadel entstehen , welcher zugleich feurig und arbeitsam ist,
und sein Werk mit eben der Hitze vollendet , mit welcher
er es angefangen hat.

Eben die Bemerkung , welche wir oben bey demErhabe»


«en aus dem Mendelssohn angeführt haben, 6 läßt sich
mich ansdiese Materie anwenden. Entweder das Mannich,
faktige liegt nmnittelbar in der Sache selbst ; in diesem Falle
braucht der Künstler nur Auqcn , um es zu sehen, c Aber
diese Augen, wie fttte» sind sie '. Oder die Phantasie des
Ar,

5 S> 59.
« Solche Augen sind? ich Sey Namlern. Ick darf z. B. be?
hanpren, diisi feine Ode a» Hmnen da« beste HochzeitG«
dicht ist, waö wir im Deutschen haben. Mit weicher
Weisheit hat sich der Dichter in diesem Liebe einer Kkeinigt
Zeit bedienet , die er in der Sache selbst fand und die noch
«je auf eine solche Art war aemchet wsrden. Mit einem
Worte es ist daS Band, das n von Hymen «erlaugt,
Das Rnie der Z^raut zu gürten.
Die, wenn von Wein und Liebe voü,
iL n Gast zuviel be^ehree
Und sie doch etwas missen soll, .
Am «ebften Vand entbehret.
Wie sein iK dieser Umstand , den »»lere Dichter noch nicht
gesehen bat en und den sie auch Vielleicht nur würden »er«
unst«!ltt haben , «e»a sie ihn gesehen HSste» !
Einförmigkeit Md Maimichfaltigkeit. 7l

Artisten bildet ein an sich mageres Objekt aus und theilt


ihren Reichchum Sachen , oder Begebenheiten mit , die
von Natur arm sind. Kan eine Handlung auf keine ande?
re Art mannichfaltig werden, so ruft man eine Gottheit
zu Hülfe und machet, wie die altern Dichter, die Dmge
durch den Ancheil reich und wichtig , den sie an der ärger?
lichcn Chromke deö Himmels haben. Es ist ein Schoos,
hnnd erschlagen worden ; was ist eö nun mehr ? H,er ist
noch wenig Sroffzu einem Produkte der Kunst. „ Stellet
„aber den Tod des Schooöhundes eben so erbärmllch
,, vor , als den Mord eines Menschen ; sagt von diesem
„ Tode alks , was sich von dem Tode des wichtigsten
Menschen sagen läßt. Machet den Schooehund selbst
„ wichtig ; zeigt uns seine Schönheit , beseelet ihn mit
„etwas Ausserordentlichen : laßt ihn die Seele des AtyS
„ bewohnen , die einen Schutzgcist der Schönen vorstellt,
„die den Hund besitzt ; laßt ihn von Dianen selbst ge,
„fand seyn ; wenn ihr alsdann diesen Schooshund er,
„schlaget, so sehet ihr, daß ihr Götter und Menschen
„in Bewegung setzen könnet. ,. ^ Diese willkührliche
Hinzudenkung mannichftiltiger Umstände muö nur nicht
am unrechten Orte gebraucht werden. Ein Affekt ist alle«
mahl an sich schon mannichfaltig genug und Hefret die
Seele so sehr auf einen einzigen Gegenstand, daß sie nicht
leicht andere Phantasien hervorrufen wird , als diejenil
gen , welche sie unmittelbar aus der Sache selbst schöpft.
Daß übrigens ein Objekt des schönen Denkens alle nahl
noch einigen Reichthum für sich haben mus , brauche ich
wohl nicht zu sagen, nachdem «S unsere Aesthetiker schon
vielmahl genug gesagt haben. ,
Besitzt der Artist die Eigenschaften, welche wir von
ihm gefordert haben und die Weisheit, einen Gegenstand
ju finden, der seiner würdig ist ; so wird. er nicht erman-
geln , in seine Werke diejenige Mannichfaltigkeil über,
E 4 zutra,
^ S. Duschens kritisch, Schriften S. »o, 121.
7- Einförmigkeit und Mannichfaltigkeit.

zutragen, die den Seher, Zuschauer, tefer und Hörer


vergnügen und unkerhallen muß. Der Mahler wird mit
der reichen bedeutenden Manier eines Raphaels Z^nch,
denken , mit den gefälligen Colscit eines Corregio 4Lnt>
zücken und mit der wahrheitSvolleu Nachahmung eines
Titian Zufriedenheit erregen und Gallerien füllen, in
welchen der Kriticus beobachten , der Künstler lernen und
der iiebhaber erstaunen katt' Der Tonkünstler wird die
Seele durch viellönende Harmonien in das Ohr bannen
und den übrigen Sinnen Stillschweigen gebieten, oder
sie nur da empfinden lassen , wo es das Ohr erlaubt. Der
Dichter wird unsere Phantasie, durch die Mannichfal-
tigkeit seiner Züge , Erdichtungen , Schilderungen , Wen,
düngen und SentimenS von uns weg und durch die mäch
tige Enarqie semer Eindrücke in die Scene entzücken/
tvv seine Personen empfinden, handeln und leiden. Hier
ist der Fall , wo man sagen kau : Genie ist besser , als
Kunst und Regel, oder, so man will, selbst die einzige
Regel der Kunst.

Den Fehler, in welchen der Künstler in Rücksicht


auf die Mannichfaltigkeit sollen kan, wenn anders ein
Stümper auch den Namen eines Künstlers verdienet/
habe ich schon vorher gmennet. Er Heist : Trocken«
heit und nüchternes lVesin und wird insgemein nur
von denenjenigen begangen, welche nicht Geschmack ge^
nug haben, um richtig zu denken und nicht Genie, oder
Kühnheit genug , um auszuschweifen. Wolke ich Bey<
spiele geben, so müste ich die Gottschedischen Gedichte
aufschlagen , wozu ich keine tust habe , oder , welches ich
noch weniger mag , von unfern GelegenheitsDichtern
reden und zwar nur von denenjenigen , die in einem
Winkel wohnen , wo man keinen Klopstok kennet. Denn
wenn ein solcher Held einmcchl von der Meßiade, oder,
«eil diesen teuten alles gleich viel ist, von dem Nimrod
Schott
Einförmigkeit und Mannichfaltigkeit. 7;

gehört hat, so ist niemand mannichfaltiger , als er und


wir werden soviel ätherische Dinge von ihm lesen, daß er
uns vollends unerträglich wird.

Die Mannichfaltigkeit in den Werken der Kunst


muß durch Einförmigkeit gemäßiget werden. Der Fort-
gang der Ideen sty weder zu schnell , noch zu langsam ;
das eine ermüdet und das andere schläfert ein. Wir
müssen daher die Gedanken immer nach einer gemein«
schaftlichen Regel und so verbinden, 'daß der zweete , ohne
deswegen erwartet zu seyn , durch den ersten bestimmt
wird, oder wie wir bald sehen werden, so, HKWk^
Vt slbi quiuis leeret iclem , tu6er multum truttra-
<zue Isbora, ^5 ' . .
^ulüs l«Zem.

Wird dieses Gesetz übertreten, so Verbreitet man


sich in ein weirlauftiges , ausschweifendes und
kostbares VOeftn , welches meistentheils ein Fehler
guter Köpfe ist , deren Geschmack keine richtige Bildung
hat. Sie fchissen mit Günthern übers Meer und höh,
len ihre Gleichnisse aus Mißistppi, oder erschöpfen da«
ganze Naturreich von den Steinen an bis zu den Pflan»
zen und von diesen bis zu den lebendigen Geschöpfen,
um nur etwas zu sagen , qu«6 non 6i<äum lir pri^s.
Es ist ihnen bekannt, oder sie haben es mit vieler Mühe
«us allerhand Füllhörnern zusammengesuchet , daß Ara
bien Weihrauch, Syrien Balsam, Zacokera Trauben,
Syracusa Feigen , PaphoS Tauben , Pohlen Bären,
Siberien Zobel, Peru Gold, Dekan Diamanten, Ara
bien Sand und Dornhecken, Preussen Bernstein zeuge
und, um eine so schöne Belesenheit nicht ungebraucht zu
lassen, so schließen sie daraus, daß Tugend und tostcc
«it der Muttermilch eingeflößet werden , die sich , da
mit der Autor noch mehr Gelehrsamkeit zeigen möge.
E5 so
74 Einförmigkeit und Mannichfaltigkeit.

so geschwinde weisen müssen , als an den iöwen die Klaue»,


an fruchtbaren Bäumen die Blüche und am Cythisus die
Feindschaft mit andern Bäumen, e Man kennt in den
" Schriften der Kunstlehrer in diesem Fache den Hohenstein
schon so gut, daß ich keine Beyspiele aus ihm bcyzu«
bringen nöthig habe. Ich habe Key diesem Manne im
mer viel Genie gefunden und eine Stelle in den tits
teratnxBrieftn , die von ihm handelt, ist sehr nach mei«
uem Geschmacke. / Was ich bisher gesagt habe , ist
eine

e Eine travestirte Stelle aus MönnlingS Dedication ZU dem


I^oKenlieini« leuteiitiolo.
/ S° sehr nach meinem Geschmacke, daß ich sie öeynahe ganz
hersetzen will : „ Sie lachen, daß ich von dem so sehrver«
schrieenen Lshenstein sage, er habe manches gute, das des
kannter zu werden «erdienet ? Und woher wissen , oder vcr>
muchen Sie daS Gegenthcil ? Ich wette daher, weil seit
dem Gottsched alle Poeiiken und Aesthe'ikcn die Benspiele
des Schwülstigen , Hochtrabenden und Sinnlosen aus bei«
Lohenstein entlehnet , weil Lvhcnstinisch bey unsern schönen
Geistern nach der Mode so viel heißt, als Bombast und
Unvernunft und weil noch niemand das Lesen seiner Schrift
ten in einer andern Absicht empfohlen, als um zu lernen,
wie man nicht schreiben muß. Ich gestehe es, daß er alle
die Fehler hat , die ihm unsere Kunstrichter zuschreiben und
sie fallen so sehr in die Augen , daß es ein geringes Ve«
dienst ist , sie entdeckt zu haben. Hingegen hat sein pro<
soischer Seil gute Eigenschaften , die man bey vielen Tal»
lern "einer Schriften vergebens suchen würde. Ich finde
in vielen Stellen seines Arminius einen hisiorischen Siyl,
der, sich unsere Geschichtschreiber zum Muster nehmen sol<
ten. Gedrungene Kürze, runde Perrode», kernhofteZlus,
drücke und Beredsamkeit , die am Erhabenen gränzer , wird
man in diese» ungeheuren Noman öfter finden , als man
Klauben solle. », — Hieraus führt der Kunstrichter ei<
«ige Stellen zum Beweise an, die ich nicht abschreiben
mag und schließt so : „ Man sollte nicht glauben, das; ein
Kops, der des Erhabenen fähig ist, sich vey andern Gele«
gtNt
Einförmigkeit und Mannichfaltigkcit. 75

. «ine kleine Kttion für die Augspurgischen Künstler, die


immer noch zu gefallen glauben , wenn sie ihre Werke ,
hie sonst sauber sind, mit Zierrathen überladen, die von
ihrem guten Geschmacke eben nicht das beste Unheil fäll
lcn lassen. Wir wollen lieber «ine Kirche nach der GvL
thischen Bauart betrachten und unfern Vätern für ihren
prachtvollen Aufwand danken , als uns an den Arbeiten
dieser Meister in den Werken der Franciszifchen Academie
belustigen.
Noch habe ich gesagt : die gemeinschaftliche Regel,
nach welcher das Mcmnichfaltige verbunden wird , muS
versteckt und unter dem Colorit fo verdunkelt werden,
daß man sie empfindet, ohne sie mit Bewustseyn zu den»
s ken. Bey einem Produkte der Kunst findet immer der
iiebhaver mehr Vergnügen, als der Kunstrichter. So,
bald die Regel der Schönheit allzusichtbar ist , fo wird je«
der iefer, oder Zuschauer ein Kunstrichter ; er denkt, wo
er nur empfinden und urtheilt, wo er nur schmecken solle.
Contrast, Progreßion, Mangel der Uebergänge , Auslö>
schung der ZwischenJdeen, Ümkehrung des Fortgänge,
Veränderung der Stellungen , Mischung des tichts und
Schattens und Verschiedenheit des ColoritS sind die Mit?
tel, wodurch dieses Gesetz kan beobachtet werden.
Ist die Einförmigkeit allzu sinnlich, so erzeugt sie
einen steifen Schulton , eine verdrüßliche Regelmäßigkeit,
die verursacht , daß wir Poesien nicht ganz lesen und
Werke der bildenden Künste nicht zweymcchl sehen mö
gen. Aus diesem Fehler , für welchen man Genies nicht
zu warnen hat, sind mühsame Chrieu, mibiegsame !ei«
sten
gttcheken bis zu den lZcherNchsien und ungeleimteflen N«n<
sense herablassen solle , wenn m«n nicht wKste , daß der
VZangel an Geschmack und die Liebe zmn Ausserordentliche«
die besten. Fähigkeiten zu verderbe« und das Genie auf die-
abentheuerlichsten Irrwege zu Verleiten im Stande sind. ,»
LitteraturDricfe Th. tX. S. iz s < 144.
7T Einförmigkeit und Mannichfaltigkeit.

stcn zu steifen SchulDeclamationen , frostige Zuschnitte zu


Gedichten von allerley Arten und todle Mahlcreyen ent^
standen, die mit Verdrus gehört, oder gesehen und mit
Vergnügen vergessen werden.

Wenn unsere Dichter diesen Aussatz lesen sotten, sa


wögen sie sich selbst fragen , ob sie von den Fehlern , die
ich qerüget habe , völlig rein sind. Ob sie nicht zu wei>
len sich in die äthcrifckcn Gesilde verlohren haben, wo es
nicht nöthig war und wo sie es näher haben konten ?
Ob sie nicht manchmal in ihren Einsamkeiten Dinge zu-
sammcn qeträumet, die ihnen niemand verdanken wird ?
Ob sie nicht in ihren Schilderungen oft zur Unzeit noch
freigebiger gewesen, als die Natur selbst ? Ob sie nicht
ohne Noch mehr Teufel erschaffen, als das Pandämo«
mum saßen könte, wenn dieses auch noch so groß und
jene noch so klein wären ? Und hundert andere heilsame
Fragen niehr. Wird vielleicht eine klügere Nachwelt
nicht eben so gut Beyspiele des schwülstigen , ausschwei
fenden , weitlüustigen , kostbaren und — lächerlichen
in ihnen finden, als wir im Hohenstein und HofmannöF
Waldau ? Ich habe dieses Epiphonema nicht gemacht,
um , wie Gottsched F der Nachwelt , für welche ich
wahrlich kein Compendium schreibe, zu zeigen, daß ich
diesen Geschmack nicht billiqe. Unterdessen wäre ich
doch begierig , ihr Urtheil über unsere Zeiten zu hören. ^

L in seinem Bayle, ich weis nicht wo.


ii Aussichten in die Nachwelt zu schreiben , würde für
einen Mann von Laune eine «ortrefliche Arbeit seyn. Will
man den Äcniiis unserö Jahrhunderts in seiner wahren
Gestalt erblicken, so versetze man sich noch tausend Jahr
vorwärts und urtheile alsdann von unser« Zeiten so, wie
wir von den Zeilen der Griechen und Römer urtheilen.
Diese Idee würde überaus ergiebig werden , wenn sie von
einem geschickten Kopfe so bearbeitet würde, wie es Herr
Rabener in einigen Stellen zeth«n hat.
vi.

Natur/ Simplicität und Naivetc.


^^Xas Natürliche wird hier weder dem Uebernatür«
lichen , noch dem Künstlichen , oder Erhabenen,
sondern dem Unnatürlichen und Gezwungenem
entgegengesetzt. «

Die Natur ist in allen ihren Zusammensetzungen


sinnlich harmonisch/ so weit es die Idee der Vollkom,
men«

« S. ZiscowS Vorrede zu Heinekens Longin S. 22. f. f.


„Natürlich heiss«, wenn von künstlichen Handlungen die
Rede ist, so viel, als ungezwungen und wird eigentlich,
Nicht der künstlichen Handlung an sich selbst, sondern der
Art beygelegt, mit welcher man sie verrichtet, Leute, die
zu einer Kunst kein Geschicke haben , die Regeln derselben
nicht recht wissen, ooe,r, weil sie eö gar zu meisterhaft mas
chen wollen, die Kunst zu sehr blicken lassen, die müssen
sich Gewalt anthun und werden in allen ihren künstlichen
Handlungen steif, gezwungen und unnatürlich. Einer hin«
gegen, der von Natur zu einer Kunst aufgelegt ist , die R«
geln derselben wohl inne hat und dabey die seltene Kunst
besitzet, die Kunst zu verbergen, handelt natürlich. DaS
Natürliche wird also, wenn es «0» künstlichen Handlun«
gen qesaget wird, nicht der Kunst entgegen gesetzet, son«
dern der ungelenken Steifigkeit cineS Ungeschickten, der
zitternden Blödigkeit eines Lehrlings und der eitlen Begier«
de, sich sehen zu lassen eines Gecken der entweder auS
der Kunst sein Handwerk machet, oder sich sonst was dar«
auf einbildet. Es ist vielmehr der höchste Gipfel der Kunst
und bedeutet, daß ein Mensch zu einer Kunst so ausgeleget
ist und dieselbe dergestalt in seiner Gewalt hat, daß eS
scheint, sie wäre ihm angebohren. Es wird nicht nöthig
seyn, dieses mit Exempcln zu erläutern. Man stelle sich
nur de» Reverenz eines Professors , eines Peritmaiters und
eines Menschen vor, der weder ein Professor, noch ein
Narr ist, so wird man begreifen, wa« ich sagen will.,,
78 Natur, Simplicität und Naivete.

menheit zuläßt, die sie zugleich nebst Her Schönheit vor >
Augen hat. Die höchste Stuft, welche der Künstler
zu erreichen hat , ist Schönheit ; er hat sich also, wo
er nicht nach Vorschriften arbeitet, keiner Collision zu
besorgen und kan daher seinen Werken noch mehr sinn
liche Übereinstimmung geben, als die Natur den ih^
riqen. Er bildet sich also ein Ideal, in welchen er die
Schönheit der Natur so hoch hebt , als sie seyn würde,
wenn sie der Vollkommenheit nicht oft weichen müste ;
nach diesem arbeitet er und seine Werke sind natürlich,
wenn sie diesem Ideal ohne anscheinende Mühe nahe
kommen.
Dem ohnerachtet kosten sie Mühe und ein solcher
Gedanke ist in einem hohen Grade natürlich, der müh,
sam war und es uns nicht scheinet, von dem man glau«
ben Mus, er wäre aus dem Stoffe von sich selbst her?
vorgewachsen , wir würden ihn auch gefunden habm,
wenn es uns nur eingefallen wäre, ihn zu suchen und,
wie ich schon vorher gesagt habe ,
Vr übi czuiuis leeret lZem, lullet mulrum 5ru-
Lirg^ue laboret,
^ulus !6em.

Vielleicht kan ich dies besser mit den Worten eines


scharfsinnigen Verfassers ausdrücken. Die schönen
Künste und Wissenschaften, sagt dieser, haben die Ab-
sicht zu gefallen. Der Virtuose muS alle Mittel anwen«
den , die ihn zu diesem Ziele leiten. Wenn wir nun die
Bemühung , zu gefallen, gar zu deutlich merken und also
mehr die Übereinstimmung der Mittel zum Endzwecke,
als ihre natürliche Verbindung unrcr einander wahrueh»
men ; fo jagen wir, es sey zu sehr gekünstelt. Hat «der
der Künstler seine Mittel, ausser ihrer Uebereinstiim
mung zur. Absicht, auch unter sich dergestalt verbünde«,
^ daß
Natur / Simplicität und Naivete. 79

daß sie ungezwungen aus einander fließen und sich gleich,


sam einanoer nochwendig machen ; so sagen wir mit
Recht; er hat die Kunst zu verbergen gewußt, es ist al-
les Natur in seinen Arbeiten. />

Der Artist, mag ein Schöpfer, oder ein Nachah«


wer scyn , so muö er , wie das delphische Orackel dem
Cicero gebor , der Natur folgen. Er soll seinen Gegen
stünden keine unnatürliche Farben leihen und den Ge,
danken selbst eine solche Wendung geben , in welcher
Man ihnen den Schweiß nicht ansiehst, den sie gekostet
haben. Vielleicht entdeckt sich hier noch ein Unterschiel»
unter dem Natürlichen, wiefern es dem Gezwungenen
und wiefern es dein Unnatürlichen entgegengesetzt ist.
Das Unnatürliche bem'ft mehr die Ausbildung der Ges
genstandc ; das Gezwungene die Ordnung und den
Ausdruck den Gedanken. Eine Person , die im größten
Affekte nach witzigen Ankhitescn und Gleichnissen gau
kelt, ist unnatürlich: der Dichter, wcnn er eben das
thut, wird gezwungen. Bcy dem ersten füllt ösr-Wr-
drus welchen dergleichen Werke erregen , mehr auf die
Gegenstände, bei) diesen aber am meisten auf den Dich
ter selbst zurück. Ein Schöpfer der keinen guten Ge
schmack hat, wird unnatürlich; der knechtische Nachah,
wer des Schöpfers wird gezwungen. Bcyde Fehler
werden am meisten nur von denenjenigen begangen, die
wider den Strom schwimmen, ohne Genie schön denken
wollen und die Kunst nicht verstehen , zu bcurtheilen und
auszustreichen. Ein Genie, das von keinem richtigen
Geschmacke geleitet wird , übertreibt zuweilen einen Ge
danken und künstelt zu sehr; selbst Pope, dessen Ge,
schmack sonst fein war, ist in seiner GrabSchrift auf den
Ritter Kneller auf Kiefen Abweg gerachen. Allein ganz
aiidcrs ist es, wenn ei» Genie, ganz anders, wenn ein
Sküm-
5 S. die LitteraturBriese Th. VUI. S. Z55- f.
zo Natur, Simplicitat und Raivete.

Stümper fehlt. Man ärgert sich über das Vergehen <


des einen und wundert sich , wenn der andere einen Feh
ler vermieden hat. dkoerilum
Li8 rerue bonum cum rilu miror er i6em
luälFnor, qusrilZoczue Konus 6ormitst ttomerus.

Eine Person, die an sich reizend ist, hat nicht nö-


jchig , sich zu putzen ; ihre Schönheit sticht unter einer
«achläßigen Kleidung am meisten hervor und wird dan«
am ersten im vollen iichte gesehen, wenn das Ausserliche
was sie umgiebt, nicht reich und prächtig genug ist, um <
ihr unsere Aufmerksamkeit zu entziehen. Wir wollen
auch in den Werken der Kunst der Natur folgen , die
Kitten Aufwand ohne Noch macht, alles Ueberflüßige
verwirft und durch die wenigsten und kleinsten Mittel,
die grösim Endzwecke erreichet. Das Heist edle Ein
falt und Simplicitat. r Sobald ein Gedanke, der
seine Schönheit und Erhabenheit aus dem Objekte selbst
empfängt , zu sehr ausgebildet und geschmückt wird ; ft> s
liehet man vor allen Zierrathen das nicht, was man fe-
hen solle. Ein erhabner Gegenstand bedarf unserer Ver?
schönerung nicht; aber das kostet Kunst, ihn geradeaus
derjenigen Seite sehen zulassen, wo er am meisten er
haben ist : ist das geschehen , so hat der Artist alles ge-
than, was wir von ihm verlangen tonten. Wenn dieser
zu freyqebiq ist und seine Werke mit unnöthigen Ver?
zierungen überladet ; so zeigt er uns die Natur im Reis,
rocke, die wir lieber in ihrer natürliche«, Taille gesehen
Härten und verdienet von uns für alle feine Bemühungen
keinen Dank. Ueberbaufre Verzierungen , sagt Home, </
Verwirren nur das Auge und verhindern den Eindruck,

c S. SulzerS Abh. von Genie in der ttlsto!« cks l'^ttclem»


r«x»le <te» icieiiee» et <l« bell« lettre».
^ Th. Hl. S. z;«.
Natur, Simplicität und Naivete. zi

der Gegenstand als ein vollständiges Ganzes machen


Ein Künstler, dem es an Genie zu Hervorbrin-
der großen Schönheiten fehlet , wird durch einen
natürlichen Hang getrieben, diesen Mangel durch eine
Menge kleiner Verschönerungen zu ersehen. Dahev
kommen in Gärren die Trmmvhbö >en , die chinesische»
Häuser , die Tempel , Obelisken , Wasserfälle , Spring,
brmmen , alles in übermasiger Menge ; und in GebünB
den die Pfeiler, Vasen, Statuen vnd eine Verschwen
dung von Skulpturen. Eben so pflegen Frauenzimmer
ohne GeschMt ck jeden Theil ihrer Kleidung mit Verzie»
rungen zu überladen. Ueberflüßiger Zierrath thut noch
eine andere übcle Würkung ; er verkleinert den Gegen/
stand. Einer großen See gicbt eine Insel , die darin?
nen liegt, noch ein größeres Anschn; aber eine gemachte
See in einem Garten , die allezeit klein scheinen mus,
scheinet noch kleiner, wenn man eine Aistl darinnen ans
legt. Wae soll man nach allem diesen von unsern Kunst,
lern sagen , die sich das Gesetz vorgeschrieben haben , kei
nen Winkel auf ihrer !einwand , oder Platte ohne Des
coration , keinen Tag in ihren musikalischen Compositio-
nen ohne erkünstelte Touren und keine Strophe in ihren
Gedichten ohne ausländische, oder ätherische Kostbarkei
ten zu lassen? Ich habe Medaillen gesehen, die an sich
erhaben genug und fähig waren , die Phantasie mit gro,
sen Ideen zu füllen , die aber nur dem Kupferstecher zu
arm geschienen , um ganz allein eine Platte zu füllen.
Sie musien daher mit so vielen Zierrathen umgeben
werden, daß sich ihre ganze Majestät in diesem Contrast
verlohr, oder verminderte, die auf dem leeren Papier
weit sichtbarer gewesen wäre, e Könige lieben in ihren
' "s ' , F Kleix

e Z. B. Die bekannte Medaille, wo ans vereinen Seite das


Brustbild TheresienS stehet, mit de, Umschrift: Vlsris l'Ke»
reli, 0. dar. csek ?il. Nun«, et L«d. Kex Kr. äullr. auf
dem
u Natur / Simplicitär und Naivete.

Kleidungen Simplicitöt und erlauben , es daß ihre Be>


dienten sich durch äußerliche Pracht ein Ansehen geben,
unter welchem sie noch immer Bedienten bleiben. Und
ein geistvoller Künstler verschmähet dergleichen Zierra,
then, die seine Gegenstände herabsetzen, oder vcrdun»
keln; er wirft sie auf die Seite und überläßt sie demjeni
gen , der aus Mangel des Genies nichts Keffers wagen
darf.

Dieser gothische Geschmack hak , ausser der Ernie


drigung der Gegenstände noch eine andere schlimme
Würkuug, die insbesondere unser Neubegierde und
Aufmerksamkeit löstet. Wir verlangen von dem Arri«
sten, daß er uns nicht alles vorzähle, was er gedacht
hat und uns auch noch etwas zu denken übrig lasse. Er
muß also Zwischenräume in jeinen Produkten , in der Fol
ge seiner Gegenstände , Handlungen und Gedanken ein
leeres lassen , was wir auf diejenige Art selbst füllen mö
gen, wie es uns am bequemsten scheinet. Dadurch
» wird

dem Revers ober der gekrönte Löwe mit der Be»schrift:


Zuttiti» et clemenli«, war gewiß nicht deswegen an die Rirgi
tische Buch s und Kunsthandlung nach Nürnberg geschickt
worden, damit sie «us eine so abenthcuerliche Art in Ku<
» pfcr aestochen würde, als eö würklich geschehen ist. Wir
- inüssen sie hier in einer Landschaft sehen, zu ivelcher die Gc<
Heiistände nicht auf das Beste grnppiret jz„b . wenn
man, sie lücht zu Hauße betrachten könte. Ueber der Mes
daMe öfnet Ich der Himmel und schießt Stralen hermiler,
Hie einige dunkle Wolken auf der Borderseite erleuchten,
init welchen die Medaille umgeben ist. Von dieser ist s«
wohl die Gesichtsseile , gjs die Rückseite jede einem Schutz-
Engel anvertrauet, der sie veste hält und zum Ueberfluße
sind noch beyde durch ein schönes Band mit einer zierlichen
Schleife zusammengeknüpft , über welche ein dritter Engel
Blumen streuet. Ein solches Stückgen ,ist unter der Kritik
«ino ich habe mich nur in die Zergliederung desselben ein«
gelassen «in Anfängern diesen icicherliche« U^berfKip sinnlicher
zu machen.
Natur, Simplicitär und Naivete. Lz

wird unsere Phamasie in einer angenehmen Mühwal»


tung beschäftiget ; wir freuen uns , gerade das ertappet
zu haben , was der Artist gemeiner hat und nehmen also
Theil an seinem Verdienste. Ist dieser allzu freyqebiq,
oder vielmehr nciölsch und allzu besorgt gewesen, alle
tücken mit eigener Arbeit zu füllen, so bleibt für uns
nichts übrig , wobey wir Ehre erjagen kanten , keine
leere Duration, um sie mit Eucceßionen zu ergänzen,
kein Raum , um noch eine Person , oder einen Körper
hineinzustellen, keine Interruptio», wo wir die Hand
lung , oder den Gedanken silbst fortführen könten. Die-
ses macht uns verdrüßlich und verursacht , das wir das
Produkt nickt wieder sehen, hören, oder lesen mögen
und der Künstler hat mir aller seiner Mühe für den Un-
rergang semer Werke gearbeitet.

Ein schöner , vielsagend« , im höchsten Grade urch


bis zur Täuschung namrlicher > Gedanke , mit einer «t»
scheinenden Nachläßigkcit und edlen Einfalt sinnlich g«
macht, Heist naiv. Oder, wie Herr Mofeö sagt,/
wenn durch ein einfältiges Zeichen eine bezeichuete S«
che verstanden wird , die selbst wichtig ist , oder von
wichtigen Folgen feyn kan, die Absicht des Redende«
mag gewesen seyn, mehr zu verstehen zu geben, als er
saget, oder er mag von ohngefahr mehr verrachen haben;
so Heist in beydcn Füllen die Bezeichnung naiv. A Ohne
diesen scharfsinnigen Welrweifen und Kunstrichter über
«ine Kleinigkeit chicamren zu wollen , erinnere ich «ur,
daß die Naivete nicht allein auf die Rede darf cinges
schränkt ^werden ; man spricht auch von dem Naiven

/Phil. Schriften Th. II. S. iL«.

F Wenn ich schon vom Unerwarteten geredet hätte, fd ttnte


ich durch dieses mir einer genaueren Beftunwung das Naiv«
sehr füglich beschrieben.
84 Natur, Simplicität und Naivete.

in den Stellungen, Minen und Gebcrden. Die Stes-


lung eines blöden Mädgens, das die Augen niederschlügt,
erröchet und mit ihren niedlichen Händen
Den holden Busen deckt, der kaum zu decken ist,
diese Stellung ist so naiv , als die Rede der liebenöwür,
digen Kleinen beym Gelle«:
was sagten sie Papa? Sic haben sich versprochen.
Ich sollt erst vierzehn Jahre seyn ?
Nein vierzehn Jahr und sieben Wochen.
Die zwo Arten vom Naiven, welche Hcrr Moses an»
giebt , sind vollkommen gegründet. Zuweilen redet die
bloße Natur und saqt uno mit einer m sckuloigm E i.falt,
mehr, als wir wissen sollen, wie die jun>je Hrau beym
Gleim :
Nun heute führt man mich zur Tra»
Und morgen bin ich cine Lrauz
O Himmel steh mir bey !
Ich bitte dich von HerzeusGrund ,
Erhalt doch meinen Mann gesund;
Erhalt doch mich getreu .'
zuweilen aber steckt hinker der anscheinenden Nachlässig
keit und Unschuld eine kleine Bosheit, wie beym leßing:
, Die arme Galathee ! man sagt , sie schwärzt ihr
Haar,
Da doch ihr Haar schon schwarz , als sie es kaufte
war.
Oder Boeheit auf der einen und Einfalt auf der andern
Seite , wie in der Unterschrift , die der Spötter seinem
verliebten Sreunde hgg P^lratt Mer Schönen
leih« :
Seht
Natur, Simplicität und Naivete. 85

Seht diese Augen , den Mund , schön, wie die lächeln«


^ de Rose o
Und dieses Wuchses entzückende Pracht !
Dies ist das Mädgen, das mich aus einem Narren
in prose
Zu einem Narren in Versen gemacht.

Kleine zärtliche Empfindungen von Wein und liebe wer


ben ofl vorzüglicher Welse naiv genannt und diese kön,
tcn wohl eine besondere Klasse des Naiven ausmachen.
Man wird dergleichen im An kreon, in Gleims Wer,
ken , in den Schäfergcdichten bcö Herrn Rosts , in
Gerstenbergs Tandrleyen und in Wielando komischen
Erzählnnqen ans allen Seiten anrriffen. Hier ist zum
Ueberfluß ew Beyspiel , das erste , das beste :
Ich Uebe dich , dich kleinen SchmerlenVach z
Und höre gern dein murmelndes Geschwatze,
Und sehe gern den kl«nen weilen nach,
wenn ich ermattet von der Jagd ,
Mick auf dein weiches Ufer setze.
Ich schöpfe gern dein Naß
In mein crystallnes Glas,
Um meinen Gaumen zu erfrischen.
Es löscht den Durst auch leicht ; allein', ^
Mein lieber Bach, mit meinem wein
Mus es sich nicht vermischen. , .
Eine andere Klasse gehört für die Fabel und klei.
nere Erzehlung. Diese Naivete besteht, wie Batteux
sagt, ä in der Wahl gewisser simveln Ausdrücke, die
lieblich und süß sind, die mehr von selbst entstanden,
als gewühlt zu seyn scheinen: in Wortfügungen, d,e
sich gleichsam zufälliger Weise gefunden haben, inj gewls-

ü im ersten Bande S. 259.


z6 Natur, Simplicität und Naivete.

sen Wendungen, die neu aufgeputzt erscheinen , aber doch


noch das Ansehen des Alterchnme beybehalten. Beys
spiele findet man in den Minnesingern , im iafontaine
und Geliert.
Das Erhabene verträgt sich sehr gut mit dem Nai,
ven und oft ist das eine auch das andere. Wenn Mel?
lefont die unschuldige Sara, die sich selbst mit den bit
tersten Vorwürsn überhäufet, fraget: wenn sie sich
selbst mir so grausamen Augen ansehen mit was
vor Augen müssen sie mich ansehen und sie antwor
tet : Mir den Augen der Liebe ; so ist dieses
Sentiment so erhaben und zugkich so naiv , als irgend
eines um.'r solchen Umständen seyn kan. /
Nach allen diesen Begriffen von dem Natürlichen,
von der Simplicität und Naivere , wollen wir eine kurze
Berechnung und Rekapitulation der Fehler anstellen,
die in diesem Fache können begangen werden. Hier ist nur
ein klemes Register, welches man leicht vermehren kau.
Ein an sich guter Zug am unrechten Orte
wird unnatürlich. Hierher gehören allzusehr gedehn
te und ausgebildete Gleichnisse, Gleichnisse und gesuchte
A»thithese» in affektvollen Stellen, kalte Moral in tei,
denschaft gemischt, Schilderungen, die uns aufhaken
und ermüden, Monologen an unrechten Orte u.s. w.
So ist die scko« vorher angeführte Grabschrift von Po«
xen auf den Ritter Kneller beschaffen :
Da er lebte, furchte die Natur, er möchte ihre
Werke übertreffen ; und d« er stirbr, fürchtet sie,
selbst zu sterben. K

j kn der Mi» Sara Saiftppm des Hn. LeßKxgA.

- S. dt« Home Th. U, S. f.


Natur, Simplicität und Naivete. 87

Jeder Gedanke, der dem Hauptzwecke wi


derspricht, ist wider die Natur. Ein lächerlicher
Zug in einem ernsthaften Gedichte ist ein Uebelstand.
Alle Vorstellungen , die einem Affekte widerstehen wür,
den, der eben soll erreget werden , müssen ausgestrichen
werden.
Ueberflüßige Umstände sind unnatürlich ,
«?enn sie nicht mit Laune vorgesieUet werden.
Olime luperuscuum pleno <Ze peätore manst.

Ein guter Dichter höhlt nicht zu weit aus ; er webt


nicht alle vorhergegangene Umstände in seine Erzähl
lung ein ;
He« recktum Viomeäls ak interitu ^eles^ri^ , >L
Mc ^emin« bellum 1>ojsnum orllitur sb «uo.
Er schildert nicht , «S sey denn , daß wir di« Srene
nothwendiq wissen müssen, wo die Handlung vorgegan,
gen ist und dann thut er es mit zweyWvrttn. Wir über
schlagen dergleichen unnütze Gemählde;
eum !u<ms et srz Visuse
M properantis ac^use per smoerios smbirus
4 . ggros,
/Vut Kumen KKenum , sut pluulu8 <K5cribitur
srcus.
Und rufen mit nnserm Hvraz aus r

8ecl nunc non erst K!s j locus.


Bey einer Person von einem launischen sCharatter, in
deren Seele sich Gedanken und Umstände durch die leich,
testen Verbindungen auf einander häufen, mu« man eine
Ausnahme machen. Man lese in der Note ein Beyspiel
F 4 aus
88 Natur , Simplicität und Naivete.

aus dem Shakspear/ nach der Uebersetznng des Herrn


Meinhards , m welches die Sache demnch machen wird.

Unnatürlich sind ferner alle Gedanken, die


gar keine Ob'ekte haben , oder diesen ndch nicht
gemäs sind, Widersprüche mit der allgemeinen mo,
ralischen Natur, Hyperbeln, tndcnschaften über ihren
höchsten Punkt hinausqetrieben, spihffndiqe romantische
Empsindunqen und iiebesErkläruiigen , Widersprüche
«mer den Gedanken und dem Charakter der Person,
Widersprüche mit den Umständen der A.it und des Orts,
Effekte ohne Ursachen, jerhaueiic Kiioren , r)I«cilla und
rmmitl's m.t einander vermählet, und überhaupt ttöe
sinnlichwidrige Znsammeiseftunien und solche , die der
Analogie der Name nicht gemäs sind, taoköon wäre
UMia«

? Z 'Wffaff fraget die Wirkhin: Was für eine mächtige Sums


^ , me bin ich dir denn schuldig? „ Z»m Henker, antwortet
«..-.„ dick selbst nnd dein Geld noch d«rzu, wenn du ein ehrs
Ucker Mann wärest. Du schwurst mir auf einen vergold«
ten Becher, da du in meinerKammcr am runden Tisch neben
dem Kohlfeuer saßest, es war am Mittwoch in der Pfingstl
Woche, du schwurst mir da, indem ich deine Wunde wusch,
daß du mich Heurathen und zur Madam deiner Fraii mat
chen wölkest. Sannst Du daö leugnen? Kam nicht Mmrer
! . ..7:Kepch,, des Schlachters F^au herein und nannte mich Ge«
vatterin Gu ckly? Sie k^,m und borgte Er,ig und sagte,»
daß sie eine gute Schüssel mit kleinen Fischen hätte >»,d du
«öltest gern einige davon essen und ich sagte , daß sie für
eine frische Wun>e nichts taugten. Und sagtest du mir
nicht, d« sie die T eppe hinunter war/, da» ick mich nicht
mehr mit solchen armen Volke so gemein mache» solle und
. daß sie mich bald Madam würden nennen müsse»? Und
gabst du mir nibt einen Kus und batst, ich solre di> dreyft
fig Schillinge bringen ? Thu jezt einen Eid auf deine Bibel,
läüyne da«, wenn du kannst,,! im Heinrich IV. Th. U.
Akt. 1l. Abtritt 2. ' ' -

« im ersten TheiK der Grunds, der Critik. S. 2«.


Natur/ Simplicität und Naivete. 89
unnatürlich, wenn er ben dem entsetzlichen Schmerze,
den er empfindet, nicht einmahl seine Gesichtszüge
vcränd rte. Ein R.manHeld , der allein tausende
schlägt, der sich in «ine Person verliebt, die er nicht
keimt und um sie zu suchen, die halbe Welt durchwan
dert, der sie endlich findet, seine iiebesErklärung mit
Blitz und Donner anfangt und dann, wenn sie auf dem
Punkte stehet, sich zu ergeben , seine schon halbgemachte
Eroberung fahren läßt, um nicht der Mirbuhler seines
Freundes zu werden , ein solcher Amant ist so unnatür
lich, als ein platonischer Stutzer, der nur von geistigen
Umarmungen und ätherischen Küssen spricht. Ein Cha
rakter, der einmahl gebildet worden, muS durch das
ganze Produkt beybehalcen werden;

5eruerur s6 uuum.
(Knalls ab incerzr« procellerit et tibi coulier.

Eine zjede Person muß so denken, reden und handeln,


wie es ihr Stand, Alter und Geschlecht mit sich brin
get. .. , -s

Intererit multum , Oauusne loqustur sn Keros ;


MsN^ru tue teuex, sn a6nuc Koreute iuueuts ^
?eruilju8 z sn mstrous oorens, sn le6uls nutrix;
^jercgtnrne vs^us , cultorue virentis SAelli ,
<D«IcKu8, sn ^ll^rius, l'Kebis uutritus, an ^rg»,
/Vetatis cuiusczue uotancli luur tibi mores;
r^ubilibusc^ue 6ec«r nsturis o'sna'us et auuis.
Wird die Person au« der Geschichte genommen,
so mns die Auebildung des Charakters dem Gerüchte
und der Tradition gemäs senn.

^ut 5smsm lequere . sut üb! conuenientis Luge.


. :l ^Lcriptor Kouoratum 5l 5«rte reoonis ^e^iillem,
F5 'w-
9« Natur, Simplicität und Naivete

Impiger iracunclus, inexorabilis , scer.


Iura riebet ilbi nata , ninii non arrogst armis.
8it Xlectea terox lnuiÄsque ; tlebilis Ino ; » )
kertiäus Ixion; lo vsAa z trittis Orestes.
. Eine jede ieidenschaft mus auch in der Kunst ih>
ren natürlichen Ton behalten ; so lange sie dauert, giebt
sie keine widrige Gesinnungen ein.
I'riliis moekum
Vultum verbs 6ecent , irstum plena min»»
i rum;
I^u6entem lalcius ; teuerum leris 6iKu.
Normst enim natura prius nos intus s6 omner»
k'ortungrum Ksbirurn — . '
kost eKert gnimi motus intervrete linAua.

. Assectation, allzusichtbare Mühe, Nunst


und allzugroße Verschönerung, Ueberladung
niit Zierrarhen , erkünstelte Naivete . sind Fehler,
die ich schon zum Theil vorher gerüget habe. « Man
hüte sich endlich, daß man nicht, um natürlich zu. den,
kei , in ein grobes und plumpes Viesen verfüllt,
welches besonders einige Schäferdichter nicht glücklich
vermieden haben. Alle Schönheiten müssen natürlich
scyn : aber nicht alles natürliche ift schön. Doch von
diesen und ähnlichen Fehlern wird an einem andern Orte
geredet, wie denn überhaupt qlle Sehler wider die Schön
heit auch Fehler wider die Natur sind und daher dieses
Register noch sehr vermehret werden kan.
» So ist sie m der unvergleichlichen. Cantate des Herr»
NamkerS.
« Beyspiele giebt Home im Menge. Th. ll. S.,«lö. f.f.
S86. f. f.

. .vil.
^^umour Witz uud Spötterey, sagt Gerard, F
sind geschickte Nachahmungen ungereimter und
widersinniger Originale, welche uns nicht allein
deswegen gefallen , weil sie diese Originale oft weit voll,
kommener ins Ucht setzen , als wir sie selbst würden ha«
Ken beobachten können ; sondern auch/ weil sie noch
die Annehmlichkeit, welche aus der Nachahmung eut«'
sieht, hinzufügen. Alle drey aber sind sehr weit .von
einander unterschieden und es sötte ein lescnswürdigeS
Werk seyn, wenn es jemand unternähme, die besondere
Natur dieser Dinge auszumachen und ihren wahren
Unterschied von einander fest zusetzen , welches jedoch,
weil der Vorwurf überaus neu ist, nicht ohne Weit?
iläuftigkeit würde gefchehen können.
Die Worte Humour und Laune sind neu ; aber
die Sache ist alt. Das attische Salz der Griechen und
die Urbanität der Römer waren nichts anders, als ein
feiner Humour, womit sie ihre freundschaftlichen Zusam
menkünfte würzten. 6 Nach der Abbildung, welche
iongin von dem Hyperides macht, 5 sinde ich an diesem
beynahe alle Bestandtheils eines launischen Amors.
Un-
« vom Geschmocke Th. r. Cap. 6.
i ?>b«»/x«,e NAniKesri vitle» L:rm«ne» pr« ks lerentem in
verb « et ion« « vlli ^zropriin» que»»l»»> guflum vrbi» et
kumt,», ex eonvertstiune llcrUurmn tsciküm eni^itio»
nein; ^eniqi« cui esntr„iz lit ruktieits5. (^>>intill»uu« ja
In»«. I.ib. VI. «I. p. 4?;. ^6. Koll.
92 Ueber die Laune.

Unterdessen mus man gestehen, daß die Engelländer,


bey welchen der Hmnour eigentlich zu Hauße ist , dieje«
niqen sind , welche zucrst alle Wirkungen deßelben zu?
sammen gefaßt und mit einem eignen Namen beleget
haben.

Eine Untersuchung über die taune anzustellen , ist


^ctzt kein schweres Unternehmen mehr , nach dem wir
launische Schriften genug haben , aus welchen wir nur
das allgemeine heraus nehmen dürfen. In der neuen
Bibliothek der schönen Künste und Wissenschaften stehet
eine Abhandlung über die taune, worin ich das
nicht fand, was ich suchte. Ich will also selbst ausge«
Heu und sehen , wo ich es autteffe.

Httmour soll vom Witze überhaupt, vom komi-


schen Witze, den Sommervile Sneer nennt, insbe
sondere und sitt lich selbst von der Ironie und Spötcerey
unterschieden ieyn. Wo soll dieser Unterschied liegen?
Congreve sagt: ..Humour besteht in einer besondern und
unvermeidlichen Art zu thun , oder zu reden , die einem
Menschen allein natürlich ist und seine Reden und Hand'
Hungen von den Reden und Handlungen anderer unter
scheidet. Ho ne ist damit nicht zufrieden und glaubt,
es müsse die taune etwas unanständiges fassen , was de»
Humoristen in unserer Achtung verringert. „Wenn,
sagt er, e diese Beschreibung richtig ist, so sind auch
herrschende majestätische Geberden Humour, denn ein
'.VKnsch unterscheidet sich dadurch sehr von andern; oder
auch der natürliche Fl'.H von Beredsamkeit und die Richi
tigkeit des Ausdrucks, die seltne Talente sind. Nichts,
was richtig, oder anständig ist ; wird Humour genermt ;
noch irgend etwas Sonderbares im Charakter, in Wer,
ter,
<l i,n ersten Stücke des dritten Bandeö.
e TH. l i. S. 44-
Ueber die Laune, 95
ten , oder Hundlungen , was man hochschützt , oder ver,
ehret. Wenn wir auf den Charakter eines Humoristen
Achtung geben, so finden wir, daß das Sonderbare
dieses Charakters dm Mann in unserer Achtung verein,
gert; wir finden, d ß dieser Charakter aus Umstände»
entspringt, die zugleich lächerlich und unanständig und
deswegen in gewisser Maaße belachenöwerch Mo.
Ich glaube, der eine hat so wenig durchgehcnds
Recht, als der andere.
" Es ist gewis , daß jeder Mensch eine ihm eigene,
natürliche und unvermeidliche Art zu reden und zu han,
dein hat , die ihn von allen andern unterscheidet und
dennoch ist nicht jeder Mensch ein Humorist. Das gilt
wider Congreve.
.- . Eben so gewis scheint es mir, daß nicht all? Hu
moristen durch ihre iaune verächtlich werden, tafontai-
ne und Swift waren die grösten Humoristen im Cha«
rakter und wenn ich das gleich weis, so wi.d doch dadurch
meine Achtung gegen sie nichr vermindert. Das gilt
wider Home. ^
Ich will unterdessen auf die Beobachtungen dieser
Manner bauen und daraus diejenigen Bestandrhcile der
Humours herleiten , von welchen ich glaube, daß sie zu?
sammen genommen den Begrif desselben ausmachen.
Zum Humour also gehört ein Charakter , der sehr
eigenthümlich ist und sich von den gewöhnlichen Cha-
rattern auf eine sehr abstechende Art unterscheidet.
Einer Gesinnung, die alle, oder viele Menschen mmr
sich gemein haben, fehlt das Ansehen der Besonderheit,
welches man zur taune erfordert. Der CharaKer des
Humoristen weicht daher von der gemeinen Einrichtung
seiner Gattung ab, und zwar so, daß er insgemein etk
was bizarres Und unschickliches enthält, welches aber
des?
94 Ueber die Laune.

deswegen nicht allemahl lächerlich , oder belachens Werth


ist. Es kann die Unschicklichkeit wichlig seyn , sie kan
uns inkereßiren und dann erzeuget sie weder die Bewe
gung des iächerlichen , noch auch immer verächtliche Ge«
sinuungen. Ein wichtiges Ingrediens in dem Charak,
ter eil^es Humoristen ist ferner ein gewisser Eigensinn,
der sich durch Worte und Werke ohne Zurückhalmng an
den Tag leget. Ein Humorist betrachtet die Gegenstän,
de immer von besondern Seiken und äussert Key aller
Gelegenheit solche Einfälle und Neigungen , die seiner
besondern DenkungSart qemäs sind. Er spielet also ent
weder, wie Tristrams Onkel , noch in seinem Alter den
Soldaten, oder philosophirt mit dem alten Hn. Shan?
dy so lange über die Erziehung seines Sohnes , bis die
ser bey nahe so alt wird , daß er keine mehr bedarf. /°
Ich habe noch den Mangel der Zurückhaltung zu einem
launischen Charakrer erfordert. Wir können annehmen,
daß jeder Mensch so viele eigene, auch unschickliche
Phantasien, Meinungen und Einfälle hat, daß jeder
für einen Humoristen könte gehalten werden, wenn wir
alle feine Gedanken wüsten. Allein die meisten verstel
len sich , sie lassen das Eigene in ihren Gesinnungen
«icht blicken und sind, wie andere tcute auch sind, oder
unterscheiden sich doch von ihnen nicht merklich. Ein
wahrer Humorist hingegen läßt sich bey jeder Gelegenheit
in seiner wahren Gestalt sehen ; seine iaune ist ihm ent
weder so lieb , daß er sie nicht verbergen will , oder hat
so viel Gewalt über ihn , daß er nicht kan.

Summiret alle diese Beobachtungen und fttzet sie


in «inen Begrif zusammen, ss entsteht ein Resultat, wel
ches beynahe Definition feyn möchte : Die Unschicklich«
keit der Gesinnungen «ines sehr eigenchümkci,<u , abste,
chenden

^ S. l.i5«>nck qpmkms «HI'rÄtr«» H»n<1? von H«, Lorenz


Stern«,
Ueber die Laune.

chenden und eigensinnigen Charaklcrs, wiefern sie ohns


Zurückhaltung dm ch Minen , Worre, oder Werke an
den Tag gelegt werden , ist Humour. Ae„ssert sich
dieser bcy wichtigen und solchen Dingen, die uns durch
große Folgen intereßiren, so ist es ernsthafte Laune;
in unbeträchtlichen und unschädlichen Objckten wird die
taune lächerlich, oder komisch und gicbr den Personen,
welchen sie zukommt eine drolligte Gestalt. Die ernst,
haste taune herrschet vornehmlich in den tragischen Gc,
sinnungen, die im Shakspear so häusig vorkommen und
von welchen unten soll gehandelt werden. Die komische
taune wird insgemein verstanden , wenn man das Wort
ohne Zusatz brauchet und diese Bedeutung werden wir
auch künstig beybehalten.

Wir eignen einem Volke einen National Hui


mour zu , wenn es sich durch seinen Charakter und be-
sondere Bizarrerien von andern Völkern sehr merklich uu«
terscheidet. Vielleicht kan auch ein Theil von dem,
was man Genius Seculi nennet, durch Humour des
Jahrhunderts übersetzet werden. Es giebt ferner eine
GeschlechtS,taune, wenn Personen, die zu einer Sipschaft
gehören , sich ausser dem Namen noch durch besondere
Züge in den Meinungen , Reden und Handlungen
kemilbar machen. Auf diese Art kan jeder Stadt , je«
dem Dorfe, jedem Alter und jedem Stande eine besonn
dere iaune zugeschrieben werden. Hier ist hauptsächlich
nur von der persönlichen iaune die Rede , wodurch sich
ein Mensch von allen Subjekten seiner Gattung auszeich-
net, es sey auf eine vorcheilhafte , oder lächerliche Art,
wenn sich nur einige Unschicklichkeit in der Mischung be
findet.

Dietaune in Schriften mus von der taune im Cha


rakter wohl unterschieden werden. Eine gutgewahlre
Nachahmung leincS unschicklichen, eigensinnigen und
mei.
Ueber die Laune.

meistentheils übertriebenen Charakters ist Laune in


Schriften. Hier sichet man nicht mehr darauf, ob
der Autor in seinem Charakter ein Humorist ist, wir sind
zufrieden , wenn er nur eine Person gut spielet, tifcow
nimmt die Person eines elenden Scribenten , nebst einer
Denkungeart an, die uns bizarr vorkömmt und fetzt
diefen Charakter glücklich durch ; wir sagen ; er habe
launisch geschrieben, ohne uns weiter um feinen Cha
rakter, als Mensch, zu bekümmern Addison und Ar,
buthnot , die mit fo vieler iaune gefchrieben haben , wa
ren 'in ihrem Charakter nichts weniger, als Humoristen.
Der Schriftsteller wähle sich einen eigenen und eini
germaßen unschicklichen Ton und fahre in d:cfem fort,
er fetze sich in eine besondere Verfassung und ftge alles,
Huch das ungereimte, F was er in diesim Charakter
denket ; fo wird er mit Vorsatz launisch, da er es hinge,
gen ohne Vorsatz werde« tan, wenn ihn schon fein na,
türiicher Charakter dazu bestimmt. Hnmour in Schrif
ten ist also nur eine Gattung des Witzes und der Ironie
und darf nicht mit diefen Dingen verwechselt werden.
Die iaune kan auch von dem bildenden Künstler
qenutzet werden , wiefern sie sich in Mmen und Gestal,
ten sichtbar macht. Hudibras, Ralph, Sidrophel und
die Glieder der Cabale sind von einem Hogarth mit
eben der iaune gebildet worden , mit welcher sie Buttler
besungen. Weil diefer Geschmack das Unterfcheidungs,
Stück der Heaarthifchen Arbeiten war, so hat diefer
berühmte Künstler die Ehre, daß man die mahlerifcke
jaune nur feiten ohne feinem Namen nennet.
Die Arten des Humours werden bequemer im folgen«
denCapitelvomiacherlichen undBelachenewerrhen erkläret.

^ k^smque e«6e,n, czuse, ii impru6e»tibu« ereiilsnt, Kult»


tunt, li llmlilumus. venuli, ereklunrur. (Ziiinlil. I^iKr.
^ Vl. c»o. III. p. 427. Koll.
Vitt.
s

Vitt.

Von Lächerlichen uttd Belachend


werth en. ^

^^^as lachen ist zuweilen ein Ausdruck der Freude


über die Erlangung eines göwünschien Obi.ktS
und überstiegene Schwürigkeiten ; wir lächein,
wenn wir einen Freund unvermuchel antreffen und lachen,
wenn wir im Spiel wider unsere Hofnung gewonnen
haben. Von dieser Bewegung ist hier die R de
Nicht ; sondern von derjenigen kützelnden Empfindung,
welche au« dem Anschauen lächerlicher Gegenstände rnti
springet.

Diese Empfindung ist allemaht angenehm, wenn sie


unsere Seele leer von andern , besonders von widrige«
Bewegungen findet, s Ein Gemüth, was von Zern,
Rachgier, Wuch, Neid und Haß erfüllt ist , tan nicht
sufgelegt senn , das Gefühl anzunehmen , was üusserlich
ein tachen würket. Oder, wie Hcme sagt, 6 die Be»
wegung , die ein lächerlicher Gegenstand erreget > ist von
so besonderer Beschaffenheit , daß sie kaum Platz findet,
so lange die Seele irgend mit einer andern Leidenschaft,
oder Bewegung beschäftiget ist. Eine ruhige Seele ist
dann, wenn sie von wichtigem Geschäften befteyt ist,
fähig , das iächerliche zu schmecken ; sie wird durch das?
selbe unterhalte« , aufgemuntert und zu neuen ThätigkeK
«n tüchtig gemacht.

Ich
« Longin sagt schon i v »«4s? ^östh. vjit.
i Th. I.S. 4I4.
G

Ltsstsdidikzttislc
y8 Vom Lächerlichen und Belachens werthen.

Ich mus, ehe ich weiter gehe, eine Stelle her«


schreiben, die ich bey einem der grösten lacher gelesen
habe und die zu weiterem Nachdenken Anlaß geben kan.
Das lachen, sagt liscow, c welches die Satire erreget,
gehet den meisten eben so wenig von Herzen, als dasje
nige, welches durch eine leibliche Kützelung verursacht
wird. Die Empfindung , welche in unserem Körper
entstehet, wenn er gekützelt wird, ist von einer sehr
zweydeutigen Natur und, wie angenehm sie auch scheinet,
doch mit einer Art des Schmerzens untermischt. Mit
der geistlichen Külzelung hat es eben die Bewcmdniß und
das Vergnügen, was eine Satire ihren lesern giebtj ist
fast allemahl mit einem heimlichen Verdruße vergesell
schaftet. Ich halte diese Bemerkung nicht für einen
bloßen Einfall ; sie ist eine Vorspukung von dem Unter,
schiede unter dem lächerlichen und Belachenswerthen,
welchen ich bald aus dem Quintilian und Home erklaren
werde.

Wenn ich die Ideen der berühmtesten Beobachter


vom lächerlichen mit einander vergleiche und dasjenige
abziehe, woriunen sie sich unterscheide« ; so wird das,
was übrig bleibt, ohuscreitiz der wahre Begnff seyn,
den ich suche.

Das lacherliche, sagt Aristoteles , ist ein Feh


ler, oder Uebelstand, der aber mit keinem Schmerze,
und noch weniger mit dem Untergange der Person ver
knüpft ist,, die ihn an sich hat ; so wie ein Gesicht , das
ohne Schmerzen der Person Wlich , oder ungestalt ist,
uns lächerlich dünket. Ich finde in dieser Erklärung.
das'

c iu dcn satirischen Schriften S. 18Z.


</ im fünften Cax. der Poetik. Die Abhandlung desMadiÜS
habe ich nicht gesehen.
Vom Lächerlichen Und Velachenswerthcn. 9^

das Dunkle und Unvollständige nicht, was Home e in


derselben gefunden hat.
Oder , wie Datteux und Ramler die Stelle des
Philosophen auslegen : / lächerlich ist ein jeder Fehler,
der eine gewisse Unförmlichkeit hervorbringt , ohne
schmerzhafte Bewegung, und keinem Menschen zum Un
tergänge gereicht , selbst demjenigen nickt, den welchem
sich der Fehler findet : denn wenn er den Untergang
drohe«, so könre er keinem Menschen zu lachen machen,
der irgend ein gutgearteteö Herz hat.
Cicers findet den Sitz des lächerlichen in dem
Häßlichen und Unanständigen. F
Gvimilian unterscheidet das Lachen von dem
Auslachen ; jenes verursacht blos eine lustige und
fröliche Bewegung ; dieses aber eine kützelnde Empsint
düng , Mit Verachtung verbunden. Jenes gilt vom
lächerlichen ; dieses vom Velachenswerthen. /d
Home erfordert zum lachen einen unbeträchtlichen,
kleinen , oder läppischen Gegenstand , der von der allge,
meinen Einrichtung seiner Gaumig abweichet , einen
Umstand , der wider die Regel ist , einen merklichen
Man,

« Th. t t. S. 444
/ Einleitung in die schönen Wissenschaften B. kl. S.ZZV.' .
^ 6s or«tore 2. ...
H l^eczue enim Seute tsntum »t ^enulte, teil ttulte, ittcuNlke^
^ ^ilniäe <ii6ti> Äut f,,^t, ri«lent»r» lcleoque ülicep, eins rei rs«
^i« est, cznoä « non protal »beK «/«^> ttsKet enim,
vt Lleero <1ieit, t^jein in äef«rinit,ts sliqu» et turpitUliine,
<Zu« czuum in »Iii, <5em6nttr»ncur , vrbiinlti» ; «Znum in
kptum öicentew r>.c,liunt , ltukiü, vocintur. lnll. l^, V,
^iip. III, p. 4?2. KvIIiv.
IOO Vom Lächerlichen und Belachenswerthcn.

Mangel , oder etwas merklich übertriebenes ; zum Ben«


spiel, ein sehr langes Gesicht/ oder ein sehr kurzes.
Nichts, sagt er, ist lächerlich, was richtig, angemessen,
wohlanständig , schön , proportionirt , oder gros ist. ?

Gerard : 6 der Gegenstand des Aachens ist Unge


reimtheit, oder ungewöhnliche Mischung von Verhält
nis und Widerwärtigkeit in den Dingen. Oder , noch
deutlicher ; dieses Gefühl wird durch einen Widerspruch
und eine Disharmonie von Umständen in einem und
demselben Gegenstande ; oder in solchen Gegenständen,
welche in ihren HauxtEigenschaften ein nahes Verhält,
niß haben ; oder durch eine unerwartete Aehnlichkeit,
oder Verwandschaft unter solchen Dingen, die einander
überall entgegengesetzt und unähnlich sind , rege gemacht
und gekützelt.

Kürzer und eben so deutlich Dusch : / Das korni,


sche (oder lächerliche) bestehet darinnen, wenn Dinge
zusammen vereiniget werden, die keine Proportion gegen
Einander haben.

Battcur und Schlegel : m Das lächerliche be


steht in Fehlern, welche Scham erwecken, ohne Schmerz
zu verursachen. Es bestehet , die Sache kurz zu fassen,
darinnen, daß es Dinge zusammenpaart, die nicht be, <
stimmt sind, sich beyeinander zu finden. Und das lä
cherliche in den Sitten ist eine Mißgestalt , welche dem
Wohlstande, der eingeführten Gewohnheit, oder selbst
der Moral der gesitteten Welt anstößig ist.
- Das

>' Grundsätze der Critik Th. i. S. 41z.


,6 Versuch vom Geschmacke Th. i. Cap. 6.
/ in den kritischen Schriften S. 112.
m Einschränkung tzer schönen Künste auf einen Grundsatz
S. 178.
Vom Lächerlichen und Belachenswerthen. isi

. « Dastachen, sagttNoses, » gründet sich auf ei,


nen Contrast Misch«, einer Vollkommenheit und Unvoll«
kommcnheit; nur, daß diese? Contrast von keiner Wich?
tigkeit seyn und uns nicht sehr imereßiren mus , wenn
er lächerlich seyn soll. Man nennet einen solchen Con
trast eine Ungereimtheit und sagt daher, ein jedes tächer,
«che setze eine Ungereimtheit zum voraus. Ein jeder
Mangel der Ueberemstimmung zwischen Mittel und Ab'
sicht , Ursache und Wirkung , zwischen dem Charakter
eines Menschen und seinem Betragen, zwischen den Ge»
danken und der Art, wie sie auegedrückt worden; über
haupt ein jeder Gegensatz des Großen, Ehrwürdigen,
Prächtigen und Vielbedeutenden, neben dem Geling,
schätzigen, Verächtlichen und Kleinen , dessen Folgen
uns in keine Verlegenheit setzen , wird lächerlich.

Wir wollen jetzt diese Begriffe summiren und das


Capital berechnen , was sie uns gewähren , nach Abzug
alles dessen , was etwa nicht allzu liqvid seyn möchte.

Kein Gegenstand ist lächerlich, der uns mit großen


und erhabenen Ideen füllet. Wenn wir sogar etwas
lange genug für klein gehalten und belacht haben und es
sich fügt , daß wir hernach die Wichtigkeit desselben durch
vortheilhafte, oder schädliche Folgen erkennen; so wird
die Scene verändert und wir hören auf, zu lachen. Nur
ein leichtsinniges Gemüth hält Dinge für Kleinigkeiten,
die wichtig sind und wird also oft zum iachen bewegt,
wo ein gesetzter Mann ernsthaft seyn und ein zärtliches
Auge weinen würde.

Die Seele wird müde, wenn sie sich lange genug


mit beträchtlichen Gegenständen unterhalten hat ; sie will
also ausruhen, aber ausruhen, ohne unthätig zu werden.
Unser Trieb immer beschäftigt zu sezm verursacht in un«
G z serer

« Philos. Schriften Th. i l. S. ü.f.


,OK Vom Lächerlichen und Belachenswerthen.'

serer Seele eine tugam vacui und leidet, so lange wir


wackcn, keine völlige Abwesenheit angenehmer, zwange«
«ehmer , oder zweydeutiger Empfindungen. Die lächer
lichen Objekte sind also von der Natur dazu bestimmt,
das teere auszufüllen und uns zu unterhalten , wenn wir
nichts wichkiqes zu dcnkeu haben ; eben deswegen muS
auch ein lächerlicher Gegenstand nothwendig, als klein
und unbeträchtlich vorgestellt werden , doch ohne vöbel-
Haft zu seyn. Ein Verbrechen, was nach den Gesetzen
Mit einer peinlichen Strafe gerächt wird, kan seine lä
cherlichen Seiten und Verhältnisse haben ; an sich ist eS
nicht lächerlich.
Ein lächerlicher Gegenstand darf also keine starke
und ernsthafte Leidenschaft erregen ; seine Würknng
schleicht sich nur in eine ruhige Seele, die sie offen fin
det und erschüttert solche durch eine angenehme Kütze-
lung. Sobald uns ein Gegenstand intereßiret, uns mit
Haß, oder Uebe erfüllet: so hört er auf, lächerlich zu

Ein lächerliches Objekt mus ferner etwas Unschick«


licheS, eine Ausnahme von der Regel fassen und von
der gemeinen Einrichtung seiner Gattung merklich ab,
nechcn. Niemand würde den bunten Aufzug eines
Polichinello, oder Don Fastidio du Fastidii « belachen,
wenn eine solche Tracht überall gewöhnlich ware^ Und
eben daher fola-et, daß dag lächerliche einigermaßen un
gewöhnlich seyn nnd für uns wenigstens das Ansehen
der Neuheit bsben mus. Einen witzigen Einfall belach
chcn wir einmahl und noch einmahl; so bald er anfängt,
alt zu werden , lachen wir nicht mehr. Selbst das Re
gelmäßige kan lächerlich werden, wiefern es ungewöhn
lich ist und eben dadurch ungereimt scheinet. D«m
alles
« S. die wouvesuzc ^ mnZr«, et «Ktervslisns iur letalis et
i« K^li«»», unte? de.« Titel dl«zi!e,.
Vom Lächerlichen und BelachenSwerthen. is;

alles das nennen wir ungereimt , was von der ordentli


chen Beschaffenheit seine Art abweichet , ohne durch sei
ne Abweichung für uns wichtig und intereßant zu wer
den. In einem tande , wo die Menschen auf den Kö«
pfen giengen , würde man über einen Fremdling lachen,
der sich feiner Füße bediente , wie wir. Daher kömmt
es, daß wir an uns selbst , wo sich ohnehin die Eigen«
liebe mit ins Spiel mischet, an unfern Freunden und
überhaupt an denen, die wir täglich sehen, das Lächerli
che oft nicht finden, was andere an ihnen gewahr wer?
den. Daher kommt es ferner, daß wir mehr durch das
Lächerliche in Handlungen gercitzt und länger untcrhal,
ten werden, als durch dasjenige , was wir an Köppern
wahrnehmen. Kürver bestehen vor sich und sind, fo oft
wir sie sehen , einmahl wie zum anoernmahl. Eine
Handlung aber ist transitorifch und hat , so oft sie wie-
derhohlt wird , wenigstens den Schein der Neuheit.
Sie kan durch unendliche Verhaltnisse abgeändert wer
den und jede Abänderung giebt neuen Stoff zum lachen.
Ueberhaupt ist die Bewegung d« iacheus etwas transi,
torifcheö und kan nicht allzulange anhalten. Herr ießing
hat hieraus eine vortrefiiche Anmerkung für die Kunst
gezogen. Alle Erscheinungen , sagt er , /? zu deren We«
sen wir es nach unfern Begriffen rechnen, daß sie plötz
lich auebrechen und plötzlich verschwinden, daß sie das,
was sie sind , nur einen Augenblick feyn können ; alle
solche Erscheinungen, sie mögen augenehm, oder schreck
lich fcyn , erhalten durch die Verlängerung der Kunst ein
so widcruamrlichcs Ansehen, daß mit jeder wiedcrhohl«
teu Erblickung der Eindruck schwächer wird , und uns
endlich vor dem ganzm Gegenstände ekelt , oder grauet,
ta Mettrie, der sich als einen zwecken Demokrit mahlen
und siechen lassen, lacht nur die ersienmahle, dtt mau
G4 ihn

z> Laokoen S. sz.


,04 Vom Lächerlichen und Belachenswerthen.

ihn sieht. Betrachtet ihn öfterer und er wird aus ei«


nem Philosophen ein Geck ; aus seinen tacken wird ein
Grinsen.
Noch eine Betrachtung aus dem taokoon , weil ich
ihn eben aufgefchlagen habe. Herr ießing glaubt , F
das Eckelhafte könne mit dem Lächerlichen vermischt und
dieses durch i.enes vermehret werden. Er führet das
Wiesel, welches den Eocrates in seinen astronomischen
Beschqulmg'."' unterbrach , ? und die Hottentvttische Er
zählung, Tqvassouw und Knonmqvaiha ^ z,,m Bevspiel
an , und behaupter , daß Vorstellungen der Würde , des
Anstqndes, mit dem Eckelbaften in Conrrast gesetzet,
lSckerlich werden. Ich behaupte es auch ; nur muS
das Eckelhafte weder allzisirmlick , l'koch durch sich selbst
finnlich seyn und nicht starker würfen , als das Lächer
liche ; wip möchten sonst/ an statt zu lacken, nach Spi
ritus rufen. , Auch verbietet uns die Dclicateße unserer
iqndesleute manche Vorstellungen, deren sich ein Engel«
lönder nicht schämen darf. Darf wohl ein Deutscher so
schreiben , wie Buttler vom Hudibraö ? „Sein Rücken,
„oder besser seine Bürde , schien unter ihrer eigenen tast
„sich zu beugen. Denn wie Aeneas seinen Vater auf
„den Schultern durch das Feuer trug , also trüg unser
„Ritter nicht weniger ein Pack von seinem eigenen Hin-
„kern auf dem Rücken , welches , aus Mangel eines
„Schwanzriemens , ihm anfieng beynahe über den
„Kopf hervor zustechen. Aber zum Gegengewichte trug
„er von vorn ein W mst von gleicher Ausdehnung , für
„welchen er eine befondere tiebc hegete und sorgfältig zu,
„sah , daß derfelbe mit nahrhaften Speisen , wie man sse
„auf dem lande haben tan ; als mit Eyerkucheu, But-

9 S« 249.
7 S. die Wölken deS AriffophaneS v. ,7s. f. f.
, aus dem tisnnoiilsur Vol. I. n«. 21.
Vom Lächerlichen und Belachenswerthen. 105

..termilch, Sahne und andern Victualien, wovon wiv^


„das mehrere beyzubringen gedenken , wenn wir von sei,
„neu Hosen , der Speisekammer , wo er sie aufhob ,
„handeln werden , stets vollgestopft seyn möchte. , „
Hier sind also die Materialien zu der Beschreit
bunq , die wir gesucht haben. Das Lachen , wiefer»
esDer Seele zukömmt/ ist eine angenehme Bewegung,
die in einem sonst ruhigen Gemüthe aus der Empfin»
dung eines lächerlichen Objekts entstehet und mit keinem
starken Begierden verbunden ist ; und ein lacherliches
Objekt ist ein solches , was uns die Vorstellung einer,
unbeträchtlichen , unintereßanten und nicht allzugewöhn,
lichen Ungereimtheit darbietet.
Die Gegenstände, welche lacherlich werden kön
nen, sind Sachen, Personen, Eigenschafren, H<mdlun-
gen, Gedanken und Ausdrücke. Succeßive Produkte
schildern das lächerliche in Handlungen, oder in Kör
pers andeutungsweise durch Handlungen. Fürsichbe-
stehende Werke bilden das lächerliche in Körpern, oder
in Handlungen andeutungsweise durch Körper.
iächerliche Gegenstande sind entweder blos lacher
lich , wenn sie nur eine angenehme Kützeluug würken,
oder belachenswerth , wenn sie ein Hohngelächter,
mit Verachtung gemischt , verursachen. Das lächerli
che entspringt aus einer simpeln Ungereimtheit., die wei?
ter nichts unanständiges bey sich führet ; das Belackens«
werthe aber aus dem Unschicklichen in dem moralischen^
Charakter und ans unwürdigen Handlungen, die nicht
wichtig genuq sind/ UM Abscheu zu erregen. Ein lä
cherlicher Gegenstand, sagt Home, « ist bloß lustig ; ein
G5 be.
k Im ei sten Gesanqe, S. ?l. nach der schönen Uebersetzung
des Herrn Waser.
« TH.I. S. 4' 5-
!o6 Vpm Lächerlichen und Belachcnswerthen.

belachenswerther ist zugleich lustig und verächtlich.


Der erste wirkt eine Bewegung zum iachen , die ganz
ergötzend ist ; die Bewegung , die der andere erregt,
wird durch die Bewegung der Verachtung bestimmet
und die vermischte Empfindung, die daher entspringt,
ist chcils ergötzend , theils verdrüßlich. Ich räche mich
wegen des Verdrußes, den mir ein belachenswerther
Gegenstand verursacht , durch ein höhnisches lachen.
Ei» lächerliches Objekt hingegen verursacht mit keinen
Verdruß ; es ist völlig ergötzend , durch eine gewisse Kü»
tzelung, die man üusserlich durch ein frohes iachen aus
druckt.

In den Künsten hat man zwecn Wege , um das


Lächerliche hervorzubringen. Entweder der Artist nimmt
selbst eine lachende Mine an , er lacht zuerst und wir an«
dem folgen ihm nach ; oder er rhnt ganz ernsthaft ans,
bearbeitet aber seine Gegenstände so , daß sie nothwen,
dig lächerlich werden müssen und laßt uns also das Ver,
guügen , zuerst zu lachen. Das letzte ist Ironie , wel
che uns desto angenehmer unterhält, je weniger sie der
Künstler im Sinne gehabt zu haben scheinet, und die
Bewegung des Aachens desto sicherer hervorbringt, da
sie uns einen zwiefachen Contrast anbietet , den einen in
der Ungereimtheit der Sache selbst und de» andern in der
ernsthaften Mine des Meisters.

Um diese Theorie für den iehrling brauchbarer zn


machen , setze ich einige Beobachtungen her , durch Ivel?
che die verschiedenen KunstgriSe bestimmt werden , deren
sich der Artist bedienet, um das bücherliche auszubilden
und die zugleich als Arten des Humsurs und der Jrw
Nie gelten können. Dergleichen sind :

Scherzhafte Bilder, lustige Züge, aus eme


.wider,
Vom Lächerlichen und Bclachenswerthen. 10?

widersinnige Art gemischt und eben so drolligt


cslorirt.
,. Es giebt eine gewisse, hochgewachsene, langbei«
,, «igte und zur Verwunderung schnelle Dame , Fama
„ genannt. Dieselbe lebt, gleich dem magern Chamä-
„ leon von inst und speiset ihre eigene Worte. Sie
„ trägt an den Schultern ein paar Flügel, wie hangen-
de Ermel, die durch und durch mit Ohren und Augen
„ und Zungen gefüttert sind. Vermittelst derselben
„ durchfliegt sie den ganzen iuftkreis und bringt oft
„ iügen mit. Sie ist, wie morgenlandische Tauben,
,, mit Briefen und Mercuren aus den entferntesten tän«
„ dern behängen, auch mit Calendern und Zeitungen,
„ die zur Regel dienen, wie man lügen soll. Um den
„ Hals trägt sie ein Felleisen , mit Nachrichten von al-
„ lerley Gattung, stinkenden und frischen, befrachtet;
„ Nachrichten von ieuten , die herumgewandelt , nach,
„ dem sie fchon gestorben waren ; von Kühen , die er?
,, schreckliche MiSgeburten geworfen ; von Hagelsteinen,
„ so gros wie HünerEyer ; von Hunden mit zweymahl
„ zwey Beinen ; von einem Cometen gegen Westen,
„ den wenigstens sechs, oder sieben Personen gesehen
» u. s. w. Sie stößt in zwo Trompeten , aber von ganz
„ ungleichem Schalle , auf einmahl : Ob aber in beyde
„ mit gleichen Winde , oder in die eine mit Winde von
„ vorne , und in die andere von hinten , das weis ich
„ nicht und kan nur soviel sagen, daß die eine sehr hüß»
„ lich, die andere hingegen lieblich klinget. Daher auch
„ gemeine Scribenien die eine die gute und die andtte
„ die schlimmme Fama nennen. „
Hudibras. ^
Ungereimte Urjachen , die mit der Hunds
lung auf eine luftige Art contrastiren^ ^

d im Vierten Gesänge S.. l?z.


,O8 Vom Lächerlichen und Belachenswerthen.

l"«in c!e sermer jlon armoire.


De czuoi penles vous <^u i! s peur?
Belle 6emsn6e ! qu'un voleur
Irouvsnr une 5zci!e proie ,
lle lui ravisse tout l7on bien ?
>kan ; (zre^oire s peur c>u'on ne voie,
<)ue <Zans ions «rmoire Zil n's rien.
Kürzer und besser Herr !cßing : »?
Labull verschließet alle Rüsten
vor Freunden, Dienern, Weib und Rind,
Damit sich niemand läßt gelüsten ,
Zu sehen, daß sie ledig sind.
Verwechselung der Verhältnisse und der
Bestimmungen.
Im Essen bist du schnell ; im Gehen bist du faul.
Iß mit den Süßen , Freund , und nimm zum Gehn
das Maul.
Leßing. «
Verbindung kleiner Dinge mit großen, als
wenn sie von gleicher Wichtigkeit waren.
Man muste sie^ im Harnsch, mit Helm und Lanze,
Reym Ritterspie! , beym kriegerischen Tanze
Und im Contusch dem Zevs Manschetten nahn
Marlin durchziehn und Handschuh würben sehn;
Da sah man sie im vollen Glänze.
wieland «
Gneer,
M im ersten Th. seiner Schriften , S. 206.
« Th. l. S. 214.
^ die Pallas.
Vom Lächerlichen und Belachenswertheik zo,

Slmer, oder kleine Dinge über alle l^xo,


portion gros gedacht. ^

L«^«^o? , v^wo'ac «^ox k/F«v« ^kv»«. «

Ungereimtheit in Unterscheidungen, wo ei,


nem Gedanken ein anderer entgegengesetzt wird,
der nn Grunde mit dem ersten einerlei ist. .^'l
Sagt nicht, daß seiner Frau, dem Inventar der Zeit,
Sertor den Tod gewünscht, was sonst ^ die Ewig.
" ' ..'..-> k«c.
' . !>, : : Leßing ^ 7
Vereinigung entgegengesetzter Dinge: -
Damit er einst was kan von seinen Aeltern erben.
So lassen sie ihn jeyt vor Hunger weislich sterben.
Leßing c > «'i,

Vergrösserung der Handlungen, Sachen^


und Gestalten, lustige Uebertreibung, in der
Mahlerey Carricamr.

„ Jetzo bearbeiteten der Mitter und der Stallmei,


„ sier ihre lebendigen Maschinen aus allen Kräften
,,un5 hielten nicht stille, bis sie das fatale Feld errei,
,,chet hatten, wo damals der Feind campirte , j«,e
«grauenvolle pharsalische Ebene , wo mächtige Thiers
und kühne AurilarTruppen , die ihre» Brüdern zu
f " "' ' M»
« aus der Batrachvmyvmachie. , . ^,
l> Th. i. S. l»6^« > > > - > ., ? «: ^
ltö Vom Lächerlichen und Belachcnstverthett.'

„ Hülfe kamen , im verderblichen Streite sich messen


„ selten. „
Hudibras.
Anticlimax, Abfall von dem Großen auf
Has Rleine. c
I>I«t ^«utK5ul KwF8 in bsttle süve, '
Hot icorn5ul virAins, vno tkeir cksrms ^uri
vive,
1?ot sröenr lovers robb'cZ o5 sl! tkeir bli^s,
Z^ot sncient Ia6ies vken re5u8'6 s Kiis.
Z^ot r^rants jierce tkst unrepentinA 6!e,
Aor ll^utkia vken Ker msntesu's pinn cl aevr^,
L'er seit iucn raZe, retentment, sn6 clespair,
As tkou, is^ virgi« ! L«r tk^ rsviskÄ Ksir.

Große Dinge , von solchen Seiten gedacht,


WS ihre Größe mit einer unendlichen Aleinigreit
absticht, wie z. E. Jupiter und Inns in ihrem Hauö'
westn und Ehebette :
'Wer ihn für glücklich hielt , der sähe die Dam« nicht
Im SchlafGemach und hinter den Gardinen
wo Inno lag , da Mlief fichs selten viel.
Da lies dieIanze Nacht, als wie eist Glockenspiel ,
Sich ihre schöne Stimme hören; ... . .
And konte ykich Hey ihren Sittentehrett ^
Der Mann sich oft des Schlummers nickft erwehrw/
So wüste sie ihn doch bald nneder aufzustören»
Und

Ä im zwecken Hesange, S. 56,


r S. den Home Th. l«. S. 74. f. ^ > ^
,L im Raub öcr Haarlocke Ges. IV, , ^. ^, ^
Vsm Lächerlichen und BeKtchenstvertheH i,l
Und überschri e, wenns ihr gefiel, "
Sogar die Nachtmusik der Sphären.
^ Wieland. F
Vvie lang ists wohl.
Daß man mit Ganymed und Amor dich.
Den Donnerer, beym Gansespiel erschlich?'
Li! Herr Gemahl, es ist nicht zu ertragen!
Ist das auch eine Lebensart
Für jene« Gott , durch den die Riesen fielen ? .
So alt, so einen großen Vart,
Und noch mit kleinen Vuben spielen .'
^ Eben derselbe, ö
Lustige Disproportion zwischen Mittel und
Absicht , oder zwischen der wahren und erdichte,
ten Absicht.
Raum sieht er den Donner den Himmel umziehen, '
So flieht er in den Reiler hinein.
Ihr glaubet, er suche, den Donner zu fliehen;
Ihr irrt euch, er suchet den wein. .5
, , , . Leßing. ,
Disproportion zwischen Effekt und Ursache
warum zog das erzürnte paar,
Sistsn und wer sein Gegner war,
D« Degen aller Welt zum Schreckens
Sie frZedlich wieder einzustecken.
. , ^ Leßing.6
Disproportion zwischen den Gedanken unv
dem Ausdrucke , feierliche Sprache bey unbe<
. ttacht,
F lomische Erzehlungen S. i«6.

i Th. «. S. 2o«. . , ., .
!». Voin Lächerlichen und Belachenswerthen.
trachtlichen Dingen , wenn mau , wie Heineke den
tongin Key einer andern Gelegenheit sagen läßt , mit
grossen PauöBacken in eine kleine KmderTrompete
stößt.
„ Erst zog er seine Todbeschwängerten Pistolen
„ zwischen dem teben erhaltenden Proviante hervor und
versah sie niit ZünbPulver. Nachdem dieses geschehen
„ war, arbeittte er mächtig, den Degen von der rückhäl-
„ tigen Scheide loszumachen und nach vielen Bernühunk
i, gen gelang es ihm endlich, denselben vom rostigen Kerker
„ frey zu bekommen. Alsdann erschütterte er sich selbst,
„ diese tapfern Waffen , mit Anstände von der Scheide
4 los , zu betrachten , stand auf der Seite des Steigbü-
„ gels mit seinem verzweifelten Fuße auf und schaute,
„ gleich einem Cometen , dem Köder eines annähenden
„ Krieges, Blut und Verderben drohend, umher.,, .
Hudibras. /
Lustige Anwendung einer Stelle aus einem
Buche wider die Meinung des Autors.
„ Plinius hat schon lange angemerket , daß die
... Esel keine iäuse haben und wem es gegeben ist , den
heimlichen Smn> dieser nach dem Buchstaben unge-
„ gründeten Regel zu fassen, der stehet wohl , daß Pli-
„ »ins nichts andetö sagen wolle , als daß ein elender
„ Scribent von leinen Mängeln nicht die geringste Erm
,, pstndlichkeit habe. „
Liscow 5»
^Sagr Nicht , die ihr Börittden kenne, >' " ^
Das sie aus Eitelkeit nur in die Rirche rennt, ' )
^Daß sie nicht betet und nicht höret.
Und andre nur im Buen störec.

/ im zweeten Gesänge S. Z?. '


'» Satirische Schriften S> M«>t Kse »Uch im MZHtt
gen von der Tonne die Ausschweifung ib« die Herren Erik
Ucoö. S. l»?. der Zürcher Ausgabe.
Vom Lächerlichen und BelachenSwerthen. uz
Sie b«t, mein Ohr ist selber Zeuge;
Denn ihre Schönheit geht allmählich auf die Neige.
Sie bar mit brünstigen Geberden:
Laß unser Angesicht, Herr, nicht zu Schanden wer«
den.
Leßing. »
Zusammensetzung ganz entfernter Dinge in
eine Gattung.
„ Die Weise , deren sich die Philosophen zu allen
„ Zeiten bedittittn , um von deu ieuten gehört zu w?r-
„ den, war diese, daß sie gewisse Gebäude in die tust
„ aufgeführt haben , um sich dadurch über den Pöbel
„ zu erheben. Unsere Vorfahren haben deswegen zur
„ Aufmunterung aller ruhmbegierigen A'vemheurer bie>„»
„ lich erachtet , drey hölzerne Maschinen aufzurichrett,
„ welche denen, die gerne «iel und ohne Widerspruch
„ reden wollen , zu statten kommen sollen. Es sind sol,
,. che die Ranzel, die Leiter und die Schaubühne
,, u. s. w. ,,
Swift, o
Drsllichte vergleichung unähnlicher Dinge.
„ Die Weisheit ift ein Fuchs, welcher nach vie«
„ lem Ja^en dennoch zuletzt aus seinem !ome mus her?
» vorqegraben werden. Sie ist ein Nase, der desto
„ besser ift , je eine härter? Rind? er hat und woran
,. nach dem Urtheil der grösten Kenner die Maben da«
,. beste sind. S« ist eine kalte Schale . welche im,
„ nier süßer wird , je tiefer man auf den Boden kommt.
» Sie ist eine Henne, auf deren Sachsen wir Achtung
»gebe»
» Th. I. S. »g.
, Einleitung zu dem MZHrge» «sn der Tönne.
H
'«4 Vom Meuchen M Belachcnswerthen^

«eben und es nicht gering schätzen müssen. we,l eS e.n


" Bicken ist, daß sie ein Ey geleget hat. Endlich sie
" ist auch eine Nuß, welche, wenn sie nicht mtt euu-
" «er Sorgfalt ausgelesen wird, auch wohl einen Zahn
" kosten und dann zur Belohnung eine Made «nlneten
,. kosten
« mag
Swift. /?

,. Die ganze Welt ist nichts anders , als eine große


„ vollständige Kleidung , wodurch alle Dinge bekleidet
werden. Das Land ist ein seines Oberkleid,'
„ grün aufgeschlagen. Und die See was ist sie anders/
als eine Weste von WasserTaffet ? der Mensch ist die
,. kleine Welt , oder vielmehr eine völlige Kleidung,
„ mit der ganzen Ausstaffirung. Auch die Eigenschaft
„ ten der Seele tragen das ihrige dazu bei), eine erdenk-
„ liche Kleidung auszumachen. Zum Exempel, ist die
„ Religion nicht ein Mantel ? die Redlichkeit ein paar
„ Schuhe, die im Koche auegetecten worden? die Ei-
„ genliebe ein Surtoul ? die Eitelkeit em Hemd? und
„ das Gewissen ein paar Hosen , welche zwar zur Be,
„ deckung der Ueppigkeit und der Unffäterey gemacht
„ sind , aber gar leicht zum Dienst bcyder können her?
„ runter gezogen werdet.. „
iLben derselbe ^

„ So sprach der Held und sties seinem Gaule,


„ wie ehemahls der phryqische Ritter dem trojani-
„ schen Pferds den rostigen Sporn in den ieib und gera,
„ de so viel verdoppelte der Gaul deswegen seinen
„ Schritt. — — So sah ich einst einen mit be«
„ wasneter Ferse auf einer Republik reiten z aber je mehr
„er

/> am angeführten Orte.


9 MHtgen von der Tonne , zweites Capitcl.
Vom Lächerlichen und Belackenswettben.

„ er sties und spornte , desto weniger wolle die uarlge


„ Mähre vom Flecke weichen. „
Hudibras. ^
Das Allgemeine auf besondere und kleine
Falle zurückgefuhrec.
Noch flammt der Streit, den tLris angeschürt.
Und , denke , nicht um Rleimgkeiten ;
Nicht was die Linien im Buch ZZer'im bedeuten?
wie viele Cherubim mit schön vergoldren Schwingen
Durchs Gehr der feinsten Nadel giengen?
Gb Dudeldum , ob Dudeldey
Der größre TrillerSchlager sey?
<pb Scaramuz , ob Scapin beßer tanze?
Wieland 5
,, In der iogik war er ein großer Criticus ; und die
„ Analytik verstand er aus dem Grunde. Er hätte es
,, unterstanden, durch bündige Schlüsse zu erharren.
„ ein Mensch wäre kein Pferd , bewies auch , ein Geyer
„ wäre nicht ein Vogel; und daß ein iord wyhl eine
„ Eule, ein Kalb ein Rathsglied, eine Gans ein Rick»
„ ter und diebische Dolen Commissarien und Bevollmachf
,, rigte seyn möchten. „
Hudibras. t
Line Mattung durch Umstände beschrieben,
die sich nur an einigen einzelnen Dingen be,
finden.
Man lese die Probe eines deutschen Wörterbuchs
vom Herrn Mabener ; dieser ganze Aussatz ist «in Ben/
spiel des bemerkten Kunstgriffs.
H-, Fol,

«- im! ersten Gesänge', S. 49» 5««


5 komische Erzählungen S. ?. i
/ erster Gesang, S. «.
n6 Vom Lächerlichen und Belachenswerthen,

Folgerung ungereimter Dinge aus einer


angenommenen Meinung.

„ Wenn Hans auf der Gasse gieng , so hielt er


„ die Augen fest zu ; und fo er mit dem Kcp°fe wieder
„ eine Pfoste rennte, oder in eine Pfütze fiel und ih«
„ die muthwilligen Jungen darüber ansl.chten, fo fagre
„ er ihnen: daß er sich dem Verhängnisse, welches die,
„ fen Stoß, oder Fall über ihn befchlossn gehabt, mit
„ völliger Gelassenheit unterwerfe ; er wisse aus langer
„ Erfahrung , wie vergebens es fey , sich demfelben zu
,, widerfetzen und wer dieses thun wollte, der dürfte
„ sich immer darauf verlassen , mit einer blutigen Nafe,
„ oder mit einem zerquetschtem Beine davon zu kommen.
„ Alfs, fagt er, war es einige Tage vor der Schöpfung
,, beschlossen, daß meine Nafe und diefe Pfoste einan-
„ der begegnen sollen. Daher die Natur für gut be-
,. fand, uns beyde zu gleicher Zeit in die Welt zu fchi-
„ cken und uns zu tcmdeleuten und Mitbrüdern zu ma-
„ chen. Hütte ich nun meine Augen offen behalten,
„ fo würde wohl allem Anfehen nach, die Sache noch
,, weit schlimmer abgelaufen feyn u. s. w. „

Dies sind lauter lächerliche Folgen , die Swift «


aus der tehre von der Prädestination mit einer ungemei«
nen iaune zu ziehen gewust. Diefe Art des satirische»
Witzes wird insbesondere Spöttcrey geuennt. Noch
ein Bevspiel:

.. Wenn der Herr Prof. Philipp! den König von


„ Polen nur von ferne stehet ; fo bekömmt er durch die-
,, fes Anschauen «in Bild , wie die Auserwehlten durch
„ das Anschauen Gottes am höchsten werden beglückst«
„ liget werden. Er ist glücklich. Aber nimmer wür«
den

»Pm eilsten Cap. d,s Mährgens von. der Tonn,.


Vom Lächerlichen und Bclachenswerthen. 117

„ den so vortrefiiche Wor e aus seinem beredten Munde


gegangen seyn, wenn er sich erinnert hätte, daß, wie
„ die gemeine Rede gehet, noch kein Auge gesehen, kein
Ohr gehöret und in keines Menschen Herz kommen
„ ist, was GOtt bereitet hat, denen, die ihn lieben.
„ Paulus, meine Herren, ward, Wieste wissen, bis in
„ den dritten Himmel entzückt und kam so klug wieder,
„ als er hingegangen war. Was meinen Sie , würde
,, uns Philippi nicht vor schöne Sachen erzählen , wenn
ihm ein solches Glück begegnen solte , da er schon
,, dw ch das bloße Anschauen seines tandesVaters mehr
gelernet, als Paulus im Paradiese 7 Solte man nicht
„ aus seinen Worten schließen , daß Paulus nur immer
„ zu Haust bleiben und die weite Reise sparen können ?
Ascow. v
Lächerliches Versprechen und Gelübde unter
dem Scheine der Wichtigkeit.
Romm ich vom Lager auf und giebc GGtt Sried im
Staat,
Gelobt der kranke Star, so rverd ich ein Soldat.
Leßing. »
Vorstellung einer Unmöglichkeit, als wenn
es etwas mögliches wäre und nur auf,uns. an«
käme.
O Redner lege doch dein Maul erst in die Falten,
Dein Maul, daß so erbärmlich spricht.
LH du mir einst die parentation solst halten,
wahrhaftig lieber fterb ich nicht.
H Z Si.
« S. 164. und «,14. f. f.
» Th. I. S. »05»
« Th. I.
PS Vom Lächerlichen und Belachenswerthen.

Gimuliren und Dißimuliren , Annehmung


oder Verbergung eines Charakters , charakrer«
mäßiges und verstelltes Lob des Tadclhafren
und Kleinen , Tadel des Großen und Löbens,
würdigen. /

„ Aber wieder auf die Schriften dieses großen


„ Mannes zu kommen, fo waren sie alle von aue>,eh?
,> mender Schöiiheit und man kan nnt Wahrheit sagen,
„ daß sie Welt derqleicheff. nicht gesehen. Der Harpk-
„ zweck aller seiner Arbeit war, die leichte und gemach,
„ licke Sch eibart, die wir in unserer Sprache Bom-
„ bast nennen , und welche seit einiger Zeit ziemlich in
„ Abnahme und Verachtung gerarhen ist, wieder in , den
„ Gang zu bringen , die Skribenten von dem schweren
Joche der Sprachkunst zu befreyen ul,d durck Widern
„ legung des Horatz und Boileau die Herrschaft des
Reims über die Vernunft zu behaupten. Gewis
„ ein Unternehmen ; das vielen Much und Geschick-
„ lichkeit erfordert und welches von dem Herrn Make«
„ wind auf eine fo sonderbare Art ausgeführet worden,
„ daß man nothwendig seine Klugheit bewundern und
„ gestehen mus, daß niemand als er geschickt dazu ge«
,, wesen u. s. w. „
Liscow. v

„ Ich bitte meine tefer sich der vortreflicken Ge,


« hächtnisMnnzen zu erinnern, die der Herr M. Eiei
„ verS, wiewohl nur in Jdea und mit dem Stempel sei-
„ ues Verstandes auf den Schwärmer Gerhard gcprä«
„ get hat : Man kgn mit Wahrheit sagen, daßZ der Herr
„ M. sich hier selbst übertreffen habe. Der schädigte
„ Bullcnbeiser, auf welchem er den Gerhard zum Tro-
„ ste aller Rechtgläubigen einhextrabeu läßt, hat niir
„ vor«

^ S. 77- s. f.
Vom Lächerlichen und Belachenswerthen.

vornehmlich Wohlgefallen ; und ich kan mich , so oft


,, ich daran gedenke, welches ich, zu Ansiunlng meines
5, Eifers wider die Jrrglqubiqen , alle Wochen wenig,
„ stens etlichemahl chue, noch nicht cnlbatten, auszu?
rufen :
?scete, lepicZe, laute: nibi! lupra.
„ Ich habe die Apophtegmata der Alten bey dem Plu?
„ tarchus gelesen : auch beym Cicero, Mao'obi is unk?
^, andern viele bona cZic^a und fcharssinniqe Einfälle ge<
« ftlnden ; aber der Bullenbeifer , der fchäbiqte Bul-
„ lenbeifer übertrist alles. , was man in den Schriften
„ der Alten und Neuen Schönes in diesem Stucke an,
,, trifr. Nichts in dem ganze» Alterchnme ist mjc dem«
„ selben einigermaßen in Verglcichung zu ziehen, alS
,, die scharfsinnigen Werts des Thrafo beym Tercn«
« tius : " ! , , ,
Lone 5erox «8, czula Ksbes Imperium in beüuas ?
- Eden derselbe. 2 «

Gdttisen, mit Fleis geszgt ; Ungereimtheu


ten anderer nacdgcahmt und in der Nachahmung
noch unschicklicher vorgestellt.
VSiN ein erhabner Geist , ein andrer Lohcnstein
Bis an die Sterne gehn und. bcy de!n Phöbus seyn ;
will er der Musenschaar mit reingewaschner ^ippe
In gläserhellen (^uell des pferdehrunns Müppe
Der Andacht Weihrauch streun , bricht sein erhitzter
Murh,
vom Eifer angefacht, durch wettn?, Bliy und Glut
Und ruft der SchwefelVrunst der donner.)arten
Flammen
Und
L S. 104. f' f'
H 4
»o Vom Lächerlichen und Belachenswerthen.

Und ruft Megärens Zunft und ruft den Sryx zusam«


meN;
So kömmt ein Zoilus und schrrxe : Der Dichter
schwillt u. s. >r>.
Rabener «

., Es !ist kein Wunder, daß die Worte, die JE-


sus genannt A^m ausrief , ungewöhnliche Worte
„ genennt werden. Denn damahls war die deutsche
,. Sprache noch nicht sonderlich bekannt zu JerusaZ
lem u. s. w.
Llscow.
„ Es breche also nunmehr ungehindert die verbo«
gene Freude meines He' zclis aus der Qvclle de> Ebrer?
„ bietigkeit hervor ; und ohnerack,tet solche dero alle»
^ seitS hellen GemüthsAnqen be eits unverborqen ist :
„ so ve menqe sich doch mein Frc>?drnTon mir dem In
^ dulci ^ubilo aller , so die Verdienste des Herrn
„ Prof. Philipps kennen und erfülle die inst mit einem
,, hellen und deutlichen Vioat ! mit einem freudigen
^och ! und mit einem froloekenden Jubelgeschrey :
„ Es lebe der Herr Prof. Philipp, hoch .'
Eben derselbe c

Lustige Person ification ; unkörperliche Din,


«e körperlich, leblose lebendig vorgestellt ; viele
Subjekte und Personen als eine gedacht.

„ Sie fochten für Dame Religion , wie Tolle,


« oder Bezechte für eine Hur« und schwuren und fluch.
,. ken

« Beweis , daß die Reime in der Deutschen Dichtkunst «nmk


behrlich find.
i S. ,7. f. f.
e S. IZ6.
Vom Lächerlichen und Belachenswerthen. ür

„ ten, daß sie ehrlich wäre, obschon keiner wüste, was


,, er damit haben wolle.
Hudibras
„ Die schneidende Klinge seines Degens war von
„ langer Ruhe rostig geworden und weil es ihr an ei-
„ nem Gegenstande fehlte , daran sie hauen und hacken
« konnte, fras sie sich selbst. Die friedfertige Scheide,
,, worinnen sie wohnte, hatte bereits den Grimm ihrer
Schärfe gefühlt ; denn wirklich hatte sie unten gegen
„ die Spitze zwo Handbreiten davon weggefressen. So
„ männlich war diese Klinge und fo fehr schämte sie sich,
„ in einem Futter verborgen zu stecken , als wenn sie
„ niemanden unter das Gesicht treten dürfte. Sie,
„ die bey fo vielen verzweifelten Unternehmungen sich
,. kühner bezeig« , als Buttel Vum felbst. — —
„ Diefer Degen hatte einen Dolch zum Pagen, der
,. für fein Alter nur klein war und ihm daher aufwartete,
„ wie Zwerge den irrenden Rittern thun ; ein sehr nütz«
« licher Kerl, zum Gefechte fowohl, als zu Verrichtungen
,, von allerley Hausgeschästen u. s. w.
Eben daselbst. -
„ Seiner Mutter der Dame Tellus riß er den
„ Bauch auf, weil sie nicht Proviant und Futter ge-
,, nug gab, ihn und ftin weniger grausames Pferd zu
,, ernähren. „
Sben daselbst./
,, Die Seelsorger sehen die Vernunft, wie Mo«
„ taigne , als ein wildes , unbändiges , reifendes und
„ gefährliches Thier an, dem man Faum und Gebis.
,, ins Maul lege« mus und mit welchem nicht auszu,
H 5 konv

«l,im ersten Gesänge, S. 4.


« im ersten Gesänge, S. »4. f. f.
/im jweelen Gesimg«, S. 74-
!l! Vom Lächerlichen und Belachenswerthen.

. „ kommen ist, wofern es nicht an eine starke Kette ge,


„schloffen wird. — Einige wollen, diese Kette
„ müsse fein lang seyn , damit die Vernunft bey einer
„ mäßigen Freiheit ihre Bande desto gedultiger trage.
„ Ein Kettenhund, sagen sie, der gar zu kurz angebun-
„ den ist, giebc sich so leicht nicht zuftieden, als einer
„ dem die tänge der Kette, an welcher er lieget, die
„ Freyheit lässet, herum zu gehen, und seine Gesa«,
,, genschaft erträglich macht. Andere hingegen
„ behaupten, man müsse sie fo kurz, als möglich bin,
„ den. — — Man könte ihr, wenn sie fchreyen wolte,
„ einen Knebel ins Maul stecken und sie an allen Vi«
„ ren so fest binden, daß sie sich nicht rühren kön«s
„ te, u. s. w. „
Liscorv. ^
Lustige Verfechtung eines ungereimten und
paradoxen Garzes.
,. In wessen Schriften weder Vernunft , noch
« Ordnung, noch Zierlichkeit anzutreffen ist, der z ist ein
„ elender Skribent. Ich sehe vorher, daß unsi'-
„ re Verfolger über meine Aufrichtigkeit lachen und sich
einbilden werden, es fey unmöglich, nach einem fo
,/ offenherzigen Bckenntniß das geringste zur Verth««
„ digung der elenden Skribenten vorzubringen. Allem
„ ich bin auch versichert , daß ihnen die tust zu lachen
„ wohl vergehen wird, wenn ich ihnen deutlich beweis
„ sei, werde, daß eben die Mangel, welche sie den elen,
„ den Skribenten vorwecffen und welche ich nicht zu
,> leugnen begehre, meine Brüder und mich vortreflich
„ und unentbehrlich machen. Dieser Beweis wird ir>
« neu durch die Seele gehe» und ihres SpouenK uad
» tasternö ein Ende lnachen. Liscow. //
Ver«

5S. 4^'.f. f>


ö S. 446. In diese Clüsse gehören der ganze Liscotvische Attft
sah
Vom Lächerlichen und Belachenswerthen.

Veränderung des Gesichtspunkts ; Beschreib


bung der Dinge durch das , was sie sind , und
nicht scheinen, oder durch das, was sie scheinen
und nickt sind ; Benennung der Sachen mit ans,
dern Z7!amen u. s. w. ?
Laßt eure Muse singen !
'wie häßlich würde wohl ein solcher Vortrag klingen^
Tartüffder alte Schalk betrügt die ganze Welt.
Sevil ist lüderlich , Crispin ein dummer Rerl,
Star macht gelehrten wind, Neran verdreht dlg
Rechte,
Klorinde lebt verhurt und Harpax ist ein Schinder,
versucht es nur einmahl ; verändert diese Zeilen
Und sprecht : Tartüffe bleibt ganz unverbesserlich, '
Sevil rhut pursch««? Crispinus lebt vor sich,
Stax ist ein weiser Mann , Vlexan ein Advocate,
Llorindgen lebt galant und Harpar halt zu Raths.
Ich weis, ihr müßt gesteh«, daß dieses besser klingt«'
Rabener. i

Nicht jene elenden französischen Edelsteine , die


'„ ihr in unsere Augen setzt , sondern unsere wahren ei,
„ gentlichen Diamanten sind es, die eure verliebte Her-
„ zen anfachen und in Brand setzen. Nicht die fal-
« schen Jubelen, die ihr unfern tippen anheftet, brin-
,. gen

sah von der Vortressichkeit und Noihwendiqkeit der elend«»


Skribenten , die Abhandlnng des Herrn Rabcners von der
Begierde übel« zu reden und der Swiftische 'Vorschlag
«on! der Schlachtung und Verweisung der armen Kinder im
Irrland.
Unter die Classe de« «erFnderten Gesichtspunkts , wovon ich
kein kurzes Beyspiel finden tan, gehört der Kueromeß«
des Herrn von Voltnire.
1e Von der Nschwendigkeit der Reime.
1^4 Vom Lächerlichen und Belachenswerthen.

gen euren freuenden Flammen Nahrung ; wohl aber


„ die eigentlichen Rubinen , die wir in unfern Kisten
„ verschlossen haben. Nicht die Perlen unserer Zähne
„ entzücken euch, sondern die, so wir mn den Hals t a»
„ gen ; und nicht die goldenen Haarlocken , die ihr uns
„ um den Kopf setzet, sondern die glänzenden Gvinecn
in unserem Ca inet, entzünden das wilde Feuer in eu?
„ rer Brust. Ich habe von Kiefen VerliebunqsTücken
„ fo viele Erfahrung, daß ich ih e Meinung vollkom,
„ men verstehe und nur am Tone derselben ihren mysti'
„ schen Sinn entdecke und sagen kan, welche ieiden,
,, fchaft nach meinen Landgütern schmachte; was für
^ Entzückungen sich auf die Schönheiten und Annchm,
„ lichkeitm meines Haufes beziehen ; welche Flammen
„ statt für mich, für mein Geld lodern ; was feine Env
« zündung von der unnatürlichen Begierde nach mei»
,, nem Viehe empfange ; was für zärtliche Seufzer und
„ sai.ftfliessende Thrünen Eintauftnd Pfunde jährlicher
„ Renten zum Gegenstand« haben und welche Schmach,
„ tungen in Hypotheken und Schuldscheine verliebt sind.
Da« sind die reizvollen Dinge, welche den Männer«
„ gemeiniglich beym ersten Anblicke das Herz stehlen.
,2 Dicsen geben sie Serenaden und warten chnen mit
Bällen und ÄZafqueraden auf. ,.

Verwechselung der Personen und Handlun,


gen^ Was der eine mit Anstand thut , Wied oft bey
einem andern lächerlich. Hebet einem gemeinen Man»
ye die Manier eines Slaatsministere , einem Huronen
die Stellung «lies süßen Herrn ^ einem Kandjunker die
Denkungsart eines Caw und einem jungen Candidaten
die Mine semes Superintendenten ; so werden sie mit
«inander lächerlich.
Lu,
l im neunten Gesänge S. zi6. f. f,
Vom Lächerlichen und Belachenswerthen. 155

Lustige oft unwahrscheinliche Erdichtun


gen und Allegorien , wie das Mährgen von der Ton?
„e , die Geschichte John Bulls eines Leinewebers , die
Reisen in den Mond u. s. w.

Ueberaus ungereimte Mischung ganz ent


fernter, hoher und niedriger T inge und Aus,
drücke unter einander nebjr einer Ueberneibung
der Gestalten ; Verrvandelung des Helden in
den Harlekin und des Harlekins in den Helden;
Unterschiebung des einen unter die Handlungen
und Reden des andern ; Verwandlung edler
Ausdrücke in unedle ; Worte und Redensarten
auf eine ungewöhnliche Art Key Sachen ge
braucht, für welche sie nicht gehören: das sind
Kunstgriffe, welche für das GroMket^mische , Bur
leske und zu dem parsdiren und R.ravejriren ge
hören. Hier sind die Beyspiele :

„ Evangelien Trompeter bließen , mit lanaöhrich-


„ ten Haufen umgeben , zum Streite und der Kanzel«
„ pult, die Trommel der Pfaffen war> statt der S'öcke
,. mit Sausten gerühret ; als jetzt der Ritter seine Wotz-
„ nung verlies und auf Abentheuer ausritt. ,,
Hudibras. »
.. Crowdero hatte sich, statt der Trommel, ander
,. RordofiSeite feines Halfes eine quäkende Maschin«
,. applicirt, gerade an den Ort, wo der Scharfrichter
., guten Freunden den Strick zulaufen läßt, indem es
>, stets eine besondere Gnade ist . wenn Staatsmimster
,, eine» Freund bald expediren uod andere warten las»
v ftn. Sein Ohr hienq gebogen über die Saiten her»
.. unter, wie Speck zu den Würsten. DennHaldauuen,

^ « im ersten Besänge. S. z.
ü6 Vom Lächerlichen und Belachenswerthenl

ehe sie gesotten werden , dienen, wie einige schreiben,


„ zur Musik sowohl, als Würste zu machen und von
,, ihnen schreibt sich die Tonkunst beydeö der Saiten und
z>, der Windmusik her. u. s. w. „
Eben daselbst »
„ Jetzt folgte im Zuge der gerade Cerdon , der ta?
pferste von semer Zunft , Cerdon der Große und in
„ üedern als ein zweeter Hercules so sehr gepriesene Res
„ parator alles Schadens. ,. o
Eben daselbst./?
„ O ! welche .Gefahren umringen dem Mann , der
sich mit Fuchteln bemenget ! Welche verzweifelte Tu-
„ cken und Unfälle jagen mit aufgehabenen Händen hin?
„ rer ihm her ! Denn obschon Dame Fortuna ihm eine
,„ Weile zu lächeln und zu liebäugeln scheinet, so wird
„ sie ihm doch nachher, recht auf dem Gipfel seines
„ Ruhms noch einen Hundesireich spielen. „
Eben daselbst. ^
„ Phöbus hatte nunmehr im Schoos der Thetis
sein Schläfgcn gethan und schon verwandelte dcrMor-
„ qen, wie ein Krebs, der gesotten wird, sein Dunkel«
„ braun in Roth ; als Hudibras , welchen der Schmerz
„ und tausenderlch Gedanken nicht schlafen und nicht
„ wachen ließen , ansieng die Augen zu reiben und von
seinem iag« aufzustehen. ,.
Eben daselbst.?
Noch

» im zweeten Gesänge, S. 58, 5H.


, Man imerke, daß in dieser Stelle von einem Schuhslicktt
die Rede ist.
L im zweeten Gesanze, S. 72. f. f.
z Im dritten Gesänge S. 109.
r im fünften Gesänge, S. 21z,
Vom Lächerlichen und Belachenswerthen. n?
Noch flammt der Streit, den tLris angeschürt.
Die Sehde, ohne die Fürst priam unbezwungen,
Achillens Zorn und Hector unbesungen ,
Herr Menelas am Vorhaupt ungeziert
Und seine schöne Lrau zu ihrer größern Ehre "
Uns unbekannt geblieben wäre. - >
wieland. L
„ Gleichwie der Magnet das Eisen , ein Beutel
„ voll Ducaten einen Geizigen, grosse Titel einen Hoch«
„ müthigen, die Hofnung des Gewinns den Künstler,
„ ein Glas Wein und hübsches Mädgen einen Wollü-
„ stigcn und ein geriebenes Stück Bernstein und Sie,
„ gellack leichte Sachen an sich ziehet: also reisset mich,
„ großer Mäcenat, dero Vortresiichkeit zu Ihne«
., hin. „
Liscow. k
O Grudsireet ! du fruchtbare Pflanzschule erha?
„ bcucr Geister! Welches iyceum unserer Zeiten mag dir
„ jcmahls an Ruhm gleichen ! Es sey , daß du in sanf,
« len Schäfergedichten die iiebesflammcn hübsch aufge?
„ fütterter iehrjungen und züchtiger Küchenmägdgen, oder
den zärtlichen Abschied verliebter Paare in Trauerlie,
„ dern besangest; oder daß du deine Stimme hoch in
maonische Saiten erhobest , die listigen Streiche noch,
„ dürftiger Helden zu preisen, wenn du die Stärke des
,, Brecheisens , oder die Kunst des HakenSchlüssclS,
„ oder die unrerirrdischen Höhlen und Grotten eines
„ Vulcan beschriebest, wo er bey seiner Schmiede sitzet
„ und das Biloniß der Königin in schlechteres Metall eins
» präget, welches er stückweise für Rindfleisch uno dün»
„ nes Bier ausgiebt, ,. u. s. w.
,'. Swift. «
Du
^ kMische EqehlunZen S. 7.
' S. ;o. -
, » In der Vorrede zum John Bull,
Von; Lächerlichen und Belachcnswerthen^

Du, o der deutschen Reimkunst Lehrer!


Der Bändgenschreiberey vermehrer !
Des «Ken Bavens Ebenbild !
Dein Ruhm, o G***, eng an Granzen,
Hat preussen durch sein mattes Glänzen -> -»
was preussen ? Balga kaum erfüllt.
Dein lieber <örimm wird dich erheben.
Der die Vanise aufgestellt : ^
So n?eicht dein Ruhm, so flieht dein Leben
Mit Krügern erst aus dieser Welt.
Mylius «

In den Gedichten des scharfsinnigen Wernike sin«


de ich auf allen Seiten Beyspiele zu den angegebene«
Arten des Lächerlichen und der Ironie. Hier sind , zum
Beschluß dieser Materie nur tinige Stellen aus seinem
Heldengedicht HansSschs, von denen ich nicht leugne,
daß ich sie möchte gemacht haben :

Selbst seine Amme faßt in der Geburt ihn um,


weissagt und segnet ihn mit diesem Wunsch : Sex
dumm!

Schoch , Zeidler, Zes' und Tiz und andre ReimlLr«


finder
Sind , wenn man sie mit dir vergleicht, nur arme
Sünder.
Die

V Denn Hr. Leßing hat M< in >«r Vorrede ju den MyliuA


schen Schriften gesagt , daß MyliuS selbst Urheber von di«
s«r Parodie auf die lejte Strophe seiner eigen,» Ode: di«
Schauspielkunst, ist. S. den Liebhaber der schönen
Wissenschaften B. 1. S. S<.
Vom Lächerlichen und Belachenswerthctt. «9

Die erste Stell ist dein in dieser SchwanenReih,


Du großer Patriarch von der Pritschmeisterep !
Ich selbst, ein Dudencopf, berühmter als die ander»
Must, hinkend vor dir her mit meinem Schurzfell
wandern.
Damit ich dir den weg bereitete» o Held,
Und deinen großem Ruhm verkündigte der WeK.
<Z)ft wenn ich lange ynug gebrauchet Ahl und Feder
Und manch unschuldig Wort gerecket , wie das Leder,
Wenn ich, mirDinr und Pech besudelt, Vers erdacht
Und manchen Schuh zu kurz und Luß zu lang gemacht:
So must ein Dudelsack mir mein?tt Unmuch stillen
Und mein allduldend Ohr mit seinem Schnarren fütlem
Doch war mein Dudelsack ein Vorspiel nur von dir.

Hier Üschwieg der alte Greis und weinte fast vor


Freuden,
Die er an seinem Sohn erlebt und fteng mit beiden,
Den wohlgerathnen Sohn, mit Heyden Armen um,
Bestätigend den Wunsch der Amme : Sey du dumm !
Ich habe bey weitem nicht alle Arten des tächerli«
chen angeben, sondern nur Anfängern den Weg zeigen
wollen , wie man in dergleichen Mateiien beobachten
mus. Von den Fehlern , die man in diesem Fache be
gehen kan, werde ich nur wenig sagen. Zur Ironie
und Satire , gehört eine besondere tamie , eine besonder
re Stimmung des Genies und ein eigner Ton ; wer
diese Talente hat , bcdarf beynahe keiner Warnung und
wer sie nicht hat , der wird fehlen , man mag ihn war
nen , wie man will , oder uns Produkte liefern , die so
regelmäßig sind, daß sie niemand lesen kan.
Das Lächerliche mus nicht in das Grobe
fallen, oder zum ^löbelhafren herab sinken.
lzo Vom Lächerlichen' und Belachenswerthen.

,> Verdammter Wurm, als jemahlö einer unter


„ finniges SauFleisch gehackt worden ; du Schwanz;
,, der iandjunker, am Steig der Justiz als einer Kuh,
„ gewachsen; wie darfst du mit diesem tumpenPackt,
„ ich meine deine selbst eigene Person, das alte Eisen
„ an der Seite und deine übrige Bagage , worunter
,, deine Schindmähre im Herhinken so manchen streiken
,. lies ; wie darfst du, sage ich, mit diesem tumpen,
,, Gepücke dich gegen uns wagen?
Hudibras« «>
„ ttle ! par la mort, ^lonlieur le (^«czuin , je
trouve , que v«us eres Kien impu6ent <Ze 6e>
,, meurer en vie spres m svoir onenle. Vous
<zui ne tenes lieu ^e rien su m«ri6e , ou <zui
„ netes su plus qu'un clnu gux 5elles 6e Is riature;
„ Vou8 qui romberes li das, il je celle lZe v«u»
„ louteriir, qu'urie?uee en leeksnt Is terre ne v«us
,, clilimFuers pss 6u pave, vous engri ii iäle er
„ li pusrir, qu'on cZoute, er, vous voiant, l> votre
,, ?vlere n'a poilit secoucks 6e von« par le 6er-
,, riere. „

Man solle meineli , wenn man diese Worte ließt,


daß sie durch eben den Weg zur Welt gekommen wären,
wie der 8ouci6g8. über welchen der Verfasser spottet;
so unflätig und stinkend sind sie.
Das Lacherliche wird miangenehm , wenn
es am unrechten Orte angebracht wird , bey
wichtigen Leidenschaften zum Beyspiel, oder überhaupt
da, wo wir nicht Scherz , sondern Ernst erwarteten.
Ich finde dergleichen Züge in den, Agathon des Herr«
Wieland«
Viel«
» im zweeren Gesänge , S. 86.
« Oeuvre« iliverl«, ^. I. p. l?8»
Vom Lächerlichen und Belachenswerthcn. IZI

„ Vielleicht errinnern sich einige hicrbey an den


„ Weisen der Stoiker, von welchem man ehemahls
„ versicherte, daß er in dem glücnden Ofen des PhalaF
,, ris zum wenigsten so glücklich sey , als ein morgenlan.
„ bischer' Baffa in den weichen Armen einer jun^n
„ Circaßierin. ., ^,
„ Agatbon, der nur im Schlafe erschreckt werde»
„ konte, beschloö diesem Gelöst mit eben dem Muchs
„ entgegen ;u gehen , womit in später« Zeiten dcr uns
„ bezwingliche Ritter von Manch« dem nächtlichen Hlap»
^ pern der Walkmühlen Trotz doch. „ «
Dies mag genug seyn von einer Materie, über
die ich , für ein Compendium schon zu weiclaufcig
Wesen bin. Studiret jetzt die Werke der Meister , eines
Horaz, Jnvenal, Persius, iucian, Swift, Buttler,
Cervantes, Sterne, Ficlding, Arbuchnor, Pope, So«?
taine , Boileau , Voltaire , tiscow , Rabener , Klotz,
Wieland, so werdet ihr dieses Unterrichts, der nur für
iehrlinge bestimmet ist, vollends entbehren konneu.

^ im ersten Th. des AgathonS, S. 4.


« S.,6.
Villi.

Ähnlichkeit und Contrast.

er NaturTrieb zur Beschäftigung leidet es nicht,


daß die Seele sich lange bey einer Idee verwei,
let ; er will einen beständigen Fortgang von ei,
ner Empfindung zur andern , von dieser zur dritten und
so in das Unendliche. Wir sind daher geneigt, wenn
wir keine neuen Subjekte zu denken haben , um die
Seele nicht leer zu lassen, wenigstens unfern gegenwärti
gen Vorrath auf mancherley Art zu bearbeiten , die
Ideen und ihre Gegenstände mit einander zu vergleichen
und die Ähnlichkeit, oder Verschiedenheit zu bemerken,
die wir an ihnen finden. Diefe Verrichtung wird oft
mit einer erstaunenden Geschwindigkeit vollbracht ; wir
haben zwey Objekte kaum empfunden und überdacht , so
wissen wir auch fchon ihren Unterschied auf das genaueste
anzugeben. Oft aber braucht man Aufmerksamkeit und
Anstnngung der Kräfte, um kleine Ähnlichkeiten, die
nicht jedermann sieht, kleine UnterschiedsPunkte , die
fast unmerklich sind, zu entdecken und sinnlich zu machen.
Das Gefühl der Ähnlichkeit und Verschiedenheit ist
zwar allemahl angenehm , aber um desto angenehmer,
je mehr Mühe uns die Vergleichung gekostet hat und
je mehr wir uns dabey der Anstrengung unfcrer Kräfte
und nberstiegener Schwierigkeiten bewust siud ; eine
uothwendige Folge aus unserer Eigenliebe.

In den schönen Künsten und Wissenschaften thur


das Gefühl der Ähnlichkeit und Verschiedenheit eine
gleiche Würkung ; der Künstler trägt hier die Fackel
vor und zeigt uns den Ort , wo wir suchen müssen , um
seine Ideen zu> finden. Sobald wir .sie gefunden h»,
. bei'/
Ähnlichkeit und Contra'st. izz

ben , nehmen wir Antheil an seinen, Verdienste nnd


glauben, da wir so geschickt wären, in den Standort
des Artisten zu treten und mit seinen Augen zusehen;
so möchte es uns auch wohl gelingen, nichts schlechteres
zu machen , als er , wenn wir es nur unternehmen wöl
ken. Diese Empfindung ,> dieser innerliche Stoltz ver-
doppelt das Vergnügen , welches Key Betrachtung der
Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten in der- Natur nur
einfach ist. ,

Nur daß der Künstler nicht eine undankbare Müh,


«altung auf sich nehme und nach einer allzugroßen Acbn,
lichkeit ringe , fowohl in der Nachahmung , als Ver-
gleichung ; eine Mühwaltung , die ihn zu einen Sclaven
«nd sein Werk zu einer troknen Copie macht, der wir
immer das Original vorziehen. Eine vollkommene Aehn-
lichkeit zu entdecken, brauchen wir weder Witz noch Auf
merksamkeit ; wir werden dadurch weder unterhalten,
noch befriediget und ein Kunstwerk , was darauf gebaut
ist , kan unmöglich ein großes Glück machen. Ähn
lichkeit zwischen Gegenständen von einerley Gattung,
sagt Home , a und Verschiedenheit zwischen Gegenstän
den von verschiedenen Gattungen fallen zu sehr in die
Augen und sind zu bekannt, als daß sie unsere Neube-
gierde einigermaßen befriedigen könten. Und an einem
andern Orte : 6 Die Ähnlichkeit, wenn sie zu vollstän»
dig ist , thut keine Würkung mehr , fo verschieden auch
die Gattungen der verglichenen Gegenstände seyn mögen.
Man bekleide eine marmorne Statue mit Farben, wie
ein Gemählde, so wird die Ähnlichkeit so vollständig,
daß sie keine Würkung thut. In der Entfernung sieht
man sie für einen würklichen Menschen an. Wir ent-
decken den Jrrthum, wenn wir uns nähern ; und fühlen
I z keine
a Th. I. S. 421.
i> Th. l. S. 454.
zz4 Ähnlichkeit und Contrast.

keine Bewegung , als Erstaunen , was der Betrug


yerursaM. Die Vorstellung der Achnlichkeit sinkt in
eine Vorstellung von Identität.

Caravaggio wird mit Grunde getadelt, weil er


leinen Na Zähmungen zu viel Ähnlichkeit gab , und
wehr , als sie haben sollen. Oft mus der Künstler die
Achnlichkeit der Schönheit aufopfern : eine allzuhüßliche
Verzerrung der Gesichtezüge wird in der Copie des Mah
lers und Bildhauers unerträglich ; wir denken nicht mehr
sn die Kuust , die der Meister angewendet hat , wir be?
trachrcn ihn jetzt nur, wie den Vater eines häßlichen Kim
des und wolren lieber, er wäre feinem Original untreu/
nur der Schönheit, der höchsten Regel in den bilden-
den Künsten, getreuer gewesen. Demetrius wurde dem
tysippus und Praxiteles nur deswegen nachgesetzet, weil
er in feinen Werken mehr auf Achnlichkeit , als auf
Schönheit sich, c Herr teßing hat die Stelle aus dem
Qmntilian nicht berührt, die sehr zu feinem Zwecke dien,
te, da die angeführte Beobachtung ein Hauptgedanke im
seinem Kaokoon ist. Wird jetzt die Mahkerey, sagt er ,
überhaupt' als die Kunst, welche Körper auf Flächen
»achahmet i» iihrew ganzen Umfange betrieben : so hatte
der weise Grieche ihr weit engere Grenzen besetzet und
sle btos auf die Nachahmung schöner Körper einge
schränkt. Sein Künstler schilderte nichts , als das
Schöne; selbst das qemeine Schöne das Schöne uicdru
ger Gattungen, war nur sei« zufälliger Vorwurf, seine
Uebuug, seine Erhohluug. Die Vollkommenheit des
Gegenstandes ftlbst muste m seinem Werte entzücken ;
er

« K ? verkt«e« l xSp^um et ?rsx!tekm »«egitte opt!me, ter»

« suit Lmilitutini«, quam f«ilck, ituäüüs «usulivr. (Zjliutü.


I« XU, «o. ^. 441, Ücl.Kolt.
Ähnlichkeit und Contrast. «;

er war zu gros, von stinen Betrachtern zu verlangen,


daß sie sich mit dem bloßen kalten Vergnügen , welches
aus der getroffenen Ähnlichkeit entspringet , begnügen
sollen; an seiner Kunst war ihm nichts lieber, dünkte
ihm nichts «dler, als der Endzweck der Kunst.

Ich unterschreibe die Bemerkung des scharfsinnig


gen Kunstrichters ; nur in einem Paar Erläuterungen
habe ich Zweifel gefunden :
I. Führt Herr ießing e das bekannte thebanifche Ge,
setz für die Mahler an, um seine Meynung zu be
stätigen, die auch ohne dieses Gesetz richtig ist. Ich
finde nicht, was Herr ießing gefunden hat , daß in
diesem Gesetze die Nachahmung ins Schöne beseht
len und die Nachahmung ins Haßliche untersagt
würde. Es war,, sagt Aclian / em Gesetz zu
Theben , wodurch den Künstlern und Mahlern
geboten wurde, genau auf die Ähnlichkeit in der
Bildung zu sehen; («s A«ox«c
^ktt<rA«t) tver dawider handeln, oder anders («e <r«
A«5ov) mahlen würde, solle in eine Geldstrafe ver-
fallen. Ich halte das weder mit dem Junius S für
ein Gesetz wider die Stümper, noch für das, woB
für es Herr Kßiug. hält. Das «« « foll
wohl nicht auf die Nachahmung ins Häßliche ge
hen ; es heißt nur : wer anders thut, wider das
Gebot handelt , der foll gestraft werden. Mir
scheint vielmehr den Portraitmahlcrn und Bild»
Hauern durch diefeö Gesetz die Abweichung von ih«
ren Originalen untersagt zu seun. Vielleicht ha,
ben einige unter ihnen ihre Urbilder auf eine un«
«eranttvouliche Art^, es fty aus Mangel der Kunst,
I 4 oder

/ v,r. ttitt. IV. ^


^ <!e piöipr, vettrum ^. 5S. cke ^naö 1694,
!z<5 Ähnlichkeit und Contrast.

oder aus Bosheit, entstellet und dieser Unfug ist


so weit getrieben worden , daß man ihm durch ein
Gesetz hat steuren müssen. Doch ich rede nur von
dem, was nur scheinet. :

tt. Herr teßing behauptet, daß die alten Künstler kei


ne Furien gebükder, H welches ich selbst oben zuge
geben habe. ? Jetzt mus ich ihm , nachdem ich
ne kleine Entdeckung gemacht habe, widersprechen ;
aber aus einem andern Grunde , als Herr Klotz.
Es ist hier dem Herrn teßmg eben das begegnet,
was er vom Herrn Winkelmann sagt ; 6 er ist durch
den Junins verführet worden. Vermuthlich hat
er in dem Register der alten Kunstwerke unter dem
Titel Luxien gesucht und nichts gefunden. Ich
schlage nack : L"mer,jcles und finde, daß Scopas
deren zwo und Calas die dritte zu Athen gebildet.
Man kan den Beweis im Clemens Alexandrmus
selbst nachlesen. /

III. Wenn Herr ießing das Gemöhlde des Timan,


thes , nach seinen Grundsätzen erkläret , so hat er
alle Kunstrichter und Beobachter wider sich. Cice
ro , O,vinkil!an , Plinms , Valerius , Tzetzes , Eu,
stathius ; alle geben den Grund von der Verhül? .
lung des Aqamemnons an , den Herrn ießing ve»
wirft. Zinanthes hatte auf den andern Gesichtern
schon den höchsten Grad des Affekts angebracht
und konte also dem Vater keinen höhern geben, de»
er

i S. 45»
K S. ?8?.
/ in. ?rmr. »<I tZentos. p, 47. Lll. Ozfard,
m S. f. s.
Achnlichkeit und Contrasi. ,,7

er doch nach der Natur haben muste. Doch wäre


ich noch immer geneigt , dem Herrn teßing beyzus
fallen ; denn sein bloßer Ausspruch gilt Key mir
schon viel ; wenn es nur nicht schiene , als wenn der
Mahler dem Dichter nachgeahmet habe. Beyrn
Homer finde ich etwas ähnliches und am deutlich?
slen ist die Stelle im EuripideS :
O .,>
Ab wendet er sein Haupt
Und weint und hüllt sein Aug ins Rleid. »
Diese Stelle und das velstusque psrer aus dem Aet
na wird Herr teßing schwerlich nach seiner Meinung
erklären können. Warum muste der Dichter seinen
Agamemnon umhüllen und das thun , was eigent«
lich nur der Mahler thun solle ?

Nach dieser kleinen Ausschweifung kehre ich wieder


in meinen Weg zurück. Wenn eine allzuvollkommene
Achnlichkeit keine gute Würkung thut, so thut es eine
alzuweit hergeholte und spitzfindige noch weniger ; sie
macht uns verdrüßlich und empört uns wider den Arti«
sten selbst. Der Satiricus hat allein das Recht eine
Ausnahme zu machen und die Regel zu übertreten , wie
fern er in seiner taune ist, oder andere lächerlich machen
Will, die sie zuvor übertreten haben.

,. Hätte der D. Slop den Obadiah von ferne er,


„ blicket und gesehen , daß derselbe in einer engen iauft
bahn, mit Koch auf eine abscheuliche Art bespritzet
,, und wie ein Teufel besudelt , durch dick und dünne auf
,, ihn zugejaget : so würde ein solches Phänomenon,
„ mit einer solchen Atmosphäre von Koth und Wasser,
„ die sich zugleich mit demselben um seine Axe bewegte,
„ für den D. Slop ein schreckhafterer Gegenstand ge,
I 5 ,, we.
» IpKiK, in AuUll. V. l ZZ2. f. f. und Q V. l6z.
,z8 Ähnlichkeit und Contrast.

„ wesen senn, als Whistons Comet. Ich will nicht«


„von dem I^ern, das ist von Obadiah und seinen
„ KukschPferde sagen. In meilier Einbildung wäre
„ der Dunstkreis schon hinreichend gewesen, w» nicht
„ den Doctor, zum wenigsten doch sein Pferd zu fassen
« und mit Hinwegzureissen. .,
Lristram Shandv. »

Was von der Ähnlichkeit gilt, das mus auch von


der Verschiedenheit gesagt werden. Eine allzug««ße
Verschiedenheit, Verschiedenheit zwischen Gegenständen
von ganz entfernten Gattungen ist allzu merklich und
giebt unserer Neubegierde nicht Nahrung genug. Ebe»
so wenig werden wir dlirch Verschiedenheiten unterhak
ten, die allzuklein und spitzfindig sind, um ohne Zwang
noch sinnlich gedacht zu werden. Die rechte Temper«
tur ist Aehnlichkeit mit Contrast verbmchen, wenn wir,
wie Home sagt, /? Verschiedenheit zwischen Dingen ent,
decken , welche viel Aehnliches haben und Aehnlichkeit
unter Dingen , die sehr verschieden sind.
^ .> '.>' i
Es siebt Aehnlichkeit in Eigenschaften , in Wü>
kunqen und in Ausdrücken. Die erste ist zu ruhig , um
lange zu beschäftigen ; die zwote thut einen guten Effekt/
wenn sie mir Weisheit in richtigen Progressionen bear,
heilet wird ; die dritte gicbt Wortspiele , die man nicht
alle verdammen mus, wenn sie nur unerwartet und m»
gezwungen sind und nicht bey wichtigen Dingen, od«
im ernsthaften Stil angebracht werden. Dergleichen
sind, zum Beyspielz glückliche Anspielungen auf ühnli«

» im zweyten Buche,. C«p. Ein anderes Beyspiel ist di^


Dedicatwn zmn j^veeten Theile des Vademekum.
Aehnlichkeit und Contrafi.
che Worte bey Verschiedenen Sachen, wie der Swifttt
sche Einfall:

Bantus vse miserse nimium vicins dremonse !

Eben fo giebt es Contrast — denn dieser emste-


het',aus neben einander gestellten Verschiedenheiten , wo
die eine durch die andere noch sichtbarer und sinnlicher
wird — es giebt , sage ich , Contrast in Eigenschaften,
Würkungen und Auedrücken. Contrast in den Cha«
raktcrn wird in jedem Produkte wegen der Mannichfal«
«igkeit erfordert. Eine Epoväe, Roman, oder Drama
ohne abstechende Personen sind unerträglich ; fast noch
unerträglicher ist ein zugleichseyendes Produkt, eineMah«
lerey zum Beyspiel , wo sich auf allen Gesichtern einer,
ley Züge > ieidenschaften und Gesinnungen äussern,
«der , welches eben so schlimm ist , gar keine. Contra?
skrende Bewegungen unterhalten und starken die Aufs
«lerksamkeit, wenn sie im gehörigen siufcnweis anwach,
senden Fortgange vorgestellt werden ; wie in einem Dra,
masdas Interesse immer zunehmen muß, bis es nicht hö
her zu treiben ist und die Handlung an den Punkt ihrer
Entwickelung kömmt. Home sagt, und mit dieser Stel-
lej will ich beschließen : ? Bewegungen sind am stärksten,
wenn sie nach und nach in einem Fortgange contrastirt
werden. Aber dann muS der Fortgang weder zu schnell,
«och auch zu langsam seyn. Ist er zu langsam, so wird>
die Würkung des ContrasteS durch die Entfernung der
Bewegungen von einander geschwächt ; und ist er zu
schnell, so hat keine von den Bewegungen Raum genug,
bis zu ihren ganzen Umfange anzuschwellen , sonderw
wird durch die nachfolgende Bewegung gleichsam in ih>
rer Geburt erstickt. Die Leichenrede des Bifthofs voi^
Meaux auf du Herzogin von Orkans ist ein, beständiges-
Hüpfm

,TH. I. S. 4Z5>
>4« Aehnlichkeit und Contraft.

Hüpfen zwischen frölichen und melancholischen Borstel,


lungen , die einander in ihren schnellsten Fortgange fole
gen. Entgegen gesetzte Bewegungen werden am besten
in einem Forkgange gefühlt ; aber jede Bewegung solle
für sich bis zu ihrer gehörigen Höhe getriebekt wer,
dM/ ehe man andere zu erregen
suchte.
Von der Nachahmung und Illusion.

eil ich eben von der Aehnlichkeit geredet habe,


so will ich noch etwas über die Nachahmung
hinzufügen. Diese Materien sind sehr mit
einander verwandt. Die Aehnlichkeit in den Werken der
Kunst kan auf eine doppelte Art gedacht werden ; ein
walzt , wiefern man in einem Produkte ähnliche Dinge
neben einander stellt und vergleicht und dann , wieftrn
das Werk selbst einen Gegenstand aus der Natur zum
Originale hat , welchem es als die Covie entsprechen
soll. Das letzte ist der Fall, von welchem ich hier rede.
,, Manche Dinge , sagt Aristoteles , die wir so , wie sie
„ sind , nicht ohne Abscheu betrachten können , sehen
„ wir in ihren wohlgetroffenen Abbildungen mit Vcr-
.. gnügen, zum Beyspiel , die Gestalten verächtlicher
„ Thiers und todter Körper. „ «

Ich will über diese Stelle einen kleinen Commen.'


rar machen und dann werden mir meine teser eine eigene
Abhandlung über die Nachahmung gern schenken.
Aristoteles behauptet also , daß die alten Künstler
znm Theil häßliche Gestalten nachgebildet und nimmt
als ein nicht zn leugnendes Supposimm an , daß diese
Nachahmung häßlicher Originale angenehme Empfin
dungen hervorbringe. Das erste erhellet auch aus einer
andern Stelle, wo er ausdrücklich sagt, daß Polygnotus
sei-

4. In manchen Ausgaben liefet man «^/oi-«'!-«? , grau«


samer Thiere.
542 Von der Nachahmung und Illusion^

seine Gegenstände verfchönept , Pausen sie häßlicher ge«


bildet und Dionysius der Natur fclavifch gefolget. ö
Den zweeken Punkt aber müssen wir genauer untersu,
che«.

Wir haben vorher c gefunden; daß das Gefühl


der Ähnlichkeit uns unter gewissen Bedingungen ein
vorzügliches Vergnügen gewähret. Ist diese Aehnlich,
keit zu klein und nicht passend genug ; so fühlen wir sie
nicht, oder sie wird lächerlich und artet in das Bürlefke
und Komische aus. Ist sie zu vollständig , so verschwin-
der ihre Würkung. Ein in Stein gehauenes Thier
wird mit iust gesehen ; bekkidet die Kuh des Künstler
Myrons^ mit Haaren, so wird sie ihrem Original all
zu ähnlich, um noch zu reizen, und mus in Vergleichung
mir diesem allemahl verliehren. Die rechte Temperatur
ist Ähnlichkeit und Unähnlichkeit in einem Punkte em
pfunden, und fo empfunden, daß jene lebhafter fcy und
mehr, als diefe, hervorsteche. Dies ist der Fall, wor,
innen wir uns bey einer geschickten Nachahmung befin,
den. Wir fühlen die Äehnlichkeit des Abdrucks mit
dem Urbilds und wissen zugleich , daß die Copie nicht
das Origlnal selbst ist. Daher müssen nothwendig fol,
che Bewegungen entstehen, die zugleich angenehm und
unterhaltend sind«
Fer-

! NoXn^VKlVS? °ZttLV '«LS,?«? INstllS'KIV AHL«? , H«V!i>

c S. izz. ^
Du Hirte, warum laufest du
So weit zurück nach mir ?
Stichst mit dem Stachel auf mich zit
Und rufest ! Fort von hier !
Ich bin des Rünstler Myrons Rul>
And gehe nicht mit dir.
ESA
Vvn der Nachahmung und Illusion. 14z

Ferner wird auch unsere Neubegierde und selbst die


Eigenliebe durch das Gefühl der Nachahmung gespeiset.
Die Achnlichkeir, sagt Gerard, « ist ein starkes Princil
pium der Association, welche die Ideen, darinnen sie
angetroffen wird , beständig verbindet , unsere Gedanken
von einer zur andern leitet und dadurch einen starken
Hang zur Vergleichung in dem Menschen hervorbringt.
Da die Vergleichung , indem sie geschieht , eine sanfte
Anstrengung der Seele voraussetzt , so ist sie auch eben
deswegen angenehm. Es ist Untersuchung nöthig , das
Original durch die Copie zu entdecken ; diese Entdeckung
bringt ein angenehmes Gefühl von unserer Scharfsinnig,
Kit und Beurthilunqskraft hervor und also vermehre
die ErkänntniS der Aehnlichkeit unser Vergnügen , durch
die Empfindung des glücklichen Erfolgs, nach angestellt
ttr Vergleichung.

Auch unsere Verwundemng findet Stoff, sich durch


die Nachahmung zu nähren , wenn diese mit Fleis und
Absicht gemacht ist. Wir bewundern das Genie und
die Geschicklichkeit des Künstlers ; wir erstaunen , und
dieses Erstaunen hat allemahl eine Mischung von ange,
nehmen Empfindungen zu seiner Folge. Je mehrere
Schwierigkeiten von dem nachahmenden Künstler zn
übersteigen waren und je lebhafter wir die überwundenen
Hindernisse uns vorstellen : desto größer und anhaltender
wird das Vergnügen. Wir fehen es nicht gern , wenn
sich der Dichter in die Ausmahlung körperlicher Gegen
stände einläßt; aber thut er es dennoch, so werden wir
auch «ider unscrn Willen die Kunst bewundern , die ee
anwenden muste, um «was zu schildern, was nicht in
stmen Horizont gehöret, und das ist auch vielleicht das
einzige , was uns an vergleichen Werken noch reizet.
Der bildende Künstler soll sich eigentlich nm mtt Körpern

e Versuch! vom Geschmacke Th> l. C«P. 4«
zu schaffen machen; wagt er es, eine Handlung durch
Körper zu mahlen und ist weise genug , den fruchtbarste«
Augenblick zu wählen nnd das Vorhergehende und viel,
bricht auch das Nachfolgende durch die erpreßifsten Zug?
und Umstände anzudeuten ; so entsteht ein zufiimmenge:
setztes Vergnügen , mit Bewunderung gemischt , die
halbj auf den Künstler, halb auf sein Werk zurückfällt:
wir können dieses nicht betrachten , ohne an die Hand zu
gedenken , welche den Pinsel , und an das Genie , rvel«
ches die Hand geführet. Vertiefungen und Erhöhu»?
gen, die der Bildhauer ohne Mühe abschildert , sind in
der Mahlerey ungleich angenehmer, wo sie nicht durch
sich selbst, sondern nur durch eine kluge Austheilung
dcs KcklS und des Schattens können gebildet we^
den. /
Diese s Vergnügen über die Nachahmung findet
sich auch bey haßlichen Gegenständen, die durch de
Kunst nach dem ieben geschildert werden. Nur mischt
sich hier in die angenehmen Empfindungen aus der
Slilliing der Neugierde r,nd aus der Bewunderung der
Kunst , zugleich der Verdrus über die Häßlichkeit des
Originals, und dieser behält zuKtzt allemahl die Ober.'
Hand, weil Bewunderung und Stillung der Neugierde
nur transitorische Bewegungen sind, die bald verschwind
den und dem überwiegenden Miövergnügen Platz ma-
chen, welches die Mißgestalt des Objekts hervorbringt.
Ist hingegen das Urbild zugleich gros und schön , so
vereiniget sich das Wohlgefallen an diesem nur dem a»
genehmen Gefühle aus der Nachahmung , und beyoe
zusammengenommen würfen ein zusammengesetztes Ver
gnügen, welches jedesmahl wiederholt wird, so oft wir
das Werk von neuem betrachten. Daß alsc> der Kunst,
ler sich wohl hüte, mit leidigm Geschicklichkeiten zu pra-
leli,

/Gerard TH.I. S. 4.
Von der Nachahmung und Illusion. 145

len, die durch den Wörth ihrer Gegenstande nicht ge«t


drlr werden !F Er wird , wenn die Schönheit seines
Ideals nicht mit der Würde seinerTalent« übereinkömmt,
für eine Welt von undankbaren Zufthsuern arbeiten , die
ihn aufs höchste einmahl bewundern nn> dann sein
Werk weglegen , um sich an einem andern zu vergnügen,
in welchem vielleicht weniger Kunst, aber mehr Schön?
heit ist. Daß selbst die alten Artisten, selbst zur Zeit
des feinen Geschmacks , in diese Ausschweifung verfaUen
sind , kan nicht geleugnet werden. Herr ießing hat
schon den Pausen und Pyreicuö angeführt, H von,wel?
chem letztern Plinius fast noch zu gelinde urcheilt. / Wir
sinden in den Verzeichnissen von den Werken der Al,
ten , Medusenköpse, ^ häßliche Satyre^ / Todtengerip«
pe, ?» alte häßliche Weiber, » und ftlöst eine lernaische
Schlange. 0 Allein schon der Untergang von den mei
sten unter diesen Werken solle unsere Künstler von der
Beständigkeit des guten Geschmacks versichern und sie vor
gleichen Unternehmungen warnen. Die Arbeiten eines
Pausen, Pyreicus, Dionysius , Demetrius und and«
rer sind längst untergegangen ; taokon hingegen , der
borghesische Fechter und andere Meisterstücke sind noch
vor.

? S. den Laokosn S. i r.
ö im Laokeon S. i l 1 2.
,' ttumilitali, tummim «ilext is est glor!»m. I.. XXXV. 59,'
t S. den Versuch einer Allegorie, S. m.
i l>Ii„. l.. XXXllll. uNd XXXV. ' '
' ck Versuch einer Allegorie S. »1.
» ?>mi», l.. XXXltll. XXXV. und XXXVl.
« ?i>usznis», 1^. X»
<.?,Herr Leßing hält diesen für den ChabriaS, (S. 284.), g«
i gen welche Meinung Herr Klvz kritische Einwürfe gemacht
hat.
,46 Von der Nachahmung und Illusion.

vorhanden. Und wenn die alten Artisten nur einmahl


Furien gebildet haben , wie viele Werke hat man dage
gen von ihnen, in welchen Venus, Apollo, Diana, die
Grazien u. s. w. vorgestellt worden ? Ein wichtiger Be
weis für ihren guten Geschmack!

Man hat Versuche gemacht, die Nachahmung zum


höchsten Grundsätze der schönen Künste uridWistenschaf«
ten zu erhebe« und aus dieser Quelle alle besondere Re«
geln für dem Artisten herzuleiten. Die gekünstelten
Wendungen , in welchen Battenr sich drehet , um diese
seine iieblingsMeinung zu vertheidigen , läßt uns schvu
nichts vortheilhaftes dafür vermuchen.

Copie der Natur, Copie der schönen würklichen Natur,


Copie der idealischen Natur nud selbsteigene Schöpfung;
dies sind die vier Stufen der Kunst. Der bloße Copist
zeichnet nur nach, was die Natur ihm vormahlet, schön
oder häßlich , wie er es findet : wenn diefer noch ein
Künstler ist ^ so ist er gewis nur einer vom unterste»
'Range ; in dem Mechanischen kan er Geschicklichkeiten
besitzen^ allein das ist noch lange nicht alles , was wie
von einem Künstler verlangen. Der Nachahmer der
schonen Natur sondert fleißig aus den Bildern , die die
Namr ihm liefert , alles häßliche und unanständige ab
und mahlt das Schöne allein. Er verschönert seine Ge
genstände Glicht, als dadurch, daß er sie weniger häßlich
imacht. Er bildet die Schönheit noch im eigentlichen
Verstände individuell! nach einer einzig«? Idee , aus ei
nem einzigen Objekte geschöpft. Er hat Verdienste;
aber wir wolle« immer noch mehr. Der Copist der
idea,
bat, dir mir sehr gegründet scheinen. <K«, «tt. Vol. IN.)
Ich finde an diesem Fechter «e völlige Stellung d« Alte»
bey ihrem pyrrhichischem Tanze. S. den blercur»!i, «io
»rte L/innslti«. l.. Il.jk iz>, nebst dem Kupfer, «elchet
dahin gehöret, kck, «I« »nn» l<?«. ä»ii«i.
Von der Nachahmung und Illusion. 147

idealischen Natur setzt in seiner Phantasie die partialen


Schönheiten vieler Subjekte , nach dem höchsten Be?
griffe der Schönheit , in ein Bild harmonisch zusammen ;
anstatt die Natur zu mahlen, wie sie ist, copirt er die
Idee seiner Einbildung und nimmt nur den Gegenstand
aus der Natur, den er mit mancherley Falben lx kleidet
und ihn, wie ich oben gesagt habe, ^ vns so schön?
wieder giebt , als wir ihn von der Natur selbst würde«
erhalten haben, wenn diese nicht die Schönheit oft der
Vollkommenheit aufopfern müste.

Wir wollen sehen , wie sich einer der grösten Kunst«


Verständigen über diesen Punkt ausdrückt. Die Bildung?
der Schönheit, sagt Herr Winkelmann , x- ist entweder
individuell , das ist , auf das einzelne gerichtet , oder
sie ist eine Wahl schöner Theile aus vielen einzelnen,
und Verbindung in Eins , welche wir idealisch nennen.
Die Bildung der Schönheit hat angefangen mit dem
einzelnen Schönen, in Nachahmung eines schönen Vor,
Wurfs, auch in Vorstellung der Götter, und es wurden
auch noch in dem Flore der KunstGöttinnen nach dem
Ebenbilde schöner Weiber, sogar die ihre Gunst gemein
und feil hatten , gemacht. Die Natur aber und
das Gebäude der schönsten Körper ist selten ohne Män
gel, «ud hat Formen, »der Theile, die sich in ander»
Körpern vollkommener finden, oder denke« lassen, und
dieser Erfahrung gemäs verfuhren diefe weift Künstler,
wie ein geschickter Gärtner , welcher verschiedene Absens
Kr von edlen Arten auf einen Stamm pfropfet; und wie
nne Biene aus vielen Blumen sammelt, so blieben die
Begriffe der Schönheit nicht auf das individuelle einzel,
»e Schöne eingeschränkt , wie es zuweilen die Begriffe
du alten und neuern Dichter, und der mehresten heuti,
K « SM
^S.>z, 54. " //' /
e «tschichte der Kunst, Th. !.. s.. tji. f. s.
14« Von der Nachahmung und Allusion.

gen Künstler sind, sondern sie suchten das Schöne aus


vielen schönen Körpern zu vereinigen. Sie reinigten ih,
re Bilder von aller persönlichen Neigung, welche un,«
fern Geist von dem wahren Schönen abziehet. „

Bis hierher hat der Artist noch immer Zuge aus


der wörtlichen Natur, entweder entlehnet, oder gesam
melt und sein ganzes Verdienst ist, sie neben einander
in einem Produkte weislich vereiniget zu haben. Jetzt
sieiget er noch eine Stuft höher und wird ein Schöpfer.
Er bringt Handlung in seine Werke, besonders in dieje,
Nigcn, welche eigentlich bestimmt sind, Handlungen dar
zustellen , und läßt Succeßionen auf einander folgen,
wovon man in der Natur oft nur sehr entfernte Aehnlich-
seilen antrift. Er schafft sich gleichsam eine eigene Na.'
tlir und diese ahmt er nach , wenn er doch ja ein Nach,
dhmcr seyn soll. Dies ist die höchste Stufe der Kunst
und hier läßt der Dichter den Mahler weit hinter sich
zurück , welcher letztere nur andeutungsweise im Stande
ist, Succeßionen zu schildern , die doch das wesentlich«
öer Schöpfung und Erdichtung ausmachen.

Nachahmung und Erdichtung werden alfo die Quel>


len seyn, aus welchen die Gesetze für die Wirke der
Kunst , im Ganzen betrachtet , herzuleiten sind. Aber
auch nur , im Ganzen betrachtet; denn die Regeln für
das Detail müssen aus dem agg«meittern Grunde, der
schönen Sinnlichkeit gefolgert werden.

, 5. Aus einer geschickten Nachahmung entstehet das


Entzücken, womit ein Kenner die Werke großer Mei
ster in der Mahlerey und Bildhauerkunst betrachtet.
T>arans enksprnig^die gröste Vollkommenheit der Schil,
'derunqen in der Poesie und Beredsamkeit , deren charak»
tcristischer Vorzug alsdann vorhanden ist, wenn der
Schriftsteller die wesentlichste« und am meisten hervor-
fteclftn,
Von der Nachahmung und Illusion. 149

stechenden Eigenschaften seines Subjekts scharfsinnig aue


sucht und sie in ein solches GemZWe zusammenfaßt,
welches schnell 'in dem teser ein lebhaftes Bild von dem
Originale erweckt und es stark in seine Seele drückt. /

Das mag der Uebergang seyn von der Nachah,


! auf die Materie von der Illusion.

Was wir poetische Gemählde nennen, schreibt


>rr Leßing , t nennten die Alten Phanrasiecn , wie
man sich aus dem tongin erinnern wird. Und was wir
Illusion, das Täuschende dieser Gemählde hcissc

Ich würde bey dieser Stelle keinen Anstoß finden,


«enn ich nicht den iongin angeführt fahe. tongin sagt
ohngefehr ftlqendeS : « „ Das Majestätische , PrSch-
„ tlge und Interessante wird hauptsächlich durch die
^ Bilder der Einbildung selbst. > Wir braucßcn
-jetzt dieses Wort nur alsdann, wenn von einer sol-
„ chen Vorstellung die Rede ist , die mir einer begcistern-
,. den Rührung uns die Gegenstände so lebhaft ? adschil.'
« dert, als wenn wir sie selbst sahen. Uebrigens sind^die
, v, . Kz Phan«

« S. den Gerard vom Geschmacke Th. I. Cap. 4.


e in Laokoon S. »49.
» I75^t ü^!«? v^cyf«« «?. 0^«« ««, ^s^X^vs^«? s oder

«UV«? sv«s« X5^««'< -^»^ F°s?r<

«'F' 0« VIZ? /«V «V «-S0ZI7« »5<l< e«?7X>z^<; z F°ev


,5« Von der Nachahmung und Illusion.

„ Phantasien des Dichters von denen in der Redekunst


„ verschieden. In der Poesie würken sie k«»-^«Av, v
„ in der Prose aber s««^««?. 5, Dies last sich nicht
gut nach Herrn ießings Meinung erklären. Wie könte
tongin das Entzücken w der Täuschung überhaupt ent-
gegei'schen n?,d diese der Prose allein, wie jenes der Poe
sie zueiqnen ? Vielmehr versteht iongin schon selbst durch
Phantasie ein täuschende« Gemähloe, durch
den höchsten Grad der Täuschung, das Entzücken und
durch ««^/«av eine schwächere Täuschung, eine bloße
lebhaftere Vorstellung, durch das mentale Daseyn des
Objekts. 5? Vielleicht kan ich diese Bedeutungen
dem Cicero ^ und Qvintilian ? rechtfertigen.

» Jin einige» VusgaKen steht 5>?rx^?, welche LeseArt v«,


muthkich ans einem Druckfehler entstanden ist.
w Entzücken und nicht Erschrecken, wie eS einige üöers«
tzen. 'LxTrXyA? wird oft vor Entzücken genommen u«>
«l»S hier des Zusammenhanges wegen so gen»uune» m«tt
den.
« c^f. ?r»r>p. ?raet. ?»« 14;. 5«^. ^
^ IV. ^e«t. 17.
M kZu» ?K,ntzL« <?r,ee! v««nt, vo» f,n« «Kon« «Ppekke»

«Uli», v< os cernere «eulis sc prüetente« KsKerrvnlei»


» ^ K« Ken« «>n«s,erit , er« >» »KeZU>u«^«t«>tii»

5«5, va«>, lecu,«tum verirm »ptime ; Pi«<t

1'cun« k. e<t. Kolt. U»d auf der folgenden Seit« :


lakequstu« «i»^!««, «jttse » Cicerone i»uftr»tic> et «virles»

«kexs, «tz ,Ke>?t»U nc>« ,I«er. <j>«M st reb«i^t»jnte«timti»»


Le«s«e,«,». c5. l,. Xlk. <7sp. X. p. 44^ ^«m. tt. Ich lerne
dara«K s» viel, daß Phantasie und Energie beyde Tcki«
schung bedetttt»; Me ist das Wefchlecht, diese die Gtst
Von der Nachahmung und Illusion.

Eine Phantasie ist eine lebhafte und anschauet, de


Vorstellung, in welcher wir das Objekt selbst sehen und
ihm auf eine idealische Art gegenwärtig sind und diese
Phantasie, diese mentale Gegenwart , als Effekt auf
Seiten unserer betrachtet, Heist Tausthung ; oder II,
lusion. Wir vergessen , wenn wir getüuschct werden,
daß wir nur eine Nachahmung , oder willtuhrliche Cr"
dichtuug uns vorstellen ; unsere Phantasie versetze uns
in Scene selbst , die der Künstler uns abgebildet hat :
wir sehen ihn selbst, den leidenden iaokoon, nicbt die
Gruppe , und wenn iaokoon seinen Schmerz zu verbeis,
seu scheinet, so bricht er davor bey uns desto heftig -r aus.
Oder wir erblicken den rasenden Orestes und die Furien,
die sauf ihn los springen, um ihn zu peinigen, und sind
geneigt , mit ihn auszurufen :

Suripldes »
Oder unsere Phantasie fliehet mit der verfolgte» Ins ;
Sie fliehet dem gescheuchte» Rche>
' Der aufgejagten. Gemse gleich ,
Die königliche Tochter Cadmus;, springt
von Rlipp auf Rlippe, dringt
Durch Dorn und Hecken. — — —
' Nun , weiter kau ich nicht !
Ich. kan nicht höher klimmen.! — Götter l
Ach rettet., rettet mich : Ich seh«
Den? Athsmas ! An seinen Händen klebt
Noch seines Sohnes ZSlur ,
eilt auch diesen zu zerschmettenl.
O Meer ! o Lrde ^ er ist da, '
K4 Ich
» S. de» Lvnzi» «^Lt v^«<r v^^«
15! Von der Nachahmung und Illusion.

Ich hör ihn schreyen ! er ist da '.


Ich hör ihn keuchen ! Jetzt ergreift er mich .' —
Du blauer Abgrund , nimm von dieser Heise
Den lärmen Melicertes auf!
Nimm der gequälten Ins Seele ! —
Ramler t

Jno stürzt sich hinab und , wäre es möglich , so


möchten wir sie halte« , oder uns selbst mit ihr hinab«
stürzen. ,'.
Diese Täuschung entstehst in uns, wenn durch die
Lebhaftigkeit der künstliche Bilder unsere ganze Phan
tasie auf ein Objekt gesoannt wird und dadurch die Ein?
bildung ein Uebergewichr über die Empfindung bekömmt.
Wir werden dann durch das , was wir uns einbilden,
stärker gerührt, als durch das, was wir empfinden ; wir
vergessen also das letztere und hängen blss dem erster»
nach : nur noch einen Schritt , so wissen wir das eine
nicht mehr von dem andern zu unterscheiden und entfer«
nen uns von dem, was um und neben uns ist, und von
uns selbst, und heben uns gegen das Objekt, was . uns«
re Phantasie gefüllt hat.

Will also der Artist durch seine 'Werke Illusion


hervorbringen, so darf er sich nur bemühen, anschauen«
de Bilder in unsere Phantasie zu mahlen und so zu mal)»
len , daß das Bezeichnete sinnlicher und lebhafter, als das
Zeichen , gedacht wird. Es mus unsere ganze AufmerrV
samkeit in einem Punkte versammeln und uns sein Ob«
jekt unter einem solchen Colorit zeigen, daß wir nicht
glauben, die Vorstellung, sondern die Sache selbst zu
sehen. Er mus der äussern Empfindung weniger zu thun
geben , als der Einbildung ; wenn jene durch ausserli»
che« Putz zu sehr beschäftigt ist, so wird diese in ihren
Wür.
5 Jno eine K«»tate, Berlin »765. " .
Von der Nachahmung und Illusion.

Würkungen gehindert. Die sinnlichen Eindrücke dür


fen nie in der Empfindung selbst ihren RuHepunkl finden.
Diese muß nur der Weg seyn , durch welchen die Ml,
der in die Phantasie übergehen. Sobald sie diesen
Dienst gethau hat , verschließt man ihre Werkzeuge und
überläßt sich ganz den angenehmen Bewegungen , die
die Phantasie hervorbringt ; mischt sich in diese vollends
das Interesse, wovon bald soll geredet werden, dann ist
die Tauschung vollkommen.

Unterdessen hat die Täuschung, oder mentale Ge,


genwart noch ihre Grade , davon ich vornehmlich drer)
bemerke. Der niedrigste ist , wenn wir nebst dem Objekte,
was uns täusch, zugleich noch uns selbst und auch denen
Objekten gegenwärtig bleiben, die um uns herum sind ;
her mittlere, wenn wir, ausser dem täuschenden Objekte,
uns selbst noch , nicht aber den Dingen , die um
uns herum Hnd , gegenwärtig bleiben ; der höchste,
wenn wir selbst uns ftlbsi nicht mehr , sondern allein dM
täuschenden Objekte gegenwärtig sind. Dieser höchste
Grad der Illusion ist die ««»-/«Ac, das Entzücken,
wenn unsere Phantasie uns selbst verläßt und einzig und
allein an dem Objekte haftet, womit sie angefüllet ist,
so daß wir uns diefes Objeks mehr , als unserer selbst,
bewust sind. Alle Grade der Illusion können durch alle
Arten der schönen Künste erhalten werden, nur immer
durch eine eher und leichter , als durch die andere. Die
bildenden Künste und die Musik gewinnen viel über die
Poesie , da die Zeichen , deren sie sich bedienen , natür
lich und wesentlich sind. Die Poesie gewinnt viel über
die bildenden Künste, weil sie Succeßionen zu mahlen
und ganze Handlungen mit Anfang, Mittel und Ende
zu schildern im Stande ist : denn Handlungen füllen die
Phantasie weit länger als blosse Körper. Die Musik
gewinnt in gewissen Beziehungen über beyde, da sie, so
, K 5 wie
,^4 Von der Nachahmung und Illusion.

wie die eine, natürliche Zeichen gebrauchet und, so wie


die ander«, in ihren Nachahmungen fortschreitend ist.
Daher finden wir oft , daß teute von wenigem Geschma
ck? und von so fühllosem Herzen , daß sie weder durch
Poesie noch Mahlerey zu rühren sind , durch die Musik
so gar entzückt werden , daß sie sich selbst vergessen.

Wird die Illusion zu hoch getrieben , so kan sie


Würkungen hervorbringen , die den Getäuschten bey an,
dern lächerlich machen. Wir wissen dergleichen Beyspi«
lle selbst von den Werken der bildenden Künste. Es ist
bekannt und Clemens Alexandrinus erzählt eö aus dem
Philostephanuö , daß Pygmalion sich in die Statüe der
nackenden Venus aufs äußerste verliebet. Von einem
«ndcrn sagt uns dieser Autor aus dem Posidippus etwas
Ähnliches und setzt sehr homiletisch hinzu : „ So sehr
„ konte die Kunst täuschen , daß sie sogar den lüstling
„ durch ihren Betrug in das Verderben joa. ,. c
e Man muS die ganze Stelle im Clemens Alerandn'nuS noch«
lesen. Sie stehet in dem ?r«tr. »ll Oenc« p. z S, Z9. nach
der Sylburgischen und p. ;q, zi. nach der Orforöisch»
Ausgabe yom Jahr 57,5.

' .,,,,<

Xl.
Vom Neuen/ Unerwarteten und
Wunderbaren.

^^efüht der Neuheit , Ueberraschung , Bewunde,


I rung , Erstaunen sind Empfindungen , die viel
ähnliches haben und gleichsam nur durch Stus
st» von einander unterschieden sind.
, . , ^ . ,- >
Eine Idee ist nie lebhafter, würkr nie stärker, als
wenn sie uns entweder einen Gegenstand , der für uns
«eu ist, oder ein bekanntes Objekt aus einem neuen Gex
slchtspunkte darstellt. Unsere Neubegierde will befriedig
get seyn und sobald sie einen Vorwurf antritt, der für
pe gemacht ist, fo bringt sie alle Kräfte der Seele i»
Bewegung. Empßndung und Phantasie vereinigen sich ;
beyde werden aufdas Objekt gespannet, was ihnen durch
seine Neuheit Unterhaltung anbietet, da unterdessen alle
andere Bild», die sich vorher in der Seele befanden,
zurückgeschoben »nd verdunkelt werden. Diese Empsin-
dung ist fo allgemein, daß sie sich sog« da äussere, wo>
man weniger empfinden , als denken solle. Eine neue
Weinung, es sey Wahrheit oder Jrrthum , wird, nicht
ermangeln, ihr Glück zu machen, so lange es Menschen
giebt, bey Venen oft Neuheit mehr gilt , als Wahrheit.
In allen Gesellschaften ist die erste Materie zur , Unten
Haltung die Frage r was hat man Neues ? Eine neue
Mode verdränget alle alten , die oft. vernünftiger sind«
«ls sie. Ein neuer Regent ist da« Augenmerk und dev
tiebling des Volkes ; »um intereßirer sich für ihn und>
lebt ihn auf Unkosten des ersten , es dauert eine Zeitlang
««d dann wartet man uur auf den Abschied des andern.
- ' ' ' . um
'55 Vom Neuen, Unerwarteten
—- >> , , , ^—^ ———,—
um einen dritten zu bewundern. Ein Ort, den wir noch
nicht gesehen haben , ein Vergnügen / das wir zum er
stenmal)! empfinden , ein Buch , das wir erst kennen ler?
nen ; alle diese Dinge beschäftigen uns ganz , so lange
sie nen sind und machen uns vor langer Weile gähnen,
sobald sie anfangen, alt und gewöhnlich zu werden.

Man lese , wie ein genauer Beobachter das G.


des Neuen nach seiner eigenen Empsinduiig befchrei
j. Unter «Ken Beschaffenheiten der Dinge, spricht er,
<twas beytragen, unsere Bewegungen zu erreg
hat das Neue den mächtigsten Einflus , ohne die Schi
heit , oder selbst die Größe auszunehmen. Ein neues
isxiel zieht ganze Schaan« auf sich. 5 Es würkt
dicklich eine Belvegung , welche die ganze Seele?
beschäftigt und mrf einige Zeit jeden andern GegenstanV
Ausschließt. Die Seele scheint gewisserniaßen vorzurüi
cken , um der neuen Erscheinung entgegen zu gehen ; und
alles schweigt in einer tiefen Aufmerksamkeit. In ge,
: : ^ wisse«

« Home Th. I. S. Z92. '


i> Wie die Belagerung von ^«I?!, , die bekannte Tragödie des
Herrn von Ke»<v> Man sähe sie zum erstenmal)! und lobte
'.^ Fe mit einem übertriebenen Enthusiasmus; man sah sie
noch einmahl und lobte sie kallsinnig ; noch einmahl, und
man fand Fehler ; noch einmahl und man vergaß sie.
Der Verfasser durfte eö wagen , auf sein Werk zu setzen :
5 ' ». «. . >
Veltlß», gr»e«
Auö clekrere et «iebnre clomellie, I,6t»
unb in der Vorrede zu schreiben : V«i« peut» Stre I, pr»>
,, miers l'rngekii« krzncuise oü l'on »>t prsruxö Z Ii nitio»
le plzittr 6e s'interetler » eile möuie. Das neue und für
die Eigenliebe der Nation schmeichelhafte Subjekt verschof,
' ' ten einem Stücke Zuschaner und Leser, von dem nach der
^ ' ersten Hitze selbst französische Kuiistrichter urthettten. daß
«s our mittelmä«ia ist. S. das ^uurual Lncxcl«r<ectiq».e,
vom Jahr l?66. I'. VII.
/ ' «nd Wunderbaren. . '

wissen Fällen zeigt ssch eine Art von ängstlicher Unruh,


mit äußerlichen Symptomen verbunden, die vtelKedeuj
tend sind. Die Gespräche des gemeinen Volks sind niet
malS interessanter, als wenn seltsame Gegenstände und
tmsserordemliche Begebenheiten der Inhalt sind. Man
entreißt sich seinem Vaterlande, um selme Und neue Diu?
ge aufzusuchen ; und die Neubegierde verwandelt die Unt
Bequemlichkeiten und selbst die Gefahren des Neiscns
in Vergnügen. ,.

Von der blossen Empfindung des Neuen ist das


Gefühl der Urberraschung verschieden. Nicht «veH
was neu ist , überraschet und nicht alles Ueberraschende ^
K«lS nochwendig mn seyn. Ein Freund überfällt uns
lnivermuthet ; sein Anblick überrascht uns und ist nichts
weniger als neu. So beschleicht den schlummernden
Hirten am Ulmbaum sein schalkhaftes Mägdgen, vo»
der er eben geträumt hatte ; ihre Erscheinung überrascht
ihn , ohne für ihn etwas Neues zu feyn. Angegen gei
hen wir einen Elephanten zu sehen, der für uns neu ist;
Wir fehen ihn , weil wir ihn fehen wölken ; wir «ustetz
es vorher, daß wir ihn sehen würden und werben bey
feinem Anblicke nicht überrascht, iaßt uns daraus
schließen, daß bie Ueberraschung eine Folge des Uliver«
wutheten ist und daß diese Bewegung nicht aus der Neu«
heil, sondern aus der unerwarteten Erscheinug der Ob»
jekte entstehet. Was unvermuchet ist , hemmt plötzlich
«nd unterbricht die Reihe unserer Vorstellungen^ und
fängt einen neuen Fortgang der Ideen an ; es entsteht
daher in unserer Seele eine schnelle Abwechselung und ein
^ählinger Sprung von einer Vorstellung auf eine «nde,
re , die mit jener nicht verni andt ist : diese Empfindung
von der plötzlichen Entstehung einer Idee, die durH kei»
«e vorigen hcrbeygeführet worden, ist das Gefüh! der
Ueberraschung. i . ,V e
,H Vom Neuen, Unerwarteten
Von dieser und selbst von der Empfindung ' des
Neuen ist eine dritte Bewegung noch einigermaßen ve»
schieden, die man bald Verwunderung, bald Bei
wunderung nennt, nachdem die Gegenstände versthie?
den sind, durch welche sie hervorgebracht wird. Man
bewundert eine Ursache oder Handlung und wundert
sich über einen Effekt , besondere wenn man die Ursache
nicht weis, einen Körper, eine Sache, oder Beschaffen-
heit. Beyde Bewegungen entstehen aus der anschauen
den Erkänntnis einer wichtigen und sonderbaren Reuig?
keit, oder, die wir wenigstens für wichtig halten, wohl
verstanden, daß das Objekt unsere Seele auf einmahl
fülle und nicht durch die succeßive Würkung seiner Thei-
le eine partiale Vorstellimg von sich selbst errege. Die
Würkung eines solchen Gegenstandes erschüttert die See«
le und Hebt sie schnell in die Höhe; alle ihre übrige»
Ideen werden dadurch verdränget , sie fühlt sich gleich,
sam leer von allen andern Vorstellungen , sie ergreift da«
her, um sich wieder zu füllen, das ganze wunderbare
Objekt begierig und strengt ihre ganze Kraft auf dasselt
be allein an ; sie emvsilldet zugleich die Kluft und de»
Abstand zwischen dem hohen Gegenstande und sich selbst
und diese Bewegungen zusammengenommen sind es , die
«na» mit einem gemeinschaftlichen Namen bezeichnet unc>
Bewunderung geneuut Hat, < Sie ist eigentiich ein«
Fol«

P Home bestimm diese Begriffe 5Uf eine andere Zlrk Th. e^


S. Z5Z 5 „ Neue und seltne Gegenstände «izen uns«
Meubegierd« »or allen andern und die Befr«digung di«
« ser Leidenschaft ist die Bewegung , die wir unter dem
„ Na,nen der Verwunderung kennen. Diese Bewn
! ,, gung ist vvn Ver Bewunderung unterschieden. Das
i « Neue wirkt Verwunderung, man mag < finden, wb
« ! « «,«» will , i« Beschaffenheiten , »der Handlungen ^ bis
„ Bewunderung ist auf die handelnd« Perssn gerichtet,
, d« «was SLunderbahreS thur> „ Zch habe de« W«tt
und Wunderbaren/

Folge aus unserer Endlichkeit und zugleich , wiefern sie


angenehm ist, eine Schadloshaltung für dieselbe. Wie
bewundern nur dasjenige, was über uns ist und was
wir nicht erreichen zu können glauben und wundern uns
über Würkungen, deren Ursachen wir nicht völlig er
gründen können. Wer gesagt hat, daß ein Weiser nichts
bewundere, der hat vielleicht von einem Weisen gere,
der, der kein Mensch ist —

Bewunderung , die zugleich überrascht , heißt Ers


staunen. Wir erstaunen über eine wichtige und sons>
derbare Begebenheit, die wir nicht erwartet hätten, wie
zum Beysviel über die plötzliche Revolution einer Mo«
Äarchie und unvermuthete Umstürzung des vorigen
StaatoSustems, ein Vorfall, über den wir uns blos
wundern würden, wenn wir ihn einigermaßen vorher«
gesehen hätten. -

Das Staunen unterscheidet sich , wo ich nicht ir,


r« , von «Uen bisher beschriebenen Empfindungen. Es
entstehet aus dem Wunderbaren, wenn dieses so gros
ist, daß sich unsere Aussicht in dasselbe ins Unendliche
verlieh«, daß unsere Blicke schwinden und die Ideen
uns «uf eine Zeit verlassen , wodurch unsere Phantasie,
die vorher ganz gefüllet war, auf einmahl leer, plötzlich
wiederum voll und plötzlich wiederum leer wird. So
staunen wir über den jählingen Anbück einer unermeß»
lichen Tiefe , «der bey dem fchauervolle« Gedanken der
grünzenlose» Ewigkeit. .
So

ten eine genauere Bedeutung gegeben , «in ihre Anwen,


^ düng auf die Künsten leichter zu machen. Von derjenige»
Verwunderung , die «ine verächtlich« Bewegung ist, wen»
wir uns zum . Beyspiel, über Oie ThvrHeit«, ein« Me«
sehen wundern, ist hier ohnehin die Rede nicht.
,6o Vom Neuen, Unerwarteten

So hört ein verirrrer


Stimmen im einsamen Walde voll Nacht, wenn über
den Bergen '
vitter die Ceder den Wolken einstürzen.
Rlopstok ^

In einem solchen Zustande flieht die Seele aus dem Kör


per und läßt diesen auf eine Zeit sinnlos zurück. Erbe?
ben, Schauer, betäubend Gefühl sind die Symptomen,
' e das Staunen zu begleiten pflegen.

Indem die Ewigen sprachen,


Gieng durch die ganze Natur ein ehrfurchwolles Er«
beben.
Seelen, die jetzt wurden, die noch nicht zu denken be,
gannen, ..
Zitterten und empfanden zuerst. Ein gewaltiger
Schauer
Haßte den Seraph, ihm schlug sein Herz und um ihn
lag wartend,
wie vorm nahern Gewitter die Erde, sein schweigen«
der weltkreis.
Nur in die Seelen zukünftiger Christen kam sanft«
Entzücken » .
Und ein süsberaubend Gefühl des ewigen Lebens.
Aber sinnlos und nur zur verzweiftung alle»»: noch
empfindlich.
Sinnlos, wider GGtt was zu denken , entstüryten i«
, Abgrund
Ihren Thronen .die Geistersder Hölle.
Rlopstok. e
Sit

«i im ?ken Gesänge de« Meßias.


e im ersten Gesänge de< Meßias.
und Wunderbaren. ,6,

Die Empfindung des Stammes ist übrigens sehr transi?


torisch ; sie entstehet , zum Beyspiel , aus dem plötzlichen
Anblicke einer großen unübersehlichen Scene :
Ihr schüchternes Auge
Hatte die Oberfläche der Erde kaum staunend erbli«
cket.
Rlopstok
Ihre Würkung aber wird vermindert, sobald wir anfan«
gen, das große Objekt im Detail zu denken und endlich
verläßt sie uns gar.
Ieyo bewegt ihn das Mitleid , mit dem der geheiligte
Jüngling
Auf die frommen leidenden sah, so sehr, daß er
schnell sich
Seinem verstummten Erstaunen entriß —-

Ieyt da das verstummende Staunen


Mich verlassen hat, wollen wir diesem gränzenlosen
Meere
Einige Tropfen entschöpfen. —
Rlopstok. 5
Staunen über ein plötzliches Unglück heißt Schre,
cken.
Und die Priester hörten den Boren die Worte des
Schreckens
Sagen und standen entfärbt und blieben starr, wie
ein Fels steht,
Stehn.
Rlopstok 5
Das
/im ersten Gesänge.
F Man muö die ganze Stelle im neunten Gesang« nachlesen,
i im sechsten Gesänge
t .
162 Vom Neuen/ Unerwarteten

. Das Schrecken auf den höchsten Punkt getrieben


wird Ohnmacht.

Ich sprachs, als ich urplötzlich einen Drache»


Aus blauer Tiefe steigen sah
Mit fünfzig aufgerißnen feuerspeynden Rachen :
Ohnmächtig lag ich da.
Ramler. i
Andere Leidenschaften enstehen nach und nach und
wachsen in einem zunehmenden Fortgange an, bis sie ih,
ren höchsten Punkt erreichen. Mit den Bewegungen,
die wir beschrieben Haben, verhält es sich auf eine entge
gengesetzte Art. Sie entstehen auf cinmahl und ihr
Fortgang ist ein Anticlimaxz sie nehmen nach und nach
ab. Die Ohnmacht verschwindet in Schrecken , das
Schrecken in Staunen, das Staunen in Erstaunen,
das Erstaunen in bloße Bewunderung und diese verlieh«
sich nack) und nach auch , sobald die Ideen weniger leb,
Haft werden, oder wir Zeit gewinnen, den Gegenstand
m seine Theile zu zergliedern.

Man hak gefraget , ob die Bewegungen des Neuen,


Unerwarteten und Wunderbaren an sich schon angenehm
sind. 6 Die Befriedigung der Ncubegierde ist es alle,
mahl. Allein dieses Gefühl ist sehr transitorisch und ge
het vorüber, wenn man es kaum empfunden hat. Der
Gegenstand kan, an sich betrachtet, unangenehm scyn und
dann überwieget und verdränget das widrige Gefühl aus
der Betrachtung des ObMs sehr bald das Vergnügen
aus

z Lied der Nymphe Persnnteis.


i Hvme Th. l. S. Z95. f. f. Der SchlnS dieses Verfasser«
.«fr sehr richtig: Durch daS Neue wird ein natürlicher Trieb
befriediget. Die Stillung eines Grundtriebes giebt all«
inahl Vergnügen. Und folglich sft die Einpfmdung dtt
Ä!men allemcchi angenehm.
und Wunderbaren: 16z
aus der Stillung der Neubegierde. Wir haben dieses
kaum gefühlt, so haben wir es auch schon vergessen und
sind voll von den verdrüßlichen Empfindungen , die der
Gegenstand selbst hervorbringt. Das Vergnügen wird
daher oft durch das Miövergnügen ganz verdunkelt und
unmerklich. Oft ist der Vorwurf an sich selbst so klein
und unbeträchtlich, daß er kaum sahig ist, unsre Neube
gierde auf sich zu ziehen und in diesem Falle mus auch
das Vergnügen , was entstehet , wenn sie befriediget
wird, überaus klein feyn. Ein gleichgültiges Objekt
wird dadurch einigermaßen inlercßant und angenehm,
weil es neu ist ; ein angenehmes wird noch angenehmer
und ein nncmqenehmes, bleibt mit aller, seiner Neuheit
das was es ist ; oft wird es dadurch selbst noch unang«
nehmer, oder es erregt eine vermischte Empfindung, die
halb Vergnügen über die Neuheit , halb Mißvergnügen
über das Objekt ist.

Etwas ähnliches müssen wir von der Überraschung


behaupten. Wenn das Unerwartete neu ist, so mus eS
in so fern vergnügen , wenn seine Würknng nicht durch
andere Umstände gehindert wird. Ausserdem nimmt
das Gefühl der Ueberraschung den Charakter des Objekts
an , von dem es erregt wird und erhöht ihn in seine»
Würkungen noch mehr. Eine angenehme Begebenheit
ist doppelt angenehm , wenn wir keinen Grund hatten,
sie zu vcrmuthen und die Empfindung eines Unglücks ist
nie unangenehmer und beugender, als wenn es uns von
vhngesehr begegnet, oder die Bewegungen des Stau
nens und Schreckens hervorbringt. Uebrigens mus
noch die Hintergehung der Erwartung von dem
Unerwarteten selbst unterschieden werden, vielleicht
als eine Gattung von dem Geschlechts. Ein anders ist:
es geschieht etwas, was ich nicht vermuthet hatte; ein
anders; das was ich vermuchet hatte, geschieht nicht.
i , Nicht«
164 Vom Neuen, Unerwarteten

Nichts ist verdrüßlicher, als wenn unsere Hofnung fehl,


schlägst ; wir wissen nicht , ob wir mit uns selbst , oder
mit dem Glücke zürnen sollen ; mit diesem , weil es uns
sere Wünsche vereitelt, mit uns selbst, weil wir so einfäl,
tig gewesen sind, uns mit einer leeren Hofnung zu schmei
cheln. In diesem Falle entstehet allemahl ein unonge.'
nehmes Gefühl, welches demjenigen ähnlich ist, was
wir am Ende eines sonst gut geschriebenen Romans enu
psinden, wenn der Verfasser boßhaft genug gewesen ist,
um unsere Erwartung zu mishandeln. / Doch kan um
sere Erwartung auch auf eine angenehme Art hinterge«
gangen werdHi , wenn die Peripetie glücklicher ist , als
wir aus dess vorhergegangenen Umständen vermuthen
konten.

; , Die Bewunderung wird angenehm durch das G«


fühl der Neuheit , durch die Beschäftigung , die sie unse«
rer Phantasie giebt und durch die Bewegungen des Gros,
sen, Sonderbaren und Erhabenen, welches eigentlich
Hr Gegenstand ist. Sobald das Objekt aufhört, für
uns neu, gros oder' sonderbar zu seyn, so hört die Be,
wundcrmig ans nnd das Vergnügen, was sie uns gab,
verschwindet. Wenn nun gleich die Bewunderung an
sich ein zusammengesetztes Vergnügen hervorbringt, so
kan sie doch nach dem Interesse und Antheil, welchen
wir an dem Vorwurfe nehmen, bald in einem höher«
Grade angenehm, bald aber auch unangenehm werden.
Durch das Angenehme des Gegenstandes wird die Be,
wunderung und durch die Bewunderung das Angeneh«
me des Gegenstandes erhöhet und vergrößert. Einen
Hel,
/ Ich meine die Geschichte der Kliis p„,n/ WiIK« vom Herrn
HermeS. Die beyden HauprPersonen , die einander auf
da< stärkste lieben , werden bis an die Trauung gebracht ;
hier entdeckt sich eine Verwandschafl , die ihre Heurach um
erlaubt macht und damit ist der Nomon aus. S. die Gött.
ZK von Jahr 1766. S. z6z. »
und Wunderbaren. 165

Helden, für den wir parcheyisch sind, bewundern wir


mehr, als einen andern, der uns weniger intereßiret
und selbst durch diese Bewunderung werden wir für ihn
immer noch mehr eingenommen. Wenn das Objekt um
angenehm und zugleich für uns gefährlich ist, so wird
durch das Unangenehme des Gegenstandes gleichfalls
die Bewunderung vermehret und durch die Bewunde,
rung das Unangenehme selbst , welches wir Key dem
Schrecken wahrnehmen. Ist hingegen der Gegenstand
unangenehm , ohne gefährlich zu feyn , fo wird dadurch
insgemein die Bewunderung vermindert, wenn gleich
das Misvergnügen aus dem Gegenstande durch die Be
wunderung vermehret wird. Einen Helden , wider den
wir eingenommen sind, bewundern wir nicht gern und
«m Ende werde» wir ihn desto mehr hassen, je mehr
wir ihn vorher haben bewundern müssen.

Wir wollen aus allem diesem den Schlus mache«,


daß das Neue, Ueberraschende und Wunderbare Phä,
nomena sind, die an sich angenehme, aber transitorische
Empfindungen verursachen, übrigens aber allemahl di«
jenigen Bewegungen vermehren, welche der Gegenstand
selbst erzeuget, auf den sie gerichtet sind. Von der
Ueberraschung scheinet Home in Ansehung des ersten
Punkts das Gegentheil zu behaupten. W ,. Ich bin,
„ sagt er, geneigt, zu glauben , daß die Ueberraschung
„ keinen beständigen Charakter hat, sondern den Cha-
„ raktcr des Gegenstandes annimmt, von dem sie er?
,, zeugt wird. — — Die unerwartete Erscheinung
« eines Gegenstandes scheint nicht die Gewalt zu haben,
„ eine besondere Bewegung zu würken, die sich von der
,, ergetzcndcn, oder verdrüßlichen Bewegung unterscheid
„ den ließe , welche der Gegenstand in seiner gewöhnli,
„ cheu Erscheinung erregt. Natürlicher Weise kan sie
i z „ kei-
m Th. I. S. 4SI. '
,66 Vom Neuen, Unerwarteten

„ keine Würkung sonst haben , als diese Bewegung zu


„ stärken , indem sie dieselbe entweder ergehender , oder
„ verdrüßlicher macht, als sie gewöhnlich sind. Und
„ diese Muthmassung wird durch die Erfahrung sowohl,
„ als durch den Sprachgebrauch bestätigt, der auf die
„ Erfahrung gegründet ist. Man sagt, daß ein Mensch
„ angenehm überrascht wird, der einen Freund uner«
„ wartet antrifr , und unangenehm , wenn er unvcrmu?
„ thet einem Feinde begegnet. Es ist also offenbar,
„ daß die einzige Würkung der Ueberraschung darinnen
„ bestehe, daß sie die Bewegung vergrößert, die der
„ Gegenstand an sich erregt. „ Die Gründe, wodurch
der tord seine Meynung bestätigen will, sind selbst «vi»
der ihn und beweisen zu viel. Man sagt, daß es sowohl
angenehme , als auch unangenehme Neuigkeiten gebe
und dennoch behauptet Home , daß das Gefühl der Neu,
heit an sich allemahl angenehm sey. » Ein Gegenstand,
sagt er ferner, kan uns in einer Betrachtung ergehen
und in einer andern schrecken, o Dies ist der Fall bey
der Ueberraschung. Das Unerwartete bekommt für uns
die Tinctur der Neuheit und ist dadurch angenehm; es
kan auf einer andern Seite miangenehm seyn ; dann
vermischen sich veyde Bewegungen, oder die eine wird
durch die andere unterdrückt.

Wir wollen von diesen Untersuchungen , die der


Psycholog uns nicht hätten sollen übrig lassen , auf die
besondere Betrachtung des Reuen, Unerwarteten und
Wunderbaren fortgehen, wiesern diese Begriffe in de»
Künsten brauchbar sind.

Der Gegenstand , der für uns nen seyn soll, kan


eine Sache, oder eine Handlung seyn. Eine Handlung ist

» S. Z9«>
» S. ZA?.
, und Wunderbaren. «7

alt, die wir schon empfunden haben, oder die nichts an


sich hat, was nicht gewöhnlich wäre. So ist also neu,
nenn sie etwas sonderbares enthält, und wir sie zum er,
sknmcchl sehen , vorausgesetzt , daß wir noch keine gese
hen haben , die dieser sihr ähnlich gewesen wäre. Eine
Sache ist für uns neu , die uns , wenn wir sie empfin
den , von sich selbst eine lebhaftere Idee giebt , als wir
vorher gehabt haben.

Diese Neuheit der Sachen und Handlungen hat


ihre Grade. Den untersten Grad findet man bey Ge?
Anständen , die uns seit langer Zeit gleichgültig sind,
wenn wir durch einen ohngefähren Zufall veranlasset wer,
den , sie mit andern Augen zu betrachten. Selbst Ju-
piter, dieser große Liebhaber des Neuen und der Abwech
selung, fand bey einer gewissen Gelegenheit an seiner
Frau neue Reize , die er entweder noch nicht gekannt,
«der schon längst vergessen hatte :
Bs wundert ihn, die ungemeinen Gabens
Die seine Frau bey diesem Anlaß zeigt,
Noch nie an ihr entdeckt zu haben-
wieland.^
Vielleicht ist das die Ursache , weswegen einige Versi«
chern wollen , daß Eheleute einander nie zärtlicher lieben,
als wenn sie sich nach einem kleinen Misverständnisse
wieder vereiniget haben, in einer ruhigen Nacht nach ei?
nem stürmischen Tage.

Der folgende Grad des Neuen wird an solchen


Gegenständen angetroffen , die wir so lange nicht em
pfunden haben , daß ihre Idee iu, unserer Phantasie enr,
weder ausgelöscht , oder verdunkelt ist. Diese erhalten,
wenn wir sie wieder sehen, für uns beynahe das völlige
t4 An-

5 Komische Erzählungen ,S. 156.


,6z Vom Neuen/ Unerwarteten

Ansehen der Neuheit. Eine Stadt, die wir lange nicht


besucht haben , giebt uns neuen Reiz und ein Buch
das wir seit geraumer Zeit nicht gelesen und fast verget»
sen haben, lesen wir jetzt fast mit so vielem Vergnüge,,
als wenn es neu wäre. F

Ein Gegenstand von einer bekannten Gattung, der


etwas Sonderbares und Ungewöhnliches an sich hat,
wird dadurch neu , aber nur in einem geringer« Grade ;
es sey denn, daß er durch das Sonderbare bennahe iu
eine andere Gattung übergehet, als in welchem Falle sei'
ne Neuheit sehr gros ist. Ein Kind was mit Zähnen
und langen Haaren gebohren wird , ist ein würdiger
Gegenstand unserer Neubcgierde , noch mehr aber , eine
Misaeburt, von der man nicht weis, ob es ein Mensch
oder Thier ist und welche auf beyde Gattungen gleiche«
Anspruch zu haben scheinet. °
Ein Gegenstand, den man vorher nur au« Schil'
derungen gekannt hat , ist neu / wenn man ihn selbst
sieht, ein iöwe , zum Beyspiel, oder ein Comet. r- Oft
wird das Gefühl einer solchen Neuheit durch eine ver« !
drüßliche Bewegung unterdrücket , die entstehet , wenn
man uns den Gegenstand wunderbarer , oder vortresli«
cher abgeschildert hat , als wir ihn in der That besinden.
Wem
z Home TH. 4. S. 4»z. ., De» geringsten Grad des Neu«
,, findet man bei, Gegenständen , die man nach einein law
„ gen Zwischenräume von Zei' zum zweytenmahl flehet. „
Man kan^ diesen Grad des Neuen durch die beständize»
Abwechselungen der Moden erläutern. Eine Mode, oje
jetzt neu ist , wird in zehn Jahren alt und dann wieder ne»
seyn, wenn fle lange genug alt gewesen ist, um vergessci
zu werden.
x Home Th. I. S. 4<>5. „ Der nächste höhere Grad des
„ Neuen wird bey Gegenständen gefunden, von den«
„ man vorher einige Nachricht gehabt lM. ,,
und Wunderbaren. . 169

Wem füllt hierbey nicht Hans Nord und das Gellerti«


sche Wunderpferd ein ! Wir werden unwillig , wenn
man uns mehr versprochen hat, als man hallen tan und
fragen mit Verdrus :

InKiwi, currente rots cur vrceus exit?

Einen höhern Grad der Neuheit sinde ich , mit Home , L


an Gegenständen , die nur einige entfernte Ähnlichkeit
mit einer bekannten Gattung haben. „ Eine starke
Ähnlichkeit zwischen einzelnen Gegenständen von einer-
lcy Gattung vernichtet die Würkung des Neuen fast
gänzlich; wo nicht die Entfernung des Ortes, oder an!»
dere Umstände hinzukommen. Aber wo die Ähnlichkeit
schwach ist, da fühlen wir einige Verwunderung; und
die Bewegung steigt in gleichen Verhältniste mit der
Schwachheit der Ähnlichkeit. „
Ein Gegenstand , den wir vorher nur dem Namen
nach gekannt haben , ohne in unferer Phantasie auch nur
einige Züge von feinem Bilde gehabt zu haben, ist, wenn
wir ihn fehen , in einem fhr hohen Grade neu und er
regt ein desto stärkeres Vergnügen, je begieriger wir wa-
ren, ihn kennen zu lernen.
Noch größer ist die Neuheit einer Sache, von der
wir vorher gar nichts gewust haben , nicht einmahl den
Namen , einer ganz neuen Gattung , die gar keine Ahn,
lichkeit mit bekannten Dingen hat. Tiefen Grad der
Neuheit müssen die Polypen bey ihrer ersten Entdeckung
gehabt haben, die, wenn man sie mitThiercn vergleicht,
Gewächse und mit Gewächfen verglichen, Thiers fchej,
nen und eben dadurch weder diesen, noch jenen ähn»
lich sind.
i 5 Bey
, Th. I. S. 4°5>
Vom Neuen, Unerwarteten
,7«
Bey Dingen, die wir bisher für völlig unmöglich
gehalten haben, vereinigt sich, wenn wir sie würklich
erblicken , das Gefühl der Neuheit mit der Ueberraschung
«nd beyde zufammen genommen würken die stärkste Be
wegung , die irgend ein neues Objekt erregen kan. Der«
gleichen Empfindungen würde ein Schiff zur Reise in
den Mond , die Quadratur des Cirkels und das Perpe
tuum Mobile hervorbringen / wenn diefe Dinge köntc«
erfunden werden.

Ein neuer Gedanke ist ein solcher, der noch nicht


ist gebraucht worden, oder eine Verbindung von Ideen,
die vorher noch nicht bekannt war. Er kan neu fcyn
durch die Neuheit feines Objekts , zum Beyfpiel , eines
Teufels , der , wie Abbadona noch als Teufel edel denk
und feinen Abfall bereuet :
— Lr dachte der Zukunft
Und dem vergangnen voll Seelenangst nach. —

Jammernd und in sich gehüllt denkt er an diese Ge«


schichte
Seiner einst heiligen Jugend und an den lieblich«
Morgen
Semer Schöpfung zurück, u. s. w.
Rlopstok. ,
Oder durch Entdeckung neuer Seiten und Verhältnisse
all bekannten Objekten, wie wenn Jupiter, dieser große
Ehebrecher, selbst ein Hahnreh wird:
Da«
r Man lese die ganze Episode und insbesondere die Rede de<
Abbadona im zweeten Gesänge des Mexias. Was werden
diejenigen Herren sagen, die gewohnt sind, die Orthodox«
der Gedichte nach dem Quenstedt zu messen , wenn sie >»
«mein von denen noch imgedrnekten Gesängen der Mcßiade
lesen werden, daß Abbadona bestimmt ist, Theil an der
Erlösung zu nehmen im« «m Tsge des Gerichts wieder W
gnädiger zu werden ?
und Wunderbaren.' . .., 171

Das Ding kommt Iupitern nicht gar zu richtig vor;


Ihm jückts am vorderHaupt, ihm singt das rechts
Ohr
Und kurz es steigt ein kleiner Zweifel
Aus seiner linken Brust an seine Stirn empor,
t iLr macht sich klein, wie Miltons kleinsten Teufel,
Schlüpft in den Saal und sieht in stiller Ruh,
wie einem weisen ziemt, dem schönen Luftspiel zu.
Wieland «
Oder durch neue Wendungen , neue Verknüpfungen der
Gedanken , Vergleichungen und neue Verbindungen al
ter Gegenstände :
Sie haßt ihn anfangs nur aus Surcht, sie möcht ihiz
lieben.
Wieland »
Die Göttin nickt ein lächelndes verbot
Und wird dabey bis an den Busen roth.
Eben derselbe »
iLr n?«gtS von Grad zu Grad bis ihm vor lauteU
wagen
Nichts mehr zu wagen übrig blieb.
Eben derselbe

l8 s vin?e6 mellenFer Lroni besven


I^nt« tke vkite uptumeä vonclririA ez^e
O5 m«rtsl8, tkat 5a!> bsclc to Fg?e on Kim,
V^Ken Ke KeKri6e8 tke Is^-pacinA clou68,
iäils upon Me bot"«m «f tke sir.
M«^?es^
Ober
» Komisch? Erzählungen S. 156.
V S. 140.
» S. 151.
S. k«c>.
^ S. de» Hsme Th. I« S. 406.
,72 Vom Neuen, Unerwarteten

Oder endlich durch ungewöhnliche Ausdrücke, die dem


ganzen Gedanken ein neues Ansehen geben:

Doch Düfte voil Ambrosia,


Die ihm mit süsser« Schwall, als von den Zimmer-
Hügeln
An Ceylans Strand entgegen wehn,
Ermuntern ihn zuleye die Augen aufzuriegeln.
Meland. «

Es kan ein Gedanke für den einen ieser neu seyn,


der für einen andern alt ist. Wenn eö wahr wäre , daß
nichts gesagt wird , was nicht schon ist gesagt worden,
so würde kein Gedanke anders, als nur in Beziehung
auf gewisse ieser neu feyn. Allein die Quelle der Em«
psindung ist unerschöpflich , ihre Bilder unzählig und die
möglichen Verbindungen der Ideen unendlich. Neue
Gedanken können freylich nur von einem Genie hervor,
gebracht werden, was die Gabe hat, die Dinge von
«euen Seiten zu betrachten und da zu fehen, wo andere
ölind waren ; das ist von einem DrigmalGenie. Für
einen Künstler von dieser Art ist kein Objekt erschöpft ;
er hat nicht nöthig mit Hermann Axeln im Svidas auf
die FabelJagd zu gehen ; sein eigen Genie bietet ihm ei,
ven unermeßlichen Vorrath zur Bearbeitung an , Quel-
len, die seine Vorfahren ungenutzt, und Felder, die sie
unbebaut gelassen haben.

^Bey der Neuheit der künstlichen Werke unterscheid


de ma» die Neuheit des Produkts in feiner Art und des
Produkt«, als Individuum. Die Jliae war neu in ih-
rcr Art , die Aeneide nur als Individuum. Die Ge'
schichte des- DvnQvichstte Iiar dnrchgehcnds neu; Don
SiMs von Rosalva ist es nur als Jndividutun. Ein,
Pro.
2 S. 17z.
und Wunderbaren.' 17z
Produkt ist also neu in ftiner Art, wenn es das erste
in eitler Gattung ist, die man bishero noch nicht gekannt«
hat; es ist neu als Individuum, wenn m demselben,
die Idee einer bekannten Gattung auf eine neue Art be,
handelt wird. Nur dergleichen Werke und vorzüglich
die von der ersten Classe, verdienen Originale genennt zu
werden. Ich schließe hierdurch alle sklavische Nachah,
mer, alle ZulimaSänger und ätherische GedankenJägee
von dein Ansprüche auf die Neuheit ihrer Werke aus.
Sie vervielfältigen allenfalls ein einziges Original und
geben es uns mehrmahlen in schlechten Copien wieder.
O Imitator« leruum pecus ! »
Ein Gedanke ist unerwartet, der ohne anschei,
nende Vorbereitung so gedacht wird , baß ihn das vor
hergehende nicht herbeyzuführen scheint ; eine vorzügliche
Eigenschaft des Naiven und der Pointe im Sinnge
dicht.
Ich schwör es, Lauren dich zu hassen!
Den Haß schwör ich dir zu!
Ich schwör es,, jedes Rind zu hassen;
Denn jedes ist wie du.
Ich schwör es dir vor Amors Ohren,
Daß ich - ach! daß ich falsch geschworen.
Leßing. «
Ein Gedanke ist desto unerwarteter, je mehr wir
«us dem vorhergehenden sein Gegentheil vermuchen sol,
ten.
Mit Lhren, wein, von dir bemeistert.
Und deinem flüßgen Feur begeistert.
Stimm ich zum Danke , wenn ich ran,
Ein dir geheiligt Loblied an.
Doch
« Schriften Th> I. S. <?.
574 Vow Neue«/ Unerwarteten

Doch wie ? In was für kühnen Weisen


Werdich, o Göttertrank , dich preisen? 5
Dein Ruhm, hör ihm summarisch an,
Ist, daß ich ihn Nicht singen kan.
Leßing ö
Zuweilen liegt das Unerwartete nur in der Wew
bung des Gedankens, nicht in der Sache selbst.
Mit richtrisch scharfem Viel durchackert seine Lieder
Gargil. Ins neunte Jahr schreibt, löscht und schreibt
er wieder.
'Sein Lied ist Lieb und Wein. Ran man es ihm ver<
denken.
Das er der Nachwelt will vollkomne Possen schenke«?
Leßing. c
Zuweilen aber wirb der Gedanke dadurch unerwartet,
«eil die Handlung, die er uns beschreib^ selbst uner
wartet ist :
Mein Held gehorcht und findet, wie Rosette
Ihm vorgesagt, Frau Procris auf dem Bette
Im süßen Schlaf — doch, Götter! welch Gesicht?

-was siehst du Cephalus , o schreckliches Gesichd!


Sin Iü'kgling rühr ^n ihrem Busen.
Wieland ^
Diese letzte Gattung des Unerwarteten ist oft eben so am
genehm in der Schilderung, als unangenehm in der Sa
che selbst?
Diese Nacht vergieng
Schon halb, als Seiadv« sich bebend «merfteng,
De»
5 Th. I. S. ZI,
c Th. I. S. 190.
6 Komische Erzählungen S. 25,.
. und Wunderbaren.' 175
. ' —.—^ —,—^— ,
Den ersten Rus auf ihren Mund zu wagen.
Und welch ein Rus ! indem sie sich bemüht.
Ihm zu entflicht, und ihm doch nicht entfliehe,
wie blinkt ihr Aug^ — — —
Ihr Götter ! Seladon ! was kan
Solch eine Wollust — wie?? du fuhrst ergrimmt zu>
rücket
wie glücklich , ruft er , war in diesem Augenblicke ^
SZin jeder andrer , als dein Mann !
Wieland e
Eine besondere Art des Unvermucheten ist die Hin
tergehung unserer Erwartung wenn das nicht erfolgt,
was wir vermuthet hatten. Diese giebt in Handlungen
oft ein unangenehmes Gefühl, in einzelnen Gedanken
aber ein vorrrefliches epigrammatisches Salz:
Mit ihrem Hund und bloßen Brüsten,
Sah Lotte frech herab,
wie mancher lies sich nicht gelüsten.
Daß er ihr Blicke gab!
Ich kam Gedankenvoll gegangen
Und sähe steif heran.
Der, denkt sie, der ist auch gefangen
Und lacht mich schalkhaft an.
Allein, gesagt zur guten Stunde,
Die Iungfer irrr sich hier.
Ich sah nach ihrem bunten Hunde,
Er ist ein artig Thier.
Leßing s
Em Gedanke ist wunderbar, wenn er gros,
sonderbar und neu ist. Er kau wunderbar seyn durch
seinen

/ S. vorher S.
5 Th. I. S., 4<.
176 Vom Neuen, Unerwarteten

seinen Gegenstand , oder durch sich selbst und durch die


Kühnheit, die der Künstler besitzen muste, um ihn zu
schaffen. Ein Körper wird wunderbar durch Höhe,
Tiefe und Ausdehnung:
Mitten in der Versammlung der Sonnen erhebt sich
der Himmel,
Rund, unermeßlich, das Urbild der Welten , die Lulle
Jeder sichtbaren Schönheit, die sich, gleich flüchtigen
Bachen ,
Ringsum durch den unendlichen Raum nachahmend
ergiesser.
Rlopstok ö
Eine Person wird wunderbar durch Unendlichkeit :
Aber Iehovah saß hoch und voll Ernst auf dem ewi»
gem Throne.
Neben ihm stand Eloa und sprach : wie ist jeyg
> dein Anrlirz,
Ewiger, so furchtbar ! wie glänzet aus deinen Auge
Lauter Gericht ! Wie reden so laut die Donner her«
unter !
Die Myriade sprach jezt ! Gleich spricht die andre !
Nun hör ich
Schon das Rauschen der dritten von fern ! dort wan
delten Sterne :
Gott, kaum sahst du herab , da waren die Sterne
geflohen u- s. w>
Rlopstok «
Als er über dir gieng , als sein erhabneres Antliy
wandelnde Himmel umflossen, als seine göttlicheRechte
Sonnen hielt und wog und Morgensterne die Linke.
tLben derselbe, i
Durch
i im ersten Gesänge,
i im fünften Gefonge.
K im fünften Besänge. .
Knd Wunderbaren. 177

Durch Größe/ die beynahe Unendlichkeit ist:


, vor allen>
Die Gott schuf, ist er gros, der Nächste dem Uner«
' . schafnen.
Rlopstok /
Oder überhaupt Mrch Größe, die wir nicht ekreicheü
können: .
Damahls, ja, damahts erschuf er euch, Seraphim, Teö
sterge^schöpfe.
Voll von Gedanken, voll machtiger Rrafte, desSchö«
' - pfers Gsdnnken,
Die et? in euch vöii ihm selber erschafft > anbetend zu
fassen.
Rlopstok »,
Handlungen Werden WUnderba« durch ihre Ursachen und
Folgen und vornehmlich durch den Einflus überuacürli,
chec Kräfte Z
Die Wetteti, sprach UriiK>
Aller' ^Lngel gekrönte Tharen, die Freuden der Enget
Sind uns zahlbar; allein die Folgen der großen Et"
lösung,
Gottes CrbarmUNgeit Nicht. „,. ^
Rlöpsrok »
Maschine« sind kunstlich«! Vorstellungen von deü
Einwürkung übernatürlicher Ursachen in eine natürliche
Reihe vou Handlungen, Diese, wenn sie in kleine un>
intereßante Begebenheiten eingcflochtett werden, geben
diesen eine wunderbare Gestalt , die mit ihrer Klein!«/
keit auf eine lustige Art tonlrasriret und eben dadurch
das
/im ersten Gesang
<» im ersten Gesänge.
» im ersten Gesänge.
i?8 Vom Neuen / Unerwarteten

das Lächerliche vermehret. Ich werde an einem andern


Orte Gelegenheit finden, meine Meynung von den Ma,
schincn zu sagen. Wer etwas ausführlicheres verlanget,
der lese die Abhandlung des Herrn Schlegel vom Wun-
derbaren, o oder das, was Bodmer über diese Materie
geschrieben Hat.. , .. .
Nicht alle schöne Künste vermögen das Unerwattc«
t« und Wunderbare nachzuahmen, oder vermögen es
wenigstens nicht in gleichem Grade. Das Unerwartete
gehört nur für diejenigen Künste, deren Nachahmung
fortschreitend ist. . Eine Bildsäule tan mich überraschen,
wenn ich sie unvermmhet sehe; aber diese Würkung hat
te gewis der Künstler nicht hineingeleget ; die Statue
verhalt sich blos leidend und die Ueberraschung ist nicht
«ine Folge der Kunst , sondern des unvermucheken An«
blicks. Hier .findet der Dichter eine taufbahn, auf wcl,
cher er den bildenden Künstler unendlich überhohlcn kau ;
oder vielmehr eine taufbahn, die dieser gar nicht bette,
ten soll.
. Ich habe wohl nicht nöthig, mich in einer weit-
läusigen Untersuchung über die Fehler zu verbreiten , die
man in diesem Punkte begehen kan. Der Fehler öder
Köpft ist, nichts zu sagen, was nicht schon gesagt ist, zu
schildern , wie man längst geschildert und zu denken , was
lnan längst gedacht hat. Was ihre Vorgänger gesehen
haben, das sehen diese teute auch, die GlücksSonne,
die TodesNacht, Rosen auf den tippen, tilim auf den
Wangen und Brüsten — und weiter nichts. /? Der Feh?
ler des Genies ist, nichts zu denken, was schon gedacht ist,
-pas-
o in seinem Batteux S. 4Z I« s» s'
L Je r>e trouve jslnsi« Ie<?Ksnt cic« o//e«»,v, h»e ne nrepr«»
psre su bruit lies 7«,A!?a«5,' ies />e?^e^e, l«nt toujour« cou»
ckee« s»r clos/ö«?^«/ et on voit moins ies ^occ«F^ tsn,
I«! «m/»'«/^ ^äi» uo» v««i^u'<tti ver«l»ble iieu ou i/, i«„t
8k.
und Wunderbaren. 179
passende Ausdrücke, treffende Bilder blos darum zu ver,
schmähen, weil sie alt sind, überall nach neuen, oft un
gewöhnlichen, oft gezwungenen Wendungen zu gauckeln
und den Produkten der Kunst oft Neuheit auf Unkosten
der Schönheit und Wahrheit zu geben. Man wird bey«
de vermeiden, wenn mau sich hütet, nach Regeln ohne
Genie und mit Genie ohne Geschmack zu arbeiten , wen»
man überall der Natur als einer gctruen Führerin folgek,
so lange sie uns begleitet und bcy jedem Schritte an sich
selbst die Heilfamen Fragen thut : Was würde Homer
hier gedacht haben? Wie würde Klopstok diesen Vorwurf
behandelt haben? Welch eine Wendung hätte wohl Ana-
kreon genommen ? Man dünke sich selbst ein Homer,
Klopstok, oder Anakreon zu seyn und lasse fein eigen
Genie antworten,

8t. Kvremmicl. Lettre »» UsrecKsI lls tlrequ/. Man lest


«uch die Schrift des Chorherrn Breiiinger von Gleichnisse»
S. 277. f. f. Ich finde bey diesem Verfasser, der jetzt auS
der Mode zu kommen scheine, viele gedachte und brauchbar
re Bemerkungen , wenn ich mich gleich nicht überwinde»
ran , mit ihm den Homer für einen Polyhistor und Kenner
der Geheimnisse aller Künste , Handwerker , Lebensart«»
und Wissenschaften zu halten. S. s. 2«2. Seine Gleicht
nisse müssen freylich alle neu seyn , da wir keine Vorgänger
wissen, von denen er sle hat!« entlehnen können. Die
Gleichnisse des Herrn Klopstok sind es nicht weniger und es
solte mir leicht seyn, zu zeigen, daß der deutsche Homer,
weil mo» ihn doch eimnahl so nennet , ein größerer Polyhi«
' stör sey , als der Griechische. Sollen unsere Dichter i>«L
Glück haben , von der Nachwelt mit eben den Auge« , mit
welchen wir auf die griechischen Poeten zurücksehe», der>
einst betrachtet, und »ach eben der Hermenrvlit ausgeleget,
zu werden; so würde gewis der Srmste unter ihnen uech
Polyhistor genug seyn, um alle prosaische Polyhistors z«
übertreffen, die man nur nach dem beurcheilt, was sie
würklich sagen , nicht was sie zu sagen scheinen.

i
XII.

Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit und


Erdichtung.

H Unter allen denen Bänden und Bändgcn in Quart,


öS Octav und TaschenFormat , mit welchen uns
die deutschen Dichter von einer Messe zur an,
dern freygebig versorgen, sind die Oden des Herrn
Ramlers diejenigen, die ich, fast allein , lese , mehr ver
schlinge als lese und, wenn ich mich rühmen darf, den,
nahe so studire, wie der Künstler seine Antiken, Winkel-
mann seinen taokoon, Moses die Natur und teßing Key«
de studirt. Unterdessen giebt c6 hypochondrische Stun»
den, in welchen wir auch da Flecken zu sehen glauben,
wo wir sonst nichts als Schönheit erblicket hatten. Viel»
Kicht ist folgende Bemerkung in einer solchen kalken
Stunde entstanden, wo man nur ließt, um zu tadeln;
Nicht , um zu lernen , oder zu empfinden.

Die Vermischung des alten GötterSystems mit


Begebenheiten aus der heutigen Welt ist dasjenige, was
zuweilcn , aber auch nur zuweilen , die Schönbcit der
Ramlerischen Oden in meiner Idee verringert. Ich kan
mir nicht einbilden , daß Jupiter selbst mit Friedrichs
Volke gestritten ; « daß Merkur mit seinem CaduceuS
die Kugel von bell Schläfen des Dichters abgewendet
Habe ; ^ oder daß es diesem ein Ernst sey , wenn er
fmgt :
willst
« Ode an die Stadt Berlin :
Srrirr Jupiter nicht selbst mit LriedrichS Volke
Und donnerte den Feind zurück ?
5 Ode an rm Geschütz:
Allein
und Erdichtung. !gi

Willst du den allerhöchsten Zevs erhöhe«/


Der sein allmachtig Haupt bewegt,
Nnd den Olymp erschüttert ? Oder Athenern
In diesem . Haupt gepflegt ? e
Meine Phantasie findet Nahrung in diesen Bildern ;
aber^sie findet auch verschiedenes, was sie nicht leicht zu,
sammen gruppiren, nicht leicht in einem Punkte vereini
gen tan. Jupiter kan in unftrn weniger mythologischen
Zeiten nur von ferne betrachtet werden ; sobald er sich in
Begebenheiten mischen will, die im achzehnten Jahrhun
derte vorgehen , so wird er so unerträglich , wie ein
Mensch , der sich in Gesellschaften eindringet , wo er
nicht hingehöret. Voltaire bemerkt, </ daß die Nähe
der Zeiten , die notorische Geschichte , der Charakter ei
nes aufgeklärten Jahrhunderts , mit der Gründlichkeit
des Gegenstandes vereinigt, dem Poeten alle Freyheit,
Fabel in die G^fchichte zu mischen, entziehen. Jupiter
nnd Friedrich sind allzuweit 'von einander entfernt, als
daß der eine dem andern helfen solle und vielleicht ist der
letztere zu gros , um von dem erster« unterstützt zu wer
den. Der Dichter k<m zuweilen seinen Catechismus der
Poesie aufopfern, wenn er sich in die Zeiten «erfetzt, wo
M z Jupi.
Allein Merkur stand neben mir und wandte
Durch feinen wunderbaren Ärab
Den Ball . der mich ins Reich der Nacht zu schleu
dern brannte,
von meinen Schlafen ab.
e Ode an die Muse.
<i Llss« lur le poenie epi<zui. Oeuvres ^e Vult«re , Z Drei»
^e. I'oin. I. p. 275. Er spricht v»m Lucan : l.» proximi»
te tlu tem« > I» n«t«riete publique <le I» glierre civils , lo
liecle öel.,ire, politique et pe» superttilieux «ü vivaient l^e»
s« et liueain , l, loliilics cts Ion siijet , «c,ie„t ü lo-, genis
toute liberte ä'invenki«» tsbuleule. S. die Grundsätze
der Crttik des Herrn Home Th. III. S. 29z.
Z82. Wahrheit / Wahrscheinlichkeit.

Jupiter Mode war , ein Gott, der mehr Autorität , aber


nicht mehr Wahrscheinlichkeit , als die Fee Fanferlüsche,
hat. Wenn er aber seinen Zevs in Begebenheiten ein«
fließen läßt, die wir selbst erlebet haben, so ist das ein
Fehler , den ich Anachronismus nennen will , weil ich
keinen höflicher« Namen finde — ein Fehler/ der nur
dey Ramlern zu einer Schönheit wird.

Ich schließe ans dieser Beobachtung , daß die an,


genehme, aber transitorische Empfindung des Wunder,
baren und Großen nur dann bey der mehrmahligen
Vorstellung des Objekts wiederhohlt wird, wenn sieb kei«
»e Ungereimtheit, kein Widerspruch in der Mischung
befindet; daß das Unwahrscheinliche die Würkungen der
Schönheit vermindert und, mit einem Worte, daß die
Wahrheit eine Grundeigenschaft schöner Produkte ist.

Ich rede hier nicht von derjenigen Wahrheit , de,


ren Bild der ägyptische Enpnester und Richter am
Halse trug, s die für den Verstand gehöret und mit
welcher sich der Philosoph beschäftiget , oder beschästigen
solte. Sinnliche Möglichkeit, Natur und Ucbcreinstimk
mung in dem Manmchfaltigen ist hier Wahrheit. Oder
die Wahrheit in. den schonen Künsten und Wissenschaf,
ten bestehet in einer so vollkommenen sinnlichen Überein
stimmung unter den Theilen einer künstlichen Borstel-'
ltmg , vermöge deren wir das Ganze , entweder auf ein«
mahl, oder nacheinander, sinnlich und anschancnd ohne
Ungereimtheit, in unserer Phantasie eben so nachbilden
können, wie der Artist es uns vorgebildet hat. Dies
ist das, was Herr «Schlegel/ die idealische Wahrheit
»enner und zn welcher er nichts weiter erfordert , als
> daß der Bezriff eimstheils mit sich selbst wohl über»
„ «in"
e äeüsn« Z» vsr. KN. I.iK. XIV. csp. Z4.
/ m seinem Bütteu/ S. 557.
und Erdichtung ?«5

,^ einkommen , anderntheils mit denenjenigcn Begriffen/


„ mit welchen er in Verbindung gesetzt worden, nich;
offenbar streite. „ Wir bekümmern uns wenig darum,
ob das, wovon die Rede ist, würklich geschehen seu ;
ist nur die Frage, ob es so habe geschehen können, wie
uns der Artist durch seine Vorstellung bereden will.
Die Nothwendigkeit dieser Wahrheit in den Wers
ken der Kunst ist eine unmittelbare Folge aus dem Wohl-
gefallen und aus der Illusion , oder idealen Gegenwart,^
hie dergleichen Produkte hervorbringen sollen,. Alles,
was vergnügen, täuschen und rühren soll, mus können
inj einer Phantasie als gegenwärtig und anschauend
dacht werden ; H wir müssen es uns vorstellen können,
als wenn es würklich geschehen wäre und in dieser Er
dichtung eben das empfinden , was wir bey der Sache
selbst würden empfunden haben. Sobald sich in dieses
Bild die Vorstellung einer Begebenheit mischet, die enti
weder offenbar unmöglich und ungereimt , oder mit dem
Ganzen nicht sinnlich zu vereinigen ist ; so verschwindet die
mentale Gegenwart und mit ihr Rührung und Illusion,
und nichts bleibet zurück, als das unangenehme Gefühl
aus der miölungenen Würkung der Kunst.

Erdichtete Dinge , wenn sie vollkommen sinnlich


vorgestellt werden, täuschen so gut, als Begebenheiten,
die würklich geschehen sind und im Gegcntheile werden
wir durch einen würklichen Vorfall, dessen sinnliche
Möglichkeit wir auf keine Weise gedenken können, lue
getauschet , und durch einen andern , an welchem wir ke»
nen Anthcil nehmen , nie gerührt werden. Das ideale
Daseyn mus also von dem würklichen , die Wahrheit in
den Produkten der Kunst von der Wahrheit der Sachen
«n sich wohl unterschieden werden. Dies« selbst tan in
M 4 den.
5 Home Th. l. S. i2z>f. f. ^
5 Du L«, Th. I. Cap. 28.,
«4 Wahrheit, Wahrscheinlichkeit.

den Künsten nur durch das Mittel der idealen Gegen


wart unsere Leidenschaften erregen und in Absicht auf die«
se Würkung stehet, Fabel und Geschichte jn gleichem
Range, j

Die Grade der Wahrheit in den Künsten sind


Möglichkeit , Wahrscheinlichkeit und Nothwendigkeit.
Das Mögliche bedarf keiner Voraussetzung , es erfor
dert nur eine solche Verbindung der Theile , in welcher
keiner dem andern sinnlich widerspricht. N)ahxschein«
lich ist , was unter gewissen Bedingungen vermuthlich
geschieht, was nicht nur an sich, sondern auch unter vor
ausgesetzten Umständen seyn kan, durch welche es veran
lasset und vorbereitet wird. ^othwendig ist , !v«S
lmch gewissm Voraussetzungen erfolgen und so erfolgen
mus, wie es uns vorgestellt wird. Daß Achill und
Agamemnon sich veruneinigen , ist möglich ; daß dieser
jenem seine Gefangene entführen läßt , ist nach der Er
zählung Homers wahrscheinlich und daß AM über die,
ses Attentat in den heftigsten Zorn geräch / ist nothweu,
d«g. In einem vollkommenen Drama ist der Anfang
Möglich , das Mittel oder die Fortführung der Begehen,
heit wenigstens wahrscheinlich und hg? Ende, odex hje,
Catostrophe nothwendiH,
Ein«

z Home Zh, I, S, 1Z4. „ Wir wollen , sagt er, die Zusam,


„ menkunft dfs Hectkrs und der Andromache, oder ein,
„ pathechjsch, Scene aus Hein König ?car betrachten,
„ Piess S<l)ilder«ngen des inenschlichen Lebens gebe«
,, uns,, wen« wir hinlänglich eingenviturien sind , einen
nick)t weniger deutlichen Eindruck von etwas Würklu
„ chen , qls hjtz schöne Beschreibung vom Tpdi des Oth»
jiff Zqcitus, Mir denken niemqhls daran , ob die G«
„ schichte wahr« vd^r erdichLst ist« >as Nachdenken kommt
^ erst nachher , ,pzgg wjr ^ik Gce«? nicht, «ehr y»r unser«
und Erdichtung.

Einige haben bemerken wollen , daß die Wahr,


scheinlichkeit die Werke der Kunst erniedriget , wenn sie
allzugroö ist, nichts sonderbares an sich hat und nahe an
dasjenige gränzet, was wir täglich sehen, wie zum Ben«
spiel, wenn wir hören, daß ein alter Mann gestorben
ist, oder ein paar junge tente einander zärtlich lieben.
Je wahrscheinlicher, spricht man, die Sache ist, desto
gewöhnlicher ist sie, desto weniger ist sie zu bewundern,
desto geringer wird ihre Würkung und unsere Aufmerk»
samkeit. Auf der einen Seite , sagt der Abt Dubos , 6
„ werden die Menschen von Begebenheiten , welche über
„ die Wahrscheinlichkeit hinausgehen , weil sie allzuwun-
„ derbar sind , nicht gerührt. Auf der andern Seite er,
„ hallen diejenigen Begebenheiten , welche fo wahr-
„ scheinlich sind, daß sie aufhören wunderbar zu seyn,
„ keine Aufmerksamkeit. Mit den SentimenS ist es
„ eben so, wie mit den Begebenheiten. Diejenigen, so
„ nicht entweder durch ihren Ädel, oder durch ihre
„ Übereinstimmung mit den Umständen , oder durch die
„ feine Bestimmung des Gedankens , oder durch die
„ Richtigkeit des Ausdrucks einen Schein des Wunder«
„ baren erhalten , haben ein plattes Ansehen. Jevers
„ mann würde , sagt man , eben so gedacht haben. „

Fast sötte ich glauben, daß in dieser Bemerkung


Dinge mit einander sind verwirret worden , die ganz ver
schieden sind, ich meine, die Wahrscheinlichkeit in den
Künsten mit dem , was wir im gemeinen icben wahr und
wahrscheinlich nennen. Jene kan wohl nie zu hoch ge«
trieben werden und Verträgt sich auch mit dem Wunder,
baren vollkommen. Diese aber ist nicht immer die
Richtschnur, nach welcher man jene beurtheilen mus.
Was im gemeinen teben wahrscheinlich ist , das ist des
wegen uichr schön ; und was in den Künsten wahrschein-
M 5 ltch
K Th. I, Cap, l«.
,86 Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

lich ist, das ist es deswegen nicht im gemeinen teben.


Wie fein hat nicht Homer, der iord Kaym / mag ihn
noch so sehr tadeln, den Himmel aufgeboten und, die
Sötter selbst in feine Fabel verwickelt; wie weife die In:
krigven der Juno, die Gerechtigkeit des Jupiters, die
Tist des Apollo , die tolle Wuth des Kriege Gottes zu,
sämmen würken und in feine Handlung einfließen lassen I
Michtö ist uns wahrscheinlicher, als feine Jlia de , wenn
Zvir sie lefenZund nichts unwahrscheinlicher, als eben die
selbe, sobald sie mit den gemeinen Ideen verglichen wird.
Vollkommen sinnliche Zusammensetzung wunderbarer
Handlungen in eine Reihe, die in der Natur allen Glau:
Ken übersteiget , ist in den Werken der Kunst wahrschein
lich und desto wahrscheinlicher , je sinnlicher die Verknü,
xfung ist und je mehr die Folgen mit ihren Bedingungen
«nd Voraussetzungen übereinstimmen.

Der

? Th. III. S. 2y«. f. f. ^, ES lst wahr, Homer bringt Göt<


„ ter in seine Fabel ; aber die Religion seines Vaterlandes
rechtfertigte diese Freiheit, da es ein GlaubensArtickcl
„ bey den Griechen war , daß die Götter sich oft sichtbar
und körperlich in die Geschäfte der Menschen mengen.
„ Gleichwohl muß man bemerken , daß Homers Götter sei«
« nen Gedichten keine Ehre machen. Erdichtungen, web
„ che die Gränzen der Natur überschreiten , thun selten ei<
„ ne gute Würkung ; sie können die Einbildungskraft einen
„ Augenblick entflammen , aber sie können keinem Leser von
„ richtigen Geschmacke gefallen. Ich darf noch hinzu!«
„ tzen, daß, so nützlich dergleichen Erdichtungen einem miv
„ telmäßigen Genie seyn mögen , ein großer Poet dennoch
„ weit schönere Materialien in dem reichen Varrathe der
Natur finden wird, sein Subjekt zu erheben und int«
„ reßant zu machen. „ ttnd ich darf hinzusetzen , daß,
wenn die Bemerkung des Verfassers gegründet ist, in«»
wohl fragen möchte r Wo sind die Leser von richtigem Gtt
schmacke ? Und wo sind die Poeten, deren. Erdichtungen
ihre» Werken Ehre machen ?
und Erdichtung.

Der Artist mag bearbeiten, was er will, Körper


und Sachen , Charaktere und Gesinnungen , Handlungen
und Begebenheiten , so soll überall in seinen Gegenständ
den, Nachahmungen, Gedanken und Ausdrücken Wahr«
heil seyn.
Die Wahrheit in Cörpern und Sachen ist
vornehmlich eine Pflicht des bildenden Künstlers und
wird durch die Regel der Coexistenz bestimmt. Gegen,
stände und Theile, die ihrer Natur, oder unserer Mei,
nung nach nicht zusammen cxistiren können , dürfen nicht
in einem Bilde vereiniget werden. Wer hat je gesehen^
daß ein Mcerwunder im Walde wohnet , oder ein wil-
des vicrfüßiaes Thier im Wasser lebet ? Wir lachen
über den Mahlec, welcher
OelpKlnum Kluis appmßir, iZuÄibus sprum.
Und finden in seinem Gemählde das Original zu einen?
gewissen Gedichte, wo der Gott,
Der sich zum Thron ,
Das Hochzeit Bett erkohren , «
durch eine lustige Verwandlung ein Postknecht wird.
Ja Hymen selbst kommt nicht von ungefähr,
Mit seiner Fackel in der Hand,
Erfreut vorangegangen ;
Und hat durch ein gesticktes Band
Das Posthorn um die Schultern hangen.
Gottsched. »
Unter
» NanUer in seiner Ode an Hymen.
» S. den Liebhaber der schönen Wissenschaften Th. I. S. Z4).
Der Recensent , welcher vermuthlich Herr Naumann ist,
macht Anmerkungen zu dieser Stelle, von denen man nicht
wei<, ob sie den Dichter, wenn anders Gottsched ein Dich-
ter war , ober den Necenseitten lächerlich machen sollen. Di«
ser ftagt : „ Wie reim« sich die Fackel Hymens zu dem
M Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit

Unter dieses Capitel gehört ausser der eigentliche»


mechanischen Wahrheit in den bildenden Künsten auch
dasjenige , was die Jtaliäner Costume nennen. „ Jene
„ bestehet darinnen , daß man nichts vorstellt , was nach
den Regeln der Statik, nach den Gesetzen der Bewes
„ gung und nach den Grundsätzen der Optik unmöglich
„ wäre. Man beobachtet sie also , wenn man ein iicht
„ keine andere Würkung thun läßt, als die, so es in der
„ Natur thun würde ; wenn man , zum Beyspiel , nicht
„ Körper von ihm erleuchten läßt, auf die es wegen an,
„ derer darzwischen stehenden Körper nicht fallen kan.
„ Man beobachtet sie, wenn man sich von der natürli?
chen Würkung der Körper niemahls merklich entfernt;
,, wenn man ihnen niemahls mehr Stärke benlegt, als
„ sie wahrscheinlicher Weise haben können. Ein Mah?
„ ler würde wider diese Gesetze fehlen , wenn er von ei,
nem Menschen , welcher nach der ihm gegebenen Sick
,, lung nur die Hälfte semer Kräfte gebrauchen könte,
„ eine iast aufheben ließe, die ein Mensch, der alle sei«
„ ne Kräfte dazu anwenden könte, kaum zu regen ver>
„ mögend wäre. ,. o Ich setze hinzu , der Künstler wild
diese Wahrheit in einem hohen Grade beobachten, wenn
er, wie Timanihes,/? zugleich die bestimmte Größe der
Sache
, ^ PostKorne ? Hört er etwa,, auf zu tanzen , und triri>
dem Poeten z» gefallen , aus einein Gotte der Ehren rin
^ Pvstknecht ? Sitzt er auf einem Rappen, oder ans einem
„ Schimmel? Und wer hat ihm endlich das Posthirn blas
«sen gelehret? Oder führet er svlches vielleicht nur zum
„ Staate wenn er Galla macht? Dergleichen Fragen müs<
„ sen demjenigen einfallen, der Naumann ge»
»ug ist , um über ein schlechtes Gedicht schlechte CritiKn
zu machen.
o DliLvs Th. 1^ Cap^ zo^
j> Plinins sagt vo» ihm : 8^unt et »Ii» ingem'i ciusexeinplsria,

msK»i>
Und Erdichtung. zg?

Sache durch ein geschicktes Maas auszudrücken weis


und uns durch diesen Kunsigrif mehr zu denken giebk,
als er mahlen konte ; indem er auf einer kleinen Platte
seine Copie dem Urbilde nicht nur ähnlich, sondern auch
gleich macht.
Das Coflume bestehet darinnen, daß man die
Objekte nur mit solchen üusserlichen Umständen, Zügen
und Handlungen schildert , die wir durch die Association
der Ideen gewöhnlichermaßcn zu ihnen hinzudemen,
oder, „ daß man sich nach demjenigen richte, was wir
„ von den besondern Sitten , Kleidungen , Gebäuden
,. und Waffen dererjenigen Völker wissen, welche man
„ vorstellen will. Und endlich auch darinnen , daß man
„ jeder Person seines Gemahldes ihren gehörigen
„ Kopf und ihrem Charakter beylege, wenn er schon
., bekannt iß , es sey nun daß man ihn aus Po»
„ traiten genommen , oder auch willkührlich erfun«
„ den habe. L Ich will in die Note ein Ben«
spiel aus dem Virruvius setzen , welches zugleich ei«
neu Fehler wider das Costume und wider die mcchani«
sche Wahrheit enthält. ? Das erste muß auch den Poe,
ten
ni,ßnitu<linem exprimere enp!en,, riinxit !utt« 8»tyro«,
1 K/rla pollieem ejus meijemes : «tque in «mnibus eiu»
«veriku» iiiteüißitur s>I»« semper, <zu»m pinKltur, et qiiu»,
»rs liinim, llt, Ingenium t„„en vltrs »rtem eil. <Ze Kitt,
niit. l.td. XXXV. «o. 10. p. ziz. L<l!t. l^ugclmi. «ie ,u»

z DiiIZ«, «m angeführten örte.


r ^1e<zue pjZurse proksri 6eKent , ^u»e nvn sunt l!«il« v«.
ritsn; nee, li tsäise t^unt elegsntes »b «rt'> icien 6e Kis st,,
lim repeiite clebct iulliiüiri , njli «rßiimemsliunj, nskneiint
rutione« Kne «stenlinnibu« e»pijc,t«. Llenim eti,m 1 r«t»
likvi cziium ^osturius ^>»bsncje», «legsntl tti,nu LnZlilKt
seenulv, in e»<zne tecistet pro columnls iißii», Oenksuro»»
^ue suttinsnte» epistxli» , «oron,l^ue leonini, «r»
!YO Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

ten eine heilige Pflicht seyn , der seine Scenen in da«


Metthum, oder in entlegene iänder versetzt. Ueberall
«ins man in seinen Schilderungen diejenigen Züge erbli
cken, die wir mit der Idee eines gewissen tandeö, oder
einer gewissen Zeit zu verknüpfen gewohnt sind. So ist
der iapländer des Herrn von Kleist / und so singt der
Mohr des Herrn von Gerstenberg : /

Schwarz ist mein Mädgen, wie die Traube,


' Die durch der Blätter dieser Laube,
? Mit süssem Most beladen, glänzt.

Du Wvell, die sich durch Goldsand schlängelt,


Rausch mirs herüber, wo sie ist !

' Ich harre fühllos, daß der Sand


Diedersen mir verzehrt und meine Seufzerwecken
Die

nstss : praeteres s»vr» e»m »ttKIIolninns episcenium , i«


<zuc> tkoli, pro»«?, lemisattißiz, «mniilzue te^i vsrius piöt«»
5u«r« ornstus: itzqus czuum »<1spe6rus «ius lcenas pro»
pter »speritZtein eblsucliretur «miniim v!Ki5 et iam ici «pu,
probsro tuillent purst! ; tu«n I^icinius KjstKemsricus pro»
<IIt ot »it ^Isbsncieos sstis ,eutos ,<i omnes res ciniles Ksbe»
ri; lecl propt« n«n ra«Knum vitiinil iiicieeemiie i»li^,ien»
"tes eu« eile iullicsrvkj quod in ß^nmsl!« eurum «zuse sunt
<t»tl,ze, omne» sunt ci»,tlz5 »genies ,; in fi>r« »uien, <Iisc«,
«enentes , «it currente« , leu pils iiicleiites. Ic, inlieren«
jnter laccirnm propvietstes ilgtus ti^n«rum , public.,« cju««»
ti vitium «ittim«iionis ,,iiecit. kksizue ^pzturiu, csntr«
relponcier« non ett su«»s; l«<i lull^ilit lccnzm et «ti rsiia«
nein veritstis e«mmu»t»», vslie» eorrcÄ»,» »ciprvk.ult,
I.ib. VII, c,p. V,
5 S> die neuen Gedichte vom VerfcHer des Frühliligs,
^ in de» Tändelepen,
und Erdichtung. ' 19^

Die Tyger dieses Hains , die durch den Durst ent^


^ branne,
Weh mir ! mein Blut von ferne lecken.
V Sonne ! wenn auch ihr der Tod
Aus Höhlen, oder "Wäldern droht!'
wenn eine Schlange sie umflicht,
jLin Crocodill sie hasche, ein Scorpion sie sticht! '
Eh treff ein Donner euch! Scheusale wagt es nicht! -
Im komischen Geschmack?, wo fast, alles abentheuerliche
schön wird , kan auch die Vernachlaßigung des Costume
geduldet werden , und nicht nur gedullel werden ; sie ist
sogar eines der besten HülfSmittel, das Gefühl des tÜL
cherlichen hervorzubringen.
V!uv Pallas schlagt die Augen züchtig nieder,
. wie Jungfern ziemt ; sie sträubt sich lange noch.
Da Juno selbst gehorcht, und hoft, man laß ihr doH
Zum wenigsten ein Röckgen und ein Mieder.
Wieland. «
Zu der Wahrheit in Charakter« und C>esin,
nungen gehören alle diejenigen Punkte, wodurch der
Charakter einer Person bestimmt, oder abgeändert wird;
erstlich das Alter :
^erstls cuiusyue notsnä! !unr, rioi mores
— — — — Ne forte leniles
lVIariclentur inueni partes pueroqus viriles.

^' Zweytens der Einfluß des Himmels, das Clima


Und die Nation ,
LolcKus sn ^llvrlus, 1'Kebls nutritus gn ^rZis.

„ Durch
« Ksmische Erzählungen S. 27.
iyi Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

>, Durch den Einfluß des Himmele, schreibt Herr Win,


>, kelmann, l/ bedeuten wir die Würkung der verschie,
„ denen tage der tänder , der besonderen Witterung
„ und Nahrung in denselben in die Bildung der Ein«
,. wohner , wie nicht weniger in ihre Denkungsart.
„ In Absicht des ersten, nämlich der Bildung der Men?
„ schen überzeuget uns unser Auge, daß in dem Gesich?
te allezeit, so wie die Seele, also auch vielmahls der
„ Charakter der Nation gebildet sey ! und wie die Na?
„ tur große Reiche und tänder durch Berge und Flüsse
„ von einander gesondert , so hat auch die Mannichfal«
>, tigkeit derselben die Einwohner solcher tander durch
ihre eigene Züge unterschieden ; und in weit entlegnen
„ tandeni ist die Verschiedenheit auch in andern Theilen
des Körpers und in der Natur. Die Werk,
»»zeuge der Rede, die Nerven der Zunge sind in kalten
,^ tändern starr und weniger schnell , als in warmen tän,
dern — — iyaher die Verschiedenheit der Spra«
„ eben und Mundarten. — Eben so begreiflich
ist der Einfluo des Himmels in die Art zu denken,
^ i« welche die äußern Umstände, sonderlich der Erzie,
Huna,, Verfassung und Regierung eines Volkes mit-
würken u. s. w. „ ,

Drittens die Sitten nach den verschiedene« Ställ?


den t

v Geschichte der Kunst, Th. t. S. 19. f. l. Matt lese auch


dl« (Leschichle des menschlichen Verbundes (Breßl ,«176;)
im drilien Abschnirre. Ich bin begierig, den Verfosser
dieser Schrift kennen zulernen, der mil einer feinen Bei
kesenyeic vielen Bensens verbindet, der mich in vielen
Punkt«, unrelrichcet hat und der ttabisch werden kan, wenn
er kün,cig „ichr mehr in Paragravycn schrciber. De»
VüBos , Montesqvieu unS Gogvei dwliche ich wohl Nlchc
ju nennen < .7.
und Erdichtung:

Xjercatorne vsgus, culrorne virentis agelli.

Viertens Sie uatürliche Mischung der Temperamente;


Format enim natura vrius nos intu, s6 omnem
?ortunarum Ksbitum —

Fünftens die erlangten Tugcnden, oder tasier:


Oer Lei? ist LucKt nacK LoI6 . 6ie Wollust ttun-
ger
UscK Bülten, LtoK? ist Lei? nscb I.uK. Li«
>> alle
8in6 Xebenbubler um LlücKleeliAkeit ;
ver eine liebt lie nskt, >vie eine Venu,,
Lebobren aus 6em Scbsum, <Zer andere
Leisten mit bsrbarlcbem L0I6, cler «Zritte
ZVlit l'iteln un6 mir Or^en überbanZen.
— — Wenn llck Eigenliebe
I^it 6em Verstand vermseblet; dann entlvriellen
^us vieler secbten Lbe eo?Ie Kinder:
I?ür Lei? die SosrlamKeit , 5ür Lrol? die Lrols»
MUtK,
?ur Wollust ^lse5siFkeit, und Z<len5l:KenIiebe
?ür ttsls , WobltKaetigKeit 5ür 8cbaden Freude.

Und

p (ÜS^seelißKeit 6e5 l'oseo^Kskten S. tz. und ZZ. Einer


meiner Freunde, der selbst als Dichter berühmt ist, pflegt
von dieser Epistel des Herrn Dusch ju sagen : Hier ist
mehr als Pope !
N
,94 Wahrheit, Wahrscheinlichkeit
Und endlich sechstens die zufalligen teidenschaftell die
durch Umstände veranlasset werden :
l'riliia moeüurn
Vultum verba öeceut , iraturn pl^na miusrum.

Nack allen diesen Punkten zusammengenommen MUS


der Charakter gebildet und fortgeführet werden; die Per
son mag einfach oder zusammengesetzt, sie mag aus der
Geschichte genommen, oder ganz erdichtet seyn. I«
ein ferneres Detail kan ich mich hier nicht einlassen;
Hui . 6i<Zicit patriae «zuicl cZedeat et <zui6 smic:!s,
(Zno> lit smoi e psreus , <zuo 5rater smaulZus et

Huoä ZIt conicrisZti, ^uoc! iuckcls oK«um,


^ czuse
karte« in beZIum milli 6ucis: ille profeKo
KeäcZere perüznae lcit couuementia , cuiczue.

Bey der Wahrheit m Handlungen und Ve,


Hedenheiten jst die Regel der Succeßion dasjenige,
was in den bildenden Künsten die Regel der Cocxistenz
ist. Der Artist soll keine Gegenstande auf einander fol«
gen lassen, die, ihrer Natur, oder unserer Meinung
nach, nicht aufeinander folgen können. Die erste Si
tuation in einer Reihe von Begebenheiten soll immer
alle folgende Zustande bestimmen und folglich darf sich
nichts zutragen, destm hinlänglicher Grund aus dem
Vorhergehenden nicht kan verstanden werden. Die
Würkuvg, welche einem Subjekte beygeleget wird, muS
mit seiner würklichen , oder erdichteten Natur überein?
stimmen und sich ans derselben begreisen lassen. Si«
und Erdichtung.' 195

darf also weder größer, noch kleiner seyn, als die Urs«,
che, wodurch sie hervorgebracht wird, Ist der Effekt
zu gros , um durch natürliche Kräfte bewürkt zu werden,
so hat der Arrist die Macht, eine Gottheit zu Hülfe zu
rufen , die den Knoten auflößt , dasjenige vollbringet,
was die Natur nicht vollbringen tonte, und eben dadurch
die ganze Begebenheit wunderbar macht. Diese Ein«
würkungen übernatürlicher Kräfte in eine Reihe von
Handlungen, wodurch etwas bewürkt wird , was durch
den ianf der Natur nicht wäre hervorgebracht worden,
sind Maschinen ; oder kürzer , eine Maschine ist ei»
erdichtetes Wunderwerk. Gottheiten mischen sich nicht
ohne Noch in die Handlungen der Sterblichen; sie hel
fen nur da, wo man ihrer Hülfe bedarf; eine Handlung
also , die man einer übernatürlichen Kraft beylegen will,
mus eine solche seyn , die eines Gottes würdig ist und
durch kein endliches Subjekt bewürkt werden konte. Oder;

Nec Dens inrerlir, nill ckZnus vinöice no6us

Und auch in diesem Falle würkt die Gottheit nicht immer


unmittelbar ; sie regiert oft nur die Handlungen der
Menschen und leitet sie zu dem Zwecke, welchen sie ha,
den sollen.

Mein iieblingsAutor, der iord Kaym hat sich so'


srey wider die Maschinen erkläret , als vor ihm fast nie
mand gethan hat. Wir wollen uns feine Meinung be
kannt machen und sie, wenn es möglich ist, beurtheilen.
Er schreibt:^ »Das poetische Vorrecht, unbeseelte Ge-
„ genstände zu beseelen , um eine Beschreibung lebhaf«
,, ter zu machen, ist sehr von demjenigen uuterschieden,
N 5 „ wa«
, Home Th. M. S. f.5
196 Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

„ was man die Maschinen eines Gedichts nennet, wo


„ Gottheiten, Engel, Teufel, oder andere übernatür,
„ liche Machte als würkliche Personen aufgeführet wer«
„ den , die an der Handlung Theil nehmen und die Ent,
„ Wickelung befördern ; und gleichwohl haben die Kunst-
„ richter oiefe beyden Dinge immer mit einander ver,
„ wechselt. Das erste hak feinen Grund in der mensch-
„ lichen Natur; aber hat ihn auch das letztere? Weit
„ entfernt davon ; nichts kan unnatürlicher seyn. Seu
„ ne Wirkungen sind ausserdem klaglich. Zuerst giebt
„ es dem Ganzen ein erdichtetes Anfehen und verhindert
„ Illusion, Interesse und Rührung. Nächst diefem,
„ wenn es auch möglich wäre, den Schein des Erdich,
„ teten zu verbergen und uns bis zur Täuschung zu blen-
„ den, fo bleibt doch noch ein unwiderleglicher Einwurf
„ zurück. Dieser ist , daß der Endzweck des epischen
„ Gedichts niemahls in einiger Vollkommenheit erreicht
„ werden kan , wo Maschinen gebraucht werden. Tu,
„ gendhafte Bewegungen können nicht anders würksam
„ erregt werden, als durch die Handlungen dererjeni,
„ gen , die gleiche Neigungen und teideuschaften mit
„ uns haben, das ist, durch menschliche Handlungen;
„ und was dm moralischen Unterricht betrift, so ist es
„ offenbar, daß wir diesen Unterricht nie aus Handlun-
„ gen von Wchu ziehen können, die nicht gleiche Grün,
„ de der Handlung mit uns haben. „

Mas sollen wir nach allen diesen von den Masch«


nen behaupten? Ein Künstler mus nach der Zeit, nach
dem Orte und nach der Scene beurtheilt werden, in wel«
che ihn seine Phantasie versetzt und woher er seine Schil,
derungen entlehnet. Ist es nach dem Genie seiner. Zeit,
des iandes und nach den Umständen der Handlung wahr«
scheiulich , daß Götter an den Begebenheiten der Erde
einen Antheil nehmen; so ist es ihm auch erlaubt, sei,
nein
und Erdichtung. ,97

nem Werke dur,ch Maschinen das Wunderbar^ zu ver


schaffen , was die Einwürkung der Gottheiten herver
bringt. Homer durfte also nach dem Geschmacke seiner
weniger aufgeklärten Zeit Hie Götter als Personen fchil-
dem , die beynahe keine wichtigere Beschäftigung hatten/
als die Eroberung von Troja entweder zu befordern, oder
zu verhindern. Eben das Recht, was Homer hatte,
haben auch wir, wenn wir uns in die Zeiten zurücksetzen,
wo nach der Tradition die Götter unter den Menschen»
Kindern wandelten und fast alles das thaten, was wir
auch chun. Ist aber die Begebenheit, welche der Artist
bearbeitet , aus einem nicht fo mythologischen Jahrhun
derte hergenommen ; so werden dergleichen Maschinen
für ihn völlig unbrauchbar , es sey denn , daß er sich ih
rer als eines Kunstgrifs bedienet , um das lächerliche
und Komifche hervorzubringen , oder zu erhöhen. Wa
ren die heidnischen Gottheiten der Griechen zu gewissen
Feiten wahrscheinlich , so waren es diejenigen nicht min
der , welchen unsere Väter dienten. Das Religions,
System der alten Deutschen , der Barden , Druiden
und Skalden ist voll von Schätzen, von denen ein glück
licher Dichter Gebrauch machen kan , wenn er nur seine
Scene in die Zeiten setzt, wo dieses System geglaubt
wurde. 2 Wählet hingegen der Artist seinen Stof aus
der gegenwärtigen, oder kurz vergangenen Zeit ; fo mus ,
er sich, wenn er dem Winke des guten Geschmacks fol,
gen will, aller Maschinen enthalten. Es ist lächerlich,
zu unfern Zeiten Wunderwerke zu behaupten und was
dem gemeinen Verstände lächerlich ist , das kan in ei,
nem ernsthaften Werke der Kunst unerträglich werden,
man putze es auch und verstecke das Ungereimte noch fo
N z fehr. «

» Ich nenne hier mit Vergnügen das Lied eines Skalden


dessen Verfasser , wenn ich meinen Freunden glauben soll,
der Herr von Eersienberg ist.
>98 Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

sehr. « Unterdessen, wenn es uns auch untersagt ist,


Gottheiten unmittelbar einwürkeu zu lassen , so bleibt
vns doch eine Art von Maschinen übrig/ die selbst der
DenkungsArt unserer Zeit und unserm RcligionsSystem
gemas sind. Alles in der Welt erfolgt nach dem Rath-
schlusse Gottes ; Gott regieret und lenket die Handln«.'
gen der Sterblichen ; theoloqisch zu reden , er concurrirt
z„ den Würkungen der Menschen und ohne seine»
Wink geschehet mchtS. Ein Dichter, deffen Muse die
Sionitin ist , wird sich von dieser die Bücher des Schick/
sals aufschlagen und den göttlichen Rathschlus eröfncn
lassen ; auf diese Art erhält er Maschinen und sein Pro
dukt wird wunderbar, nicht durch die positive Einwür,
kung Gottes und seiner Diener, sondern durch ihre Eon«
eurrens. Ein HauptGrund der Wahrscheinlichkeit ist
der gemeine Glanbe, solte er auch Vorurtheil seyn ; und
folglich darf ich wider Home behaupten , daß ein Werk
der Kunst durch Einflechrnnq der Maschinen und des
Wunderbaren nicht unwahrscheinlich wird, wenn diese
«ur mit demjenigen übereinkommen , was man insgemein
glaubet, oder, was man glauben würde, wofern man iu
den Zeiten , oder an dem Orte lebte , wenn und wo die
Handlung vorgehen soll. „ Allein die Maschinen haben
,. keine» Grund in der menschlichen Natur. „ Vielleicht
nicht in der allgemeinen, aber doch in der besondern Na.'
<ur mu> DenkungsArt einer gewissen Zeit, eines gewisse»
Ortes, unter gewissen Umständen. „ Sie geben dem
„ Ganze» ein erdichtetes Ansehen. „ Erdichtung kan

« Und doch hat es Boilcau gethan. In seiner Ode auf die
Eroberung von Namur fragt er mit einer sehr ernsthafte»
Mine ob Apoll, »der Neptun die Mauren dieser Sradt er<
baut haben ; und wenn er den Ucbergang der Franzose»
über den Rhein besingt ; so beschreibt er den Gott dieses
KiußeS,mie er mit allen Kräften wider den sranMschw M«
»archen kämpft« Hou» Th, I., S. 292.
und Erdichtung. ,59

so gut täuschen als Würklichkeik und das fabelhafte An«


sehen wird durch die tebhafrigkeit der Bilder vermindert.
Götter können uns nie bewegen , intereßiren , oder
„ unterrichten, weil sie nicht gleiche Gründe der Hand,
„ lung mit uns haben. „ Die Götter intereßiren uns
Vicht durch sich selbst, sondern durch den Ancheil, wel
chen sie an den Schicksalen gewisser Personen nehmen,
für welche wir parcheyisch sind. Und eben dadurch , wo«
durch sie intereßiren , werden sie auch lehrreich und un
terrichtend. — — Ich bin nicht der erste, der es be,
merkt, daß Home in diesem Punkte unrichtig empfunden
und zur Unzeit philosophirt hat. Weit feiner schreibt
DuBos : 6 „ Nur großen Genies ist es vorbehalten,
,, eine Vereinigung des Wunderbaren mit dem Wahr«
„ scheinlichen zu stiften , wobey .keines von beydcn etwas
„ von seinen Rechten verlieh«. Das Talent, eine sole
„ che Verbindung zu Stande zu bringen , ist es , wel?
„ cheö die Dichter aus Virgils Claße sehr deutlich von
„ den Reimern ohne Erfindung und von den unmäßig
„ ausschweifenden Dichtern unterscheidet. — — Ein
„ Gedicht ohne alles Wunderbare gefallt weit weniger,
„ als ein Gedicht , das sich auf einen angenommenen
„ Satz gründet , der ohne alle Wahrscheinlichkeit ist ;
„ und selbst Boileau hat die Reife des Cyrano nach der
Mondenwelt den Versen ohne Erfindung des Molin
„ und Colin vorgezogen. ,»

Eine andere Beobachtung des tord Kaym ist gründ?


lrcher. Symbolische Maschinen, allegorische Wesen,
handelnd vorgestellt und mit würkllchen Personen, mit
Menschen vermischt, sind in aller Absicht unerträglich.
„ In der Henriade sendet der ßeiltze iudwig den Gott
„ des Schlafes zu dem Helden ; die Zwietrachk , der
„ Aberglaube und der Geist des Kriegs schützen den Au>
N 4 ma.'
5 Tl). I. S. Z!4. und S. 2!6.
zos Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit

„ male in einem Zweykampft mit dem Türenne und wer«


„ den von einem Engel verjagt, der das Schwerst Got,
„ tes schwingt. Die Vermischung solcher gedichteten
,. Personen mit Menschen zu cinerley Handlung , macht
„ in jeder Absicht eine üble Figur und in einer so fri>
,, schen Geschichte wie dje von Heinrich dem vierte»,
„ wird sie unerträglich. „ c

Von der Wahrheit in der Nachahmung sagt


Aristoteles : ^ ,. Wir müssen es machen , wie die bil,
„ denden Künstler, die zwar ein jedes Objekts in seiner
« eigenlhümlichcn Gestalt abschildern , aber die einzelnen
,. Züge desselben soviel, als möglich, verschönern. „ s
Einige Kunstwerke werden als Originale betrachtet, wenn
sie sollen beurtheilt werden , und nicht mit Urbildern ver.'
glichen ; diese haben ihre Wahrheit in sich selbst , wenn
alle einzelne Züge auf das vollkommenste mit einander
übereinstimmen. Andere aber sind Copien und in diesen
findet eine doppelte Art der Wahrheit statt, die Wahr-
beit des Originals und die Wahrheit der Nachahmung.
Ahmt
e Home Th. III. S. 29z.

, S> Breitingevs Werken «on Gleichnissen, S. 4». z „ Die


Wahrheit ist zwar die vornehmste Eigenschaft und der
,, Grundstein eines Gedankens z und gleichwie ein geschickt
,, ter Makler «ornemlich bemüht ist, die Dinge in ihrer
„ eigenen Gestalt «bzuschildern ; so kommt ebenfalls d»
,, Regel der Redner und Schreiber darauf an, das; dieBes
griffe mit den Sachen und die Worte mir den Begriffen
vollkommen übereinstimmen. Mein gleichwie der Maht
„ ler durch die Kunst seine GemShlde schöner und vollkoim
„ mener macht , >hne Abbruch der'Äehnlichkeitt so bestrebt
» sich die Woblredenheit die Gedanken ohne Verletzung der
» Wahrheit auf verschiedene Weis« ausjuMe» und ihn«
„ «in«» neuen Gl«nj mitjutheikn. „
und Erdichtung. 20,

Ahmt der Künstler allzusclavisch , ahmt er auf Unkosten


der Schönheit nach ; / so mag er immer ein guter/ ein
getreuer Nachahmer heissen ; wir würden ihm für etwas
mehr Schönheit und weniger Wahrheit mehr verbunden
seun. Wir sehen es nicht gern , daß die Pferde des Am?
phiaraus wegen eines kleinen Umstandes, der etwas zur
Wahrheit beytraget, häßlicher werden, wenn sich gleich
dem Philostratns in diefer Bildung gefallen , oder zu g«
fallen scheinen. ^ Wenn er es rühmet, das die Abbil
dung dieser Pferde durch den Staub , der sich vermittelst
des Schweisses an sie angehängt hat, zwar häßlicher,
aber getreuer wird ; so muö ich ihm den Plutarch entge»
gensetzen, der Geschmack genug hat, um zwischen zween
Fehlern die Mittelstraße zu empfehlen. „ Der Malz«
„^ler , sagt er, 6 soll die Fehler seines Originals weder
„ gänzlich unterdrücken , noch durchaus abschildern. Je-
nes würde sein Bild untreu und dieses häßlich ma,
„ chen. ,,
Noch ist die Wahrheit der Gedanken Mrig , von
welcher ich wenig sagen werde. Denn von der Wahr
heit im Ausdrucke und in den Gesinnungen wird an ei,
nem andern Orte geredet. Ein Gedanke ist wahr , in
welchem kein sinnlicher Widerspruch ist ; je größer die
Uebereinstimmung ist , desto größer ist die Wahrheit.
Die Vorstellung einer Sache kan dadurch zn Vergrößern
N 5 Wahr«
/ S« oben S. iZ4.

i in vits Simonis »«X« ««r T^oXXizv ?x,svr« x«'


dv! Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit

Wahrscheinlichkeit der Sache selbst etwas beytragen,


«venn sie viele kleine auch zufällige Umstände auf einander
häufet, unter welchen die Sache hat geschehen können.
Je genauer etwas bestimmt wird, desto näher gränzet
«S an die Wahrheit, wo alles bestimmt ist. „DiejeniB
Ä, gen, sagt Philostratus, ? entfernen sich von der Wahr,
heit , die eine Sache mahlen , ohne die kleinen zufällt.'
s, gen Umstände hinzuzufügen, mit welchen sie verknüpft
„ ist. „ Der Artist wird also genau die Scene bestim,
«nen , in welcher die Begebenheit geschehen ist und Zdie
«ndern' Umstände hinzumahlen, unter welchen; etwas er»
folgt ist, besonders diejenigen, welche etwas dazu bey»
Aragen, die Sache glaublicher zu machen.

In jener dichterischen Zeit,


ZNie deren Wundern uns der Amme Sreundlichkeie
' Durch manches Mahrgen einst in süßen Schlumm«
wiegte?
Als Sorgenfreye Müdigkeit
Sich ohne Pflichten, ohne Streit,
NKt dem, was die Natur freywillig gab, begnügte-,
Rein Madgen spann, kein Jüngling pflügte.
Und manches thunlich war, was Basedow verbeut z
jLH noch der Stände Unterscheid
Aus Brüdern Nebenbuhler mache«.
Und gleißmrische Heiligkeit
Das höchste Gur der Sterblichkeit,
Die Lust um ihre Unschuld brachte';
Und

x Ic<->" II. in Venere. 5U^A«tt'SV^« o, ^«cdo?»


<7-5? , «X «X'Z^U«?^ s^v V«,? >^«H>«<?. PhllosrratuS
ftgc, «-u^/Z«tt'ovi-«. Dieses Worrkan hcissen : das was
geschieht : es ?«n auch die kleinen zufalligen Umstände
bedeuten , unter welchen etwa« tvürklich ist. Ich wähle
die letztere Bedeutung , wenn sie gleich nicht gewöhnlich ist.
Denn der Künstler mahlt ohnehin nicht das, was geschieht,
sondern das , was ist.
und Erdichtung. 20z
Und kurz in jener goldnen Zeit,
Da die Natur, von keinem Joch entweiht,
<Zeseye gab , wodurch sie glücklich machte.
Die Welt noch kindisch war und alles scherzt untz
lachte :
In dieser Zeit lebt einst auf Latmos Höhn
SLin junger Hirt, wie Ganymedes schön,
Schön, wie Vlarciß, doch nicht so spröde,
wie Ganymed, allein nicht halb so blöde, u. s. w,
Wieland. K
Ein Gedanke , oder ein ganzes Produkt der Kunst
kan falsch seyn durch sein Objekt , durch die Falschheit
der Nachahmung, oder durch Widersprüche seiner par«
tialen Ideen. Hierher rechne ich die Mischung eines
doppelten GötterSystemö, einen Fehler, den man längst
am Milton getadelt hat, die Mischung symbolischer We
sen mit würklichen , wie zum Beyspiel in der Henriade,
Vernachlaßigung des Cosiume , Widerspruch unter den
Handlungen einer Person und ihrem Charakter, Anachro
nismus, oder Widerspruch mit den Umständen der Zeit,
desgleichen des Ortes , Schilderungen , die sinnlich nicht
zu denken sind, ausgelaßene Hyperbeln, Züge von ei,
nem Objekte auf ein anderes übergetragen, für welches-
pe sich nicht schicken , / u. s. w. iJch rede von diesen.
Fehler nicht ausführlicher ; sie sind leicht da zu sinden,
wo sie sind und es ist überhaupt immer eine größere
Kunst
j Komische Erzählungen S. 61. 6s.
/ Z. B. wenn Gatumozin im Corres des Herrn Zachariä die
Spanier verachtet.
Deren Antlitz weis,
weis , wie das AntUz eines Todten , ist
So ist dies ein Einfall, drn Gatumozm auf keine Weise
haben kon und der bios deswegen falsch ist, weil er nicht
von dem Dichter sondern «vm Eutluuojin herrühre» soll.
204 Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

Kunst, Schönheiten zu finden , als Fehler zu entdecken,


«ine größere Kunst, jene zu"schaffen, als diese zu .ver
meiden.

Es giebt eine Art der Verjährung, wodurch et


was, was oft an sich widersprechend ist, den Anstrich
der Möglichkeit erhalten kan. Dies ist diejenige
Süssere Wahrscheinlichkeit, welche auf einer lange ange
nommenen Meinung sich gründet ; fast der einzige Titel,
aus welchem die alte Mythologie noch zu rechtfertigen ist.
Es ist uns fehr natürlich , dasjenige wenigstens für mög/
lich zu halten, was von allen, vielen, oder einigen Men,
schen immer, oder zu gewissen Zeiten und unter gewissen
Umständen vor würklich ist angenommen worden ; ««rei
niget sich mit dieser Präsumtion die lebhafte und täuschen,
de Vorstellung des Objekts, so versetzt uns unsere Phan,
taste in die Umstände , unter welchen die Sache geglaubt
wurde, so wird selbst aus der iügen Wahrheit und die
se, durch Hülfe der idealen Gegenwart, würkt lieber-
zeugung, die aber nun fo lange dauert, als die iebhaf-
tigkeit der Bilder , wodurch sie hervorgebracht wird.
Daher hat eine jede Religion , ein jedes gemeines Vor-
urcheil, eine jede alte Sage, eine jede philosophische
Meinung einen gewissen Grad von Wahrheit, wodurch
j!e den Artisten brauchbar werden. Wenn die mündli
che Tradition eine Quelle ist, aus welcher oft der Künst
ler den vortrcsiichsten Stoff zu Erdichtungen , oder we,
nigsiens Umstünde schöpfen kan , seine Fabeln glaubwür,
dig zu machen ; so wird er auf der andern Seite auch oft
dadurch eingefchränket und seiner Phantasie die Freyhcit
benommen , zu dichten , was sie will. ., Da nichts , sagt
„ DüBos, 5» der Wahrscheinlichkeit einer Handlung s»
» nachtheilig ist, als wenn der Zuschauer gewiö weis.
,, daß sie sich ganz anders zugetragen hat, als sie der
„Dich-
» Th. !. Cap.
und Erdichtung: E Z05

Dichter erzählet: so thun, meinen Gedanken nach,'


« diejenigen Dichter der Wahrscheinlichkeit ihrer Er/
,> dichtungen sehr vielen Schaden , die in ihren Werken
„ sehr bekannreu historischen Wahrheiten widersprechen.,.
Mit der historischen Wahrheit stehet oft die Tradition in
gleichem Range und dann ist die eine so gut, wie die an,
dere , eine Richtschnur des Künstlers. So sehr ein tra«
gischer Dichter seiner Kunst entgegenhandelt, wenn er
allzu offenbar wider die Geschichte, die Zeitrechnung und
Geographie verstößt und Dinge festsetzen will, von denen
das Widerspiel notorisch ist;» so tadelhaft ist ein and«
rer , der in Werken , die für das Publicum bestimmt
sind , demjenigen widerspricht , was durch eine allgemei«
ne Sage, sie seu Wahrheit, oder tüge, bestätigt wird.
Ost rühret eine solche Tradition selbst von denen Künft»
lern her , die gewisse Gegenstände zuerst bearbeitet haben.
Was bcn den ersten Künstlern oft Witz, oft Bedürfnis
war , ihre Personen in gewissen Kopfstellungen , mit ge,
wissen Zeichen und Bildern zu mahlen ; das wird für ih»
re Nachfolger ein nothwendiges Gesetz. Die ersten Arti,
sten bildeten die Musen, den Amor, den Bacchus unter
gewissen Gestalten, mit gewissen bedeutenden Minen.
Stellungen, Gliedern und Instrumenten; den letzter»
mit Hörnern , wovon Fesius eine lustige Ursache am
giebt, o den andern mit Flügeln,/? Bogen und Pfer-
lenF

» DüBoS Th. l. Cap. 29.


« Oorou» Liberi p»tri» timuker« i>«Zü«untur , es quocl K«n6»
«9» nimia vino truc« Sunt. Künstler von einem feinern
Äeschmacke haben unterdessen doch den Bacchus ohne Hör,
n« gebildet. S. Leßingö Laokoon S. 95. f« s.
x '0v« «ttr-ö-«, o'?-, ««« vov ALKiÄ-«, ^i-e^«<7<v s« ^«
jo<5 Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

sen;L die ersten unbewafnet und mit einer sanften Mi,


zie.^ Geschickt, oder ungeschickt, getroffen, oder nicht?
so müssen doch diese Gestalten so viel als möglich beybef
halten werden. Der erste Künstler giebt, wie Zeuris^
allen seinen Nachfolgern Gesetze / von welchen sie ohne
Noch nie abweichen dürfen. / So war die Bildung
der Götter unter allen griechischen Künstlern allgemein be
stimmt. „ Ein Kopf eines Jupiters auf Münzen i«
„ Jörnen , oder von dorischen Griechen gepräget , ist ei,
„ uem Jupiter auf sicilianischen Münzen vollkommen
„ ähnlich ; der Kopf des Apollo , des Mercnrms , des
« Bacchus, und eines Uber Pater, eines jugendlichen
„ und alten Hercules, sind auf Münzen und Steinen so-
„ wohl, als auf Stamen nach einer und eben derselben
« Idee. Das Gesetz waren die schönsten Bilder der
„ Götter, von den grösten Künstlern hervorgebracht, die
„ ihnen durch besondere iErscheinungen geoffenbart zu
seyn geglaubt wurden , so wie sich Parrhasius rühm,
^ te , daß ihm Bacchus erschienen scy , in der Gestalt,
„ in welcher er ihn gemcchlct. Der Jupiter des Phi,
„ dias , die Juno des Polycletus , eine Venus des Alca,
„ menes und nachher des PrariteleS werden allen ihre»
„ Nachfolgern die würdigsten Urbilder gewesen , und in
^ dieser Gestalt von allen Griechen angenommen und
« ver-

V«? ^<v e^><y«k7«cö-«< ; o^sX«'/s< ös 'T'LVS, öl'«

«« «^<ov SXtti'ttv. Kel. vsr. Kltt. lib. XlV. rsp. zzr.


^ lll« ver« its cireumseriplit «mvli , vt cum legum Istorem

Qmlltll« lnltü. ^ib. All. «p. ic>« «1, 4^«.


und Erdichtung? ZO?
^ > » —«
verehrt worden seyn. „ t Alle berühmte Weltweise«
ves Alterthums hatten , wie wir aus dem. Sidonius
Apollinaris « lernen , ihre eigenthümliche Kopfstellung,.
Gestalt und Geberden / die ihnen in der Mahlerey bey?
geleget werden musten. v So sind selbst die Gestalte«
der Heiligen , welche die Kirche verehret , durchgängig
bestimmt. „ Ob wir gleich nicht gewiß wissen , sage
„ DüboS/w wie der Heil. Petrus gestaltet war, so sintZ
„ doch die Mahler und Bildhauer durch einen stillschwei-
„ genden Vertrag einstimmig geworden , ihn mit eine«
„ gewissen Kopfstellung und teibesBildung vorzustellen,
„ welche diesem Heiligen nunmehr eigenthümlich gewor«
„ den sind. In der Nachahmung vertritt eine angenoms
„ mens und einmahl allgemein gewordeneJdee die Stelle
„ der Wahrheit. Was ich von dem Heil. Petrus geB
„ sagt habe , gilt auch von den Figuren , worunter manz
„ viele andere Heilige vorstellt ; selbst von der , die ma»
„ dem H. Paulus gemeiniglich giebt , ob sie gleich wes
„ nig mit dem übereinkommt, was dieser Apostel vom
„ sich selbst sagt. Es liegt nichts daran und die Sachs
ist einmahl angenommen. Ein Bildhauer , der de»
„ H. Paulus kleiner, magerer und mit einem kürzer,,
„ Barte als den H. Petrus vorstellen wolte , würde
,, eben so sehr getadelt werden , als Bandinclli , weil er
„ der Statue des Adams, die er für dem Dom zu Flo?
renz

, Geschichte der Kunst Th. I. S. i«, 167.


« per <Zz?mn,tis pinHuntur ?eulis>pu» «ruiee eunn, Ar«tuj
psnil«, ?evon trvnte c«ntr»6ts, kpicnru» eute «Ment« ,
Oiogeue» b,rb? eoiusnte , 8«cr,te« e«m» csncleote , Aristo»
tele» brscki« «lerts , Xenocrste« crure cvlleöt« , Uer»cli»
<u« tZet» oculi» clsuLk, veui«criku« ris» lsbris sperti«,^Kk)^
l>pj>us «jjßjti» ^ropter numerorum »o«i«ei» «VniZriKis , t!u«
«K6e« propter vtr»m<zus eorrotl«. A^ol!» Ubr> I. e^>ik.
« v»v«, Th. I. Cop. zs,
«n angeführten Orte.
zoS Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit

„ renz machte, eine Statue der Eva an die Seite setzte,


„ die viel höher ist, als die Statue ihres Mannes.,,

Da die Traditionen und überhaupt die Genies der


Feiten und Länder verschieden sind, so leidet auch dadurch
die Wahrheit und Wahrscheinlichkeit in den schönen
Künsten häufige Revolutionen und Veränderungen.
Die Ausschweifungen der Götter und die Grobheit der
Helden in derJliade sind gewis nach unserer Denkungs-
Art nicht mehr wahrscheinlich ; Jupiter ist ein wunderlu
cher Gott und die griechischen BefelMhaber machen in dem
Contraste mit unsern gepuderten Helden eine sehr groteske
Figur. Dennoch ist Homer, der sich nach der Tradi-
tion und nach dem Geschmack seiner Zeiten richtet , we
gen dieser Vorstellungen so wenig zu tadeln, als ein
Mahler, der den Judas Jscharioth mit einem rochen
Barte schildert, da sich doch aus kritischen Gründen
beweisen läßt, daß er einen schwarzen gehabt. O'ett re-
procker, sagt Voltaire,^ ä un peinrre 6'svoir «Zon»
ne s les iiAures Ie8 ngbillemens <Ze lon tems. I^o«
mere a peint lesOieux te!« «zu'on les cro^oit, et le«
Komme« tels qu'ils etoiem. Die oft allzuwunderba«
ren miltonischen Vorstellungen sind den Britten wahr,
scheinlich und ihren Nachbaren jcnseit des CanalS uner
träglich. I^epsraäis pero?u,sagt eben derselbe,^, ett un
ouvrsAe plus lmZuIier <zue riaturel, plus plein ll'ims»
ßinsrion c^ue 6e Araces et 6e Ksr6iel?e que <Ze
ckoix , «Zont le lujet elt tout i6es! , er <zui l'emble
n Ltre pss fsit pour I'nomme. Und ich setze hinzu,
daß der Charakter des verlohrnen Paradieses, wenig aus
genommen, auch der Charakter des Britten ist.
Nichts kommt uns in der Aeneide unwahrscheinli
cher ver, als die Verwandlung der Schiffe in Nymphen ;
wir

^ am «ngeführien Orte S. z^s ^


und Erdichtung. 209

wir würden aber unrecht handeln , wenn wir diesen Feh-


ler sogleich auf die Rechnung des Dichters schreiben wol«
ten. Virgil zeigt durch sein
?r!lcs iilZes tsÄo, lec, tsma perermis,
Nicht undenklich an, daß er diesen Einfall einer alten Sa,
ge zu danken gehabt , die ihn zu seiner Seit wahrschein,
lich machte.
Ich schließe diese Betrachtung mit einer Haupt-
regel der Cnrik ; wer die Werke des Meisters mit
Genauigkeit beurtheilen will, der muß die, Kunst verste
hen , sich in den Ort und in die Zeit zu versetzen , wo
der Artist gelebct und in diejenige , aus welcher er seine
Erdichtungen geschöpft hat. » „ Was die Fehler an,
„ langt , die man an den Gedichten der Allen zu sehen
« glaubt, schreibt DüBos, a so mag es wohl wahr
„ scyn, daß wir uns oft auf mehr, als cinerley Art
„ irren. Wir rechnen es bisweilen dem Dichter als ei«
„ nen Fehler an, daß er verschiedene Sachen in sein
„ Werk gebracht hat , die er hineinzubringen , genöthigt
„ war , weil er sich nach seinem Jahrhunderte und nach
„ seinen Zeitgenossen richten muste. Als z. E. Homer
„ seine Jlias verfertigte , so schrieb er nicht eine nach
„ Belieben erfundene Fabel , dabey er die Freyheit
„ hatte, die Charaktere der Helden nach feinem Gefallen
„ zu erdichten , die Begebenheiten so ablaufen zu lasten,
„ wie er es für sich am bequemsten fand , und gewisse
Begegnisse durch alle die edlen Umstände, die er hatte
„ ersin,
s Dos Gegentheil habe ich est in der neuen EncyclopSdie de«
Herrn von Bielefeld angetroffen , der vielleicht allzu frans
zösisch denkt, um an den Alten Geschmack zu finden. Die
Methode, nach welcher Perrault undLaMotte den Homer
tadeln , wird in der im Texce angeführten Stelle aus dem
DSBoS noch alljuhöflich widerlegt.
« tm zweeten Theile Cap. z?.
O
Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit
„ erfinden können, zu verschönern. Wenn
„ sich Homers Helden nicht sogleich mit einander schla-
„ gen, sobald sie vneinö werden, so rührt solches daher,
„ daß sie in dem Punkte der Ehre noch nicht die Gesin,
„ nungcn der Gothen und ihres Gleichen hatten. — —>
„ Solchergestalt sind die Vorurtheile , welche die mei?
„ sien Menschen Mr ihr Zeitalter und für ihre Nation
,, haben , der Grund von vielen schlechten Kritiken und
Beurtheilungen. Alle tander und alle Zeiten sollen
,, sich nach den ihrigen richten. Man hat den
„ Homer getadelt, daß er ein Vergnügen daran zu sin>
„ den scheint , den Garken des König« Alcionns zu be?
„ schreiben, der, wie man sich darüber ausgedruckt hat,
„ dem Garten eines ehrlichen iandmanncs bey Paris
„ sehr ähnlich sieht. Allein dem Dichter kommt es bloS
„ zu , diejenigen Garten gut abzuschildern, welche die
„ Menschen in seinen Zeitalter anzulegen wüsten; und
„ Homer ist in dieser Beschreibung ein eben so großer
„ Artist, als wenn er eine Beschreibung von den Gar-
„ ten zu Versailles gemacht hätte. — — Die Art,
„ wie wir mit unfern Pferden umgehen, macht, daß
„ wir darüber stutzen,, wenn die Dichter ihre Helden
„ Reden an dieselben halten lassen. Aber dergleichen
„ Rcdcn schicken sich sehr gut in der Jliade, die für teu»
„ te gcfchricben war , bey denen das Pferd gewisser»
„ maßen mit seinem Herrn an einem Tisch aß. — —
„ Es ist nicht genug, daß man gut schreiben kan> wenn
„ man gründliche Kritiken über die Gedichte der Alten
„ und der Ausländer machen will; man mus auch eine
„ Kenntniß von den Dingen haben, davon sie reden.
,, Was zu ihren Zeiten gewöhnlich war , was in .ihrem
„ Vaterlande getmin ist, kan solchen Tadlern, die nur
., ihre Zeiten und ihr Vaterland kennen , unwahrschein,
„ lich und unvernünftig vorkommen. „

Ich
und Erdichtung?

' Ich setze zu allen diesen noch einige Worte von der
Erdichtung hinzu, nicht um eine vollständige Theorie da,
»on zu geben , die vielmehr in die besonder,, Theile ge
höret, als, um einiges zu erklären, was ich im folgen,
den nöthig habe. Ich gebe dieser Betrachtung die Ge,
sralt einer Rhapsodie von Bemerkungen über einige Stele
len aus der Dichtkunst des Aristoteles , die von dieser
Materie handeln.

Erdichten , bedeutet bey den Kunsilehrcrn vieler,


ley und fast alles , was sie wollen. Oft heißt es , sich
etwas in einer lebhaften Phantasie vorstellen ; oft bedeu-
«et es eine künstliche Nachahmung der Charaktere, Sitten
und Handlungen; oft verstehet man darunter Ma
schinen, oder die Zwifchenkunft der Götter, die der
Poet erscheinen läßt, und oft deutet man dadurch diejeni«
gen Figuren an , welche unbcfeelten Dingen Seelen und
unkörperlichen Dingen Körper geben. 5 Endlich heißt
auch Erdichtung soviel als Erschaffung einer Fabel
und dies ist die Bedeutung , von welcher wir hier reden.
„ Nachahmung einer Handlung, sagt Aristoteles, c
„ oder Verknüpfung der Begebenheiten heißt Fabel.,,
Eine Fabel, ist leine künstliche Vorstellung einer
vollkommen sinnlichen Begebenheit, die als würklich be
trachtet wird , oder , wie Plmarch ^ Mch dem Plats
sagt,

t S. den Battenx «om Herrn Schlegel , S. isz. f. «nd die


Briefe zur Bildung des Geschmacks ( vom Herr» Dusch)
Th. II. S. is, >i, 12.
x im 6ten Cap. der Dichtkunst.
«i 6« gl»r. KtKen. Der Urheber der Favel, setzt Plutarch
hinzu, ist von dem Verfasser der Erzählung eben so weit
entfernt, als der Erzähler von den handelnden Persone»
entfernt ist.
Wahrheit / Wahrscheinlichkeit

sagt, eine unwahre Erzählung, die der Wahrheit ähn


lich ist, das Ebenbild und die Nachahmung derGeschich-
te. e Jck> wolle nicht gern mit Baumgarten / und
Meier^ behaupten, daß eine jede Fabel nöthwendig all
legorisch , oder ein erdichtetes Beyspiel zu einer Sentenz
seyn müsse ; ein Attribut, welches eigentlich nur der äso
pischen Fabel im allgemeinen beygeleget werden kan. 6
Ich wolle nicht gern, daß man die Fabel der Odyssee
und Jliade nach einer untergeschobenen Moral beur-
«heilte, an welche vielleicht Homer nicht gedacht hat.
Ein kalter und gedultiger ieser wird aus der letztern al«
lerhand gute lehren ziehen, z. B. daß die Gottheit al
lenthalben ist ; daß sie überall mitwürkt ; daß ohne sie
nichts auf der Welt geschieh« ; daß , wenn wir den
Himmel um Rache anrufen, es uns sehr leicht gereuen
kan , daß wir sie erhalten haben ; daß man denjenigen
Nicht beleidigen muß, dessen Hülfe man nöthig hat ; daß
da;

e S. den Batten? von Schlegel, S. i z. f. und von Ramler,


S. 20. f. S. auch die erste Abhandlung des Herrn LcßingS
zu seinen Fabeln.
/HeNK. I. F. 526. ,.V«FM» pr'KIcnm sestketi'cs cogitstum
„ elt /e»ke»tts. Lxeuiplum .lontentii,« ttriZe K6iun> elt

^ Aesthetik. I. §. 108. ,, Eine Sentenz ist ein praktischer


allgemeiner Satz und man p.legt sie auch eine Lehre zu
nennen. Ein Beyspiel ist ein Vegrif, der unter einen
«ndern, «IS seine Art oder Gattung gehöret und welcher
deswegen vorgestellt wird, un den andern klarer zu uia<
chen. Sin ,m engcrn Verstände erdichtete« .Beyspiet ei
ner Lehre ist eine Fabel. ,,
4 Von dieser gilt auch der Begriff des Herrn Leßings^mn «m
geführten Orte : „Wenn wir einen allgemeinen moralischen
„ Sah auf einen besonder« Fall zurückführen, diesem bes,ns
„ Kern Falle die Würkiichkeit crtheilen und eine Geschichte
„ daraus dichten, in weicher man den allgemeinen Satz am
„'schauend erkennet, f» hei>,t die Erdichtung eine Fabel.»
und Erdichtung. 215

das Volk oft die Fehler der Prinzen büßen müße ; i


daß zween vereinigte Menschen oft stärker sind , als einer
ohne den andern. — Alles gute Maximen , sagt Bat-
teux , 6 wovon aber gewis keine einzige dem Homer zur
Grundlage seines Gebäudes gedient hat. Wenn, man
überall solche Moral finden will , so muß man den Dich
ter mit so wenigem Enthusiasmus lesen , als er selbst
würde gebraucht haben, um immer die Geschichte der
Sentenz anzupassen. Erbaulich ist eine Betrachtung
über die Jliade , die ich in der sogenannten kritischen
Dichtkunst des obersächsischen Kunstrichters lese. / „Wer
,. kan, schließt sie sich, bey dem allen noch zweifeln, ob
„ auch Homer in seinem ganzen Gedichte die moralische
„ Wahrheit habe zum Grunde legen wollen ; die Mis-
„ Helligkeit ist verderblich , die Eintracht aber überaus
,, zuträglich? „ lieber in einer Kern- und Spruchrcde ?«
ausgedrückt : Fried ernährt ,, Unfried verzehrt — —
Wer kan bey dem allen noch' glauben , daß der Verfas
ser die Jliade gelesen habe ? Gewis Homer müste
Gottsched gewesen seyn, um eines. Satzes wegen, den
jeder-

i <Zjllc«zuil! ckelirsnt reg« , xlegimtur äekim.


K Ben dem Herrn Ramler B. II. S. l»4. Will man das G«
gentheil sehr gelehrt, und sogar biblisch erwiesen sehn, so
lese man die Gründe, wodurch die Frau Dacicr in der Vor«
rede zu ihrem Homer darchun will , daß der Unterricht der
«»rnehmste Zweck der epischen Poesie sey ; Gründe , wor«
aus am Ende nichts folgt, als daß der Prophet Nathan
kein Homer und die Fabel »o„ dem Schafe des armenMaw
nes keine Jliade ist.
' / Th. II. Cop. 9. §- Z-4.
» S. die deutsche Sprachkunft , S."4y6. f. und die Briefe
über den jetzigen Zustand der schönen Wissenschaften, S.
146.
«4 Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit'

jedermann weis und an welchem niemand zweifelt , eine


Epopöe von vier und zwanzig Gesangen zu schreiben.
Ich finde nicht, daß Aristoteles den Dichter auf diese
Art erkläret habe, wenn es uns gleich Gottsched, dee
ihn wenig gelesen und nie verstanden hat , aus seinem
Darier ganz cavalierement versichert. Der Philosoph
verlangt nur , der Gegenstand der Epopae müste eine
ganze Handlung seyn, die so gut vergnügen kan, als ei»
«ollständiges Werk der Natur , « und theilt selbst o die
Heldengedichte in pathetische und moralische ein ; in das
erste Fach rechnet er die Jlias und in das andere die
Odyssee , bcy welcher doch auch nach seiner Meinung die
Verwickelung das vornehmste ist. Die Odyssee schrieb
Homer , wenn man dem iongin trauen darf, in sei?
uem Alter und „ die grösten Genies , setzt dieser Kunst«
„ richter hinzu, wenn sich ihr Pathos erschöpft hat,
« verfallen endlich auf kalte Moral.

,, DK

» UN »zten Cap>,
« im 24ten ?ap.
L risft i^jU« -S-'. Homer, sagt ?ongm, zeigt itt sein«
Odyssee , daß auch die größte Genies im Aller abnehmen
und sich mit kalten Erzählungen belustigen. Man kan ouS
vielen Gründen darthun , daß er die Odyssee nach der Zli«
de gemacht hat ; cinmahl, weil sie Folgen aus den Begeöei»
Herten in der Jliade enthält und zweitens , weil der Dich«
«er fast alle Zufälle, die in der Jliade geschildert worden,
iw'der Odyssee als bekannt voraussetzt. Daher kommt es,
>«si die Jliade, die in der besten Hitze des Genies verfem
«igt worden, voll von dramatischen Scenen und Vorfall
lem ist, da hingegen in der Odyssee Vornehmlich die eregem«
«ifche Methode herrscht, welche sich mehr für das Alter
schickt. Ich führe dies an , fährt Longin fort , um zu b«
weise», wie leicht selbst die größten Genies wieder in ihre
Kindheit zurückfallen köimen und das alsdann ihr voriger
Pathos in trockne Moral übergehet.
und Erdichtung. «5

„ Die Handlung , welche der Gegenstand einer F«


,, bel ist , mus ganz seyn und eine Größe haben. —
— — .. Ganz ist sie , wenn sie Anfang , Mittel
„ und Ende hak. Der Anfang ist das, was nicht
„ nothwendig etwas anders voraussetzt, wodurch aber
„ etwas anders bestimmt wird, oder bestimmt werden
„ kan. Das Ende ist das , was ans dem vorhergehen«
„ den fließt und nicht nothwendig etwas anders nach
,, sich ziehet. Das Mittel ist eine Folge des Anfangs
„ und der Grund vom Ende. In einer regelmäßigen
„ Fabeldichtung 'ist also weder der Anfang , noch das
,, Ende willkührlich , sondern der Dichter MUS das eine
„ nach dem andern bestimmen. „ L
Aus dieser Grundregel fließen zween Punkte, die
bey einer jeden Fabel zu erwögen sind, ihr Maas und
ihre Einheit. Eine einzelne Begebenheil ohne alle Ab,
ünderungen, wo Anfang, Mittel und Ende in einen
Punkte zusammenfließen, hat dasjenige Maas nicht,
was 'zu einer Fabel erfordert wird. Auf der andern
Seite ist eine allzu lange nnd> allzu verwickelte Reihe der
Begebenheiten auch fehlerhaft, weil sie nicht in einer
Phantasie kan gedacht werden. „ Die eigentliche iänge
„ einer Fabel kan im allgemeinen nicht bestimmt wer,
„ den. Die gröste Ausdehnung, die gröste Berwicke«
» lung ist immer die fchönste, so lange man noch im
« Stande ist, sie sinnlich mit einem Blicke zuMerse,
»hen.„ ?
Die Einheit , 5 ist diejenige Eigenschaft der Fabel,
ver,
z im ?ten Cap. der Poetik. Ich lege nicht ohne Tmnd das
der Fabel überhaupt bey , was der Philosoph insbesondere
von der tragischen Fabel behauptet.
x im ?ten Cap.
« im 8te„ E«p. Ich nehme hin Gelegenheit, etwas von der
, O 4 Ei«
»i6 Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit

vermöge deren sie für sich ein Ganzes ausmacht, weil


kein nochwendiger Thcil fehlt, kein überflüßiger vorhan,
den ist und alle in einem Endzwecke, in einem Mittel,
punkte zusammenfließen. Natürlicher Weise beruhigt
sich

Einheit eines schönen Produkts überhaupt zusagen, weil


diese Materie im allgemeinen für ein eigenes Capitel zu uns
fruchtbar ist. Soll ein schönes Produkt die Tugend der
Einheit haben , so mus ein einziger Zweck vorhanden seyn,
in welchem alleTheilezusammenflicßen,undalleTheilcdesPro!
duktS müssen vermittelst dieses em ugen Zweü » selbst unke,reim
««der verbunden seyn. Jenes köine m«» die Elttheik des
SweckS und dieses die Einheit der Theile nennen. Der
Zweck, oder Mittelpunkt des Produkts ist entweder einfach,
oder zusammengesetzt. Folglich ist die Einheit des Zwecks
entweder eine einfache, oder zusammengesetzte. Soll diese
erhalten werden, so müssen die mchrern Zwecke in einem
HauptZwecke unzertrennlich verbunden scyn. Wenn ein
sinnliches Produkt ganz ohne Mittelpunkt ist, so können
auch die Theile desselben nicht in einem Zwecke zusammen«
fliegen. Der erste Fehler also wider die Einheit bestehet
darinnen , daß man aus vielen sinnlichen Vorstellungen Ei»
Ganzes macht, ohne daben einen gemeinschaftlichen Zweck
zu haben. Wenn ein Produkt mehrere Zwecke zugleich bei
fördern soll, so sind diese entweder mit einander verbunden,
Yder nicht. Im ersten Falle machen sie einen einzigen Zweck
aus und aus dem letztern entstehet der zrveete Dehler wis
der die Einheit. Bey der Einheit der Theile findet der lins
terschied unter einer einfachen und zusammengesetzten Eins
heit nicht statt, weil ei» jedes Produkt alleinahl aus mehi
ttren Theile» bestehen Mus. Hingegen ist diese Einheit
entweder unbedingt, oder bedingt, nachdem gewisse Theile
entweder gar nicht, «der nicht ohne Nachcheil der Schön«
heit des Ganzen getrennet werden. Sind in einem Pro«
dukte Theile , die gar keinen Einffus auf den Mittelpunkt
haben ; so stehen diese auch' mit dem Ganzen in keiner
zweckmäßigen Verbindung und dies ist der dritte Hehler
wider die Einheit , Welchen man, die unnöthige Aus«
schweifmig neun«. Biese Met statt, wen« ein Theil
und Erdichtung.' «7

sich die Seele nicht eher, als am Ende einer Handlung


und dieses findet nicht eher statt, als biSein gewisser vor«
hergesehener Endzweck seine Würklichkeit erreicht hat.
Ben physischen Begebenheiten ist ein beständiger Fortgang
und memahlö ein völliger BeruhigungsPunkt, weit em
jedes Glied immer eine nene Reihe anfängt, immer wieder
ein folgendes bestimmt. Ben denenjenigen Handlungen,
in welche sich Willkühr und Freyheit mischet , sinden wir
das Gegentheil. „ Der Mensch, sagt Home, ? handelt
nnt Ueberlegung , mit Wahl , mit Willen ; er handelt
in Absicht auf irgend einen Endzweck, die Ehre, zum
Exempel , oder Reichthum , oder Eroberung , das Glück
anderer , oder seines Vaterlandes zu befördern ; und er
wählt Mittel, und macht sich Plane , den vorgesetzten
Endzweck zu erhalten. Hier erkennt man ein Ende,
oder eine HauptBegebenheit , die mit andern untergeord
neten Begebenheiten, oder Vorfallen, durch die Ver,
haltniß von Würkung und Ursache verbunden ist. Wenn
wir eine Reihe von untergeordneten Begebenheiten über
laufen , so können wir bey keiner derselben still stehen,
O 5 weil

des Ganze» gar keine» schönen Zweck, oder 'einen ander»


hat , der mit dem HauptZwecke nicht verbunden ist. Die
Übereinstimmung der Theile in dem schönen Produkte muS
serner sinnlich können gedacht werden. Verletzet man die
se Regel, so, d«ß m«n die Linien, welche in einem Mitt
' , telpunkte zusammenfließen sollen , nicht sinnlich übersehen
kan , so begehet man den vierten Sehler wider die Eins
heit. Der fünfte bestehet darinnen , wenn man schon sinns
lich in der Folge und Verknüpfung der Theile eine Lücke,
eine Interruption wahrnehmen kan , welche entweder die
Würksamkeit der Theile, oder ihre Existenz der. Zeit und
dem Orte nach betritt. Endlich erfordert die Einheit, daß
man nicht heterogene Gedanken in einem Ganzen verbindet.
Der sechste Sehler bestehet also darinnen , daß man G«
danken von widriger Art in einem Punkte vereiniget,
,TH. III. S. Zl5. 5
AlF Wahrheit, Wahrscheinlichkeit
. ^s»
«veil sie uns blos als Mittel erscheinen, die zu einem ge,
wissen Endzwecke führen : aber wir verweilen mit Ver«
gnügen Key der HauptBegebenheir, weil da die Absicht,
Her Plan , das Ziel der handelnden Personen erfüllt und
zu einem endlichen Schlüsse gebracht ist. Dieses zeigt
«ns den Anfang , das Mittel und das Ende, was Ari<
stoteles zu einer vollständigen Handlung erfordert. Die
Geschichte fängt natürlich an mit der Beschreibung der,
ßenigen Umstände , welche die HauptPerson bewegen,
sich einen Plan zu machen', um eine gewisse gesuchte Be
gebenheit hervorzubringen ; die Ausführung des Plans
imd die Hindernisse , die sich ihr entgegen setzen , ziehen
den teser in die Hitze der Handlung ; das Mittel ist ei«
gentlich, wo die Handlung am meisten verwickelt wird,
und das Ende , wo die gesuchte Begebenheit hervorge«
bracht und der Plan ausgeführt ist. ; „
Die Einheit der Handlung wird nicht durch die
Einheit der Person , sondern des Endzwecks bestimmt.
Denn, sagt Aristoteles, « wie sich überhaupt viele Be
gebenheiten zutragen , die doch nicht Eins ausmachen ;
so bringt auch oft Eine Perfon mehrere Handlungen her
vor, die nicht Eins sind, weil sie verschiedene Zwecke
haben , da hingegen oft die Handlungen mehrerer Perso»
uen durch die Einheit der Absicht Eins werden. Die
HauptSache ist, daß die Theile der ganzen Begebenheit
so verknüpft und verwickelt werden, fo in einem Mittel-
Punkte übereinstinunen, daß durch Veränderung, oder
Auslassung eines Theils das Ganze nicht mehr das vo<
rige bleibet , oder gar vernichtet wird. Sobald in der
Verknüpfung der ZwischenBegebenheiten eine Inter
ruption ist, indem sie weder nach der Wahrscheinlichkeit,
'!«ch nach der NothwendigKit auf einander folgen, so
entstehen episodische Fabeln ; v ein Fehler , den der
Stünu
« im uten Cap.
r im Ate» Cap,
und Erdichtung:

Stümper aus Mangel der Kunst begeht und der gute


Dichter zuweilen mit Fleis begehen mus, weil er für ein
Publicum schreibet, welches oft, Befriedigung auf Un
kosten der Regeln verlanget. »

Was wir von der Einheit der Handlung gesagt ha«


be« , das giebt zugleich dem Künstler die vornehmsten
Ziegeln zur Entwerfung feines Plans. Bey diesem Ge
schäfte mus er sich die ganze Handlung in feiner Phanta-
sie als gegenwärtig vorstellen , sie so lebhaft sich abbil«
den, als wenn er selbst bey ihrer Vollendung ein Zu,
schauer gewesen wäre. Diefer Anblick wird ihm die an,
gemessensten Ideen darbieten und auch den kleinsten Fch?
ler bemerken lassen, den er etwa begehen könte. Man
lese über diese Materie den Batteur,^ Bossü, 2 D'Au«
bignac " und DuBoS. ö

Nach ber Entwerfung des Plans folgt die Einschob


<ung der Episoden, 5 die allemaht natürlich seyn müssen,
wie,
«, S. des AbtS «Z'äubign« ?r«t?qu« cku tk«tre, np.z, 4, z.
«»im i?tcn Cap. der Dichtkunst.
L> nach der Ausgabe dcs Herrn Namler in ganzen zweetett
Bande.

« am angeführten Orte,
ö Th. l. Cap. zi.
« im l?ten Cap. Man hat gestritten, ob Aristoteles' vo»
demjenigen rede, was die Neuern Episoden nennen. Der
Streit gehet mich wenig an, »dich gleich, wenn ich das
angeführte Capitek mit Aufmerksamkeit lese , geneigt bin,
die Frage bejahend zu beantworten. Aubignac verneint sie»
< im zteu Cap.) ich finde aber nicht, daß er, wie Hr. Cur.'
tius sagt, (m den Anmerkungen zu der Dichtkunst des ArK
sioteles S. 155.) den Fluch aus seine Gegner gelegt habe.
Man lese des Dacier über das ?te, ,2t« nud i?te Cap.
der Dichtkunst, welcher die Frage bejaht.
2!o Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

wie, zum Beyspiel, die Raserei) des Orestes und seine


Tefreyung. Episoden sind ZwischenBcgebcnheiten,
die mit der Haupchandllmg nur auf eine zufällige, und
entferntere Art verknüpft sind und erst durch die Willkühr
des Dichters in das Ganze eingewebet werden. Oder,
„ sie sind Begebenheiten , die zwar mit der Haupthand,
,, lung einigermassen verbunden sind, aber nichts bey,
„ tragen, die Handlung entweder zu befördern, oder zu
„ verhindern „ wie, zum Beyspiel, die Reife des
Aeneas durch die Hölle, Thersites in der Jliade, Abb«,
dona in dem Mcßias u. f. w. Damit die Epifode die
Einheit der Handlung und ihren Fortgang nicht zu sehr
unterbreche, fo mus sie durch Umstände veranlasset wer«
den; sie mus langer, oder kürzer feyn, nachdem sie mehr,
oder weniger mit der Handlung verknüpft ist ; ihr An«
fang und Ende mus durch einen ungezwungenen Uebers
gang in das Ganze eingewebet werden ; die eine Epifode
darf sich nicht auf eine andere beziehen ; sie mus in einen
Ort fallen , wo die Haupthandlung einen Stillstand
macht und mus endlich selbst den HauptTon des ganzen
Werks an sich haben. Der Endzweck des Vergnügens
erfordert überdies, daß sie lebhaft und intereßant fey ;
aber weniger intereßant, als die HauptSache , und , we
gen der Mannichfaltigkeit und Abwechselung , sich mit
Gegenständen beschäftige , die von den Vorhergehenden
und Nachfolgenden unterfchieden sind. Episoden , denen
diefe Eigenschaften fehlen , geben einen verworrenen
Plan, ein zertheiltes Interesse, eine allzugroß» Verwi
ckelung und werden oft auch dadurch verdrüßlich weil
sie uns in ein ermüdendes Detail hineinführen, e Auch
in solchen Kunstwerken , die selbst keine Fabeln sind , wie
zum Beyspiel, in dioactifchen Gedichten, können Epifo
de« statt sinden , welche aus der Verfchönerung der ein?
zelnea
<i Home, Th^ lll. S. zc>«.
e S. drn Battei,.r Th. II. S. zo. f. f.
und Erdichtung. 2«

zelnenTheile fließen. Dann ist die Episode eine geschick,


te Anwendung einer an sich angenehmen Materie, wel
che mit der Hauptmaterie keine Iwthweudige Verbin
dung, aber doch eine Verwandschaft hat,/ wie die Er«
Zählung des bürgerlichen Krieges, die Beschreibung der
Viehseuche , die Geschichte des Orpheus und der Euri«
dies, des AristauS in den Büchern des Virgils von der
tandwirchfchafr.

Ueberhaupt ist noch zu merken, daß eigentlich, eine


jede Figur, Gruppe und Schilderung, kurz ein jedes
Produkt der Kunst eine gewisse Einheit durch sich selbst
und durch seinen Gegenstand haben mus, welche es da,
durch erhält , wenn es , durch die Zusammenstimmung
oller seiner Theile in einem Mittelpunkte, für sich ein
Ganzes ausmacht. Bey natürlichen Dingen, die neben
einander sind, wird oft diese Einheit durch die bloße
Willkühr bestimmt, welche die Zwecke mehrerer Dinge
auf eine beliebige Art in Einem verknüpfet; wie z. B.
wenn wir die sichtbaren Werke der ländlichen Natur in
Einer tandschaft zusammenfassen, um sie mit Einem Bli-
cke zu übersehen.
Noch bemerke ich aus dem Aristoteles F den Unter
schied zwischen der Fabel und Geschichte. Der Ge
schichtschreiber erzählt , was geschehen ist ; der Dichter/
was geschehen könte, oder solte. Von jenem verlanget
man Wahrheit im eigentlichen Verstände, bey diesem ist
man mit dem Scheine der Wahrheit , mit der Wahrs
scheinlichkeit zufrieden. Diese mus überall , selbst in der
Tragödie beybehalten werden , wenn gleich Quintilian
der tragischen Fabel den Schein des Wahren abspricht. 6
Zu-
/ S. die kritischen Briefe des Herrn Dusch.
F im 9ken Cap.
i> k^srrstiouum trss secipimu, speci« Fsbulsm , izu,e ver>
tur
6« Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

Fmveilen kan selbst die Fabel im historischen Verstände


noch wahr seyn , wie die Esther von Racine und es ist
nicht nörhig , mit dem Plato , 5 die Unwahrheit zu einer
nochwendigkn Eigenschaft der Fabel zu machen. Denn
such württiche Begebenheiten können vollkommen sinn
lich seyn, ihre Einheit haben und nach der Wahrschein,
lichkeit und Nothwendigkeit erfolgen. Es giebt ferner
Begebenheiten, die in der HauptSache wahr sind, mir
hinzugedichteten Umständen , wie z. B, Addisons Cato,
der Tod Cäsars und die Belagerung von Calais des
Herrn von Belloy , verglichen mit der Erzählung Frois«
sardS. Bey andern ist die HauptSachc mit den Um
ständen erdichtet , nur die Namen sind aus der Historie
entlchnt, wie im Agathon des Herrn Wielandö, und
noch bey andern ist alles erdichtet, Namen, Handlung
und Umstände , wie in den meisten Romanen und iust?
spielen , selbst in verschiedenen Tragödien. Bey der letz
tem Gattung von Fabeln hat der. Künstler die meiste
Freyheit ; Geschichte und Tradition legen ihm keine»
Zwang auf, er selbst kan seine Personen, Charaktere und
«Handlungen erdichten, wie er will. 6

'.. Die

Hur m tr«!aeäns «ttque c«rm>,iik»» non s verit,te mocl«, le<i


etism s form» verituti» rematüm : Argumentum, P«x! 6>I»
tum, leä vern limile eomoenise Kngunt Kittoxi«m, in <zu»
«t gest« rei «rpoilti«^ luttit. Lib. !k> csk>. tV. p.«». 95.

v S. vorher ^.'212..
Wnm «s gleich der HeU. LactankiuS verbietek. Z<ekciun«
Komin«, s,igt dieser KirchenVatcr, qui ilt poeticse licen»
<i»e mociu5, c>n«lis<z,,e vrogreäi migen,Ic> licest: «znum otö»
«um poetse in en iik, vt e», czuse vere gestg sunt , in »Ii«
H?e«e5 obliquis TZguritionibu! cum kiecore »lic^uo co«u»tL
triclncslt. 'I'otiim »utem , l^uoci rekeruz, lingere, icl eit
»ne^um esse ineacI»cemL«ljus ^ualb ^>ost»k», öliuin, l«Ml«
!.ib. I. «^>. Ii,
„ Die Fabeln werden in einfache und zusammenge«
setzte getheilet, nachdem die Handlung die sie darstel«
len, entweder einfach, oder zusammengesetzt ist. Ei,
» ne einfache Handlung, wird diejenige geyennet,
„ welche ohne Knoken , Peripetie und Catastrophe ist ;
« eine zusammengesetzte aber , welche aus Knoten
,, und Peripetie bestehet, die nach der Wahrscheinlich,
„ keit, oder nach der Rothwendigkeit verbunden sind. /
„ Die Peripetie ist eine Veränderung der vorigen Schick?
„ fale, die nach der Wahrscheinlichkeit/ oder Nothwen-
« digkeit erfolget, wohin insbesonder die ÄZiedererkenB
„ nung gehöret. M Der Anoten ist das ganze Stück
„ der /Säbel vom Anfange bis an die Peripetie. Die
„ Catastrophe, oder Auflösung gehet vom Anfange
„ der Peripetie bis an das Ende der Fabel. » Die
„ Auflösung mus aus der Fabel selbst erfolgen , und)
„ nicht durch herbeygerufne Maschinen, wie in derMeB
„ de« , oder in der Jlias bey der Rückkehr der GrieB
>, chen. „ o

Baumgarten /? und Meier ^ verwirren zwey Din.'


ge mit einander, die wohl 'zu unterscheiden sind, den
Knoten und die Peripetie , und nennen beyde die Glücks«
önde-

/ im loten C«P> der Poetik.


« im l iten C«p.
» im >8ten C«P.
« im izten Cop. » ,
L A>ettK. I. L. 5Z5. ln ksbuli, iniign!« eommut,tio mteUeltstis
in seli«t»tem »o<^«/ elt . ( 7re^<?r5?-«« ) ^nem ou,e conti»
nent, sunt eas 5,Ku>!»e implieitne.
z AeNK. I. F. i io. Eine große Verwandelmig der Glückst
ligkeit in eine Unglückseligkeit, oder umgekehrt, einer Uitt
glückseligkeit in eine Glückseligkeit nennt man eii»n Ans«
«n (u»llu,, cststtro^>Ke, 775^«?-««.) ,
2^4 Wahrheit / Wahrscheinlichkeit.

önderung. Die Peripetie ist nach dem Aristoteles eine


fthr abstechende Veränderung der vorigen Schicksale und
heißt , wiefern sie in Beziehung auf die vorige iage der
Sachen betrachtet wird , Camstrophe. Der knoten
aber bestehet aus dem Zusammenflusse dererjenigen Um,
stände , die vor der Peripetie vorhergehen und wodurch
diese wahrscheinlich, oder nothwendig gemacht wird; aus
dein Inbegriffe aller Hindernisse und Zufälle, welche dem
erwünschten , oder gefürchteten Ende der Handlung wi,
verstehen. Oder der Knoten ist eine Verwickelung von
Begebenheiten und Situationen welche das Herz durch
eine empfindliche Ungewißheit in Ansehung des Ausgangs
inlcreßirer. Er kan aus vielen Theilen und Umständen
bestehen , welche aber alle auf einen Punkt abzielen und
dadurch Einen Knoten ausmachen. „ Es giebt , sagt
Batteux, ^ in einem Gedichte einen Hauptknoten und
untergeordnete Knoten. Jener mus ein einziger seyn,
die andern werden nach Nolhdurst und Wahrscheinlich,
seit vermehret. Der Hauptknoten der Aeneide ist der
Zorn der Juno, die sich der Niederlassung Aeneens in
Italien widersetzet. Die untergeordneten Knoten sind
die Würkungen dieses Zorns: ein Sturm, der den Ae«
neas weit von Italien verschlüget ; die Ucbe der Dido
und die Tapferkeit des Turnus. Diese drey Knoten sind
einem höhern untergeordnet , welcher sie dergestalt um,
faßt, daß sie vielmehr drey Zweige eines einzigen Kno,
tens, als drey verschiedene Knoten sind.,, Alle Bcge-
benheiten des Knotens müssen auf gewisse Art vorbercis
tet werden ; im Anfange der Fabel fängt sich auch die
Verwirrung an, sie nimmt stufenweise zu, bis sie auf
den höchsten Punkt getrieben wird und dann ist die Zeit
der Auflösung da. Diese darf nicht gewaltsam seyn,
durch eine Zerhauung des Knotens ; sondern dieser selbst

r Th. ll. S. 4«'


und Erdichtung. 225

«nns schon die Vorbereitung zur Peripetie enthalten, die


sich hernach in der Catastrophe nur vollends entwickelt.

Besteht eine Fabel aus mehrern Begebenheiten,


deren jede in gewisser Beziehung als ein Ganzes kan
betrachtet werde» , so ist sie zusammengesetzt ; wo
nicht , so ist sie einfach. Duse Erklärungen scheinen
mir bequemer und den aristotelischen gemüser zu siyn,
als die Begriffe des Herrn ießings./ Mehrere Bege,
benheiren machen nur durch ihre Verbindung eine einzige
aus. Ist diese Verbindung so gleichförmig, daß wir im?
wer aus dem Vorhergehenden das Folgende völlig er«
warten können, so werden wir durch die ganze Fabel we»
der gerühret, noch unterhalten. Die Verknüpfung mu<
daher so eingerichtet werden, daß wir in Ansehung des
Ausgangs ungewis bleiben , bis wir an das Ende der
Handlung gelangen, und folglich gehört zu einer jeden
zusammengesetzten Fabel Einheit, Knoten und Peripetie.
Selbst ein Knoten , der allzu gewöhnlich ist, schwächt
schon unsere Aufmerksamkeit, weil wir aus demselben
das Ende der Begebenheit, zu früh vermuthen, welches
wir täglich bey iesung der gewöhnlichen Romanen und
Comödien empfinden können. In einer jeden zusam
mengesetzten Fabel sind also drey Stücke zn unterschei,
den, ö«s-,c, die Anlage, oder Knüpfung des Knotens;
^5vaS«s-«L, der Uebergang, oder der Ort, wo die Pen«
vetie sich anfängt; und /vs-«, die Auflösung, oder die
würkliche Peripetie. Daß die letztere , besonders im
Trauerspiele schöner sey, wenn sie unglücklich ist, behaup-
tet
, in der ersten Abs), bey seinen Fabeln. „ Einfache Fabeln
„ sind solche, die bey der allgemeinen Wahrheit die sie ein?
„ prägen sollen , stehen bleiben : zusammengesetzte sind sol-
„ che, die ihre allgemeine Wahrheit auf einen würkllch
„ geschehenen, »der doch als würklich geschehen, ongenom'
« menen Fall , weiter anwenden.
22.6 Wahrheit, Wahrscheinlichkeit

tet Aristoteles, k wenn sich gleich solche Punkte, im all


gemeinen betrachtet, schwerlich erörtern lassen. Ich se
tze in die Note noch einige Begriffe, die mir nicht wich«
tig genug scheine», um ausführlicher erkläret zu wer,
den. «

Das ganze System aller Erdichtungen , die jemahls


sind gemacht worden, ist die N?^rholoFic , oder, so
man will ,, die poetische Welt. Ich rechne hierher die
ganze Chronike des heidnischen Himmels , man nenne
ihn Olympus, oder Valholl , Jupiter, oder Odin und
Thor mögen seine Monarchen seyn; alle Erdichtnn»
gen , welche Millen und Klopstock aus dem christlichen
ReligionsSystem geschöpft und in ihre Werke eingewe,
ber haben ; alle symbolische Wesen, die von den Kunst,
lern mit persönlichen Eigenschaften begabt worden / von
der Zwietracht des Homers an bis zu der Fama des
Buttler ; alle Gnomen , Sylphen , Salamander , Pu<
derGötter, Zauberer und die ganze Feerey aus dem Mon»
crif und Pope; und endlich alle diejenigen Wesen , die nur
noch in der Tradition wörtlich sind, und gebraucht wer,
den , Kinder einzuschläfern und Wöchnerinnen aufzuwe,
cken, von den weissen Frauen an bis auf den Engel in
den begeisterten Mägden zu Kemberg. Diefe Poetische
Welt hat zwo Regionen eine wahrscheinliche nnd eine
unwahrscheinliche. Etwas, was sonst unwahrscheinlich

r im izten Cnp.
« Das Subjekt der Fabel ist entwirr ein vernünftiges, ober
ein unvernünftiges Wesen , oder sie betrist beyde zugleich.
Das erste ist eine vernünftige, das zweite eine gesittete
und das dritte eine vermischte Fabel. Die vernünftige
Fabel fasset entweder eine erhabene und heroische Handlung,
oder eine Folge von verliebten und galante» Berwickeluns
gen, oder endiich ein Beispiel zu einer theologischen Lehre.
Das erste ist eine heroische Label, das zweyte eine M«
lefische Fabel, und o«s dritte eine Parabel.
il'nb Erdichtung! 217

ist , kan oft durch Tradition und Verjährung wahrscheint


lich werden. Eine Erdichtung ist widcr die Analst
gie, v wenn sie der bekannten Mythologie widerspricht;
fiimmt sie mit dieser überein, so ist sie «nalogisth. w
Eine Erdichtung , die der bekannten Mythologie nicht
widerspricht , ohne deswegen mit ihr übereinzustimmen/
kan als eine nen eroberte Provinz, oder als eine neu ent-
deckte Welt betrachtet werden. So waren Milcon,^
Swifts und Pope 2 entweder Eroberer, wie Alexander,
«der Erfinder, wie ColumbuS. Selbst in den Vorur
teilen des Pöbels sind Dinge enthalten , die durch eine
kluge Auswahl und Bearbeitung nützlich werden und unr
serer ganzen Poesie ein originelles und eigenthümliches
Ansehen geben könten, welches ihr bis jetzt «och fehlet.

» lv« i?iele in den! Dithyramben des Herrn Willomovius»


wie die meisten in den Oden des Herrn RamlerS «nd dt»
Tändeleyen des Herrn von Gerstenberz,
«r im verldhrnen Paradiese.
in den Reisen Gullivers,
« im Lsckenrauöe.

1
XIII.

Licht/ Schütten und Colorit.

ie Gegenstände der sichtbaren Namr sind nur


dann auf eine angenehme Art sinnlich, wenn sie
in einer solchen Mischung von ticht und Schal?
ten erblickt werden , die der Receptwilät oeS Auges ge,
mäs ist. Zuviel iicht blendet und das Vergnügen aus
dem Anblick Heller Farben wird nach einer richtigen Bc,
merkung des Maximus Tyriuss sehr vermindert, wenn
sie nicht in den Contrast mit dunklern gesetzt sind. Pli,
nius hat es schon dem Apelles als ein großes Verdienst
angerechnet, daß er die Kunst verstand , seinen Bildern
einen so hervorstechenden und zugleich so gemäßigten
Glan; zu geben , wodurch sie das Äuge füllten , ohne es
durch eine allzugroße Klarheit zu verletzen. ^

Auf der andern Seite ist der ganzliche Mangel des


KchtS, die Finsterniß, noch unangenehmer, weil sie das
Auge völlig verschließt und die sichtbaren Gegenstände der
Empfindung 'entziehet. Ohne eine Mischung von licht
kan nichts anschauend gedacht werden, c nichts angeneh,
me
« Vits. XXXV. 'Och9-«?^s/? cd/Xsv, ^tkv ^«^«T-wv

i Lid. XXXV. n»t. KM. «p. X. p. m. 58?., leq. Vniim im!»


tsri nemo ostuit, «zuo<l ^Kkolut« »per» »trs»nento ilünebst
its tenui , vt i<I iptum repercustu el„itstes eolorum exci»
turet, custacliretkjue » pulvere el lorijibu» , »kl mumm in,
tuenri äemum »pr,«reret. 8etl et tum «tiooe mzgn, , ns
eolorum clarirs» «culorum sciem «Kencleret, veluii per lsp!»
<leni speculorem mtuentibu» e lonßiniz'.i« : et «dem re» ol»
n>« klsriilis eoloribus ,usterit»tem «cculte clsret,
« 8i»e mizilur» lueis nikil ^>ieuc1l6um est. 8enee« epist. z r.
Licht/ Schatten und Colorit. 229

me Bewegungen hervorbringen. Selbst ben Gegen,


ständen, die durch ihre Dunkelheit erhaben werden,^
ist noch immer em gewisser Grad der Erleuchtung nöthig,
wodurch die Dunkelheit sinnlich und abstechend wird.
Ein ganz verdunkeltes Objekt wird nicht empfunden, weil
alle Empfindungen vermittelst des Uchtes geschehen mus.

Man bemerkt ferner , daß unter vielen iichtern im,


wer das eine durch das andere verdunkelt wird und dem
Auge in einem geringer« Hilaitze erscheint , als es ersehet»
nen würde, wenn wir es allein erblickten. So ist es
zum Beyspiel , in der Mahlerey eine Hauptregel , daß
man nicht in einen einzigen Gemählde zwei) entgegcnge-
setzte dichter mache , welches für den Künstler beschwer?
lich und für den betrachtenden Liebhaber höchst unange
nehm seyn würden, e Das Auge wird durch Stralen,
die aus verschiedenen Quellen entspringen, zerstreuet, und
in diesem Falle kan sich die Empfindung nickt in einem
Punkte versammeln, oder concentriren, welches allemahl
verorüßlich ist.
Wir wollen es versuchen , Beobachtung in Theorie
zu verwandeln und die Empfindungen in der Natur für
die Kunst brauchbar zu machen. Wie in der Natur im,
mer Kchl und Schatten zusammen sind , so auch in der
Kunst. Wenn ohnehin jede Empfindung ein Ganzes ist,
aus Ücht und Finsternis zusammengesetzt , / wenn über
haupt die Schönheit in einer Mischung von Klarheit
und von Dunkelheit bestehet und selbst das dunkele Ge«
P Z fühl
<i S. oben S. 4z.
, S. die vierte Tabelle des Herrn Testilin über die Mahle«
und Zeichenkunst.
/ T- in den vermischten Beyträgen zur Philosophie und den
schönen Wissenschaften (Breßlau 1762) de» Wers.ich über
die Empfindungen, und die LitteraturBriefe Tl), XXII.
S. 6«.
2,s Licht, Schatten und Colorit.'

fühl unsere Glückseligkeit befördert F ; so wird der Artist


sich gewiö von den allgemeinen Gesetzen der Menschheit
nicht ausschließen und unter das iebhaftein seinen Wer,
ken immer denjenigen Schatten mischen , welcher nörhig
ist , wenn jenes soll empfunden und mit Vergnügen em,
pfunden werden. Was das Helle für das Gesicht ist , das
ist die Klarheit für die Seele, nämlich das Mittel,
wodurch eine anschauende, sinnliche Erkänntnis der Ge«
genstände gewürket wird. Finsternis ist Mangel der
Klacheit ; Klarheit in einem hohen Grade ist Lebbaf-
tigkeit, und diese ist jedem Werke der Kunst nöthig,
solre es auch nur wegen der Täuschung seyn, die ohne
Lebhaftigkeit der Ideen nicht erfolgen kan.
Die Illusion erfordert es , daß der Gegenstand in
«wer solchen Idee gedacht wird, wo wir nicht glauben,
die Nachahmung, sondern das Original selbst zu sehen.
Das Original ist immer schon durch sich selbst lebhafter
und angenehmer , als die Nachahmung. Wenn ich die
«eschnittenen Steine des Stoschischcn CabinetS in den
Picartischen Stichen betrachte, so wünsche ich wenig,
siens' die Pasten zu sehen ; wenn ich diese gesehen , so
wünsche ich das Original , und dann möchte ich noch im
mer den MäcsnaS, deuSocrateS, den Achilles, den Dio?
«nedes selbst sehen. Nur wenn die Abschilderung sehr
lebhaft ist, dann wird uns durch dieselbe der Gegenstand
gleichsam in der Nähe gezeigek und nur dann kan uns
die Nachahnmng eben das zu empfinden geben , was wir
sm Originale selbst würden empfunden haben. Je
dunkler etwas ist, desto mehr scheint cs entfernt zu seyn,
und je weniger etwas von un« entfernt ist, desto lebhaf,
<er sind die Ideen, welche es erreget. Setzet in Eine
iinie einen schwarzen und einen weißen Gegenstand ; beo
trachtet beyde von fern: so wird der weiße, weil er imhr
ticht
5 S. de» Tten und zten Brief über die Empfindungen.
Licht/ Schatten und Colorit. 2)1

iicht hat, euch näher und der schwarze entfernter schei


nen. ^ Eben das ist die Ursache, weswegen man in
der Mahlercy demjenigen Objekte den meisten Schatten
giebt , welches am tiefsten liegt , und demjenigen das mei«
sie iicht, welches unter allen am meisten hervorragt,
^aßt uns daraus schließen, daß die Lebhaftigkeit das vors
nehmste Mittet ist, die Gegenstände unserer Vorstellung
naher zu bringen und eben dadurch die Illusion, oder
mentale Gegenwart zu befördern. ?

Wenn die Lebhaftigkeit in den Künsten die Stelle


des Vichts vertritt, so kan sie vielleicht, wenn sie über
trieben wird , eben die Würkung haben , die ein allzu?
starkes ticht in der Natur hervorbringt. Zuviel iichr
blendet und allzuviel Lebhaftigkeit blendet nicht minder.
Die Kunst erfordert also eine gewisse Temperatur des
tichtS durch den Schatten , eine Ausbildung des Plans
durch verschiedene eontrastirende Modisicationen der ieb?
haftigkeit und das ist es , was unsere Aesthetiker die
kluge Ausch eilung des Lichts und des Schattens
genennt haben. 6
Die Farben in der Natur sind eigentlich die besons
dern Eigenschaften und Abänderungen des UchtZ, und
dieses ist das Vehikel , unter welchem wir jene empfin
den. In den Künsten sind die Farben die individuellen
sinnlichen Züge und Ausbildungen, wodurch das Objkk:
einen gewissen Grad der Lebhaftigkeit erhält, und diese,
zusammen genommen mit Ucht und Schatten, mit ihren
kleinen Nuancen und Abstechungen machen das Colsric
P 4 eines

ö Is. <?r,mm«ticu, In ^riKot. l^ib. I> Kleteorolsß:


i ^«cp«,?, sagt Plutarch, (<1e p««t. sull.) «w^x««»

^ S. den Meier, Th. !. 12z.


tz? Licht, Schatten und Colorit.
, ,<
eines schönen Produkts aus. / Was die Conrrarie,
tat der Farben in der Natt« und in der Mahlerey ist,
das ist die Abstechung der einzelnen Züge in den schöne»
Künsten überhaupt. Entgegengesetzte Farben erleuchten
einander, m wie zum Benspiel, gelb und blau, grün
und roch ; und unter eontrastirenden Zügen würkl immer
der eine, um die !ebhaftigkeit des andern zu erhöhen.
Wir wollen aus allem kiesen uns einige allgemeine
Regeln sammle,,, die im folgenden Theile durch ihre An,
Wendung auf die verschiedenen schönen Künste brauchbar
werden.
Ein jedes Werk der Knnst muß, im Ganzen be
trachtet, denjenigen Grad der iebhaftigkeil haben, wel«
cher der Größe und Wichtigkeit feiner Gegenstände ge«
>näs ist. Ein sehr erhabnes Objekt ist durch sich selbst
schon lebhaft genug und bedarf keines binzu gekünstelten
ColoritS, wenn nur der Artist die Geschicklichkeit hat,
es von derjenigen Seite zu zeigen , wo es würklich erhaben
ist. Es giebt hohe , sanfte , modeste und niedrige Far
ben, die immer nach dem Range der Gegenstände zu
vertheilen sind. Die Uebertretbung des Colorits ist nie
unangenehmer, als in Werken, die genaue Nachahmun«
gen der N^tur feyn sollen, zum Beyspiel, im Nacken
den und in der Carnation, wo allzu rechliche, glänzende
und glüende Farben der Schönheit und Wahrheit völlig
entgegen sind.
Alle Stellungen , Züge , Handlungen und Gegen,
stände, die der Schönheit und dem Zwecke des Ganzen
widersprechen , müssen auf das sorgfältigste verdunkelt
werden. Hierher gehören alle unanständige, ärgerliche,
eckel-

/ S. den Batteux «on Schlegel S. 21,.


« S. den Teftilin am angesühnen Orte in der sechsten Tm
belle.
Licht/ Schatten und Colorit.

eckelhafte und niederträchtige Vorstellungen , alles, was


die Würde, oder den Reiz des Ganzen vermindern wür,
de. So mahlte Apelleö den Anligonus nur von der einen
Seite und verbarg die andere und mit ihr den Fehler
seines Urbilds. » Die Abbildungen von Sterbenden,
die dieser Künstler verfertigte, waren durchaus edel, weil
er Artist genug war, das Eckelhafte und Haßliche zu un,
lerdrücken, was sich bey der Annäherung des Todes zu
äussern pfleget. In einem Ganzen , was feinem Zwecke
nach einen freudigen Ton haben soll, müssen alle trauri
ge und unangenehme Vorstellungen beschattet und ent
fernt werden ; « wie überhaupt bey der Erregung eines
Affekts alles dasjenige zu verdunkeln ist, was entgegen
gesetzte Würkungen hervorbringen könne.
Der Hauptzweck , 4er Mittelpunkt des Wanzen
strahlt im stärksten Uchte und von ihm müssen selbst die
andern Theile das ihrige empfangen. ., Wenn der Möh
ler, sagt Shaftesbury , seiner HauptFigur ein ge-
Wistes lebhaftes und glänzendes Colorit giebt, so müssen
die übrigen nothwendig nach gehöriger Verhältnis daran
Theil nehmen. Wenn er im Gegentheil derHauptFi-
gur ein sanfteres Wesen und ein maßigeres und einfache
res Colorit giebet , so mus das übrige einen gleichen Cha
rakter
» ?lin. Nüt.lM. I.iK. XXXV. IS. p. m. 58Z. k>in«>t et
^ntißoni rezis iuußinem, slter« iuniine orbsm, primii,
«xe«5>iti>t» rsliune vitü conliencli : obliquen nsmque tecit,
vt , <z««<I eorpori «leerit , piÄurns potiu, Restle victeretur :
t«ntumczue e,m p»r»m e 5«cie ottenljit , ^u»m totsin pote»

« , sagt Plutarch <H«<F^« »«<' x«j«7rL«

««« ms^eiv.
z> Ueber das GemähldevomUrtheil des Herkules. S. die Bibl»
der sch. W. B. U. S. z z. f. f.
P 5
2Z4 Licht, Schatten und Colorii.

rakter haben und mit ausserordentlicher Simplicität er


scheinen, damit man deutlich sehe!, könne, daß eben der»
selbe Geist durch das ganze Werk regiere. Die histori«
sche Zeichnung vom Herkules wird ein deutlich Beyspiek
davon abgeben können. Der Held muß hier ernsthaft
und nachdenkend auesehen : er ist nackend und hat keine
Bedeckung , als die Löwenhaut , welche selbst von einer
falben und finftern Farbe ist ; folglich kan der Mahler
seine HauptFigur mit keinem ausserordentlichen Glänze
«der Lebhaftigkeit Vörstetten. Hieraus erhellet , daß der
Mahler zu den Nebenfiguren und den übrigen geringem
Theilen des Werks nochwendig solche ruhige und sanfte
Farben wählen muß, welche dem ganzen Stücke einen wohl«
übereinstimmenden Charakter von Feyerlichkeir und von
Simplicität geben können. Wolle nun der Mahler blind/
lings der Geschichte folgen , welche uns die Tugend i»
kinem hellscheinenden Gewände von der glänzendsten
Weiße vorstellet, so ist es offenbar, daß er selbst sein
Stück zerstören würde. „ Man wird diese Regel unter
den Dichtern fast nirgends genauer , als im Homer,
beobachtet finden. Achill glänzt durch die ganze Jliade
im hellsten Uchte. Er besitzt die Stärke des Ajax, die
Tapferkeit des Diomedes , den Much Ulyssens. Die
übrigen Charaktere, so glänzend sie sind, sind gegen ihn
nur ein Scharten. ^ Hector scheint nur da zu seyn,
«m den Charakter des Achilles zu erhöhen. Agamein«
non, Ulyszes, Ajar, Diomedes, Nestor, MenelauS,
alle sind gros ; aber Achilles ist grösser, als sie alle.
Je wichtiger ein Theil an sich und je grösser sein
Emflus auf den Mittelpunkt ist, desto mehr muS er glän
zen /desto Heller ausgemahlt werden. Hector solte in
di-r Jlizde der Gegner des Achilles seyn. Da man ins-
genuiu die Größe des Siegers nach der Größe deö lieber-
WUNB
? S. de» Vatteux «sn Ramler B. II. S. 755.
Licht/ Schatten und Colorit. 5y

wundenen schätzet ; so muste der Charakter des Hectors


nach dem Charakter des Achilles die meiste Lebhaftigkeit
bekommen. Und er hat sie auch in einem so hohen
Grabe, daß, wenn Achilles nicht wäre, er uns am mei?
sien einnehmen würde ; ? in einem so hohen Grade , duß
wir ihn bemitleiden , weil er bestimmt ist , !der Gcqen-
thcil eines Helden zu seyn , von welchem er nothwendig
nmste überwunden werden.
Ein unwichtiger Theil erhält weniger iicht und wird
an einen Ort gestellt, wo man ihn weniger bemerkt, als
diejenigen Theile, welche mehr in den Mittelpunkt ein
fließen. In einem Gemählde giebt es Winkel, und in
einem Gedichte ruhige Stellen , wo dergleichen Gegen-
stünde Platz finden können. So scheinet Thcrsites un
ter die übrigen griechischen Helden gleichsam nur hinge/
warfen zu seyn ; ^ Ulysses berührt ihn mit seinem mächtig
gen Scepter, und er verschwindet. So ist auf einem
geschnittenen Steine vom PamphiluS das Schild mit
dem MedusenHaupte zu den Füsten des Achilles gestellt,
und doch noch erleuchtet ; der Helm liegt mehr im dun,
keln und der gröste Schatten fallt auf den Fels , an wel
chen er sich zu lehnen scheinet. 5
Die Dunkelheit eines Gegenstandes wüchset mit der
Entfernung , w welcher er vorgestellt wird. A'. s dieser
Regel hat ein scharfsinniger Beobachter den wichtigen
Grundsatz, für das Helldunkle hergeleitet : ,, Die aller«
„ stärksten Schatten im dunkeln sollen nicht auf den Vor-
,> dergrund des GemähldcS fallen ; im Gegentheil sollen
„ die Schatten , die auf Kiefen ersten Grund liegen , zart
„ und gebrochen seyn , die stärksten und schwärzesten
„ Schatten aber sollen auf die Gegenstände fallen,
»die
r im zweyten Buche der Jliade. ,
5 kierre» »uklylie» grsvees ^«r kiciirt^ ek^lU^ices ^«!>t.ykck^
iz6 Licht, Schatten und Colorit.

die auf dem Mittlern Grunde find. „ l So wie sich


die Würksamkeit der tichtstrahlen durch die wette
Entfernung schwächet ; so vermehrt sich hingegen der
Schatten desto mehr, je mehr er sich entfernet ; es sey
denn, daß er allzuweit entfern ist, um noch bemerkt zu
werden. Ich wage es, diese Bemerkung selbst auf die
Poesie über zu tragen und in einem Dichter ein Ben«
spiel davon zu suchen. Wer kennt nicht die vortrefiichen
Vers« :
Sern unter ihnen hat das sterbliche Geschlecht
Im Himmel und im Nichts sein doppelt Bürgerrecht.
Aus ungleich festem Stoff hat Gott es auserlesen.
Halb zu der Ewigkeit, halb aber zum verwesen :
Zweydeutig Mittelding vom Engel und vom Vieh,
Es überlebt sich selbst, es stirbt, und stirbt doch nie.
Hallev «
Da ich diese Stelle mit der vorhergehenden Schilderung
der Engel vergleiche, so finde ich gerade das , was ich
suche.
Die unzählbaren Heere,
Die ungleich satt vom Glanz des mitgetheilten Lichts
In langer Ordnung stehn von Gott zum öden Nichts, «

Und fern unter ihnen dies sterbliche Geschlecht zwey«


deutiger Mitteldinge machen zusammen einen solchen
Contrast, in welchem entweder die Entfernung der Men,
scheu von dem Engeln gebraucht wird, jene gegen diese
zu verdunkeln, oder selbst ihre Dunkelheit sie von den
höhern Geistern entfernet. Je mehr ein Gegenstand
von
r S. die neue Bibl. der sch. W. B. ll. S. 201.
« V^m Ursprünge des UebelS imzweyttn Buche, S. 148. der
achren Auflage.
« daselbst S. 144,
Licht/ Schatten und Colorit. «zy

von unseren Blicken, oder auch von der Quelle des iichtS
entfernt ist , desto größer wird seine Dunkelheit.

Der Contrast ist eins der vornehmsten Mittel, die


Objekte nach ihren verschiedenen Beziehungen entweder
zu erleuchten , oder zu verdunkeln. Ein blos Helles Ob
jekt im Gegensatz mit einem ganz dunkeln wird beynahe
glänzend, und eben dasselbe kan dunkel werden, wenn es
mit einem glänzenden contrastirt wird. Doch mus die
Courrarietät nicht allzuscharf und schneidend seyn, weil
der Sprung von der grösten Dunkelheit zur grösten Klar,
heit allemahl unangenehm ist. Wird also ein sehr düste«
rer Schatten einem großen Uchte entgegengesetzet, so muö
die Hürtigkeit des ScheidcPunktS durch eine gelinde
MittelFarbe gebrochen werden. Diese Bemerkung gilt
auch, wenn sie richtig gewendet wird, von Sitten und
Charakteren. Sollen diese sich Wechselsweise erheben
und einander Glanz mittheilen, so kan man sie auf dreyer?
ley Weise contrasiiren. Entweder , sagt Batteux, z?
man bringt bey einerley Hauptarr verschiedene Stufen
an; oder man setzt eine andere Eigenschaft hinzu, die,
ohne die herrschende zu ftvn , die Hauptarr ändert ; oder
man contrastirt Sitten von ganz verschiedener Art. Im
letzten Falle durchkreuzen beyde Charaktere einander und
dergleichen sind am leichtesten kzn zeichnen. Sie haben
anfangs den Schimmer der Antithese ; aber bald nach
her haben sie das Schicksal allzublendender Sachen : sie
rühren uns weniger, als die andern, weil die Kunst zu
sehr hervorleuchtet ; und weil der Geist, sobald er die ei»
»e Seite kennt, schon weis, was er von der andern zu
gewarten hat. Tartüffe und ein offenbarer Freygeist
würden schwerlich in Einem Stücke eine gute Figur ma
chen ; es sey denn , daß die Härtiqkeit der Abstechung
durch einen Mittlern Charakter gemildert würde.
Ueber
» Bey dem Herrn Ramler B. II. S. r«;.
zh8 Licht / Schatten und Colo'rit.

Ueberflüßiges Colorit ist fehlerhaft und wird


Schminke« ^ Ss lächerlich ein Kämpfer in einem Pur«
purrocke, und wie eine tais geputzt,^/ seyn würde; so
lächerlich find diejenigen, welche ihre Gegenstände zu
sehr ausbilden, ihre Helene«, die sie iiicht schön mcch,
len können, reich mahlen und die undankbare Müh«
waltunq auf sich nehmen, geschminckte Werke für die
Vergessenheit zu verfertigen.

Oc^us ilrs ruunr , czuae llc cumulsrs locsntur .


^laior vbä elt cultus mgZna ruiris lubelr.

Man dürfte hierher die allzufchr ausgebildeten


Gleichnisse rechnen, die Perrault« selbst am Homer ta?
delt;

^ <ZuintiI. I.. VIII. «v. III. p. ni. 48. 8ecl nie «rn«l» vir!»
Ii«, sortis et s»n6tu, tit: «ec ersc>emin»t,m Ineuirsteln , nec^
, ^fuc« eminentein colorem smet ; lznßuine et virikus nite«t,
ttoe »utem sde« verum ett, vt, quum in Koc msxime v»r»
te Lnt vieins virtutibus viti», «tiam <zui vitils vtuokuc,
s -vittutis Ismen Kis »omen imvonsnt. (Ziisre nemo » cor»
rupti, clic«t, ine inimicum esse culte ilicentibus. Kl«n ne»
xo Ksnc esse vir^utem , tecl illis esm non tribuo. eß»
tuncium eulttorem purem , in czno miki «zuis «ttenilerit Ii»
il'z , et violss , et«m«eno> s<ontes siirgentes , qusm vt>i pls»
Nu melLg , gut ßr»ue, sruüu vires eru,?t ? Lterilem pl,ts»
«um , tonsssczue mz^rtos, qusm rn»rirsin vlminn et vnere«
«less prseootsverim ? Hz^esnt iii» «Luits« : tieet «zuicl et»
<ent, 4! nikii «liuci Kiiberent?
I.„eisn. cle conser. Kitt. ^Q??rs^ e', «-ö-X^v^v ««^>

Xo< , ««/ 17« «xx« x«7/«K, >^K> e?'«<^>tk) , ««< cp^itto^

^pitson. 2«.
x Er nennt sie Ooiposrslloss » lonLue^uess,
Licht, Schatten und Colorit.

delt; einFehler, wenn es anders ein Fehler ist/ für den


uns Homer durch größere Schönheiten schadlos hält.
Herr Brettinger hat den Dichter, wie überall/ so auch
in diesem Punkte vertheidiget,^ aber durch solche Grün,
de, mit welchen ich eine jede Ausschweifung und selbst
alle fehlerhafte Episoden rechtfertigen wolle. „ Homer
„ und Vi, g,l, schreibt er, haben ihre Gedichte vor an,
„ devn mit auserlesenen Gleichniebildern angefüllet; in?
„ sondcrheit haben sie denselben eine attss^rordent?
„ liche Schönheit dnrch die Kui.st die unterschiedenen ^
„ Absichten in einem Bilde zu verbinden mitgethcilt.
„ Man sind« bey ihnen nicht wenig ausführlich aus
« «nandergesetzte Gicichnisie , welche, neben demjeni,
„ gen, was nothwendiq zu der Vergleick)ung gehört,
„ und worinnen die Dinge einander ähnlich sind, sich
>, ferner in der Auebildung mit historischen Begriffen,
., oder sonderbaren merkwürdigen Umstanden auebreiB
„ tcn. Diese berühmten Manner geben das Gleich«
„ nis niemahlS auf, bis es zu einem wichtigen Ge«
^ danken fortgesiiegeu , welcher oft die Sache , die
„ dazu Anlaß gab, nichts angehet. Die Aehnlichkeit
„ währet etwa nicht über Eine oder zwo Zeilen; aber
« der Poet treibet den Einfall weiter, bis er daraus ei?
„ nen herrlichen Gedanken hervorleitct, der bequem ist,
« das Gemüthc des lesers zu entzünden , und das erha,
« bene Ergetzen d/>rinne zu erzielen, welches der Natur
,. eines heroischen Gedichts gemas ist. ,. Es ist wahr,
wir finden solche Gleichnisse, die mit allen überflüßigen
Zügen noch angenehm sind, üm Homer, im Virgil, c/
und Milton.
— Als
i Abhandlung von Gleichnissen S« 141. f.
im 4ren B. der Jliade, v. 481. im uten Buche «. 2<<9.
im ,6ten Buche, v. Z84. eben daselbst, v. 4L2, ^?le»
Buche v. 49- !. f. w.
ö Z. B. im eisten Buche der Aeneide^ v. 14«. ^
240 Licht, Schatten und Colorit.
— — Als wenn sich ein Geyer
welchen der Imaus gebahr, an dessen beschneiten
Gebirgen
Sich der streifende Tartar ernährt , von Landern
entfernet.
Die für ihn leer sind an Raub, nach Hügeln mit Heer«
den bedecket.
Um sich dort mit dem Sieisch der saugenden Lämmer
zu sattgen,
Nimmt er gegen die (Quellen des schnellen Hydaspes
und Ganges
( Indischer Alüsse ) den Alug und laßt sich mit sin«
r'enden Schwingen
Au den verödeten Ebnen von Sericana herunter,
wo die Chineser in wagen von Rohr, mit Segelm
von winden
In dem Sande sich fahren ; So gieng auf dem stur«
mischen Lande,
Welches ^ein Meer schien, Satan, allein nach Raube
begierig, e

Allein wenn das Genie sich über die Regeln erhe,


bet , wenn es mit Anmuth fehlet und wir ihm für seine
Fehler Verbunden sind ; so darf man deswegen seine Feh,
ler nicht selbst in Regeln verwandeln ; und das scheint
Herr Breitinger in der angeführten Stelle gelhan zu has
Ken. Wir würden dadurch nur dem Stümper eine tauf,
bahn eröfnen, auf welcher er glauben könre, sein Glück
zu machen. Dergleichen teute vergessen das Gute in ihs
ren Originalen, oder kennen es nicht und dünken sich
selbst Virgile zu seyn, wenn sie alle Fehler Virgils nach;
ahme»,

, im dritten Buche des «erlohrnen Paradieses, nach der Uebm


sxtzung des Herrn Zacharick.
Licht, Schatten und Eökötit. 441

ahmen , ohne eine einzige von seinen Schönheiten" in ih,


ren Werken zu zeigen./
Je sinnlicher ein Gegenstand ist, desto größer ist sei,
ne Lebhaftigkeit. Dieser hohe Grad der Sinnlichkeit
wird erhalten durch die Bestimmung aller einzelnen Zü,
ge, Eigenschaften und Umstünde, welche zur Würklich,
keit des Objekts erforderlich sind. F Wenn der Poet ei,
«e gedichtete Persott lebhaft darstellen will, was thur
er anders , als daß er sie durch eine Reihe von kleinett
individuellen Zügen charakterisiret ? So schildert Ogilvi«
die Phantasey: ^
Ihr scharfes Auge blickte auf die Scettö,
Die , wie sie kam , geschwind erleuchtet wurde,
Sie schwuttg ihr blendendes Gefieder, welches
Im Glanz der Sonnen funkelt, ihren Busen
Bedecke ein wallend Rleid , das weit gebläht
Nachschleppt und Zephir seufzte durch die weitttt
Geschwollnett Aalten. Ihre rechte Hand
Hielt einen Globum U. s.
Von den übrigen Mitteln zur Lebhaftigkeit , den
Vergleichungen , Figuren, Tropen, Bildern und Be-'
schreibungen wird in einem besondern Capitel geredet
werden. ,
Xtlll.
/ Man lese zur Erläuterung dieser ganzen Materie die B«
trachtung des Herrn Watelec von der Harmonie, vom Licht
und von der Farbe, welche nebst andern seinem Gedicht«
von der Kunst zu mahlen beygcfügt ist.
F Ein deutliches Beyspiel siehe oben S. 88. in der Note /
i Nach der Uebersetzung des Herrn Dusch in den Briefen zur
Bildung des Geschmacks, S. Y8< Mehr Beyspiele sehe
ManM WielandS komiscken Erzählungen, S. 174, 2sz»
204. 215. und fast überall, Beyspiele, die für die Unschuld
zuweilen nur allzu lebhaft sind.

O.
XIIII.

Schicklichkeit/ .Anstand/ Würde und


Tugend.

as Gefühl der UebercinfZimmung ist ein


Geschmack von höherer Gattung , als die bloße
Empfindung des Schönen ; wir unterscheiden
dadurch das Angemeßne von dem Ungereimten, das
Schickliche von dem Unschicklichen und das Anständige
von dem Unanständigen, und dieses Gefühl erstrecket
sich selbst durch alle Werke der Kunst und des Genies.
Eine Sache, die an sich schön ist, kan in der Zusammen«
sctzung mit andern nie haßlich, aber unschicklich werden
und dem Ganzen ein widerwärtiges Gepräge geben, was
mit der Häßlichkeit einerlei) Würkung thuf. Und aus
dem Fragmente einer Statue , einer Gruppe , einer
Mahleren, eines Gedichts kan man wohl von der Schön
heit im Detail, aber nie von der Congrnenz des Gan
zen urtheilen. « Wir wollen daraus schließen , baß
das Gefühl der Uebereinstimmung mit dem Gefühl des
Schönen nicht enierley ist , wenn sie gleich beyde ähnli
che Würkungen hervorbringen.

„ Das Gefühl vom Uebcreinstimmenden , ftqt


„ Home,^ naht sich so sehr dem Gefühle, was wir
„ von der Schönheit haben, daß man gemeiniglich das
„ erste für eine Gattung des letztem hält. Gleichwohl
„ sind sie so wesentlich verschieden, daß sie sich niemahls
i « mit
« 8i auulsmn Kittiiiii: «put, »ut inei»br«m sliquoc! mkpieer«,
i vn s>> <>uiclein cx illu poilei coiiSrlielitis»« gequslitstem»
yue ^eprekenllere; Polles tsinen iucilr,re, sn lll ipsum
elegiios eiset, kliii, iun. Üb, II. e^ltt. 5.
i> Th. U. S. ?.
Würde und Tugend. 14z

mit einander vereinigen. Die Schönheit haftet, gleich


„ der Farbe, auf einem Gegenstände , das Ueberein«
„ stimmende auf mehrern. Ausserdem kan ein Dino,
„ was an sich schön ist, in Verhältnis mit andern das
„ stärkste Gefühl der Unschicklichkeit würfen. „

Die Empfindungen von einem Mangel der Ueberein,


stimmung ist, in den meisten Füllen, weit unangenehm
wer, als das Gefühl der Uebereinstimmung angenehm ist,
oder würkt wenigstens stärker , weil dieses oft ohne Btt
wustftyn statt findet , mit welchem jene allemahl ver,
knüpft ist. Die Übereinstimmung empfinden wir insZ
gemein nur in einer dunkeln Idee , die zu dem Ganzen
nicht ausdrücklich hinzugedacht wird. Eine Unschicklich,
keit hingegen, eine Disharmonie , ein Mangel der Pro,
portion wird halb empfunden und hslb gedacht; die Idee
des Ganzen wird dadurch völlig zerrüttet , und der Ver?
druß, welcher daher entstehet, ist desto größer, je fchö,
ner die Theile au sich sind , welche zusanMcngenommcn
«inen MisTon verursachen. Wenn der unschickliche Ge»
genstand sehr unwichtig und unintercßaut ist , so wird die
unangenehme Bewegung aus dem Mangel der Uebereiw
stunmung durch das Gefühl des iacherlichen vermindert,
«der unterdrückt : ist der Gegenstand wichtiger und die
Unschicklichkeit moralisch, so entsteht ein Hohngelachrer ;
ist das Objekt zugleich intereßant, so verschwindet da«
iächerliche ; Verachtung und andere unangenchlne Em»
xfindungen bleiben allem zurück, c
Q , Wir

5 öft inrereßirt ein Gegenstand gewisse Personen in einem h«


hen Grade, bey welchen, andere sehr gleichgültig sind. Dies
ist die Ursache , weswegen Eine Unschicklichkeit oft einige«
lächerlich , andern verdrüßlich und,sür noch andere rührend
ist. <7«it iintt, sagt Voltaire > ^us I» vie lies Koinm« ett
KiZäree i iouvenl uisme uue Kuls ,v»»ture ^rvciuit «Ou,
:44> Schicklichkeit/ AnstanS,

Wir wollen es versuchen , dieses Gefühl aufzuklä,


ren und in Begriffe zu verwandeln. Die Ueberein-
stimmung, oder Harmonie ist das Geschlecht, un!> be«
deutet eine solche Verhämiß der Dinge , in welcher die
einzelne Würkung derselben durch keine Contrarietät be:
hindert wird. In einer genauem Bedeutung wird die
Harmonie nur solchen Gegenständen beygelegt, deren
Theile auf einander folgen, wie, zum Beysviel, einem
Gedichte, oder einer Musik. ^
Die Schicklichkeit ist die Harmonie unter solchen
Theilen, die zugleich sind, mit dem Ganzen und unter
einander selbst.
Die Schicklichkeit der Theile zur Erreichung eines
gemeinschaftlichen Endzwecks ist Conoenienz.
Die Proportion ist die Schicklichkeit der Theile
in Ansehung ihrer verhältnismäßigen Größe.
Das Schickliche in Ansehung der Aehnlichkeit, ve»
bunden mit Proportion, ist Symmetrie. Parrhasius
hat sie in der Mahlerey zuerst, und tysippus am meisten
beobachtet, e
Schick,-

ces enntrsste», (cls ler!e»x et <?e pisklsiiterie, <1e eninique


et rle t«uck»nt ), Kien n'ett ii c«n,mun qu'une msisnn
«laus I»<zuelle un pere ßroncle, uns f,IIs ucc»p«e lie s» pul»
lion pleure; >e KI« le moczue cles «leux, et «zuellzue, psrens
prennent iZiffere^nment psrt Z I« scene. On rsille tr«>
louvent <Is»« un« ckzinbre lle ce czui.stten,jrit cisn» I, cksm.
bre voikne; et I» meine personne » quelizlietvis ri et pleu»
re «le lz meme cnole kl»ns Is wZme czuart cl'Keure.
<j S. Pen Gerard vom Geschmack im zten Cap. Man könte
sagen , Einförmigkeit in der Mannichfaltigkeit der Töne ist
Harmonie; und die Melodie ist eine bestimmte Abwechs
sciimg und Folge der Töne, nach welcher sie mehrmahl wir?
derhvlt werden können.
, ?Iiu. n,t. Kitt. !.ib. XXXV. «o. L. lind ic>.
, Würde und Tugend. > 245

Schicklichkeit Key Personen in solchen Dingen, die


sich auf ihre Willkühr beziehen, Heist Anstand. Eine
besondere Gattung desselben ist das Decsrum, eine sol
che Modifikation des äußerlichen Betragens , eine solche
Mischung politer Sitten , die eine vollkommene Seele
anzeiget , oder , wie sich ein scharfsinniger Philosoph aus«
drückt, / eine Übereinstimmung unsere äußerlichen Be
zeigen« mit den innerlichen Vollkommenheiten , welche
wir besitzen und nach unserm Stande besitzen sollen.
Ich setze zu diesen Begriffen die Stelle meines Aus
torS , aus welcher ich jene geschöpft habe. „ Durch einen
„ natürlichen Trieb , sagt Home , F verlangen wir etwas
„ Angemessenes , oder eine gewisse Uebereinstimmung
„ bey Dingen , die durch irgend ein Verhältnis mit ein»
,, ander verbunden sind. Diese Uebereinstimmung,
„ oder dieses Angemessene nennt man das Schickliche
„ und Anständige ; und den Mangel desselben das Um
„ schickliche und Unanständige. Schicklich und Ansiän,
„ dig werden oft für Synonimen gehalten ; sie lassen
„ sich aber doch von einander unterscheiden. Das
„ Schickliche ist das Geschlecht, von i>em das Anstandi?
„ ge eine Gattung ist. . Denn wir nennen nichts an-
„ ständig, ausser dem Schicklichen , oder Angemeßnen,
„ das zwischen empfindenden Wesen und ihren Ge,
„ danken , ihren Worten und Handlungen erfordert
„ wird. „
Vielleicht werden die angegebenen Begriffe da
durch zugleich brauchbarer und deutlicher, wenn wir
sie auf die besondern Gegenstände anwenden , unter wel
chen wir Uebereinstimmung verlangen. ., Um diese Be,
„ fchaffenheit völlig zu entwickeln, fagt Home, 6 will ich
Qz „sie
/ Darjes philosophische Sittenlehre S. 414.
5 Th. II. S. 4. und ?>
i S. '7.
s4<S Schicklichkcit, Anstand/

„ sie durch einige der beträchtlichsten Verhältnisse ^ ver«


„ folgen. ., Wir wollen unfern Autor verfolgen ; viel,
leicht treffen wir auf feiner Spur eine kleine Nachlese von
Bemerkungen an, die Er nicht hat machen wollen, und
die wir der Vollständigkeit wegen machen müssen.
„ Die Verhältnis eines Theils zu dem Gano
zen, die äusserst genau ist, erfordert auch den höchsten
Grad des Schicklichen. Aus diesem Grunde fühlt man
die geringste Abweichung davon mit Verdrus. Jedem
ieser muS es fchr unschicklich vorkommen , wenn der Pult
des Boileau, ein fcherzhafteö Gedicht, mit einer ernst,
Haften und feurigen iobrede auf den iamoignon, einen
königlichen Richter, endigt. ,. i Und jedem iefcr muS
es sehr unfchicklich vorkommen , wenn Milton in einem
Gedichte, welches den erhabensten Gegenstand h« , eine
Ausschweifung auf feine Blindheil macht, die gewis
mit dem verlohrncn Paradiese nicht fchr verknüpft ist.
Kleine Fenster und Thüren geben einem großen Gcbäu<
de ein altväterifches Anfehn ; kehret die Proportion um,

Eben fö wichtig ist auch die Proportion der


Theile unter einander selbst. Bey gleichartigen Thcilcn
uud fölcken , die einerlei) Zweck haben, verlangt man
eine gewisse Einförmigkeit in Ansehung ihrer Größe und
ihrer Stellung. Dergleichen sind am menfchlicheu Kör?
per die Augen , die Obren , die Hände , die Füße ; an
einem Gebäude die Thüren, die Fenster, die Säulen; in
einer Epopäe die Gesänge, und in cmem Drama die
verschiedenen Aufzüge. Bey einem Ganzen dessen Thei,
le man zugleich übersieht , mus die Gleichheit der homo<
genen Thcile , wie der Fenster in einem Stokwerke, voll«
komme« feyn. Bey solchen Werken hingegen, deren
Theite <u,tf eiuMer fokgen, ist es getwg, wenn das eüie
Stück
Wükde und Tugend. Z47

Stück nicht sehr merklich größer ist , als das andere.


Es wäre lächerlich, in einem langen Gedichte die Größe
eines jeden Buches durch die Zahl der Verse durchgän?
gig zu bestimmen ; aber unschicklich , in einer Epopöe
von zwanzig Gesängen den einen so lang zumachen, als
die übrigen zusammengenommen.
Es wird ferner eine genaue Uebercinstimmung un«
ter einem Gegenstände und denjenigen Dingen ,
erfordert die neben ihm, oder auf irgend 'eine .
Ärt mit ihm zugleich sind ; wenn sie auch zusammen-^
genommen kein eigentliches Ganzes ausmachen sollen. '
Ein kleiner Mensch , der in Proceßion ucbeu einem gros-
sen gehet, wird so lächerlich, wie einDuodezBändgen nc«
ben einem Folianten. Plutarch hat schon diejenigen ge« .
schölten, welche eine kleine Statue auf ein großes Postc«
ment setzten ; er nennt sie schlechte Künstler und behauvi
tet , daß sie sich selbst lächerlich machen, ö
Hierher gehöret die Verhältnis zwischen einem
Dinge und seinen Verzierungen. ,. Ein ernsthaf
tes und wichtiges Subjekt nimmt wenig Verzierungen
an, und eben so wenig ein Subjekt, das an sich sehr
schön ist. Ein Subjekt , das die Seele mit seiner Ho,
heit und mit seiner Größe füllet, nimmt sich am beste '
aus, wenn man cö ganz ungefchmückt läßt. „ / Die
Liebenswürdigkeit , sagt Thomson , M bedarf keiner ftcm,
den Hülfe von Zierrarhcn und ist am schönsten geschmückt,
wenn sie ungeschmückl' ist. Ein Subjekt hingegen, was
an sich nicht sehr intereßiret, ein Werk, was nur zur Bc«
lnsiigung gemacht ist, nimmt mehr Zierracheu an, auch
Q 4 sol'

v«?. l)s /^lex. fort.


? Home am angeführten Orte S. ?.
m in, Herbste.
Z48 Schicklichkeit, Anstand/

solche, die eben nicht aus dem HauptStoffe gezogen sind.


Ein Pferd wird durch einen goldenen Zaum so wenig
verschönert , als ein gezähmter töwe durch einen Putz,
der ihn immer an den Verlust seiner Freyheit erinnern
k<!N, «
Niedrige Objekte , mit hohen Farben geputzt , oder
umgekehrt , werden lacherlich und komisch , wenn die un,
schicklichen Verzierungen mit Fleis und Absicht gemacht
sind ; und abgeschmackt, wenn sie nicht blos zur Belusti
gung dienen sollen«

Auch in der Verhältnis eines Subjekts zu


den Umstanden des Ortes und der Zeit verlangt
unsere Empfindung eine gewisse Conqruenz , wenn sie
vollständig soll vergnügt werden. Ein großes Gebäu«
de an einem niedrigen Orte verliehrt vieles von sei,
nem Ansehn , und eine Tonr aus einer lustigen Operette
zur PaßionsZeit bey der Kirchenmusik angebracht, ist
Völlig unschicklich. „Der Putz der sich zu einem ^a^e
„ schickt, wird beym öffentlichen Gottesdienste nicht völ-
9, lig so anständig scheinen; und dieselbe Person mus sich
„ anders zu einem Leichenbegängnisse als zu einer Hschs
„ zeit kleide«. a

,» Nichts ist in genauerer Verhältnis mit einem


Menschen, als seine Gesinnungen , seine Reden , und
Handlungen und deswegen erfordert man hier die ge<
«aueste Uebereinstimmung. Daher kommt der Ekel,
den

U I^«n KlcKmt meliarein ?<zuum «urei trsni. ^liter je» »urstq


jiik, nitet , lim» cantre^^'ur et suiieittism recipien^j
«r«a,neitts eugitiir 5>ti?«MZ . slttsr inculw'. Mtegri lj>>ritus,
^ji? Lejiic«t impsty z?er> ^««Kin ill^n, eis« rMiir, voluit,
L^scj«l«s Karriil«, «uiu« Kic ciecor, «an liile tiinore sci'
fpiei, pr<«sertur Uli Kogoiä« «t dr«öte««. ä«u«i ?jüli. 4«.
Würde und Tugend. 249
den man für dem Affektirten hat , welches darinn beste
het , daß man mehr Feinheit , oder Delikatesse zeigen will,
als entweder dem Charakter, oder den Umständen der
Person zukömmt. ,, /? Hierher gehören die Minen,
Geberden, die Stellung , der Gang , die Gedanken, die
Worte, der Ton der Stimme, hierher gehöret selbst die
Kleidung und der ganze äusserliche Aufzug eines Men
schen. L Ein anderer Anstand gehört für die Penelope ; ?
ein anderer für die Phryne ; 5 ein anderer für eine züch,
tige Braut ; t ein anderer für eine iucretia :

velinir in Iscr^mis , inceptsczue Kla remillt ;


In Zremio vultum nevoluirque luv.
ttoc iplgin 6ecuir, lacr^mse öecuere pu6icam
tscies gnimo 6iAnsczue parc^ue Luit.

Die, Congruenz unter den Gedanken und ihren


Zeichen ist für den Künstler von großer Wichtigkeit,
wofern er nicht in das Abgeschmackte , oder Burleske ver,
fallen will. Von dieser Materie wird an einem andern
Orte ausführlicher geredet.

Das Gefühl der Ehre, die Empfindung von'un,


serm Vorzuge vor andern Wesen erfordert einen beson
der« Grad des Anstände in allen Handlungen , die auch
nur einigermaßen von unserer Willkühr abhängen. Die
Uebereinstimmung unserer Handlungen mit dem Gefühl
Q 5 de,

j> Home S. iO. S. auch oben S. 86. f. f.


^ 8t»tus , incels„5 , legi« , «cubiti« , Vliltu, , «euli , msmimn
»nom« ten«nt illucl 6ee<zrum» (icero <Ie Otk. Üb, I.
x ?Iin. z z. p. m. 576,
^ plin. l.ib. Z4> m. zr;,
, klin, Lib, zz. 0>. Z80.
25« Schicklichkeit/ Anstand/.

der Ehre, dieser hohe Grad des Anstands heißt wür,


de , und der Mangel derselben ist Niederträchtigkeit^
Die Würde kömmt nur beseelten Dingen zu, oder unbe-
seclten , wiefern sie Effekte von jenen sind. « Sie üul>
sert sich, wie der Anstand, nicht nur in Gesinnungen
«nd Reden, sondern auch durch' Minen, Stellungen und-
Geberden ; wie zum Beyspiel die Würde der mannliche»
Gestalt , welche schon von den Alten der weiblichen
Schönheit entgegen, gesetzt wurde, v

Das Gefühl der Ehre würkt hauptsächlich auf eine


doppelte Art : durch die Empfindung unserer Distanz
»on den unvernünftigen Geschöpfen ; und durch die Eni!
xsindung von dem Vorzüge eines vernünftigen Wesens
Vor dem andern. Jenes bestimmt die allgemeine
Würde der Menschheit ; und dieses die besondere
Verhaltnißmäßige N?ürde nach der Verschiedenheit
des Standes, des Alters, des Geschlechts, des Cha-
«akrers und anderer Umstände. Man sagt von einem
Menschen, der seinen Adel verkennt und Handlungen un^
ternimmt, die der Vernunft und allen menschlichen Gesin
nungen offenbar widersprechen, daß er die Würde der
Menschheit schändet, sich selbst zu dem Vieh herabsetzt
«nd die gröfte Niederträchtigkeit begehet, die ein Mensch
begehen kan. Man wendet diesen Begrif auf die Kunst
«n und nennt alle Gedanken und Ausdrücke unwürdig,
die jedes vernünftige Wesen , das seine Bestimmung
kennt, nothwendig empören müssen, weil sie unniittel«
bar diejenigen Pflichten verletzen, die in der Vernunft
und in der Menschheit selbst gegründet sind. Verletzung,
der unmittelbare» Pflichten gegen Gott ist Gottlosig
keit :
» Home, Th. II. S. ^6. f..
« <^uum puickrltuilinis <iu« ^ener« Knt, <zuc>rum i» iltera
veii»l!»s stt, in ülier« cligniiz, ; veinlliskein muliebrcu clli»
«e.e clebeuius ; ckgmt«em vuilem. Cicero I>ib. I, ci« Ol?.
und Tugend 2;i

keit ; der vollkommenen Pflichten gegen andere , Unbil


ligkeit ; des äußerlichen allgemeinen Wohlstandes, Un,
ehrbarkeit; der verhältnißmäßigen Ehrerbietung und
iiebe, die andere von uns fordern können , Unhöflich,
kcit. Unflätige Gedanken sind solche, die kein ehr,
barer Menfch ohne Ekel denken kan , und pöbelhafte^
die keinen Menschen von Geschmack und Sitten , sondern
ir niederträchtige Creaturen zu belustigen vermögend

Der niedrigste Grab der VerhältnißWnrde ist


bloße Ehrbarkeit ; der mittlere, Adel; der höchste,,
Majestät. Em Beyspiel der Ehrbarkeit ist der Amvn,
tas des Herrn Geßner, des Adels, die Schilderung eines.
Bernstorfs von Herrn Dusch, w der Majestät, der Mes
sias , der selbst in seiner Erniedrigung erhaben , wie.
Eott, ist.
. Alle Hoheit , sogar die Hoheit des sterblichen Weisen
Hat er abgelegt, war nur ruhig , als. sah er den Ab>
- fall M
Einer Quelle vor sich, und dachte nur sanfte Gedan>
; ken,
Vlach erhabnern an Gott, die Augenblicke zu ruhen,
von dem göttlichen Ernst, von dem nur hat er noch^
Züge,
Leise Züge behalten. Doch konnte kein Engel sie
haben,
wollt er sie haben. ANein auch nur ein Engel ver-t
machte.
Dieser Göttlichkeit Minen und ihren Geist zu be-
merken.
Also stcuch er.
Rlopstok. -
Ma»
M rn der GlückfceligkcN des Tugendhaften, 4Z. f. f.
« im 6ten Gesänge der Meßiad^.
55! Schicklichkeit/ Anstand,

Man hat die Frage aufgeworfen , welche Bestim,


mungen es eigentlich sind , die dem Menfchen zur Ehre
gereichen und feine Würde ausmachen. Eine andere
Antwort giebt die Philosophie , eine andere der Wahn.
Jene fagt : nur diejenigen Vollkommenheiten bringen
uns Ehre, welche wir durch eiue regelmäßige Anwendung
der Willkührlichkeit erworben haben ; ^/ Vollkommen«
Heiken , die uns die Natur giebt , sind nur dann würdig,
wenn wir ihre Bestimmung kennen und jene anwenden,
um diefe zu erreichen. Die Erfahrung hingegen lehret,
baß die Menfchen mit andern Meinungen von dem , was
uns Schande , oder Ehre bringet , behaftet sind. Sie
suchen die Ehre in den Vorzügen der Geburt , in einer
«ortreflichen Bildung und Stellung des ieibes, welche
die Natur gewürkr hat, in dem Reichthume , in den Ti
teln , in dem davon abhängenden Range , in einem löbs
lichfcheinenden allgemeinen Rufe und dergleichen ; st
Der Artist foll dem Philofophen folgen . ohnedem Wahne
offenbar zu widersprechen. Rang und Titel sind Zeichen
des innerlichen Werths ; sie können gebraucht werden,
um diefe sinnlicher zu machen. Ein Bernstorf

Dem die Tugend


Des weifen und des Christen Recht auf Lreuden,
Auf alle würdigen , erhabnen Sreuden
Und um sie alle zu gemessen, Gott
iLmpfindung , Geist , Geburt , Stand und vermögen
Gegeben

ein fo würdiger Patriot ist schon durch feinen Geist


und feine Tugend erhaben ; aber feine Erhabenheit wird
sinnlicher ,
wenn
F S« Darjes phil. Sittenlehre L. ;8«. f. f.
s Darjes, am angef. Orte F. z?i.
Würde und Tugend. 25z

"wenn ihm der Reichthum , den er sonst nicht achtet.


Die Freude giebt, die Großmurh seines Herzens
Auf tausend auszugiessen, seine würde
Den Vorzug, Redlichen empor zu helfen.
Dusch. «

Unter allen Vollkommenheiten, welche dem M<n«


schen Ehre machen , ist die Tugend die vortreflichste und
diejenige, welche jedermann liebt, selbst, wer sie nicht hat.
Die Tugend, wiefern sie sich durch äußerliche Merkmal),
le, besonders durch Handlungen kenntbar macht, ist je
dermann, selbst dem tasterhaften angenehm. Unterdes«
sen darf man nicht mit dem iord Kaym 6 behaupten,
daß Tugend und Würde völlig einerley sind. Es giebt
würdige Bestimmungen im Charakter und Handlungen,
die deswegen noch nicht in die Gattung der eigentlichen
Tugenden gehören, wie z.B. Gelehrsamkeit, Ünerschro?
ckenheit , Much und dergleichen. Auf der andern Sei»
te wird oft selbst die Tugend unschicklich, wenn sie nicht
mit Klugheit vergesellschaftet ist. Tugend, Klugheit und
Sit?

a Am ««geführten Orte S. 4z. 44»


i Th. II. S. 27. f. f.
' „ Wir eignen niemahlS einer Handlung Würde zu, die
„ nicht tugendhaft ist ; wir halten keine Handlung für niB
„ dcrtrZchtig , die nicht gewissermaßen lasterhaft ist. Eine
„ Handlung kan gro< feyn , ohne tugendhaft zu scyn ; aber
„ sie kan niedrig feyn, ohne dag sie ein Laster ist« — Der
„ Mensch ist mit einem Gefühle von der Vortreflichkcit
und'dem Wcrkhe seiner Natur begäbet. Er hält sie für
„ vollkommener, als die Natur anderer Geschöpfe, die
„ u», ihn sind , und er fühlet , da« die Vollkommenheit
„ derselben in der Tugend, und besonders in Tugend von
„ der höchste» Gattung bestehet. Dieses Gefühl auszudrü,
., cken, braucht man das Wort Würde. „ . 5 ^
2^4 Schicklichkeik/ Anstand,

Sitten machen eigentlich dasjenige aus , was wir vorher


den Vöshlstand , oder das Decoruin genennk haben.

Unter den Tugenden selbst ist immer eine würdiger,


als die andere. Positive Tugenden und solche, die sich
dnrch eklatante Würkungen charakterisiren , sind würdio
ger, als solche, die blos in einer Unterlassung des Bö
sen bestehen , oder als solche , die wegen Mangel der
Kräfte sich nicht thätig genug beweisen können. „ Die
menschlichen Tugenden, sagt Home, c erlangen, gleich
andern Gegenständen > ihren Rang in unserer Achtung,
nicht durch ihren Nutzen, der blos durch Nachdenken
erkannt wird, sondern durch den unmittelbaren Eindruck,
den sie auf uns machen. Gerechtigkeit und Güte sind
eine Gattung verneinender Tugenden , die man nicht
recht wahrnimmt , als wenn sie verletzt werden. Aber
Tapferkeit und Groömuth erregen erhabne Bewegungen
nnd geben dem Gefühl von Würde sowohl in dem Men,
schen" selbst, welcher sie besitzt , als auch in andern , eine
große Lebhaftigkeit, und werden deswegen höher gefchazt,
«ls Gerechtigkeit und Güte.,, Daher hat auch ein
Werk der Kunst , wodurch die Tugend unmittelbar beför
dert wird , z. B. eine Tragödie zur Reinigung der Äl>
fekten, mehr Würde, als ein anders , wodurch sie zwar
«icht verletzet, aber auch nicht befördert wird, wie z.
4ö. eine Tändele»/ eine anakreomische Ode und der«
gleichen.

Die Tugend wird desto erhobener, jemehr sie .sich


«on dem Eigennutz sinnlich zu entfernen scheinet. Daß
es aber nur der Künstler nicht wage , eine allnivollkom«
mene^ eine allzuuneigennützige Tugend darzustellen , die,
mir der Erfahrung verglichen, nur em Ideal ,st und al«
ilesZniereffe, alle IlKchon verhindert. In einem zeden
Gedich*
e S, zs.
Würde und Tugend. . 255

Gedichte , sagt Shaftersbury , es sey episch oder dra«


malisch , ist ein vollkommener Charakter das gröste Un«
geheuer und unter allen Erdichtungen, am wenigsten ein
nehmend, am wenigsten moralisch und am wenigsten b«
quem , die Sitten zu verbessern.

Das Gefühl der Tugend verlangt noch eine gewisse


Eigenschaft von den Werken der Kunst, welche man die
poetische Gerechtigkeit genennt hat. Da diese , oh
ne die Begriffe vom Interesse nicht wohl erklärt wer«
den kan , so begnüge ich mich , nur die Ableitung dieser
Eigenschaft aus dem Gefühl der Tugend nach dem Ge-
rard herzusetzen. Die Emsindung der Tugend, sagt
dieser, e erfüllt uns mit freudigem Wohlgefallen über
den tugendhaften Charakter, und mitMscheu gegen den
lasterhaften / welcher uns , wenn er durch nachgeahmte
Charaktere erregt worden , nicht unangehm ist. Wenn
der erste im Glück und Wohlstände ist , so fühlen wir
sein gutes Verdienst , freuen uns , daß er seinen ver
dienten 4ohn gesunden und werden in eine freudige Hei
terkeit und in ein wolgefälliges Vertrauen auf die ge«
rechte Vorsehung versetzt; wenn er «her in Unglück und
Widerwärtigkeit versunken ist, so fühlen wir, daß er es
nicht verdienet , und schmecken den süssen Sckmerz des
Mitleiden« mit seinen Unfällen , und empfinden einen tu«
gendhaften Unwillen gegen die Urheber derselben. Wem«
der iasterhafte glücklich ist , so glühen wir vor Unwillen
und empfinden eine Art von melancholischer Kleinmütig
keit

</ ln > poem, ^vketker epZcK «r <Zriini!>tiK, » eomplest «N<I


perteQ ekirsöier is ine gresteir Uoniier, »n<1 «s »II poetick
riöions not «nl? tke leslr engzgiiiA, but tke iezst morst
improviiig. S. in d«n LikkeralurBriefen den 6z, 66,
uz und i45ten Brief.
e vom Geschmacke, im ?ten Cap.
2s6 Schicklichkeit/ Anstand, tt.

kcit: wenn erleidet, s« fühlen wir die Gefahr des ia,


siers und die Schrecken der Verschuldung; wir geste«
hen, daß er es fo verdient habe, mischen aber doch Mit
leiden in unserm Tadel. So werden wir durch diese
überaus starken ieidenfchaften in Bewegung gefetzt, de,
ren Einflöfung die rührendste Beschäftigung auö^
macht, darein uns Werke des Geschmacks
nur versetzen können.

XV.
XV.

Ucbec das Pathos.

>ie die ieidenschaften in der Natur erregt wer>


den, so auch in der Kunst. « In beydett
Fällen haben sie , einerley Ursachen ; einer?
ley Würkungen, einerley Mcrkmahle und Züge, wo«
durch sie sich kenntlich machen. Wenn wir also die
Grundursachen der Bewegungen und Leidenschaften in
der Natur entwickeln) so dürfte nur noch eine kleine
Nachlese übrig bleiben , um diese ganze Theorie für die
Kuust brauchbar zu machen.

Diese Materie liegt noch so sehr im Dunkeln , daß


es schwer fällt, einen Führer zu sinden , dem man sich völ>
lig anvertrauen dürfte, solle es auch nur in Ansehung
der Methode seyn , wie der Stcff zu behandeln ist. Der
Eine künstelt Desinirionen und verbietet den Begierden
und Affekten, anders zu würken, als es die Desinttio«
neu

« S. den Home Th. I. S. 4Z« 5 5 „ Die Grundsätze der


schönen Künste werde» durch Nachforschungen in dein ems
pfindenden Theile der menschliche» Natur entwickelt«
Wir müssen nochwendtg die Eigenschaften und Ursachen der
Leidenschaften kennen, ehe wir mit einiger Richtigkeit, un
theilen können, inwiefern sie unter der Gewalt der schönen
Künste stehen. Die forschende Seele , welche mit der Crts
ttk, der angenehmsten Beschäftigung anfängt und keine Ben
Hinderung in ihrem Fortgänge findet, rückt weit in den ein«
pfindenden Theil unserer Natur und gewinnt unvermerkt eis
tie tiefe Kentnis des menschlichen Herzens, seiner Begier»
den und eines jeden BewegungsGrundeS unserer Handluttt
gen; eine Wissenschast, die unter allen denen, die der
Mensch erreichen kan , für ihn von der gristxn Wichtigkeit
^ "
R
2f8 Ueber das Pathos.

nen ! erlauben. ^ Ein anderer erklart die Empfindung


durch witzige Tiraden und macht sie selbst zu einem Be«
HAltniß von künstlichen Bildern und Antithesen, e Ein
dritter scheint ans dem rechten Wege zn seyn; er merket
auf sich selbst, sieht seiner Empfindung zu, wie sie muri
ket , und sammelt eine Menge von Beobachtungen , die
mehr werth sind , als alle noch so gur construirte iehrg«
bäude. ^ Allein seine Beobachtungen gehen oft zu sehr
ins Detail , oft sind sie einseitig und ftinem Genie ange,
meßencr, als der allgemeinen Denkungsart der Nationen, e
und fast immer liegen sie, wie Materialien zu einem Ge,
bäude

4 Man lese eine Psychologe, welche man will. „ Es sind in


der Thar, sagt Home, über die menschliche Natur der Weit
manche Systeme vorgelegt worden , die der Seele durch ihj
rc Simplicität schmeicheln. Aber zum Unglück weichen sie
iveir von der Natur ,md von der Wahrheit ab. Nach eini,
gen ist der Mensch ein b!os eigennütziges Wesen ; nach an
dern ist allgemeines Wohlrhnn seine Pflicht. Dieser-grü»,
. det die Sittlichfeil der Handlungen bloö auf Sympathie,
und jener auf Nutzen. Wenn eines dieser Systeme das
Werk der Natur wäre, so würde die gegenwärtige Materie
bald erforscht seyn. Aber' man verfolgt die Mannigfaltig!
keit der Natur nicht so leicht, und um dergleichen utopische
Systeme oh,» verwickelte Schlüsse zu widerlegen ; scheint
es die beste Methode, in die menschliche Natur selbst zu
schauen , und dem Auge die Erfahrungen , wie sie würklich
vorhanden sind , deutlich und aufrichtig vorzulege,,... Der
systematische Geist ist insgemein der Weift der Deutschen,
und immer zu ihrem Vortheile.
c Eine Methode , nach welcher die meisten französischen
Schriftsteller die Empfindung hinwegwitzeln.
«i In diese Classe gehören Shaftesbury, Hutcheson, Howe,
Moses, Sulzer und wenige andere.
, Dies ist der gemeinste Fehler, und auch fast der einzige,
in den Beobachtungen der Engellünder; ein Fehler, den
scbst Home nicht allemahl glücklich vermieden hat.
Ueber das Pathos. «59

bäude verwirrt durcheinander,/ und erwarten einen arbeit,


samen Mann , der sich die Mühe gieby sie nach ihren Fä»
chern zu ordnen. , Ich getraue mir nicht der vier,
te zu feyn , der es besser macht , als andere. Ich werde
den ersten durch den dritten zu verbessern suchen und zwi«
scheu beyde einige verlohrne Gedanken hinwerfen , die ich
vielleicht an einem andern Orte weiter verfolgen kan.

Die ersten Bewegungen unserer wollenden Kraft,


von welchen man keinen weiter« Grund angeben kan und
in welche sich alle andere Begierden und ieidenschaften
auflösen lassen . sind die GrundTriebe ; F fortdaureus
de unbestimmte Bemühungen zur Thatigkcit , die auf kei
ne befondern Gegenstände gerichtet sind, weil ihr Objekt
ein

/° Dergleichen Beobachtungen finde ich eine Menge in den


Briefen die neuere Littcratur betreffend, hm und wieder
zerstreuet, die zusammengenommen beynahe ein vollstem
diges System ausmalen würden. Die meisten haben das
Gepräge des Herrn Moses.
S In verschiedenen Compcndien beschreibt man eö sehr beut!
lich , wie Begierden und Verabschcuungen entstehen können,
ohne bie Grundtriebc zu Hülfe zu nehmen. Ich denke ein
Objekt als gut, sagt ma«, so begehre ich cö; ich denke eS
als böse , so werde ich cs verabscheuen. -> Und ich sage,
daß ich nur selten etwas deswegen begehtt , weil ich eS vor?
her als gut gedacht habe. In den meisten Fallen halte ich
«twas deswegen vor gut, weil ich es will. Ob eine dunkle
Idee von dem Gutseyn des Objekts vorhergegangen ist,
weis ich nicht ; und ein anderer wird es eben so wenig wij«
sen ; es fey denn , daß er die Kunst verstehe , auch dasjenis
ge zu empfinden , was er nicht empfindet. Alle lrnsere Be<
Vierden in Gedanken öustösen zu wollen , ist eine vergebliche
Arbeits und ich sorge sehr , daß das dunkle Gefühl , aus
welches sich manche zuletzt berufen , nichts anders als der
Grundtrieb selbst sey, der auch ohne vorhergegangene Idee»
oft würksai« wird.
!6o Ueber das Pathos.

ein allgemeiner Zweck ist, z. B. der Trieb sein Daseyi,


zu erhalten, der Trieb nach Ruhe, nach Glückseligkeit,
nach der Vereinigung mit vollkommenen Dingen und der?
' gleichen. Wir lieben alles, was mit diesen Grundtrie-
den übereinstimmt, und hassen, was ihnen wider
spricht. H Das Gefühl von der Uebereinstimmung ei,
neS Gegenstandes mit irgend einem GrundTriebe ent>'
steht sehr schnell, i und noch schneller die daraus folgen?
de Bewegung ; wir können aber doch eine Reihe von
Tätigkeiten unterscheiden , wenn wir genau auf uns
selbst merken wollen. Sobald ich ein Objekt empfinde,
so entsteht plöizüch , und beynahe mit der Empfindung
zugleich, eine Bemühung zur Aufmerksamkeit, ein Trieb
die Idee fortdaurend zu machen, um das Objckt genauer
kennen zu lernen. Aus einer uns gewönlichen Ünachk,
famkeit unterlassen wir es oft, diesem Winke zu folgen,
den uns die Natur giebt ; und dann kan keine folgend«
Bewegung entstehen. Folgen wir aber der Begierde
znr Aufmerksamkeit , fo wird die Idee bald lebhafter
und fähiger, die Triebfedern der Seele in Bewegung
zu

ö Liebe und Haß werden hier allgemein genommen und be,


deuten eben das , was man sonst begehren uud verab
scheuen nennr. ,
i Die Natur des Menschen, sagt Home, ist so eingerichtet daß er
bey Wahrnehmung gewisser Susserlicher Gegenstände sich so«
gleich eines Vergnügens , oder eineS SchmerzenS bewust ist.
Ei» fließender Bach, eine sanft gedehnte Fläche, ein Eich,
bäum, der seine Zweige weit ausbreitet, ein hoher Berg
sind Gegenstände des Gesichts, die ergehende Bewegungen
erregen. Eine dürre Heide, ein ksthiger Sumpf, ein ver
faultes Aas erregen verdrüßliche Bewegungen. Von den
Bewegungen, die auf diese Art erzeugt werden, suchen wir
keine andere Ursache, als die bloße Gegenwart des Gegen«
st«,,des. „ — Ich glaube doch, wir müssen noch weiter
gehen, und die Ursache in der Beziehung des Gegenstandes
auf den Instinkt suchen.
Ueber das Pathos. 26,5

zu setzen. 6 Wir sind geneigt, das Objekt in der Be,


Ziehung zu betrachten , die es gegen uns und unfern Zu,
stand haben kan und wenn wir finden , daß e6 sich als
Art, Gattung, oder Individuum zu einem allgemeinen
Zwecke verhält, für welchen wir einen GruudTrieb ha
ben , so wird dieser sogleich in Bewegung gefetzt. Unfe,
re Kraft wird sich gegen das Objekt neigen und es wird
sich eine Bemühung zu denenjemgen Handlungen äussern,
-die wir unternehmen müssen, wenn wir in eine folche
Verhältnis) gegen das Objekt kommen sollen , als der
Grund Trieb verlanget. Dicfe Aeusserung eines Grund?
Triebes gegen ein ihm gemäßes Objekt heißt eine Des-
Zierbe. Ist der Gegenstand fo beschaffen , daß feine
Vereinigung mit uns den Zweck eines GrundTriebes
enlfernen würde, oder fo, daß er Kiefen geradezu unchäs
tig macht ; fo entsteht eine widrige Bemühung des
GrundTriebes , welche sich der Vereinigung mit dem
Objekte widerfetzt. Unsere Kraft neiget sich abwärts und
würkt eine Begierde zur Entfernung , die man Haß
oder Verabscheuung nennet.
' Zuweilen wird ein solcher Trieb würkfam, ohne
daß ein Gedanke vorhergegangen ist , wenn es nämlich
seine Natur erfordert, würkfam zu feyn, um uns an ge.'
wisse Handlungen zu erinnern , die wir nach unserer
Bestimmung unternehmen müssen. So würkt zum
R z Bey-

K Je lebhafter eine Idee ist , desto leichter kan sie die Triebs
federn der Seele in Beweglmg setze». Wir haben diese
Beobachtung schon bcy der Illusion und dein Colorit ge«
macht , und hier bestärket sie sich von neuem. Daher kommt
es, daß die Vorstellung «on uns selbst weit rührender ist,
als Vorstellungen von Dingen, die ausser uns sind. Von
sich selbst , sagt Home , hat jeder eine unmitteloare Empfins
dung ; von andern Dingen bekommen wir den Be,zrifdurch
ihre Beschaffenheiten. Selbst ist ein angenehmem Gegen«
stand, und weit angenehmer, als irgend ein anderer.
2<K Ueber das Pathos.

Benspiel ein vager Trieb nach Glückseligkeit ; so Huw


ger , Durst , das Gefühl der Kebe auch ohne ein gelieb
tes Individuum. Zuweilen wird der Trieb rege durch
die bloße Empfindung des Objekts', ohne den auödrück«
lichen Gedanken, das dieser Gegenstand zur Befriedi«
gung des Triebes gereichen fönte. / Zuweilen aber den,
ken wir ein Objekt und auch dies mit hinzu, daß es eis
«en solchen EinfluS auf uns äussern könte , als unsere
NaturTriebe «erlangen; und das heißt, eine Sache
«ls gut denken. ^ Aus diesem Gedanken mus nothwem
dig eine Begierde entstehen ; allein dieser Fall ist seltener,
«ls die Heyden andern, ^ ,
Man-

/„Da das Verlangen, welches jede Leidenschaft einschließt,


zu einer Handlung führt, so ist diese Handlung entweder
selbst der Endzweck, oder sie ist das Mittel zu einem End«
zwecke. Wo die Handlung der Endzweck ist, kan Vernunft
«nd Nachdenken keinen Theil daran haben. Die HaniK
Iimg wird blindlings durch den Trieb der Leidenschaft ohne
»inige Absicht verrichtet : So schnappt einer im auissersten
Hunger nach der Speise , ohne daö geringste Nachdenken,
, ., ,«b die Speise gesund , oder ungesund scyn mag. Der Geiz
zwingt einen Menschen , Reichthümer auf einander zu höm
fen, ohne die geringste Absicht auf ihren Nuben ; und ver<
wandelt dadurch abgeschmackter Weise die Mittel in den
Endzweck. Die Furcht treibt uns oft zum fliehen , ehe wir
, ,.. ««h nachdenken , ob wir auch wüi kiich in Gefahr sind, und
die thierische Liebe reißt nicht selten zum Genuß hin , ohne
daß man einen einzigen Gedanken . vom Vergnügen hat. »
Home S. 62.

« Home sagt zwar : «, MeistemheilS werden die Handkunge»


als Mittel zu einem Endzwecke verrichtet ; und an diesen
Handlungen habe» Wernuust und Nachdenken allemahl Ans
«heil. ,» S. 62. Mein die' Erfahrung lehret , daß der Im
ßinkt, die Menschen öfterer antreibet, als die Vernunft,
»nd daß sie selbst in den meisten Fällen Dinge zu Endzw«
«ken machen, die eigentlich nur Mmel sind. Wir rede«
d»r «su dem, waö ist ; nicht, was seyu sollt.
Ueber das Pathos.

Manche Begierden würfen so stark , daß sie uns


selbst überwältigen , und aus ihrer Thätigkeit , auch zu-
weilen wider linsern Willen , schon die Handlung erfol«
get , auf welche sie gerichtet sind. Andere aber reizen
uns nur zu Handlungen , deren würkliche Unternehmung
noch auf dm Wink der WMührlichkeir und auf unsere
Entschließung ankommt«

Einige Begierden find bloße Bewegungen , die


kein stetiges Verlangen erzeugen , und bald intereßirte,
die in einem transitorischcn Wunsche bestehen , das Ob«
jekt zu besitzen, wenn eö möglich wäre, bald unimeresi
st'rre , wo wir durch ein Objekt bewcget werden , ohne
daß es uns einfällt , es besitzen zu wollen. Andere sind
mit eigentlichem Verlangen und Abscheu verbunden , in
wiefern es uns möglich scheint ein Objekt entweder zu er
halten, oder zu entfernen. Diese sind bald Instinkte,
wenn sie gerade auf den Zweck des Gnmdtriebes gehen ;
bald Leidenschaften, wenn sie auf Mittel gehen , wo,
durch der Zweck des Grundtriebes kan erhalten wers
den. » Der Wunsch, «neu Freund zu sehen, ist eine
Bewe,

« „ Gewisie Bewegungen sind mit einem Verlangen vcrbun«


den, und andere verschwinden^nach eiueAi kürzen Daseyn
wieder, ohne irgend eine Verlangen zil erreqrn. Eine im
nerliche Regung der Seele, die wieder verschwindet, ohne
Verlangen zu erwecken , wird eine Bewegung genennt :
Wenn Verlangen erweckt wird , so nennt man diese Regung
eine Leidenschaft. Die Leidenschaften sind entweder in«
stittkrartigs, oder Ueberlegende. Wenn die Ursache der
xnstinktarkinen innerlich ist, führen sie den Namen Im
ftinkte : Wenn sie äusserlich ist , behalten sie den gemein«
fchaftlichen Namen : Leidenschaften „ Home S. 56,
68 , 6z, 64. Ich habe in diesen Begriffen einiges geän«
dert, wo mir die Subtilität meines Amorö allziigros schien,
um nützlich zu seyu.
R 4
,64 Ueber das Pathos.

Bewegung, die noch einigermaßen wtereßirt ist. Das


Wohlgefallen , was uns eine schöne Aussicht einflößt,
ist eine Bewegung, die ihrer Natur nach kein würkli,
ches Verlaligen einschließt. Die Begierde zum Genuß
ist Instinkt ; Verlangen nach dem Besitz eines geliebten
Gegenstandes, um ihn immer zu genießen, ist Leiden
schaft.

Die Leidenschaften sind entweder blos eigennützi


ge , die allein auf unsere eigene Vollkommenheit abzwe?
cken , die wir aber befriedigen können , ohne einem an,
dem zu schaden ; oder gesellschaftliche , wodurch wir
das Glück eines andern , auch ohne Rücksicht auf das
unsrige suchen ; oder ««gesellschaftliche, wodurch wir
das Unglück eines andern begehren , wenn es mich nichts
dazu beytragen solle, unsere Vollkommenheit zu beför?
dern. a Die Ehrbegierde ist an sich eine bloß eigennützi«
ge ; die tiebe eine gesellschaftliche ; die Rache eine un-
gesellschaftliche Leidenschaft.
Um
H Keine Leidenschast kan eigentlich eigennützig genennt werden,
die wich nicht treibt zu meinem eigenen Wortheile zu hgm
dein« Durch den BewegungöGrund wird eine Leidenschaft
«ls eigennützig , »der als gesellschaftlich bestimmt, Daraus
folgt, daß unsere Instinkte weder für gesellschaftlich , noch
eigennützig geHallen werden können , weil sie nur blindlings
und durch den bloßen Trieb handeln machen. So ist das
Esstn, wenn uns die Natur dazu treibt, weder gesellschaftt
lich, noch eigennützig.. Aber nun füge man noch einen Bes
wegungsGrund hinzu , daß es mir Vergnügen machen , oder
meiner Gesundheit dienlich seyn werde , so wird es zum
Theil eigennützig. Auf der andern Seite, wenn meine
Neigung mich zu Handlungen bewegt, durch die ich blos
Weines Freundes Glück zu befördern suche , ohne die gering«
ste Rücksicht auf meine eigene Befriedigung zu haben , so
wird eine solche Handlung, und die Neigung , welche die
Ursache derselben ist , mit Recht gesellschaftlich genennt.
Home, Ttz. l. S. 6z.f. s.
Ueber das Pathos. 165
^—^—» ^
Um diest Materie ferner zu behandeln , wollen wir
uns in eine Zergliederung der besondern Aesie und Claft
sen unserer Begierden , Empsindungen , Bewegungen
und Leidenschaften einlassen. Diese Beschäftigung ist
mühsam, aber angenehm. Von den Instinkten und
Grundtrieben müssen wir anfangen , um aus diesen die
übrigen Bestimmungen in unserer wollenden Kraft ab
zuleiten. .5

. Unter allen natürlichen Trieben ist der Trieb zur


Vollkommenheit der sichtbarste und so sichtbar , daß
ihn alle Forscher des menschlichen Herzens zuerst b«
merkt , und oft allein bemerkt haben. Dieser Instinkt
ist es, welcher uns vornemlich zü Thatichkeitcn anfeuert;
R 5 ? au<
. . . .. , ' .-z -. .
' L Selbst Herr Moses scheint den Trieb zur Vollkommenheit
für die allgemeine Quelle aller, selbst der erhabenen und
tugendhaften Handlungen anzusehen. S. die Phil. Schrift
«en, Th. il. S. 17.' f. f. „ AlleS, schreibt er, mus
zuletzt auf den allgemeinen Trieb zur Vollkommenheit hin-
auskommen ; denn man schmeichelt sich vergebens , auf den
letzten Grund der Dinge gekommen zu seyn, wenn man
^icht bis zu ihren Wesen hinaufgestiegen ist. Weit
gefehlt, daß der Grundsatz .der Vollkommenheit das gegen-
>,,, . seitige Interesse moralischer Wesen aufheben, oder nur im
., geringsten schwächen solle; so ist er vielmehr die Que.lle
der allgemeinen Sympathie, dieser Verbrüderung der Gei-
ster, wenn man mir diesen Ausspruch erlaubt, der ihr eige
nes und gemeinsames Interesse dergestalt in einander ver
schlingt, daß sie ohne Zernichrung nicht mehr können gc-
. - trennet werden. „ . — Wo ich nicht irre , so folgt aus
dem scharfsinnigen Raisonncment dieses Philosophen nur
dies , daß der Trieb zur Vollkommenheit mit dem Triebe
der> Sympathie auf haS genaueste verknüpft ist. ' Diese
Verknüpfung aber kan statt finden , ohne daß der eine
Trieb die Quelle des andern ist. Will man , so kan man
den einen wechselöwcise als den Pendant zu dem andern be
trachten ; einer wird durch den andern wÜrksam , aber jeder
Würkr auch zugleich durch sich selbst.
sss Ueber das Pathos.

aus ihm fließen selbst der Trieb zur Erhaltung , die Nei
gung/ immer beschäftigt zu seyn, das teere zu fliehen,
das Gefühl des Großen und Erhabenen , die Begierde
zur Fortschreitung von einer Idee, von einer Empfin,
dung auf die andere und das Verlangen , zu besitzen und
zu gemessen. Der VollkommenheitsTrieb wird wurkr
sam durch die Idee von einer Vollkommenheit, dere»
Erlangung wir vor möglich halten , oder durch die Em,
psindung einer UnVollkommenheit , deren Entfernung
nicht offenbar unmöglich ist. Dies ist derjenige Instinkt,
der wir oben F den Trieb des Interesse genenck
haben- ' . . ^ : ' '

,-. . Von dem Triebe des Interesse unmscheidet sich der


.Trieb des Wohlgefallens auf eine merkliche Art.
Aus diesem entstehen nie Leidenschaften , wenn er allem
iwürkt ; sondern bloße Empsindungen und Bewegungen.
Jener wird nur durch den Besitz befriediget, dieser hin,
gegen durch das Gefühl und Anfchauen eines angeireh-
nien Objekts, wenn wir es gleich nicht besitzen. Unter»
dessen ist eS natürlich, daß das Interesse sich oft mit dem
Wohlgefallen vereiniget , und beyde zusammengenom
men eine einzige Bewegung hervorbringe», die- halb
Vergnügen über den angenehmen Gegenstand und halb
Verlangen ist , ihn zu besitzen. Die Objekte, die wie
vollkommen nennen, sind von verschiedener Art. Eini
ge sind ihrer Natur Nach fo beschaffen, daß wir sie un
möglich besitzen können/ wie z. B. der Himmel , die
Schöpfung und dergleichen. Andere könren wir zwar
besitzen, allein nach unfern Beziehungen ist es nicht wahr
scheinlich , daß wir sie jemahts erhalten werden z> B.
ein Pallast, ein königlicher Garten, eine Stadt. Am
einigen können wir uns immer vergnügen, ohne siez»
besitzen. Andere aber müssen wir nochweudig besitzen,
um
, S. t5. !
Ueber das Pathos. 257
um uns daran zu vergnügen , oder das Vergnügen wür
de doch stärker seyn, wenn wir sie besäßen. In den
ersten drey Fällen ist das Wohlgefallen fast immer allein ;
in den letzten beiden hingegen entsteht aus dem Wohlge»
fallen zugleich ein intereßirtes Verlangen.

, Eine andere Grundbegierde ist der LiebcsTrieb,^


der gesellschaftliche Instinkt , die Sympathie, der
Hang gegen alles dasjenige , an welchem wir Vollkom
menheiten wahrnehmen. Wir lieben oft eine gewiste
Person ohne Rücksicht auf unser Interesse, wir lassen
sie beynahe Theil an unserer Eigenliebe nehmen und su
chen ihre Vollkommenheit , so gut als die unsrige , zu
befördern. TZiese Neigung ist weder Eigennutz , noch
bloßes Wohlgefallen , sondern eine von beyden unter
schiedene Direktion unserer wollenden Aast. Sie Ver
mischt sich aber oft mit andern Trieben, mit dem sinnli-
chen Vergnügen und selbst mit dem intereßirrcn Verlan?
gen ; im letzten Falle ist immer d^r Eigennutz heftiger,
als die Sympathie, und daher könMt.es, daß diese nur
selten bemerkt wird und daß sogar viele Beobachter sie
nicht wgHrgenommen , oder sich doch Mühe gegeben ha
ben/ ihre Würkungeu aus der Eigenliebe herzuleiten. 5
« ' .. ..'.'»'.'N. . !^ . ' Daö

r Die Liebe, sagt; HerrMoses am angeführten Orte, tst eine


. ,. Bereitwilligkeit , sich an eines andern ' Glückseeligk,eitz zu
. vergnügen, das heißt, wenn man,die Begriffe der Glücks
^, seeligkeit in ihre Elemente anflögt, den Fortschritt eines am
dern zu einer höhern Vollkommenheit, als eine Vermehr
rung unserer eigenen Vollkommenheit, und umgekehrt, den.
5 , Uebergang einer andern zur Unvollkommeuheit, als unsere
«igene Vcrschlunmerung zn betrachten.
L S. den Home Th. l. S. 6«. in der Note^ Indem ich,
spricht dttser Verfasser , dies« Zergliederung der menschlichen
Natur betrachte, von der nicht ein Theil mit irgend einem
> - "Scheiiw der Wahrheit bestritten werden kan , so tan ich
, mich
26g Ueber das Pathos.

Das moralische Gefühl ist noch von allen deB


nen Instinkten verschieden, die wir bisher beschrieben
haben. Wir haben von Natur einen Hang zu würdi
gen, tugendhaften und erhabnen Handlungen und eine
Art des Geschmacks, wodurch wir die Würde und da«
Moralische in unsern Handlungen beurtheilen können.
Und wenn wir uns auch der Herrschast der sinnlichen Be
gierden soweit überlassen haben, daß wir nicht mehr im
Stande sind, würdige Thaten auszuüben ; so sind wir
doch noch immer fähig, sie an andern zu bewundern, und
in der Bewunderung selbst fühlen wir innerlich die Grös,
se der Handlung und unsere Seele wird in einen Ton gci
stimmt, welcher demjenigen ähnlich ist , der die tugend>
hafte Handlung hervorbrachte. Je mehr Mühe die
würdige Unternehmung gekostet hat, desto größer ist das
Vergnügen, was sie uns gewähret, desto starker wird
das Gefühl der Ehre und Tugend dadurch in Bewegung
gefetzt. Eine Pflicht hingegen, deren Ausübung fehr
leicht und uns selbst angenehm ist , hat einen geringer»
Grad von Würde und erregt keine Bewunderung mehr.
Dies ist die Ursache, weswegen keine Handlung, die aus
dem Triebe des Interesse hervorquillt, eine vorzügliche
Würde hat, da hingegen diejenigen Tätigkeiten , welche
aus einem uneigennützigen Wohlwollen entspringen, in ei
nem

wich nicht enthalten , über die Blindheit einiger Philosot


phen zu erstaunen , die sich durch dunkle und verwirrte Bes
griffe verleiten lassen, unsern Handlungen alle Bewegungs-
Gründe abzusprechen , die nicht ans der Eigenliebe entt
springen. Soweit man sehen kan, hätte der Mensch zwar
so eingerichtet werden können , daß er keiner andern als
eigennützigen Leidenschaften fähig gewesen wäre« Aber er
würde sich mit einer solchen Einrichtung übel zur Gesell«
schast geschickt hoben. Weit richtiger geht man zu Werke,
wenn man ihm eben sowohl Leidenschaften zueignet , die
bloß auf das Beste anderer zielen, als solche, die auf
sein eigenes gerichtet sind.
Ueber das Pathds." -69

nem hohen Grade würdig sind. Aus dem moralischen


Gefühle und den, gesellschaftlichen Instinkte zusammen
genommen entstehet die sympathetische Bewegung
der Tugend, welche Home in einem besondern Capitel
weilläuftig beschrieben hat. t

Thierische Instinkte sind natürliche Dircctio,


nen. unserer Kraft, die durch den Mechanismus und die
Organisation des Körpers erregt werden. Diese habe«
nichts würdiges an sich und können in den Künsten auf
keine Weise genulzet werden.
Aus diesem Grundtrieben getraue ich mir alle Be,
wegungen und Empfindungen , allgemeine Begierden
und

k Th. l. S. 76. f. f. „ Wir haben ein Gefühl, welches so«


wohl seiner Sonderheit, als auch seines Nützeiis wegen, «er«
dient, mit Ueberlegung betrachtet zu wenden. — Wir
werden es am beste» aus Bevspiclen kennen lernen. Eine
vorzügliche Handlung der Dankbarkeit würfet in dem Zu<
schauer Hochachtung und Liebe für den, der die.Handlung
ausübt. Zu gleicher Zeit hat der Zuschauer nrch ein nn<
bestimmtes Gefühl von Dankbarkeit , das keinen Gegen?
stand hat ; aber welches ihn gieichwohl zu Handlungen der
Dankbarkeit geneigter macht, als er es beo gewöhnlichen
Gelegenheiten gewesen seyn würde. Dieses Gefühl
tan mit Recht die sympathetische Bewegung der Tu«
gend genennet werden; denn eS wird in dem Zuschauer
durch tugendhafte Handlungen von jeder Art, und durch
keine Handlungen von einer andern Gattung erregt.
Wenn wir eine tugendhafte Handlung betrachten , die, unS
allemahl unfehlbar vergnügt und unsere Liebe für den Ur«
Heber derselben erregt, so wird die Seele in einen Tri,
gesetzt, welcher demjenigen ähnlich ist, der die tugendhafte
Handlung hervorbrachte. Der Hang, den wir zu dergleis
chen Handlungen haben, bekömmt so viel Lebhaftigkeit,
daß er ans einige Zeit zu einer wörtlichen Bewegung wird.,.
Man kan aus diesem Gefühl den Trieb zur Nacheiferunq
erklären, wenn es mit der Begierde zur Vollkommenheit
«erglichen wird.
!?e> Ueber das Pathos. '

und Verabscheuungen, eigennützige, gesellschaftliche und


ungesellschaftliche Leidenschaften zn erklären. Unter die
bloßen Bewegungen und Empfindungen , oder un,
ter diejenigen Eigenschaften und Würkungen der Begier,
den, die in keinem eigentlichen Verlangen bestehen, ge,
hören die Zufriedenheit , das Vergnügen , die Freude,
die Entzückung , das tachcn , die Hofnung , die Erwar?
tnng , die Verwunderung , die Unzufriedenheit , das
Miövergnügen , die Traurigkeit , Angst und Bangigkeit,
das Weinen , das Schrecken und Entsetzen , die Zaghaf
tigkeit, Kleinmürhigkeit, die Furcht und Verzweiflung.
Allgemeine Leidenschaften , oder solche , die sowohl
eigennützig , als gesellschaftlich , oder auch ungesellschaft,
üch seyn können , sind das Verlangen, der Abscheu , der
Ekel und der Unwillen. Eigennützige Leidenschaf«
ren sind die Ruhmbegierde, der Much, das Vertrauen,
die Reue und die Scham, tiebe , Ehrfurcht , Hochach'
tung und Mitleiden sind gesellschaftliche Leidenschaf»
ten. Zu den ungesellschaftlichen Begierden rechne
ich die Schadenfreude , die Verachtung , den Zorn , die
Wachgier , die Eifersucht und den Neid. Wir wollen
die vornehmsten dieser Empfindungen einzeln betrachten.

Einige Bewegungen und ieidenschaften sind ange,


nehm, andere zweideutiger Natur, und andere
unangenehm. Angenehm sind diejenigen, welche
aus der wahren , oder eingebildeten Stillung einer ge,
wissen Begierde entstehen ; unangenehm diejenigen,
welche aus dem direkten Widerspruch zwischen einem Ge-
genstande und unfern Gmndtrieben einspringen; und
zweideutig thcils diejenigen, welche aus angenehmen
und unangenehmen zusammengesetzt .sind , theits diejeni?
gen, weiche uns in der Ungewisheit lassen, ob wir das
Objekt einer Grundbegierde erlangen werden , oder nicht.
Von dem Angenehmen und Unangenehmen mus
das
Ueber das Pathos. .

das iLrgöyende und Verdrüsliche wohl unterschie


den werden,« dieses gehet auf die gegenwärtige unmit
telbare Empfindungen ; jenes aber auf den reflectirten
Sinn. Eine Leidenschaft, die an sich unangenehm ist,
kan ergötzend werden, wenn sie durch Nachahmung und
Illusion erregt wird. Dies ist der Fall, wo es heißt:
(Z) süsse Leidenschaften! mit angenehmen Schmerze«
Erfüllet ihr die Seele! gern bluten unsre Herzen.
. . Dusch. /
Wir wollen unterhalrsn^seyn, es koste auch, was es wol
le ; selbst unmiaenehme Empfindungen sind ergötzend,
wenn sie diesen Endzweck befördern ; und bey der Be
trachtung eines künstlichen Werk, was zu diefer Absicht
gemacht ist , sind wir sehr zufrieden ,
N>em,

« Home Th. I. S- 152. „Wenn ich einen wohlangelcgtcn


.Garken sehe, so habe ich die Vorstellung, daß er schön,
oder angenehm ist ; und ich betrachte dieses Schöne, oder
Augenehme als etwas, daß dem Gegenstände zugehöret,
oder als eine von seinen Eigenschaften. Wenn ich darauf
meine Gedanken von dem Barten auf dasjenige wende,
ivaö in meiner Seele vorgehet, so bin ich mir einer ergötzen«
den Bewegung bcwust/ von. welcher der Garten die Ursache
ist. Die Ergötznng wird hier nicht als eine Eigenschaft des
Gartens, sondern als eine Bewegung empfunden, die
durch denselben hervorgebracht wird. Ein verfaultes
Aas ist ekelhaft und unangenehm und erregt eine verdrü>;lis
che Bewegung in dem Zuschauer. Das Unangenehme ist
.die Eigenschaft des Gegenstandes, daö Verdrüßliche die Ei<
genschaft der Bewegung , die durch ihn erregt wird.
Angenehm und unangenehm sind folglich Eigenschaften der
Gegenstände, die wir wahrnehmen; Ergötzend und Wer«
Hrüßlich aber Eigenschaften der Bewegungen, die wir süh«
len. Wenn eine Leidenschaft ergötzend , «der
verdrüfziich genennt wird, so verstehen wir unser gezz>'Ni
warNges Gefühl. Wird sie angenehm, oder unangenehm
L«ncn,iek, so sicher man sie als einen Gegenstand der B<-
Nachtun«, und des Nachdenkens an..,,
Ueber das Pathos.

1>1?enn Hofnung , oder Schrecken durch alle Seenen


irrt ,
Die Seele, wie die, Bühne, Tumult und Aufruhr
wird.
Und glühend , ausser sich , so wie die Runst gebietet.
Mit Wollust Thranen weint und mir verstände wütet.
Dusch. «
Die Zufriedenheit N> ist die sanfte Empfindung,
welche aus der Abwesenheit des Verlangens entstehet,
und die Seele füllet , wenn diese von andern Bewegung
gen leer ist. Diese Zufriedenheit ist nicht diejenige
Stilleder Seele, welche von einer erhabenen Tugend
zeuget und deren Bild man durch den Altar der Juno
schildern tönte, auf welchem der Wind die Asche niemals
zerstreuet, Sie ist in der Seele das, was ein heilerer
Hiun

« im zwceten Buche deS Lehrgedichtes : die Wissenschaft


ren.
» Die Verfasser , welche ich bey dieser ganzen Abhandlung
und besonders bey der folgenden ClaWcation der Begier,
den vornehmlich gebraucht habe, sind Moses, ( in den
phil. Schriften) Home, < in den Grundsätzen der Critik)
< Sulzer, (in der Theorie der angenehmen Empfindungen)
Hutä«son , ( in der Sittenlehre der Vernunft und in
der Abhandlung über die N«tur der Leidenschaften und das
moralische Gefühl ) pouilli, ( in der l'Keoi ie <l« f-mi-
«,en« sßreäble, ) DarjeS , ( in der philosophischen Sitten?
lehre) Le Brün, (in seinem Discurs über die Affekten
und Phvsiognomie ) Leßittg, (in seinem Laokoon) uns
einige Ungenannte in den Litteratur Briefen , in der Vi«
bliothek der fchönen Wissenschaften und andern Schriften
«on dieser Art. Ich nenne diese Schriftsteller zusammen
um nicht durch eine jedesmalige Anführung derselben in
eine ekelhafte Wiederholung zu fallen, oder, wenn ich sie
verschweigen wolle, in den Verdacht eines Diebstahls.
sr PIm. ,n,t. Kist. lib. II.^ e»p. i«7. p. m. n6. und Winkel?
manns Versuch einer Allegorie, S. 147.
Ueber das Pathos. 27)

Himmel in derNaiur ist, der auf ein Ungewitter folget;


und wir sinden, daß sie, vornehmlich aus einer drcyfa-
chen Quelle entspringet. Erstlich folgt sie lmmitt-'Zbar
auf das Verlangen, wenn das Fiel dcss^lden erreicht ist,
und in diesem Falle kan sie durch diejenige sanfte Bewe«
gung beschrieben werden, welche aus der Stillung ei»
uer teidenschast entstehet. Jede Leidenschaft hört auf,
wenn sie ihren letzten Endzweck erreicht hat, sie verwandelt
sich zuerst in eine bloße Bewegung und diese verschnitt?? .
det zuletzt in Gleichgültigkeit. Dicsez. mittlere Znstand
zwischen der Leidenschaft und der Gleichgültigkeit ist eben
diejenige Zufriedenheit,^ von welcher die Rede ist. Zwey-
tens kan auch ein unerwarteter Vorfall Zufriedenheit er
regen , den wir würden verlangt haben , wenn wir ihn
vorher gefehen hätten. Wir können den vagen Trieb
nach Glückseligkeit als einen solchen ansehen, der bestän,
big fortdauert , als ein immerwährendes Verlangen,
welches durch eine jede vortheilhafte Begebenheit auf
eine Zeitlang gestillt wird; und eben diese Stillung würkt
Zufriedenheit , wir mögen den Gegenstand vorher verB
langt haben , oder nicht, ^, Drittens folgt auch die Zu?
friedenheit auf ein Unglück, leiden, auf mühsame Arbei»
ten, von t«lchen wir nur erst sind befteyet worden. So
zufrieden war der ruhende Hercules , ( «^««-«1,0^0? ) 2
nachdem er feine Arbeiten überstanden Halle; so der jun-
ge

^ „ Eine glükliche oder unglükliche Begebenheit , die sich


durch einen Zufall erci^iier , ohne daß wir sie voraus ge<
sehen , oder daran gedacht hätten , und die folglich nicht der
Gegenstand eines Verlangens seyn könnie, erregt eine Bei
wegung von gleicher Gattung mit derjenigen , welche durch
die Stillung einer Begierde, oder durch eine Begebenheit,
welche unserm Verlangen zuwider ist, hervorgebracht
wird.,, Home Th. I. S. 72.
» Winkelmann von der Allegorie, S. 146,
Ueber das Pathos.
qeieöbier, welcher, um seine liebste im Wasser zu ret
ten , selbst hineinsprang und Gefahr lief zu ertrinken , da
er ein schwimmendes Gefäß mit der Beyschrift : äiOL
des rettende» Jupiters ergrif, aufweichen,
er das Ufer erreichte; « so DaphniS und Chlor, die sich
beyde mit Schwimmen ans Eyland gerettet hatten. S
Diese Gattung der Zufriedenheit ist stärker und augeueh,
wer , als die übrigen. Der Grundsatz des Entgegen ges
setzten hat Theil an dieser Würkung. Die Bewegung
der Zufriedenheit , die aus der Endigung des Schmer-
zens entspringt , wird durch den Contrast erhöht, wenn
wir an unser vorhergehendes leiden gedenken. 6- Die
Zufriedenheit zeigt sich äußerlich durch eine heitere Stirn,
durch unbewegliche und in der Mitte erhöhte Augen-
brauuen, durch ein geöffnetes und lachendes Auge, durch
einen lebhaften und hellen Augapfel. Die Farbe des
Gesichts ist munter , die Wangen und Uppen sind roch«
lich und die Seiten des Mundes ziehen sich in die Höhe.
Die Worte und Handlungen sind ein Wiederhall von
der Heiterkeit des GemüthS und desto lebhafter, je gros«
ser die Abstechung zwischen der vorigen Unruhe und der
jchi-

' « ätKen veipn. I!. p. 46«. v. und WinkclmannS Vers


such einer Allegorie , S. 146.
j Siehe die Idyll« des Herrn Geszners, MyrtillundThyrsik.
e Home Th. !. S. ?Z. f> f- » Entgegengesetzte Dinge, die
„eben einander gestcllet werden, setzen einander mehr ir,<
Licht. » D''-' Endigung des leiblichen Schiner«
zeS ist für sich selbst kein Vergnügen. Denn eine Verneis
nung kan weder Schmerz noch Vergnügen würken« Aber
der Mensch ist von Natur so eingerichtet , daß er sich eben
so wohl bey Erleichterung der Schmerzen freuet, als bey
der Beraubung eines Gutes betrübet. Die Befriedigung
des Verlangens kommt noch , als eine Ncbenursache dazu ;
und mit ihr vereinigt der Contrast seire Gewalt, indem
er das Gefühl ^cu unserer gegenwartigen Glükseeligkeit
vermehret, „
Ucber das Pathos. 27z

jetzigen Zufriedenheit ist. Je empfindlicher wir vorher


sind verwundet worden, desto angenehmer werden wir
wieder geheilet. ^
Wenn sich die Zufriedenheit durch ein munteres Wtt
seN , in Minen , Geberden , Stellungen , Worten und
Handlungen äussert , fo heißt sie Fröhlichkeit ; eine
Bewegung, die von den Alten nicht allzu passend durch
das Bild der Ceres ausgedrückt wurde , welche in der
rechten Hand einen Kranz halt , und in der linken ein
Ruder. Sowohl die Zufriedenheit, als die Fröhlichkeit
sind allgemeine Bewegungen, die durch die Stillung der
Triebe der Interesse, des Wohlgefallens , der iicbe, der
Tugend , durch gefellfchaftliche und ungesellschaftliche teil
denschafren können ^gewürkt werden.

Die Zufriedenheit , verknüpft mit dem Bcwustsey»


des Besitzes und mir Wohlgefallen , heißt Vergnügen.
Ein unerwartetes und heftiges Vergnügen wird Freude,
Und wenn die Freude so stark würkt, daß sie alle unan,
genehmeEmpfindungen verdunkelt, daß wir an nichts wei-
ter denken , als an sie allein und unser ganzes Daseyn
nur in ihr empfinden , so heißt sie Entzückung. Die
Symptomen bey dieseu Empfindungen zeigen sich eben so,
wie bey der Zufriedenheit, nur in einem höhern Grade.
Die Augen funkeln ; die Farbe wird glänzeud und hoch»
roch : der Puls schlägt stärker, die Fibern sind gespannt und
alle Muskeln blähen sich auf und besonders bey der Ent,
, zückung ist der ganze Körper iu einer hinsinkenden , aber
lebhaften Bewegung. Die Jdeeu gehen unordentlich
durch einander, die Reden sind abgebrochen und, der To»
der Stimme ist auf eine angenehme Art heftig.
S - ES
^S. den Batleux'vom Herr« Ramler Tl> !. S. 402.
Eben deswegen ist eS ein gemeiner Kimstgrif, daß man um
Z sere Furcht rege mache, um uns zum Empfange einer gut
ten Nachricht ju bereiten. S. de,, Home Th. l, S, 76.
Ueber das Pathos.'
Es ist ein merkwürdiges Phänomenen , daß die
Zurückhaltung der Freude würdiger und erhabener ist,
als ihr Ausbruch. Man ist geneigt , es für eine
Schwachheit zu halten, wenn eine Person ihren Empfin
dungen sreyen tauf läßt , und bewnndert eine solche , so
erhaben sie auch sonst seyn mag, weniger, als einen
Stoiker, der Philosoph genug ist, um deuMeiischenaufder
Mine zu veriäugnen und die Bewegungen seines Her,
zene, wo nicht stch selbst, doch andern zu verbergen. Wenn
aber die Zurückhaltung der Freude erhaben ist , so ist
hingegen ihr Ausbruch menschlicher und eben dadurch in
der Nachahmung wahrscheinlicher. Ein Held ohne Em
pfindung ist so ungereimt , als ein Held ohne ieben , oh«
ne Handlung,? nnd gewis ein Held muß wenig Empsin.'
dung haben, wenn er gesetzt genug seyn will, um die
äußerlichen Ausdrücke dercrjenigen Bewegungen , die
er nothwendig fühlen mus , zu unterdrücken.

Das Lachen ist, wie wir fchon vorher/ bemerkt


haben, zuweilen ein Ausdruck der Freude, über die
Erlangung eines gewünschten Objekts und überstiegen
Schwierigkeiten. Doch mus die Freude nicht bis zum
Entzücken angewachsen senn, wenn sie in ein iachen aus?
brechen soll. I» den bildenden Künsten kan das iachen
nicht

e z. B. ., So erhaben, so göttlich der Charakter des Caio


ist, so wenig nimmt er sich in der Nachahmung aus. Sei?
ne erhabene Gleichgüliigkeit erregt Liebe , Bewunderung
und den stillen Wunsch, wir möchten über unsere eigene
Begierden eben so viel Gewalt haben. Allein in der Nach-
ahmung kan der Charakter des Cato nicht anders intereßis
ren als durch Illusion und diese ist bloß durch die künstliche
Erregung der Leidenschaften ?u erhalten. — und eine
Leidenschaft, die keine äußerliche Symptome» würfet, ist ,
für den Zuschauer so gut, wie keine Leidenschast. S. Die
LitlerakurBriese. Th. IV. S- 288. f. f.
/ S. 97-
Ucber das Pathos. 277

nicht als ein Ausdruck froher Empfindungen gebraucht


werden, weil es eine transitorische Bewegung ist, die,
in der Nachahmung als sortdaurend vorgestellt, nicht
anders als unangenehm seyn kan. F Das freudige 5ai
chen äussert sich durch freudige Thramn aus einem halb
geschlossenen Auge ; die Augenbraunen sind in der Milte
über dem Auge erhöht und ziehen sich bey der Nafe her,
unter ; der Mund öfnet sich fo weit, daß die Zähne
sichtbar sind ; die Backen zeigen Falten und scheinen mit ,
ihren Protubcranzen über die Augen hinauf zugehen ; die
Nasenlöcher sind weit, und das ganze Gesicht glänzt
von dem lebhaften Jncarnat , welches der Freude eigen
ist.

Die Hofnung ist eine anticipirte Zufriedenheit , die«


jenige angenehme Bewegung, welche emsteht, wenn man
sich den Besitz eines '.Guten oder die Entfernung eines Ue-
bels als sehr möglich und wahrscheinlich gedenket. Sie
äussert sich durch eben die Merkmahle , wie die Zufrie,
denheit ; nur daß sich immer noch in der Mischung der
Züge und anderer Kennzeichen eine Spur von Ungewis?
heil findet. Es gicbt eine Art der Hofnung , die auf
kein bestimmtes Objekt gerichtet ist, weil sie blos aus dem
Gedanken von der möglichen Befriedigung einer vagen
Begierde einspringet. Dem hoffenden Subjekte ist die
Hofnung allemahl ergötzend , weil sie ihm ein Bild von
künftigen angenehnmi »Empfindungen vorspiegelt. Wird
sie

5 „ Der Künstler kan von der immer veränderlichen Natur


nie mehr als einen einzigen Augenblick, und 'der Mahler
insbesondere diesen einzigen Augenblick nur aus einem ein«
zigen Gesichtspunkte brauchen. Erhält dieser Aigenblick
durch die Kunst eine unveränderliche Dauer ; s« mus er
nichts ausdrücken , was sich nicht anders als transicorisch
denken läßt. » S. Leßings Laokoon, S. 24, 25.
Sz
,78' Ueber das Pathos.

sie aber zu einem Gegenstande der Betrachtung gemacht,


so kan sie zuweilen unangenehm werden ; besonders in
denjenigen Fällen , wo sie die Würde dcs Charakters auf
einen niedriger« Grad heruntersetzt. Sich immer mit
Hofnung speisen , heißt , sich mit Träumen belustigen , und
ist seine Eigenschaft eines gesetzten Gemüths. Eine sol,
che Hofnung , die die Person in unserer Achtung verrin,
gert, kan in der Nachahmung nicht anders als unange«
nehm, oder lacherlich seyn. H

Die Erwartung ist eine Bewegung von zweydeu-


tiger Natur, welche aus des Annäherung eines verlang
ten , oder eines widrigen Erfolgs entstehet. Ihre näch
ste Würkung ist die , daß sie die Zeit in unserer Einbil
dung verlängert, wenn der erwartete Erfolg angenehm
ist , und verkürzet, wenn er unangenehm ist. „ Das
«inziqe natürliche Maas der Zeit ist die Reihe miserer
Gedanken ; und wir urtheilen allemahl , daß die Zeit
nach dem Verhältnisse der Anzahl von Vorstellungen,
die während derselben durch die Seele gehen , lang , oder
kurz ist. « i Allein durch dieses Maas kan nur diejenige
Zeit genau bestimmt werden , welche schon vergangen ist.
So lange sie noch dauert, mischen sich unsere teidenschaß,
ten

5 Die Natt« will durch die Hofnung die gegenwZrtigen Lei<


den, oder Unannehmlickketten deö menschlichen Lebens ver<
süßen. Aber die Ausschweifungen der Menschen verderbe»
gemeiniglich den Zweck der guten Anstalten der Natur. Am
statt das; man bei) diesen schmeichelhaften, aber doch täul
schenken Bildern nur Augenblicke verweilen si>lte , so ver<
liebt man sich so sehr darin, daß man das Gegenwärtige
ganz darüber vergißt. Und welch ein Elend , wenn diese
Hoftmngen nun fehlschlagen I S. die Schrift deö Herr»
Spaldings über die Bestimmung deS Menschen, und dis
LitteraturBrirfe, Th. XVUI.S. N.
i H««e Th. l. S. 25s.
Ueber das Pathos. ^79

ten mit ins Spiel und machen , daß die Berechnung der
Zeit oft ganz anders auöfält Wenn wir uns nach ei
ner künftigen Begebenheit sehnen, so scheint uns jede
Minute bis zn dem Augenblicke des Genusses unerträg
lich lang. Gehet hingegen die Erwartung auf einen un«
angenehmen und fchsn bestimmten Erfolg, so vermindert
sie den Zwischenraum zwischen dem gegenwärtigen Zeit«
punkte und dem Augenblicke des Erfolgs. Im ersten
Falle scheint uns die Zeit immer zu lang , und in diesem
immer zu kurz. Die Erwartung eines unbestimmten
und ungewissen Erfolgs bringt eine andere Würkung her«
«or , und macht , daß wir die Zeit auf die entgegengesetz
te Weise berechnen. Dies ist der Fall bey teutcn , die
schlimme Nachrichten besorgen. Man weis, wie beschwer?
lich dieUngewisheit dem gröstenTheile der Menschen ist.
Von dieser Beschwerlichkeit wollen wir auf jede Weife
gern frey seyn , wenn es auch durch die schlimme Nach-
richt selbst wäre. Dieser Fall ist also dem Falle bey
leiblichen Schmerzen ähnlich. 6 Das gegenwärtige Kei,
den macht in beyden Fällen, daß uns die Zeit äußerst
lang scheinet. /
Die Verwunderung entstehet aus der anschauen
den Erkänntnis einer wichtigen und sonderbaren Neuig«
kcit. 77/ Die Ueberrafchung, welche insgemein damit
«erknüpft ist, hat die Gewalt, daß sie alle iebenögeister
in einen Punkt treibet und an demjenigen Orte verfam,
melt,

t Der leibliche Schmer; ist «llcmahl mit einer gewissen Unges


dult und einem ängstlichen Verlangen begleitet , seiner frcy
zu werden. Die Ungednlt macht uns jede Minute zn einer
Stunde. Home Th. l. S. 2zz. s.
k Home, Th. I. S. 254, f.
« S. oben S. i z«. und die Philos. Schriften , Th. II. S.
?8<5 Ueber das Pathos.

melk, wo der sinnliche Eindruck des bewunderten Objekts


ist. Daher kömmt es, daß der ieib, wie eine Bildsän,
je, unbeweglich wird. Der Mund stehet halb offen,
die.Augen öfncn sich mehr, als gewöhnlich, die Augen,
braunen ziehen sich in die Höhe und der Augapfel ist oh?
ne Bewegung starr auf das Objekt gespannt, welches den
Eindruck hervorbrachte. Die Verwunderung , als Ge
fühl betrachtet, ist an sich angenehm, und wird nur des
wegen eine zweydeukige E.npsinduug, weil sie zugleich
den Charak.er des Gegenstands aunimmt , von welchem
sie erzeugt wird. » Eine allzustarke, merkliche und zu
oft wiederholte Verwunderung zeuget von einer Schwä«
che des Geistes und verringert das Subjekt, bey welchem
sie statt findet , in unserer Achtung. Dies ist der Fall,
Hey der dummen Verwunderung, welche Herr Winkel-
mann durch eine NvÄeule andeuten will, um welche
«udere Vögel herumstiegen, o

Ein Verlangen , welches nicht ist gestillt worden,


oder ein Uebel., welches wir mit uns verknüpft fehen,
erregt Unzufriedenheit. Unzufriedenheit mit Bewust,
seyn, heißt Mlsvergnügen. Und wenn das Mis-
vergnügen allein in de? Seele herrscht und aste angeneh
me Empfindungen überwieget, oder unterdrückt, so ist
es Traurigkeit. Unzufriedenheit , Misvergimam und
Traurigkeit find unangenehme Bewegungen , die die
Seele niederschlagen und von ihrer wahren, oder einge
bildeten Größe herabsetzen. Sie off-nbahren sich durch
olle die Merkmale, die ein gebeugres Herz verrathen,
durch eine blaße GesichtsFsrde, durch schmachtende Bli
cke

» S. oben , S. 164. f, f.
, Denn dieseö Fliegen heißt »ach dem Aristoteles H«uMe/stt>.
verwundern, S. den Versuch einer AlleM'ie S« 14k. und
Lsed«t. Uisrosi, I«. «. c. ^ 66.
Ueber das Pathos.

cke und durch einen matten und hinsinkenden Körper. Der


Augapfel ist trübe, die Augenliedcr herabhängend und ge
schwollen ; die Augenbraunen senken sich an den ausser,
sten Enden uud ziehen sich in der Mitte Key der Stirn in
die Höhe ; der Mund ist halb geöfnet und seine Winkel
gesenkt ; das Haupl hat eine nachläßige und wehmüchige
Neigung und scheint schwer auf der einen Schulter zu
liegen. Wenn die Traurigkeit nicht allzustark würkt und
nebst dem Gefühl des gegenwärtigen UebelS zugleich die
Empfindung des vorigen Glücks mit einschließt, sover-
räth sie sich durch Seufzen und Weinen. /? Eine all-'
zuheftige Wehmuch verursacht eine gewisse Betäubung , in
welcher wir keine Thräncn finden können , um unser iei-
den auszudrücken. DieAeusserungen der Traurigkeit auf
den Minen und in den Stellungen sind heftiger und sinn
licher , wenn sie aus der Empfindung eines körperli«
chen Schmerzens entstehet. F Die Gesichtszüge sind
ver-

- /S. die Phil. Schriften, Th. II. S. 2k. „ Dos Weinen


ist eine vermischte Empfindung von Lust und Unlust, und
entspringet aus der anschauenden Erkänntuis des Contrasts
zwischen einer Vollkommenheit und Unvollkommenheit, die
uns beyde sehr nahe gehen. Daher weinen wir, wenn wir
Mitleiden fühlen —^ wenn wir jetzt glücklich sind und uns '
an unser voriges Unglück erinnern —- oder wenn
wir unglücklich sind , und uns des vorigen Glücks enn«
nern. —' Wenn die Unlust über das gegenwärtig
ge Unglück so gros und so lebhaft ist, daß sie in der Seele
herrschet und alle Nebenbegriffe unterdrücket ; so sind unscs
re Augen trocken ; wir stehen mit versteinerten Blicken da,
und können nicht weine«. „
L Leßing im Laokoon , S. 4. „ Schreven ist der natürliche
Ausdruck des körperlichen Schmerzens. Homers verwun«
dete Krieger fallen nicht selten mit Geschrei) zu Boden.
Die geritzte Venus schreyet laut ; nicht um sie durch dieses
Grschrcy , als die weichliche Göttin der Wollust zu schildern,
vielmehr um der leidenden Natu> ihr Recht zugeben. Denn
S 5 selbst
28; Ueber das Pathos.

verzerrt und der ganze ieib auf eine unnatürliche Art ge»
sireckt , oder gekrümmt und hingeworfen. Die Unter?
drückung dieser Symptomen des Schmerzens und der
Traurigkeit zeugt von einer großen Seele und vermehret
unsere Achtung gegen die leidende Perfon , aber meisten,
theils auf Unkosten des Mitlcidens. „ Unfer Mitleiden,
sagt Herr teßing , ? ist allezeit dem leiden gleichmäßig,
welches der intereßirende Gegenstand äussert. Sieht
man ihn sein Elend mit großer Seele erlragen , so wird
diese große Seele zwar unsere Bewunderung erwecken,
aber die Bewunderung ist ein kalter Affekt, dessen unchä?
tiges Staunen jede andere wärmere Leidenschaft , so wie
, jede andere deutliche Vorstellung , auöschliesset. „ Der
Künstler wird also mit Weisheit zwischen der Erhaben,
hcit und zwischen der Menschheit ein Mittel treffe». Er
wird den Streit zwischen Schmerz und Widerstand in
einem Punkte vereinigen, den Schmer; des Körpers
t,nd die Grösse der Seele mit gleicher Stärke auscheilen
und uns weder Natur auf Unkosten der Schönheit , nrch
Erhabenheit aus Unkosten der Natur liefern ; mit einem
Worte , er wird alles das thun , was Agesander , Poly>'
dorus und Athenodorus in ihrem taokoon gethan ha,
den. i
Die
selbst der eherne MarS , als er die Lanze des Diomedrs fühl
let, schreyet so gräßlich, als j schrieen zehntausend wütende
Krieger zugleich, daß bevor Heere sich entsetzen. „
5 S. 8.
, S. Winkelmanns Geschichte der Kunst, Th. II. S. Z48. s>
Desselben Schrift von der Nachahmung der griechischen
Werke in der Mahlerey und BilohauerKunst, S. 2r, 22,
und Leßings Laokoon S. 2 s 29. Ich setze zum Nutzen de«
rcrjenigen, für welche ich schreibe, die vörtrefliche Stelle her,,
in welcher Herr Winkelinann den Laokoon geschildert hat.
Man dürfte sagen , daß hier der Beobachter so viel Kunst
Steiget, «!s der Meister selbst. „ Laokoon ist eine Natur
im
Ucber das Pathos.

Die Ungedult ist eine Art einer Unzufriedenheit


über die lange Dauer eines gewissen Zustande«, und über
die Verzögerung eines erwünschten , oder auch eines un,
ge-

im höchsten Schmerze, nach dem Bilde eines Mannes g«


macht, der die bewußte Stärke dcS Geistes gegen denselben
zu sammeln suchet ; und indem sein Leiden die Muskeln auf?»
schwellet, und die Nerven anziehet , tritt der mit Starke bewaft
ncte Geist in der abgetriebenen Stirne hervor,^ und die Brust
erhebt sich durch den beklemmten Othem und durch Zurücks
Haltung des Ausbruchs der Empfindung , um den Schmerz
in sich zu fassen und zu «erschließen. Das bange Seufzen,
welches er in sich und den Othem an sich zieh«, erschöpfet
den Unterleib und machet die Seiten hohl, welches uns
gleichsam von der Bewegung seiner Eingeweide urtheilen
läßt. Sein eigenes Leiden aber scheint ihn weniger zu bes
ängstigen, als die Pein seiner Kinder, die ihr Angesicht zu
ihrem Vater wenden und um Hülfe schreyen : denn das «Zs
terliche Herz offenbahret sich in den wehmüthigcn Augen,
und das Mitleiden scheint in einem trüben Dufte auf dem
selben zu schwimmen. Sein Gesicht ist klagend , aber nicht
schrevend, seine Augen sind nach der höhern Hülfe gewandt.
Der Mund ist voll von Wehmuth , und die gesenkte Unter«
lippe schwer von derselben ; in der überwärts gezogenen.
Overlippe aber ist dieselbe mit Schmerz vermischet , welcher,
mit einer Regung von Unmuth, wie über ein unverdientes
unwürdiges Leiden, in die Nase hinaustritt, dieselbe schwül«
siig macht und sich in den erweiterten und aufwärts gezoges
nen Nüsien offcnbnhret. Unter der Stirn ist der Streit
zwischen Schmerz und Widerstand, wie in einem Punkte
«ereiniget, mit großer Weisheit gebildet : denn indem der
Schmerz die Augenbraunen in die Höhe treibet, so drücket
das Sträuben wider denselben das obere Augcnflcisch nieders
wärtö, und gegen das obere Augenlied z», so daß dasselbe
durch das übergetretene Fleisch beunahe ganz bedecket wird<
Die Natur , welche der Künstler nicht verschönern konte,
hat er ausgewickelter ,, angestrengter und mächtiger zu zeit
gen gesucht z da, wohin der gröste Schmerz gelegt ist, Aeigt
sich auch die gröste Schönheit. Die linke Seite , in welche bis
Schlange mit dem nckrenden Bisse ihren Gift «usAiesset/ ist
284 Ueber das Pathos.

gewissen Erfolgs. Die Ahndung ist ein dunkles Ge,


fühl einer künftigen Begebenheit. Die Furcht ist ein
anttcipirteö Misvergnügen , oder diejenige unangenehme
Bewegung, welche aus der Erwartung eines unglückli
chen Erfolgs entspringet. Ungedult mit Furcht und
Ahndung verknüpft , ist Angst , oder Bangigkeit.
Angst , verbunden mit Miötrauen auf sich selbst, wird
Zaghaftigkeit und Zxleinmüthigkeir ; und aus allen
diesen Bewegungen zusammen genommen, wenn sie über?
wiegend und heftig werden , entstehet Verzweiflung.
Diese Bewegungen haben fast alle etwas Niedriges an
sich, welches mir durch die Heftigkeit ihrer Würkuugen
und durch die Stärke der Illusion kan verdunkelt wer«
den. Die Furchtsamkeit ist uns verdrüßlich, wenn wir
selbst damit behaftet sind, und unangenehm, wenn wir
sie an andern bemerken ; im letzten Falle vermindert sie
«llemahl das Interesse und den Antheil , welchen wir
sonst an der Person nehmen würden. Ein Krieger , wel?
cher den Schild vor das Gesicht hält, ist in unserer Idee
kein Held mehr , t und wir hören auf, den Eleph^nten
zn bewundern, fo bald wir erfahren, daß sich dieses Thier
«or seinem eigenen Scharren scheuet. « Noch mehr gilt
diese Bemerknng von der Kleinmüthigkeit und Zaghaft
tigkeit. Wir sind nicht fähig, uns für einen Menschen
zn intereßiren , der in sich selbst ein Miötrauen fetzt.
Verachtung ist die einzige Bewegung , die «n solcher
Cha,

diejenige , welche durch die nächste Empfindung zum Herzen


am meiste,, zu leiden scheinet, und dieser Theil des Körpers
kan ein Wunder der Kunst genennt werden. Seine Bei!
ne wollen sich erheben , um seinem Uebel zu entrinnen : kein
Theil ist in Ruhe : ja die MeisselScreiche selbst Helsen zur
Bedeutung einer erstarrten Haur. „
x Winkelmanns Versuch einer Allegorie, S. 142. Hesiodiis
in lcut. tterc. v. 24. Kurip. PKoeniss. v. IZAZ.
» Winkelmann am angeführten Ölte, S. 4.
Ueber das Pathos. -8f

Charakter erregt. Von der Angst und Verzweiflung


müssen wir anders urtheilen. Diese Bewegungen reißen
durch ihre Heftigkeit uns mit sich fort; wir ängsttgeu uns
mit der beängstigten Person, und, wenn unser Held
sonst einen erhabnen Charakter hak, so sind wir geneigt,
mit ihm zu verzweifeln, l,
Schrecken , Entsetzen und Bestürzung sind
Bewegungen, die aus dem plötzlichen Anblicke eines un
erwarteten Unglücks einstehen. W Das Bild der Be
stürzung, fagt Herr Winkelmann kan ein Rehe feyu,
welches, wenn es im laufen einen Menschen gewahr
wird, stehen bleibet und sich weder vorwärts noch zurück
zu gehen getrauet ; so wie Homer selbst einen bestürzten
Menschen mit einem stutzigen Rehe vergleichet. ^/ Wenn
wir uns bemühen, dasjenige genauer aufzuklären,
was in unfern Empfindungen verborgen liegt; fo können
wir noch einen Unterschied unter den Bewegungen des
Schreckens, des Entsetzens und der Bestürzung enrde,
cken. Das Schi ecken kan sowohl auf ein gegenwärtiges
als auf ein künftiges Unglück geben , dessen Gewißheit
uns durch eine unvermuthete Nachricht angekündigt
wird. Das Entsetzen entstehet aus der plötzlichen Be
gegnung eines Objekts , was für uns auf eine unange
nehme Art wichtig ist und unsere ganze Absicht mit ein,
mahl vernichtet. Die Bestürzung entspringet aus
dem jählingen Anblicke von gegenwärtigen Hindernis
sen, zu deren Entkräftung wir in der Geschwindigkeit
kein Mittel erdenken können , diese würkt eine traurige
Unentschloffenheit in der Seele; einen Zustand, wo wir
nicht
v Von den Kennzeichen der Furcht und Verzweiflung siehe dm
Le Brün am nngesührken Orte,
»> S. oben S. 161.
Allegorie S. 140.
^ Iliscj: L v. 24z. v. i.
2z6 ' Ueber das Pathos.

nicht wissen, wohin wir uns wenden sollen. Ein feiger


Soldat erschrickt vor der bloßen Nachricht von der An,
Näherung des Feindes; er entsetzt sich, wenn er den er,
sien Schluß hört ; und ist bestürzt, wenn er auf der
Flucht ein Wasser antrift, welches ihn verhindert, dem
Schwcrdte zu entgehen. Die sogeuanme angenehme
Bestürzung besteht in einem unerwarteten und über?
raschenden Vergnügen, welches nur uneigcntlich den Na,
wen der Bestürzung erhält.

Das Verlangen s entsteht aus dem Anblick eines


Gegenstandes, welcher mit nnsern Grundtricben überein«
stimmt, wenn wir dessen Erlangung als möglich geden?
ken. Es äussert sich durch feurige Blicke, die einzig und
allein auf den Zweck des Verlangens gewichtet sind, durch
volle aufgeblähte Muskeln, durch eine GesichtöFarbe,
die röther und lebhafter ist, als gewöhnlich, und durch
schnelle Bewegungen , die der Heftigkeit der Begierde«
entsprechen. Das Verlangen wird angenehm , oder um
angenehm, nachdem es entweder mit Hofnung, oder mit
Furcht verbunden ist.

Abscheu und Verabscheuung sind nicht völlig


einerlei). Jenes geht auf einen Gegenstand, den wir
nicht empfinden, und diese auf einen andern, den wir
nicht besitzen ^wollen. Jenes entsteht aus einem Wider?
spruche mit dem Triebe des Wohlgefallens , diese aus ei«
nein Widerspruche mit 'dem Triebe des Interesse. Ei»
häßliche« Objekt erregt Abscheu ; ein schädliches Verab?
scheuunZ. Ein schreyender taokoon, s ein bärtiger Ju,
piter

x Es sty mir ertaubt. Sinnlich zu feyn, w, kch <e init


Ueberzcugmig scyn k<m. Ich folge in diesen und andern
Begriffen der Darjesischen Sittenlehre, L. 26z.' z«,o.
« Lewings Laokosn S. 2».
Ueber das Pathos.

piter mit aufgerissenem Munde ^ sind abscheulich , und


ein Frauenzimmer würde eine solche Gestalt verabscheuen,
wenn es darunter seinen Geliebten erblicken svlte. Das
Haßliche selbst nimmt Theil an der Natur des Schädli
chen, sobald wir aufhören, bloße Zuschauer zu seyn, so
bald wir es mit aller seiner Häßlichkeit besitzen und irr
solchen Verhältnissen besitzen sollen , wo wir nur Schön»
heil verlangen.

Der Abscheu Key der wirklichen oder eingebildeten


Empfindung eines sehr haß ichen Gegenstands äussert sich
zuweilen durch merkliche Symptomen im Körper und
heißt Ekel, Wie kan diese widrige Empfindung natür
licher Weise entstehen ? Welche Sinne sind derselben am
meisten ausgesetzt? „Mich dünkr, antwortet ein scharf»
„ sinniger Kunstrichter, c- der Geschmack, der Geruch
„ und das Gefühl. Jene beyde durch eine übermäßige
„ Süßigkeit, und dieses durch eine allzugroße Weichheit
„ der Körper , die den berührenden Fibern nicht genug-
„ sam widerstehen. Diese Gegenstände werden sodann
„ auch dem Gesichte unerträglich, bloö durch die Asso,
„ ciation der Begriffe , indem wir uns des Widerwil-
„ lenS erinnern, den sie dem Geschmacke, dem Gern,
„ che, oder dem Gefühle verursachen. Eigentlich zu re»,
„ den aber giebt eö keine Gegenstünde des Ekels für das
„ Gesicht. „ Dieser Mcyunng widerspricht Herr teßing.
» Mich dünkt, schreibt cr,^ es lassen sich dergleichen
„ ( Gegenstände des Ekels für das Gesichts ) allerdings
„ nennen. Ein Feuermahl in dem Gesichte , eine Ha-
„ senfcharte, eine gepletfchte Nase mit vorragenden iö,
„ chern , ein gänzlicher Mangel der Augenbraunen,
., sind

ö Leßing, S. 21. u»dl^o,u5»ucvn ^vticzuite «^li^uee, l'it.


I. p. 5«.
c in den LikttrakmBriesen Th. V. S. ivo.
Laokoon S. 247. f.
2.88 Ueber das Pathos.

, „ sind Häßlichkeiten, die weder dem Gerüche, noch dem


„ Geschmacks, noch dem Gefühl zuwider seyn können.
„ Gleichwohl ist es gewis, das wir etwas dabcy empfinden,
„ welches dem Ekel schon viel näher kommt, als das, was
„ andere Unförmlichkeitcn des Körpers, was uns emkrum?
„ mer Fnß, ein hoher Rücken, empfinden lasscn; je zartt
„ licher das Temperament ist, desto mehr werden wir von
„ den Bewegungen in dem Körper babey fühlen, welche
„ vor dem Erbrechen vorhergehen. ,. Das Ekelhafte ist
eigentlich eine Gattung des Häßlichen, wenn dieses so
stark würket , daß sich selbst unser Körper gegen 'die Em
pfindung dcsselbm empöret und durch allerhand widrige
Bewegungen seinen Abscheu zu erkennen giebt. Es ge
hört sür'alle Sinne, besonders aber für diejenigen, bey
welchen wir uns der Berührung des äujserlichen Objekts
bcwust sind, für das Gefühl, den Geschmack, und den
Geruch. Diese Empfindungen sind körperlicher, als die
andern, e und eben dadurch fähiger, die körperliche Be?
wegung hervorzubringen , welche zum Wesen des Ekels
gehöret. Denn man mus gestehen, daß dieser mehr
Gefühl im Körper , als Empfindungen in der Seele ist.
Die Bilder des Gesichts erregen zuweilen etwas ähnli,
ches, theils durch sich selbst, theils durch die Association.
Allein da diese Ideen schon feiner und geistiger sind, fo
können sie , allein genommen und ohne Association,
die stärkste Bewegung des Ekels nicht hervorbringen.
Das Gehör empfindet allzutransitorifch , um das Ekel,
hafte zu fühlen , welches allemahj etwas Stetiges erfc»
derk. Doch können zuweilen übclangebrachte Semito?
nia, MiöTöne und falschgestnchene Saiten, eine schlech
te und zum SchönSingen gezwungene Stimme etwas
ähnliches verursachen, welches wir dadurch auszudrücken
vfle.

, S. den Home in der Einleitung, S. i, 2. und oben S.


2«. und 27.
Ueber das Pathos. ?8Y

pflegen, daß wir sagen, das Ohr thue u„S weh./ Von
dem bieher besckiiebeiien Ekel unterscheidet sich derjenige,
welcher cm« dem Genuß enrspriüget und eigentlich in der
Bemühung der Seele gegründet ist , immer von einer
Empfindung «ttf die andere fottzuschreiter,. Zuweilen
drükr der Ekel auch eine zärtliche Snmmung der Seele,
eine gewisse Feinheit des Geschmacks c.i.S, wenn dieser
die öftere Emxsi düng großer Schöliheilen ver,
, verhindert wird, kleinere Schönhei,

Der Unwillen ist eine ieidenfthafr, die gerade zu


auf eine Person gerichtet ist, welche uns beleidiget, oder
doch Handlungen unternommen hat, die unserm Ver,
langen zuwider sind. Heftiger Unwillen , nebst einer
Bemühung die wahre, oder eingebildete Beleidigung
zurück zu treiben , heißt Zorn. F Oft ist der Zorn in,
slinktartig und unvernünftig, wenn er aus einem bloßen
Schmerzen, oder beiden entsteht, welches keine eigentliche
Beleidigung voraussetzt. So beisset der Wilde in den
Stein, an welchen er sich gestoßen hat, und frißt da«
Insekt, welches an seinem ieibe Nahrung suchte. So
springt der Cardinal im vollen Zorne wider den Spion
auf, der ihn von den Übeln Urcheilen der ieure über Sei,
ne Eminenz benachrichtigte. H Und so würct ein Spie,
ler,
/ Eine andere Bemerkung finde ich in den LitteraturBriefen,
Th. V. S. ist. Vielleicht ist »der einzige Ekel, welcher
.. >, für das Gehör statt findet, eine unmittelbare Folge von
, „ vollkommenen Consonanzen , die mit der übermWgrn
„ Süßigkeit in Ansehung des Geschmacks einige Aehnlich!
„ keit z» haben scheinet. >.
z Ueber die Kennzeichen des Zorns stehe den angeführten Dis,
curs von LeBeün.
i im z z?, Smcke des Zuschauers.
T
Ueber das Pathos.

jer, der unglücklich ist , selbst wider Karten und Würfel.


Ott hingegen ist der Zorn, auch mit Ueberlegung vers
knüpft; „ und in diesem Falle, welcher der gewöhnliche
„ ist, steigt die tcidenfchaft selren über die gehörigen
„ Schranken. „ i Der atisse, ste Grad des Zorns ist
ein Gegenstand für den Dichter, nicht für den Kunst?
ler. i' Zorn feht dieser auf Ernst herab. Bey
„ dem Dichter war es der zornige Jupiter , welcher
„ den Bich schlmderce; bey dem Künstler nur der
„ ernste. .. 6 Nach einer richtigen Bemerkung des
Herrn Winkelmanns, / gehört die Beschreibung des
Zorns beym Prudemius
Star procul ira rumeri8. lpumsritl 5eru!cla r!Äu,
LsnSuines imorczueris lurku5s lumina teile. '
unter diejenigen Bilder , welche in der Mahlerey nicht
piit gutem Erfolge ausgeführt werden können. „ Der
Zorn ist eine Leidenschaft, die sich in dem Gesichte durch
die häßlichsten Verzerrungen äußert, und den ganzen
Körper in eine so gewaltsame Stellung setzt, daß alle die
seltnen jinien, die ihn m einen ruhigern Stande um«
schreibe», Verlohren gehen. „ W Wenn die VOuth der
äusserst« Grad des Zorns ist , wiefern sich dieser durch
die eklatantesten Merkmahle ohne Zurückhaltung an den
Tag leget; so wird sie gewis ein Süjet seyn, welches in der
Mahierey gleichfals nicht mit gutem Erfolg bearbeitet wer?
den k> n. Ein Wunder wär cs< wenn die Praxis der alten
Artisten nicht mit der Theorie übereinstimmen folte.
Gkichwohl finden sich in den Verzeichnissen des Pliniuö,
Pausamas und anderer verschiedme Beyfpiele von Künst
lern, welche die Bilder des Zornsund derWuch mit
Vor,
i Home Th. !. S. i l
K Lewings Laokoon , S. l?.
/ Aii^orie S. zi, '
Wortheil auegeführet haben. Dieser Wiedcrspruch zwi?
scheu den Regeln und der Kunst wird uns minder stutzig
machen, wenn wir erfahren , daß der weift Artist alle?
mahl eiuen Zeitpunkt gewählet, wo die Leidenschaft enr-
.weder als wachsend, oder als abnehmend konie geschil
dert werden, nie denjenigen, wo sie sich allein zeigte, in
ihrer ganzen Starke und ohne Mischung mit Grazie und
sanftem Bewegungen. Nicht den wütenden Athinnas,
den Athamas, der gewütet hatte, bildete Aristouidas,
in den ersten Momenten nach der Herabstürznng seines
Sohnes, und setzte die Much dadurch auf einen niedri«
gern Grad herclb, daß er sie mit Reue und Scham vee«
mifchte. » Timomachus mahlte die Kindermörderm
Medea in einer solchen Stellung , wo es noch zweifelhast
,ist, ob sie die unmenfchliche Handlung begehen wird.»
Der Ajax dieses Künstlers ist nicht mehr der rasende Held,
der wider Rinder und Schaft wütet; er sitzt entkräfter
und beschämt, und geht nnt sich selbst vcr,
zweifelnd zu Rache, ob er nach einem so lächerlichen Un«
sinn noch leben will. /? Und Nicearchnö mahlte den
Herkules nicht in, seiner Raserei), sondern in der Reue,
M er nachher empfand, mitten unter den Grazien und

ferrum et i« misciiit. Vt riibigin« eZ«5 psr nitorem «rri?,


telucente, exprimereeur verec„nÄ,e rukor^ ?lin. XXXiV.
c. 14. p. m. 5Z8, ZzS.
H2 'Ueber das Pathos.

Much und vertrauen sind Bewegungen, die


aus einer überwiegenden Hofnung entspringen und dabey
ein Bewustseyn von unserer eigenen Größe voraussetzen,
welches ein Kennzeichen der Erhabenheit ist. Der
Much wird Aühnheit, wiefern er uns anfeuert, uns
mit schweren Unternehmungen zu befassen, wo ein ande;
rer unüberwindliche Hindernisse würde gesehen haben.
Eine edle Kühnheit hebt den Charakter, und ist in der
Nachahmung so angenehm, als im Urbilde. Selbst ein
Kunstwerk wird dadurch reizender und wunderbarer, wenn
«ö durch Größe, oder Sonderheit, Ideen von der Kühn,
heil des Artisten erregt. Dies ist der Fall bey Statuen
von colossalischer Größe, durch welche ausserdem noch die
alten Künstler die Majestät ihrer Gottheiten zu erreichen
suchten. ^ Nero, um desto erhabener, um desto eher ei»
Goit zu scheinen, lies sich auf eine colossalische Art, mit
einer iange von l,o Fus, auf ieinwand mahlen. / Daß
nur die Kühnheit nicht übertrieben fey, und in Verwe«
genheir ausarte, welches geschieht, wenn man Dinge
unternimmt, die völlig unmöglich sind , oder unsere
Kräfte übersteigen. Diomedes, der es wagt, selbst mit
dem Gott des Krieges anzubinden, möchte fast zu kühn
scheinen , wenn nicht die Weisheit des Dichters die Be»
gebenheit so eingeleitet hätte, daß er vorher durch die
Pallas ermuntert und eines höhern Beystands versichert
werden musie. t. Im Gegencheile ist die Unternehmung
der Riesen, der Himmel zu stürmen, der Krieg Satans
wider Gott, nicht Much, sondern Verwegenheit, nicht
edle Kühnheit , sondern Tollheit.

Die Ruhmbegierde ist ein unbestimmtes Verlan,


gen nach Ehre, welches bald angenehm, bald unange,
nehm
? plin. I<ib. XXXIV. csp. 7. x. m. 504. teqz.
, l'lin. l.ib. XXXV. «p. 7, m, §?2>
k im zten Buche der Jttaö.
Ucber das Pathos. 29z

nehm seyn kan, nachdem wir entweder Ursache haben,


die Stillung des Triebes zu erwarten , oder nicht. Ei
ne unvernünftige Ruhmbegierde ist Hochmml? ; und
Stolz, wenn sie mit der Verachtung anderer verknüpft
ist. « Nicht den edlen Stolz meine ich , welcher au«
der Empfindung der Würde der menschlichen Natur und
aus dem Bewustfeyn würklicker Vorzüge entspringet ;
das Wiederspiel der Niederträchtigkeit. Ein Christ kau
stolz seyn, wenn er versichert ist, demjenigen zu gefallen,
von welchem alles Gute hersiießct. Und selbst Cicero
mag sich etwas darauf einbilden , daß er die Republik
von ihrem bevorstehenden Umsturz und von einem Uuge»
Heuer, wie Catilina war, befreyet hat. Wenn aber ein
Fierenfat stolz auf Vorzüge ist, die er nicht hat, und
auf andere, die keine sind, wenn er ganz kck sagen kan:
Fortune , K«rmeur5 , et ck'Ariirös , je croi,
^b«n6arnrnerit le trouvem svec rrwi. w
dann wissen wir nicht, ob wir uns ärgern, oder über
den aufgeblasenen Präsidenten lachen sollen. Bennahe
finden wir in ihm das Bild des Esels, der, mit der
Statue einer Gottheit beladen , die Ebre sich zueignete,
welche man der Gottheit erzeigte, Der Stolz äußert
sich aufder Mine am sichtbarsten durch die Augenbraunen,)'
T z durch
« Dmjes phil. Sittenlehre L. 469. f. f.
v Ei» vortreflicheS Bcyspicl siehe in der Schrift deS Herr«
Spalding über die Bestimmung des Menschen, S. z?,4«.
zp I/LnKnt procligue lie Kl. cie Voluire , äete l. 8cene IV.
p. !«>'-
Wmrelmann Versuch einer Allegorie, S. 14?- und OsKr.
, ? ' l>«K. 6.
^> ?Iin. I.iK.Xl. «p. z?. p,m«78Z. ttzec(su>,ereili«) m«ime
inclicznt ssilum, 8„perbi!, zliubi conceptsculnn, , 5scl Kic se»
llem ksbet. In corcie „slcitur, liuclubit, Kic penä?k. r<Ii»
Ki>!>Itiu,KmuI ,bruptj!>,<zue iuvenil in corpore, vbi iolilsri»
esset.

1
Ueber das Pathos.

dnrck verächtliche Seitenblicke , und durch ein beleidigen^


d?s Herabsehen auf andere, s Stolz und Hochmuth sind
iw Original unerträglich, und in der Nachahmung ent«>
weder unangenehm, oder lächerlich, oder furchtbar, wie
eß dem Künstler gefällt, sie zu bilden.

Lrul^ unter LrroK; vie ungereimt?


8rol? in?a!!sesten; vie FetseKrlicK ! Lrok?
^usl'Kroney ; vie erscnreKIicn ! ^Venn 6er Ltols,
' in einen Lür^er rs.enrt, l« Kaden Nacnbsrn,
^n Iscnen : 5qenrt cler 8ro!? in einen Lrolsen,,^'
8« rnZF 6er Lrgab, erleuken ; tsenrer er
> In KoeniA« , 5o weinen Nationen.
: Dusch. «

Die Reue ist eine unangenehme teidenfchaft aus


her Kbhaften Vorstcllliug einer Handlung « die wir
rucht würden unttrimmnen haben , wenn wir immer si>
gedacht hätten, wie jetzt. Aus der Furcht vor den Ur,
icheilen anderer v.m uuferer Unvgllkommeuheit entstehet
die Scham. Reue und Scham sind oft mit einander
verknüpft. Es gereuet dem Ajax , daß er in dem P«
rorysmus seiner Raserey nuter Rmdern, wie unter Tro^
iMcr» , gewütet lM, und er schämt sich, wenn er geden*
ket„ wie unwürdig diese Handlung eines Ajax ist, wie
jacherkch er dadurch den Feinden, wie verachtet unter den '
^reus^niverdeukönke. Von der Scham ist die Scham/
HLfttAkei t unter schicken , der Ausdruck der Bescheiden
heit,,. ZuM, Tugend un!> Ehrbarkeit auf den Minen, in
^n, S<eünngen , Geberden, Worteir und Werken. Die
Schamhaftigkeit äußert sich auf dem Gesichte durch eine
Mch.tue und abgcdrung/W Röche, und ist ein wichtiges

« S. dez^ LkBrZn «m ««zefZhtten One.


« MückseliMt des Tugendhafte« S.«5.
Ueber das Pathos. 295

Ingrediens der -Grazie, der weiblichen und jugendlichen


Schönheit (5« ««l^se ««^sTro/^r). ^ '

LanFume seruentem tribusr nsrura beniZna

Derjenigen edlen Scham , die von einem guten Hers


zen zeuget, ist entgegengesetzt, auf der einen Seite dtz
bäurische Scham , welche sich durch Grobheit , «er-
drüßliche Sp. ödigkeit und ein plumpes Wesen ohne Gr«?
zie offenbahrt und auf der andern Seite die Unver«
schämtheir , welche unter einer stechen Mine eine See«
le verbirgt, die klein genug ist, um Niederträchtigkeiten
zu begehen , und der Niederträchtigkeiten allzu gewohnt,
um sie zu bereuen/ So wapnete sich Domitian mit eis
ner beständigen Röthe wider die Scham, um nicht da> n,
wenn er Ursache dazu gehabt hätte , wider seinen Willen
zu erröthen , und auf den Wangen eine Scham zu verra«
then , die er im Herzen zu ersticken suchte« ^

> Die Liebe ist eine gesellschaftliche teidenfthaft, ei,


rie Neigung gegen idie -Vc^komnienheit eines andem, ein
Hang zur Vereinigung, ein so allgemeiner Instinkt, daß
alle Kunstwerke, in welchen sie mit Vortheil bearbeitet
wird, nvthwendig ihr Glück machen müssen, solange
Menschen sind. Mit den gesellschaftlichen Neigungen
würken zugleich die Triebe des Interesse und d.es Wohl
gefallens. Jener treibt uns an , den Besitz eines gelieb«
«en Gegenstandes zu verlangen; und dieser seht die sym
pathetischen Triebe dmch die Vorstellung einer Schon,
! T 4 heit
,
ö 8t«b«eu, cZe nupt. prseeeptZk.
^ e 8«t. X. v. zvv. leqq.
<i r«cim« in vitt ^Zric. csp, 4z. ,,
2y6 Ueber das Pathos. G

hcit in Bewegung, und erhebt ihre Thäligseit noch mehr.


An diesen hat vermuthlich der Stoiker dacht, der die
iiebe durch einen Hang zur Freundschaft wegen der Vor«
Mung einer Schönheit erklärte, e Eine besondere
Aeussernng der iiebe ist die Freundfthasi , oder der
Trieb , Ankheil an dem Glücke anderer zu nehmen und
solches nach Möglichkeit zu befördern ; eine solche Veri
Windung mehrerer Personen , wo der Wille der einen
auch der Wille der andern ist. Die Würde der Freund
schaft wird vermindert, sobald sich das Jntcreßc unter
ihre Triebfedern mischt, und vermehret, wenn wir ge?
neigt sind , die Wünsche des Freundes , auch auf Unko
sten der nnsrigen , zu stillen. Eine so erhabene Freund,
schaft bewegt: den 'Zolles, durch eine Handlung, deren
nur wenige fähig sind, zncrst nnter den Rhodiern ein
gutes Vornrtheil für die Werke seines Nebenbuhlers,
des Protogcues zu erwecken. / Die iiebe eines Hohen
gc^en einen Niedrigen ist Guus?; eines Niedrigen gegen
e>> en Hohen , Ehrfurcht ; gegen einen Wohlrhäter,
Dankbarkeit ; und gegen einen Gleichen , Freund
schaft überhaupt , oder zuweilen Zärtlichkeit. Gunst
, war es , und ein höherer Grad der thätigen Gl,
wenn Alexander sich selbst überwand und si

Lel. LtK, e»p. z.

^' Spelle» et >» semuli, Kenignin, ?r«togeni lZißNZtianei» pr!»


mu« KKoäi constituit. 8or6ebs>t ille suis , vt plerurn^'.ie ilo»
metlic» : p«reo„t»nt>kzu» <zu»nt»m licitsretur «per» effe^K,
psruxm nescik><zui,^>jixerst : stille lzuinczusßenis tslentis po»
po^cit : ssnism zue c!!H,erllt , isemere, vt pru ven<lere>,
re« eoncltswt Ktia llns »>> intelligeinlum srtilieem »es
nili auizemidu, pretium, rettir. ?li„. I., XXXV. c»p, i«.
Ueber das Pathos. ^97
tiebe demApelles aufopferte. F Mit Ehrfurcht begegnen
die griechischen Helden vom Niedern Range einem Achill
les , Agamemnon und Nestor. Freundschaft ist es , wenn
Theseuö und Pirithous einander die Hände geben und ei.-
nen ewigen Bund unter sich machen , H wenn Pollux sei
ne Unsterblichkeit mit demCastor theilt, um diesen wieder
in das leben zurückzurufen, i Zärtlichkeit insbesonde
re ist die Uebe , die aus der Empfindung der feinen Züge
in dem moralischen Charakter eines Frenndes entsteht,
Unter eine erhabne Elaste der Uebe gehört der Patrio
tismus, eine enthusiastische iiebe zum Vaterlande, wel-
che das Herz zu großen Gesinnungen hebt, und sick, wie
im ieonidas und Cato, noch bis zum Tode thätig beweis
sct. / Aus der iiebe, solle es auch die allgemeine Men
schenliebe nur scyn , entsteht noch die Be^frcude , und
das Mitleiden ; Bewegungen, durch welche wir bey
dem Anblicke eines Glücklichen , oder Unglücklichen ähnliche
Empfindungen mit ihm selbst haben , mit nhm froh sizid,
mit ihm leiden, mit ihm weinen, mit ihm nach Hülfe
seufzen und angetrieben werden, ihm, wenn es möglich
ist , selbst Hülfe zu verfchaffen. iiebe , Mitleiden,
Freundschaft sind gesellschaftliche Neigungen und weit
feiner , als die eigennützigen. „ Sympathie und Mensch
lichkeit werden für die schönste Beschaffenheit der Seele
gehal-
S 8e v!«t, nee toriim ttk?t»m luum, le<l etism sffeÄum k?6»
n„üt »rcitici. ?>i,i. I.. XXXV. e»p. 10. p. m. ;8Z. pli-
, > niuS nennl das Frauenzimmer Campnspe ; bc„m Aelian
(v«r. Kitt. l.. Xik. csp. z 4. p. m. ??8> Heipkes Pankaste ; uyi>
, bcym Lueian ( cls imzß. Lcl. Lslil. ) P«kate. ,
> i .^b Winkelmann Versuch einer Allegorie, S. 142,
. i Winkelmann am angeführten Orte, S. IZ5» :, Z
i S. die Breszlauischen vermischten Bcytrage, 1 B, 2. Ht.
und die LittcraturBriefe, Th. XXN. S. 76. f.
/ S. den Abbt vom Tode für das Vaterland.
2y8 Ueber das Pathos.

gehalten; und aus dieser Ursache betrachtet man das


Uebergewicht , welches sie in der Gesellschaft bekommen,
als eine Verbesserung Md höhere Vollkommenheit «u
unserer Natur. ,. 5»

Der Haß ist das Gegentheil der tiebe , lmd ent>


fieht zuweilen nach der Art eines Instinkt« ; wir empsin,
^en eine Abneigung von gewissen Personen , ohne daß
»vir die Ursache davon angeben können :

> . Ron srno re Voluli, nec possum 6ice?e czusre?


ttoc lolum pollum 6icere , nun gm« re.

In andern Fällen hassen wir eine Person , weil wir an


Hr etwas wahrnehmen, was unfern Begierden Wide»
'spricht ; und mit diesem Hasse vereinigt sich insgemein
die Begierde, dem andern zu schaden, und die empfange«
Iien Beleidigungen zurückjugelxn , oder sich wenigstens
über das Unglück des andern zu vergnügen. Jene Lei
denschaft heißt Rachgier und Zorn ; und diese Scha
denfreude. Das unangenehme Gefühl aus dem Glück
'eines andern heißt Eifersucht. Wird dieses Gefühl
stärker, wächst es zn einer teidenfchaft an, fo nennt man
es Neid. „ Der Neid , sagt Home , v ist unmäßige
Nachciferung. Wenn das Glück der Person, der man
nacheifert, bloö tmangenehm ist; fo wird das verdrüß-
liche Gefühl nur zu den Bewegungen gezählet. Wirkt
es Verlangen , den Gegenstand der Nacheiferung zu er,
«iedrigcn, fo nennt man es teidcnfchaft. ,, Alle diese
Begierden si»k> nngcfcll schaftlich und den Begriffen, die
wir vom Großen, vom Erhabenen und von der Würde
haben, fo fchr juwi der, daß sie immer das Subjekt , an
welchem wir sie wahrnehmen, m unserer Achtung ver
min?
», Home Th.' I. S. l6k. f.
« Th. l. S. 59.
Uebcr das Pathos. 299

mindern. Ihre Bezähmung hingegen ist Großmmh,


ein wichtiger Bestandtheil eines heroischen Charakters.
Doch wenn diese ieidenschaftcn in der Betrachtung nie«
drig und unangenehm sind , so nehmen sie eine andere
Natur an , sobald wir sie selbst empfinden. So lmangei
nehm der Zorn für den Zuschauer ist , so sehr ist er doch
fähig , ein einmahl aufgebrachtes Gemüth zu unterhal
ten , und auf eine grausame Art zu ergötzen. „ Man
weis , sagt Herr Moses , « daß der Zorn aus der Unlust
über eine empfangene Beleidigung , und aus der Begier
de, sich zu rächen, zusammengesetzt ist. Diese Borstel«
lungcn ringen in einem aufgebrachten Gcmüthe mit ein
ander und bringen ganz entgegengesetzte Bewegungen
hervor, nachdem bald diefe, bald jene die Oberhand ge
winnt. Bald ergießt sich das Blut in die äußern Theile
bes Zornigen, die Augen ragen hervor, und werden feu
rig, das Angesicht roth, er stampft mit den Füßen,
schlägt um sich und tobt, wie ein Rafcnder; dieses sind
die Kennzeichen der herrschenden Begierde sich zu rächen.
Bald kehrt das Blut zum Herzen zurück, das wilde
Feuer der Augen verlöscht, und sie sinken tief in ihre Hö>
len, das Angesicht crblaßet und die äußern Glieder hüni
gen kraftlos zur Erden ; dieses sind die untrüglichen Kenn
zeichen der herrfchenden Unlust über die empfangene B«
leidigung. Der Dichter hat diesen Streit der Empsin«
düng in dem Gcmüthe eines Zornigen vortrestich geschil
dert ;
Ieyo mus er ohnmächtig niedersinke«,
<Z)d,r sein starrendes Blut mus auf einmahl feurig«?
> ^ . , ; werden,
- Und ihn von neuem gewaltig beleben. Es Hub sich
und wurde
'.,,„. /', Seuri-

« Wl.'BHrifie« T). II. S. «. f. s.


zoo Ueber das Pathos.

Feuriger und groß sich vom hoch aufschwellenden He«


. Zen
In die Minen empor
Und er sprang auf, und trat hoch aus seiner Reih und
. . , ergrimmte.
Ist nun der Zorn nicht ohne die Begierde sich zu rächen;
so wird das aufgebrachte Gemüth , daß in der Hitze des
Affekts die Rache wie seine Glückseligkeit liebet, sich
mit Vergnügen an dieser Vorstellung weiden, und den
Gegenerinnerungen der Vernunft schwerlich Gehör ge
ben. Der Zorn gehört also zu den vermischten Emvfin,
dnngen und daher kommt der gewaltsame Reiz, den das
ergrimmte Gemüth in demselben findet. Der Zorn ist
weit so angenehm nicht , als Scherz und Fröhlichkeit,
^md dennoch hat er für einen , der sich dazu berechtigt zu
scyn glaubet, einen so unalrssprcchlichen Reiz, daß mehr
als stoische Ueberwindung dazu gehöret, sich seiner ,'zu
entschlagen. Nichts ergötzt den Zornigen so sehr , als
seine Entrüstung , und es läßt sich leicht erweisen, daß
der Zorn eine Vermischung von angenehmen und unan,
genehmen Empfindungen ist. „

Um die erklärten Begriffe von den Bewegungen


und Leidenschaften auf die Künste anzuwenden , fange ich
von einer Frage an , welche die besten Kunstlehrer einer
genauen Untersuchung würdig geachtet haben ; XVoher
kommt es , daß Leidenschaften , die in der Natur
unangenehm sind , in der Nunsi durch eine ge-
schickte Nachahmung gefallen und angenehm
4verden? Wir wollen uns das Vergnügen machen, die
Antworten der grösten Denker neben einander zu stellen,
vnd aus allen das beste zu unserm Gebrauche aufheben.

. . , Arijcotclcs findet die Ursache des angegebenen


Phänomens in der allgemeinen Wißbegierde der Men,
scheu.
Ueber das Pathos. zo,

schen^ ,> Die Erweiterung der Erkänntnis, schreib^ er,/?


ist dem Philosophen so reihend, wie dem Menschen; je
nem nur in einem höhern Grade. Wir freuen uns , das
Original in- der Copie zu entdecken und von dem einem
auf das andere zu schließen. Ist das Urbild uns völlig
unbekannt, so ist nicht die Nachahmung, sondern die
Kunst in der Zeichnung, das Colorit, oder etwas an,
ders die Ursache des Vergnügens, was wir empsinden.,,

DüVos beruft sich auf die Nothwendigkeir, be,


schäftigt zu seyn, und auf das Transitorische in den tei?
denfchaften , welche durch Erdichtung verursacht werden.
„ Da die würkiichen Leidenschaften oft unangenehme Fol,
gen haben, tönte da die Kunst nicht Mittel erfinden,
diese schlimme Folgen der ieidensckasten von dem , was
sie angenehmes haben, abzusondern ? Könte sie nicht We?
sen von einer neuen Gattung erschaff«! ? Könte sie nicht
Gegenstande hervorbringen, welche künstliche teidenschaf,
ten in uns erregten, die fähig wären, uns in dem Augen«
blicke, da wir sie fühlen, zu beschäftigen, uud unfähig,
uns in der Folge würkliche Schmerzen und leiden zuver,
Ursachen? Die Poesie und Mahlerey erreichen diefsn
Endzweck durch Schattenbilder von leidensckaften, welche
hinreichend sind, der Nothwendigkeit beschäftlgt zu seyn,
worinnen wir uns befinden , abzuhelfen. Weil aber der
Eindruck , welchen die Nachahmung verursacht , nicht so
tief geht, als der Eindruck, den der Gegenstand selbst
gemacht haben würde ; weil er nicht ernstlich ist, da er
sich nicht bis auf die Vernunft erstrecket, die sich in der,
gleichen sinnlichen Empfindungen nicht hintergehen läßt;
weil endlich dieser Eindruck nur den sinnlichen Theil der
Seele lebhaft rührt ; fo verlöscht er auch bald wieder.
Da er nur auf der Oberflache der Seele bleibt , fo ven
schwindet er ohne die dauerhafte« Folgen hinter sich zu
lassen,
? im 4ten C«p. der Poetik.
Zo,' Ueber das Pathos.'

lassen , welche der Eindruck des von dem Künstler nach


geahmten Gegenstandes zurück gelassen haben wür>
de. F
Home lößt das Ratzel ans durch den feinen Unter'
schied unter dem Angenehmen und Ergötzenden und durch
das moralische Gefühl. „Wenn eine ieidenschaft erge«
Heud, oder verdrüßlich genennt wird, fo verstehen wir
unser gegenwärtiges Gefühl. Wird sie angenehm , oder
unangenehm genennt/ so sieht man sie als einen Gegen,-
stand der Betrachtung und des Nachdenkens an. — —
Jede Bewegung , die der gemeinschaftlichen Natur des
Menschen gemäS ist , muö uns angenehm scheinen. Daß
dieses in Absicht auf die ergehenden Bewegungen statt
finde, wird man leicht zugeben. Aber warum solle mau
die verdrüßlichen Bewegungen ausnehmen , da sie nicht
weniger natürlich sind, als die andern? Unser Salz
bleibt in beiden Fallen richtig. Daher ist die vcrdrüfM
che Bewegung, die durch ein Ungeheuer, oder durch eis
ue unmenschliche Handlung erregt wird, in der Betrach,
jung nicht weniger angenehm , als die ergehende Bewe.'
<zung , die ein fließender Bach oder eine hohe Knppole
verursacht. Die Annehmlichkeit der Leidenschaften im
Gegensatz der Bewegung wird blos durch das morali
sche Gefühl bestimmt. Jede lasterhafte , oder unanstSm
Hige ieidenschaft ist dem Zuschauer miangenehm ; und
dies ist auch die indenschaft, welche sie verursacht. Je>
de tugendhafte, oder anständig« Handlung ist dem Zu
schauer angenehm ? und dies ist auch die ieidenschaft, au«
der sie emspringek. ,. ?

Batteux schließt aus der Mischung von Falschheit,


welche sich in den Nachahmungen befindet , die Ursache»
der angesühtten Erscheinung. „ Die Wahrheit trag«

F DüBos Th. l. C«p. j.


r H,me Th. I. S.'jlSZ. 156. iz?.
Ueber das Pathos. zoz

«lZemahl über die Nachahmung den Preis davon. Folg


lich mag die Natur auch noch so sorgfältig nachaeahmt
styn , so verräth sich doch allezeit die Kunst, und benach,
richtigt dadurch das Herz, daß dasjenige, was man ihm
vorstellt, nicht« als ein Blendwerk, nichts als ein An-
schein ist, und ihm also nichts würkliches gewahren kau.
Dies gicbt in den Künsten denen Gegenständen Anmuch,
die in der Natur unangenehm waren. „/ Herr Schle
gel unterschreibt die Bemerkung seines Autors ; nur
nimmt er den Ekcl und den höchsten Grad des Entsetzli,
che» von derjenigen Empfindungen aus , welche in der
Nachahmung gefallen, t

Fast eben so urtheilt Herr Moses, welcher noch


HberdKS auf die Natur der vermischten teidenschafttn
Rücksicht nimmt. „ Ein Anblick , der uns in der Na,
tnr unerträglich ftyn würde , gefallt uns dennoch auf der
Schaubühne. Denn die Erinnerung, daß es nichw,
als ein künstlicher B«r»g sey, lindert einigermaßen un
fern Schmerz. „ «
Herr Moses ist vielleicht auch der Verfasser des
zwey und achtzigsten iitteraturBriess. Wenigstens finde
ich hier ähnliche Gedanken. » Die Vorstellungen der
Furcht, die Traurigkeit, des Schreckens, des Mitlei«
dens u. s. w. können nur Unlust erregen, insoweit wir
das Uebel für würklich halten. Sie können also durch
die Erinnerung, daß es ein künstlicher Betrug sey, in
angenehme Empfindungen ausgelvßt werden. Sie
erregen ferner nicmahls reine Unlust, sondern ihre Bits
terkeit ist allemahl mit Wollust vermischt. Unsere Furcht
ist
^ 5 Batteux von Schlegel, S. ?'«
«Au, angeführten Orle S. 71 , 72 , 7z , 74^ i„ der Am
»'.rrkung. ,
« Phil. Schriften Th. l. S. 1«. 5 s. und öesonders Th.
ZO4 Ueber das Pathos.

ist selten von aller Hofnunq entblößt ; der Schrecken be,


lebt alle unsere Kräfte , der Gefahr auszuweichen ; der
Zorn ist mit der Begierde sich zu rächen, die Traurigkeit
mit der angenehmen Vorstellung der vorigen Glückseelig:
teil verknüpft , und das Millciben ist von den zärtlichen
Empfindungen der Kebe und Zuneigung unzertrennlich.
Dadurch schmeicheln dem Gemüthe die unangenehmen
Kidcnschaften , ausser der Nachahmung, oft selbst in der
Natur, v,
. - Herr Leßing nimmt die Häßlichkeit der Formen,
das Ekelhafte und das Gräßliche von denen Bewegun«
gen aus, die in der Natur lmangcnehm sind, und dann
gefallen , wenn sie von dem bildenden Künstler geschickt
nachgeahmt werden. „ Das Vergnügen , welches i»
diesen Fällen aus der Befriedigung unserer Wißbegierde
entsteht ist momentan , und dem Gegenstände , über wcl?
chen sie befriediget wird, nur zufallig, das Misvergnü»
gen hingegen, welches den Anblick der Häßlichkeit beglei,
tet, permanent, und dem Gegenstande, der es erweckt,
wesentlich. Wie kan also jenes diesem das Gleichge.'
wicht halten ? Noch weniger kan die kleine angenehme
Beschäftigung, welche uns die Bemerkung der Achnlich,
keit macht, die unangenehme Würkung der Häßlichkeit
besiegen. Je genauer ich das häßliche Nachbild mit dem
häßlichen Urbilds vergleiche, desto mehr stelle ich mich
dieser Würkung blos , sa daß das Vergnügen der Ver,
glcichnng gar bald versckwin!,ct, und mir nichts, als der
widrige Eindruck der verdoppelten Häßlichkeit übrig blei«
bet. „ 2Z?
Herr Curtius giebt von der Bemerkung des Arn
stoteles einen Gruud an, der philosophischer aussieht , als
er ist. ,. Die Ursache, warum die Nachahmung gefallt,
liege
1 Litteronn'Briefe. Th. V. S. t«2. loz.
M Laokoo» S. 2Z9, 24s, 241. f. f.
lieber das Pathos. zsz

liegt darin«, daß die Erkänntnis der Wahrheit tust,


und die Erkänntnis des Falschen Ekel gebiebrt, wie schon
Cicero bemerket, Ben einer wchlgctrosscnen Nachah
mung erkennen wir die logische Wahrheit , und hieraus
entstehet das Ergctzen auch über die Nachbildungen haß«
licher Urbilder , weil das Augenmerk sodann nur auf die
relativische Wahrheit des Nachbildes gerichtet ist. Ent>
gegengesehier Weise erweckt das relatwisch Fasche einer
übelgetroffenen Schilderung Misvergnügen. Je beut?
licher und lebhafter die Merkmahle der relativischen
Wahrheit, oder Falschheit sind , desto stärker ist auch
das Vergnügen, oder Misvergnügen.,^

„ Die Kraft der Nachahmung , sagt Gerard , s


ist immer deutlicher zu sehen , wenn keine andere Prinei,
Pia ihre Würkung erhöhen helfen. Dann ist die äuge-
nehme Empfindung, welche daher entspringt, so stark,
daß sie auch die unangenehmen Eindrücke , welche aus
dem nachgeahmten Gegeustande entstehen , unterdrückt,
und Vergnügen verwandelt. Dieses Vergnügen ent«
sieht aus zusammengesetzten Ursachen. Ausser der Ver,
glcichung , welche in allen Höllen auf einerley Art statt
findet, kömmt die Genauigkeit der Aehnlichkeit , und un,
sere Entdeckung derselben , und die Kunst , die wir zur
Hervorbringung derselben für nothwmdig erkennen , das
alles, sage ich, kömmt zusammen, unser Wohlgefallen
zu bewürfen. „

Ich Ziehe aus meinen Schriftstellern einige allgemei,


«e Beobachtungen , wodurch vielleicht die Natur des
Vergnügens aus der Nachahmung unangenehmer tei<
denschaften kan erkläret werden.
tei,
5 rZe Orstore.
^ Anmerkungen zu Aristoteles Dichtkunst, S. S«, 51,
« vom Geschmacke / 1« Tl). Eap. 4, —
U
zs6 Ueber das Pathos.'
teldenfckaften , die dem leidenden Subjekte um
angenehm sind, werden für uns oft angenehm, wenn
wlr sie in der Nachahmung, vollkommen sinnlich geschil,
dert , als Zuschauer erblicken. Mit einem entzückenden
Vergnügen betrachten wie in den Werken großer Meister
die Much, den Zorn, die Raserey selbst und die Ver-
zweifelung; je mehr der Dichter feine Personen empfin-
den und leiden läßt ; desto stärker beschäftigt er unsere
Phantasie , desto besser weis er uns zu unterhalten.
Wenn wir bloße Zuschauer sind, so können außer dem Mit,
leiden, wenig unangenehme Bewegungen in uns entste
hen. Das Mitleiden schließt in sich selbst schon ein sanft
tes Gefühl ein, und ist allemahl mit einigen angenehmen
Empfindungen vcrmifcht. Mit diesen vereiniget sich
„och das Vergnügen aus der Nachahmung, und aus der
Stillung der Begierde, immer beschäftigt zu seyn; und
endlich unterdrückt die Mischung von Falschheit vollei.dS
alle widrige Bewegung. Wir wissen , daß wir nur die
Nachahmung, nicht daö leidende Subjekt selbst sehen,
und da es nur «itf uns ankommt, die Augen von der
traurigen Seene abzuwenden ; so sind wir im Stande,
uns au einem Anblicke zu vergnügen, den wir in der Na«
tur nickt sehen nivchten , und den wir eben deswegen
gerade nur in der Kunst scheu wollen.

Leidenschaft«, , die wir in der Kunst nicht als


bloße Zuschauer erblicken , die wir selbst durch Rührung
und Illusion empfinden , werden uns oft angenehm , da
sie unangenehm seyn würden , wenn wir fie , ausser der
kunstluchen Vorstellung, durch einem würklichen Eindruck
emvsüiiden. Wenn wir auf unsere Natur genau merken
wollen , so werden wir sitiden, daß es niemahls das sinn-
liche Gefühl allein ist, was uns mit unangenehmen tei«
denfchafteu qvölet; das Nachdenken mischet sich in die
Empfiubung und nagt heimlich, wenn dies« offenbar stür
met.
Ueber das Pathos z<?7

Met. Die Sinne würfen heftiger, die Vernunft aber


länger und kößt Stacheln zurück, die auch dann noch
martern, wenn der sinnliche Eindruck längst vorüber ist.
Dies ist nicht der Fall in der Kunst. Wir überlassen
uns ganz der Empfindung ; diese füllt uns so sehr , daß
wir keine Zeit gewinnen können , über Dinge nachzuden
ken und uns zu bekümmern , die ohnehin nur erdichtet
sind. Die gauze Leidenschaft verschwindet mit der Dich,
tung, und läßt, wie ein Tronin, nur den Gedanken zu
rück, daß uns nichts von dem würklich begegnet ist, was
wir gesehen haben. Wir vermeiden nichts so sehr als
die Empfindung von der Folge der Momente unseres
Daseyns ; diese ist durch die Illusion ans eine Zeitlang
Uns entrückt worden , und mehr konten wir nicht Verlan,
gen. Ben würklichen Eindrücken hingegen bleiben Fol
gen zurück, die durch sich selbst unangenehm sind, und
diese machen eine Leidenschaft fortdaurend , die in der
Kunst nur ein Uebergang ist , und durch ihre Fortdauer
verdrüßlick.

Eine ieidenschaft , die dem Zuschauer verdrüßlich


ist, kan für den, welcher sie selbst empfindet, ergötzend
Und unterhaltend seyn. Oft äußert sich eine Bewegung
der Seele durch widrige Kennzeichen, durch einem aus
gerissenen Mund , durch verzerrte Züge, durch eiuen ge,
krümmten ieib ; Anblicke, die dem Zuschauer aliemahl
unangenehm sind. Dennoch ist vielleicht in dem
wendigen nicht dasjenige , was die OberFläche anzuzei,
gen scheinet. Vielleicht nährt sich das Herz mikein«
vermischten teidenschaft , und zeiget davon nur den unam
genehmen Theil üusserlich , um den angenehmen für sich
zu behalten. Vielleicht findet das Gemüth feine Rech
nung bey einem beiden , mit welchem es sich so familta»
risirt hat , daß es dadurch für angenehmere EmpfindU«?
gen Verschlossen ist. Ruchgier , Zortt, SchadenImide,
N 5 Be,
zog Ueber daS Pathos.

Betrübnis, Stolz sind Affekten, die in diese Klasse ge


hören. Selbst eine übermäßige Freude verlach sich durch
Merkmahle, die dem Zuschauer nicht allzu ergötzend sind.
Wir wollen daraus schließen , daß nicht alle Bewegui«
gen^, die in der Naiur angenehm sind, es auch in der
Nachahmung bleiben; oder daß wenigstens der Eindruck
angenehmer Gegenstände in der Erdichtung oft gc,
schwächt wird; nicht allein wegen der Ursache, auf die
sich Battcur beziehet, « sondern auch, weil die üusserli,
chen Kennzeichen einer Leidenschaft , welche der Zuschauer
allein erblickt, oft eine andere Empfindung hervorbrin
gen , als die Leidenschaft selbst.
Ueberhaupt haben traurige teidenschaften in den
Künsten fast immer bessere Würkungen, alö erfreuli,
che. Wenn diese bis an ihren höchsten Punkt getrieben
werden, so vermindern sie die Erhabenheit des Subjekts
und mit dieser selbst das Interesse. Ein Held, der sich
der Freude ganz überläßt , füllt immer tiefer in unserer
Achtung, je stärker seine Entzückung wird. Traurige
teidenschafren hingegen können besonders durch die fort?
schreitende Nachahmung, in ihrer grösien Stärke geschil
dert werden uud dann reisten sie uns durch ihre Heftig-
keit selbst mit sich fort , welches eben die Würkung ist,
wodurch sie uns angenehm werden.
Eine ieidenfchaft , die ehemals unangenehm
war, kan in der Erinnerung ergötzend werden, wenn
wir sie im Comrasie mit unferm jetzigen Zustande geden»
ken. Zu gewissen Stunden rufen wir gern die Idee von
unserm vorigen teiden zurück, und vergleichen damit di»
angenehmen Empfindungen , die wir jetzt haben. Wir
trinken noch einmahl in unserer Phantasie aus der bit,
lern Schale , um das jetzige Vergnügen desto feiner zu
schmecken. Und selbst unser voriges Unglück mus darzu
die,
a In der Ausgabe des Hrnn, Schlegel«, S.l 74,
Ueber das Pathos. zo?

Kienen, die Empfindung des gegenwärtigen Glück s zu


erhöhen und hervorstechender zu machen. Im Gegen,
theile tan eine Leidenschaft, die ehemahls angenehm war,
in der Erinnerung verdrüßlich werden. Das Nachten?
ken kan oft eine Freude vergällen, der wir uns ehedem über«
lassen haben , wenn es uns die betrübten Folgen des Af,
fektö schilders, oder das vorige Glück mit dem gegeuwär?
tigen Unglücke contrastiret. Ohne mit dem Bürger, von
Genf zu behaupten , daß es die Vernunft ist , welche
uns unglücklich macht, kan man doch annehmen, das sie
<S ist, welche uns oft den angenehmen Traum raubet,
wie glücklich wir waren , und uns mit traurigen Ideen,
mit manchem Kummer über unstrn Znstand erfüllet.

Die Kraft der Nachahmung, unangenehme !ei,


benschaften in angenehme zn verwandeln, erstreckt sich
»ur über die Triebe des Interesse und der! Sympathie
nicht über diejenigen Begierden, welche durch den Trieb
des Wohlgefallens erregt werden. Was in der Natur
häßlich ist, kan in der Kunst, nie schön werden, nie an,
genehme Empfindungen hervorbringen. Häßlichkeiten,
deren Theile in der Zeit auf einander folgen , sind in der
fortschreitenden Nachahmung der Kunst so verdrüßlich,
wie in der Natur. Und Häßlichkeiten, deren Theile im
Räume neben einander sind , sollen in den bildenden
Künsten nie gednlret werden. Jedermann wür>e den
TonKünstler tadeln , der unser Ohr durch eine ungeheui
re Mischung von widrigen Stimmen und Dissonanzen
foltern und dann sagen wolte , er habe die Natur genau
nachgeahmet. Und der Mahler solle ungestraft uns
häßliche Originale in häßlichen Copien wiedergeben ? Das
sey fern ! Der Mahler kan in seiner Art der Nachahmung
nicht mehr Recht haben, als der Musikus in d.-r seim,
gen. Wir verlangen von Heyden Schönheiten, von je«
nem für das Auge, von diesem für das Ohr. Wenn
Uz .ei»
Ueber das Pathos.

eln heftiges Geschrey für das Ohr unangenehm ist, si,


ist es der zum Schreyen weit aufgerissene Mund für das
Auge ; jenes wollen wir nicht hören , und diesen nicht so
hen. 5 Es giebt einen einzigen Fall, wo diese Regel ei?
ne Ausnahme leidet. Das Häßliche kan oft das lächer
liche, oft das Schreckliche vermehren, und dann wird das
Miöfallen durch die kützelnde Bewegung des lachen«,
oder durch die heftige Würkung des Schreckens bey der»
ersten Anblicke fast gänzlich verdränget. Dies sindee
flch, zum Beyspiel, in den hogarthischen Carricatur-
Stücken, und in dem Hudibras fast überall, c Doch
wird auch hier der Künstler behutsam gehen , und uns?
wo möglich nicht ein Werk liefern , in welchem die Häßt
lichkeit zuletzt über das lächerliche , oder Schreckliche die
Oberhand behält, lachen und Schrecken sind Bewegun-
gen, die fast fo schnell wieder vergehen, als sie entstan«
hen sind ; nichts bleibet dann zurück, als die Häßlichkeit^
und das Misfallen, welches diese verursachet. An eiff
uem schönen Kunstwerke vergnügen wir uns , so oft wir
es sehen , über ein häßliches lachen wir einmahl, zweyi
wähl, und dann nicht wieder.
ieidenschaften können erregt werden durch die Sa«
che selbst , durch die Erinnerung , durch üusserliche Kenni
zeichen, durch Nachahmung, Erdichtung und Illusion.
Durch die Sache stlbst: So weinte Anoromacha>
bewegt durch traurige Ahndungen über das Schicksat
ihres Heetors, und selbst der Held fühlte den Menschen,
und bezann, zärtlich und gerührt zu werden, bey demAw
b! cke einer gebeugten Frau und eines weiuenden. Soh,
ri(S. 5 Nachdem w« oben die Grundursache«, der lei
den?
5 S. LeßkngS ?aokoon K» ^ Cax^.
< besonders im ersien Ge sänge.
<i S. de» L««k»on , Cap« »4< >
« im St,» Vuche der IliaS.
Ueber das Pathos. zn

denschaften in der Natur entwickelt haben ; so ist es


nicht nöthig, daß wir uns Key diesem Punkte länger
aufhalten.

Durch die Erinnerung : Wenn ein teiden, was


Wir ehemals empfunden haben zuweilen in der Erinne«
rung angenehm werden kan : so giebt es im Geaenchcit
auch 'Fälle, wo wir es ganz wieder zurück rufen, und
von neuem allen den Schmerz empfinden , den wir ehe,
dem gefühlt haben. Wir betrachten die vergangene tei,
i denschaft nicht mehr von fern, wir suchen ftden besondern
Umstand wieder hervor und werden dadurch von neuem
bewegt./ Besonder« , wenn wir ehemahkqe Trübsale
andern erzählen wollen, so versetzen wir uns völlig in die
vorige iage, in die vorige Empfindung, und das Be,
- wustseyn unsers gegenwärtigen Zustandet höret auf Ss
sah Aeneas voraus , daß die Erzählung von dem Unter,
gaNge seines Vaterlandes die kaum halb geheilte Wun,
de seines Herzens wieder aufreissen würde ; ungern gieng
er daran, und seufzte :

Inranäum reßiris iube« rerisusre dolorem.

Durch ausserliche Nennzeichen ; Oft werden


in «ns icidenschaften mittelbarer Weise erregt, wenn wir
ihre Merkmahle an andern Personen empfinde». „ Je,
de ieidenschaft, sagt Home, H oder jede Classe von iei,
denschaften hat ihre besondern Kennzeichen ; und diese
Kennzeichen machen unveränderlich auf einen Zuschauer
ihre gewissen Eindrücke. Die ausserlichen Kennzeichen
der Freude, zum Beysviet, würfen eine fröhliche Bewe^
. U 4 gung,
/Home Th. l. S. 154.
5 im zweeten Buche der Aeneide,
b Th. U. S. l4S.
Ueber das Pathos.

gung , die äusserlichen Kennzeichen der Betrübnis wür»


ken Mitleid, und die äusserlichen Kennzeichen von hefti»
gem Zorne würfen ein gewisses Schrecken auch in denen,
die nicht der Gegenstand des Zorns sind.,, Wenn aber
Home glaubt, daß die ergötzende, oder verdrüßliche Na,
tur der Leidenschaften auch in ihren Merkmahlen immer
sichtbar ist , ? so muS ich ihm widersprechen. Auch er-
götzende Leidenschaften , z. B- eine heftige Freude , ha?
ben oft Kennzeichen , die ihrer Natnr nach häßlich , und
daher dem Zuschauer verdrüßlich sind. Und auch widri,
ge Bewegungen äussern sich oft Hey erhabenen Subjekten
durch Merkmahle, die an sich angenehm sind und über
die Schmerzen der leidenden Person Züge der inner»
Größe und Gelassenheit verbreiten.

Durch Nachahmung , Erdichtung und II«


luslsn: Es giebt eine doppelte Manier, teidenschaften
durch Nachahmung zu erregen. Entweder der Artist
nimmt selbst den völligen Charakter der Person an , die
er auf den Schauplatz bringt ; er versetzt sich in ihren
Affekt und fühlc dessen Würkungen selbst ; er drückt seine
Empfindungen aus die cxpreßifste Art aus und reißt da,
durch seine ieser mit sich fort. Oder er schildert die tei«
denschqft, als ein Zuschauer und Beobachter, beschreibt
ihren Ton, ihre Würkungen und ihre Merkmahle, und
zeigt uns auf diese Art mehr das Bild der teidenschaft,
als die ieidenschaft selbst. ^ Man kan jene die engli?
sehe Z diese die französische Manier nennen. Unstrci?
lig hat jene vor dieser einen großen Vorzug. Wir

i Dstelbst S. '4«> 5 f> „ TS laßt sich n<tturlich vermitthe,,.


i>asj ergötzende Leidenschaften sich gusserlich d„rch Kennzci«
chen ausdrücken mköcn , die uns angxnebm scheinen ^ und
verdrußliche Leidenschaften durch Kennjeichen, die uns uni
angenehm seinen. „
K S. Hom, Th. II. G. ,?s. f. s.
Ueber das Pathos.

den leichter gerührt , wenn wir die ieidenschaft selbst se«


hen, selbst empfinden, als, wenn sie nur nach ihren
einzelnen Kennzeichen uns nach und nach beschrieben
wird. Ja weil einige Bewegungen dem Zuschauer durch
sich selbst und durch ihre Merkmahle verdrüßlich sind , so
entsteht aus der beschreibenden Manier oft eine sehr unan-
genehme Empfindung, welche selbst durch das Vergnü-
aus der Nachahmung nicht gänzlich kan verdunkelt
en. So sind die icidenschaften des Zorns, der
th und derRaserey beschaffen. Wenn wir durch die
englische Manier dahingerissen werden , sie selbst zu füh
len, so sind wir viel zusehr beschäftiget, um das Widri
ge in ihren Würkungen zu empfinden. Werden sie uns
aber blos in einer Schilderung dargestellt, fo bleiben
wir zu kalt, um selbst zu fühlen ; wir stellen uns nur das
Bild der Person vor, bey welcher sich die Leidenschaft
befindet, und wenn dieses Bild durch die teidenschaft
verunstaltet wird , fo müssen nothwendig Ekel , Ab
scheu und andere verdrüßliche Bewegungen in uns ent
stehen , die der Artist gewis nicht hervorbringen wolle.
Ueberdies ist es auch unnatürlich , wenn eine Person ih
ren eigenen Affekt schildert, zu der Zeit, wo sie ihn würk«
lich fühlet. Die Momente der Leidenschaft sind gewis
nicht diejenigen, wo wir stark genug auf uns merken kön
nen, um unsere Empfindungen zu beschreiben. Ich be
wundere die Scniirmnis , welche in der Verwirrung,
worinnen sie ist, noch so viel Gegenwart des Geistes hat,
daß sie uns alles, was sie empfindet, Stück vor Stück
ganz ordentlich zuzahlen kan ; /
l)uel8 rranspons yuek 6ilcours ! qm , moi , yue
je von« fuie?
Rclgircissö8 ce trouble in lu portable. sKreux.
U 5 yu!
/ Sküi'IrsmK tr,ßc«1K P«r KI. Volt«« , A«o IV. f«n« 4. p.
M Ueber das Pathos.

> (jui paüe 6ans mon sme, et tsir, cleu^ mslkeu>


' .. .... 7 ,
z Z^.es traits 6u 6elelpoir 5ont 5ur votre vilsge,
< De Moment en Moment von» Alscös mon cou?
^ V rsZe, '
^ vos veux sllsrmös me csusent plus g'eKroi,
^ <)ue le ciel et les morts louleves eontre moi.
' le tremble en vous «Krgnt ce tserö 6la6Hiie;
Z^ls boucke ^n fremillsnt prononce . je vou?
^.s . . «im« ;
, . V'un pouvolr inconnu I^nvineible slcen6snt
^ j M'entrsine i« vers vous, m'en repouüe ^
l lisnt;
Lt ?sr un ientiment tzue je ne peux comprenöre,
Zvlele uns Korreur sKreule s 1'smöur les plus tey»

^ ^ ' ,. , > , > >


Vortrefliche Verse ! Allein wer redet so im Affekt? Bey
so grausame» Ahndungen, als ScmiramiS empfand , fd
^«rdentlicb denken, so schön schildern ; das kan Voltaire
.als Zuschauer, aber Semiramis gewis nicht. Über
haupt drückt man nur selten die teidenschaft, die man
.fühlt, durch das Wort aus, wodurch sie. sonst bezeich
net wird. Der Zornige sagt nicht : ich bin zornig ; der
Wütende nickt: ich wüte; beyde sind allein mit den Ge
genstande ihres Affekts beschäftiget, und dann erst,
wenn der Sturm vorüber ist. Km managen; ich war
zornig, ich habe gewütet.

' Natürlicher Mise führen uns diese Gedanken auf


die ichre von den Gentimens oder Gesinnungen.
Home hat dieses Feld so gut bearbeitet, «» daß ich durch
einen

W im röten Cap. der Grundsätze der Critik.


Ueber das Pathos. ztz

einen Auszug aus seinen Betrachtungen mehr , als durch


eine eigene Abhandlung , für den Nutzen meiner teser z«
sorgen glaube.
Wir Verstehen hier unter Gesinnungen jeden Geck
danken, den uns eine Bewegung, oder eine Leidenschaft
eingiebt. «
Um richtige Gesinnungen hervorzubringen, ist eS
tn'cht genug , daß man einen allgemeinen Begrif von de»
Leidenschaften habe, unter ihren qröbern Verschiedenhei
ten , nachdem sie stark , oder schwach , erhaben , oder
niedrig ; munter , oder ernsthaft sind. Man muö die;
besondern Gemüthsbewegungcn und Charaktere kennen,
den Ausdruck der ieidenftbaften nach dem Eigemhümlz-
chen eines jeden individuellen Charakters einzurichten wis«
sen , und die Kunst verstehen , jede Leidenschaft dem Cha«
rakter, die Gesinnungen der ieidenschaft und die Spra,
che den Gesinnungen anzumessen, o
Jede ieidenschaft hat einen gewissen Ton, nach wel
chem die Gesinnung, die aus ihr entspringt , mit der grö-
fien Richtigkeit gestinnmt werden mus. Deswegen mus
nothwendig der Amor den völligen Charakter und die
teidenschaft der Person annehmen, die er ausstellen will./,
Hierzu gehört ein ungemeines Genie , eine reiche Einbis,
dnngöKraft und eine ungemeine Empfüldlichkeit des Her.-
zens. Ein niedriger Schwung der EmbildungsKraft
verwandelt den Scribenten in einen Zuschauer und führe
ihn natürlich zu kalten Beschreibungen und Deklamqtio«
neu ; er unterhält seine ieser mit seinem eignen Beobach,
tungen , statt sie gleichsam zu Augenzeugen einer würko
lichen Begebenheit und aller der Bewegunzen. einer «ah?
«n
» S. r6?^ ,'
«, S. 169.
L S. l?«^
ziö Ueber das Pathos.

ren Leidenschaft zu machen. Beyspiele dieses Fehlers


Pttden sich im Corneille , ^ und der entgegengesetzten
Vollkommenheit im Shakspear. /

j'z^ Besondere B^öhachtunzexrüber diese Materie M


folgende. Fürs erste bleiben die Leidenschaften niemahlS
.eine beträchtliche Zeit nach einander einförmig ; sie wanken
insgemein hin und her, indem sie wcchselsweise anschwel'
len und wieder sinken und dieses oft in einer sehr schriet»
len Folge. Dieses Wanken wird in dem Fall einet
Mürttichen Leidenschaft durch eigne Gesinnungen ausg«
drückt ; und mus sowohl von dein Dichter, als von dem
Schauspieler nachgeahmt werden. Beyspiele geben
Shakspear und Congreve. t . >' - -
^ ' '^'-. '
. ^
.,, Zweytens müssen die verschiedenen Erscheinungen
einer Leidenschaft und ihre verschiedenen Richtungen, von
ihrer Entstehung an bis zu ihrem Ende , Mit Sorgfalt
in den Gesinnungen vorgestellt werden, weil diese leztere
sonst oft an den unrechten Ort kommen würden. Der
Unwille zum Beispiel, der durch eine große Beleidigung
gereitzt worden ^ läßt sich zuerst an dem Beleidiger aus.
Gesinnungen der Rache müssen daher ihren Platz vor als
len andern haben und gewissermaßen erschöpft werden,
ehe der Beleidigte daran denken kan , sich selbst zu be?
kla,

? S. 17z.
. x im Cjnn» äK« V. 8«ne z.
, im König Lear? Akt. z.Auftritt. Othello 5 Akt. 9 Auftritt.
S. den Home S. 176 s i b?.
. Vronor'o 2 Akt. 2 Austritt. Die Vraut in Trauer,
l Ak'. l Auftritt. 1 Akt. 7 Auftritt. , Akt. « Auftritt.
Macbeth 4 Akt. 4 Auftritt. S. den Home S. 190 -
Ueber das Pathos. zl?
klagen , oder über sei» gegenwärtiges teiden zu betrü?
beu. « . ^. .....^
Drittens, wenn die Seele von verschiedenen tei,
benschaft/n zugleich bewegt wird , so wankt sie hin und
her und äußert sich in Gesinnungen , die von eben dieser
wankenden Bewegung etwas haben. Beispiele giebt
abermahl Shaksvear. v
Viertens ist es wider die Ordnung der Natur,
wenn eine Leidenschaft in irgend einem Falle , sich wider
Vernunft und Gewissen auflehnt. Eine solche Berfas«
sung der Seele ist eine Gattung von Anarchie, deren sich
jeder schämt, und die jeder zu verbergen, oder zü ver«
steilen sucht. Hieraus fließt eine Hauptregel für dieVo«
stellung starker Leidenschaften, daß nämlich ihre wahrem
Gesinnungen, so sehr als möglich, verdeckt oder verstellt
werden müssen. Besonders findet dieses Key lasterhasten
teidenschaften statt. Ein Mensch räch niemahls einem an«
dern mit troknen Worten ein Verbrechen. Wir lassen ein
Verbrechen selbst in unsern Gedanken sich nicht in seiner
natürlichen Farbe zeigen, und wenn wir es einem andern
rächen , oder auftragen , so mus es durch verdeckte Win?
ke geschehen; man mus ihm die Handlung unter irgend
einem vottheilhasten Uchte vorstellen, w
Diese Beobachtungen werden dadurch noch deutli
cher und brauchbarer werden , wenn wir die verschiede'
nen
» S. ,?z ,199. Fehler findet man im Cid , « Akt. 4 Aufir.
im Aminta des Tnsso, 4 Akt. 2 Auftr. in der Traaödie,
Jane Shore z Akt. l Auftr.
« Heinrich ^/H. z Akt. 1 Auftr. Othello 4 Akt. 6 Auftr.
5 Akt. 7 Auftritt. Home S, 199 - 2,4.
Home, S. 2«4 < 2ki. Ein Beyspiel giebt Shakspear
im Röttig Johann z Akt« 5 Auftr« Mir fällt hierbry
der Carilina des Herrn von Volare ein, welcher ftft
durchgängig ein Exempel der angeführten Beobachtung ist.
Ueber das Pathos.

«e» Classen der fehlerhasten Gesinnungen kürzlich b«


schreiben.
Die erste Classe bestehr aus Gesinnungen , die
«icht mit der teidenschaft übereinstimmen ; oder welche die
vorgestellte teidenfchaft nicht eingiebt. Einige unter die,
ftn sind dadurch fehlerhaft , weil sie den Ton der teiden:
schasten übersteigen ; andere dadurch, weil sie unter
den Ton derteidenschaft herabsinken. ^, Einige stimmen
gar nicht mit dem Tone der teidenfchaft zusammen ; wie
wenn einer traurigen Leidenschaft muntere Gesinnungen
gegeben werden, oder umgekehrt ; s einige sind für eine
ernsthafte teidenschaft zu gekünstelt ; « und andere sind
durchaus phantastisch , oder affektirt und entarten in
Wortspiele und Spitzfündigkeit. Diese können niemahls
die Frucht einer ernsthaften , oder wichtigen teidenschaft
seyn , so sehr sie uns auch sonst in müßigen Augenblicke«
ergötzen mögen. 6

Die zwote Classe besteht aus Gesinnungen , die


einer gewöhnlichen teidenschaft wöhl zukommen können,
aber nicht genau mit ihr übereinstimmen , insofern sie
»on irgend einem besondern Charakter ein anderes An,
sehn aunimmt. r

« z«,D. im Othello, 2 Akt. 6! Auftritt.


^ z. B. im Tode des pompejus , 4 Akt. i Auftn und i»
dm feindlichen BrudevN des Racine , 2 Akt. l Auftr,.
» z. B. Pope in seiner Heroide : Aloise an Abälard un>
selbst Milton <m 4 B, des verl. Paradieses.
« Heinrich 5 Akt. 9 Aufrr. die Braut itt TraUtt,
1 Akt. 1 Auftr.
H> Hvme ii is , 2,z<z. Beyfpiele qeOen i>«s böfrevte Ierusa»
Lem 19 Gef. 105 St. Richard ^ ^r-. 2 Auftrikk.
I««e Shore, 4 uud 5 Alr. Johanna Gray, 4 Akt.
am Ende.
iz Der sorgtose Ehmann, keZtei'e Akt. Das Gespenst
mit der Trommel, § Akt» S. den Home S> az s, sz t.
In die dritte Classc gehören diejenigen Beyspie,
le, welche mehr Beschreibungen, als Gesinnungen sind.
Selbst Racine und Voltaire haben diesen Fehler nicht
sattsam vermieden.

Die vierte Classe enthält Gesinnungen, welche


zu früh , oder zu spat vorgebracht werden, e iasterhafle
Gesinnungen, welche in ihrer natürlichen Gestalt erschei
nen, ohne verhehlet zu werden , machen die fünfte Clüs/
se./ Und die letzte Llasse begreift Gesinnungen , die
unnatürlich sind, insofern sie weder einem Charakrer,
neck einer ieidenschaft angemessen sind.F Diese kön,
nen wieder in drey Arten vertheilt werden. Die ersten
sind Gesinnungen, welche der Emnchinng des Menschen
und den Geschen der Natur widersprechen, die zweyten
solche , die sich einander selbst widersprechen , die dritten
endlich sind blos Unsinn und Ausschweifung. Bevspiele
finden sich überall. 6

Müssen die Gesinnungen den ieidenschaften ge«


mSs seyn, so mus die Sprache nach beyden gestimmt
werden, i Erhabne Gesinnungen erfordern einen erhab,
nen
Esther z Akt. z Auftritt. AchaZia 2 Akt. 7jAufmtK
Brurus Z Akt. 6 Auf«. Home S. 2z l , z,z z.
«Home S. 2,4» 2Z5.
/S. 2ZZ , 24».
5 S. 248 's 259.
4 Die Braut in Trauer 2 Akt. 8 Auftritt. Julius Cä«
sar 2 Ate. , »nd 4 Alistritt. Der Cid 5 Akr. letzter
Auftttti. Efther 5 Ake. letzter Auftrirk. veri. Para
dies 4 Gelang. Lucan s D. 798..V. Die Erobe,
rung von Granada z Akt. daselbst tt. Th. z und 5
Dryoens Anron und Cleopatra « AK.
» Hou« S. 264. s. f.
Ueber das Pathos.

ruck, zärtliche Gesinnungen müssen in sanfte


Worte gekleidet werden ; wenn die Seele durch
eine ieidcnschaft niedergeschlagen wird, so müssen auch
die Gesinnungen mit niedrigen Worten ausgedrückt wer
den. Keine Leidenschaft darf in immer gleichfließenden
nie abgebrochenen Worten auegedrückt werden. 6
ie Pracht im Ausdrucke darf sich nicht über den Ton
r Gesinnung erheben./ Eine Sprache, die für den
"i, die Würde, oder Wichtigkeit des Gegenstandes
zu gekünstelt ist, verderbt die Schönheit der Gesinnung.»«
Eben so fehlerhaft ist ein Ausdruck, der, für eine starke
Leidenschaft zu leicht und munter ist. » Das Getändel
mit dem Schalle der Worte ist der allernicdrigste Wih.s
Und endlich muö sich der Künstler vor solchen Ausdrücken
hüten, die gar keinen, oder keinen deutlichen Verstand
haben. So weit mein Autor.

Nach allem diesen habe ich wohl nicht nöthig, über


die Rührung selbst, und über die Manier, deren man
sich zu diesem Endzwecke bedienet,, etwas hinzuzufügen.
Der Künstler fetze sich zuerst selbst in den Charakter der
Person und in ihre Leidenschaft hinein ; L

— — K l/?/ 5«e )?s^e, t/o/e»i/»»e

,Ditt

i S. 27z.
/ S. 286.
« S. 289.
» S, 292.
, S. 294. f. f.
/ S. 29».
^ 5umm» eni« ««» «sueizcZs« »KeKu« in K«e pokitn «<! , vk
Ueber das Pathos.'

„ Dies ist die einzige Schwierigkeit. Denn der Skri


bent, der sich einmahl selbst vergessen hak, und so sehr
in den Zustand eines andern versetzen kau , daß er die
verschiedenen Würkungen der Leidenschaft richtig und
deutlich fühlt , der braucht um die Gesinnungen nicht
besorgt zu seyn ; sie werden ihm ohne die geringste Mü«
he , selbst ohne vorher darauf zu denken, aus der Feder
fließen und ihn selbst oft so angenehm durch ihre Neuheit
überraschen, als nachher den ieser. „ ? Das Mittel,
sich in einen selchen Zustand hineinzudenken , ist eine leb'
hafte Phantasie , welche durch Hülfe der mentalen Ge,
genwart Illusion würfet. / Ist dies geschehen , so drü
cke der Artist seine Leidenschaft so stark , so natürlich aus,
als er kein : so wird er durch die Kraft der Täuschung
den ieser , oder Zuschauer mit sich foktreiffen und ihm
eben die Empfindungen einflößen , die er selbst hat. Es
ist unnöthig , die Erregung der Leidenschaften in Regeln
einzuschließen ; ein Geschäfte , zu welchem , wenn es gut
von statten gehen soll, keine andere Regel erfordert wird,
als Genie und Geschmack.
-> - ' P''
Ausser denen, die wir schon ans dem Home be,
merkt haben , können hier noch hauptsächlich drey Fehlee
gedacht werden. Der erste heißt beym tongin , k nach
emer Redensart, die dem Theodor geläufig war, pa,
renrh^rsiis, und besteht darinnen, wenn man bey Klei
nigkeiten, wo es nicht nöthig ist, pathetisch ansthun und
Affekten erregen will, «der bey mittelmäßigen Dingen
iei,
? Home TH. ll. S. l?s.
F quom««z« K« vt »Keiümur s -> Hu« ' cp«w«.
<7t«z <Zr»e« vorige , ««« t«ne rjgon« »ppe»emus >
Ks, quisgul, Kens eoneeperit , ii «rit ia siksÄlbu, ^
tiKmu«. cZuiMil. I. e. z>. 417.
Ueber das Pathos.

ästen hervorbringt , die für ihre Gegenstände zu


,cark und zu heftig sind. Das
^Zon cle vi , ncque cselZe , nec veneno erc.
aus dem Martial ist allzu bekant , als daß ich es ganz
abschreiben dürfte. Ernsthaftere BeyspjVle möchten sich
wohl im Nunrod und andern dergleichen Werken finden,
die ich aufzufchlagen keine tust habe.

Der zweete Fehler besteht in der Erregung unmo»


ralischer und schlüpfriger ieidenfchaften die dem Endzwecke
des Pathos , der Reinigung der Affekten « widerspricht,
ein Fehler, weswegen hauptsächlich Plato die Dickter
aus seiner Republick verbannte, v Crebillon, Hontai?
ue, Rost, Wieland und viele unserer anakrcontischen
Dichter sind auf diesen Abweg verfallen ; wir wollest
deswegen ihre Werke nicht castriren, oder gar verbren
nen, wie De Noyers das Gemählde des Angelo: und
doch wünschten wir, daß sie in Absicht auf die Moral
eben die Verdienste hätten, welche ihnen in Absicht auf
die Schönheit niemand abfprechen wird.

Der dritte Fehler ist der Fehler der Hermaunias


und des Cato , ein correctscheinendes , aber kaltes We
sen, wodurch keine andere Bewegung als Langeweile und
Verdrus über den Urheber des ftostigen Produkts erregt
wird.
Als ich den Titel : Herrmann, sah, ward ich von
Freude sanft durchdrungen;
Ich las, und wünschte voller Zorn, der Dichter h««e
' Nie gesungen. ,.
<5axrt>eusek
Ich
» Aristoteles im sechsten Cap, der Poetik«
» <is rejzubl. I.ib. z. u„S 5»,
Ucber das Pathos. A

Ich mus hier eine Materie schließen , über die


ich mir selbst noch nicht genug gechan habe, um nicht
die Granzen eines Compendium zu überschreiten. Das
folgende C^pim wird noch einige zHelnerfmigen
enthalten, die gleichfalls in dieses
Fach gehören.
XVI.

Ueber das Interesse.

(^^^oher mag es kommen, daß oft der Franzose da


^//^ weint, wo der Deutsche gähnt, oder nichts
^v^-^ empfindet ; daß man in Paris die Henriade
fast verschlungen, nnd in tondon fast nicht gelesen hak;
woher endlich, daß oft eiü schlechtes Werk allgemeiner
wird, als ein mittelmäßiges, ein mittelmäßiges allgc'
meiner, als ein gureS, ein gutes allgemeiner, als ein vor»
trefliches? Dübos wird antworten, « daß eine Nachah«
mung uns nicht bewegen kan, wenn der nachgeahmte
Gegenstand nicht für uns rührend ist. „ Es ist der gro-
sie Fehler, den Mahler und Dichter nur begehen können,
wenn ste zum Hauptgegenstande ihrer Nachahmung Diu-
ge wählen, welche man in der Natur mit Gleichgültig.'
keit betrachten würde ; wenn ste ihre Kunst anwende»,
uns Handlungen vorzustellen, die nur eine mäßige Auf«
mi rksamkeit auf sich ziehen würden, wen« wir sie wörtlich
sähen. Eine solche Nachahmung kan uns wohl einige
Augenblicke beschäftigen ; sie kau uns bewegen den Ta»
lenken des Künstlers unser« Beyfall zu schenken, aber nie
wird sie uns rühren. Wir loben die Kunst gut nachzu,
ahmen, aber wir tadeln den Artisten, daß er zum Vor?
würfe seiner Arbeit Subjekte gewählt hat, an denen wir
so wenig Antheil nehmen. ,. Kurz , ein Werk , für best
sen Gegenstände wir uns nicht inkereßiren , welches eine
Handlung schildert, an der wir keinen Anrheil nehmen,
wird niemahls den Beyfall finden , den es etwa durch
seinen innern Werth verdienen mochte; es sey noch so
vollkommen, es sey ein Meisterstück: wir bleiben kalt
dabei) und legen es weg, um uns mit einem andern zu
un?
Th. I. Cap. 6.
Ueber das Interesse. zz;

unterhalten , welches , vielleicht bey mindern Schönheit


tcn , für uns rührender und intereßantec ist. Nun kan
ich es erklären , warum ein Werk oft zu gewissen Znten,
an gewissen Orten , und von gewissen Personen begierig
gelesen wird , über welches man bey veränderten Umständen
flüchtig hinwegsieht. Der Engelländcr krmsirt die Hen-
riade mit kaltem Blnte, die von den Franzosen mit der
grösten Hitze gelesen wird. Kscows Satiren wurden vor
dreyßig Jahren verschlungen; und wenige lesen sie zu un
fern Zeiten noch. Eine persönliche Satirc kan nur zu ei
ner solchen Zeit, und an solchen Orlen ihr Glück ma?
chen, wo man ihre Gegenstände hinlänglich kennt, um
einigen Antheil daran zu nehmen , und um alle die klci,
nen Anspielungen zu verstehen , von welchen sie voll ist.
Woher kömmt es aber, daß wir an einigen Din
gen mehr , an andern weniger Antheil nehmen , und bey
noch andern völlig gleichgültig sind? Von der Eigen-
liebe, sagt Batteux : 6 diese ist die Triebfeder aller Be
wegungen des menschlichen HcrzenS, und reizt uns An«
«heil an allen solchen Dingen zu nehmen, welche eine im
«ige Verwandfchaft mit unfern Wesen haben ; es sey
nun , daß sie dienen, es zu bereichern, vollkommener zu
machen, und seiner Erhaltung zu versichern, oberes zu
verringern , zu schwächen , und in Gefahr zu setzen. „
Allein gern möchte ich wissen, was geht es meiner Ei
genliebe an , daß Hudibras von der Dame Trulla geprü,
gelt , gefangen und geschimpft wird ? c Daß der Flügel
einer Windmühle den Ritter von der traurigen Gestalt
aus dem Sattel hebt ? Daß Francion sich mit eine^ alten
Kuplcrin herum rammelt ? DaßCurlundKnrctun ei
nen Preis kämpfen den ich nicht haben möchte? e Daß
X z Pe,
ö beyin Schlegel S. 60. .> 66.
c im zten Gesänge.
^ im 2ken B. » Cap.
« Dunciade , 2 B.
Peter seine Brüder mit Dragonern verfolget ? / Daß der
Baron den Sylphen von einander schneidet und die ge«
weihte iocke der Belinde von dem Haare auf ewig tren?
ne? ? F Daß eine Pcinceßin unter den Mausen auf dem
Wasser verunglückt ? ^ Daß ein Wassereimer zwo Stäb«
«, i und ein Pult den Tresorier mit dem Canter ent^
ziveyet ? ö Daß Celsus von der Facuität in die HsAe ge
sendet wird, um sich Key dem Hervey Raths zu erho^
len ? / Daß öerGrafBclindcn ein Schnupftuch entwen,
det Z Daß ein Schooshund erschlagen wird ? » Daß
ein Laubfrosch mit aller Gewalt eine Fee und die Fee ein
Laubfrosch ftyn mus ? „ Ich setze mich , kan man ant«
„ morten, in die Verfassung der Personen , von welchen
^ die Rede lft ; und dann wird meine Eigenliebe mit de»
^ ihrigen ge'ührer ; ich nehme an ihren traurigen, und
^ freudigen Schicksalen eben den Antheil, den sie selbff
daran nehmen. „ Das heißt nichts antworten. Wo«
her kömmt es , daß ich mich in die ^age eines andern hin-
cmdenken und mir ihm alle Scenen des Glücks und des,
Unglücks hindurch wandern kan ? Wir müssen dieses
Phvnomenon aus zusammengesetzten Ursachen herleiten«
uuS dem Triebe der Sympathie , aus der Ncubegierde,
aus dem moralischen Gefühl und aus der Eigenliebe«
Wir lieben einen Menschen , desftn Eigenschaften und,
HanbtungM uns angenehm sind. „ Gewalt . Scharfs
MügMz MMe z Witz,, Mnth , Wohlwollen wache«
chre.5
/ Möhrge» von d«r Tonkie, 4 Ca?.
Nsuö der Haml«ks z. G«iv
t> in de« Battachyi»ysi»acl>ie.

K im l.«ri» Von Koileälk

» V«K Schnupftuch des Herm Jachgr^ « Gk^


» w der ksmischzn Epspss vs« Hs^n Dusch.
Uber das Interesse. 5:7

'hren Besitzer in einem hohen Grade angenehm. Sei


bald wir diese Eigenschaften an einem Menschen entdei
cken, fühlen wir so gleich ergötzende Bewegungen in uns,
ohne die geringste vorhergehende Betrachtung, und Auft
merksamkcil auf die Folgen. « Wir hass?n im Gcgen-
theil , oder verachten ^inen Menschen , dessen Eigenschaf
ten und Handlungen uns unangenehm sind. Niedrige
Eigenschaften, als Dummheit, eine mürrische Gemüthe-
an, Unmenschlichkeit, Feigheit veranlassen verorüßliche
Bewegungen. Wir sind geneigt, an dem Glücke unse,
res Freundes Antheil zu nehmen und freuen uns darüber
so gut, als wenn es uns selbst wiederfahrcn wäre. Wir
bemitleiden ihn in seinen« Unglücke , und wollen ihm gern
Helfen , wenn es uns möglich wäre. Wir wollen , daß
der Weise , der Redliche wegen seiner Verdienste belohnt
werde , wir grämen uns über eine unglückliche und seuf
zende Tugend und wünschen hingegen, daß das lasier
bestraft werde. Erblicken wir Hindernisse , die dem ver-
langten Zwecke entgegen stehen , fo wird zugleich Furcht
und Hofnung, Neubegierde und Ungedult rege. „ Ein
jeder icser, der Geist und iebcn hat, nimmt Tbeil an
der Unternehmung ; er wird ein Anhänger des Helden ;
er strebt mit ihn: nach gleichem Zwecke ; erzürnt sich wie
er, wider die Hindernisse ; sucht bey sich selbst Mittel auf,
sie zu überwältigen, oder ihnen auszuweichen ; und wenn
cr keine findet und geuvthigt ist, alles feinem Helden zu
überlassen : fo hilft er ihm doch heimlich mit feinen guten
Wünschen ; erwartet den Ausgang mir Ungedult, bis der
Held triumphirt, oder fallt, und alsdann rriumphirt,
oder fallt er mit ihm. ,. ^ Diese Bewegungen werden
durch die Eigenliebe noch mehr verstärkt und feuriger ge?
macht. Wir glauben selbst unoollkommener zu werden,
- wenn unser Freund unglücklich ist, und sind geneigt, uns
X4 Mst

« Home Th. I. S. ;i. ^


z> Vatteux und N«mler Th. II, S. Z9.
Z28 Ueber das Pathos

selbst auf das Glück eines andern , den wir lieben , et,
was einzubilden. Dann scheint uns der Gegenstand noch
näher anzugehen, wir werden stärker intereßir« und b».
trachten hinfort das Schicksal des Helden als unsere eige,
ne Sache. Hat er ein Fehler begangen , so werden wir
uns für ihn schämen ; hat er Ehre erworben , so sind
wir stolz darauf. Ist er unglücklich so weinen wir mit
ihm ; ist er glücklich , so sind wir es auch. Diese Bewe?
gungen zusammen genommen nennt man das Interesse.
Und interessant ist ein Gegenstand , der unser Herz «on
. der Seite der Sympathie, der Neugierde, des moralif
schen Gefühls und der Eigenliebe anzugreifen und zu rühr
ren fähig ist.

Das Inrereßante findet sich sowohl bey würkli«


chen , als auch bey erdichteten Gegenständen. Wenn
sich zwo Personen veruneinigen, so ist jeder unter den
Zuschauern geneigt, die eine, oder die andere Parten zu
ergreifen. Ist es Krieg, so sucht man sich einen Helden
aus, dem man alles Glück, wie seinen Feinden alles Un
glück , gönnet. Die Römer intereßirten sich für ihre
Gladiatoren , wie die Engelländer für ihre Hähne. Soll
ein erdichteter Gegenstand uns intereßiren, so mus er
durch die Täuschung unserer Phantasie näher gebracht
werden. Das Interesse ist nicht vollkommen , so lange
wir es wissen, daß wir nur eine Nachahmung vor uns
haben ; denn diese würkt allemahl schwächer , als der
nachgeahmte Gegenstand. Wird uns aber das Objekt
sehr lebhaft vorgestellt, so ersetzt die ideale Gegenwart
den Maiigel der würklichen Gegenwart ; „und in der Idee
nehmen wir Personen handelnd und leidend auf eben die
Art wahr , wie bey dem gegenwärtigen Daseyn derselben.
Wenn das letzte unsere Sympathie erregt, so muß sie
auch

5 <Zv!»tiI. I.. X. «p. », p. m. iZ8. und vubos Th. l, Cüp. 6.


Ueber das Interesse. 5:9

auch im gewissem Maaße von der ersten erregt werden. „ ^


Ohne immer daran zu gedenken daß Grandison , Claris,
sa , iovelace , Betsy , Trneworth , Jones , Allwerth er«
dichtete Personen sind , stellen wir sie uns als würklich
und als gegenwärtig vor, und werden für oder wider sie
eingenommen , nachdem ihre Eigenschaften uns angenehm,
oder unangenehm sind. Wir schämen uns bey jeder
Schwachheit des Jones , bey jeder Unvorsichtigkeit der
Betsy ; wir freuen uns über jeden Sieg eines Grandi-
so», einer Pamela ; und unser ganzes Gefühl empört
sich wider einen Bösewicht, wie tovelace ist. Unsere
Eigenliebe findet zugleich ihre Nahrung dabcn ; wi? bil
den uns nicht wenig darauf ein, daß wir stark genug
sind , das iaster auch unter feiner tauschenden iarve nicht
zu verkennen, und die Tugend zu schätzen, wo wir sie
finden , es sey auf dem Throne , oder im Staube. Je
stärker die Enargie der Bilder ist , die in unsere Phanta
sie gemahlt werden , desto heftiger würkt auch das Inte
resse , desto empfindlicher sind die teidenschasten , die es
uns einflößet.

Es giebt ein allgemeines und ein besonderes


Interesse, welches nach den Umstanden der Personen
verschieden ist , die gerührt werden sollen. „ Ein Sub
jekt, sagt DüVos, 5 kan auf zwo Arten interessant
seyn ; erstlich an sich selbst , weil seine Umstände von sol
cher Beschaffenheit sind, daß sie überhaupt jedermann
rühren müssen ; zweytcns kan es intereßant seyn, nur in
Beziehung auf gewisse Personen, falls ein Subjekt, was
sich nur eine mittelmäßige Aufmerksamkeit unter dem gros
sen Haufen der Menschen zu verschaffen fähig ist , den,
noch eine sehr große Achtung von Seiten gewisser Perfo,
nen auf sich ziehet. „
X 5 Das
? Home Th. I. S. izi.
, Th. I. Cop. ll.
ZZO Ueber das Interesse.

Das allgemeine Interesse ist das Interesse der


Menschheit, wie es Batteux nennet, t Größe und
Erhabenheit , Heroismus , wunderbare Thoren , Kebe
m d ieiden , Unglück eines Tugendhaften , Zärtlichkeit,
Simplicitat mit Anstand, selbst taune und sonderbare Un,
ternehmnngen können unsere ganze Aufmerksamkeit in eis
«em Gegenstände versammeln und verursachen , daß wir
für eine gewisse Person parteyisch und wider alles, was
sich ihr widersetzt , eingenommen werden. Die iiebe ist
die allgemeinste jcidenschaft der menschlichem Natur,
und eben deswegen diejenige, welche am meisten zu in«
lereßiren im Stande ist. Sie schleicht sich selbst iu See,
len , die für die Empfindungen des Großen und Erl)«
denen verschlossen find , und würkt dort mit einem unwi
derstehlichen Mechanismus. D«her ist es gekommen,
daß man der tiebe von je her einen Platz in den beste»
Werken der Kunst eingeraumet hat , und daß selbst viele
es für unmöglich gehalten haben, einen Roman, eine
Epopäe, ein rheateralifches Stück ohne tiebe intereßaiu
zu machen.
Mit dem allgemeinen Interesse mus der Künstler,
so viel als möglich ist, das besondere zu vereinigen su»
chen , um dadurch die Personen , die er schildert , noch
näher in unsere Verwandschaft zu bringen. Es giebt
ein besonderes Interesse des Ortes, der Nation, der
Zeit, der Religion, des Allers, der tiebe, der Gebens,
art, der Wissenschaft, felbst der Temperamente und Nei,
gungcn. Ein Frauenzimmer unterhalt sich am Nachtti
sche mit Neuigkeiten der Stadt, bey welchen wir andern
sehr gleichgültig sind. Bey der bekanmen Tragödie des
Herrn von Belloy empfindet der Pariser weniger als der
Bürger von Calais , und ein ehrlicher Biedermann aus
ein« deutschen ReichsStadt nichts. Collen Cibber,
Theo-
, II. Tl). S. 34, ?7.
Ueber das I.itcresse. zzz

Theobald , Wotton , Oldmiron und dergleichen ieute


konleu zu Popcs Zeiten intereßank seyn ; sie sind es für
uns nur , wiefern sie Gelegenheit zu einer der schönsten
Satiren gegeben haben. Die Meßiade kan für einen
Voltaire, Rousseau, für einen Heyden, oder Muham-
medaner das Unterhaltende nicht haben, was sie dem
Christen gewähret, der voll von Empfindungen für feine
heilige Religion ist. Für ein Kind sind Dinge imerefs
sank, die der Jüngling nicht achtet. Der Mann sieht
über die Befestigungen des Jünglings gleichgültig hin?
weg ; und eben fo geringschätzig sind die Seinigen in den
Augen des Greifes. Ein Porlrät ist ein fehr gleichgülw
ges Gemahlde für diejenigen , welche die Person nicht
kennen , die es vorstellt ; aber eben dieses Porträt ist ein
kostbares Gemahlde für diejenigen, welche die Person
lieben , deren Bildnis es ist. « Für einen Kriegsmanu
haben die tiefsinnigen Untersuchungen der Gelehrten
nicht anziehendes ; Tristrams Onkel spricht von nichts,
als von der Attaqve bey Namur, von Zikzac und von
Approchen. Der Grundsatz der Sparsamkeit ist dem
Dichter fo unwichtig , wie dem Mathematiker die Kehre
von den Episoden, Wenn der Geizige sich über den Vers
lust eines Thalers grämt, fo seufzt der Verliebte Klagen
an feine Phyllis , und der Ehrgeizige denkt auf Mittel,
seinen Nebenbuhler zu stürzen.

Vornehmlich zeichnen, sich unter diesen Arten des


Rührenden das Juteresse der Nation und das Interesse
der Religion aus. Kan der Artist eines von bcyden,
oder bcyde in sein Werk übertragen , fo mus dieses gewis
sein Glück machen , >venn es nur einigermaßen gut gesr?
heuet siud. Die grösten Dichter aller Jahrhunderte,,
Homcr, Virgil, Tasso, Milcon, Voltaire , Klopsiock
mid andere haben sich dieses Kunstgriffs bedienet , uad
^ wenn

« Düdss ?h. I. C«x. >?.


.5Zt Uebcr das Interesse.

wenn ihre Werke durch sich selbst , durch ihren eigenen


Werth schon rührend und unterhaltend sind , so werde»
sie es durch ihre Gegenstande für diejenigen noch mehr,
die darinnen ihr besonderes Interesse finden.

Wie soll es aber der Artist vorher wissen,


ob sein Werk, ob sein Gegenstand fähig seyn wird,
viele zu intereßiren ? Nichts ist leichter , als dies^
Man darf nur untersuchen , ob das Original , ob die
Handlung, welche man bearbeiten will durch sich selbst,
v^er durch Umstände rührend ist. Unsere eigene Em»
pfindung kan uns zuweilen bey diesem Geschäfte betrügen.
Wir sind schon zum voraus für unser Sujet eingenom?
mcn ; dürfen wir daher schließen, daß es auch andere
seyn werden ? Wir müssen also , sagt DüBos , v ehe
wir uns noch mit unfern Personen vermählen, nnsere
Freunde darüber zu Rache ziehen. Dies ist die Zeit, d«
wir die nützlichsten Rathschläge empfangen können. Es
ist eine große Thorheit, wenn man es aufschiebt/ jemand
über sein Gutachten wegen eines Gebäudes zu befragen, ,
bis es sich schon von der Erde erhoben hat , und bis man
an dem Wesentlichen des Planes keine Aenderung mehr
vornehmen kan, ohne die Halste des Gehaudeö wieder
niderzureisfen.

Gesetzt , der Künstler soll ein Subjekt bearbeiten,


was durch sich selbst nicht allzurührrnd ist, so mus er
sich bemühen , solches durch die Kunst intcrcßanl zu ma,
chen. Er setzt Umstände hinzu , wodurch die Menschheit
auf eine empfindliche Art bewegt wird ; er schiebt Episo»
den ein , die. für uns anziehend und unterhaltend sind ;
pder er nimmt , wenn cs feyi, kan , feine Zuflucht zu dem
lächerlichen und sucht uns wenigstens auf eine kömische
Art zu intereßiren , wo kein ernsthaftes Interesse statt
si»s
v Th. l. Cap. 12.
Ueber das Interesse. zzz

sindet. 'Der erste macht sein Sujet wichtig und rührend,


wie Ramler seinen, Granatapfel ; w der andere, wie
Virgil die trockne Theorie vom Ackerbau; der dritte, wie
alle komische Heldendichter. '- ^

Ist das Subjekt durch sich selbst schon rührend, so


darf lmr von der Kunst einc Ausbildung hinzu kommen,
die ihm gemaS ist, um es auch^ in der Nachahmung
mtereßant zu machen. Eine lebhafte Phantasie, und
Geschmack zur Auewahl der prägnantesten Umstünde
sind die Talente, deren der Künstler zu dieser Arbeit be?
darf. Gottscheds Cato und Schönaichs Herrmann bnvei-
sen es, daß für einen Dichter ohne blühende Einbildungs
kraft das reichste Sujet noch zu arm ist. Und auf der
audern Seite haben wir an den Tageszeiten und einigen
andern Werken eines berühmten Schriftstellers, der fönst
«lle Dichtcrgaben hat, wahrgenommen, daß das beste
Werk verunglücken kan , wenn der Artist nicht immer
von einem cvrrctten Gcschmacke, auch bey den kleinsten
Umständen , geleitet wird.

Das Interesse des ganzen Werks ist von dem Int»


reffe der Personen verschieden, die der Artist uns abschil»
de> r. Ein Werk ist mtereßant , wenn sein Stof für uns
von Wichtigkeit ist -, Diese Benennung erhalte» auch fol,
che Produkte, in welchen keine handelnden Personen ausi»
gestellt werden , z. B. tehrgedichte , Porträts und der?
gleichen. Für eine Person hingegen sind wir intereßirt,
wenn wir ihren Begebenheiten eilten glücklichen Ausgang
wünschen; und wider sie, wenn ihr Verlangen demunsri,
gen entgegengesetzt ist. Sollen wir uns für eine Person
intereßiren, so muS sie «nö von einer vortheilhoften Sei
te abgebildet werden. Die Starke des Herkules, der
Much des Achilles, die Weisheit des Nestor, die Klug«
heit
* Ode auf einen Granatapfel «75«'
^4 Ueber das Interesse.

cö Ulysses, die Kühnheit desDiomedeS und Ajax,


Redlichkeit und Frömmigkeit des Aeneae, bewegen uns,
diese Helden zu lieben, und die Uebe ist die Triebfeder
des Antheils, welchen wir an ihren Handlungen nehmen.
Im Gcgenthcil können wir wider eine gewisse Person auf
eine doppelte Art intereßirt werden; einmahl durch das
Unangenehme , Niederträchtige und Unwürdige ihres
Charakters: auf diese Art hassen wir einen Thcrsitcs, ei
nen Tartuffc , und selbst den Satan und Adramelech.
Zwentens werden wir dadurch wider eine Person einge,
uommen, wenn sie sich dem Endzwecke desjenigen wider«
setzt, für den wir schon vorher parthcyisch sind. Dies ist
der Fall bey den Gegnern des Achilles und Aeueaö , bey
einem Hecror und Turnus, Wir lieben diese Helden
wegen ihres edlen Charakters; allein diese Uebe gerach
mit einer andern im Streit, sie mus weichen. Wir
t)en dem Hcctor alles Gute , nur nicht zum Sch«
ö Ackilles und der Griechen. Sobald das gegen,
feilige Interesse dieser Helden mit einander streiket, dann
hat Achilles den Vorzug; aber beynahe ist es uns leid,
daß wir seinen sonst so liebenswürdigen Gegner in dieser
Collision nothwendig hassen müssen. Durch diese Ml?
schung vom Ueve undH.iß, von Mitleiden und Bey.'
frcnde wird unsere Ungedult hitziqer, die ieidenschaft Heft
tiger; Hofnung und Furcht thcilen sich in unsere Empfim
dung, und der Dichter hat seine Absicht, uns zu rühren,
uns auf das beste zu unterhalten, am Ende scincs Werks
vollkommen erreicht. Ich getraue mir aus dieftm Ge,
sichcsPunkre den Virgil wider eine Critik des Herrn von
Voltaires ziemlich zu vertheidigcn. Ich sehe, sagt man,
jn der Person des Turnus einen jungen Prinzen im
<i.rif eine Prinzeßin zu Heyrathen > die er aufs äußerste
Kebr und die se«icr tiebe nicht eben zuwider ist. Die
Mutter seiner Geliebten , und zwey ganze Völker wüut
scheu
Ueber das Interesse. zzz
scheu dies,- Verbindung ; das Glück beyoer Verliebten
und die öffentliche Ruhe schien sie nolhwenöig zu machen.
Mitten unter diesen süssen Hofinmgen kömmt Aeneas,
ein flüchtiger Fremdling von den africanischen Küsten.
Er verlangt eine Freystart, und der König bietct ihm
liebst dieser zugleich seine Tochter an, an weiche Aeneas
nicht gedacht hatte. Es entsteht ein mörderischer Krieg.
Turnus streitet für seine Geliebte und wird von seinem
Nebenouhier eher gekostet, als überwunden. Die Mut
ter der lavinia nimmt sich aus Verzweiflung das leben,
und der alte König ist wahrend dieses Kriegs in einer
Unentschlossenheit , die ihm wenig Ehre macht. Nur
das Glück, schließt man, ist für den Aeneas ; misec
ganzes Interesse hingegen für den Turnus. Al
lein wagen wir die Würde der Charaktere gegen einander
ab, so behält allemahl Aeneas die erste Stelle in unserer
Achtung. Wir haben ihn schon durch sechs Gesänge
hindurch als einen redlichen Freund, als einen treuen
Gemahl, als einen dankbaren <sohn, als einen zarüis
chcn Vater , als einen Verehrer der Gottheit erblicket;
den Turnus lernen wir erst im siebenten Buche, wie im
Vorbeigehen , kennen. Er sey so liebenswürdig, als^
er will; den Aeneas kan er aus unserer Achtung nicht
verdrängen. Das Orakel , welches die laviuia einein
Fremdlinge bestimmte, raubt dem Turnus alle Ansprüche,
die er auf sie machen konte. Und die Furie, welche den
Turnus entzündete, fetzt diesen vollends in unserer Hochs
achtung auf einen niedrigen, Grad herab. Alles dies
mit einander verglichen, vermehrt unser Interesse für den
Aeneas und wider den Turnus, und giebt uns zu ecken«
uen, daß der Dichter nur deswegen den Turnus von der
schönen Seite geschildert hat, um unsere Ungedult zu
Vermehren, um uns desto starker zu beschäftigen, und
um das eine Interesse durch das andere zu erheben.

Hier
Zz6 Ueber das Interesse.

Hier können noch einige besondere Beobachtungen


ihre Stelle finden, die man über diese Materie /gemacht
hat. ^

Fürs erste ist die Unwahrscheinlichkeit des Charakters


dem Interesse allemahl zuwider. Sie verhindert die Illu
sion, und ohne diese kan keine Rührung statt finden. Ei,
ne Würkung, zum Beyspiel, die die Kräfte der mensch,
lichen Nqiur übersteigt , übersteigt auch unfern Glauben,
und ist utopisch , nicht wunderbar. Turuierhclden , die
Thaten von sich rühmen, zu welchen tausend Hände kaum
zugereicht hatten, sind Aufschneider; oder der Dichter ist
es, der sie «uf eine so übertriebene Art schildert. Her«
kules selbst hat seine Arbeiten nicht ohne Beyhülfe ande
rer vollbracht. Eben so ungereimt ist ein allzucrhabe-
ner Charakler, der keine von denen Schwachheiten bli
cken laßt , die der menschlichen Natur eigen sind. Wir
können uns nicht in einen solchen Charakter hinein den,
ken , ohne seine Unmöglichkeit zu empfinden und diese
Empfindung verhindert, Illusion, Interesse und Müh«
rung. Die besten Dichter lassen daher ihre Helden zu
weilen Fehler begehen, wodurch sie der Wahrscheinlich
keit, auch auf Unkosten des sittlichen Ideale, ihr Recht
geben. Was der Charakter des Achilles durch einige
Schwächsten zu verlichren scheint , dsö gewinnt er
von der Seite der Wahrscheinlichkeit ; mU> diese ist eine
von den höchsten Regeln der Kunst. ^.

' ^ ZweytenS hat man bemerkt, daß ein Held im Unl


glücke uns mehr imereßirt, als im Glücke. Alle unsere Be
gierden hören auf, wenn ihr Endzweck erreicht ist, und
Verwandeln sich allenfalls in bloße Bewegungen. Ist
der Held glücklich , so- freuen wir uns, aber d,ese Freude
ist transitorisch, sie verwandelt sich in eine blosse Zufrie
denheit und höret endlich gar auf, wenn sie von keinem
Ver,
Ueber das Interesse. ZZ7

Verlangen begleitet wird. Das Unglück hingegen läßt


uns eine Veränderung des Znstandes wünschen ; das
Mitleiden entflammt unfern Unwillen wider den Urhe
ber,^ wider den Beleidiger, und die heftigen Bewe«
gungen, welche daher emstchen/ sind für uns ergötzen-
der, als eine öde Zufriedenheit.

Drittens , ein vollkommen gleich ausgethciltes In


teresse vermfacht einen Ungewissen , schwankenden und
zweifelhaften Zustand der Seele, der in der Nachah,
mung so unangenehm ist , als in der DZattrr. Wenn die
Charaktere von zween entgegengesetzten Helden einander
so die Wage halten , daß wir nicht wissen , welchem wie
den Vorzug geben sollen Z so kan keine Begierde entste,
hen , die nicht durch eine entgegengesetzte Begierde wie
der verdränget würde. Unsere Zuneigung bleibt unent«
schieden , und es kcm nicht fehlen , der Erfolg mus unan
genehm seyn , eö gehe auch , wie es will«

Viertens, mehrere intereßante Begebenheiten , bei


ren jede für sich ein Ganzes ausmacht, in Einem Pro,
dukte mit einander verknüpft, sind unangenehm. Sind
sie von ungleicher Willigkeit, fo wird die eine durch die
andere verdunkelt. Sind sie von gleicher Wichtigkeit, fo
werden wir zerstreuet und unsere Aufmerksamkeit kan nicht
auf einen Punkt fallen. Das Interesse bey der einen
Handlung wird also immer durch das Interesse bey der
andern vermindert, oder vertrieben. Dies ist der Fall
bey epifodifchen Fabeln , wenn , zum Beyfpiel , eine ver,
liebte Verwickelung unter Handlungen gemischt wird,
die den Patriotismus zur Triebfeder haben. Einige
Kunstrichter haben liefen Fehler in der Belagerung von
Calais an der Uebe des Harcoutt ju der Alien« bemer
ken wollen.
V . Fünf-
^ Home, ZH« l..S. 96,
zz8 Ueber das Interesse.

Fünftens hat man gefragt, ob auch in, komischen


Geschmack« em Interesse statt findet ; Wer dieses leug-
nen will , der nms keinen Fieldin,^ , Cervantes und Wie«
land gelesen haben. Ein Mensch mag so drollicht seyn,
als er will, er bleibt noch immer ein Mensch und behält
noch Züge genug an sich, die uns rühren und für , oder
wider ihn einnehmen können. Selbst einem Hudibras
wünsche ich Sieg wider seine Feinde, wider den Bä,
ren und den ieyermann , und ich würde ben seiner
grausamen GespcnsterHisiorie Mitleiden mit ihm haben,
wenn er eine solche Vegegming nicht durch seine Falsch
heit verdient hätte.
Sechsten« ist die Anmerkung nicht allgemein wahr,
wenn man glaubet, daß wir uns in einem Produkte für die
vollkommenste Person immer am meisten inrcreßiren:
Soll das Interesse stark werden, so mue die Person auch
eine solche seyn, deren Schicksal noch nicht emschieden
ist. Die Eltern der Pamela find ohnstrerig im Anftm«
ge der Geschichte vollkommener, als ihre Tochter; und
dennoch intereßircn wir uns sogleich für diese am mci«
sicn. Nicht Allwerth mit aller seiner Tugend, sondern
Tom Jones mit allen seinen Schwachheiten ist' unser
Held.
Siebentens, alles Gerändelte, alle gekünstelte Ge,
smnungen schwächen das Interesse. Ein einziger Zug
der Galanterie benimmt der rührendsten Stelle eines
Gedichts alle ihre Starke, s Dergleichen Gedanken
verralhen das Nachgeahmte, und die Kunst des Dichters
zu sehr, um «och zu täuschen, und dürfen in keinem ernst,
haften Werke gedultet werden.
Achtens sehen wir cs gern, wenn der Ausgang einer
Begebenheit mit unser« Wünschen übereinstimmt, wenn
der
2 DÄBoS Th« I. S. iZ».
Ueber das Interesse. ZV
dir Tugendhafte glücklich, oder wenigstens nicht, ohne
gerächt zu werken, unglücklich wird, und der Lasterhafte
den iohn empfangt , den er mit seinen Thoren verdient
hat. Hat der Künstler diese Erwartung erfnllet, so sa«
gen wir, die poetische Gerechtigkeit ist beobachtet
worden; « imGeqenrheil werden wir unwillig und wen»
den unsere Blicke ohne Befriedigung von der ve«
drüßlichen Scme hinweg. Ein Ense der Begeben,
heir , welches unsere Erwartung m ehandelt , erfüllt
uns mit einem Miövergnügen, welkes leicht alle ant
genehme Empsindmigen verdunkeln kan , die das Werk
selbst in uns erzeuget bar, und ist bennahe für uns uoch
verdrüßlicher, als wenn das Schicksal der Per«
sonen gar nicht wäre entschieden
worden. ^

« S> obcn S. 255.

XVtt.
XVII.

Uebcr die Grazie.

diesem Capitel betrachten wir die Schönheit al-


^ ^ lein und ohne Misibung mit andern Principien ;
nicht wie sie in der Natur würklich ist , sondern
wie sie seyn würde, wenn die ganze Natur ein Tempe,
und ihre Bewohner nur Grazien und Töchter des Him?
melö wären.

Um diese hohe Idee der Schönheit zu fassen , müs-


sen wir «nö ein Subjekt gedenken, welches in Ruhe,
oder in keiner starken Bewegung ist, dessen stille Obers
stäche von dem Brausenden und dem Matten gleich weit
entfernt ist und ein Inwendiges anzudeuten scheinet, was
von allen heftiqen Würkungcn leer ist. ,. Wenn die
Seele , sagt V^inkelmann « , in einem würkenden,
oder leidenden Zustande ist , so verändern sich die Züge
des Gesichts und die Haltung des Körpers , folglich die
Formen, welche- die Schönheit bilden; und je größer
diefe Veränderung ist, desto nachteiliger ist dieselbe der
Schönheit. Die Stille ist derjenige Znstand, welcher
der Schönheit, so wie dem Meere, der eiqeuilickste ist,
und die Erfahrung zeiaet, daß die schönsten Menschen
von stillem gesittetem Wesen sind. Es kan auch der Be«
griff einer hohen Schönheit nicht anders erzeunet werden,
als in eiwr stillen und von allen einzelnen Betrachtungen
abgerufenen Seele. „ Was für den Körper der schöne
IlniriS ist , das ist für den innern Charakter diejenige
Fassung, wo sich alle Begierden der Seele in ihren
Schranken holten, und keine heftig genug würkt, um
die andern gänzlich zu unterdrücken. Durch eine allzu«
star.
a In der Geschichte der Kunst, Th. I. S. 167.
Ucber die Grazie. Z4>

starke Bewegung des Leibes werden die schönsten Züge


verzerrt, die schönsten Knien laufen unordentlich durch
einander, und die vortreflichste Bildung wird zerstöret.
Heftige ieidcnschaftcn zerrütten die Seele , bringen sie
aus ihrer schönen Haltung , und entstellen durch sich selbst
den Charakter des Gemnths so gm , wie durch ihre aus,
serl,chen Merkmahle die Schönheit des Körpers. >

Daher entstehet der Begrif von einer sanften


Schönheit. Diese, wiefern sie dem Menschen bcyge,
le«,twird, ist die vollkommenste Uebereinstimm mg aller
Züge, Minen, Stellungen, Geberden, Gesinnungen,
Worte und Handlungen welche in einem schönen Kör«
per eine ruhiae und in sich selbst zusrK dene Seele anzeiB
gek. Etwas ähnliches findet sich in der Narnr. Der
Anblick einer frischen Aue, wo ein leichter West mit den
jungen Wipfeln spielet, die Blumen Gerüche hauchen,
und der Silberbach unter die melodiereichen G sanqe der
Nachtigallen rauschet, bringet in uns eine sanfte E npsin,
dung hervor, und versetzt uns selbst in eine zufriedene
Stellung , die derjenigen ahnlich ist , welche aus der in,
mm Heiterkeit des Geistes entspringet. Wem diese
sanfte Wollust in meiner Beschreibung noch zu dunkel ist,
dem will ich sie in der Schilderung eines Ranners zu
empsindeu geben. ^
Daphnis
Ich sah den jungen May :
Seine Silberglocken
Hiengen um den Schlaf.
Als er vom Himmel fuhr,
Blühten alle Wipfel ;
Als er den Boden trat,
Kies er Violen und Hyacinthen im Austritt zurücke.
Y ^ phyl.

K S. den May, eine musikalische Idylle. 1764.


Veber die Graps.

Phyllis
Ich sah dem jungen May:
Einen Rranz von Myrrhen
In der rechten Hand.
Als ?r vom Himmel fuhr.
Sangen lhn, die Lerchen ;
Als er zur Erden sank,
Seufzren vor Liehe die Nachtigallen aus allen Gebü«
scheu.
Daphnis
Sehe, die Traube bricht hervor
Unter jungen Rebenblattern, .
Und verkündige Most!
Dieses machen die frolichen Götter-,
Vacchus und der May,
Muntre Schafer, laßt uns trinken;
Eine. Schale dem M«y und eine dem Bacchus zu«
Ehre.
phyllis
Sehr, der wiese junges Grü»,
Laue Lüfte, wohlgerüche
Laden uns zum Tanz !
Dieses wollen die frötichen Götter>.
Amor und der May.
Schäferinnen , laßt uns tanzen :
EM«, Reyhen dem NI«y und einen dem Amsr ZM

Daphnis
GtüLkich ist der Hlrr,
Der im M«y die w^lt erblickte,,
wen» die Zvose die Rnosp« duxchhrM:
Srmr Kindheit hau<b?e ^reudo,
Sreud« döft« sein AKer dercwjd.
phyts
^_ , Ueber die Gratie. . z^z

phyllis
Glücklich ist der Hirt,
' Den im May die Hirtin liebet,
. PSenn der Weinstock die Pappel umaxmt :
Seine Iugend liebt sie zärtlich ,
Zärtlich liebt sie sein Alter dereinst.
Daphnis und phyllis H . ^ -«
Ihr Rinder des Mayen , lobsingec dem May ! '
Sei!, Einflus beseligt die ganze Natur.
Da ich nur einige Stellen abschreiben wolle , so hübe
Zch ans Verschen fast die ganze Idylle abgcsi' rieben ;
ein Fehler, den mir meine ieser gern vergeben werden.
Wirb die fanfte Schönheit, nacl>einem Ideal aus
Mehrern vollkommenen Gestalten, bis ans den höchsten
Grad getrieben und mit besondern annehmlichen Zügen
distinqnirt, hie der Gestalt etwas charakteristisches q«
ben , so heißt sie Grazie ; eine Eigenschaft der künstle
chen Werke, welche Apelles für fein grösteö Verdienst
«chtere, c und durch welche Herr VDinkelmann eine
Li''ze Epoche der Kunst des Alterihums charakterisiret.
Wir wollen hören , wie dieser Me ster in der Kunst,
Schönheiten aus Formen und Figuren in Worte zu über«
setzen , seine Göttin beschreibet. „ Die Grazie bildet sich
und wohnet in den Gcbeh! den , und offenbaret sich in der
Handlung und Bewegung des Cörpers ; ja sie äussert sich
in dem Wurfe der Kleidung , und in dem ganzen Amu-
ge : von den Künstlern nach dem Phidias;, Polycle,
' P 4 MS
r ?r«ec!piiz ein> m srte venult« tuit , cum esckem ,etste ms.
zimi piAor« eSlent : qiisrum «per« cum »<Zi«irsretur , eol»
isuästis ominbus , <leells iis vn»m i»sm Vcnerem ijicebst,
? «zu»m lirseci LKsrits vocsnt -. cetera omni» contigille , se6
K«e loli tibi ueminem ^»rem, klin. I.. XXXV, c, is. m,
5«l.
Z44 Ueber die Grazie.

tus und nach ihren Zeitgenossen wurde sie mehr, als zu,
vor, gesucht und erreichet. Der Grund davon mus in
der Höhe der Ideen , die sie bildeten u >d in der Strenge
ihrer Zeichnung liegen. Mit sirengen Begriffen der
Schönheit fing die Kunst an ; aber die nächsten Nachfol«
ger der großen Gesetzgeber in der K.unst suchten die hohen
Schönheiten , die an den Vtatüen ihrer Meister wie von
der Natur abstrakte Ideen , und nach einem tehrgebäu,
de gebildete Formen waren, naher zur Natur zu brin?
gen , und eben dadurch erhielten sie eine größere Man.-
nichfaltigkeit. In diesem Verstände ist die Grazie zu
nehmen , welche die Meister des schönen Stils in ihre
Werke gelegt haben. Diese Grazie scheint von verschie«
dener Natur zu seyn. Die eine ist , wie die himmlische
Venus, von höherer Geburt, und von der Harmonie
gebildet, und ist beständig und unveränderlich, wie die
ewigen Gesetze von oieser sind. Die zwote Grazie ist,
wie Venus von der Dwue gebohren, mehr der Materie
unterworfen ; sie ist eine Tochter der Zeit , und nur eine
Gefolgin der ersten , welche sie ankündiget für diejenigen,
die der himmlischen Grazue nickt geweihei sind. Diese
läßt sich hermttex von ihrer Hoheit, und macht sich mit
Mildigkeit, ohne Erniedrigung, denen, die ein Ange auf
dieselbe werfen , theilhaftig ; sie ist nicht begierig zu ge?
fallen, fondern nicht uneikanm zu bleiben. Jene Gra,
zie aber, eine Gesellin aller Götter, scheinet sich selbst
genngfam, und bietet sich nicht an, sondern will gesiz:
chet werden ; sie ist zu erhaben, um sich sehr sinnlich! zu
wachen : denn das Höchste hat , wie Placo sagt , kein
Bild. Mit dem Weisen allein unterhält sie sich , und
dem Pöbel erscheint sie störrisch und unfreundlich ; sie,ver«
schließet in sich die Bewegungen der Seele, und nähert
sich der seeligen Stille der göttlichen Natur, von welcher
sich die großen Künstler, wie die Alien schreiben, ein
Bild zu entwerfen suchten. Die Griechen würden jene
Gr«.'
Ueber die Grazie. Z4f

Grazie mit der Jonischen , und diese mit der Dorischen


Harmonie verglichen haben. „ </
Das Ideal der höchstmöglichen Schönheit ist gleich«
sam ein abstrakter Begrif, eine Gestalt, die keiner Per,
son eigen ist, und immer einerley und unveränderlich,
wie die Wesen der Dinge. Soll dieses Ideal der Na«
tur nähergebracht und mannichfaltiger werden, so mus
es der Künstler thcils durch einzelne, aber noch schöne
Züge abändern, mäßigen und anders bestimmen, theils
ihm dadurch ein concretes Ansehen geben, daß er die
Schönheit, wo möglich , in Bewegung setzt und mit Reiz
verbindet. ., Die Schönheit.', sagt XVatelet, e besteht
in einer völlig verhältnißmäßigen Conformation auf die
uns eignen Bewegungen. Und der Reiz besteht in der
Uebcreinstimmung dieser Bewegungen mit den Bewegun
gen der Seele. „ Eigentliche Schönheit ist mehr für
den AZahler , so wie der Reiz mehr für den Dichter ge,
macht./ Reizend, und mit Anstand reizend, ist die
Sulpitia :
Illam quicqulll a^ir , quoczuo velrißlä mouir,
lüompomr surtim subieczuiturczue elecor.
Leu loluir crmes, tulls tlecer elle cspillis ;
^. Leu complir comptis eli venersnrZa colMS.
Vrit . leu t^ria voluir vroce6ere palla ;
Vrit, leu niues cancjl6s velie venit.
I'aüs in aeterno 5elix V«rtumnu8 Olymps
Z^ille Ksbet ornstus , mille clecenter Kabet.

P 5 Schö«
Geschichte der Kunst. Th. I. S. ,19. f. f.
, In den Betrachtungen über die verschiedenen Theile der
Mahlcrey T. gz»
/LeßingS L«°kvon S. il6.
A Ub. ll. Lleß. z.
Z4<5 Ueber die Grazie. '

Sckön würde der Mahler die Sulpitia wohl auch


gemacht haben ; aber den Reiz aus der Veränderung der
Gestalt und der Kleidung konte er ihr nicht geben.

Mit wenig Worten : Sanfte Schönheit , nach


dem durch besondere Züge mehr bestimmten und abge
änderten Ideal der höchsten Schönheit , wo möglich , mit
M.iz verbunden, ist Grazie.
Die Grazie vermischt sich mit keinen andern als sol«
chen Bewegungen, die einen stillen, von aller Heftigkeit
entfernten und würdigen Charakter anzeigen. Zuweilen
läßt sie durch den Dnft der Schönheit , der auf der Mi,
ne zu schwimmen scheint, Züge der Erhabenheit und der
Majestät hindurchschimmern. So fehen wir die Miners
va und Diana in Marmor und aufgeschnittenen Steinen.
Das Herz der Göttinnen ist keinen gewaltsamen Bewe-
qungen unterworfen, und diefe Stille fchwebt auch auf
dem Gesichte ; aber ihre Blicke sind göttlich und gebieten
Ehrfurcht. So ist der e> nste Jupiter der felbst ruh,g ist,
aber mir Einem Winke seiner mächtigen Augenbraunen
die Erde erschüttert. Zuweilen verschwestern sich die
Grazien mit der Venns, und erscheinen, nicht in der
Gestalt einer iais , die mit geilen Blicken nach Jünglin
gen schauer, sondern mit einer Mischung von Schönheit,
Anstand, Zärtlichkeit und Gefühl. Naioete und Schalk«
haftigkeil geben der Grazie einen neuen Reiz ; Kenner
werden ihn an der Psyche und dem Amor oft mir Ve»
gnügen bemerkt haben. Auch noch dre Entzückung kau
auf einem Gesicht voll Grazie eine g>ite Würkung rhin,
wenn sie fo ausgebildet wird, wie anf der Mine eines
Achilles, der die Saiten rührt und die ganze Stärke der
Musik zu empfinden scheint. Heftige tndeufchafren,
Schmerz, Angst,, Zorn, und dergleichen vertragen sich
nicht mit der Grazie , es siy denn , daß sie der Künstler
mit Großhcit, Sttlle und Zufriedenheit zu maßigen wis
se,

,' ' ' '


Ueber die Grazie. ?4?

sc. So zeigt der Ausdruck in der Gruppe taok.>,


allem Schmerze eine große und gesetzte Seele ; wie die
Tiefe des Meeres allezeit ruhig bleibt , die Oberfläche
mag auch noch so sehr wüten. H Und von der Grazie ge?
leitet, wagte sich der Meister der Niobe j,, das Reich un«
körperlichen Ideen , und erreichte das Geheimnis , die
TodesAngst mit der höchsten Schönheit zu vermah«
len. i
Grazie kan statt finden an Körpern, i
gen und ,in Handlungen.
Die körperliche Grazie offenbahrt sich vornemlich
auf dem Gesichte und in den Stellungen. 6 Sie kanl
am höchsten getrieben werden an einer jugendlichen Ge,
statt, die von der unentschiedenen Bildung des Kindes
und der allzugroßen Ernsthaftigkeit des Alters gleich weit
abstehet. Hier trist man das Reihende der Bildung
noch in seiner ganzen Stärke an , das ««-<^«^ , von wel*
cdem die Alten redeten, und welches «och von der schöne^
Form unterschieden wird : /
Klulrayue cum turms gratia mixta ku!r.
Em heiteres , aber sanftes lächeln , eine jungfräuliche
Schamröche , Blicke , die weder frech , noch allzumatt
sind, eine , blühende Wange, ein lieblicher Mund , der
Freundlichkeit athmet ; dies sind einige von den Zügen
dieser Grazie ; Züge die ein desto vollkomnmercs Ganzes
liefern , je besser sie übereinstimmen und je mehr sie zu,
fammcngenommcn dem Ideal, der höchsten Schönheij
enk
S WmkcKnann «on der Nachahmung der Griechische» Werke.
S. 2l.
i Geschichte der Kunst ^ Th. I. S. 2Z2-.,
« S. den Watelct am angeführten Orte S> 88. f.
^ kkilolir. iu kr. Kon. et l«ik. II. in blelek .
Z48 Ueber die Grazie.

entsprechen. Der Wurf einer nachläßigen , aber qe-


schmackvollen Kleidung läßt zwar auch Reiz und Graue
zu : Allein wenn mir unserer Empfindung und den besten
Mustern folgen wollen, so müssen wir behaupten, daß
das Nackende der schönsten Ausbildung fähig ist. Paus
sanias darf sich nicht wundern , 7» daß die Künstler des
schönen Siils die Grazien nackend bildeten, welche die
ersten Meister noch bekleidet hatten. Die Schönheit der
menschlichen Bildung Übertrift alles, was die Noch, oder
der tnxuö erdacht hat. Und vom Nackenden kan man
mit Recht sagen : Hier ist alles Natur.

W?' Diese Gattung der Grazie , die wir bisher beschrie,


ben haben, ist fast allein für den bildenden Künstler.
Für den Dichter giebr es eine andere , deren jener beynahe
ganzlich entsagen mus ; die Grazie in Gesinnungen und
Handlungen. Die besten Meister haben sich ihrer be?
mächtigt und sich mit ihren Reizen geschmücket, Gel,
lert durch zärtliche, menschliche und liebenswürdige Sem
timens ; Gleim , Leßing , Weisse und Uy , durch
feine Empfindungen von Wein und tiebe ; Rost und
NAeland durch eine fchalkhaste Naivete ; Geßner
durch Unschuld und Einfalt in den Sitten : und, Ger«
fkenberg durch kleine unschuldige Handlungen im zärr«
lich^ Tone. Bewegungen ohne Heftigkeit, Simplici?
tät, Naivete und Anstand sind die wichtigsten Bestand«
thcile diefer Grazie. Sic theilt sich auch den Kunstwer«
ken ohne Absicht auf ihre Gegenstände mit, und dann
besteht sie vornehmlich in der bewundernswürdigen teichs
tiqk.it, mit welcher die Hand des Meisters die gröstcn
Schönheiten , gleichsam im Vorbeigehen , in alle Win»
sel streuet. Callimachus wurde getadelt und bekam den
Namen, CacizotechnoS , als ein Sobriqver, weil er die
Kunst zu fehr in seinen Werken verriekh, in sich selbst
ein
m l.ib. IX. zo.
Ueber die GraziG ,4?
.—, , ^. K ^
ein Miötrauen setzte , vnd kein Ende seines Fleisses finden
kome. ^ Aus eben diesem Grunde radelt Plutarch die
Gedichte des Amimachus und die Mahlereyeu des Dio^
nysiuv. Die Werke des Nicomochus hingegen und die
Evopaen eines Homers h den , ausser ihren andern
Schönheiten, auch noch das Verdienst der anscheinen
den Leichtigkeit und die Eigenschaft , daß man ihnen die
Mühe nicht ansieht , welche sie gekostet haben, o

Die Grazie ist daö Wesentliche in den Gesinnun


gen der Schäfergedichtc , der anakreonrischen Oden und
der Tändeleyen. Welche Grazie i» der Entführung der
Europa von Moschus ! in dem Grabmahl des Adonis
von Bion!
„ So klagte Venus und die Liebesgötter klagten
„ mir ihr. Venus hat soviel Thränen vergossen , als
„ Adonis Blut vergoß. Jeder Tropfen, der auf die
„ Erde fiel,.ve'.vandcltc sich , das Blut in Rosen, die
„ Thrän n in Ancnionen. Ich klage den Ädonis,
„ der schöne Adonis ist nicht mehr.
„ Weine nicht mehr in den Wäldern um deinen
„ Gemahl, o Cypria. Man hat ihm ein Ruhebette
„ bereitet , Adonis ist auf ein prächtiges Bette gelegt.
„ Zwar todt, aber auch im Tode noch schön, so schön,
„ als ob er schlummerte. Er liegt, der junge
„ Adonis liegt auf purpurnen Decken. Um ihn herum
„ weinen die Liebesgötter. Sie haben ihre Haarlocken
,. abgeschoren , und seinen Leichnam damit bestreut.
„ Der eine zertritt seine Pfeile, der andere zertritt seinen
„ Bozen; dieser zerbricht seinen Köcher, jener lößt de«
„Adonis das Band von den Solen auf; ein anderer
„ bringt Wasser in einer golden Schale , ein anderer
wäscht
» PIm. r.ib. XXXIV. c,p. «. p. m. 52z.
? klutsrcku, in l'imo!.
Ueber die Grazie.

„ wäscht seine Wunde, ein anderer weht ihm mit seine»


„ Flügeln kühle iüfte zu. Alle aber beklagen das Un-
„ glück der Cychera. ..
^ Das Grabmahl des Adonis,
nach der Ueberschung des Herrn
Ramlers.
Einige Anchithesen nnd gekünstelte Wendungen ausge«
nommen , ist die ganze Idylle vortreflich. Noch einige
Beispiele zum Beschlue dieser Materie :
Ach wilst du mir nicht bald dein zweyres Leben ,
Dein jLbenbild in einer Tochter geben ?
?7licht dieser Zlugen schlauen Witz ?
Zeicht diesen Mund der Suada Sitz ?
Ramler z
Jetzt bog ich schlau an ihrem Hais mich langsam über,
Und stahl ihr schnell ein NZauichc,, ab ;
Ieyt bog sie unvermerkt de,, Hals zu mir herüber.
Und jeder nahm den Rus auf halben Weg sich ab.
Denn jedes »lahm und jedes gab.
von Gerstenberg. ?
'Nachlaßig hingestreckt ,
Die Brust mit Flor bedecke,
Der jedem Lüfrgen wich.
Das kühlend ihn durchstrich,
Lies unter jenen Linden
NZcitt Glück mich Laurctt finden»

Ich lies wich sanfte nieder.


Ich segnete, ich iWre sie,

5 Th. l. S. Z58-
5 prolomaus imd Berenice. ,765,
x D,e Grazien, «nie Täüdklxj).
Ueber dieWrazie. z5l-
, , , . , ,, , , ^
Ich segnete, und küßte wieder;
Und schnell erwachte sie.
Schnell thacen sich die Augen auf.
Die Augen? — Nein, der Himmel rhar sich auf.
Lchmg, ,
Raum ist er weg, so steht schon Cypria,
Voll Zuversicht, in diesem Streit zu siegen.
In jenem schönen Aufzug da, ,
worinn sie sich , das lächelnde Vergnügen
Dcr lüsternen VZarur, dem leichten Schaum entwand.
Sich selbst zum erstenmal)! voll süßen Wunders fand,
Nnd im Triumph auf einem Muschelwagen , H
An paphos reizendes Gestad,
Voll frohen Zephyrn hingetragen,.
Im ersten Iugendglanz die neue Welt betrat:
So steht sie da, hc-.ib abgewandt,'
Wie zu Florenz, und deckt mir einer Hand,
lLrröthend in sich selbst geschmieget.
Die holde Brust, die kaum zu decken ist.
Meland. k
Das sey genug von einer Materie, über die nach einem
Hagedorn und Winkelmann wenig mehr zu
sagen übrig ist.
«- Schriften I Th. S. 59, 60.
e Komische Erzählungen S. 2».
5

XVIIl.
. ' XVIll.

Von den Figuren.


nenne ich überhaupt alle Schönheiten des
Details, die wegen ihrer Besonderheit auf eine
^) merkliche Art hervorstechen. Das Wort wird
hier in der weitlauftigsten Bedeutung genommen, und
begreift, außerdem, was fönst die Kunstlehrer mit dem
Namen der Figuren bezeichnen , auch alle Tropen , Ml«
der und andere Stücke mit unter sich, die zum Colorit
und zur Schönheit der einzelnen Thcile etwas beytra,
gen. « Ich will, um Kiefen Begriff deutlich zu machen,
eine Stelle aus einem berühmten Dichter zergliedern,
die voll von Schönheiten des Details ist. Dufch singt
in feinem Lehrgedichte von der Glückseligkeit des Tu«
gendhaften : ^
Der Geizhals fetzt des Lebens bestes Erbe,
Die herzerhebeuden Entzückungen des Menschen,
Die ihm als Freund , als Bruder, Gatte, varer
Und Patriot gehören, diesen Reichthum
von unschätzbaren, tausendfachen Freuden
Seyt

« PZßur«', sagt Quintilia» , eil contormstic, q„,e<s!»n or»ti«.


vi, remots » eonimuni et primuni le oiierente rstiune.
Inst. lib. IX. csp. i. r>. m. i l!» Und Batreur versteht
durch das Wort Figur, in Sachen der Wohlredenheit,
«ine gewisse snmmecnsche Anordnung der Theiie einer oral
torischen Redensart, oder auch, vieler Redensarten unter
einander, eine Art von regelmäßiger Configuraiion, welche
den Figuren gleicht, die n„s der Sicllung einiger Linien
entstehen , woraus ew Triangel , Quadrat und dergleichen
Ive, den kan. Diese Begriffe sind in der Poesie und Ora>'
torie richtig , allein zu engt für die allgemeine Theorie
aller schönen K. u. W.
iS> li, tz.
Von den Figuren.

Setzt dieser Thor für Silber um; fi-r Silber,


Das Rinder gern (weit klüger) für die puppe
Verschwendeten: Begierde nach Vergnügen
Schließt hier de« Rauf, dort Brunst nach todtem
Golde.
Doch Millionen, welche Summe.' „ — R«
Die Sünden nach , die diese Summe kostet :
Den Bissen rauben > den die Menschenliebe,
AufGorres Altar leget, um den Armen,
Und Sterbenden zu pflegen ^ vaterlosen
Unmündigen ihr unbeschützteS Lrbe
Mit iLiden aus den Händen schwöret, ; die
Die rächende Gerechtigkeit zum Zeugen
Der Lüg und des Betrugs mir allem Donner
Aus ihrem Himmcl rufen ; Augenblicke
Der mütterlichen Angst abwarten, wenn
Der Säugling sich vor Frost an ihrem Busen schmie
ger,
Nenn rings um ihren Schoos die blaßen Waisen
Sich bebend, halb bedeckt, zusammen krümm««/
Die leyre Rinde Brod benagen , von den Thränen
Der Mutter eingeweicht ; den Augenblick,
Wenn sie mir strömenden, vergrämten Augen
Auf die verlaßne Unschuld blickt und seufzet.
Und wünschet , daß sie nie gebohren hätte.
Den Augenblick der Angst abwarten, um
Mir Noch zu wuchern — rechne diese Sünden,
Ach! rechne diese Sünden, des Gewissens
Gereizte Foltern, die verkauften Knuden
Des Lebens hier, und die verkauften Freude«
Des künftigen ! des Himmels ! rechne ! rechne
Die alle ! und sprich dann , wie vielmahl tausend
Von solchen Millionen machen nichts !
Z Die
Z54 Von den Figuren.
Die ganze Stelle ist vortresiich; allein bey der Zer
gliederung findet man verschiedene einzelne Schönheiten,
die sich vorzüglich ausnehmen.

Das Silber , der Zweck des Geizigen , wird zuerst


mit dem Reichrhume der unschätzbaren Freuden
des Lebens , und dann mit der puppe des lindes
auf eine lebhafte Art contrastirt ; und der Dichter weis
seine Gegenstände so künstlich zu qruppiren, das derjeni
ge, welchen er in die Mitte stellt, das Silber, noch?
wendig verlieren muö.

Des tebens beste Erbe ist eine Anspielung , die viel


zu denken giebt, auf ein anderes Erbe, welches der Gei«
zige sich wünschet.
- Die Bruust nach todtem Golde schließt einen thö-
richten Kauf; und die Begierde nach Vergnügen, weit
klüger , einen kindischen : eine Antithese , die uicht min
der angenehm ist.
Die Instanz des Geizigen ist lebhaft und seinem
Charakter vollkommen gemäs.

Die Antwort des Dichters ist pathetisch und fasset


einen Climax, wo das letzte Glied am stärksten ausgebil
det ist. Die lange Periode ist hier eine Schönheit.

Die Wiederhohlung ; Rechne diese Sünden!


rechne ! rechne ! ist sehr treffend und eine Vorberei
tung auf den unerwarteten Abfall , welcher der ganzen
Stelle den BcmhigungsPuntt , die letzte und gröste
Schönheit giebt.
AÄe solche Schönheiten, Tropen, gut colorirteB'li
der, seine Zuge^ Tiraden und Wendungen, selbst An
tithesen und Gleichmße, «enne ich mit einem gemein,
schaff
Von den Figuren.' '

scbaftlichen Namen Figuren. Ich werde mich hier nicht


darauf einlassen , « nen weilläuflige» und, wie es nicht
anders styü tan , trocknen Nomeuclator der verschiedenen
Figuren und Tropen zu geben. Die meisten, selbst auch
die Ve'gleichung, geboren nicht für die schönen Künste
Überhai pt, sondern nur für die Poesie und Redekunst;
und bis dahin Mus ich diese Abhandlungen versparen.
Nur dnjei.igen Punkte , welche auch auf die Mahlerey,
Musik , Baukunst und dergleichen anzuwenden sind,
müssen in der allgemeinen Theorie ferner erörtert werk
den.

Für ein jedes Ingrediens der


-sondere Classe von Figuren.

Figuren für das Große und Erhabene :

Und hart ich die Hoheit


Wnes Propheten, die ewige Seele des Mettsthen zu
fassen.
Und Mit gewaltigem ArM sie fortzuvcissett; und härr
ich
Eines Seraphs erhabene Stimme, Mir weicher er
..... Gott sittgt;
Tönte von 'Meinem Munde die schreLenvotle Po,
... . , .kW'., saune,
Die aufSina erkiang, daß des BergsLuS unter ihr

.Sprachen Donner aus meiner Rechte, Gedanken zu


,.. sagen.
Die zu sagen, die himmlische Harfe den DontterwN
mchte; -
Dennoch würd ich, Meßias, ersinben , dein Let>M M
singen,
zs6 Von den Figuren.

Als mit dem Tode du rangst, als ganz unerbittlich


dein Gott war.
Rlopstok c
für das Z7?aive :
Mir Armen, den des Lieders Rraft
Sast nörhigt, in das Grab zu sinken,
erbeur der Arzt den Rebensaft
Verl
Und heißt mich Wasser trinken:
Ihr Götter, steht mir Armen bey!
Schafft, daß der wein nicht tödlich sey;
wo nicht, so laßt, Gesundheit zu erwecken. ,1
Das Wasser besser schmecken.
Gleim.
Figuren für die Laune und für das Lacherliche :
„ Ein jeder hat seinen eigenen Geschmack. -- Fand
,, nicht Doctor Runasirokius , dieser große Man«/
„ bey müßigen Stunden sein allergröstes Vergnügen
„ daran, daß er EstlöSchwünze striegelte, und die er,
,, storbenen Haare mit den Zähnen herauszog , ob er
„ gleich Haarzangen in der Tasche hatte? Ja wenn wir
„ erst auf diesen Punkt kommen^ — haben nicht die weis
„ festen Männer zu allen Zeiten — — selbst Salomo
„ nicht ausgenommen — haben sie nicht ihre Stecken-
„ pferde gehabt — ihre !a»fpferde — ihre Zahlpfennige
„ und Sctmeckenschalen — ihre Trummeln und Trompet
,, ten — ihre Geigen und Farbenbreter— ihre Insekten
„ und Schmetterlinge ? — Allein was gehet uns das
„ alles an? — Mag doch einer immer auf feinem Ste-
„ ckenpserde durch alle Hauptstraßen in Ruhe und Frie-
„ den reiten, wenn er nur nicht verlanget, daß wir hin-
„ ten aufsitzen sollen.
Sterne.
Mao
c Mesiiade 5 Gesang.
6 im Tristrain Si)anSy l B< 7 Cap.
Von den Figuren. Z57

Mav schlägt den Ropf, er lockt den wiy heraus;


pocht immer fort, der Herr ist nicht zu Haus.
Swift, e
Figuren aus der Aehnlichkcit mehrerer Gegen,
stände.
H? ' ^ .
.. Der schwarze Hansen wälzte sich durch tuds be,
„ rühmte Thor?, das wohlbekannte Fleet hinunter, und
„ überschüttete die Straße , als Predigreu , Char cktere,
„ Versuche, wie ein Gestöber von Flocken, auf sie he«
„ abregneten , und den ganzen Weg weiß machten. S«
steigen Wolken, aus irgend einem Sumpfe aufdcr Er,
,. de angefüllet , in finsterer Dicke auf und fallen in
„ Schnee herab.
Pope. /
Figuren aus dem Contrast nnd Abstand mehre
rer Subjekte.
Auf beyden Seiten ist Abgrund ; .
Da zur Linken : ich soll nicht zu kühn von dem Gött«
lichen singen ! ,^
Hier zur Rechten : ich sott ihn mit feyrlicher würdig«
keit singen !
Und ich bin Staub !
Rlopstok. F
Figuren zur Illusion, zur Wahrscheinlichkeit,
zur Lebhaftigkeit und zur Rührung.

Dort zeiget die Affectarion , mit einer kränklichen


„ Mine, Rosen von achtjehen Jahren aus ihren Wan.
Zz ,.gen;
- Sat. Schriften II. Th. S> 384.
/Dunciade. II. B. S. 17z. nach der Ueöersetzunz des Herrn
Du,ch.
? lv Gesang.
Von den Figuren.

„ gm'; bald übet sie sich, zu lispeln, und den Kopf auf
„ die Seite zu hängen ; bald fällt sie in Ohnmacht, sich
„ einen Anstand zu geben und stallet sich mir Srolz matt;
„ bald sinkt sie mit anständiger Schwäche auf die reiche
„ Matratze. Um krank zu scheinen , und um sich zu zie,
„ ren < hat sie sich in ein Oberkleid eingebüllet. Die Schö-
„ nen empsinden eben diese Krankheiten , so oft ihnen ei,
,, ne jede neue Nachtkleidung eine neue Unpäßlichkeit giebt,
Pope. 6
Hört , sprach «r einst , ihr wißt, «
wie weit von unsrer Stadt zu den Huronen ist z
Eitf hundert Meilen hinter ihnen
Sind Menfchen , die mix seltsam schienen, u« s. w.
Lichtwehr,
O Freund ? Antonius
war als, Trtumvir noch der erste Marcus ?
Und wenn die Laster alle drey zusanimen
Das größere Triumvm t errichten.
So schränket eins die Forderung des ander«.
Und seine Macht nur ein, gerade so,
wie Rom« Triumvirs , dieser einen Freund : .
Der eine» Vetter und vielleicht der dritte
Gar eine Buhlerin ; wird etwa, eines
Sin wenig Geld , das andre etwas iLhre>
Das dritte eim Lust aufopfern müssen.
Dusch, 6
Er rufte ;
Mein Gott ! — meinGotd! — warum hast d»
mich vertasftn / — ^
Und
K Na»b b«? H««^. 4 Gesang S. i« der Duschischen
UMrKtzuyg. '^"^
i Die Wsäms» Menftbe«. ,
Von den Figuren.' Z59

Und die Himmel bedeckten ihr Angesicht v,


heimnis !
Schnell ergrif ihn, allein zum letztenmal)!« , dcr
Menschheit
Ganzes Gefühl. zLr rufte mit lechzender Zunge: Mich
dürstet .' —
Rufts, trank, dürstete, bebte, ward bleicher, blutc<
te , rufte :
Vater I in deine Hände befehl ich meine Seele ! -
Drauf — ( Gort Mittler erbarme dich unser ! ) iLs ist
vollendet .'
Und er neigte sein Haupt, und starb
Rlopstok /

Figuren für die Neuheit und das Unerwartete ;


Geschminkte Tugenden, die ich zu lang erhob.
Scheint nur dem Pöbel schön , und sucht der Thoren
Lob ;
Vedeckt schon euer Nichts die Larve der Gebärden,
Ich will ein Menschenfeind, ein Swift, ein HobbeS
, . werden.
Und bis ins Heiligthum , wo diese Göyen stehn.
Die Wahn und Tand bewache, mit frechen Schritten
gehn.
von Haller. «

Oft kan der Artist verschiedene dieser Figuren in ei,


nem Punkte vereinigen ; und dann erreicht sein Werk
den höchsten Grad der Schönheit . dessen ein künstliches
Produkt nur fähig ist. Ein Bcysviel giebt die Cantate
"Wo vom Herrn Ramler , welche in aller Absicht ein
Meisterstück ist.

, / i« Gesang am Ende^
m Schweizerische Gedichte. S. 72. der 8ten Auflage.
z66 Von den Figuren.

Alle Figuren , die wir in den Werken der Kunst an


treffen können in zwo Gattungen getheilt werden. Eini
ge liegen schon in der Sacke selbst , sie gründen sich auf
wörtliche Verhältnisse und Handlungen ; der Künstler
braucht nur Augen, sie zu eindecken, und Geschicknch?
km, sie wciZllch nachzubilden. Andere hingegen sind
Geschöpf? des Witzes, sie gründen sich auf Aehnlichkeu
ten un'' Conrrcnictäken , die durch die Kmist hinzugedacht
werden, o>er ans Verhältnisse, die nur in der Einbil«
d,ma.skrc?fk des Artisten wörtlich sind. Jene konte man
natürliche , wie dise künstliche Figuren nennen.
Von der ersten Art ist folgende S^lle, welche ausser an?
dern Sckö^b' iken au t, noch diese hat, daß sic> durch den
Ganq der V ' se d je Bewegung der Ins im Wasser na«
türlich ausdrückt :
wo bin ich , o Himmel ! ,
Ich at^me noch öeben ?
G VN'indev ! ich rva!!e
Im M ere^ Mich heben
Die wetten empor ?
Ramler, «
Folgende« Bild aus dem Tasso ist sa natürlich, als et<
was seyn kau :
s>«a! ^re lm?'^ v?sipgr ternkra il Lerpente.
<?!K« presto??» >1'>zng il r>erfligk?e :

(!'>n k« rspiris msn L?i>gp rr? lp«6e.


I. ncelli» mnr<^ cleluln il sslt« rreöe ;
terrore K czue'multr! accrelce fe6e.

Ei» Degen , der schnell «es^wungen wird , scheint


Hch durch die geschM»de Bewegung zu ««vielfältigen.
Die,
«Z»»,«t»tCantate.
Von den Figuren. z<Sr

Dieses Bild ist nichts weniger, als eine Hyperbel, wo<


für es einige gehalten haben.

Unter diese natürliche Siguren gehört die ganze Af-


fetten Sprache; und überhaupt mus man beh upken, daß
der Ausdruck jeder Empfindung eine besondere Figur
giebt.

Fast alle Begleichungen, Metaphern, Antithesen,


Wortspiele sind künstliche Figuren ; es sey denn, daß sie
unmitk'-lbar von einem gewissen Affekte eingegeben werden.
Beyspiele sind überall ? ich Wöhle das erste das ber
sie Es sen folgendes Madrigal auf iudwig den vierze,
henten, welches einen feinen, aber bloß künstlichen Gedan,
ken enthält :
Dös que tu tais un pss, I'Hurope ett en sllsr-

Lr contre I'eikort 6e tes armes


Rien ne la pourroit loutenir.
^sis 6sns un cslrne Keureux tu ßouvemes K
' terre :
()uan6 «n peut Isricer le toonerre,
(Zu'il est beau cle le retenir ! -
Jetzt ist es leicht , die Frage zu entscheiden , in welche
Stellen eines Kunstwerks Figuren zu setzen sind. Ge»
wis in alle , aber nicht in alle Stellen Figuren von aller
Art. Entweder der Artist zeigt sich in seinem Produkt«
selbst , oder er versteckt sich Himer die Personen und Ge«
genstände , die er bearbeitet , und läßt uns nur diese,
nickt sich selbst, sehen und hören. Einer Person , die im
Affekt ist, dürfen keine andere Gedanken eingegeben, kei«
Ne andere Worte in, den Mund geleget werden, als sol
che , die natürlicher Weise aus der Leidenschaft fließen.
Künstliche Figurengehören für den Witz, und dieser
Z 5 schweigt,
;62 Von den Figuren.

schwebt , so lange das Herz in Bewegung ist. Ist der


Gegenstand, den der Künstler aufstellet , durch sich selbst
gros, wichtig und inte <>ant, so verlangen wir, daß er
uns von der rechten Seile gezeigt werde und wollen kei
ne andere Schönheiten, als solche, die das Objekt selbst
Hat. Me in sich die Handlung ihrer Entwickelung ua,
hert , so sind wir allzu ungedultig , um Bilder des Wi
tzes zu leiden. Wenn wir eilen , so halten wir uns nicht
auf, Blumen am Wege zu sammeln ; und je naher eine
Begebenheit ihrem Ende ist, desto mehr eilen wir , desto
größer wird unsere Ungedult. Künstliche Figuren gehö
ren also nur in ruhige Stellen , wo der Geist so frey von
jcldcnschasteu ist, daß er die Schönheit eines witzigen
Z >ge?, einer getroffene Begleichung, eines scharfsinni
gen Gegensatzes empfinden kan. o

Werden die Figuren überhäuft , so verdunkelt die


eine die andere ; und das ganze Werk thut auf die Seele
eben die Wirkung , welche eine allzugroße Süßigkeit
auf deu kvrpcrlichcn Geschmack thut. Beyspiele aus
schlechten Künstlern sind vielleicht zu gemein ; selbst gute
Dichter sind in diesen Fehler verfallen :

,. Wehe, ach wehe, o Venus ! So klagen alle üe,


„ besGötter. Venus hat den schönsten Gemahl verloh,
„ rcn und mit ihm ihre ganze göttliche Gestalt. Schön
„ war ihre Gestalt , fo lange Adonis lebte ; nun stirbt
„ sie mit dcm Adonis dahin. Die Berge , die Wälder
„ rufen : Wehe um den Adonis ! die Flüsse , die Qvel-
„ len beweinen die Schmerzen der Göttin von Cythera.
„ Die Blumen verlieren ihren Glanz. Denn Cythera
„ jammert auf allen Hügeln und durch die ganze Stadt:
„ Wehe, ach weh«/ o Venne! der schöne Adonis ist
„ nicht

, S. den Home Th III. S.z S. f. f.


Von den Figuren. ;6z

t mehr; Echo antwortet : verschöne Adonis ist

Das Grabmahl des Adonis


von Sisn. /,
Noch tadelhafter sind künstliche Figuren am unrecht
«n Orte, zum Beyspiel, bey ernsthaften, oder traurigeuj
ieidenschaften.
„ Hier ruh« eine Frau, die gut, ohne Prahlerey,
,, mit einer reinen Vernunft und mit einem richtige«
„ Verstände begabt war. Sie verlangte keinen ander»
„ Sieg, als den Sieg über sich selbst, versuchte keine
„ andere Kunst, als die, nicht bewundert zu werden.
„ Leidenschaft und Stolz waren ihrer Seele unbekannt,
„ da sie überzeugt war, daß blos die Tugend unser Ei?
„ genthum ist. Ihre Seele war so ungezwungen, so
„ gelassen, so standhaft, und dennoch so zarlllch ; so
,. stark, und dennoch so polirr ; der Himmel probirre sie,
„ wie das reinste Gold', durchs Feuer, die Heilige hielt
,, die Probe aus, aber die Frau starb.
Madame Corbcrr,
von Pope. L
Erhabene Subjekte werden durch niedrige Bilder
und Figuren selbst erniedriget ; und niedrige Gegenstände
durch hohe Figuren entweder übertrieben , oder selbst
durch die Uebcrrrcibung lächerlich. Aus diesem Grun«
de wird Homer getadelt , der die Myrmidonier mit We,
spen, ? und die Kühnheit, welche Minerva, dem Meue
laus,

z> nach der ttebersehung des Herrn RcunKrs / m seinem Batten^


l B. S. z;6.
g Ii. Th. S. !42. Fast alle Grabschriften vv» Pope sind i»
diesem Tone.
564 Von den Figuren.

!aus einflößte, mit der Kühnheit einer Mücke vergleicht. 5


Virgil macht es nicht besser. Er vergleicht die Tyrier
mit Bienen, t die Trojaner mit Ameisen, « und die
Mutter der iavinia mit einem Kreisel. «> Auf der ani
dem Seite vergleicht er wieder die Bienen mit Cyclo.'
pen, 57 fast so burlesk, wie Homers das Rauschen einer
Thür, wo das Schlos aufsprang, mit dem Gebrülle ei,
nes Stiers, von welchem Thal und Hügel wieder.'
hallt, s

Die Neuheit !der Figuren ist eine ihrer vorzüglich?


sien Eigenschaften. ?ißurg ln srre gliczus nousrs ro»
rng 6icen6i. « Statt der Beyspiele von alten abge?
drosckienen Figuren und Bildern, will ich lieber eine Stel
le vom Buttler abschreiben , in welcher er sich mit einer
feinen Manier über den verjährten Schmuck in Ken q«
wöhnlichen Kebesdeclarationen listig macht. „ Eher soll
„ sird die Sonne vom Tage , als ihr und die iiebe von
„ meinem Herzen sich trennen ; die Sonne, die nicht
„ mehr ihr eigenes, sondern das glänzende iicht meiner
„ Schönen verbreiten wird. Ich will euern Namen in
„ die Rinden der Bäume einschneiden , und zierlich in
,, Blumen und iiebesknoten verschlingen, die den Bau«
„ lue einen ewigen Frühling und unvergängliche Blü,
„ chen mittheilen werden. Ich will jeden Buchstaben
„ desselben in saurem Weine verschlucken, der dadurch
,, zu
, IlülZ. I.. XVII. V. 57«.
x Ken. l.. I. v. 4,7.
» ^sn. I.. IV. V. Z97»
zp ^en. l.. VII. v. z?6.
^ <?e«rg. I.. IV, v. 196. .
^ 06z< XXI.
2 S. den Home S. 51 < Z7- ,
« (Zliilttil. lnttlt. l.ib. IX. csp. I. p. 114.
Von den Figuren. , ;6;

zu glänzenden Champagner werden soll. Wohin ihr


„ immer den Fuß setzet, da sollen Violen und Anemo,
„ nen hervor sproßen, alles Gewürz und Rauchwerk und
„ wohlriechende Salben sollen ihren Geruch von eurem
„ Athem erb, rgeu. Die Natur wird sich neuen Rechten
,i unterwerfen , und das teben aller Dmge von eucli zu
„ tehen empfangen; die Welt von euren Blicken abhän?
„ gen , und sterben , sobald ihr die Elim rl.nzclr. „ ,
z Hudivrss. /,
Figuren und Einfälle, die in der Sache auf keine
Weise gegründet sind, als Wottspiele und dergleichen,
können nur in dem komischen Geschmacke , nie aber in
ernsthaften Werken gelitten werden.
(^v un bon rnsri , 6ont I'exernvle eli s iui-
vre, >
?grient su clela <lu tem« qu'il s vecu,
()ui pour svoir celsö cle vivre,
I^e ceils pss ct'ötre cocu.
Ein Ungenannter, c
I^e vers toujours msrcke s Frsn6 pss ,
I^s prvle elt t«ujuur8 IgnAuissgrite?
l^e ver8 ek vi5, ia ?role est lente.
^'eü que I'uo L 6es piells , et I'sutre n en s vgs.
, . Ein Ungenannter.
Die meisten Figuren , wie ick schon erinnert habe,
gehören nicht für die schönen Künste überhaupt ; einige
find der Mahlerey eigen, zum Beyspiel, der Ausdruck
durch Minen; andere der Musik; andere der Baukunst,
zum Beyspiel , D«or<monen und Schnörkel ; noch an?
. .1 der«
,s iv. Ges. S. 192. f. ^ . i. .
c S. Kecnsilz 6« bon Klüt, 1°. II. S., 9>
^66 Von den Figuren.

dere und die meisten der Poesie und Redekunst, zum


Beyspiel, die Vergleichung, Tropen und alle diejeni
gen Figuren, von welchen man in unfern gewöhnlichen
iehrBüchern lange Verzeichnisse findet. Von allen die-
sen Dingen soll in den besonder« Theilen geredet werden.
Einige wenige Figuren erstrecken sich durch alle schöne
Künste ; und unter diese gehört vornehmlich die Allego
rie, e
Die Allegorie ist eine mittelbare Bezeichnung«-
Art der Gedanken durch Bilder , welche einen doppelten
Sinn hüben, einen nächsten, Mid, andeutungsweise durch
diesen , einen entfernten. Sie gründet sich allemahl auf
die Aehnlichkett einer Sache mit sinnlichen Gegenstan,
den ; und folglich kan jede Allegorie in eine Vergleichung
«ufgelößr werden. Wenn der Dichter sagt : Ein Engel
ist schnell, wie kin Vogel und unschuldig , wie ein Kind;
so mahlt der Künstler den Engel mit Flügeln, in derGe,
skalt eines Kindes , oder eines Jünglings, und läßt uns
die Eigenschaften , welche unter diesen Bildern verbor«
gen sind, die Geschwindigkeit und U,.sch»ld, hinzudenken.
Die Begebenheiten der drey Brüder Peter , Martin
und Hans haben eine Aehnlichkeit mir 5en drey christli
chen Religionen ; / der Procch des Leinwebers mit dem '
spa-
e S. Über diese Materie losnni, PZerli Vsleriüni k!el!m,e,'ll,
ttieroglxpki« , ein abscheuliches Buch, in welchem aber
«tele Gelehrsamkeit isd> und welches selbst Herr Mnkelniann,
. der es zu verachten scheint, oft gclivuch, ch,« ; ferner die
Zconelogi«, von Cäsar Ripa, und Baptista SoudarH?
'VDinrÄmamlS Ver>«ch einer Megvi-ie; Bodmers Al«
Handlung von Gemähldcn S. 5,99. f.^f. Home Giu^dsös
He der Cririk. Th. IN. S. iz?. f. 5 l^uiNtitian t»lt.I«
Vlll. «p. z>. w. !02. Dusch Briese zur Dndung d«S
Geschn«cks. II. Tk> 7>, 8, ?. Brief.
/ S. das M,Z'brZc» von «er .Tonne,
Von d'en Figuren. z6?

spanischen SucceßioneKriege; F und die Streitigkeit ,!


ans dem deutschen Parnaß mit den verwirrten Händeln
des Kayscrchumö Hoangthy. Die Allegorie mus ein,
förmig, seyn, das Heist, eben dieselbe Ähnlichkeit mus
durch das ganze Produkt bcybchalken werden. Ei»
Beispiel des entgegengesetzten Fehlers giebt das söge,
namue Mahrgen vom Hute , H in welchem man das
Bild auf das elendeste verzerret hat, um nur alle Be«
gcbcnhetten der Philosophie darunter zu bringen.

In der Dichtkunst dient die Allegorie unmittelbae


weder zur Ueberzeugung , noch zur Rührung; sie ist ei
ne bloße Schönheit des Coloritö , wodurch die Ideen
lebhafter werden und das Ansehen der Neuheit erhalten
können. Vornehmlich ist sie ein Hülfönnttel für den
bildenden Künstler, wodurch er ganze Classcn von Ge
genständen noch schildern kan, die ihm ausserdem ab
gehen würden, abgezogene Mgenschaften , moralische
Attribute, Tugenden , iaster, Affekt.«; Sitten, Mei,
nungen, geistige Dinge, und überhaupt alle solche Ob
jekte., die von dem Auge nicht können empfunden wer«
den.

Da ich dasjenige , was ich ehedem über die Alles


gorie gelesen und gedacht habe , noch einmahl durch,
laufe, um es in die Form einer Abhandlung zu gies»
sen; so nehme ich wahr, daß im Allgemeinen davon
ebe« so wenig gesagt werden kan , als von den übrigen
Figuren. Die Allegorie in Fabeln gehört für den
Dichter ; Schilderungen durch allegorische Attribute für
den bildenden Künstler ; was für jenen eine wilttühr-
liche

L Processi, ein bodenloser Abgrund; oder Geschichte John


Bults eines Leinewebers, von Swift.
ö in den sieben Satiren.
Von den Figuren.

liche Schönheit ist , das ist für diesen Bedürfnis. Bey-


de Arien der Allegorie sind ganz heterogen , und können
nicht gut unter gemeinschaftliche Regel» gebracht wer
den. ? Ich lege also meine Collect««?« bey Seite, um
sie dann zu brauchen , wenn ich die besonder,. Ab,
Handlungen über die schönen Künste vor
die Hand nehme.

i S. Leßings Laokosn , S. « 14. f. f.


XVIIll.

Ueber die Zeichnung und die Folge


der sinnlichen Ideen.
ie Schönheit des Ganzen erfordert Ordnung in
den Thcilen ; sie will aber, daß diese Ordnung
unter dem Mannichfaltigen so verstckt werde,
daß sie fast das Ansehn der Unordnung erhält. « Die
Ordnung des Ganzen wird durch die Zeichnung des
Plans, und die anscheinende Unordnung durch die. Aus-,
bildung des Entwurfs bewürfet, in welcher der erste
trokne Abriß mit Fleisch und Farben bekleidet wird. Die
Ausbildung gehet vornehmlich auf die Schönheiten des
Details ; die Zeichnung auf die Schönheit des Ganzen.

„Es ist eine unnütze Frage, sagt Dübos, H ok?


„ die Zeichnung dem Colorite , oder dieses jenem , ob
„ teBnm dem Titian, oder Titian dcm KeBrün vorzuzie,
hen sey« ,. So unnütz , als eine Frage seyn tan, die
auf ein falsches Supposiium gcbaut ist. Zeichnung und
Colorit sirid einander nicht entgegengesetzt; beyde zu»
sammcugenomnien machen erst ein vollkommenes Werk
aus. :
Ich will hier dos nicht wiederhohlen, was ich schon
in verschiedenen Capitcln c über die Zeichnung , ohne sie
zu nennen, gejagt habe. Einige Anmerkungen , die mir
noch übrig sind , will ich einzeln vortragen.
Für
a S. oben das zte Cap.
ö I TH. 49 Cap.
e im zten, 6n>il, i^tcn und izten Cap. In diesen Copitel»
sind die Regeln von der Einförmigkeit , Mannigfaltigkeit,
Natur, Wahrheit und Einheit in der Cvmposttion schon
anticipirt.
57« Ueber die Zeichnung^

Fürs erste ist es eine bekannte Regel : der Kunst«


ler soll seinen Plan so anlegen , daß man ihn mit einem
Blicke als ein Ganzes übersehen könne. Eben diese Eil
genschaft mus in gewissem Maaße dem Kunstwerke selbst
zukommen. Ein Gedicht ist zwar seiner Natur nach so
beschaffen, daß seine Theils nicht zugleich neben einander
können in eine Idee gefaßt werden; allein wenn wir es
durchgelesen haben , so müssen wir uns doch einen solchen
B^riff vom Ganzen machen , durch welchen wir der
geschilderten Handlung auf ci»e ideale Art gegenwärtig
And, und alle ihre Zwecke, Mittel und Ursachen zusan»
mengenommen als Eins betrachten können. Ein Werk,
welches unser Gedächtnis mit unnützen Erschaltung/n,
Episoden und Verwickelungen beladet, ist allemahl radel?
Haft; wir werden durch das Detail an der Betrachtung
des Ganzen verhindert , und bennahe gehet es uns, wie
jenem, der nach Frankreich rcißte, Paris zn sehen m:d
sich beschwerte, er habe die Stadt wegen der vielen Hau«
ser nicht erblicken können. In den bildenden Künsten
ist die Beobachtung dieser Regel von eben so großer, und
fast möchte ich sagen , von noch größerer Wichtigkeit.
Eine Statue, ein Gemählde Millich ganz sehen, und
auf einmahl ganz sehen. Ist es so gros, daß ich es nur
thcilweise fasten kan , so ' wird es mir schwer werden,
Theile, die ihrer Natur nach neben einander seyn sollen,
die ich aber nur nach und nach empfunden habe , zusam?
men zu verbinden; über der Betrachtung der Theile veri
lieh« sich die Idee des Ganzen, und die Seele wird
mehr verwirrt, als befriediget. Wir wollen daraus
eine Anmerkung ziehen, die schon Herr Leßing vorläu,
fig gemacht hat,e und die mit der Ausübung der besten
Künstler übcrmstimmet. „ Das Colossglische ist in der
Bild-

^ S. oben S. 4'* '


- im Lavkoon S. ,iz6. in 5» Note.
und die Folge der sinnlichen Ideen, n

Bildhauer?« von sehr großer, in der Mahleren aber von


gar keiner Würkung. Um einen großen Gegenstand
ganz zu übersehen , mus ich ihn in einer vcrhältniömaßi»
gen Entfernung betrachten; und wenn diese die Würkun,
gen einer Statue, einer Gruppe erhebt, so vernichtet sie
hingegen alle Eindrücke , welche eine Mahlerey auf uns
machen könnte. Figuren auf ebenen Flachen sind in der
Ferne weniger sichtbar, als würkllche Vertiefungen und
Erhöhungen. Das nachgeahmte ticht und der nachge,
ahmte Schatten fließcn zusammen, sobald sie auch nuc
aus einer mäßigen Distanz betrachtet werden ; und es
wird uns überhaupt wegen der stärkern Würkung des
iickts lnchter, eine erhabene, als eine ebene Fläche von
gleichem Umfange auf einmahl zu übersehen. Ein schön
gearbeiteter Körper zeigt sich in einer proportionirten Ent
fernung noch schöner; selbst die Spuren der Kunst, die
Meiffclstriche werden verdunkelt, und dadurch erhält das
Ganze ein natürlicheres Ansehen. Was also in der Mah«
lerey eine Thorheit fern würde,/ die cclossalische Größe,
das kan in der Bildhauerei) eine vorzügliche Schönheit,
und selbst ein Mittel werden , die Erhabenheit der Ge
genstände nachzubilden. Die grüsien Meister der Bild
hauerei) , insippus , sein Schüler Chares, Bryaris, Car-
vilius, Decius, Zenodorus haben colossalisr!)« Werke
gearbeitet; der erste einen Jupitcr zu Tarent; der ände
re den berühmten SonnenColoß zu Rbodus; der dritte
verschiedene Götter; der vierte einen Jupiter im Cavi»
tol z der fünfte einen colossalischen Kopf, den aber ein an»
derer von der Hand des Chares an Kunst weit übertraf;
der sechste einen Mercurius und andere Werke mehr. F
Was sechs Bildhauer aus frcycn Willen thatcn; das hat
Ein Mahler aus Zwang gethan ; nur der Befehl eines
Äa , Tyran,

/ Plinius nennt ts Zur»»!«,«. l.ib. XXXV, e-ip. 7. p.in> Z7j,


L rlin. l.ib. XXXlV. esp. 7. m« jS4' jsz, z^>s.
Z7l Ucber die Zeichnung.

Tyrannen, wie Nero war, konie den Artisten bestimmen,


zum Nachlheil seiner Kunst, ein colosse.lifches G.mählde
zu machen , welches der Blitz , da es kaum fertig war,
wieder verzehrte. 6 — Ich bin begierig , in den fol,
genden TheiK'N des iaokoon die Gründe zu lesen , aus
welchen Herr icßing eben diese Anmerkung bestätigen
wird.

Fürs zweite: In Werken der Kunst, deren


Nachahmung permanent ist, dürfen keine Theile neben
einander stehen , die nicht sinnlich neben einander können
gedacht werden. Und in Produkten, deren Nachah»
nnmg fortschreitend ist , dürfen keine Theile auf einander
folgen, die nicht sinnlich, als auf einander folgend, kön
nen gedacht werden. Diefe Regeln, die fo leicht und
allgemein sind, werden dann am meisten ,vernachläßiget,
wenn es der Künstler wagt, sich fremde Rechte anzumsst
fen, zu dichten, wo er schildern, und zn schildern, wo
cr dichten sollte. Will der Mechlcr verschiedene Zeit
punkte auf einer Tafel zusammendrangen , in Einem
Gruppo vereinigen ; so kan es nicht fehlen , er wird oft
Dinge neben einander fetzen, die wir nicht neben einan»
der in Einem Momente gedenken können. Befaßt sich
der Dichter mit der Ausmahlung körperlicher Gcgenstän»
de; fo läßt er die Theile eines Ganzen, wie in einem
Verzeichnis , auf einander folgen , die ihrer Natur nach
gemacht sind , neben einander zu stehen und auf einmahl
gedacht zu werden. In diesem Falle ums die Idee des
Ganzen nvlhwcndig dunkel werden ; es kostet uns viele
Mü-

ü Ein Dauw würde vielleicht hier die Nutzanwendung m«


chcn, dag der Himmel selbst den Hochmuih des Nero be,
straft und mit Donner und Blitz die gemishandelte Kunst
an ihm gerächt habe. S. in seinem wohlunterrichtelen
Sc! üderer das erbauliche ?te Cap. von der geistlichen Ap<
plicmivn der Kunst.
und die Folge der sinnlichen Ideen, m

Mühe, die Bilder zu recht zu setzen : eine Mühe, die wir


bereuen , sobald wir eben das in der Natur , ' oder in der
Copie des Mahlers auf einmahl sehen , was uns der
^ Dichter nach und nach vorgezählet hat. Zum Beyspiel
wähle ich folgendes Gemählde ans einem unserer grösten
Dichter, welches mit vieler Kunst gemacht ist :
An diesem Rosenbusche, der tiefe Still umfangt.
Um den ' ein Rranz von Buchen die breiten Zweige
> hangt.
Der hier Gerüche haucht , und von bemooßten Hü«
geln
Gebeugt den Teich beschaut, sein blühend Haupt 'zu
spiegeln.
Dusch, i
Die Kunstnchter haben dieses Gemählde getadelt'
„ Wir können es , sazen sie , 6 unmöglich zurecht setzen*
„ Wir mögen es drehen und wenden wie wir wollen ; so
„ siebet miS immer etwas am unrechten Orte. — —
„ Wenn die Rosen nicht über den Kranz von Buchen
„ mit breiten Zweigen binüberragen ; so wissen wir nicht,
S wie sie sick in dem Teiche spieaeln können. >, Herr
Dusch konte dieser Crikik nicht besser begegnen , als durch
die Vignette, welche er seiner Vercheidigung beygefügt
hat. / NickkS kan uns besser davon überzeugen, daß der
Dichter richtig gewählt hat, als die Betrachtung dieses
Kupfers ; aber wir lernen zugleich daraus , daß er nicht
hätte mahlen sollen. Was wir aus seiner sonst künstli«
cken Schilderung Mit vieler Mühe erkennen , das sehet!
wir, mit wenigerer Mühe, und fast möchte ich ,sagen,
Aaz mit
i Tolk-Schuby , S. 21.
K Bibl. der schönen Künste und Wissenschaften i B. S.
/ S. die vermischten kritischen und satirischen Schriften, am
Ende der Vorrede.
z?4 Ueber die Zeichnung;

Mit größcrm Vergnügen in dem Kiwferstiche auf eiNB


mahl. Der Fehltritt eines so großen Dichters , wie Herr
Dusch ist . wenn man es anders einen Fehltritt nennen,
darf, soll bMig unfern jungen Anfängern ein heilsamer
Wmk s^vn , sie von der Schilderung körperlicher Gegen
stände , welches fast immer ihr erster Versuch ist , abzu,
schröcken; es fen denn, daß sie die Kunst lernen, Schön
heit in Reiz, Ruhe in Bewegung, Körper in. Handlung,
«nd überhaupt zu jleichseyende Dmqe in Succcßioncn zu
verwandeln. Ich lenke meinen Weg von einem Felde
ab, auf welchem bereits Herr tcßing alle Blumen gesam,
melt hat. «s
Drittens : In soschen Künsten , deren Nachahs
wung permanent ist, soll die körperliche Schönheit, selbst
bcy dem Umrisse schon und der Zeichnung , das höchste
Augenmerk des Artisten seyn. Körper gedenken wir
sinnlich durch ihr« äussert chen Merkmahle , welche sie un?
serw Empftndung, besonders den; Äuge, darbieten.
Sind, diese durch sich selbst häßlich , so wollen wir sie
picht sehen ; der Trieb des Wohlgefallens empört sich,
und wurkt auf eine widrige Art; das Werk fey noch so
künstlich, unser natürlicher Hang zur Schönheit, unsere
natürliche Abneigung von all.m, was häßlich ist, ver-
iietet uns , Geschmack da,r.m zu finden ; Abscheu und
Ekel wird es in der Folge erregen, und das find gewis
»iM oieiMgen Empfindungen , die der Künstler durch
fein: Prodiikl hervorbringen wolle. Schönheit ist also
die höchst? Regel« der einzige Zweck der bildend«
Kunst.
V«rtens Z Die Werke des bildenden Künstlers
ß»d Mwanent, sie befichen für sich, wir betrachten sie-
»kd, oft. ft> verändem sich nicht, und sind immer
»sch wie ße d« wir sie zum erstttuwchl scv
hen.
und die Folge der sinnlichen Ideen. Z7s

hen. Daraus folgt, daß nichts iu den Plan dieses Ar!


listen kommen darf, was sich in allen Momenten aban?
dert , und daß er zu keinen andern Vorstellungen berech,
tigcr ist, als zu solchen, die wenigstens einige Dauer ha»
ben. lächerlich ist es , wenn wir beym Maffei und Mont,
faucon eine Daphne fehen, die noch halb Daphne und
halb fchon iorberbaum ist, einen Actäon, der nur erst
am Haupte anfangt , ein Hirsch zu werden und am Un-
tertheile noch ganz Mensch ist. Auch das Wasser ist
unnatürlich , womit Diana diesen unglücklichen Jager
besprenget. Wasser, das aus der Hand geworfen wird,
mus nothwendiq sogleich niederfallen, und ein solches
transicorisches Phänomenen darf also durch die Kunst
kein fortdaurendes Anschn gewinnen. ,. Kurz der einzi,
„ ge Augenblick, welcher durch die Kunst eine unveräu,
„ derliche Dauer erhält , muö nichts ausdrücken , was
„ sich nicht anders als transirorisch gedenken läßt. „ »
Fünftens : Der Anfang eines künstlichen Werks,
welches durch eine Succeßion auegedrückt wird , gicbt
den Ton an, wie in der Musik, und bestimmt in gewisi,
fem Maaße die Harmonie, Ordnung , Folge und Be«
schaffcnheit aller übrigen Theile. Fängt der Artist sein
Werk mit Pompe an :
k^ortunsm ^riarni csntsbo et nobile bellum ;
So erwarten wir , daß er sich in diesem Tone bestandig
erhalte, und nichts ist uns unangenehmer, als wenn er
vom Großen aus das Kleine, vom Erhabenen in das Nie
drige herabsinkt. Wir wollen lieber , daß er sich nach
und nach erhebe und daß auf einem bescheidenen Anfang
Lebhaftigkeit und Pracht folge :
Aon turnum ex iulZore, leä ex 5umo 6are lucem
OoAirer.
A«4 Sech-

» S. Letzingö Laokoon S. 25.


Z/6 Ueber die Zeichnung und die Folge zc.

Geehsiens : Ein jedes succeßiveö Werk mns eine,


Beruhigungepunkt in sich fassen , aber nicht cher, als
am Ende. Der Deruhigungspunkr ist diejenige
Stelle , wo alle Begierden , welche das Werk erreget
hatte, befriediget sind, wo die Handlung ganz ist und
mit ihr unsere Ungedult aufhöret. Unsere Neugierde
wird nur dann gestillt, wenn das Schicksal aller Pers«
neu, für oder wider welche wir uns intereßiret haben,
entschieden ist, oder, wenn wir in der Reihe von.Vor<
stellungen, die unö der Artist schildert, an einen Pnnkc
gelangen, wo wir nichts mehr erwarten können. Wir
wollen die Handluna ganz wissen, und ganz kan sie nickt
seyn , so lange noch Hoftninq , oder Furcht für uns übrig
ist. N ich dem Beruhigumspunkte aber darf nichts
weiter folgen. Entweder wir würden dadurch vom
neuem intereßiret werden , und das soll nicht seyn. Oder
wir würden , wenn der BerulziaunaSpimK eher als an
das Ende gesetzt wäre , gegen alles folgende gleichgültig
werden ; und das ist eben so fehlerhaft. Ich kenne
Kunstrichter, welche sogar den Homer getadelt haben,
daß er nach dem Siege Ackills über den Heeior noch ei«
nen guten Th.il feiies Werks zu einer Beschreibung der
Ritterspiele und teichenCärimomen der Griechen und der
Trojaner Key der Asche des Patroklus und Heetor ver?
wendet hat.
Daß kein überfiüßiger Theil in den Plan eines
künstlichen Werks kommen darf, daß kein nothwendiqer
Theil fehlen soll , daß die Theile des Plans nicht zu ver,
wirrt durch einander laufen dürfen 5 dies sind Regeln,
die «US sich felbst schon könne» verstanden werden
und die ich zum Ueberfl ,W schon oben
berührt habe.

XX.
Ol! .^««WlWch«^^ ^

. ' . XX.
l. ', , , ' . .
i Einige Anmerkungen über den Ausdruck
und das Mechanische.

^H»^ «rum nur einige Anmerkungen ? — Und war«


H um nicht lieber die q>'»ze Theorie ? — Der
^^-^ Ausdruck und das Mechanische gehören unter
diejenigen Eigenschaften schöner Werke und des Artisten,
der sie hervorbringt, welche nach der Verschiedenheit
der Künste allzu verschieden sind, um im Allgemeine»
vollständig behandelt zu werden. Wolke man die Be^
schassenhcit des Ausdrucks in der Poesie, Mahlerey,
Pantomime , Architektur und Musik unter gemeinschaft,
liche Regeln bringen, wie allgemein musteu dicse nickt
gebildet werden ! Und wie trocken durch ihre zu große
Allgeineinheit '. Wie unbrauchbar ! Wie weit von der
Ausübung entfernt I Aus einem tiefsinnigen Begriffe von
den Zeichen der Gedanken eine lange Reihe von leere«
Folgerungen ziehen, die am Ende dock wohl nur, weuu
A «S hoch kömmt, auf die Poesie msd Redekunst anzuwen»
den sind ; das Heist sich zur Unzeit ein philosophisches An^
sehn «.eben, und leichte Wahrheiten auf eine scientisische
Art schwer machen. Um doch etwas über eine Materie
zu sagen , die man in der allgemeinen Theorie der Kunst
ungern vermissen würde , will ich nur wenige Anmerkung
gen hinstreuen , d« die Kunst in ihrem gauzeu Umfange
betreffen.
Das AeusserlÄbe , was an einem Kunstwerke zuerst
in die Sinnen fallt, nenne ich im AllgeBeimn deu Aus,
druck.
A a 5 Die,
Z78 Einige Anmerkungen über den Ausdruck

Dieses Aeusserliche M das vornehmste Stück in


denenjenigen künstlichen Werken , welche keine Gedanken
unmittelbar bezeichnen sollen, es sey denn zuweilen auf
eine allegorische und zufällige Art , und welche hauptsächk
lich ausserhalb der Seele schön gefunden werden. Dies
ist der Fall Key dem Gartenbau und der Architektur.
Ein Haus, eine Eremitage drücken durch sich selbst kei,
ne Gedanken aus , wie etwa eine allegorische Mahlerey,
oder wie die Warte in der Poesie ; sie erregen blos an«
genehme Bewegungen, vermittelst der Regelmäßigkeit,
Ordnung, Verhältnis, und Erhabenheit; a und ihre
Schönheit empfinden wir durch das Auge ausser uns,
nicht durch den rcßectirtcn Sinn, innerhalb der Seele.
Diese Gattung des Ausdrucke kan man nicht unter die«
jeniqcn Regeln bringen , welche aus dem Begriffe eines
Zeichens «eschlosscn werden. Schönheit , oder Erhaben«
hcit, Einförmigkeit und Mannichfaltigkeit, Natur und
Simpliciläk , Schicklichkeit und Proportion , sind hier die
höchsten Gesetze. ' ,
In andern Werken der Kunst werden selbst durch
das Aeusserliche, was zuerst empfunden wird, gewisse
Gedanken, oder Objekte angedeutet ; der Ausdruck nimmt
hier die Natur eines Zeichens an, und seine Vollkommen,
heit mus nunmehr aus einer doppellen Quelle abgeleitet
werden , aus der allgemeinen Regel der Schönheit, und
aus der Regel der Congruenz.

Der Ausdruck an sich betrachtet, soll angenehme


Empfindungen und Wohlgefallen hervorbringen für den,
jenigen Sinn , in welchen er unmittelbar würket , und
durch diesen für die Seele selbst. Die Worte, zum
Beyspicl, deren sich der Dichter bedienet, müssen zin ei,
ner angenehmen Abwechselung fortrollen und nicht den

«^S. den Home Th. IU..S. 55z.


das Mechanische. Z79
Redenden ermüden und den Zuhörer betäuben. Das
Ohr nimmt Theil an der Arbeit der Zunge und je schwel
rer ein Ton auszusprechen ist, desto rauher klingt er dem
Ohr, desto verdrüßlicher ist er zu hören. 6
Dieses Gesetz wird oft durch die Regel der ConB
gruenz abgeändert, welche eine sinnliche Ubereinstimmung
des Zeichens mit der bezeichneten Sache erfordert.
Wenn, zum Beyspiel, der Dichter eine mühsame Ue?
bersteigung von Hindernissen ausdrücken will , so wird er
auch seinen Versen einen schwerfälligen Gang geben :
Sie achmeten schwerseufzend Todes Angst
Mit blaßcn halb verbrannten Lippen aus.
Zacharia e
'wildwallend wälzt sich well auf Welle fort
Und Hlut auf Flur.
Eben derselbe.
Daß nur nicht der Artist , zu besorgt für die Congruenz^
den Zweck feiner Kunst aus dem Augen verliere ! Oder
auf ein Getändel mit dem Ton der Worte , auf ein
Spielwerk verfalle , welches der' Würde seiner Gegen«
stände und dem Adel der Kunst entgegen ist ! Von jenem
Fehler habe ich schon da geredet , wo ich mit dem Herrn
LeßinI behauptete , daß die Schönheit in den bildenden
Künsten das erste Gebot ist. Den andern pflegen unse«
re Schilderer der Natur am häufigsten , nicht als einen
Fehler aus Unachtsamkeit zu begehen , sondern als eine
Schönheit mit Fleis zu beobachten. Wie glücklich sind
nicht diese Herren, wenn sie den Gesang der terche, das
Qvacken der Frösche, das Säuseln irgend eines Zevhyrs
durch selöstzemachte , oder künstlich zusammengesetzt,
Worte nachahmen können !, Brskes hat dergleichen
Schön«
5 S. den Homs Th. !!. S. Z07. f. s.
« A, seinem Lottes.
z8« Einige Anmerkungen über den Ausdruck

Schönheiten in feine Gedicht eingewebt, und so einge,


webt, daß wir ihm nicht dafür verbunden sind. Auch
in verschiedenen bekannten musikalischen Stücken lst >ie
Tändelcy mit nachahincuden Tönen übertrieben. Ein
einziger solcher Zug verderbt ein ganzes ernsthaftes Werk.
Da es natürlich scyn soll, so wird es vielmehr, weil die
Kunst zu sichtbar ist, unncttürlich, gezwungen, und selbst
durch die merkliche Affectation lacherlich.

Die Zeichen, deren sich der Künstler bedienet, kön


nen entweder nur durch einen Sinn empfunden werden,
oder durch mehrere zugleich. Sie sind entweder im Räu
me neben einander, oder folgen aufeinander in der Zeit.
Sie sind endlich in Absicht auf ihre Bedeutung entweder
natürliche, oder willkührliche. Dies sind Dinge, die
ich schon oben berührt habe. Willkührliche Zeichen
dürfen sich den natürlichen nahern , wie die poetische Har«
niouie zuweilen den Ton einer Leidenschaft so gut, als
eine Musik, ausdrücken kan. In den bildenden und an
dern Künsten hingegen sollen die Zeichen durchgängig
natürlich fenn und keine blos wilttührlichcn Bedeutungen
haben. Nichts ist ekelhafter als ein allegorisches Ge-
mählde, was einen langen Commentar bedarf, wenn es
soll verständlich werden. Und desto ekelhafter, da sogar
her gute Geschmack schon die Beyschrifren verdammet,
durch welche einige Künstler, die die Kunst gewiö in die,
fem Falle verlassen hat, einen Verstand in ihre Werke
legen wollen, den diese für sich nicht haben. Doch hat
die Allegorie einen großen Vertheidiqer an dem Herrn
ZVinkelmann erhalten ; allein die Kunstrichter haben in
feinem Werke weniger gefunden , als sie erwartet hatten,
«nd zugleich mehr, als sie erwarten konten, nemlich eine
Menge von Allegorie«, , die zum Theil wahre Ratzel sind
«ud ohne einen Oedipuö nicht können verstanden werden.
Das
^ S. »7.
- und das Mechanische. zzr

Das Bild eines Criticus soll von den Wageschalen des


Jupiters beym H
chen er das Schicksal des Hettors und des Achilles ab?
wieget, e Die Geringschätzmig wird durch eine Feige
ausgedrückt/; und ich wette, niemand wird diese Bilder
Verstehen, es sey denn, daß man ihre Bedeutung hinzu
schreibe. Darf man den Sinn der Gemählde n ?ch der
Methode erfolschen, deren sich einige altere Kunsilehrec
oft, und Hcrr Winkelmann Nicht selten bedient haben;
dann wollen wir nicht mehr über diejenigen spotten , wel
che gewohnt sind , überall hieroglyphische Bedeutungen
zu sehen , im Heiner alle Weisheit zu sinden , oder aus
einem biblischen Buche die Schicksale Deutschlande im,
achtzehendken Jahrhunderte zu berechnen. Der eine hat
gcwis so viel Recht vor sich, als der andere.
Die Nlanier ist überhaupt die besondere Art, wie
ein Künstler seine Gegenstände behandelt, und wodurch
er sich vornehmlich von andern unterscheidet. Die Be«
schaffenheit des Ausdrucks insbesondere Heist der Stil.
Die allgemeinen Vollkommenheiten des Stils sind , die
Congruenz , die Harmonie, der gute Ton, das Correkte,
die Deutlichkeit, die Zierlichkeit, das Körnigle, ;,nl>
die Rotundität.

Die Congruenz von welcher ich schon ge,


redet habe, besteht in der höchstmöglichen Ueberein«
siimmnng des Ausdrucks mit den Gegenständen, mit
den Gedanken und mit den Umständen des Ortes,
der Zeit , des Künstlers und der Personen , für wel,
che das Werk bestimmt ist. Der Stil darf weder sich
über die Würde und den Rang, der Gegenstände erheben,
«och unter dieselbe herabsinken. Sind die Gedanken
Vollkommen sinnlich , und auf die schönste Art sinnlich ;

e Versuch ein« Allegorie, S. 14s.


/'S. 14Z.
Z85b Einige Anmerkungen über den Ausdruck

so verlangt man em gleiches von den Zeichen , wodurch


jene ausgedrückt werden. Komische Gedanken erfordern
«inen drollichten , ernsthafte Gedanken einen ernsthaften,
erhabene Gedanken einen feyerlichen Ton. Man wird
überhaupt alles das auf den Ausdruck anwenden müssen,
was ich oben unter die allgemeinen Attribute der Schön:
heit gerechnet habe. F
Die Harmonie soll sich nicht nur auf successive
Werke erstrecken, sondern auch auf solche, deren Theile
neben einander sind. Sie bestehet in der höchstmögli:
chen Uebereinstimmung unter den verschiedenen sinnlichen
Objekten, oder Handlungen, durch welche, zusammen.'
genommen, das künstliche Werk empfunden wird. Auch
was über diesen Punkt gesagt werden kan, habe ich schon
vbeu berühret. ^
Mit dem guten Tone in den Werken der Kunfi
ist es eine eigene Sache; wenige haben ihn, und jcdev
glaubt ihn zu haben und, meisiencheils, allein zu haben.
Der Eigensinn der Mode setzt oft eine gewisse Art des
Ausdrucks fest , über welche die Nachwelt spottet , und
diese erste Nachwelt wird wiederum von einer zwoten
verlachet , die sich klüger dünket , als jene. Hans
Sachse hatte qewis zu seiner Zeit den ModeTon; Lo^
henjrein durfte ihn verachten ; Gottsched lacht über
diesen ; wir über alle und wer über uns ? Wenn nicht
die Kinder schon den Anfang machen , fo werden es viels
leicht die Enkel lhun. Die geistreichen KHpfe, von wel
chen die titteraturBriefe herrühren , haben ein Heer vo«
snchten Nachahmern hinter siel, her geschleppt, die nichts
als die Sehler ihrer Originale copirt haben. Die bim«
Sprache, ans altdeutschen, welschen, französischen und
englischen Worten zusamtmngesiickt, scheint jetzt der so!
gel
5 S. »Z. f. f. 24!. f. s>
t S. 244. f. f.
und das Mechanische. M

genannte gme Ton zu seyn. Man gewöhnt sich diesen


( ich tadele mich selbst ) aus der iesung der modischen
Schriften an; und schwer wird es, eine FavorirSpraF
che wieder fahren zu lassen , auf die man sich etwas ein,
bildet. Man schreibt also , nicht wie die iitteratoren in
Berlin ; denn bey diesem ist der Neologismus noch mäßig ;
sondern wie die Verfasser gewisser Briefe , die sonst
nicht ohne Verdienst sind. ? Hier finde ich eine Menge
von Eleganzen, Pclulcmzen, Nuancen, Aisancen, Car,
ricaturcn, Compositiencn, Sphären, Skizzen, Conspi«
rntionen und Cabalen — wider den guten Geschmack ;
lauter artige Wörter, die unsere Väter lateinisch druck
ten, weil es Mode war , und die wir deutsch drucken,
weil es auch Mode ist. Welcher ist nun der gute
Ton ? Eigentlich derjenige, welchen man in den Werken
der besten, der klaßischen Skribenten findet? Und welche
find die guten Skribenten? Diejenigen, welche die Probe
der Zeit aushalten, und welche der gute Geschmack aller
iander und Welkalter dafür erkläret. Und endlich wel?
chcr Geschmack ist der gute? Diese Frage soll in dem
folgenden Capitcl beantwortet werden.

Correkr ist der Ausdruk, wenn alle kleine Fehler,


quo» gut mcuris rucu'r,
>^ur Kumsns vsrurn csuit natura — —
sorgfältig abgewifchek sind und das Ganze, so wie der
kleinste Theil, von dem Fleiße des Artisten und von fei-
ner Achtung gegen seine teser, oder gegen die Betrachter
seines Werks zetget. Horaz verlanget, daß der Künstler
mehr als Ein Jahr auf die Pvlirung seiner Arbeiten
verwende, ohne dadurch diejenigen zu klaßischen Schrift«
stellern zu erklären, bey weichen der FleiS .den Mangel
des Genies ersetzen soll.
Hin«
» Briese üb« Merkwürdigkeiten, der Litteratur. Schleswig,
bey Hansen.
Z84 Einige Anmerkungen über den Ausdruck
Hinweg den kalten Dichter, der ohne Heur correkt.
Nicht unsre Zähren fordert, nicht rühret noch erschreck !
Dusch, i

Ein Genie ohne Geschmack schaft ungeheure Schön


heiten ohne klaßische Richtigkeit. Ein Mann von Ge
schmack ohne Genie giebt uns Werke, die durch ihre
Regelmäßigkeit eckelhaft werden. Nur dem Künstler,
der mit einen großen Genie einen richtigen Geschmack
Verbindet , ist es gegeben , in allen seinen Werken durch,
gängig, den Ausdruck und die Zeichen selbst nicht aus
genommen, zugleich unterhaltend und correkt zu sey«, /

' Die Regel der Deutlichkeit untersagt alle Anspie


lungen auf unbekannte Dinge, ?« alle gezwungene Alle
gorien , alles weitschweifige und verworrene Wesen , die
Ässektstwn eines allzu gedrängten Ausdrucks, und die
dunkle Kürze, welche daher entstehet. Wer nicht ver
standen scyn will, der soll zur Strafe, nickt gelesen wer
den. Unterdessen wenn der Mangel der Deutlichkeit ein
Fehler ist , so ist es ihr Ucberfluß nicht minder. Erho
bene Gedanken müssen zuweilen norhwendig für Genies
von, Mittlern oder untersten Range noch einige Dunkel»
heil haben, und wenn selbst der Ausdruck durch eine un-
gewöhnliche Bezeichnung der Erhabenheit zu Hülfe
kommt; so wird ein seichter Kops da über Dunkelheit
schreyen,
K Lehrgedicht : die Wissenschaften.
/ Die korrektesten deutschen Schriften sind Vielleicht der Los-
kovn beS Herrn Aeßmg, die Oden des Herrn Ramlcr,
und die Werke des Herrn. Duscd in der neuesten Ausgabe.
m Wir, zum Beyspiel, in den Schriften des Herrn Hamanns
mid in einem nes rrn vortrcflichen Werke : über die
deutsche Atteratur. Einer unserer besten Kunstlichter
hat in der letzten Schrift diese gezwungene »nd dunkle
Schreibart nicht schön gefunden» S. li!st2ii HH» lüccr»»
ri». Vol. IV. il6.
und das Mechanische.

schreyen, wo nur für ihn Dunkelheit ist, und wo ein


«nderer die gröste Klarheil find«, ül der Vereinigung
Mit der grösten Erhabenheit. Für selche ieute, die Key
einem Werke der Kunst nicht mehr hinzu denken wollen,
«ls ihnen der Ariist vorgedacht hak, für solche bequem.'
licbe Kvpffe hat Picander schöne Gedichte geschrieben,
lbey denen sie nach Belieben lachen, oder gähnen können.
Man wird sich bcy dieser Gelegenheit der Bodmerischen
Abhandlung vom Wlinderbarc» erinnern, im Gegensatz
Mit den Gvttschedischen Beschuldigungen, und eines fei»
nen Gedichts , « welches Herr Straube über diese
Materie geschrieben hat, ^
Um seinen Werken ein zierliches Ansehen zu geben,
soll der Artist unter mchrern Ausdrücken immer den
schönsten wühlen und denjenigen, welcher durch seine
Neuheit und durch seinen Glanz am «nisten hervorsticht.
Er soll die verschiedenen Theile in der vollkommensten
Harmonie mit einander verknüpfen, und doch mit einer
gewissen Nachläßigkeit, damit man die Mühe nicht
merke , die der Künstler auf das Aeußerliche feines
Werks verwendet hak. Wie eine Schone desto reizender
scheinet , je weniger sie es spüren läßt , daß sie gefallen
will ; fo wird ein künstliches Werk desto sicherer unfern
Beyfall finden , je weniger wir sinnlich wahrnehmen,
daß ihn der Artist durch Schweis und Arbeit hat er»
zwingen wollen. Je mehr wir ein solches Werk be
trachten, desto mehr Schönheiten werden wir entdecken,
desto verliebter werden wir in dasselbe werden. Diese
Eigenschaft ist ein UnkerschridmigeSkück der Schriften
des Herrn N)inkelmanttS, die man , wenn es dem Ver»
fasser gefallen solle, einige kleine Klecken abzuwischen,
in aller Absicht klaßisch nennen kan. „ Sollten wir,
Bb sagt

» Von der Vottreflichkett der Dichter, weiche schwer zu l«


s«n sind. ->
z86 Einige Anmerkungen über den Ausdruck

sagt ein Kunstverständiger von einem i, einer We^ ke .in


allgenie>ncs Urthcil über diese Schrift (von der Nachalz«
mung der griechischen Werke ) fällen , so möcht n wir sie
mit Raphaels Madonna vergleichen. Man
mus nicht die kleinen Zierlichkeiten einer witzigen Schr,st
darum suchen, so wenig, als das elfenbeinerne fleisch
eines van der VOcrfr bcym Raphael. Die kleinen
Mängel derselben kan jede, man sehen ; dk gröstcn ScKön«
heiten fallen nicht auf emmahl ins G.sicj't, sie ent,
wickeln sich aber immer mchr, und wie di>' frille Grö e
in dem Meisterstücke des Künstlers. Man kan dicfe
Schrift nicmahls betrachten, ohne neue Schönheiten ju
entdecken , und ohne etwas dabey zu lernen. „
Z^örnigt ist der Ausdruck , wenn der Artist den
reichsten Sinn in wenige, aber Vielbedeutende Zeichen
gelegt hat und dadurch macht , daß wir bey einer solchen
Stelle lange stehen bleiben und einen ganzen langen Com-
mentar hinzu denken können. Ich kan mich nicht ent
halten , zum Beyspiel die vorrreflichen Verse des ersten
deutschen Dichters im achtzehendten Jahrhunderte abzu,
schreiben , wenn ich gleich voraussetze , daß sie alle meine
teser schon kennen müssen :
Hern unter ihnen hat das sterbliche Geschlecht,
Im Himmel und im Nichts sein doppelt Bürgerrecht.
Aus ungleich festem Sroff har Gott es auserlesen ;
Halb zu der Ewigkeit , halb aber zum verwesen.
Zweydeutig Mittelding vom Engel und vom Vieh,
Es l.berlebr sich selbst, es stirbr und stirbt doch nie.
von Haller. />
Mach deinen Raupenstand und einen Tropfen Zeit,
Den nicht zu deinem Zweck, die nicht zur Ewigkeit!
Eben derselbe.
Cir-
o In der Bibl. der schönen Künste und Wissenschaften i, B.
S. Z46.
/> Uebcr den Ursprung dcS Uebeis, drittes Buch.
und das Mechanische. Z87

Kirkel, den kein Mensch mit Worten,


Den kein Mensch mir denken mißt.
Dessen Mittel aller (Drten,
Dessen Umkreis nirgends ist.
Lrokes.
Solche Stellen sind es, über die ein gemächlicher
er
teser Erklärungen verlanget , die ein besserer Kopf zu sei'
nem größeren Vergnügen selbst machen kan.
Die Rotunditär ist das bestimmte Maas des
Vortrags, vermöge dessen der Ausdruck eines Gedankens
weder zu gedehnt und schleppend, noch zu abgebrochen
ist, und jeder Theil des Ganzen , jede Periode zum Bey-
spiel, einen vcllkemmcn sinnlichen Ansang, einen sinnli
chen Mittelpunkt und ein sinnliches Ende hat. Was ich
nicht weiter e> klären kan, weil es zu den feinsten Empfin-
düngen gehört , das wird man vielleicht bey folgender
Stelle fühlen :
Der göldne Gott des Tages nimmt einen weiten
Lauf,
Und jagt die Rosse schneller vom Gcean herauf;
Dann glüht die Liebe noch auf seinen Rosenwangen,
Und Thecis , voll Vegier ihn wieder zu umfangen,
Schaut in den ebnern Wellen, wenn ihm der iangre
Tag
Die Laufbahn weiter zeichnet , dem Gott im Bilde
nach,
<r,v er am Widder oft, auf seinem fiüchrgen wagen.
Die Llügel schüttele, die Rosse fortzujagen-
Dusch, z
Wie voll ist diese Stelle! wie künstlich gerundet!
Man kan nicht in der Mitte stehen bleiben, nicht ein.-
Bb , m«Hl

4 Im ersten Buche des Tempels der Liebe.


M Einige Anmerkungen über den Ausdruck

mahl um die Schönheit der Züge und der Versisikation


zu bewundern; man mus forteNe» bis an das Ende;
und hier gerade muß man stehen bleiben , um das ganze
Bild noch einmahl zu denken, noch einmahl in seiner
ganzen Schönheit zu empsinden. Von der Rundling
der Perioden, und von dcnenjcnigcn Vollkommenheiten
des Stils, welche blos d«r Schreibart eigen smd,
soll an einem andern Orte geredet werden.
Nach der gewöhnlichen iehrart unserer Aesihetiker
würde ich den Stil in den hohen , mittleren, und
niedrigen eintheilen. x- Allein warum nur drey Klassen ?
Ich weis , daß man sich Mühe geaeben hat , den Hori
zont der Kunst bcynahe machemat»sch auszumesftn und
jeder Art von Gegenständen eine besondere Polhöhe an,
zuweisen , um nach dieser Theorie die verschiedenen Gra,
Kationen des Stils zu bestimmen. Allein wer wird mir
den Scheidepnnkt angeben, wo das Niedrige aufhert,
und das Mittlere sich anfängt, oder die genauen Grünen
zwischen diesem und dem Erhabenen ? lieber wollen wir
gierst bey der allgemeinen Regel stehen bleiben : Der
<Atil soll mit den Gegenständen, mit den Gedanken selbst
und mit den Umständen auf das genaueste übereinkom,
men , und nun dieses Grundgesetz auf eine andere Art
bestimmen, durch die verschiedenen Prineipien, welchem
unsere Empfindung würken können.
Ich zeichne deren , um nicht weitlänsig zu feyn, nur
viere a»S, das Schöne, im eigentlichen Verstände , das
Erhabcne, das iächerliche , und das Pathos. Diefe ge,
den uns vier Gattungen des Sils, die oft, oft aber
auch nicht, in Einem Werke zu verbinden -sind , den
schönen Stil , den erhabenen Stil , den komischen
Stil, und den pathetischen Stil. In dem Einen
herrschet die Grazie ; in dem andern em feierliches

7 S. oben S. 54«
und das Mechanische. Z89

ZlVesen . Simplicirat und stille Größe ; in dem drir«


ten Laune , das Vürlej'ke und Drolliqte ; in dem vier«
ten ein feuriger Ausdruck, ein schneller forteilender
Ton , nach der BeMiffenheit und «ach dem Magst,.' des
Affekts. Je erhabener der Gegenstand ist, desto erb«,
bener sey auch der Stil : die Stufen der Erhabenheit
mag die Empfindung bestimmen ; die Theorie tan es ge,
wis nicht. , ^

Die Kunst de« Ausdrucks in ihrem ganzen Umfan


ge ist die Mechanik der schönen Künste im weiten Ver
stände. Sie begreift zwey «Stücke unter stch , das in,
nerliche und das ausserliche Mechanische. Dieses
ist das Handwerksmäßige des Artisten und fasset die Mas
terie , in welcher er arbeitet , zum Beyspiel in Marmor,
Thon, oder Elfenbein, die Instrumente, deren er sich
bedienet, und die Handgriffe , die er durch UnKi richt,oder
Uebung erlangt hat. Das innerliche Mechanische gehet
auf die Dichtigkeit im Auedrucke , auf die gute Wahl und
Stellung der Zeichen , auf die äusserliche sinnliche Har,
monie, und auf die Kunst, den reichsten Gedanken durch
die schicklichsten Mittel auszudrücken. Von diesen Pnnk?
ten kan ausser dem, was ich überhaupt vom Ausdrucke
gelehrct habe , nichts gesaget werden , ohne Rücksicht auf
die verschiedenen Gattungen der Zeichen , deren sich die
Künstler , der Dichter, der Mahler, der Musicuö u.s.w.
bedienen. Es bleibt also diese Materie den beson«'
dern Theilen vorbehalten.

Bb z XXI.

5 Ich misbiklige die gewöknliche Eintheilung des Stils nur,


wiesern sie in der allgemeinen Theorie gebraucht wird. In
der Redekunst werde ich sie selbst^ mit einiger Veränderung,
beybehalten,. Man lese unterdessen waö Liscow, Heineke
und Gottsched über diese Materie gezankt haben , in dem
deutschen Longin und in der kritischen Dichtkunst.
W WWW MM MWWWWWWkGW

XXI.

Ueber das Genie und über den


Geschmack.

Wort Genie zeigt überhaupt das Resultat


5 der menschlichen Vollkommenheiten an, wie?
fern sie sich alle iu den denkenden Kräften con-
eenrriren, und dort am meisten chälig beweisen. « Ein
jeder Mensch hat denkende Kräfte, welche unter sich selbst
und mit seiner andcru Vollkommenheiten in einer gewiss
sen Vei häktniß stehen; un!> folglich hat in dieser allge,
meinen Bedeutung, jedermann Genie. In diesem Veri
stände wird das Wort genommen, wenn man von einem
schlechten, von einem mittelmäßigen, von einem guten
und von einem großen Genie redet.

,, Allein, sagt der ^reslanifche Geschichtschreiber


«des Verstandes, 5 dieses ist wider den gemeinen
,> Sprachgebrauch. Man versagt unzähligen Meuschen
,> das Genie. M m versagt es Melehrren , welche Bi«
„ btiocheken geschrieben haben? ob es gletch ebenfalls abk
,»geschlnackk ist, einen Verfasser als ein G.>me anzm
,> p eisen , welcher ein Buch vo» etlichen Blauem ge?
fchriebeu hat, woraus ein mäßiger Enthusiasmus her'
' „ vor»

« VerfchkedeneVe«rkffe vom Gn'ke findet m«n kn der Geschicht


t« des menschlich«, Verstand«», s IlAk>«nttt, L. 17. rz. )
benm DÜVoS k 'k . tt. k. I. ) beym Hewerius , ( cle I'esprit

,7;?. > beyw Vawngstten , ( >s«. kll. <s. 648. ) be„m


V?u:land ( Bekrackltm<t über den Menschen ) in den
Gökm,«jch«, ZeittMgen. ( ,74^.^724. ) u«d M de»
vermischt«» Schrift«« (Ut B. « St.>
itt Abschnitt s.
Ueber das Genie und über den Geschmack, zyi

„ vorbuchtet. Man verbindet mit dem Begriffe ein s


,, Genies etwas Großes etwas Vorzügliches in seiner
„ Art. Ich setze voraus, daß die unterschiedenen Ar?
ren des E^kennrnisVermögens in einem M nschen ein?
„ ander i.icht gleich sind. Wenn nun das Verhältnis
„ der ErkenntnisVermögcn in einem Menschen so de-
„ schaff.« ist , daß alle Arten desselben dahin übercin-
stimmen, daß sie eine Fähigkeit zu einer merkllcken
,, Größe erheben, daß ihr die übrigen gleichsam z > Ge,
„ böte stehen , und nur da zu seyn scheinen , ihr als
Hülfsmittel zu dienen und ihren Glanz zu erhöhen , so
„ sagt man, ein Mensch habe Genie im eigentlichen
„ verstände. „

Solle es n ohl nach diesem Begriffe ein allgemeines


Genie geben , oder ein solches , welches in mehr als in Ei-
nem Felde Genie ist ? Man setze , alle ErkenmnisVer-
mögen eines Menschen stimmen dahin übercin , daß sie
seinen Witz zn einer merklichen Große erhebe« ; so sagt
man, der Mensch hat Genie ; allein wie weit ist ein sol,
cher noch von denen entfernet, bey welchen man nicht
weis, ob man den witzigen Kopf, oder den scharfsinni
gen Denker bewundern soll, von den Addisons, von den
Leßingen, und von einem Nasiner, der zugleich der
tiefsinnigste Meskünstler und der feinste Epigramm Alst
ist. Wenn der Autor . wider den ich diese Anmerkung
mache , es leugnet , daß es allgemeine Genies gebe ; so
scheint er, keinen Unterschied zu setzen , unter dem, was
ein Genie würklich ist, und unter dem, was es nach sei?
nen Talenten seyn könte.

Wir wollen eine andere Wendung nehmen. Ein


jeder Mensch hat Genie , nach der Summe seiner Rea
litäten , die sich durch die denkenden Kräfte äußern. Ist
diese Summe vorzüglich gros, fo gros, daß der Mensch
Bk>4 da
zyt Ueber das Genie

dadurch zu besondern Tätigkeiten und ausnehmenden


Erfindungen geschickt ist und sich von andern, die mit
ihm unter ei icr ley Umstünden sind, auf eine vorcheilhaf,
te Art auszeichnet ; dann sagt man , er habe ein großes
Genie, un^> dies ist es, was man (Seme im eiorentlil
chen Verstände nennet. Ein solcher Mensch wird also
eine Geschicklichkeit haben , gewisse Dinge gut und leicht
zu verrichten, welche andere mit vieler Mühe nur schlecht
wachen. 5 Er wird durch die Natnr selbst seine Bestim
mung erhallen haben, und sein ganzes Augenmerk auf
dasjenige Fach richten, für welches er gemacht ist. ^ Er
wird fähig seyn , in diesem Fache eine neue Epoche cmzu:
fangen, und seine Kunst oder Wissenschaft so hock zu trei»
den , als es möglich ist. e Er wird sich aller Erkennt,
niskrafte mit Leichtigkeit und Geschicklichkeit bedienen köm
nen, inst zu neuen B 'griffen haben und mit einer leb?
haften Würksunkeit diejenige Gegenwart des Geiste? ver?
binden, wodurch er, ohne ein ängstlich corrcktcö Wesen,
«lle Fehler vermeidet, die ein brausender Kopf in der er« '
sien Hitze begehet. / Er wird sich durch seine sonderba
ren und Ungemeinen Talente über andere Menschen erh«
den, Z° Er wird eine anschauende Erkenntnis von vielen
Dingen ohne Mühe erlangen und in sich selbst iicht qenug
finden, Gegenstände aufzuklären, die für andere im Dun,
kell, liegen. Knrz er wird alle diejei'iqen Eigenschaften
haben, durch welche die besten Schriftsteller das Wesen
des Genies zu bestimmen suchen.

e DÜVoS am angeführten Orte.


<i Herr von Halter in den Gomngischen Aeitunge».
, HelvttiuS «in amzcsührten Orte.
Sulzer am angesäurte» Orte.
^ vvteland am augeführtttl Hrte.
und über den Geschmack. ,9,
——_
Es giebt allgemeine Genies , deren denkende
Kräfte nicht nur alle vorzüglich gros sind, sondern auch
durch eine gleichmäßige innere Stärke der übrigen Fähig«
ketten, Vermögen und Eigenschaften unterstützt werden.
Va^le der Philosoph ist, auch wenn er irrt, so groß,
als Ba^le der Kunstrichter ; und den witzigen Kopf, an
den man sich aus einigen schlüpfrigen Artikeln erinnert,
findet man auch da oft wieder, wo er den Moreri wegen
einer verschriebenen Jahrzahl tadelt. Leibnirz , den
wir einem Newton entgegensetzen dürfen, war vielleicht
so gut zum Dichter bestimmt, wie zum Philosophen.
Hakten ihn nicht ernsthaftere Beschäftigungen vom Par,
naß zurückgerufen , so würden wir vielleicht an ihm uns
fern ersten Dichter erhalten haben, da wir in ihm jetzt
unfern ersten Weltweisen verehren. 6
Es giebt ferner besondere Genies , die es nur in
Einem Fache sind, wozu der Mensch durch die besonde
re Verhältnis ftiner Kräfte und Vollkommenheiten vor,
züglich bestimmt wird ; und auf diese paßt die Erklä
rung , welche der Breölauischc Weltweise gegeben hat. ?
Eine solche Mischung der Talente eines Menschen , wo?
durch seine BeurtheilungsKraft zu einer merklichen Größe
erhoben wird, giebt einen Denker, einen philosophi,
sehen Aopf. Vereinigen sich seine Kräfte dahin , daß
er vorzüglich geschickt wird , gewisse Handlungen und
Begebenheiten mit Weisheit zu überdenken, selbst mit
Vorsicht zu unternehmen und mit Klugheit auszuführen ;
dann heißt er ein praktisches Genie. Sind endlich
fti«e
i Einige Gedichte, die wir von ihm haben, sind War nur
wegen ihres Verfassers noch ehrwürdig ; allein sts verrathe»
doch ein Geiiie , welches durch eine A?eßiade s» berühmt ^
hätte werden können, als durch eine Th,eodieee.
s In der angeführten Geschichte des menschliche» Verstandes.
S. vorher S. 39z. - II
B b 5
Z94 Ueber das Genie

Vollkommenheit?« in einer solchen Verhältniß, daß


durch eine lebhafte Phantasie, durch einen muntern
W-tz und durch einen feinen Geschmack vorzüglich zum
Artisten bestimmt ist , denn sagt man , er ist ein schö
ner Geist ; und dies ist insbesondere das Genie, von
welchem rvu hier reden.

Wir wollen uns aus partialen Zügen da« ganze


Ideal eines vollkommenen schönen Geistes vorstellen;
dies ist der Maasstab , nach welchem man leicht die
Rangordnung der Artisten bestimmen kan.

Der schöne Geist ist also in einem gemäßigte»


Klima, sanft wie der griechische Himmel, gebohren. 6
Die Natur hat seine sinnlichen Werkzeuge auf das voll
kommenste gebildet, seine Nerven aus dem feinsten Stof
fe gewebt und die innern Theile, welche zum Denken
und Be^usiscyn nöthiq sind, auf das subtilste und künst»
lichste orqanisirt. Sie hat ihm, wie ihrem tieblinge
dem Raphael, in einem schönen Körper eine schöne
Seele gegeben und ihn, als eine wohlthätige Fee, be
gabt/ mit der lebhafte,, Pha„tasie eines N?ielands, mit
dem schöpferischen Geiste eines Nliltons , eines Alop,
stoks, mit dem Witze eines Lößnigs , mit der Zart,
licbkeir eines Gleims, mit der Feinheit des Geschmacks
eines Ramlers, mit dem Scharfsinn eines Kästners,
Mit dem Tiefsinn eines tNoses , mit dem hohen Verstau«
de
K Der Einfluß des HimmetS und der Luft auf den Geist ist s«
a'isqeinackt, dasj ick ihn als ein Supposirum annehmen
kan. Man lese unterdessen winrelmanns Geschichte der
Kunst nn ersten TKeile vom Anfange , den DüBoS U. Th.
Cap. 'Z ! 2«. des Montesquieu Tlprit loix, de,, Hru.
von Hontetteile in der ?lvhandl«ng über die Alten und in
s«»cr Schrift «on, mehr als einer Welt, und den Rirrer
CHardin in seiner Beschreibung vo Pcrsien, welcher über
. . diesen ^mitt vortrcfliche Änmerkungei, gem«cht hat.
und über den Geschmack. ,9s

de eines Winkelmanns, und, um sich ihrer zuweilen


zu bedienen, mit der iaune eines Swifts, Arburh«
nots und Rabeners. Sie gab ihm ein fühlbares Herz,
leicht zu rühren, wie zarte Saiten, eine Anlage zum
Pathos, starke Begierden, verknüpft mit einem Hange
zur Tugend , mit einem menschlichen Gefühle , mit wür,
digen und erhabnen Gesinnungen. Seine Erziehung
entsprach den Absichten der Natur. Die Nahrung««
Mittel, die er bekam , verdickten nicht seine Säfte, ver
feinerten seine Organisation. / Frühzeitig wurden die
Fähigkeiten seiner Seele gestörter , ausgebildet un,d zu
Fertigkeiten erhoben ; früh schou bekam sein Geschmacb
die erste Richtung. Er besserte seine Empfindung«,
Werkzeuge , und rafinirte seine Nerven durch eine or*
dentliche Lebensart. Er bildete seinen Geist und sein
Herz, entfernte alle pöbelhafte Meinungen und begann^
grosmüthig und edel zu denken. Er untersuchte die
Schönheiten der Natur und der Kunst, und empfand
beyde. Er studirte Gallerien, Antiken, die Meister«
stücke eines Graun und Handel und las die besten
Muster in der Poesie und Redekunst , mit Enthusiasmus
und in der Stellung , in welcher sein Autor schrieb. Er
merkte auf sich selbst, lernte sein Herz aus und die Spra
che der Empfindung und erwarb sich diejenigen Kännt,
Nisse , in welchen der Adel des Menschen und das Ver«
dienst zdes Künstlers bestehet. Er prüfte sein Gcnie>
ehne seine Seele zu schmeicheln , wie man dem Körper
schmeichelt , durch das Urtheil anderer , durch eigene Ver,
suche und durch die Vergleichungseines Geschmacks , ftiuer
Arbeiten und schner Entdeckungen, mit dem Gcschmacke , mit
den Arbeiten und mit den Entdeckungen anderer. Er las die
Schriftsteller mit Empsindung,, nicht wie ein Mann,
„„,' > 5- ..^ ^ der

/ S. den Ritter TempK von dem Zustande der ««einigten


Provinze». 4 Cap. ' "

5
,y6 Ueber das Genie.

dcr Phrase« und Varianten sucht : jetzt ahmt er diejeniB


gen , welche in ihrer Art die besten und seinem jGenie
am gemaßesten sind, männlich, nicht sklavisch nach, ohne
seinen eigenen Charakter zu unterdrücken. Er liest sich,
nickt mit dem Stolze eines Autors , mit allem Kaltsum
eines Knnstrichters seine Aufsätze selbst vor, nachdem sie
solange geruhet haben , daß er sie als fremde Arbei
ten betrachten kan ; und läßt sich von kritischen Freunden
diejenigen Fehler sagen , welche er vielleicht aus Mangel
der Einsicht nicht bemerken konte, oder aus Eigenliebe
nicht wölke. Er ist grausam genug , diese UebunqsStü,
cke , wie Ramler die seinigen , ?» zu unterdrücken ; und
nur dann , wenn er sich stark genug fühlt , und es würk«
lich ist, fängt er an, für das Publicum , und , mit einem
gewissen Bewnstsiyn seiner Größe , mit einem edeln
Stolze , für die Nachwill zu arbeiten. Er bietet durch
die Hitze seiner Begierden alle denkende Kräfte auf, um
ein Werk hervorzubringen , welches dem Neide , wie der
Zeit, Trotz bieten kan. » Er befrcyet sich von allen Zer
streuungen , und richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf
sein Süjet. Er stellt sich dieses so lebhaft und sinnlich vor,
daß dadurch das Herz beweget und erschüttert wird, und
f,.sset den unüberwindlichen Vorsatz , nur große und wür,
dige Gedanken zu erzeugen. Eine rühmliche Ungedult,
«ine edle Ehrbegierde treibt ihn an , lange begeistert zu
seyn und nicht eher zu ruhen, als bis das verlangte be-.
würkt ist. Ohne Begeisterung arbeitet er nie ; er ver,
säumet aber die Gelegenheit nickt : glückliche Stunden
kommen nur selten, man muß sie brauchen, wenn sie
da
.
« S. die kitttratnrBriefe, IX. Th. S» 7.
» Ich trage hier in wenig Worten die Theorie vom Enthu«
siasinuö «sr , welcher ich kein besonde, eS Capirel widme»
mag. Man kan hierbey den peiicu« 6« turore poelic», dm
N?orhof und einige andere nachlesen.

>
und über den Geschmack. . M

da sind , so gut und so lange man kan. In dem Enchu«


siaomus besorget er -nur das Ganze , sitzt den Ausputz
der Theile bey Seite, lüusr nicht aus dem Wege, um
Schönheiten in der Ferne zu hasthen , und ergreift nur
diejenigen', welche sich ihm von selbst darbieten. Nach
der Begeisterung nimmt er die Feile zur Hand, poltrt
sein Werk, bessert es aus ;
rionumczue ziremsrur in gnrium.
Er stallet sein Werk aus, noch nicht, wie Apelle«, für
jedermann, sondern für kritische Freunde ; prüft jedes
tob und jeden Tadel, welchen er erhält und ist, wie
Dusch, o unerbittlicher gegen sich , als ein Kunstrichter
seyl, würde. Dann erst tritt er ans iicht, m,t der edel»
Kühnheit der alten Artisten ; und dann erst kau er sich
mit der süssen Einbildung schmeicheln , von der Nachwelt
gelesen und ueben die Homere und Horaze dereinst ge,
stellt zu werden. Er wird oft , ohne daß er es selbst
weis, ein Erfinder seyn, sich eine neue Bahn gebrochen
haben , eine neue Periode in der Kunst machen , und
eine Menge von Nachahmern wird seine Spur verfol?
gc». Jedermann nennt ihn Gerie, und nichts fehlt
dieseui Charakter , als — — daß er kein würklicheS
Original hat.

Denn , wird man sagen , wo ist ein solches Genie ?


Wo ist der Mensch, in dessen einziger Person sich alle
angegebene Umstände vereinigen , einen so vollkommenen
Meister zu bilden? Er sey, oder sey nicht; meine Schill
derung ist ein Ideal , wie die nackende Venus. Wie
sich mit dieser eine eingebildete Schönheit vergleichen und
sinoen kau , wie viel ihr noch fehlet ; so soll der werdende
Ar-
« S. die neue B'bliothek der sch. K. u. W. II. B. S. 261.
j> S. die Geschichte deS menschl. Verstandes, Ii. Abschnitt
F. 25 .' zz.
zyg Ueber das Genie

Artist mein Gemählde betrachten, und sich dagegen mes


sen , und wenn der Abstand zwischen dem Ideal und ihm
zu gros ist, die Hofnung aufgeben, sich in dem Range
eines Virgils , eines Phidias zu sehen. Wenn ihn das
Genie verläßt , so bilde er seinen Geschmack und werde,
statt eines schlechten Artisten , «in guter Kunstrichtcr.

„ Das Genie, sagt Gerard, ? hat den Veysiand


„ des Geschmacks nöthig , seine Würkungen zu leiten
„ und zu mäßigen. Die verschiedenen Verhältnisse der
„ Thcile bestimmen zwar gewissermaßen eines jeden Ge<
„ stall und Stellung ; wir erlangen aber eine weit gros-
„ sere Gewisheit von ihrer Richtigkeit, wenn der Ge-
„ schmack den Entwurf sowohl , als die Ausführung
„ nach>;cfehn und geprüft hat. Er dient der bloßen
„ Phantasie zum Zaum; er tritt mit seinem billigenden
„ oder verdammenden Urtheil ins Mittel : und verwirft
„ manche Dinge, die das Genie ohne seinen Beystand
„ angenommen haben würde. „
Den Geschmack habe ich oben ? beschrieben
durch das innere Gefühl der Seele, vermöge dessen sie
ohne Vernunftschlüsse, blos durch das sinnliche Wohl
gefallen , das Schöne da findet , wo es fcyn mag. /
Eigentlich ist der Gefchmack nicht eine einzige Kraft,
sondern ein Aggregat aus den nochwendigen Gesehen
zu handeln, welchen die sinnlichen Kräfte unterworfen
ßnd. Wir haben also von Natur einen Gefchmack für
das Erhabene , für das Schöne , für das iächerliche,
für das Schickliche und Anständige, für die Harmonie,
für

? Versuch über den Geschmack M. Tl> 2. Abschnitt,


r S. 7.
r Omne« tick« <zu«il«m Knlii, kme vkls srte »nt r^ttone, ^u»e

«er» «le .Oritsre»


für das Pathos , für die Schönheiten des Ausdrucks;
kurz für alle diejenigen Prmcipia, welche zusammenge,
ticmmen , oder einzeln das Wesen der künstlichen Werke
ausmachen. Und in diesem Verstände sind die Regeln

Diese natürliche Empfindung des Schönen wird


verbessert durch eine gute Erziehung, durch das Studium
der Meisterstücke und der Regeln, und durch eigene
Versuche. Empfindlichkeit , Feinheit und Richtigkeit
sind, nach dem Gerard, die wichtigsten Vollkommen-
heilen des Geschmacks.
Die Empfindlichkeit bestehet in der Disposition
durch allerley Schönheiten von verschiedenen Gattungen
ke,cht gerührt zu werden , in einer solchen Delikatesse,
vermöge deren, wir keine Vollkommenheit in der Narur
oder Kunst ohne Entzücken ansehen, noch eine Häßlich-
seit ohne Widerwillen betrachten können, t Ohne diese
Empfindlichkeit können wir > ns nicht in den Affekt der
Personen und in den Enthusiasmus des Verfassers , den
wir beurtheilen wollen, hineindenken; und gleichwohl ist
dieses Gefühl eines fremden Leidenschaft nothwendig,
wenn wir von den Werken der Kunst mit Richtigkeit
Drechen wollen.
Die Feinheit des Geschmacks ist diejenige Fer,
tigkcit , wodurch wir fähig werden auch die kleinsten
Schönheiten zu empfinden , die ein anderer übersieht,
und die kleinsten Fehler zu entdecken , auch die schiMB
mernden Fehler , die oft die wenigsten bemerken und die
meisten für Tugenden halten, u Diese Feinheit ist das
Mittel zwisaM einem groben und en«m eigensinnig
gen
r (Zerard II. Theil 4. Abschnitt.
« Gerv.rd II. Th. 5. Abschnitt.
Ueber das Genie

ezen Geschmacke. Jener ist leicht, und dieser fast nie


zu befriedigen. Jenem ist der Karren des Thefpis rei-
zender, als diesem der Cothurn des Sophocles. Wo
dieser mir dem Kopfe fchüttelt, da klatscht jener sein ewiges
Plaudite. Der eine wird seinen Picandcr niit Vergnüg
gen lesen ; nicht einmahl die regelmäßige Erfindung und
die meisterhafte Ausbildung eines Hemers km den Bey-
fall des andern durchgängig erhalten. Ein feiner Ge?
schmack vermeidet beyde Abwege. Er ist zn be vandcrt
in den Werken der grösten Meister, um miltelmä nge
Schönheiten noch reizend zu finden ; und zugleich billig
genug, um nicht einen Artisten zu verdammen, der, es
scy aus Weisheit, oder ans Versehen , einmahl geschlum
mert hat. Er läßt sich nicht durch eine brausende Schön»
heil hinreissen, die nach der ersten Empfindung ekelt;
nicht durch einen blendenden Glanz , der in der Nähe
für todtes Feuer erkannt wird. Die sanfte Erhabenheit
eines Virgils , die feyerliche Simplicität der Jliade , ist
ihm lieber, als das stürmische Wesen und der schwülsti
ge Ton eines Srarius. Und die naiven Wendungen
eines Geßners würde er ungern mit den spitzfindigen
Concetti der italianifchen Schäfer verrauschen.

Die Richtigkeit des Geschmacks ist eine Fol,


ge «US seiner Feinheit; sie seht uns in den Stand, daß
wir nicht durch einen falschen, Schein himergangen wer?
den, nicht glanzende Fehler schön finden, noch keusche
Vollkommenheiten verdammen , sondern jeder Eigen
schaft ihr gehöriges Maas von Verdienst und Tadel bcn,
legen. » Diese Vollkommenheit des Geschmacks leitet
uns; daß wir weder auf der einen , noch auf der andern
Seite ausschweifen , weder durci, Wildheit aus de«
Glänzen des Anständigen und des Wahrscheinlichen tre.'
ten, noch durch eine unzcitige Sills,imkeik, oder durch
«n
« Gerard II. Th. 6. Abschnitt.
und über den Geschmack. 401

«in kaltes Wesen den ieser einschläfern. Genie ohne


Geschmack durchbricht alle Schranken der Kunst und
empört unsere Empfindung. Geschmack ohne Genie
halt sich immer ängstlich in der Mitte, steigt nicht in die
Höhe, aus Furcht zu fallen, und sucht nie eine neue Bahn,
aus Furcht sich zu verirren. Genie , durch einen richti,
gen Geschmack geleitet, und Geschmack, durch ein »nun,
leres Genie angefeuert ; dies ist der Charackter eines Ar-
listen , der von der Natur für seine Nachfolger zum
Meister bestimmt ist.

Die menschliche Natur enthält alle Grundsähe des


Geschmacks , und der gute Geschmack ist derjenige,
welcher der Natur gemäß ist. Was für den Geist die
Vorurtheile sind , daß ist für die Empfindung der ver
derbte Geschmack, eine wahre Krankheit der Seele.
Es bestehet aus falschen Gesetzen des Wohlgefallens , die
wir uns durch die Uebung nach und nach angewöhnet ha,
ben , und die wir schwerlich wieder verläugnen können.
Unsere Seele nimmt eine Tinctur von den Gegenstünden
an, mit welchen sie sich beschäftiget ; werden wir eine
lange Zeit mit niedrigen Ergötzungen umnlMen, durch
falschen Schimmer entzücket ; so lassen wir es uns end?
lich gefallen und werden dadurch unfähig, wahre Schi«
Helten zu schmecken. Dies ist die Natur des Verderblea
Geschmacks. Der gute Geschmack kan nicht besser bt»
schrieben werden, al« wenn man sagt, er ist der Ge.
schmack der Alten und dererjenigen unter den Neuern ;
welche den Alten am nächste« kommen. Ein unumer,
brochener Beyfall von einigen tausend Jahren beweise:
es, daß die Schönheiten in den Werkender Griechen
und Römer wahre Schönheiten und der ntenschlichen
Natur gemäs sind. Es ist uns nicht mehr erlaubt , an
der Vorrreflichkeit der Jliade zu zweifeln ; die schlechten
Gedichte der Alten sind verlohrm : gut müssen also die«
Ce je,
402 Ueber das Genie und über den Geschmack.

jenigen nothwendig seyn . um deren Erhaltung man durch


alle Jahrhunderte so besorgt gewesen ist. »

Der Geschmack der Zeit und des Landes


gründet sich theils in dem Klima , lheils in der tebene«
art , theils in dem Vorurchcil des Ansehens. Ein Mann,
welcher eine Epoche macht, er scy Genie, wie Klopstok,
oder ohne Genie , wie Gottsched , bestimmt allemahl
durch die Menge seiner Nachfolger den NationalGe?
schmack auf eine gewisse Zeit. Nicht eher kan dieser für
eine Richtschnur der Kunst gelten , als bis er den Ben,
fall der unparcheyischen Nachwelt erhalten hat, oder bis
man seine Uebereinstimmung mit dem Geschmacks der Ale
ten erkennet. Wenn wir viele solche Parallelen der Al,
ten und Neuern hätten, wie sie ein ungenannter Berfas?
ser entworfen hat, dann würden wir die Richtigkeit un«
sers Geschmacks und den Rang unserer Künstler mit Zu,
verläßigkeit bestimmen können.

«> Ueber diese Materie siehe/oen DüVo« fast im ganzen jwee,


t«n Theiie.

Ende des Ersten Theils.


I tt h a lt.

i) EinleitunK^S^., - - ! > , ^ ( tz,

i) Von den schönen Künsten und Wissenschaften


überhaupt, ». . ., ^ e- v

z ) Auflösung der Schönheit in ihre einfachen


Bestandtheile , S. z z. .

^ ) Vom GroKn und Erhabenen., S. Z7. .r

5) Einförmigkeit und Mannichfaltigkeit, S. 65.

6) Natur, Siwplicität und Nsivete, S. 77^

7) Ueber die Laune, S. 91.

8) Vom Lächerlichen und BelachenSwerthen,


S. 95 > .

9) 2lehnlichkeit und Contrast, S. iz^.

«>) Von der Nachahmung und Illusion, 'S.


141.

u ) Vom Neuen , Unerwarteten und Wunder»


baren , S. 155.

I!)
IZ.) Wahrheit, Wahrscheinlichkeit m
tung) S. i«o.

iz) Licht/ Schatten und Colorit, S. «8.


14) Schicklichkeit, Anstand , Würde und Tu»

gend, S. i4t< - ' ^.

Ueber das Pathos, S. 257.


16) Ueber das Interesse , S. 5:4.

17) Ueber die Grazie, S. Z4«.

18) Von den Figuren, S.


59) Ueber die Zeichnung und Folge der sinnli
chen Ideen , S. )6y. x

«>) Ueber den Ausdruck und das

u) Ueber das Genie und den Geschmack, S.

»0. ,7
Anhang

von Briefen.
'-.
^ ^ ^
<«F)-t,». ««z,)«», ««?z«z>

Inhalt.

Erster Brief

an Herrn Weiße.

Höfliche Grobheiten für Herrn Bodmer S. z ff.


Ob die GeschmacksRegeln unveränderlich sind ? S. 5 ff.
Verschiedene Methoden , Gesetze für die Kunst
zu finden S. 7.
Aristotelische Methode S. 7.
Baumgartensche S. 8.
Homische S. ».
Auf welchem Wege man unveränderliche Regeln
finden könne? . " S. ?.
Nicht auf dem Aristotelischen S. 9. ff.
Nicht auf dem Baumgartenschen S. 12. ff.
(Beylaufige Vollmacht für die Aesthetiker) S. 14.
Nicht auf dein Hoinischen S. 16.
Conclusion aus obigen Pramiße» S. 17 f.

)( )( Zwey.
Inhalt.

Zweyter Brief

an Herrn Flöge l.

Der Geschmack ist also veränderlich > S. 2,,.


Nach der Verschiedenheit der Nationen S. 2,z,
(Ideal einer Dichtkunst für die Deutschen) S. 2,6
Nach der Verschiedenheit der Zeiten S. 27.
Selbst nach der Verschiedenheit der Menschen S. 29.
Etwas für einen gewißen Herrn Dtsch S. z r.
Beschluß in form». S. Z2.

Dritter Brief

an Herrn Moses Mendelssohns

Wer Herr, Christian Ziegra fep S. z 5/


Wer der Antikritik«« sey Eöen daselbst.
Untersuchung der Idee von der Schönheit S. z6. ff.
Die Schönheit ist subjektivischer Natur S. Z7 ff-
Fast wie die Idee vom Guten und Bösen S. z 9.
Ein jeder mag fein Steckenpferd, reiten S. 4«.

Da/
Inhalt.

Dawider wird protestirt S. 41.


Und auf die Protestation geantwortet S. 42.
Der Verfaßer kömmt zu sich selbst und lenkt ein S. 45.
Er baut wieder , nachdem er eingerißen hat. S. 48.
Isin clic cle trib»! «pellii. S. 5«.
Allgemeiner Geschmack der Menschheit. S. 50 ff.
Besonderer Geschmack und besondere Regeln S. 52.
Unrichtiger Geschmack. S. 5z.
Erbauliche Nutzanwendung S. 54 ff.
8. v. 0. ,S. 6s.

Vierter Brief

an Herrn Wieland.

Einige Stellen aus dem JdriS und Don Sil


vio, die der Verleger aber auch mit bezah
len muß. S. 6z ff.
Widerlegung des Coeffeurö L«i,monr S. 70 f.
Verschiedenheit des Geschmacks wegen des Um
terschieds der Bedürfniße S. 71.
Desgleichen in Absicht auf das sittliche Ideal S. 72.

)( X ^ «uf
Inhalt.

auf das Elim« , S. 74


auf die Mode, Ä4?5
auf die Homogeneitat, (ein Wort, welches der
geneigte Leser sich nach Belieben erklaren
mag) S. 78

auf den Endzweck S. 79


Fragment über das Costume S. 8« ff
Vademecum für gewiße Kunstrichter S. 8Z

Leben Sie wohl.' S. 86

Fünfter Brief

an Herrn Jacob i.

l.»U5 sutoris S. «9.


?>z„6tiis S. 91.
Von der Kunst, sich in fremde Aussichten zu
versehen Eben daselbst.
Der Dichter denke sich in fremde Länder S. 92.
in die erdichtete Welt S. 94-
(oft nur um zu spotten) S. 96.

in
Inhalt.

in wirkliche Begebenheiten des AlterthumS S. 97.


in fremde Sentimens Eben, daselbst.
in die Nachwelt S. 99-
Ihr Kunstrichter gehet hin und thuet desgleis
chen! S. Ivo ff.

' Sechster Brief

an den Herrn GeheimenRath Kloß.

Beweiß, daß der Verfaßer auch reimen könne S. 107.


EeschichrsRIitterung der Satire. S. l«8.

Sokratische Laune S. in.


Diogenes Eben daselbst.
Aristipp S. ns.
Petronius S. uz.

Apulejus )
Lucian ) S.114.
Julian)

Doctor Raöelais - S. 115.

)( X z AN
I «halt.

Cervantes S. "6.

Freund Buttler S. 117.

Decanus Swift S. 118.

Steckenpferd Sterne Eben daselbst.

Fielding S. 115.

Hans Lafontäne S. 12s.

Voltäre Eben daselbst.

Liscotv, Rabener, Wieland, Möser, von


Thümmel, Hermes S. 121.

Moscherosch S. 122.

Schupp, Seelsorger zu Hamburg , S. 12z.

Zwote Art der Satire Eben daselbst.

Lucilius, Horaz, Persius. Eben daselbst.

Juvenal S. ,24.

Boileq« Eben daselbst.

Regnker S. 125.

Pope und Churchill Eben daselbst.


Inhal t.

Rachel , Caniz , Hakler , Löwen ! und die

Epigrammatisten , alle im Torso S. 126.

Dritte Gattung der Satire. S. 127.

Homer - . , Eben daselbst.

Tassoni S. r2«.

Boileau S. 129.

Pope, Zacharia, Dusch Eben daselbst.

Vierte Gattung der Satire Eben daselbst.

Kurze Defension des Jnquisitett Artstophanes S. izo.

Seitenblick auf den Menander . S. lz i.

Plautus und Terenz S. 132.

Moliere , Shakspear u. s. w. S. i zz.

Vertheidigung HanSwursts , Grosvater Sc«.'

pins und Vetter Falstaffs S. 134.,

Gellerc , Schlegel , Weiße, Leßing, Löwen Eben das.

X )( 4 Sie-
Inhalt.

Siebenter Brief

an den Herrn Hofrath Kästner.

Aeltester Zustand der deutschen Dichtkunst S. i z?. ff.

Minnesinger . S. 145.

Meistersänger S. 147.

Eine ausgestrichene Stelle von den Kirchenliedern S. 148.

Opitz S. 14?.

Gryphius, Rist, Flemming, Tscherning S. i;o.

Hofmannswaldau Eben daselbst.

Mühlpfort, Lohenstein S. 151.

Fruchtbringende Gesellschaft und andere S. 15z.

Weise, Talander , MenanteS Eben daselbst.

Rachel, Logau , Wernicke , Caniz , Günther S. 1 54.

Morhof, Menke, Neumeister, Neukirch,

Pietsch,
Inhal t.

Pietsch , Richey , Wichmann , Brokes S. i ; z.

Beßer, König S. 156.

Bodmers erster Auftritt' S. 157.

desgleichen Gottscheds ' S. 158.

Husarenkrieg Gottscheds Hallbauers und

Fabricius unter einander Eben daselbst.

Haller und Hagedorn S. 15?-

Fernere Bemühungen der Schweizer Eben daselbst.

Bruch zwischen ihnen und Gottscheden S. 160.

Gelegenheiten dazu S. 161.

Belustigung des V. und W. S. 162.

Satiren von Rost und Liscow. S. r6z.

Gottsched« Fall. S. 164.

Lange, Gleim und Utz S. 165.

Klops
Inhalt.

Klopstock Eben daselbst


Dichter, die zu keiner Sekte gehören S. r<56.

WielandS Genie wird gepriesen S. 167.

Baumgartensche LitteraturSchule , S. i6g.

Eine Lücke im Mscrpte S. 169.

Und hiermit Gott befohlen! S. 170.

Achter Brief

an Herrn Nie olai.

Der Verfaßer lobt sich ein wenig S. 17z.

Quellen, aus welchen der Zustand der Litt«

ratur zu bestimmen.'. S. 174.

Meßcatalogus . - S. 175.

das Mechanisch^ der Buchhandlung S. 176.

die
Inhalt.

die Journale Eben daselbst.

Erzählung eines Chincsers von Deutschland S. 177.

Feyerlicher Beschluß i k».

Neunter Brief

an den Herrn Cnnonicus Gleim.

EingangsSchwsrmereyen S4 191.

Text zu der Predigt S. 192.

Die Predigt selbst, in welcher vorgestellt

werden die Kunstrichter von der guten

und von der bösen Seite. S. 194.

Nutzanwendung, enthaltend da« Ideal eines

vollkommenen Kunstrichters S. 207.

Zehn
Inhalt.

Zehenter Brief

^ an den Herrn GeheimenHofrath

von T h ü m m e l.

Betrachtungen über das Publicum, S. 214.

wo es nicht ist S. 21z.

und wo es ist Eben daselbst.

Corollaria S. 225 ff.

Erster
Erster Brief

0» de« Herrn KreisSteucreinnchmer

Weiße.
Erster Brief
«n den Herrn KreisSreuereinnehmer

Weiße.

neulich, wem theuerster Freund, hat S»


^ der alte Vatcv Vodmer mit einer >ehös
nen Parodie ouf Ihren Atreus beehret ;
und wenn er Sie dadurch nicht gebeßert
hat , so sind Sie und wir alle ihm doch
immer vielen Dank schuldig für das Verr
gttügen, das uns sein kritischer Schwanengesang und
ftine politische Schauspiele verschassen. Noch einmahl
vor seinem Ende stößt der Patriarch in die kriegerische
Tuba, und überzeugt uns, wie durch seine Calliope,
daß es ein gewisses Alter siebt , in weichen uns die Mu;
ftn und Grazien verlassen; selbst Rritika verlaßt ihn,
die Göttin, der er nun ein halbes Jahrhundert hin;
durch gedient hat. Doch vielleicht hat er diese« Aus-
ritt auf Sie, «uf Rlotzen, auf Leßingen, auf Ni»
A 2 colain.
4 Erster Brief.

colam , auf Uyen , auf Gerstenbergen und , der ich


der geringste unter ihnen bin , auch auf mich nur des
wegen versuchet , um fein kritisch Jubelfest desto feyerli-
chex zu begehen; denn eben sind es fünfzig/ Jahr, da er
zuerst in das Publicum hervortrat und , welches wir auch
merken wollen, weit .jchnger war, als wir, deren Ju
gend er jetzt «erachtet. Mag doch ein Mann , der fein
Ehejubiläum erlebt hat, sich immer freuen und an den
Tag feiner Hochzeit gedenken .' Und mag doch der
Altvater Johann Jacob Bodmer sich an die Zeiten er
innern , da er der Kunstrichter nach der Mode war, und
in die kritische Wuth zurücktaumeln ! Gern gönn ich ihm
feine Kurzweil und wünsche ihm Glück , daß die Grazie,
von welcher ich einmahl gesprochen habe, für ihk Me-
menw Mori ist, wie ein schönes Weib für St. Hila-
rion. Aber das soll er uns auch gönnen, daß wir von
seinem Buche für die etliche Groschen , die es uns geko
stet hat , die beste Nutzung ziehen und uns über die lu
stige Positur recht satt lachen , in der er sich noch in
seinem siebzigsten Jahre vor der ehrbaren Welt gezeigt
hat * ). Doch nicht immer lachen wollen wir ; in einer
gewißen

. P^ Herr Vodmer hat große Lust noch einmal eine


Lanze zu brechen , und wünscht sehr , daß Herr
. NZeiße sich mit ihm einlassen soll. Schon vox
fünf Jahren schickte er diesen über die scherzhaften
und AmazonenLiedcr etliche erbauliche Pasquinaden
zu, die er in die Zürcher sreyen Urtheile hatte ein-
^ !. rücken
Erster Brief. 5

gewißen ernsthaften Laune, die mich nur zu oft anwam


delt, suche ich auch bey dein lächerlichen Buche etwas
ernsthaftes zu denken ; und auch in den Feldzugen des
Herrn BodmerS bemühe ich mich, etwas zu finden,
wobey ich Philosophiren kan. Wir werden sehen !

„ Wir sollen glauben, sagt der Vorredner zum


„ schweizerischen Archive, daß es Schönheiten gebe,
„ welche nur der Nation, und des Ortes, und der Zeis
„ ten , eben so veränderlich als die Laune und der Gesal-
„ len des Publikums sind ; die Gesetze der Schönheit
sollen nicht' gleich alt mit den Sachen seyn, sie sollen
„ die Gesetze unserer Welt, unserer Sprache, unserer
„ Philosophie seyn ; die jüngsten Schönheiten , so wie
„ diese Kunstlehrer selbst die jüngsten Kunstlehrer
„ sind. „

A z Herr

rücken laßen. Und jetzt lausen noch in Berlin und


Leipzig eine Anzahl polirischer Schauspiele von ihin
nebst einer Vorrede wider Hrn. "Weiße herum , die
keinen Verleger finden können. — Der gute alte
Mann .thut, als ob die ganze Schweitz mit ihm
ziehe ; glaubwürdige Nachrichten aber versichern
mich , daß er allein sey und allein bleiben werde.
Verschiedene seiner ehemaligen BusemsFreunde
werden nur durch das Andenken der vorigen Freund!
schaft abgehalten, daß sie sich nicht öffentlich wiocr
ihn erklären.
6 Erster Brief.

Herr Schmid, wider den eigentlich diese Stelle


gerichtet ist, mag sich selbst «ertheidigen ; auch mir ge?
fällt eS nicht , daß er eine Dichtkunst nach den neue
sten Grundsätzen und nach angenommenen Urcheilen
geschrieben hat. Die neuesten Grundsätze sind nicht
immer die besten ; und bev der jetzigen Lage unsers
Publict, welches durch Knnstrichter von «erschiednen
Stimmen zerrüttet wird, ist es schwer zu entscheiden,
welche Urtheile eigentlich die angenommenen sind. Al
lein den übrigen deutschen Schriftstellern thut der Ar'
chivar sehr unrecht , wenn er sie einer Meinung beschul
diget, von welcher sie würklich das «Segentheil lehren.
Dies lehrt Herder , der immer die neuern Dichter ne
ben die Alken hinstellt und mit ihnen vergleicht ; dies
lehren die Verfaßer der LitteraturBriefe , der beyden Bi?
bliotheken zu Leipzig und Berlin: und Herr Rloy, oder
wer es auch seyn mag, schreibt ausdrücklich: „ Di«
„ Regeln der Schönheit sind unveränderlich , und
„ ihre Gesetze so alt , wie die Welt. „ *> Auch
ich , wenn eine solche Gesellschaft für mich nicht zu
vornehm ist, behauptete sonst, der gute Geschmack
könnte nicht beßer beschrieben werben, als wenn man
sagte, er sey der Geschmack der Alten und derjenigen
unter den neuem, welche den alten am nächsten rom:
nien. 55 ) Nur heute bin ich so eigensinnig , daß ich
die Sache nicht für sogar ausgemacht halte und es wage,
l)«lb

') deutsche Bibl. ! St. S. 2.


" ) Theorie 1 Th. S. 402.
Erster Brief. 7

halb stoptisch einen Punkt zu untersuchen, von welchem


der Archivar glauben wird, daß er keiner Untersuchung
mehr bedürfte. Sind die Ideen der Schönheit würklich
durchaus einerley ? Ihre Gesetze so allgemein, wie die
Regeln der Logik und wi? die Gesetze der Bewegung? Der
gute Geschmack , ist er immer eben derselbe? Oder kan
es vielleicht seyn, daß zwo Personen über die Schön
heit einer einzigen Sache verschiedentlich urtheilen und
bevde Recht haben ?

Durch einen MachtspruchMll ich die Sache nicht


entscheiden; vielleicht ist es ein Vorurtheil, wenn ich
den Gedanken nicht fortschaffen kan , daß nicht alle Gel
fetze der Schönheit unveränderlich sink Welche sollen
es feyn ?

Der erste Gesetzgeber der Kunst betrachtete ein


einzelnes Werk , welches von ganz Griechenland mit
Recht bewundert wurde. Er zergliederte den ganzen
Bau , die Anlage, die Oekonomie des Stücks und ends
lich die einzelnen Glieder; jede Bemerkung, die er macht
te, wird ihm eine Regel, die vielleicht, vielleicht auch
nicht , der Dichter im Sinne gehabt hatte und so ents
stand ein Gesezbuch für die Epopöe und für das Drama,
welches noch jetzt der Grund ist , auf welchen die be-
währtesten Kunstlehrer ihre Gebäude aufführen. So
haben Bossü und Hedelin die Mechanik des Heldenge
dichts und des Theaters erklärt und ihre Regeln so dem-
A4, lich
8 Erster Brief.

lich gemacht, so gründlich erwiesen, daß man einPyrrho


seyn muß , um an ihrer Gültigkeit und Allgemeinheit
zu zweifeln. !

Ein zweeter thst noch mehr ; was jene nur aus


einzelnen Kunstwerken geschloßen, durch einzelne Beys
spiele erläutert hatten , das suchte er aus dem Wesen der
Schönheit und aus den Begriffen der Kunstwerke im all
gemeinen zu demonstriren, wie man es demonstrirr, daß
ein Schluß nicht vier Füße haben soll. Nun war man
im Stande, den Horaz aus Definitionen zu beurtheis
len; man lernte schöne Regeln von dem Reichthume,
«on der Größe, von der Wahrscheinlichkeit, von der
Lebhaftigkeit, von der Gewiöheit, von dem sinnlichen
Leben der Erkenntniß, und gab der Einbildungskraft,
dem Witze, dein Scharfsinne, der Dichtungskraft eine
Menge von bündigen Gesehen , alle so scharf erwiesen,
wie die Theoreme des Euclides , und mit Erempeln ers
läutert , die man aus Geßners Thesaurus geborgt
hatte.

Unterdessen hatten einige milzsüchtige Engelländer,


denen es, die Wahrheit zu sagen, nicht an Geschmack
fehlte, die aber viel zu brittisch dachten, um demons
strativisch zu denken , die Werke der Alten und Neuern
mit vieler Empfindung gelesen , und aus dem Eindrucke,
den ein Gedanke in ihre Seele machte, auf seine Schönt
heit geschloßen. Sie sammelten ihre Bemerkungen und
so
Erster Brief. > 9

so entstanden neue Lehrbücher , die freylich so allgemein


nicht waren, wie unsere Aesthetiken, in welcher aber
doch einige eigensinnige Leute manches gefunden zu haben
vorgeben, was sie im Bossü und d'Aubignoc, im Breis
tinger und im Gottsched , im Baumgarten und im Meier
vergeblich gesucht hatten.

' Um der Sache ein Ende zu machen, will ich eins


mahl kürzer reden; es sind dreyerley Wege, nach weis
eben man Regeln für die Kunst festsetzen kan , der Ari«,
stotelische , der Baumgartensche und der Homische.
Der Griechische Kunstlehrer nimmt seine Gesetze aus
dem Werke des Meisters ; der Deutsche aus der Defini
tion ; und der Brittische aus der Empfindung. Auf welk
chem Wege werden wir nun diejenigen Regeln der Schön-
heit antreffen, die völlig allgemein, nothwcndig, um
veränderlich und so alt als die Welt sind ?

, Gewis nicht auf dem Aristotelischen. — Wenn


der Kunstlehrer aus der Jliade die Regeln aufblättert,
nach welchen Homer gedichtet hat , für wen sollen dies
se Regeln Gesetze seyn? Für Milton, für RIopstok,
für CamoenS, für Voltaire? Nicht also! Nur der
ist verbunden , nach homerischen Regeln zu denken,
der uns eine neue Jliade, oder ein Gedicht nach den
Regeln der Jliade verspricht. Ein anderer, der Genie
genug ist, sich eine! neue Laufbahn zu eröfnen , wird
dadurch auch sein eigner Gesetzgeber und schüttelt die
A ; Feßeln
w Erster Brief.

Feßeln ohne Mühe «6, die ihm Aristoteles, Bossü


und Curtius anlegen möchten. Ist ein Garten wohl
tadelhaft, wohl minder schön, weil er nicht ist, wie
die Hangenden Gärten der Semiramis ? Ein Tempel
weniger prächtig, weil der Riß dazu nicht von dem
Tempel der Diana zu Ephesus aufgenommen ist? Und
sollen wir ein Gedicht deswegen ausstreichen, weil es
nicht nach den Regeln des Stagiriten, das Heist, nach
dem Muster der Jliade geformt ist? Gesetze, die aus
Einem Werke abgezogen sind, gelten nur von diesem
Werke, oder von einem andern, Kesten Verfaßer ausi
' drücklich den Zweck hat, das erste nachzubilden; und
ei» Kunstrichter, der nach so einseitigen Regeln aller«
ley Werke beurtheilt , lehrt uns inehr die Kunst den
Homer nachzuahmen, als die Natur. Homers G«
dichte werden immer schön bleiben ; aber andern wols,
len wir diese Eigenschaft deswegen nicht absprechen,
weil sie nicht nach eben dem Plane gebildet sind. Die«
ser Weg, aus tLinem Gedichte Regeln für die Gat
tung zu schöpfen, ist noch mit drey andern Beschwer;
lichkeiten verknüpft. SürS erste gehen dergleichen
Regeln fast immer zusehr ins Detail und man macht
oft etwas zu einem allgemeinen Gesetze , was nur eine
lesender« Wendung des ersten ist. Es ist sicher, daß
in jeder Tragödie eine Peripetie feyn muß; wer sagt
inir aber, daß diese Peripetie nothwendig in einer
Miedererkannrniß gegründet seyn müsse? Aristoteles
sagt es, wie er es in seinem Sophokles beobachtet
hatte. Er hat recht: wenn ich ein Drama, wie Soi
phocles
Erster Brief. n

phocles machen ,M, das Heist ein solches, in welchem


eine Wiedererksnntniß statt findet, fo muß — diese
Wiedererkönntniß statt finden; und folglich wird die
ganze Regel identisch. Kan ich aber nun einen Dich-
ter verdammen , der nur ein Trauerspiel giebt, in wel-
chem keine Wiedererkänntniß ist? — Surs zweyre
wie leicht ist es bey einigem Enthusiasmus, den man
für seinen Autor haben mag, einen Fehler für eine
Schönheit anzusehen und ihm selbst eine Stelle unter
den abstrahirten Regel» einzuräumen? Wie mancher,
der in gewißen Oden es wahrgenommen hat, daß der
Verstand aus einer Strophe in die andere fortgeschos
ben wird, denkt hernach, dies sey eine nothwendige
Schönheit einer horazische» Ode ! So ist «s dem gu?
ten Homer gegangen! Zuweilen schlummerte der Alts
vater auch ; aber die andächtige Nachwelt sammelte sei
ne Fehler , canonisirte sie und hob sie, wie Reliquie»,
auf. Wenn er zuweilen , oder vielmehr oft , seine
Gleichniße zu sehr ausbildet, wenn ihn seine Phan?
taste ganz vom VergleichungSPunkte hinweg und zu
Schilderungen verführt, die schön sind , aber hierher
nicht gehören 5 so kommt noch einige tausend Jghv
nach seinem Tove ein Breitinger, weißt uns an, di«
se ausschweifenden Gleichniße schön zu finden, und be>
lehrt uns, um nur zn dichten wie Homer, mit ihm
zu fehlen. Sürs dritte verhindern dergleichen abstras
hirte Regeln den Originalflug des Genies ; der arm«
Dichter kriecht unter dem Joche fort, wird einge:
schränkt.
,! Erster Brief.

schrankt, durch den Gängelwagen des Stagiriten oder


seines Urbilds geleitet, und ist nie das , was er seyn
konnte. Nie, wird er Original und alle Ehre, die er
erjagen kan, ist die, gut nachgeahmt zu haben.
Ja Freund ! wer glücklich dich copirt, -.
Ist ein Original.
So hat, glaub ich, Herr Löwen einmahl epigram-
matisirt ; und mit Recht warf man ihm die Falschheit
des Gedankens vor. Immer Copist muß ein Dich
ter seyn , der immer den Zuschnitt eines andern bey
dem seinigen vor Augen hat und welchem ein jeder
Schritt seines Vorgängers eine Regel ist. Eine noth-
wendige Folge , aus der Ueberredung , als wenn solche
Regeln, die bloß aus der Praxis eines Meisters be
stätiget sind, allgemein wären ! Wo finden wir denn
nun die allgemeinen, die ewigen, die unveränderlichen
Gesetze der Schönheit, alt wie die Welt und folglich
noch ein bisgen älter als Vater Bodmer?

Nicht auf dem Baumgartenschen Wege. Das


wäre nun freylich eine vortrefliche Sache, wenn es
«ngienge, Schönheit wie Wahrheit zu definiren,
eine Ode, wie einen Sorites, die Epopäe, wie eine
Disputation zu behandeln und aus dem gegebenen Be
griffe eines Kunstwerks durch eine Reihe von unum
stößlichen Schlügen die Regeln zu folgern, nach wel«
chen die Theile zu entwerfen, zu ordnen und das Gan
ze
Erstet Brief. ,z

ze einzurichten ist. Aber wo ist dieser allgemeine Be-


grif der Schönheit? Und woher eine vollständige De
finition der Tragödie, des Lustspiels, der Epopäe, der
Ode? Die Schönheit ist würklich ein welches
mehr empfinden als gelehrt wird *). Da sie bloß
aus dem Eindruck zu beurtheilen ist, den ein Gegen?
stand auf unsere Sinne und in unsere Phantasie macht,
da dieser Eindruck nach der verschiedenen Rcceptivität
des empfindenden Wesens verschieden sevn kan; wer
will mir dasjenige eigentlich bestimmen, was an der
Schönheit objektivisch ist? Denn dies müsie man be-
stimmen, um sie vollständig zu definiren. Einen No-
minalBegrif zu finden , dies ist keine Kunst ; aber eine
hAvistische Idee, die mir das ganze Wesen der Schön
heit vor Augen legt ? eine Fundgrube , in welcher man
alle Regeln für die Kunst graben kan ? Wer sie finden
wird, der soll meinetwegen die Phyllis allein haben. —
Schwankend und unzulänglich sind die meisten Be
trachtungen, welche unsere Aesthetiker über die Bestand-
theile der Schönheit angestellt haben ; und oft dreht sich
der definirende Kunstlehrer in einem ewigen Cirkel her
um und kommt immer in seine ersten Fustavfen zurück.
So ist es ihm in der Abhandlung über den sogenann
ten ästhetischen Reichthum gegangen. Ein jeder Ge
genstand der schönen Erkänntniß soll einen objektivi
schen Reichthum haben ^- und wenn hat er diesen? —
Wenn
Erster Brief.

Wenn er in den ästhetischen Horizont gehöret; und


der ästhetische Horizont ist der Jnnbegrif aller Gegen-'
stände des schönen Denkens. Gut nun weiß ich also ,
was ich vorher wüste, die unerhörte Wahrheit: Ein
jeder Gegenstand der schöne» Erkänntniß muß ein Ge
genstand des schönen Denkens seyn. — Vielleicht aber
ist der Aesthetiker dann glücklicher , wenn eS darauf
ankommt, von einer besondern Gattung der Kunst,
wie von der Epopäe, einen Begrif zu bilden und aus
diesem die Regeln derselben herzuleiten ; wenigstens
Herr Meier hat in diesem Fache Versuche angestellt , 5)
von welchen einige behaupten wollen , daß sie nicht
unglücklich gerathen sind. Es sey? nur bitte ich mir
eine kleine Nachricht von der EntstehungsArt dieser
Begriffe aus, woher und wie sie wohl ohngefehr wck«
ren gebildet worden. Vielleicht sind sie ganz willkühn
lich gemacht, wie etwa die Gerstenbergische Idee
vom Liede in den schleswigischen Briefen , wie verschin
dene Träume des Herrn Herders , ivie der Begrif des
Herrn M. Schmids von der Epopäe und wie fast alle
Definitionen, die sich aus den vermischten Ausdünstun
gen des Kunstrichters und des Philosophen zusammen
geballt haben. In diesem Falle überlaße ich und «edire
dem Kunstlehrer seinen Begrif, nebst allen Pertinenz-
flücken und daraus folgenden Regeln und Befugnißen,
als sein völliges Eigenthum, für ihn und für seine Er-
Ken; doch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß er
sich

') In seiner Benttheilung der Gottschedischen Dicht


kunst.
Erster Brief. >5

sich nicht «freche, jemahls nach seinen selbst erfunde«


nen Regeln irgend ein Werk der Kunst, welches schon
vorhanden ist, zu beurtheilen, oder zu verlangen, daß
irgend ein Künstler und Dichter so willkührlichen Ges
setzen in der Anlage und Ausbildung seiner Werke uns
terworfen fey. Dafür soll es dickberührtem Kunstlehs
rer hingegen verstattet seyn , nach seinem eigenen Plane
soviele und so mancherley Werke, als er selbst will,
zu verfertigen , durch seine Schüler , oder durch irgend
eine deutsche Gesellschaft verfertigen zu laßen, und die«
sei, Produkten Namen zu geben, wie er es selbst für
gut hält. — Ernsthaft gesprochen, aus willkührlichen
Begriffen folgen nur willkührliche Regeln, die nur für
den eine Verbindlichkeit haben, der jene Begriffe als
wahr annimmt. — Vielleicht aber sind diese Definis
tionen , um nicht willkührlich zu seyn , allzusklavisch
gebildet und bloß aus solchen Kunstwerken, die schon
vorhanden sind, abstrahirt; von diesen gilt alles, was
ich vorher von der aristotelischen Denkart in der Kunst-
theorie gesagt habe. Vielleicht endlich sind sie durch
die natürliche Empfindung des Schönen und durch den
guten Geschmack selbst geformt und realisirt worden;
diese möchten wohl vom grösten Gewichte seyn ; ich
werde sie genauer untersuchen und diese Untersuchung
führt mich auf die Methode Her Engelländer , in Wers
ken der Kunst zu beobachten und Beobachtung in
Theorie zu verwandeln.

Die
,6 Erster Brief.

Die hämische Denkare (so nenne ich sie von


zugsweise, weil der Lord, Kaym unter den poetischen
Beobachtern der vornehmste ist) hat vor allen andern
sehr viele VorAtheile. Man studirt mehr das mensch?
liche Herz mit seinen mannigfaltigen Wendungen und
Abänderungen; man schlißt die Empfindung auf und
verfolgt ihre Spur bis auf die innersten Schlupfwin
kel; man lernt derselben ihr Verfahren ab und un
sere Mühe wird durch eine Menge von Bemerkungen
belohnet, die nicht für den Kritiker allein, die auch
für den Künstler selbst reelle und charakteristische Regeln
sind. Aber auch allgemeine ? Sollten sie völlig allge
mein seyn, so müssen alle Menschen einerley Empfin«
dung haben, alle Eine Aussicht, Eine Denkart, und
alle die Gegenstände von Einer und eben derselben
Seite betrachten und von ihren Gegenständen einerley
Eindrücke fühlen. Und dieser Bedingung widerspricht
die Erfahrung gerade zu. Oft gefällt Einem dies,
und misfällt dem andern. Hat dieser deswegen Un
recht? Oder jener? Oder können Sie nicht beyde Recht
haben. Im Fache der Schönheit ist es nicht wie im
Fache der Wahrheit, wo unter zwo entgegengesetzten
Urtheilen nur Eines wahr, das andere falsch seyn muß.
Für mich ist das schön , was mir gefällt. Misfällt es
einem andern, so sey es immer für ihn haßlich. Ich
laße
Erster Brief. 17

laße ihm seine Empfindung; er soll mir die ineinige


laßen. Mag doch einer immer auf seinem Steckenpferd
de ruhig durch alle Gaßen forttraben, wenn er nur
nicht verlangt, daß wir hinten auf sitzen sollen. —
Es gehet dem geistigen Geschmacke, wie der äußern
Empfindung; wir wollen dem Engelländer sein Rost-
beef und dem Franzosen stine Suppe gönnen ; sie sol
len nur nicht verlangen, daß wir immer mit cßen.
Vcy seinem Nostbeef ließt der eine das vcrlohrne Pa<
radies und spottet der Hcnriade, die der andere bey
seinem Bouillon für zwanzig Millens nicht vertauschen
würde. Wir wollen also immer poetische Skeptiker
werden , und eine jede Beobachtung , die der Geschmack
erzeugt hat, so lange für einseitig, für particular hak
ten , biß sie durch die Einstimmung des Publici zu vers
schiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten ist bestas
tigt worden. Viele Stellen, die Home getadelt hat,
werden von andern gelobt , die dafür manche Wendung
aus dem Shakspear hinwegwünschen , aus welcher Ho?
me eine Regel macht.

So, dächt ich, irrte man doch wohl nicht, wenn


mau wenigstens von vielen Regein der Kunst und be,'
sonders der Poesie sagte, daß sie nicht völlig allgemein
B sind;
i8 Erster Brief.

sind; nicht allgemein in Rücksicht auf den empfinden;


den Menschen und selbst nicht allgemein in Ansehung
ihrer eigenen Ausdehnung, weil, wie schon Herr Leßing
bemerkt, eine jede derselben ihre Ausnahme leidet, die
der gute Geschmack zu bestimmen hat. Aber welche
sind nun allgemein? welche nicht? — Ueber diese
Fragen ist bey mir ein Ding entstanden, welches ich
gerne ein System hier nennen möchte. Ihnen mein
theurcster Freund, mag ich es nicht vorplaudern;, ich
habe vielleicht Ihre Gedult schon ermüdet. Lieber will
ich mich davon mit einem Paar Philosophen besprechen.
Trotz allen Parodien und politischen Schauspielen,
Leben Sie wohl!

Zwee
Zweeter Brief

.an Herrn

F löge l.

B ^
Zweeter Brief

an Herrn

Flöge l.

lein! mein vortreflicher Freund ! die Cols


lettanea , von denen Sie mir schreiben,
hatten Sie nicht verbrennen sollen. Mir
Ihrer Erfindungskunst und mit Ihrer
Geschichte des menschlichen Verstandes hatten Sie uns
ein Recht gegeben, alles von Ihnen zu fordern, was
nur noch in einem Felde zu erobern ist, in welchem
schon so viele Eroberungen gemacht sind. Sie wür
den uns in einer Theorie den schönen Künste gleichsam
den Coimnemar oder den Pendant zu Ihrer Ge
schichte des menschlichen Verstandes gegeben und die
Geschichte des Geschmacks durch alle Nationen, durch
alle Jahrhunderte fortgeführt haben ; vielleicht wäre
B z meine
2?. Zweeter Brief.

meine LieblingsGrille von der Veränderlichkeit der Kunst


regeln dadurch entweder erstickt worden, oder zur Reis
fe gediehen. Laßen Sie mich immer ein wenig von
diesen TrSumereyen mit Ihnen plaudern ! Die Sache
gehört eben für Ihr Forum. , ,

Die Börgerlichen Gesehe, sagt Montesquieu,


sollen nach dem Clima gebogen werden , nach dem
Geist des Jahrhunderts, nach dem NationalCharakter
und überhaupt nach den Umständen , unter welchen man
sie giebt. Sollte es nicht mit den Gesetzen der Schön
heit eine ähnliche Bewqndniß haben? Ohne Zweifel,
wenn es nur einmahl ausgemacht wäre, daß selbst der
gute Geschmack veränderlich und nicht immer eben der-
selbe ist, oder, daß mehrere widersprechende Urtheile
von der Schönheit und Häßlichkeit zugleich wahr seyn
können. Ich will die Erfahrung fragen ; waS ant-
«ortet sie?

Gottsched schrieb eine kritische Dichtkunst für die


Deutschen. Warum nur für die Deutschen, sagten eil
«ige f als wenn der deutsche Poet ein anderes Ge
schöpf wäre, als der Griechische. — Gottsched verstand
die Critik und bey der neuen Ausgabe ließ er den Zu
satz hinweg. Solte er eS thun? So hätte wörtlich
Marmontel keine Poetik für die Franzosen schreiben
dürfen. Ich denke doch , ein jedes Volk hat Natio-
nalquelken, gus welchen die Urtheile fließen, die von
ihm
Zweeter Brief. 2,z

ihm über das Schöne und Hute gefällt werden. Dort


würde ich also suchen und aus diesen die nothwendigen
Regeln für den Kunstrichter und für den Poeten her-
vorhohlen. Und so entsteht in mir ganz natürlich
die Idee zu einer Dichtkunst für meine lieben Lands
leute, die Deutschen.

Ganze Nationen widersprechen einander in den Urs


theilen des Geschmacks und der Empfindung des Guten
und Schönen. Die Römer wunderten sich , oder spotte«
ten, wenn sie hörten, daß Epaminondes mit Fleiß die
Musik gelernt , zierlich getanzt und künstlich auf der Ms
te gespielt habe. Aber, fetzt der Schriftsteller hinzu,
diese Herren, die den Charakter der Griechen zu w«
nig kennen und alle andere nach sich beurtheilcn , soll
ten wißen , daß nicht einerlei) allen gefällt und daß bey
der Beurtheilung des Wohlstandes und ahnlicher Din
ge viel auf die Gewohnheit und auf die hergebrachte
Sitte ankömmt. Cimon konnte immer seine leibliche
Schwester zur Frau haben ; können wir es ? Die Kna-
benliebe war in Griechenland nichts schändliches; bey
uns auch? Eine Witbe von Stande durfte in Sparta
auf das Theater treten und eine Rolle spielen; darf
sie es jetzt?

Wie die Principien des Wohlstandes , so veränder-


lich sind auch die Urtheile in Sachen , die Schönheit
betreffend. Wenn Buttler von Caldaunen, vom
B 4 Schwan
2.4. Zlveeter Brief.

Schwänze der Justiz und von andern Dingen spricht,


die ich nicht nennen mag ; so hat er wohl gethan , da
er für Engelländer schrieb, die dergleichen natürliche Din
ge nicht für schändlich hatten. Da aber einer meiner
Kunstcichter es tadelte , daß ich in einer deutschen Theos
rie dergleichen Beyspiele angeführt,habe ; so gab ich ihm
recht und sogleich durchstrich ich in meinem Eremplare
die getadelten Stellen. Der orientalische Dichter wagt
kühne Vi'lder ; seine Phantasie rollet dahin , schweife
aus von einer Blume zur andern , von einem Gleichniße
auf das andere, verwegen in Erdichtungen, in Met«?
xhern , in Tropen , in Figuren. Wohl ihm ! er hat für
feine Nation geschrieben. Wenn aber unsere Deutsch-
Orientalisten eben das thun, wer soll sie lesen? Der
Morgenländer kan nicht , der Deutsche will nicht ; jfür
sich allein also haben sie ihre Werke verfertigt. Ver
gleichen Sie die Musik der Jtalianer und Franzosen,
die Tänze der letzter« und der Engelländer , nehmen sie
immer auch einen guten drollichten CrocttenTanz hinzu ;
( eine wahre Schule für den Künstler , der die halbnackende
Natur studiren will) nun sagen Sie einmahl, welcher
Geschmack der beste ist. „ Der Geschmack der Na-
tur. „ — Gut ! So verschieden also die Natur des
Welschen, des Franzosen und des Croaten ist, so ver
schieden ist auch ihr Geschinack ; und alle haben Recht,
jeder nach seiner Art»
Zweeter Brief. 25

Religion , Gewohnheiten , Traditionen , Vorurthei-


le der Nationen , ihr Stolz , ihr Charakter , ihre Spra
che, ihre NegierungsForm , ihre Känntniße und hundert
andere Punkte zusammengenommen müssen nothwendig,
sobald sie in der Mischung erscheinen, ihre Urtheile auf
eine ganz verschiedene und abstechende Art färben ; Beson
ders die Sprache, die gewis auf das Gerippe der Ge-
danken mehrern Einfluß hat , als man insgemein glau
bet. Nichts ist abentheuerlicher , als die Sprache der
einen Nation nach dem Muster der andern zu formen.
Modeklagen von den Mangeln der deutschen Mundart
hören wir genug ; aber wenige Patrioten finden sich,
die den Dialekt der Deutschen aus sich selbst verbeßern
wollen. Der eine schneidet sich einen Rock nach der Rö-
mischen Toga , der andere nach der Rüstung der griechü
schen Helden , der dritte nach dem Neglige' des Franzo
sen , der vierte nach dem KlornmgK g«>vil oder KesclinZ
Zosci des Britten ; der fünfte mischt alles durch einander
und so entsteht ein buntes Ding , die wahrhafte Montur
eines Polichinello , oder Don Fastidio du Fastidii. Laßt
uns doch auf deutschen Wegen gehen ? Wie mancher Edel-
gestein liegt noch im Kothe des Philanders von Sit
tewald , der Fruchtbringer , der Hans Sachsen , der Lo
hensteine, und anderer, die wir nicht lesen, als um ih-
rer zu spotten ? — Dafür haben wir freylich mit andern
Herrlichkeiten unfern Sprachschatz bereichert , mit blau«
augigten Dirnen, mit rosenwangigten Mädgen,
mit hirschfüßigen Laufern, mit erzstirmgten Schlacht-
B 5 schützen.
Zweeter Brief.

schützen, und andern griechisch .' demschlallenden En-


tibuS inehr.

Nach solchen Ideen würde ich meinen Standort


wählen, wenn ich das Geschick, ober die Muße hätte,
eine Poetik der Deutschen zu schreiben. Der Charakter
der Nation und ihre Denkart müste zum Grunde gelegt,
mit dem Charakter anderer poetischen Völker verglichen
und daraus die wahre Temperatur bestimmt werden,
nach welcher die deutsche Muse deutsch singen muß. Ich
untersuchte ferner nach Findeisen und Herder, die Natur
unserer Sprache, ihren Einfluß auf die Gedanken selbst,
auf ihre Ausbildung und Ordnung, nebst den Wegen,
wie sie zu verbessern wären. Ich würde wie eine poe
tische Topik , die verschiedenen Felder der Mythologie in
eine Landcharte bringen ; die griechische , wieferne sie ^
für uns ist und nicht ist ; die altdeutsche , bardische , skals
bische ; das System unserer Religion ; unsere Vorurtheis
le von Zaubereyen , Gespenstern, Ahndungen, Wahrsa-
gen : einige dieser Stücke geben uns ernsthafte , andere
aber komische Maschinen. Die Geschichte der Deutschen
lieferte mir Helden, die zu besingen, Scenen, die zu
schildern wären ; und nach dieser Anlage wanderte ich
theils durch die allgemeinen Regeln der Poesie, theils
durch ihre Gattungen fort und zeigte überall die Abän
derungen, welche der Charakter der Deutschen in den
angenommenen allgemeinen Regeln zu machen befiehlt,
und die ferner« Bestimmungen, welche er noch hinzu
Zweeter Brief. 17

setzt. So ein Werk, wie ich es im Sinne habe, wäre


Wohl nicht unrecht; aber ich entwerfe es und meine Kin>
der mögen es schreiben!

Auch der Geschmack verschiedener Zeiten ist ver?


Znderlich; nicht so sehr, als der Geschmack der Nation,
aber doch immer veränderlich. Die Nachwelt gegen
die .Vorwelt ist immer billiger, als eS nie eine Nation
gegen die andere ist. Nur selten giebt sich ein Volk
die Mühe, sich mit der Denkungsart des andern bes
kannt zu machen, sich in den Standort des andern, zu
versetzen und dann zu urtheilen. (Wir Deutsche sind
noch immer in diesem Stücke gefälliger gegen unsere
Nachbarn, als es diese gegen uns sind.) Hingegen
die Nachwelt studirt sorgfältig die Religion, die Ge
schichte, die Sitten und die Gebräuche der. Alten, und
ist geneigt, fast immer , die PerraultS ausgenommen,
sehr billig, voll von Hochachtung zugleich und von
Nachsicht, über die Alten zu richten. Sie betrachtet
an ihren Werken mehr die allgemeinen Schönheiten,
übersieht die einzelnen Fehler , oder schaft sie durch eis
nen kritischen Aberglauben zu Tugenden um. Und doch
begegnen uns noch immer in den Werken unserer Bors
fahren Steine des Anstoßens ; wir zucken die Achseln
und sind wenigstens geneigt, sie zu entschuldigen. Per-
raults Parallelen, und wenn sie ohne allen Geschmack
gemacht wären, enthalten doch einige Beweise, daß
manches der Vorwelt gefallen und mit Recht gefallen
' kan.
28 Ztveeter Brief.

kan, was der Nachwelt misfällt und mit Recht mis?


fällt. Aus diesem Grunde habe ich an einem andern
Orte das Mcinhardische Vorhaben den Homer zu über«
setzen nicht gebilliget, wenn ich gleich weiß, daß die
Deutschen so ekel und unbillig nicht sind wie die Fran
zosen und also auch den Homer mit seiner antiken Mine
sehr geneigt aufnehmen würden, wie sie zum Beyspiel
im Milton nicht die Hälfte von dem komischen finden,
was unsere leichtsinnige Nachbarn darinn zu finden
glauben *). Herr RIorz giebt meiner Meinung, nicht
durch seinen Namen, denn Namen wollen wir hier
nicht gelten laßen, sondern durch seine Erlauterungen
ein betrachtliches Gewicht. 5*) „Ein großer Thcil
des Homerischen Schmucks bestehet in seinen Beywörs
tern. Diese, eimnahl glücklich erfunden, sind dann die
/ eigenthümliche Charakter eines Gottes, Volkes oder
Helden und durch sein ganzes Gedicht werden sie die^
sen Gegenständen beygefügt. Aber eben diese Beywör-
«er laßen sich nicht in unsere Sprache übersetzen, (denn
man sage einmahl: wohlgestiefelt, schnellfüßig,
Mberfüßig, wie es einige versucht haben, und sehe,
ob man nicht eben so lächerlich werden wird, als diese.)
und nimmt man den allgemeinen Begrif, so wird doch
daS Bild ungemein geschwächt. , Ferner, wer will es
jetzt

Man vergleiche das 4Zte Stück der Braunschweü


gischen neuen Zeitungen vom Jahr i?««.
") S. die Deutsche Bibl. i B. m. St. S. 7.
Zweeter Brief. 2,9

jetzt wagen, die wirthschaftlichen Worte in unsere Spra


che überzutragen? Unsere Sprache hat viele Worte >
die nicht so edel sind, daß man sie m einem Gedicht,
besonders in einem epischen, brauchen könnte. Das
Wort Bratspieß würde eine ganze Seite der besten
Hexameter verstellen. Will man diese Stelle weglast
sen , so liefert man uns nur den halben Homer. „ -)

Ich darf so gar noch behaupten , daß jeder Mensch,


wie seinen eigenthümlichen Charakter, so auch seine»
eigenthümlichen Geschmack hat; thut er Unrecht, wenn
er ihm folget? Noch eher sind die Urtheile mehrerer
Menschen über Wahrheit und Sittlichkeit mit einans
der zu vereinigen, als diejenigen, welche sie über das
Erhabene und Schöne fällen. Wenn also der eine nach
seiner Empfindung denkt, schreibt und urtheilt, so würs
de ein anderer, der jenem geradzu folgen wollte, sich
Feßeln anlegen und fein eigenes Gefühl verläugnen.
Dieser Unterschied in den Urtheilen der Menschen über
daS Schöne in der Natur und Kunst ist freylich nicht
immer hervorstechend genug, um bemerkt zu werden,
theils weil doch die meisten in den meisten Punkten
mit einander übereinkommen, theils, weil man oft,
aus Furcht ausgezischt zu werden, es nicht wagt, mit
einer
») Auch HomerS Mahlereyen, die so sehr bewunt
den werden, schicken sich für unsere Denkungsart
nicht. Eine Stelle aus Herrn Wielands «mische»
Erzählungen (S. i66. 167. der neuen Auflage)
verdient Hey dieser Gelegenheit gelesen zu werden.
Zweeter Brief.

einer Meinung öffentlich hervorzutreten > die der gemei,


nen Meinung widerspricht. Bey Leuten von einer bes
sondern Laune wird die Verschiedenheit sehr sinnlich.
Diese laßen sich mit ihren Gesinnungen ohne Zurück''
Haltung in ihrer wahren Gestalt sehen; ihr Humouv
ist ihnen lieb und auch wir sehen ihnen gerne zu, wenn
sie ihr Steckenpferd reiten; was sie sagen, gefallt uns,
und in jedem andern Munde wäre es vielleicht Unsinn
gewesen. Laßt einmahl einen deutschen Superintenden
ten so predigen, wie Yorck, wenn anders Sterne
diese Predigten jemahls gehalten hat! Laßt Gelern
so mahlen, wie Hogarth^ ZacharmN singen, wie
Buttler.' Rabenern so spotten, wie Churchill! —
Eine artige Figur würden öiese Manner in^ einer Laune
machen, die ihnen fremd ist, wenn sie es auch den
Deutschen nicht wäre. Die Rreuzzüge öes philolo-
gen lese ich immer «och gern ; ich weiß , es ist sein ei«
Zener Humour, den er für sich »allein Hat und für
sich behalten mag ewiglich ; ich studiere sie so gar und
freue mich , wenn ich ihn endlich so verstehe, daß ich
zur Roth sein Scholiast werden könnte. Wenn aber
Hewiße neuere Scribenren seine Posituren nachinachen ,
ohne die eigenchümliche Wendung seinesKopfs zu haben ;
dann sehe ich öen wahrhaften Statthalter der Insel
Baralana, öer bey aller Mühe, die er sich giebt , den
Statthalter zu machen, noch immer der alte Panßa
bleibt. Laßt doch jedem sein Eigenthum.' was in sei
nem Munde schön ist, wird häßlich, wenn es ein am
derer
Zweeter Brief. Ii

derer sagt und selbst ein Fehler kan bey ihm eine Schön-
heit werden.

„ Eine Schönheit? Um Vergebung, mein Herr


„ Riedel! Ein würklicher Fehler wird nie eine Schön;
„ heit. „ *)

Und auch um Vergebung mein Herr Dtsch .' Wenn


ein Lehrling , mit seinem Pomey , oder Hederich in der
Hand , alle Unsterblichen in sein sterbliches Lied bemü
het, jedes HochzeitGedicht mit den Musen und dem
Apoll anfängt, mit Venus und mit Amor fortsetzt und
mit Hymen beschließt, den armen Jupiter zu einem
Scherwentzel macht , der alles thun muß , was niemand
Vielleicht mit Anstand würde gethan haben — so sage
ich, die Einwebung der alten Mythologie ist hier ein
Sehler. Wenn aber Ramler das alte Göttersystem
als eine Hülle braucht, neuere Begebenheiten darunter
zu verbergen, als eine Farbe, bekannten Dingen einen
neuen Anstrich zu geben , als eine poetische Hevristik —
so sage ich, die Einwebung der alten Mythologie ist
hier Fehler und Schönheit. Ramler fehlt allenfalls
durch einen Anachronismus, aber ohne diesen Fehler
würden wir die Hälfte seiner vortreflichsn Gedichte ha
ben entbehren müßen. Der Dichter hat seine eigene
Denkungsart, die wir ihm laßen wollen; und wenn
wir ihn tadeln, so irift unser Tadel weniger ihn, als
seine

*) Hall. D. Bibl. l B. t. St. S. Z4.


Z2 Zweeter Brief.

seine Nachahmer, die Ramlerisch dichten wollen, ohne


einen Ramlerischen Kopf zu haben.

Jtzt wollen wir mit einander zusammenrechnen.


Wenn der Geschmack die Regel der Schönheit ist , wenn
ferner der Geschmack der Nation, der Zeiken, der
Personen unendlich verschieden ist, ohne daß wir die
jenigen mit Grunde tadeln können , die anders schme
cken, als wir; so folgt nothwendig , daß selbst der
gute Geschmack veränderlich und nicht immer
eben derselbe ist, oder daß mehrere widerspre
chende Urrheile von der Schönheit und Häßlich
keit zugleich wahr seyn können. Die Sache scheint
richtig zu seyn; aber noch habe ich sie nicht bis an die
erste Quelle verfolget, aus welcher die Veränderlichkeit
des Geschmacks entspringet. Ich will es wagen, über
diese Matene zu xhilosophiren und , um Sie , mein
Freund, nicht durch mein ewiges Geschwätz zu ermü
den, mein Systemlein einem andern Philosophen zur
Prüfung vorlegen. Ich bin u. s. w.

Drit«
Dritter Brief

an den Herr»

Moses Mendelssohn.
^ ?! , ^ ' ^,
D r i t t e r B r i e f

. „ an den Herrn >

Moses Mendelssohn.

<^hnen , mein Theurester Herr , gebührt baS


Nichteramt über die folgende Abhandlung ;
Ihre Briefe und Ihre Rhapsodie gebe»
Ihnen den besten Anspruch darauf. Von den besondern
Ansprüchen mag ich nichts hinzusetzen , damit nicht
wieder 'ein Ziegra * ) komme und sage , „ ich spräche von
C ^ „ d«

" ) Antikritikus der erste und Herausgeber der


beliebten Hamburgischen Nachrichren aus dem
Reiche der Gelehrsamkeit. Antir'ritir'us der
zrveete ist bekanntermaszen der Commemar über
diese Blätter , die unter dem Namen der schwar«
zen Zeitung berühmt sind. ^ ^
;6 Dritter Brief.

„ denen, welche den Ton im Reiche des deutschen Wi-


„ tzes angeben , immer mit dem Hute in der Hand un-
„ ter beständigen Verbeugungen ; sie ließen mich aber
„ auch die Früchte meiner Ergebenheit einerndten und
„ meine Sachen würden wer weiß in wie vielen Zeitunl
„ gen und Journalen über alles erhoben. „ Bravo
Herr Ziegra !

Freylich stört eine allzusorgfälrige Zergliederung der


Schönheit das Vergnügen , welches der Genuß uns ge
währen tan. * ) Wenn aber der Freund der Wahrheit
in dieser Zergliederung nur Eine neue Aussicht erblickt,
nur die geringste Entdeckung macht ; so wird er für die
Entbehrung des Vergnügens aus dem Genuße hinläng-
lich entschädiget und angefeuert, sich mehrmahlen auf
eine geistige Art zu casteyen , um nur dadurch seine
Wißbegierde zu befriedigen. Wir wollen also immer über
das Wesen der Schönheit und ihre Regeln philosophiren ;
zu einer andern Zeit soll uns ihr Genuß vergnügen , der
eine lebhaftere Wollust erzeuget, wenn er sparsamer und
seltener empfunden wird.

Ist die Schönheit eine innere Eigenschaft der


Dinge , die wir schön nennen , und kömmt sie den Ge
genständen schon für sich betrachtet zu , wie die Vollkom
menheit, ohne Rücksicht auf ein empfindendes Wesen?
Mir da'ucht, diese Frag? ist ziemlich einerlei) mit der,
ob

*) S. den ersten Brief über die Empfindung.


Dritter Brief.

ob Süßigkeit und Bitterkeit Beschaffenheiten sind, die


in dem Gegenstande vorausgesetzt werden und durch weis
che der Gegenstand süß und bitter seyn würde, auch ohne
Beziehung auf irgend einen Geschmack, der ihn empfin
det. Zwar ist in dem Gegenstande eine gewiße Beschaf
fenheit , durch welche er fähig wird , das Gefühl der
Süßigkeit zu erregen z die Süßigkeit aber ist nicht in
ihm, sondern in der Empfindung. „ Ralt, heiß, Kit«
„ ter, süße bedeutet die hervorgebrachten Empfinduns
„ gen in unserer Seele, mit welchen die Gegenstande vieb
„ leichti keine Aehnlichkeit haben. Und eben so bedeu-
„ tet die Schönheit , wie andere Namen der sinnlichen
„ Ideen, eigentlich die Vorstellung eines Geistes. „ *)

Wenn ich sage, ein Gegenstand sey schön ; so


will ich in der That sagen: er gefallt mir. Allein da
wir immer gewohnt sind, einen unvermerkten Schluß
von unserer Empfindung auf die Empfindung anderer zu
machen , so drücken wir unser Wohlgefallen allgemein
au«, als wenn das, was uns gefällt, jedermann ge<
fallen müße ; das ist : wir nennen den Gegenstand , der
uns gefallt, schön. Die Schönheit ist also keine innere
Eigenschaft der Dinge ; sie ist mehr eine Beschaffenheit
unserö Gefühls und des Eindrucks , welchen die Sachen
C , in

5) Hutcheson in der Untersuchung unserer Begrif


fe von Schönheit und Tugend, S. i? der deut
schen Ausgabe,
;8 Dritter Brief.

in uns hervorbringen. Ihr Begrif darf nicht aus der


Natur der Gegenstände abgesondert werden und eine voll
ständige Definition von der Schönheit ist so unmöglich,
als von der Süßigkeit , Bitterkeit und ähnlichen unmit
telbaren Ideen der Empfindung. Wenn wir sagen , das
fey schön , was uns gefällt , so ist dies bloß ein Nominal-
Begrif, in welchem das Wort und nicht die Sache er
klärt wird. Und wenn wir behaupten, die Einförmig
keit in der Mannichfaltigkcit erschöpfe das Wesen des
Schönen , so kan diese Idee , wenn sie richtig ist , nur
für einen genetischen Begrif hingehen, der uns beschreibt,
nicht was die Sache ist, sondern woher sie entstehet.
Gegenstande , in welchen Einförmigkeit in der Mannich-
faltigkeit empfunden wird, gefallen uns ; sie bringen
also die Idee der Schönheit in uns hervor , obgleich das
Wehn derselben nicht in der Einförmigkeit und Man-
nichfaltinkeit bestehet. Di.' Idee der Schönheit ist von
gleicher Art, wie die Begriffe, die wir von den Bewe
gungen unserer wollenden Kraft haben. Freude, Mit
leiden, Angst, Furcht, Schrecken — lauter Beschaffen
heiten, die wir empfinden, nicht aber im eigentlichen
Verstände erklären können. Und wagen wir es, sie zu
erklären , so erklären wir entweder blvs das Wort durch
gleichgeltende Ausdrücke , oder wir bestimmen ihre Enti
stehungsArt, ihre Ursachen , so gut wir können, und
überlaßen das übrige der Empfindung.

Der Begrif des Guten und Bösen entstehet i»


uns fast auf eine gleiche Weise , wie der Begrif des
Schö
Dritter Brief. 59

Schönen und Häßlichen. Indem sich Dämon in ei


ner lebhaften Phantasie ein Bild von Phyllis abinaht
let, das blaue Auge, die sanfte sittsame Mine, daS
schwarze Haar, den strebenden. Busen , den Grazien«
mund, den regelmäßigen Wuchs, die melodische Stiutt
>ne ; fragen Sie ihn jetzt, ob Phyllis zu küßen, nicht
etwas Gutes sey? Allerdings etwas Gutes, wird er
antworten; und nun fragen Sie ihn um die Ursachen,
weswegen er einen Kuß von Phyllis gut nennet. Er
wird Ihnen hundert Gründe, und noch hundert ans
führen und alle diese Gründe werden , wenn man ihs
rer Entstehung nachspürt, aus der Quelle herfließen:
Ein Kuß von Phyllis ist in Dämons Meinung gut, -
weil ihn Dämon will. Gut und Böse sind daher,
nach ihren Ursprünge, Begriffe, die nur Beziehungs?
weise gedacht werden, in Rücksicht auf ein Subjekt,
welchem etwas gut oder böse seyn soll. Was ich
will, das nenne ich mir gut; ein anderer verabscheut
eS vielleicht und dann kan er es immer für slch böse
nennen.. Ein dritter ist gleichgültig dabey, weil er,
ohne den Gegenstand zu verabscheuen, doch keinen Triebs
fühlt, ihn zu besitzen.

Und eben so sind unsere Urtheile über die Schön«


heit und Häßlichkeit beschaffen. Dämon nennt Phyl
lis schön, weil sie ihm gefällt und um sein Wohlg«
fallen zu rechtfertigen, wird er Ihnen eine Menge
von Ursachen vorzählen, die. sich alle zuletzt in dem
C 4 Wohl-
4c> Dritter Brief.

Wohlgefallen vereinigen und «n die er nicht würde ge


dacht haben, wenn nicht sein Geschmack die Sentenz
von der Deduction gesprochen hätte. Wir sind also
bis jetzt noch nicht berechtiget, eine Sache, die uns
schön ist, überhaupt schön; die uns häßlich ist, übers
Haupt häßlich zu nennen; es sey denn, daß wir von
der Uebereinstimmung fremder Empfindungen mit den
unsrigen völlig überzeugt wären.

Wenn nun die Schönheit keine innere Eigenschaft


der Gegenstände ist, die wir schön nennen, wenn sie
diesen bloß in Rücksicht auf das Urtheil unserer Ems
pfindkma beigelegt wird; so folgt, daß Ein Gegenstand
bald schön, bald häßlich seyn könne, nachdem er von
verschiedenen Subjekren empfunden wird, so wie Pums
pernickel für einen westphälischen Magen gut und für
ein Hoffräulein böse ist. Hipparchia wird es , viel-
Kickt weil sie befürchtete, wegen ihres drollichten Ges
schmacks ausgelacht zu werden, nicht gewagt haben,
den mißgeschcissenen , dürren , gelben , gebrechlichen Cra«
tes gerade zu schön zu nennen ; für sie war er es
doch, und da sie sagte, daß er ihr gefiel, so sagte
fix in der That, nur mit andern Worten, daß er für
sie schön sey. Für ihre Eltern , für ihre Gespielinnen
war er es nicht ; und sie hatten Recht , ihn häßlich zu
nennen, weil er ihnen nicht gesiel: aber hatte Hjppar«
chia Unrecht? Wenn Crates auf sie einen solchen Ein
druck
Dritter Brief. 4r

druck machte, wie Seladon auf Procris, wer kan es ihr


verdenken, daß sie nach diesem Eindrucke sich zu seinen -
ZZortheile erklärte ? — Nun tadelt mir einmahl den
Geschmack eines Tqvassouw , der seine Rnonmqvaiho ^
st liebenswürdig find«, wie Cephalus die Aurora.^,.'
Freylich würde ich bey so hottentottischen Schönheiten
mich nicht sehr gerührt finden , besonders tKe gz«icl
benlitx «s Ker br«it,, vkiek cle5eenrlecl t« K« nzvej^
Und es wandelt mir ich weiß nicht was an , wenn ich
mir ihren Brautputz , ihre hochzeitliche Kleidung vorstels
le ; 8K« lprinKIecj Ker limbs «itk voocl > «sk«, zncl
per5„„,ecl tkem «itk tKe cluog o5 8tinKKilei». tter
.rms zncl legs «ere entvinecl vitk tKe fKininK entr.ZK
os tteiser ? krom lier neck tkere Kunz s ponck com»
posecl «f tKe st«m«ek «f 2 Kici : tKe wings «5 sn ottrick
«verskzcioweci tKe geckx promontorxe» bekincl u. s. w.
Hebe dich weg von uns ! würden wir ausrufen, wenn ei<
ne solche Braut sich uns nähern wollte. Aber der G«
schmack ist verschieden , und wenn sie nur für den
Tqvassouw schön war, was gehet es uns an ?

„ Das Heist, wird man sagen, die Sache üben


„ treiben. Wenn man etwas will , so ist man durch
„ seine Neigung noch nicht befugt, es gut zu nennen;
,/ und eben so wenig können wir aus unserm Wohlgefals
„ len einen Schluß auf die Schönheit des Gegenstandes
/, machen. Ich bin verbunden , bey einer jeden in mir
„ entstandenen Begierde mich selbst zu fragen: Durftest
C5 7/ du
42 , Dritter Brief.

„ du dies auch wollen ? Ist es dir auch würklich gut?


5, Warum soll ich nicht auch, wenn mir etwas gefallt, es
„ untersuchen , ob eS mir gefallen sollte und ob es würks
„ lich schön ist? So wie Gesundheit, Tugend, Weisi
„ heit , Vergnügen , Zufriedenheit allgemeine Güter für
„ alle Menschen sind, Güter, die ihr Gutseyn in sich
haben; so muß es auch Gegenstände geben, die für
„ sich selbst betrachtet schön sind und von allen Men-
„ schen, die ihre Empfindung nicht unterdrücken, schön
„ gefunden und für das erkannt werden, was sie sind.,,

Zuviel, zuviel auf einmahl 5 Viel wahres , aber auch


etwas falsches. Wir wollen die Sache genauer unter?
suchen.

Man unterscheidet , und mit Recht, das anscheö


nende Gute von dem, was würklich gut ist. Gut
«enne ich , was ich will. Habe ich Grund , es zu wol?
jen, stimmt meine Begierde mit den Grundsätzen der
Sittlichkeit überein; so ist es ein wahres Gut, da
im Gegentheile oft etwas nur gut scheinet und in der
That böse ist. Kan man nicht diese Begriffe auch auf
die Schönheit übertragen? Fast alle Philosophen haben
es gethan. „ Schön nennen wir, was uns gefällt.
„ Ist unser Wohlgefallen gegründet, stimmt unsere
„ Empfindung mit den Grundsätzen des Geschmacks
„ überein; s, ist die Sache würklich schön; sie ist
„ es nur dem Scheine nach, wenn uns etwas g«
„ fällt.
Dritter Brief. ^

„ fällt, was uns misfallen sollte, wenn unser Gefühl


„ uns betrüget und die Schönheit vorspiegelt, wo kei-
„ ne ist. „ — Ich glaube nicht, daß dieser Unter
schied völlig richtig ist. Das Gefallen tan keinen sol
chen Gesetzen unterworfen werden, wie das wollen,
weil dieses durch die Freyheit umgelenkt werden kan ,
jenes > aber bloß Empfindung ist und für sich keine Mos
ralilat hat. Es ist strafbar, das Böse anstatt des
Guten zu wählen ; kan aber wohl der Herr Canonicus
Ziegra bey dem hamburgischen Rache verklagt werden,
daß ihm alles das mißfällt, was von dem beßern Theile
des Publicum schön gefunden wird? Ein Gegenstand,
den wir gut nennen , wird dadurch würklich gut , wenn
er, verglichen mit uns, unsere Vollkommenheit beförs
dert? hier ist also unsere Idee von der Güte nur der
Probierstein, nicht aber der NZaasstab. Hingegen
in Sachen die Schönheit betreffend ist die Empfindung
nicht nur die Richterin, sondern sie ist es auch selbst,
welche macht, daß uns etwas gefallt und folglich schön
ist. Ein jeder hat also das Recht, Dinge schön zu
nennen , wenn sie ihm gefallen ; häßlich , wenn sie ihm
mißfallen. Wird min alle Schönheit nach dem Scheis
ne gemeßen; was bekümmere ich mich darum, ob ei»
anderer eben die Erscheinungen hat, oder nicht hat,
die ich habe? Auf diese Art wäre die Schönheit uen
önderlich und so wären es auch ihre Gesetze, so selbst
die Regeln, nach welchen die Werke der Kunst zu
beurtheilen sind. Es ist mit der Schönheit nicht, wie
, mit
44 Dritter Brief.

mit der Wahrheit. Wenn ich etwas mit Grunde wahr


nennen will, so muß eS würklich auch außer meiner
Idee sich so verhalten, wie ich es mir vorstelle. Die
Schönheit ist aber bloße Idee, bloßes Wohlgefallen
in der Empfindung eines Objekts; so bald dieses, da
ist , so ist Schönheit da , mag doch das Objekt beschaf
fen seyn, wie eS will.

„ Welch eine Verwirrung ! ruft hier der Dogm«5


„ tiker aus. Durch einen so skeptischen Grundsatz könns
„ te man alle Regeln auS der Welt hinaus zweifeln.
„ Jetzt kan ein Schönaich kommen und sagen : Mein
„ Herrmann gefällt mir ; schön ist er also trotz allen
„ Kunstrichtern, Beobachtern und Liebhabern, die das
„ Gegentheil sagen. Und Bodmer wird jetzt im
„Stande sevn, alle seine poetischen und prosaischen
„ Mißgeburten von der 8>nc>g„tK an biß auf seine
„ politischen Schauspiele zu vertheidigen , wenn er nur,
„ mit noch einem Paar Patriarchen am Fuße des Ber?
/, g<s Jura, sie schön findet. Das Heist zu weit gehen
„ und die ganze Kunst des Dichters in ein Ohng«
„ fähr verwandeln, wo es ein bloßer Glücksfall ist,
„ wenn wir Leser antreffen , deren Empfindung Mit
„ der unsrigen übereinstimmet. „

Ich will also wieder einlenken, wenn ich zu weit


gegangen bin.
Das
Dritter Brief. 4z

Das Urtheil, welches ich über Schönheit und


Häßlichkeit spreche, nachdem mir etwas gefällt, oder
miSfällt, ist mein Geschmack. Wenn ist dieser rich«
rig, und wenn betrügt er mich?

„ Richtig, sagen einige, ist mein Geschmack,


„ wenn er nur das für schön hält, was würklich schön
„ ist , nur das für häßlich , was würklich häßlich ist.
„ Unrichtig ist er, wenn er mich verführt, auf eine
„ entgegengesetzte Art zu urtheilen, bey 'Wielanden
„ zu gähnen und beym picander zu lachen. „

So springen wir mit einander herum und koms


men wieder auf das, was ich vorher widerleget habe.
Denn wenn man nun bestimmen soll, was würklich
schön ist, so bemüht man sich, das Schöne an den
Gegenständen zu finden, welches doch bloß in unserer
Idee und Empfindung sollte gesucht werden. In einer
Aesthetik würde ich sagen : die Schönheit ist bloß subs
jektivischer Natur , nicht ab« eine objektivische Be«
schaffenheit der Sache, die man schön nennet. Es ist
zwar in der Sache selbst, die empfunden wird, allemahl
etwaö anzutreffen, welche« das Gefühl in uns hervor-
bringt , durch welches wir auf eine sinnliche Art er«
götzt werden. Allein dies ist nicht die Schönheit der
Sachr, sondern nur diejenige Seite derselben, aus de,
ren Empfindung die Schönheit in unserer Idee ent
stehet.
46 Dritter Brief.

stehet. Man schöpft auch einige Grundsätze der Schön-


heit aus der Natur der Gegenstande selbst ^ aus ihrer
Proportion , aus dem Ebeninaaße , der Ordnung , Re
gelmäßigkeit , Zweckmäßigkeit, Einförmigkeit, Mannig
faltigkeit und so weiter. Man demonstrirt diese Re
geln sogar; allein noch keiner hat es demonstrirt, daß
Ordnung , Harmonie und Regelmäßigkeit uns noth-
wendig gefallen und folglich schön seyn mSßen. Niel-
leicht könnten die Principien unserer Empfindung an
ders gemischt , anders eingerichtet, vielleicht so gestimmt
seyn , daß gerade das Gegentheil, daß Unordnung, Dis
harmonie und Unregelmäßigkeit unser Wohlgefallen er
regte und von uns schön gefunden würde. Oft gefallt
uns auch das Regelmäßige und Zweckmäßige nur des
wegen, weil sich das Vorhersehen eines gewißen Vor-
theils, einer Bequemlichkeit zum Beispiel, mit in das
Gefühl mischet; und dieses iinereßirte Wohlgefallen ist
nicht von der Art , daß es einen Probierstein der Schölls
heit abgeben könnte. Dies ist der Fall bey der Re
gelmäßigkeit in der Architektur und in der Kunst einen
Garten anzulegen. Oft gefällt uns auch selbst das Un
regelmäßige durch seine Neuheit und deswegen, weil
KSe Menschen immer geneigt sind, das Sonderbare zu
lieben. Und überdies glaube ich nicht, daß man im
mer völlig und mathematisch bestimmen kan, was ei
gentlich regelmäßig zu nennen sey. Insgemein nennt
wan das regelmäßig, was wir gewohnt sind, an al«
K» Dingen, die uns von einer gewißen Art bekannt

! !, , sind.
Dritter Briefs 47

sind, ordentlicher Weise anzutreffen; und die Ausnah


men machen alsdann das Unregelmäßige aus. Laßt
uns also in das Land der Kröpfe und der Buckel Hins
gehen ; Kröpft und Buckel sind dort gewöhnlich, sie
sind also dort regelmäßig; wie werden nun wir mit
unseren Ausnahmen von der Regel, mit unser« ebenen
Hölsen und geraden Rücken von den Spöttern verlacht
und von einigen gutherzigen Seelen bemitleidet wen
den! Was also an einem Orte regelmäßig ist, das kan
an einem andern unregelmäßig seyn ; und so entstünde
uns wieder eine Regel der Schönheit, die nach den
Umständen veränderlich ist. Endlich kan auch die Schön«
Heit in ihrem ganzen Umfange nicht nach dergleichen ob-
jektivischen Gesetzen ermeßen werden. Ordnung, Pros
portion und dergleichen Ideen bestimmen , wenn es hoch
kömmt, einige Klaßen der äußerlichen Schönheit, die
aus der Zusammensetzung einzelner Schönheiten entstex
het. Wo sind aber Nun die objektivischen Regeln für
die Schönheit in einzelnen Empfindungen einzelner Fan
ben und Töne, für die Beschaffenheiten des körper
lichen Geschmacks, Gefühls und Geruchs und für das
weit größere Feld der inneren Empfindungen?

Wenn wir lange genug eingerißen haben , so müft


stn wir uns bemühen, so gut wir könne», auch wieder
zu bauen. Ich habe bewiesen , daß die Schönheit w«
nigstens geradezu nicht objektivisch ist, nicht aus allg«
weinen und objektivifthen Regeln kan beurtheilt wer
den.
qS Dritter Brief.

den. — Soll sie also noch eigenen Gesetzen uyterwort


fen seyn, so bleiben uns keine andern übrig, als die,
welche sich blos auf unsere Empfindung und auf unfern
Geschmack gründen. Wiefern sind nun diese verän
derlich, wiefern sind sie allgemein?

Daß ein ruhender Körper durch einen hinlZngli-


chen Stoß in Bewegung gesetzt wird, daß zween feste
Theile vermittelst einer flüßigen Substanz aneinander
hängen können, daß bey der accelerirten Bewegung die
lebendigen Kräfte in einer zusammengesetzten Verhaltniß
ihrer Maße und der Quadrate der Geschwindigkeit^
sind dies sind Gesetze der körperlichen Würkungen,
die man vielleicht s priori nicht beweisen kan, die aber
dennoch allgemein sind und durch untrügliche Erfahrun
gen außer allen Streit gesetzt werden. Wo ich nicht ir
re , sind unsere Seelen auch Substanzen , sie würken
auf eine gewiße Art, wie es ihre Natur ihnen befiehlt,
und sind zu einigen eigemhümlichen Handlungen, zum
Denken, Wollen, Empfinden aufgelegt, wodurch sie sich
von den Körpern unterscheiden. Diese Handlungen kön<
,,en nicht die bloße Folge eines Zufalls seynz sie sind,
fo gut wie die Veränderungen in der sichtbaren Welt,
ihren Gesehen unterworfen, nach welchen sie auf eine
gewiße Art entstehen , fortgesetzt werden und aufhören.
Nur äußert sich zwischen den Gesetzen der körperlichen
und der geistigen Handlungen eine merkwürdige Ver
schiedenheit. Die Gesetze der Bewegungen für die
Kör-
Dritter Brief. 49

Körper sind alle nothwendig und durchgängig bestimmt,


so daß ein Körper unter den erforderlichen Umstanden
gerade so, wie er sich bewegt, sich bewegen muß, nicht
anders bewegen kan. Die Regeln der geistigen Hand
lungen aber leiden ihre Ausnahmen und durch Gewohn
heit, Uebung, Selbstbetrug und qndere Umstände wird
es möglich, daß die Seele selbst einigen Gesetzen ih-
rer geistigen Würkungen entgegen handeln kan. So
sind zum Beyspiel die Regeln zu schließen in der Thar
dergleichen Gesetze für die Würkungen unserer Seele,
Gesetze, die mit der Seele gebohren werden und mit
ihrem Wesen zusammengewachsen sind. Und doch ist eS
möglich, daß wir Trugschluß« machen, die geradezu jenen
Regeln entgegen sind. Wenn wir mehrmalen uns wider
ein solches natürliches Gesetz zu handeln bestimmt haben,
so entsteht daher eine Fertigkeit, es zu verletzen, und
diese Fertigkeit wird nun selbst eine Regel unserer Thäs
tigketten , aber eine falsche , eine unrichtige, eine solche,
die selbst unserer Natur widerspricht.

Dergleichen Gesehe , nach welchen die Handln»,


gen unserer Seele erfolgen, giebt es für das N?ahre,
für das Gute und für das Schöne. Wir können an
nehmen, daß sie von Her Natur, oder, um frömmer zu
reden , von Gott selbst herrühren , der die Natur nach
seinem Willen eingerichtet hat. Durch diesen Gedanken
erhalten sie ihre Zuverlaßigkeit und wir die Versicherung,
daß wir uns , um nicht irre zu gehen , nur den natürlil
D che,,
Dritter Brief.

chen Richtungen unserer Kräfte überlaßen dürfen und den


Gesetzen, welche ihren Würkungen vorgeschrieben sind.

Einige unter diesen Gesetzen sind völlig allgemein.


Weil sie aus der menschlichen Natur überhaupt fließen ;
andere aber beugen sich nach den Umständen und sind
nur da einerley , wo einerlei) Umstände sind. Beyde
. Arten werden nicht sowohl s priori erkannt, als aus un
serer Empfindung selbst , verglichen mit der Empfindung
anderer, und aus einer gewissen Nothwendigkeit, die
wir in unserm Busen fühlen können , aus der Stimme
der Natur , die uns innerlich zuruft und gebietet , so und
nicht anders zu denken, zu urtheilen, zu begehren. Um
sere Einsichten reichen nicht hin, diese Gesetze aus dem
Grundwesen der Seele abzuleiten ; es ist genug , wenn
wir nur erkennen, daß sie da sind. -°-

Km clic lle tribu« c»z>Ms ! rufen Sie mir zu.


„ Die ,Negeln der Schönheit gründen sich auf Empfin-
„ düng und Geschmack. Welche sind nun veränderlich,
welche sind allgeinein?

Die , Frage ist schon beantwortet. Es giebt erstlich


einen allgemeinen Geschmack der Menschheit ,
ftvelcher auf die natürlichen und allgeineinen Gesetze der
geistigen Handlungen sich gründet, denen alle Menschen
un.
Dritter Brief. 51

unterworfen sind, wenn sie gleich in der Anwendung


derselben fehlen können. Die Regeln , welche durch di«
scn allgemeinen Geschmack festgesetzt werden , sind völlig
allgemein, und ein Mensch, der ihnen widersprechen will,
muß sich selbst betrügen und nie in seinen Busen gegrift
fen haben. So ist es in unserer Natur gegründet , daß
wir beym Anblick verschiedener sinnlichen Gegenstände,
die in einer gewißen Einförmigkeit so verbunden sind,
daß sie gleichsänt zusammenfließen, daß wir bcy diesem
Anblick ein sinnliches Wohlgefallen und Vergnügen em
pfinden; selbst der Amerikaner fühlt eS, wenn er die
ohne Ungestümm sich jagenden Mccreswellcn , oder die
Wipfel seiner Baume betrachtet, die ein sanfter Wind
in einander weht. Von dieser Art sind auch die meiste»
moralischen Schönheiten , wiefern sie von unserm sittlik
chen Gefühl abhangen. Wo ist die stählerne Brust , die
nicht bey der Geschichte einer unglücklichen Tugend zu
fthmelzen anfängt? Und wer ist mir Hurone genug, um
nicht zu fühlen, daß unter sonst gleichen Umständen eine
Hute Handlung, die aus Wohlwollen verübt wird, schöner
ist, als eine andere, die aus der Quelle des Eigennutzes
herausflosz? Alle Gesetze der Schönheit, die sich auf die«
ftn allgemeinen Geschmack der menschlichen Natur grüns
den , sind selbst allgemein und so alt , als die Welt ; man
könnte die Schönheiten , welche durch sie bestimmt wer
den , allgemeine Schönheiten nennen.

Ä 2 Allein
^z. Dritter Brief.

Allein diese Gesetze reichen bey weitem nicht hin,


alle Schönheiten in der Natur und in der Kunst zu be-
urtheilen. Ein jeder Mensch hat , außer der menschli
chen Natur, noch andere Bestimmungen , den Menschen
überhaupt zufällig, diesem Menschen ab« vielleicht
nolhwendig ; er lebt an einem gewißen Orte , zu einer
gewißen Zeit, in einem gewißen Alter, in einem ge«
wißen Stande, ist in gewißen Meinungen erzogen
worden, hat gewiße Leidenschaften, Neigungen und
Wertigkeiten ; alle diese Dinge zusammengenommen brins
gen in seine Urtheile , auch in die , welche er über Schön«
heit und Häßlichkeit fället, eine gewiße Wendung, in
welcher nur diejenigen mit ihm übereinstimmen, die in
gleichen Umständen leben. Daher der besondere Ge
schmack, der nur für gewiße Klaßen von Menschen ein
gültiger Richter ist. Daher besondere Regeln / die
nur unter den Umständen allgemein sind, durch welche
sie festgesetzt werden. Und daher also besondere
Schönheiten, die vielleicht von jedem andern haßlich
gefunden werden , der sich nicht in die Lage hineindenkt,
in welcher sie Schönheiten sind. Diese Schönheiten
sind veränderlich , so wie der Geschmack veränderlich ist,
der über sie richten soll. Aus dem verschiedenen Ge>
schmacke der Zeit , des Ortes , der Religion , des Alters,
des Standes und des moralischen Charakters fließen freu«
lich verschiedene Urtheile, in welchen die Menschen einan
der so widersprechen, daß jeder Recht hat , der nach den
Umständen urtheilt, in welchen er sich befindet, wenn
nur ( und dies ist die einzig, Einschränkung ) sein Ur
theil
Dritter Brief. ^

iheil dem allgemeinen Geschmacke der Menschheit nicht


widerspricht. ,

Mit diesen besondern Regeln der Schönheit


dürfen diejenigen nicht verwirrt werden, die sich auf
Trugschluß« gründen , auf falsche Meinungen , auf Sek-
tengeist, auf eine übertriebene Nachahmung und übe«
Haupt diejenigen , welche das Wesentliche eines Ullrich.'
tigen Geschmacks ausmachen. Das Vorurthcil, wel
ches wir für einen Menschen haben, verblendet uns
oft, daß wir seine Fehler selbst in Tugenden verwan«
deln und sie als ein würdiges Muster zur Nacheifes
rnng uns vorstellen. Was wir mehrmahlen thun,
wächst endlich zu einer Fertigkeit an; wir werden es
also gewohnt, falsch zu urtheilen und unser Geschmack
bekömmt nach und nach eine ganz verkehrte Richtung.
Die Eigenliebe beredet uns hiernächst, daß alles das,
was von uns selbst herrührt, gut, wahr und schön
seyn müße ; wir werden durch sie immer mehr in uns
serm Wahne bekräftiget und dieser wird endlich Herr
über uns selbst, unterdrückt völlig die Stimme der
Vernunft und des guten Geschmacks , und so entstehen
in uns neue Regeln zu handeln, zu denken, zu ein?
pfinden, zu begehen, die oft selbst dem allgemeinen
Geschmacke der menschlichen Natur , ohne daß wir es
auch nur wähnen, zuwider sind. Dies ist der Ursprung
eines unrichtigen Geschmacks, welchen man durch die
Dz > Lehre
54 Dritter Brief.

Lehre von der Veränderlichkeit der Ideen der Schön-


heit auf keine Weise vertheidigen will.

Nach diesen Gedanken , die ich bißher vorgezeich?


net habe , betrachte ich nun die Werke der Kunst und
die Regeln , nach welchen sie zu beurtheilen sind. Em
jedes Kunstwerk enthält eine Mischung von allgemei
nen und von besonder» Schönheiten; von allgemeinen,
weil der Verfaßer ein Mensch ist und für Menschen
schreibt ; von besondern , weil er ein Mensch «, enn-
ereto ist und für Menschen in concreto schreibet, de-,
ren Denkungsart und Geschmack durch den Zusammen-,
fluß verschiedener Umstände eine besondere Bildung
«nd Farbe bekommen hat. ' Da sein Werk für seine
Leser sinnlich sevn soll, so muß er den Weg in ihre
Empfindung auf derjenigen Seile suchen , wo er sie of
fen findet, und folglich sich ihrer Schwäche , ihrer be,
sondern Neigungen und anderer Umstände bedienen,
sie zu seinem Vortheil, einzunehmen und zu rühren.
Manche Dinge wird er auf diese Art einweben, die
nur für diejenigen einnehmend und schön sind , für
welche er zunächst geschrieben hat , nicht aber für an
dere, die an einem andern Orte, zu einer andern
Zeit seine Werke auch lesen möchten. Ist er deß-
wegen tadclhaft ? So wenig als ein Redner , der '
mit deutschen Zuhörern deutsch redet. Aus diesem Ge
sichtspunkte sind die alten und die ausländischen
Meister zu beuttheile»; jene nach ihrer Zeit, diese
. »ach
Dritter Brief. 55

nach dem Orte , an welchem sie ihre Werke verfertig


get haben; und diese Anmerkung erstreckt sich auf alle
Eigenschaften, die entweder Bestandtheile der künstli
chen Schönheit sind, oder auS ihr fließen und mit ihr
inüßen verbunden werden , auf das Große , Erhabene,
Wahrscheinliche, Rührende, Neue und Wunderbare,
selbst auf das Lächerliche und Belachenswerthe. Ho<
mer , welche' elende Figur würde der alte Mann ma
chen , wenn wir ihm alle besondere Schönheiten sei
ner Zeit , ftiner Nation , seiner Religion rauben und
ihm nur diejenigen laßen wollten, die auch für uns,
zu unserer Zeit, unter unserm Himmel noch Schön
heiten sind ! Wir wollen die Kunst bewundern, mit wel
cher er durch allgemeine Schönheiten, in die besdN"
dern eingewebt, uns noch zu intereßiren weiß; aber
ihn nachahmen? Scenen aus Griechenland unter den
deutschen Himmel verpflanzen? Da sey Gott für!
Wenn aus dem ganzen Homer für uns etwas nach
zuahmen ist , so sind es nicht seine Schilderungen , nicht
seine Vergleichungen, selbst seine Fabel ist es nur eini
germaßen ; es ist die Manier , mit welcher er den Grie
chen , erst als Menschen und öann vornehmlich als
Griechen täuschet und hinreißt. Diese Manier laßt unS
durch den Kunstgriff der Reduction übertragen auf
unsere Sitten, auf unsere Denkart, auf das, waS
wir schön finden; diese einzige unter allen Arten der
Nachahmung ist männlich ; die übrigen sind bald ju
gendlich, bald kindisch, bald sklavisch, bald noch etwas
, D 4 schlim
56 Drittel Brief.

schlimmeres; waS ich nicht nennen mag. Die Schön-'


heit der Alten ist nicht allemnhi Schönheit für uns ;
sie zu verehren , ist billig : aber immer sie nachzubilden,
ohne sie keinen Schritt zu wagen , das Heist sein eigen
Äenie verleugnen und , um nur kein Perrault zu seyn ,
ein Mathanasius werden. , >
< " V'' -
Kein Werk der Kunst hat jemahlS das Glück ge
habt, in allen Punkten allen zu gefallen. Die Ursache
dieser Verschiedenheit der Gesinnungen ist sehr deutlich.
Man muß einen überaus verderbten Geschmack haben,
um allgemeine Schönheiten nicht zu schmecken, die der
Verfaßer angebracht hat. Aber man kan einen sehr
richtigen Geschmack besitzen , der sich doch gegen gewiße
Dinge sträubet, die unserer Denkart zuwider sind,
und die der Denkart des Verfaßers und seiner Zeit ge
mäß waren. Daher sind die Stimmen mehrerer Kunst-
richter oft so gerheilt, daß sie alle einander widerspre
chen und in vielen Fallen zugleich alle Recht haben.
Mir ist es ein wahres Gedankenfest, eine Erhohlung,
wenn ich Muße habe, die Cnnken zu lesen, zu prü
fen, die der ältere Scaliger über den Homer gemacht
hat. Ich finde, wenn ich ihn lese, der Mann hat
Recht; aber ich finde, wenn ich nun meinen Homer
lese, Homer hat auch Recht. Scaliger versetzt den
Griechen in einen falschen Gesichtspunkt; er vergleicht
ihn mit dem Römer und bann, nach römischer Denk
art beurtheilt, muß jener verlieren. Aber nun kritisire
mir eimnahl ein jüngerer Scaliger den Virgiel, nach
veut-
Dritter Brief. 57

deutschen Sitten, aus dem Cirkel dir Qviriten , wo


er seine Aeneide vorlaß , herausgehoben ; wie viel wird
der Schwan von Mantua noch übrig behalten, was
er in Leipzig singen könnte? Oder wie wenig? — So
vergleiche ich die gegenseitigen Urtheile der Franzosen
und Engelländer über die Henriade und über das ver-
lohrne Paradies. Ueber dieses hat mancher geschmack:
volle Marqvis sich krank, oder gesund gelacht; der Lord
studirt es und hebt eö mit einer Ehrfurcht, die bev-
nahe Aberglauben ist, so auf, wie der türkische Pfaffe
seinen Koran. Die Henriade hat, vielleicht bey min,
dern Verdiensten, ein ähnliches Schicksal. Der Deut
sche läßt sie durch Herrn Elias Caspar Reichard über
setzen ; der Engelländer verachtet sie und einer der vor
nehmsten Kunstrichter unter den Insulanern verspricht
ihr kein langes Leben. Dagegen sagt noch in diesem
Jahre ein gewißer ci' iMeux : ') Virgile tienclriiit ä
Konnenr d'ässocier I, ttenrisde Z I' ü'n<!ic1e. — Lt Kir.
rle Voltsire ett peut - Stre le teul ?«ece epique clepuis
Virgile^ cjui sit vu clonner « 5on «uvrsge I« Lloges
qu'il merite. — Widersprechender könnten diese Ur
theile gewis nicht seyn. Ein anderer Kunstrichter wür
de Partie nehmen; ich aber nehme keine und laße
jedem seinen Geschmack. Beyde haben Recht; die
D 5 Hen-

') ess,? liir l'etst «Kuel rle >-> littenture tr,n;oile >
(ein trocknes Werkgen.) S. 29 f. f.
;8 Dritter Brief.

Henriade ist für den Franzosen, Milton für den En-


«cllander und für die, Heren Genie eine brittifche Wen-
dung hat. Ein jeder kan also dem andern das seinige
laßen und das, waS ihm gehört, für sich behalten.
'- ' ' -'^

Darf ich nun noch fragen, ob einige Regeln der


Kunst und der Poesie veränderlich sind? Allerdings,
der Archivar mag sagen was er will, giebt es Schön?
Heiken , die nur der Nation , des OrteS und der Zei
ten sind , nicht gleich alt mit den Sachen , und oft
mir die Gesetze unserer Welt , unserer Sprache , unse-
rer Philosophie — die jüngsten Schönheiten) wie wir,
zu reden mit Herrn Johann Jacob Bodmer, die
jüngsten Kunstlehrer sind. Man kan wohl, wenn man
will, aus den veränderlichen Regeln der Kunst höhere
Grundsatze absondern , die allgemein und nothwrndig
sind. Man kan, zum Beyspiel, dem Dichter, dem
Mahler das Gesetz einscharfen : Richtet euch nach dem
Geschmack eurer Zeit, eurer Nation, wiefern solcher
nicht dem allgemeinen Geschinacke der Menschheit gera
dezu widerspricht. Aber es ist ein metaphysischer Be
trug, wenn man so unbestimmte Regeln für brauch
bare Regeln der Schönheit verkaufen will. Lieber
gleich das eingestanden, was nicht zu leugnen ist, daß
die Poesie die Biegsamkeit eines Hofmanns hat, der

-'! , . .,, ,.. immer


Dritter Brief. 59

immer eine Tinttur vön dem annimmt, 'was um ihn


herum ist, und die Kunst versteht, sich alle mögliche
Gestalten zu geben, nur keine solche, in welcher er
lächerlich wird. "",
- " ' . . - ' '
" ^. " ^. ' / , - , , > ?^
Wie sind aber die veränderlichen Regeln der Kunst
von denen zu unterscheiden, die keine Ausnahme lei
den, die ewig, wie die Wesen der Dinge und alter
als die Welt sind? Theils durch das' Gefühl einer ins
nerlichen Nothwendrgkeit , ettvas für schön oder häßlich
zu halten ; theils durch das Urtheil des Publicum zu
verschiedenen Zeiten , an verschiedenen Orten , unter ven
schiüdenen Umständen. Das erste Merkmahl ist vom
Longin und das andere vom Dübos. „ Durch das
wahrhafte Hohe, sagt' jener, (und was er vom Erhas
benen saget , gilt auch vom Schönen ) wird die Seele
von Natur entzückt und eine Stelle kan unmöglich er
haben seyn , die ein Mann , der Geschmack und Gelehr,
smnkeit hat, einigemahl anhöret, ohne durch dieselbe ges
rührt zu werden. „ Wir bemühen uns zuweilen etwas
zu tadeln, etwas häßlich zu finden ; und wir fühlen trotz
aller Bemühung, daß eine innere Stimme uns sagt:
dies ist schön ! In diesem Falle können wir versichert
seyn, daß die Regel, welche aus einer solchen Einpfitik
dung gezogen wird , würklich allgemein ist.

1 - <
Gesetzt aber, daß unser Mtheil uns selbst nicht zu«
«erläßig genüge scheint, daß wir selbst in uns ein Mis<
trauen
6o Dritter Brief.

trauen setzen ; gut ! wir wollen also das Publicum zu


Rache ziehen , von welchen Dübos schon längst uns ver.
sichert hat, daß es von Werken der Kunst beßer urtheilt,
als alle Kunsirichter. Unter dem Publicum ( wenn sein
Urtheil völlig allgemeine Regeln festsetzen soll) ver
stehe ich alle geschmackvolle Leute von Anbeginn der
Welt , oder der Schriftsteller an bis auf diese letzte be-
trübte Zeit und alle Zeiten, die noch folgen werden.
Was diese einstimmig , oder wenigstens, wenn vielleicht
einige noch von Parteylichkeit verführt worden, durch
die Mehrheit der Stimmen für schön erklären, das ist
schön. Bey einer Uebereinstimmung von tausend, em
pfindenden Seelen kan man tausend gegen eins wetten,
daß man nicht irren werde ^ wenn man eben so urtheilt
wie sie. Ich rede von Schönheit, nicht von Wahrheit ;
denn diese hat in gewißen Fällen weniger Macht über
die Menschen als jene.

DieS ist der Grund , auf welchen ich in einigen


folgenden Briefen an meine Freunde bauen werbe. Ih
nen, mein Theurester Herr, unterwerfe ich meine psy
chologischen Träume ; und ich gestehe es gern , daß ich
bey Ihrem Urtheile nicht gleichgültig seyn kan. Ohne
Verbeugungen, aber mit aufrichtiger Gesinnung bin
ich u. f. w. , ^

Vier-
Vierter Brief

an den Herrn Kanzleydirectoc

Wie! and.

, >
Vierter Brief

an den Herrn Canzleydirector

Wieland.

U^^H (Aie können nicht glauben, mein themester


Freund, wie sehr ich mich freue, daß
"ach Geßnern und Zimmermannen
ich der dritte bin , der Ihren Jöris ge
lesen hat. Ein Stück des vorrreflichen Gedichts halte
vorher schon Herr Klotz in seiner deutschen Bibliothek ab?
drucke» laßen ; allein mit Recht klagen die meisten Leser,
daß dieses Fragment für sie zu dunkel sey , weil es zu
sehr aus der Verwickelung der Begebenheiten herausgerist
sen ist. Alle aber wünschen mit Einem Munde , das
Ganze zu sehen und noch nie ist wohl von dem feiner»
Theile des publici ein Werk so begierig erwartet won-
de», als dieser Jdris, den ich jetzt in meinem Pulle has
be. Nur noch ein einzigesmahi muß ich ihn durchlesen ;
und
64 Vierter Brief.

und dann mit der nächsten Post schicke ich die Handschrift
an Herrn V?eiße, der ihren Eingang in öie gedruckte
Welt befördern wird.

Was Zenidens Bild für Ihren JdriSund für Don


Sylvio die Gestalt seiner unbekannten Prinzeßin war;
das ist für mich meine Grille von der Veränderlichkeit
der Empfindung des Schönen und Haßlichen. Ueberall
find ich sie , auch wenn ich sie nicht suche ; sie läßt sich
einholen , ohne daß ich ihr nachlaufe ; immer verfolgt
mich der Gedanke und beynahe : ,
i! moute en crour« et ßslope »vec moi.

Geschwind muß ich also eine Stelle aus dem Jöris


abschreiben, die mir so erwünscht ist, als wenn sie mit
Fleis mir zu Gefallen gemacht wäre. Zerbin ( im drin
ten Gesänge ) war unter Gnomen erzogen worden , ohne
jemahls eine menschliche Gestalt als die seinige gesehen
zu haben. Er mag selbst reden :

Hier war es , wo ich mir bewust zu seyn begann.


Hier wuchs ich , ohne zu erfahren ,
Wer mir das Leben gab , vom Säuglingsalter an.
Von menschlicher Gestalt gesondert , unter Schaaken
Grotesker Gnomen auf, und war mit achtzehn
Zähren
Von allen Höflingen des Königs Cormoran ,
Der
Vierter Brief. / 65

Der Damen Urtheil nach , geziert mit allen Gaben,


Die ein VerjährungsRecht an ihrer Gnade haben.

Zerbin fand unter den GnomenMädgen vielen Bens


fall, und der Vorzug, den er vor ihren misgeschaffenen >
Stutzern hatte, machte ihm mehr Herzen unterthänig,
Als je ein junger Herr, der aufs Erobern zog.
Auf Einen Blick erlegt zu haben log.

Allein GnomenLiebe konnte für ihn keine Reize


haben;

Man kennt die Reizungen , womit Gnomiden pran


gen;
Zum, mindsten waren sie , mein junges Herz zu
fangen ,
Sich einen Ueberfluß von Lieblichkeit dcwust;
Hier trotzten mir zwo kupferfarbne Wangen,
Hier ein gespaltnes Kinn, dort eine breite Brust.
Für einen dritten war ihr Wettstreit eine Lust;
Doch mich, den unverletzt so viele Pfeile trafen.
Mich hinderten ganz andre -Traum' am Schlafen.
> , >
Nämlich eine dunkle Ahndung sagte es ihm , daß es Ges
schöpfe gäbe, die ihm ahnlicher wären, als die, welche
er um sich herum sah , und daß er gemacht sey , etwas
beßers zu lieben , als Gnomiden.

Ein kleiner Zufall lehrte mich


Um diese Zeit mein Herz noch beßer kennen.
E Der
66 Vierter Brief.

Der junge Gnom, mein Freund (das heißt, den ich


Genöthigt war, aus Mangel so zu nennen)
Fieng an, für ein Geschöpf, das einem Aeffgen glich,
(Doch nur in meinem Aug') in voller Glut zu
brennen.
Denn in der GnomenWelt gestand ihr selbst der
Neid
Den Preiß der Liebenswürdigkeit.

Wir stritten oft , wenn er mit aller Schwannerey


Der Leidenschaft mir schwur , daß ihre AdlersNase
Der Thron des LiebesGottcs sey , '
Und daß kein FrühlingsWind aus rundern Backen
blase;
Mir schien es, wenn ich ihn so reden hön', er rase.
Ihm schien mein Urtheil Raserey.
Wir sahen uns nie, ohne uns zu zanken;
Doch mir erweckte dies besondere Gedanken.

Wie , dacht ich , müßt ein Madgen seyn ,


Mir Aug und Herz zugleich zu rühren?
Kan diesen Gnom die Häßlichkeit verführen?
Und seine Venus ist ein Mißgeschöpf? — doch nein!
So will es die Natur : ihr Trieb ist allen Thieren
Gemein ; ein jegliches ninunt seines Gleichen ein ;
Der Pfau gefällt dem Pfau ; die ungesialte Eule
Findt ihren Gatte» schön, glaubt« daß er lieblich
heule,
Vierter Brief. 67

Und wer unter allen hat nun Recht? Zerbin, der


Gnome, der Pfau, oder die Eule? Alle, alle haben
Reckt, wenn nur jeder bey seiner Empfindung, Key sei?
nein Geschmacks sich beruhigt und nicht das Urtheil eines
andern deswegen verdammet, weil es dem scinigen wü
verspricht. Sind dies nicht, mein Freund, eben die
Gedanken, die Sie schon an einem andern Orte in einem
Gespräche zwischen Ich und Du vorgezeichnet haben ?
Ich muß die Stelle nur auch abschreiben, wenn es gleich
unschicklich scheinen dürfte, daß ich Sie aus Ihren eiges
nen Büchern unterhalte.

„ Es ist schon längst beobachtet worden, daß das


Terentianische : tu l> Kic esse«, »liier lemi«, wenn der
gehörige Gebrauch davon gemacht würde , ein fast allgtt
meines Mittel gegen alle die Widersprüche, Irrungen
und Zwistigkeiten wäre , die aus der Verschiedenheit und
dem Zusammenstoß der menschlichen Meinungen und Leis
denschasten zu entstehen pflegen.

Für einen bloßen Zuschauer der menschlichen Thon


Heiken, wenn eö anders einen solchen giebt, kan nichts
lustigers semi, als eine ganze wohl policirte Gesellschaft
von moralischen Egoisten beysammen zu sehen, wovon
immer der eine dem andern seine Personalität streitig
macht, und nichts geringers zu fordern scheint, als daß
E 2 alle
68 Vierter Brief.

alle andere in allen Sachen und zu allen Zeiten gerade so


empfinden , denken , urtheilen , glauben , lieben , haßen,
thun und laßen sollen , wie er ; welches in der That eben
so viel sagen will , daß sie keine für sich selbst bestehende
Wesen, sondern bloße sccicientis und Bestimmungen von
ihm selbst seyn sollen. ,

Es ist wahr, unter allen diesen Egoisten ist keiner


unverschämt genug , diese Forderung geradezu zu machen ;
aber indem wir alle Meinungen, Urtheile, oder Nei
gungen unserer Nebengeschöpfe für thöricht, irrig und
ausschweifend erklaren , sobald sie mit den unsrigen in ei
nigem Widerspruche stehen : was thun wir im Grunde
anders, als daß wir ihnen unter der Hand zu verstehen
geben , daß sie unrecht haben , ein Paar Augen , ein
Gehirn und ein Herz für sich haben zu wollen.

Warum gefallt Ihnen dies , mein Herr ?

Ich kan Ihnen keine andere Ursache davon geben,


als weil es mir gefällt.

Aber ich kan doch unmöglich begreifen , was Sie dar/


an sehen, das Ihnen so sehr gefällt. Ich für
meinen ,Theil —

Gut
Vierter Brief. 69

Gut mein Herr .' das beweißt nichts ; als daß


mir etwas gefallen kan, das Ihnen mis<
fällt. — —

Erhitzen Sie sich nicht, meine Herren, fagte


ein Dritter , der diesem Streite zwischen Ich
' und Du zugehört hatte. Sie könnten noch
einen halben Tag disputiren , ohne daß einer
, den andern bekehren würde — und wißen
Sie wohl warum ? — die Ursache ist ganz
natürlich — weil Sie beyde Recht haben.
I'u li Kic ell?s, skiter lentis?.,, >)

„ Der Ich, sagt Ihr Ulmischer Landsmann Abbt bey


„ dieser Stelle , scheint die Sache ein bißgen zu weit zu
„ treiben. Denn wenn der erste beste Anschein, den
„ jeder von einer gewissen Sache bekömmt, hinreichend
„ ist, ihre Güte in Absicht auf ihn zu entscheiden, wenn
,/ kein anderer weiter darüber urtheilen kan : so giebt es
„ gar kein billiges Gesetz mehr, keine gerechte Forde,
„ rung mehr an die Menschen. „

Wenn von Güte , wenn von Handlungen die


Rede ist, welche den Gesetzen unterworfen sind; dann
mag der Censor Recht haben. Aber der Ich hat auch
' E Z Recht,

») Abentheuer des Don Sylvio von Rosalva, SteS


Buch, ?kes Capitel, S. zzi. f. f.
7« Vierter Brief.

Recht, wenn er- bloß solche Dinge versteht, die für


den Nichterstuhl des Geschmacks gehören. Sern Ge-
schmuck muß es entscheiden, was für ihn schön seyn
soll ; mag doch der Du anders urthcilen ; was gehet das
uns an, die wir weder Ich noch Du sind?
' ^
,, , .

Zyarum verlachen wir nun den Schwarzen, der


in eine schwarze Schönheit mit gepletschter Nase und
aufgeworfenem Munde so verliebt ist , als wir andern in
unsere rosenwangichtcn Müdgen ? Nach der Verschieden!
heit des Erdstrichs ist die Bildung der Menschen verschies
den, und unsere Urtheile von der Schönheit richten sich
immer nach dem , was unter uns gewöhnlich ist. Der
Mvhr schafft sich also in seiner Phantasie das Bild der
vollkommensten Mohrin , wie etwa wir in der nackenden
Venus die schönste Gestalt erblicken , die unter unserm
Himmel gedacht werden kan. Der Gang, das äußer
liche Betragen, der Anstand, die Gebräuche haben bey
jeder Nation gleichfalls ihre einheimische Form; alles
ausländische ist dieser Nation fremd und sie mus sehr
demü hig seyn, sehr zur Nachahmerin geschassen, um es
zu bewundern. Wenn sie patriotisch denkt, so liebt sie
ihre eigenen Sitten und diese sind der Emscheidunge-
Grund, nach welchen sie ausspricht, was für sie schön
oder häßlich ist. ES sey , daß sich einige völlig allgemei
ne Regeln angeben laßen, nach welchen der Geschmack,
wenn er richtig seyn soll, in dergleichen Punkten zu lei
ten ist und vielleicht sehn wir in unfern theorienreichen
. '! Zeiten
Vierter Brief.

Zeiten noch eine Theorie der Complimente, der Dormeu-


sen und des Haarputzes. Die Regeln für die Eine Nas
tion , mit Erlaubniß des Herrn Lezumont Coeffeur clmi«
les lzmn^e » vinZts , sind doch nicht immer für die andere
gemacht ; und es bleiben , nach allen Theorien , noch
Fälle genug übrig , in welchen allein der Geschmack ent<
scheiden muß , nicht der allgemeine , sondern der Ges
schmack der Zeit und der Nation. Will hier Ein Volk
dem andern seinen Geschmack aufdringen, so handelt eS
wie ein Kopf 5 I« ^»briolet, der es nicht leiden will,
daß ein anderer 5 I» K1ez„pe»u geputzt ist.

Noch sinnlicher ist der Unterschied bey solchen


Dingen, die ganz, oder zum Theil für menschliche
Bedürfniße bestimmt sind ; dergleichen sind Kleidungen,
Gebäude und Gärten. Kleidungen und Gebäude braucht
der Italiener, sich abzukühlen; der Ruße, sich zu er?
wärmen. Die Idee des Nutzens und des Endzwecks
vermischt sich in solchen Fällen mit der Idee der Schön
heit und erzeugt eine Menge von Regeln , die für die«
se Nation eine Verbindlichkeit haben , für jene nicht
haben. Seht eine kühlende Grotte aus den römischen
Weinbergen nach Archangel, und das Winterzimmer
E 4 eines

* ) Eine Stelle aus Schmolle« Reisen, die sehr


zu meinem Zwecke dient, ist zu natürlich, als
daß ich sie abschreiben könnte. Wer nicht ekel ist,
der mag sie (S. 42 bis 4;.) selbst suchen.
72 Vierter Brief.

eines Nußischcn Gouverneurs nach Capua; wie läche«


lich ! werdet ihr sagen. — Wäre es aber wohl beßer,
wenn einige Grade vom Nordpol Paläste nach italiä-
nischer Bauart aufgeführt würden?

Mit dem sittlichen Ideale und den moralische»


Gesinnungen hat es eine ähnliche Bewandniß. Alle
Urtheile der Menschen über solche Punkte fließen aus
ihrem nationalen Charakter und aus ihrer besonder»
Denkart; sie entfernen sich also so weit von einander,
als verschieden die 'Mischung der einzelnen Züge zur
Bildung des ganzen Charakters ist. Wer den Gejst
des Spaniers kennt, den wird es nicht befrembden,
daß ein Don 6e Ii den Meuchelmord für erlaub«
ter Kält , als den Zweykampf; daß der Vater seinein
ersten Sohne eine Frau , und den übrigen Beyschläfes
rinnen besorgt; daß ein Edelmann mit Mantel und
Degen ein Almosen nicht heischt , sondern als ein Dar
lehn bittet; daß ein arragonischer Bauer zugleich stolz,
geizig und 'faul seyn kan , und daß der spanische Stm
her seinen Galawamms noch immer nach dem Mus
ster seiner erlauchten Ahnen zuschneiden läßt. Der
Franzose ist flatterhaft, eitel, eingebildet, immer mir
sich beschäftiget, höflich mit einer Beredsamkeit, woben
er nichts denkt, mit Worten , die ihm nichts kosten,
auf eine unerträgliche Art dienstfertig, aufmerksam auf
Kleinigkeiten, bei) wichtigen Dingen leichtsinnig, verliebt
und fühlbar auf der Oberfläche und unempfindlich im
Gruni
Vierter Brief. 7^

Grunde, heute dies, morgen etwas anders. So viel


sich dieser auf seinen König einbildet, so stolz ist der
Engelländer auf seine Frepheit. Diese, auch da wo
er sie sich nur einbildet , ist sein Steckenpferd ; sie trägt
ihn fort und belebet alle feine Handlungen. Daher
ein gewißer Eigensinn , der sich durch nichts lenken
läßt, was das Ansehen eines Befehls hat. Daher ein
heimlicher, nicht selten öffentlicher Stolz, den' sich der
Dritte wegen eines wahren, oder angeblichen Vorzugs
über andere nicht so freye Nationen anmaßet. Da
her und aus der natürlichen Melancholie der Engels
länder die sonderbare, anfangs kaltsinnige Laune, die
sie vor allen andern Geschlechtern der Menschenkinder
auszeichnet. Wenn Nun ein Dichter, der für seine
Nation schreibt, sich ihr gleich stellt, Erhabenheit und
Niederträchtigkeit, Sitten und Anstand nach ihren Be<
griffen formt ; darf ihn ein fremder Kunstrichter tadeln,
der aus seinem Vaterlande andere sittliche Ideen, an,
dere Gebräuche, andere Grundsätze mit gebracht hat?
Mit Nichten! Shaksvear soll immer der Lieblingspoet
der Engelländer seyn und bleiben ; von l.«p?2 eis Ve.
Z»s der Spanier ; Corneille der Franzosen ; wir wollen '
keiner Nation ihr Eigenthum rauben , aber auch für
uns das unfrige behalten und nicht geradezu solche
Originale nachahmen, die für uns nicht gemacht sind.

Die Ursachen von dieser Verschiedenheit des Ge


schmacks und der Gesinnungen liegen theils in dem ClK
E 5 , ma.
74 Vierter Brief.

ma, theils in , der Mode, in dem Herkommen und in


NationalVorurtheilen , theils in der Gewohnheit, an
dere nach der Gleichförmigkeit mit uns zu beurtheilen,
und theils , wie ich schon berührt habe , in der Verschie
denheit des Endzwecks bey solchen Dingen, über die
der Geschmack richten soll.

Em heißes Clima giebt der Empfindung eine ge


wiß« Trägheit, die aber in Heftigkeit übergehet , sobald
sie geweckt wird. Ein gemäßigtes Clima bringt Ge
schwindigkeit in den Geist, wie in den Körper; und
ein kälteres mildert dieselbe, mehr oder wenig, nachdem
es weiter , oder näher vom Mittelpunkte absteht. Wenn
ich das Clima nenne, so verstehe ich bloß den Ab«
stand vom Aequator; noch andere Umstände tragen
gleichfalls das ihrige bey zur Veränderung der Charak
tere und der Denkarten. Dergleichen sind die Luft
und die Theile, die in ihr schwimmen, angränzende
Meere, Flüße, Sümpfe, Berge, Thäler, Wildniße,
Wälder , die NahnmgsMittel , die Lebensart und hun
dert unwichtigere Dinge , die in die Naturgeschichte der
Menschheit gehören. Es ist, zum Beyspiel, gewiß,
daß die Seele der Beyhülfe des Körpers im Denken
und Empfinden nicht entrathen kan; die Beschaffen,
heit seiner Fibern und Nerven, des Nahrungssaftcs
und der Lebensgeister wird also auf alle Würkungen
der Seele einen merklichen Einfluß aichern. Jetzt ge
ben
Vierter Brief. 75

ben Sie einmahl einem Menschen «in Jahrlang keine


andere NahrungsMittel, als SchisssZwieback, grobes
GemÜM und dickes Bier; ich wette, seine Denkart
wird bald den Speisen , die er genießet , sehr ähnlich
werden. Kehren Sie die Diät uin und ich hoffe,
Sie werden entgegen gesetzte Würkungen spüren , wo,'
fern der Mensch , an welchem das Experiment gemacht
wird, nicht ganz von der Natur verwahrloset ist. Wir
andern also wollen es einem Menschen , der grob speißt,
nicht verdenken, wenn er grob denkt; seine Seele kan
sich, in keiner andern Richtung, mit keiner andern
Geschwindigkeit bewegen, alS nach welcher und mit wel
cher sie gestoßen wird.

Hätten wir ein System , eine Philosophie der


Mode , so würden wir ihre Herrschaft in ihrem ganzen
Umfange ausmeßen und es begreifen können, wie groß
ihre Würkung auf unfern Geschmack sey. Oder viel-
mehr sie selbst ist nichts anders, als unser Geschmack,
wiefern er durch das Vorurtheil des Ansehens auf eis
nen gewißen Punkt ist gelenkt worden. Von Natur
sind wir geneigt, alles was über uns ist, zu bewun
dern; und unsere Eigenliebe heißt uns es nachahmen,
damit uns wieder andere bewundern sollen, von wel
chen wir glauben , daß sie unter uns sind. Jeder
Mensch hat in seinem LieblingsFache ein gewißes Ziel,
welches er zu erreichen gedenket und er glaubt es dann
i"
76 Vierter Brief.

zu erreichen , wenn er eben das thut , was andere vor


ihm gethcm haben, von welchen er überzeugt ist, daß
sie ihn übertreffen. Laßt mir nun diese Orig^nalGe-
nies seyn, so werden sie sich überall neue 'Wege bah
nen, sich dadurch Vorzüge erwerben, die andere nicht
haben ; und diese werden jenen nachlaufen , um nur das
zu werden , was die ersten sind. Wenn in einem Lan
de die Moden selten verändert werden , oder wenn es
die seinigen allemahl aus andern Ländern herhohlen muß;
so ist dies allemahl ein Beweis , daß es wenige Ori-
ginalsGenies hervorbringt. Wohl verstanden, daß ich
nicht allein von den Moden in der Kleidung und im
äußerlichen Betragen rede ; die Litteratur , der Krieg ,
das Regiment haben so gut ihre Moden als der Zu
schnitt unserer Gewänder und der Tact unserer Ver
beugungen. Auch unter dem PvgmäenGefchlechte der
süßen Herren , zu ihrer Ehre seys gesagt , giebt es Ori-
amalKöpfe, die durch ihre, so Gott will, wichtige Er
findungen Gesetzgeber für andere werden, die ihnen am
schöpferischen Geiste nicht gleichkommen. Oder wenn
jene es nicht sind, so sind es ihre CainmerDi'encr ,
ihre Schneider, ihre Putzmacherinnen und die übrigen
Minister der Königin Eitelkeit. ') Nicht beßer gehet
es uns, die wir von andern, die weniger wißen als
wir. Gelehrte genennt werden, oder uns selbst so nen
nen. "Wolf dcinonstrirte sich zum großen Manne;
und tausend öde Köpfe, liefen ihin nach , um eben so
gros

') S. SmolletS Reise,,. S. 64. f. f.


Vierter Brief. 77

groß zu werden , wie er. RIopstok ward durch ein


Bandgen Hexameter berühmt; seine Nachahmer schrie-
bei, Bände und wurden — nichts. Das schlimmste
ist dies , daß insgemein das leruum pecus in den Moden
bloß auf das äußerliche verfällt, wie 'ein Stutzer so
schön zu seyn glaubt, als ein anderer, wenn er .sich,
wie dieser , » I'»ile <le piZeon srisiren läßt. So schu
fen Friederich und sein großer Vater ein ganz neues
Heer, zum Unglück gaben sie ihren LandsKnechtcn kurze-
Röcke, und gleich glaubten andere, 'auch Preußische
Krieger zu haben, wenn sie die Kleidung ihrer Solda
ten um ein Drittheil abkürzten. Auf diese Art entste
hen alle Moden ; auf eine ähnliche Art gehen sie unter.
Ein Mann vom ersten Range schämt sich, vermöge des
Bewustseyns seiner Größe , das auch zu thun , was er
von andern wahrnimmt, die er verschiedene Stufen un
ter sich erblicket. Sobald also die Mode^ die er ange- ^
hoben hat, unter den Pöbel verfällt, so ist sie für ihn
zu niedrig und er schafft durch sein verändertes Bei
spiel eine neue, die nicht viel länger dauren wird, als
die erste. Wenn nun aber eine Mode sich solange er
halten sollte, (und wir haben einige Fälle, wo es ge
schehen ist) daß sie selbst mit der nationalen Denkart
zusammenflöße z dann wird sie, wie das Herkommen
in bürgerlichen Rechten, Kraft der Verjährung selbst für
den Geschmack ein Gesetz, welches zwar in Collisions-
Fällen den allgemeinen Regeln der Schönheit nachste
hen muß , aber doch außerdem immer sein, Verbindlich
keit
78 Vierter Brief..

seit behält. Wir wollen von dieser Bemerkung selbst


irrige Religionen nicht ausschließen , die wir alle Mo?
den aus der Nachahmung, mit Hinzufügung einer gu
ten Dosis von Enthusiasmus, entstanden sind. Wir
wollen also den chinesischen Dichter, der mit der Zeit
eine Confuciade singen wird, nicht nach solchen Regeln
kritisircn, die wir aus unserm Klopstok genommen ha?
ben ; sondern erst die Denkart , die Gebräuche und die
Religion seines Landes studiren und dann über ihn rich-
ten, aber behutsam ; nicht gleich ihn verdammen, des
sonders da, wo wir argwohnen müssen, uns nicht ge
nug in seinen Standort verseht zu haben. Wie würde
es uns bauchten , wenn ein Journalist in Peking nach
chinesischen Gesetzen die Meßiade beurtheilen wollte?
Kehren Sie die Verhältnis) um; so habe ich das, was
ich will.

Ueberdies sind wir gewohnt, immer die Dinge


nach einer gewißen Gleichförmigkeit mit demjenigen zu
mcßen , was wir an uns selbst wahrnehmen ; auch diese
Eigenschaft des Menschen , die immer eine Schwachheit
, seyn mag, verändert den Geschmack und die Urtheilc
über das Schöne. Der Philosoph setzt die Philosophie,
und gemeiniglich nicht die Philosophie überhaupt, son
dern seine eigene zum Maasstabe der Gelehrsamkeit:
so macht es der Philolog, der Geschichtskundige, der
Dichter, der Litterator — und wer macht es nicht so?
Wenn wir noch tiefer in unsere Natur schauen, so fin
den
Vierter Brief. 79

den wir dieses Vorurtheil selbst in unfern Ideen von


der Gewißheit, von der Wahrscheinlichkeit, von der
Sittlichkeit und am meisten von der Schönheit. Won
dieser abstrahiren wir die meisten Begriffe aus uns
selbst, oder aus dem, was um uns herum ist; wie
wollen wir diese einem andern aufnöthigen, der sie aus
sich und aus dem nehmen kan , was um ihn her ist.
Einen weißen Menschen hält der weiße Mensch aus
eben der Ursache für schön, aus welcher der schwarze
ihn häßlich findet. Und unsere weiße Menschinnen kön-
nen in dem Auge eines Mohren nicht schön seyn, er
müste denn, welches ich nicht hoffen will, seine mohs
rische Natur gänzlich abgeleget haben. Abstrahirte Ge
setze dürfen auf nichts angewendet werden , als auf das,
wovon man sie abstrahirt hat, oder auf etwas ähnli
ches, weil Dinge, die Man mit einander vergleichen
will, nothwendig homogen seyn müßen. Wie fern also
mehrere Menschen heterogen sind, sofern sind es auch
ihre Urtheile über Schönheit und Häßlichkeit, ohne daß,
der eine sagen kan, er allein habe Recht.

Von den abstechenden Meinungen, die nach ver


schiedenen Umständen aus der Verschiedenheit des End
zwecks gewißer Dinge entstehen, habe ich schon geredet.
Der Americaner mahlt sein Gesicht mit bunten Fars
ben, nicht um liebenswürdig, um seinen Feidnen fürch
terlich zu seyn. Die Schöne in Paris thut fast eben
das, nicht um fürchterlich, «,n liebenswürdig zu wer
den.
8o Vierter Brief.

den. Abscheulich ist jener im Auge der letztern;


lacherlich vielleicht diese im Auge des erstem , und beude
für sich selbst schön genug. ' Jeder hat Recht, wenn
er nur über sich urchcilet, und Unrecht, sobald er den
andern tadeln will, weil er nicht ist, wie er selbst.

Wenn endet das Geschwätz ? wird ein Kunstrichter


fragen, der sich nicht besinnt, daß ein Schriftsteller
gern lange von seinen LieblingsGrillen spricht, wie ein
Verliebter mit seinem Mädgen , wenn gleich die Umste
henden gähnen. — Doch soll es gleich enden, wenn
ich nur zuvor die Anwendung Heßelben auf die Dicht
kunst und auf die Critik gezeigt habe.

Nicht die bekannte Lehre vom Costume will ich hier


noch einmahl vortragen , wenn sie gleich in dieses Fach
gehöret und aus der Verschiedenheit des Geschmacks er
klärt werden muß. Ich merke nur an, daß das Ge,
wöhnliche nicht nur in einzelnen Theilen des künstlichen
Werks zu beobachten ist, in den Charakteren, Kleidun
gen, Sitten, Reden und Handlungen der Personen;
sondern selbst auf gewiße Art im ganzen Bau, in der
Anlage , im Styl und im Tone. Ein Autor, der
schreibt, um von seinen Landsleuren gelesen werden,
inuß soviel Condescendenz haben, daß er ihrem Gc-
schmacke, wenn er auch verderbt seyn sollte, wenig
stens etwas nachgiebt, wenigstens einigermaßen seine
Leyer
Vierter Brief. «,

Leyer in dem üblichen Ton stimmt. Wenn also die


Nation das collossalische, das ungeheure, das Wunders
bare liebt, so soller, wie Milcon, hierinnen sich ihr
gleichstellen und gerade das zur Grundlage seines Werks
machen, wovon er weiß, daß es die meisten schmecken
werden.

Erlaubt sey es dagegen einem andern , einem Ariost,


in Betracht seiner Zeit und seiner Landsleute, das h«
roische und lustige zu mischen, poetische Erdichtungen
mit Ammenmährgen , und ein so verwickeltes Ganzes
zu schassen, daß man beynahe eine Lee nöthig hat,
um den Faden nicht zu verlieren. — Ich will selbst
Lohensteinen seinen Schwulst nicht so hoch anrechnen,
als man insgemein zu thun pfleget, weil ich die Zeit
kenne, in welcher er geschrieben hat. ämpull», «ere
langte damahls der Leser und 5«>zuipeclzli, vert»; der
Schriftsteller bequemte sich nach dem Geschmacke der Zeit,
flocht aber in eine Heihe von übertriebenen Metaphern
und Gleichnißen noch immer so viel gründliche Gedam
Zen ein und oft so gut gesagt, daß wir darüber seinen
Schwulst leicht vergeßen können. — Die große Kunst
ist freylich die, zugleich seinen Zeitgenoßen zu gefallen
und auch ein Schriftsteller für die Nachwelt zu werden.
Verschiedene Werke sind für die Zeiten und für die Ums
stände, unter welchen sie erschienen, sehr gut gemacht;
allein mit den Zeiten ändern sich die Umstände und dann
will und tan sie niemand mehr lesen. Wer ließt jetzt
F noch
82 Vierter Brief.

noch die Streitschriften von der Wolfischen Philosophie ?


Niemand, und bald wird auch niemand mehr Lust ha,
ben , eilten Blick auf die neologischen Wörterbücher , Zle?
sthetiken in einer Nuß, Vorspiele, Boomeriaden , Gnisi
sel, und andere gute, mittelmäßige und elende Schrift'
gen zu werfen. Liscow ist schon fast vergessen , weil die
elenden Skribenten vergessen sind, die er an den Pran
ger stellte und weil man ihn nicht verstehen kan , ohne
einen Sievers , Philippi , Rodigast und Manzel zu ken
nen , die man vielleicht nicht kennen will. Wenn aber
ein Autor klug genug ist, um durch allgemeine
Schönheiten die unter die besondern für seine Nation
mit Weißheit hingestreuet werden, sein Werk für alle
Leser und zu allen Zeiten intereßant zu machen; dann
kan er stolz auf den Beyfall der Nachwelt und gewis
seyn , daß sie seinen Nachlaß als ein Heiligthum bewah-
ren wird. So Swift, der selbst in seinen persönlichen
Satiren noch allgemein genug ist, um auch von uns,
die wir nicht seine Landsleute sind , und von unser« Em
keln gelesen , verstanden und bewundert zu werden. So
Liscow in seiner Schrift von der Vortreflichkeit und
Nothwendigkeit der elenden Skribenten, die eigentlich
«ine ganz besondere Veranlassung hatte und nur durch die
Wendung allgemein wurde. Und so Abbt in seinem
Auto da Fe', einer Satire, die völlig untadelhaft seyn
würde, wenn sich ihr Verfasser hatte überwinden kön
nen, einige allzupersönliche Züge und einige Anspielum
gen auf heilige Dinge hinwegzulaßen.

Für
Vierter Brief. 8z

Für den Kunstrichler ist die Beobachtung von dex


Veränderlichkeit des Geschmacks fast wichtiger noch, als
für den Poeten, dem ohnehin, wenn er ein guter Poet
ist, sein Genius die nöthige Biegsamkeit giebt, durch
welche er sich und sein Werk nach den Umständen der
Zeit und des Orts zu formen weiß. Aber das kritische
Geschlecht ist insgemein steif, weniger fähig zu empfinden
und so zu empfinden , daß es sich in fremde Aussichten
versetzt , als nach einigen wohlhergebrachten Regeln als
les zu verdammen, was es für einen Fehler wider die Re
gel hält , da es doch oft nur eine Ausnahme ist. Mit der
Erlaubnis) dieser Herrn , verlange ich also , daß man nicht
«her einen Dichter tadle, als biß man sich völlig in seinen
Standort hineingedacht hat, in die Umstände, in wek
chen , in die Nation , für welche , in den Gegenstand ,
von welchem er dichtet, daß man ihn nicht nach G«
setzen beurtheile, die aus dem Aristoteles, Scaliger,
Bossü, d'Aubignac citirt werden, sondern nach solchen,
die man theils aus der allgemeinen menschlichen^ Natur,
theils aus derjenigen Natur schöpft, die nach den UmZ
ständen veränderlich ist; daß man nicht alles verwerfe,
was UNS nicht gefällt, und was vielleicht andern mit

F 2 Recht
84 Vierter Brief.

Recht gefalle» konnte ; und endlich daß man nicht den


Werth Eines Dichter« durch oft gehSßige Vergleich-«-
gen mit andern auf «ine niedrigere Stufe herabsetze.
Dinge, die man vergleichen will, müßen homogen
seyn; und zmeen Dichter sind eS niemahls, wenn sie
beyd» viel Genie haben, es sey denn, daß der zweete
geradezu eS unternimmt , Copist des ersten zu werden.
Vergleicht man sie aber, weil man Vielleicht eine ganz
geringe Aehnlichkeit zwischen Heyden wahrnimmt, so
muß allemahl derjenige gewinnen, von dem man eS
vorher wünschte, daß er gewinnen sollte; oder, wenn
man noch sehr unparteyisch ist, derjenige, deßen Werk
man als die Basis annimmt, das Gedicht des andern
dagegen zu halten und seinen Werth abzuwägen. Sc«
liger wüste es nach seiner PrSdilection für den Virgil
gewiß vorher, daß dieser den Homer weit übertreffen
müste , noch ehe er die Parallele würklich gezogen hatte.
Und wenn man dem Homer zur Rechten legt, den
Virgil zur Littken, den Scaliger in die Mitten und so
Hey aufgeschlagenen Büchern seine Critiken prüft ; dann
findet man insgemein, was ich schon mehrmale» be
merkt habe, daß beyde Recht haben; Homer, nicht zn

' ftyn
Vierter Brief/ 85

seyn wie Virgil, und Virgil, nicht völlig zu seyn wie


jener. Ich sehe es nicht gern, daß ein scharfsinniger
Kunstrichter es noch vor kurzem durch sein Beysviel ers
wiesen hat, wie sehr solche Parallelen verunglücken
können, wenn sie nicht mit vieler Behutsamkeit fort
geführt werden. *)

Wie würde es Ihnen, mein Freund, gefallen, wenn


ich Ihren Agathon mit dem Heliodor , die kölnischen Ers
Zählungen mit Lafontane, den Nosalva mit Donqvichotte,
Joris mit dem Roland und den Musarion Gott weis
mit was vergleichen wollte? In einzelnen Stellen mag
eS seyn ; aber im ganzen, in der Anlage, in der Schreibt
art, im Tone — ums Himmels willen nicht ! Und
gleichwohl sind die Kunstrichter im Durchschnitte ge
nommen zu nichts aufgelegter, als zu solchen Vergleü
chungen. So Heist es zum Beysviel: „die Stellung
„ ist vom Cervantes und die Farbenmischung vom FieK
„ ding „ — oder „ der Verfaßer hat sich bald Fontä-
„ nen, bald Corbillon, bald Marmonteln, bald «inen
„ andern zu erreichen vorgesetzt,, woher, um Berg«
> , F z bung,

>) Der Verfaßer der Fragmente über die deutsche


Litteratur.
86 Vierter Brief.

bung, diese Anekdoten? Und cm bono? Ist es nicht


vernünftiger , diesen Autor allein zu betrachten und
den Geist seines Werks zu erhaschen als ihn mit
Originalen zu vergleichen , an die er, um sie nachzus
ahmen, vielleicht gedacht , vielleicht auch nicht ge<
dacht hat? ,

Ich eile, an meinen Iacobi zu schreiben. Tau


sendmahl umarme ich Sie, mein theurester Freund!
Leben Sie wohl!

läilir I'ehrit cle I'ouvrsge.

Fünf-
Fünfter Brief

an den Herrn Professor

Jacobt.
Fünfter Brief

andenHerrnProfeffor

I a c o b i.

^,^^)en Augenblick liegen aufgeschlagen drey alle»


liebste Bücher vor mir, alle dreye Geschen?
^^Wb ke von Ihnen, mein theurester Iacobi;
die Romanzen des Gvngora und zween Bände Brief
wechsel zwischen Ihnen und Ihrem (Reim, k laßen Sie
mich immer sagen , daß er auch ein wenig der meinige
ist) — Ich lese diese Schriften mit Vergnügen und
«ine jede Stelle, die ich auch schon vorher gelesen ha,
be, hat heute neuen Reiz für mich. Ab« doch ist eS
mir, wenn ich nun die Bücher wieder hinweglege, als
«enn mir noch «was fehlt« und als wenn ich noch
«in Werk von Ihnen Verlangen sollt« , welches Sie ,
F 5 wo
yo Fünfter Brief.

wo ich nicht irre, mir und den Herren Rloy und n?eu«
sei einmahl versprochen haben. Wo bleibt die Fortse
tzung der Meinhardischen Versuche über die Jtaliäner ?
Sind Sie zu sehr mit Ihren Gresset und Chaulieu ,
zu sehr mit Gleim und Freundschaft und idealischen
Madgen beschäftiget, um unsere Hofnung zu erfüllen?
Nein, mein Freund, das leide ich nicht; ich nehme
sie bey Ihrem Worte und drohe, wenn sie es nicht
halten, Äie bey Gleimen und allen Amorn und Amo-
retten zu verklagen. Ich wüste auch niemanden, der
so gut für ein solches Unternehmen geschyffe.» wäre ,
als eben Sie. Eine tiefe Einsicht in beyde Sprachen,
ein feines Ohr, fähig de« Wohlklang des welschen
Dialekts zu empfinden und in den unstigen überzutra
gen, ein zartes Gefühl für die höheren Schönheiten
der Poesie, ein richtiger Geschmack, und eine hinläng«
liche Känntniß der italiänischen Litteratur; dies sind
ohngefehr die Eigenschaften, die man haben muß, um
etwas anders als Bachenschwanz, um ein Meinhard!
zu werden. Und wenn Sie auch Ihre Bescheidenheit
und Ihr Mislrauen auf sich selbst abhalten sollte, zu
glauben, daß Sie diese Talente besäßen; so getraute
ich mir allenfalls , bey Ihnen selbst Bürge für Sie
zu werden. Das Publicum würde mich freylich nicht
dafür annehmen und mein eigenes Capital nicht für
hinreichend zu einem solchen Vorstände erkennen. Ali.
lein eben dieses Publicum — wird sich selbst unterschrei
ben , sobald von Ihnen und von dem Werke die Rede
ist, wozu ich sie gern bewegen möchte. In, der That,
Fünfter Brief. 91

Ihr Gongora und Ihre Anmerkungen über das Buch


des Herrn Meinhards, die das beste Stück seines Denk
mahls sind, geben Ihnen den ersten und vornehmsten
Anspruch darauf. Besonders haben Sie durch einen
«ertrauten Umgang mit Ihrem Schriftsteller sich so sehr
in seine Denkart und an seinen Standort geseht, daß
alle Ihre Critiken, nicht fremd, sondern würklich ein-
heimisch und für den Spanier national sind. Und
diese Kunst , sich in fremde Aussichten zu versetzen , ist
sie nicht die Haupteiqenschaft des andern Meinhards,
den wir hoffen? dem Kunstrichter so nothwendig, als
dem Poeten?

Dem Poeten, damit im Ganzen und in einzel


nen Zügen stets ihm alles auf eine geistige Art gegen-
wörtig sey , was zur Anlage seines Gedichts und zur
Ausbildung deßelben gehört , der Charakter seiner Per
sonen, die Umstände der Zeit und des Ortes, die Be
schaffenheit der Scene, die ganze Reihe der Begeben
heiten, selbst äußerliche Verhältnisse, zum Beyspiel, die
Leser, die er haben wird und haben knn. ^

Dem Runstrichter, damit er völlig in eben dem


Geiste lese , in welchem der Autor gedichtet hat ; nichr
diesem ein falsches Ideal unterschiebe; nicht ihn nach
fremden Regeln beurtheile , die er nicht beobachten wolll
te, nicht durfte; damit er endlich nicht derjenigen Em
pfins
92 Fünfter Brief.

pfindung folge, die er als deutscher Kunstlichter des


achtzehendten Jahrhunderts hat, sondern derjenigen, die
er haben würde, wenn er unter solchen Umstünden
Kunftrichter wäre, unter welchen der Dichter geschrie
ben hat.

In fremde Länder, in die mythologische Welt,


in ander« Zeiten, in fremde Gesinnungen, Handlun
gen und Charaktere, selbst in die Nachwelt zuweilen
muß sich der Dichter versetzen , nachdem es die Materie
befiehlt, die er bearbeitet. Der Leser folgt ihm gern
überall nach , wohin er ihn auch führen mag ; nur sind
wir geneigt, überall aufzumerken, ob auch unser Ge-
leirSmann die rechte Straße weiß und ob er nicht zu
weilen nach einheimischen Wegen zurückkehrt , da er ver
sprach , in fremden Gefilden zu wandeln. Gern schissen
wir mit Kleisten über das Baltische Meer , nahe an dem
Nordpole ein lappländisches Lied zu singen; gern sehen
wir es, wenn Gerstenbergs Mohr fühllo« in der lybi-
fchen Wüste harret,
daß der Sand
Die Fersen ihm verzehrt ; und seine Seufzer wecken
Die Tyger dieses Hayns, die durch den Durst ent
brannt ,
Weh ihm ! sein Blut von ferne lecken.
Und, noch lieber als in Reisebeschreibungen, erblicken
wir die Beschaffenheit des Landes, der Einwohner und
der
Fünfter Brief.

der Sitten von America in dem vortreflichen Liebe, wels


ches die Tänzerinnen der Almeria ihrer Prinzeßin sin.'
gen, nach der Dollmetschung unsers Zachariä:

Singt, o Gespielen, singt ein würdig Lied


Der Kaysertochter , die ihr jetzt im Tanz
Umschloßen haltet! Montezumens Stolz,
Sein Ebenbild ist sie ! singt ihr «in Lied !

Erheitre dich ring« um sie her , Natur !


Ihr Winde , die ihr von , dem Andes haucht ,
Weht sanfter! senge nicht mit heißem Strahl,
O Sonne, sie! Orangen, duftet ihr!
Almena lustwandelt in dem Hain.

Almeria, wie dunkles Ebenholz


Ist dein Gesicht ; die Wolle von dein Baum
Ist nicht so kraus, als wie dein schwarzes Haar;
Dein Federschurz ist bunter als die Luft,
Wenn sie bemahlet wird vom Morgenroth ;
Ist schöner, als des Regenbogens Glanz,
Der über Mexico sich schimmernd wölbt.

Zeih deine Sternenaugen, ihr zmn Schmuck,


O königlicher Pfau! ihr, Colibri,
Reicht ihr die Federn von Azur und Gold.
Mit Purpurmuscheln wollen wir dein Haar,
Almerie , erhöhn , und Perlenreihn
Dazwischen flechten ; und ein Blumenbusch,
Von Diamanten schmücke deine Stirn !
94 Fünfter Brief.

So soll der Jüngling , welcher aus dem Blut

Des großen Monkezuma stammt, dich sehn.

Er, schön , und tapser wie der Krieges Gott,


Trägt deine Feßeln, o Almeria!

Man sollte glauben , der Dichter wäre selbst in


Mexico gewesen, der sich so in die Laune der america.'
nischen Mädgen hineindenken kan. Fast ist eS noch
leichter, sich in die erdichtete Welt zu versetzen, als in
eine würkliche, in welcher wir Fremdlinge sind und die
wir vielleicht nicht gesehen haben; leichter in irgend
eine Mythologie , mit welcher wir uns eher durch die
Hülfe einiger Schriftsteller familiarisiren können, als
über den Ocean in ein Land , das wir aus einigen ohne
Geschmack beschriebenen Reisen nur halb kennen lernen.
Die mythologischen Geschöpfe findet der Dichter schon
völlig zu seinem Gebrauche zubereitet , vollkommen sinm
lich, mit allen ihren Attributen, mit ihrer ganzen Ge<
schichte. Würkliche Wesen aber sind noch roher Stoff,
der erst , um gefällig zu feyn , für die Kunst zu verar
beiten ist. Ein weiser Poet wird also oft würkliche
Begebenheiten durch eine Hindeutung auf die Fabel
sinnlicher machen, und poetischer durch ein allegorisches
Gewand, welches er ihnen umhangt; wie Namier
durch den Herkules seinen König bezeichnet und die
Feinde seines Königes, durch den nemaischen Löwen,
durch die Hydra, durch das kriechende Seethier, durch
die
Fünfter Brief. ^ 95

die Stymphaliden und durch die theazischen Roße


In diesem Falle erwählt der Poet eigentlich einen
Mittlern Standort zwischen der Würklichkeit und der
Erdichtung; eine Anhöhe, von welcher er beyde über-
sehen kan ; und so bald er irgendwo Ähnlichkeit erblickt,
so ist er schlau genug , den Leser bloß auf die Fabel zu
weisen, weil er ihm das Vergnügen machen will, die
Vcrgleichung selbst anzustellen und das übrige hinzuzm
denken. Für den Beyfall aber, welchen der Dichter
von uns zu gewarten hat, verlangen wir eine doppelt
te Wahrheit seiner Allegorie ; Wahrheit der Fabel , das
Heist, Beybehaltung aller der Bestimmungen, welche
die Mythologie den handelnden Wesen gegeben hat;
und Wahrheit der Vergleichung , oder Übereinstimmung
der Fabel mit der Geschichte. Diese Forderungen
schranken freylich den Künstler ein; allein desto mehr
Lob verdient er, wenn er solche Schwierigkeiten glück-
lich überstiegen hat
Mehr

*) Eine Allegorie, die c>l< Allegorie in Rücksicht auf


ihre Bedeutung gut ist, an welcher aber doch die
Kunstrichter, vielleicht mit Recht, allerlei) getadelt
haben! Es ist nicht genug, daß manche Verse, eine
Bedeutung haben; sie sollten auch für sich be«
trachtet, schön seyn. Aus dieser Ursache vielleicht
ist einem Receusenten das kriechende Seethier
unerträglich gewesen, wenn es gleich, wie jeder
Zeitungsbelesene Mann weiß , seine gute Bedeu
tung hat.
"5) Kleinigkeiten kan immer der heutige Dichter ver
ändern.
9<Z Fünfter Brief.

Mehr Freyheit ist einem solchen Dichter erlaubt,


der sich in das Utopien der poetischen Welt hinein,
denkt, nur um zu spotten und zum Beispiel, die Chro
nik« des heidnischen Himmels auf eine travestirte Art
uns vor zu erzählen. Mag er doch die ganze Fabel
umschaffen , eine boßhafte Catastrophe hinzusetzen , wi<
der das Costume sündigen, Minerven ein Mieder, «der
Dianen einen Fächer geben ! Wir sehen dergleichen
Ungereimtheiten gern, weil sie es gerade sind, durch
welche die alte Mythologie einen komischen Anstrich er?
hält, die in solchen Fällen nur gebraucht wird, um uns
lache» zu machen, und die Grillen abzutreiben.
Noch

Ändern, der kein Sklav, sondern ein Freygelaß«


ner der alten Mythologie ist, welcher er nur au«
Neigung zuweilen noch nachgeht. Es wäre lächer
lich , Herrn Ramler zu tadeln , weil er das Elfen?
Hein der Statüe , die den Pygmalion verliebt mach
te, in Marmor verwandelt hat. Hvid ist in sol<
chen kleinen Umständen gewis kein Gesetzgeber;
und wer weiß ob nicht Ovid geint hat, weil zu
Pygmalions Zeiten die Torevtice noch mcht er
funden war und daher schwerlich eine so schöne
Statüe aus Elfenbein gemach? werden konnte.
Ich mache diese Anmerkung, weil ich weiß, daß
man Herrn Ramler wegen einer so großen Klei
nigkeit getadelt hat. Die Idee des Marmor
steins ist für uns überhaupt, ich weiß nicht war-
^ «. «m erhabner uiH edler als die voin Elsenbein.
Fünfter Brief. 97

Noch größere Hinderniße übersteigt der Poet , der


sich in wörtliche Begebenheiten des Alterthums ver<
setzt, an den Hof des Dionysius, zwischen den ernst!
haften Dion , den weisen Plato und den weltklügeren
Aristipp. Hier verlangt man nicht Schönheit, nicht
dichterische Wahrheit allein ; man will auch , daß die
Charaktere und Handlungen der Personen mit demj«
nigen übereinstimmen, was uns die alten Schriftsteller
von ihnen überliefert haben. Wielands Agathon könns
te noch schöner seyn, als er ist; jezuweilen würde ich
ihn doch mit Verdruß aus der Hand legen, wenn ich
nicht fände, daß seine Manner würklich so geschildert
sind, wie zum Theil die Geschichtschreiber der Philo-
sophie sie geschildert haben , nicht Thomasius , nicht
Genzken, nicht Stolle; sondern Lacrtius , Plutarch
und andere, die uns Züge von ihnen vorlegen, in wel
chen man ihren ganzen Geist wieder findet , wenn man
ihn nur suchen will. Ich wenigstens glaube in der so-
phistischen Deklamation eines Hippias einen ausgeartet
ten Schüler des weiseren Evicur zu hören, oder einen
Carneades, der im Stande war, heute wider Tugend
und Gerechtigkeit eben so witzig zu Felde Zu ziehen, als
er sie gestern verrheidiget hatte.

Wir haben in unsern Tagen persische und chine,


fische Briefe, wir haben AmazonenLieder und Gesaw
ge eines preußischen Grenadiers bekommen ; alle von Ge<
nies, die weder Persianer , noch Chineser, weder Am«
G zonen.
98 Fünfter Brief.

zonen, noch Grenadiers waren. Hineindenken musten


sie sich also in fremde Gesinnungen, in einen fremden
Charakter hinein, um sich in diesem iminrr mit Gleich
förmigkeit zu erhatten und standhaft in der angenom-
menen Rolle zu beharren. Eine Kunst, die nicht der
Poet, nicht der epische und dramatische Dichter allein,
die auch der Geschichtschreiber verstehen muß, wenn er
unsterbliche Werke liefern will, pragmatisch und nach
dem Muster der Alten geformt. Alle Personen, die in
Der Geschichte einen Namen haben, Handelken nach
einem gewißen System, von welchem ihr eigenthüm-
licher Charakter die Basis war. Dieses System , ver
glichen mit den Umständen, ist die Hypothese, aus
welcher die Phanomena aller ihrer Handlungen zu er-
klären sind. Setzt euch also in die Denkungsart des
Mannes, von welchem ihr schreibet; so habt ihr den
Schlüßel zu allen, was er gethan und nicht gethan
hat , und das Hülfsinittel , von allen seinen Handlun
gen eine vernünftige und treffende Ursache zu erfor
schen *).
Die

*) Vielleicht ist hier die Ursache, weßwegen die


Deutschen über den Mangel an pragmatischen Ge-
schichtschreibertt klagen. Die meisten ihrer Skri
benten erkälten sich durch eine trockne Lectüre,
durch matte chronologische Untersuchungen , und ih
re Phantasie ist nicht feurig genug, um alle Sce-
tten.
Fünfter Brief.

Die Menschen werden , im Großen betrachtet , im«


mer seyn , wie sie gestern und ehegestern waren. Ein
Mann von reicher Phantasie tan sich daher das Vergnü
gen machen, zuweilen selbst in die Nachwelt sich zu phan-
tasiren ; vielleicht kan er Prophet werden , wenn er die
Proportion richtig zu treffen weis : Wie sich verhal
ten unsere Väter vor zwanzig Jahrhunderten
zu uns : also auch wir gegen unsere Rinder nach
zrveytausend Jahren. Wie, zum Beysviel, wir
über die Alten urtheilen, so wird die Nachwelt auch
über uns richten. Unsere schlechten Schriftsteller müs
sen nothwendig den Weg alles PapireL. gehen ; die vors
treflichen bleiben allein übrig, wenn unsere Sprache
übrig bleibet, und aus diesen wird also die Nachwelt
es bestimmen können , wie weit es die Deutschen in
Werken des Geschmacks gebracht haben. Ein Kunst-
richter in Nova Zembla wird im Jahr nach Christi
Geburt z?68 seinen einheimischen Schriftstellern ol)iige-
sehr folgende heilsame Lection geben: „Laßt uns schrei-
„ ben, wie die Deutschen, erhaben und doch natürlich,
„ wie Klopstock ; körnicht und philosophisch , wie Hal-
„ ler; rein, ohne matt zu werden, wie Hagedorn und
„ Dusch; blühend und reich, wie Wieland; melodisch,
„ wie Ramler; frölich , wie Utz und Gleim; sanft
„ und doch geistreich, wie Geliert und Weiße; nicht
G 2 „ wie

nen, die zu beschreiben > alle Charaktere, die zu


. schildern sind, auf eine täufchende Weise herbey-
zuschassen.
wo Fünfter Brief.

„ wie unsere und * und «nd wie sie weiter Hess


„ sen — Oder wollt ihr Philosophiren, so schreibt,
„ wie Moses, wie Spalding, wie Abbt, Zimmer!
„ mann und Jselm; nicht aber wie und und
^ „ und der ganze Troß unserer Schulweisen — /,
bann werden Vielleicht die und und aufstehen,
ihre Stimme erheben und einen Antikritikus verferti:
gen, oder verfertigen laßen, den ganz Novazembla,
die — ausgenommen, belachen wird. — Aussichten
in die Nachwelt zu schreiben", ( habe ich schon anders
wo gesagt) dies würde für einen Mann von Laune
und Phantasie eine vortrefliche Arbeit seyn; wer sich
dieser Eigenschaften bewust ist, den erinnere ich noch
mahls daran ; ich bin es nicht.

5 Wenn der Dichter die Arbeit übernehmen muß,


oft seine Seele, seine Empfindung in einen fremden
Ton zu stimmen, in fremde Gesichtspunkte sich zu ver
setzen; so soll es der Kunstrichter nicht übel nehmen,
wenn ich von ihm ein gleiches verlange. Dieser ist
eigentlich Mr ein Nachtreter des Poeten ; er soll seine
Spur verfolgen , ihn aufheben , wo er gefallen ist , ihn
hier und da zurecht weisen; nicht aber voranlaufen
und geradezu fordern , daß der Dichter ihm folgen
soll. Nach wohlhergebrachtem Amtsgebrauch finden es
einige Kunstrichter für gut, so bald sie den Titel eines
Werks lesen, sich selbst zu fragen: wie würdest du dies
bearbe«
Fünfter Brief.

bearbeitet haben? Sie bilden sich also einen Plan,


ein eigene« Ideal und mit diesem , nicht mit dem Pias
ne des Schriftstellers, vergleichen sie sein Werk. Und
dieser wird ohne Barmherzigkeit verdammt, wenn er
eigensinnig genug gewesen ist, seiner eigenen Empfin?
dung zu folgen, und nicht einer fremden, die er nicht
einmahl vorher sehen konnte 5). Verdammt — aber
eben so unbillig, als Hannibal von einem Reisenden
getadelt wird, weil er vor zweitausend Jahren nicht
eben den Weg über die Alpen genommen hat, der
jetzt für diesen gebahnt war.

O
Von den Scaligers und Pcrraults , die ohne Ger
schmack loöen und ohne Geschmack tadeln, ist hier die
Rede nicht. Aber zu unsern Zeiten ist keine Warnung
an die Kunstrichter vergeblich , da selbst weise Manner,
da selbst ein Voltare, ein Bar ** ) und, ungern sage
ich es, selbst ein Home in diesen Fehler verfallen sind,
blos aus solchen Gründen, die aus ihnen, aus ihrer
Empfindung, aus ihren Zeiten hergenommen sind, den
Meister zu tadeln , der nicht für sie gedichtet hat. Die
.Henriade ist gegen den Lord Kayin von Meinharden
selbst vertheidiget worden ; ich wünschte, daß Horaz in
G z Herrn

') Selbst mit dem planenvollen Abbt , wie ihn


jemand' genennt hat , kan man in dieser Rücks
ficht nicht völlig zufrieden seyn.
*5 ) Nicht selten in seinen Labiol«.
io2 Fünfter Brief.

Herrn Langen einen eben so geschmackvollen Vorsprecher


gefunden chatte.

Der Bogen ist voll, mein lieber Jacobi ! Ihre


Antwort will ich nicht fher , als bis Sie mir ein Buch
mitschicken können , unter dem Ttiel : Versuche über
die Werke der italienischen Dichter von Herrn
Meinhardt, fortgesetzt von Herrn Iacobi. Bis
dahin leben Sie wohl !

Sech
Sechster Brief

a» de» Herr» GeheimenRath

Klotz.

G 4
Sechster Brief

an den Herrn Geheimen Rath

K l o t z.

Ein Besuch vom Apoll mit allen seinen Mu,'


sen wäre mir nicht so lieb gewesen, als
5 mir der Ihrige war, Ihre Muse mit das
zu gerechnet, mein Theurester Hreund .' Glauben Sie
so nicht, daß ich immer so vergnügt bin, als Sie mich
in diesen glücklichen acht Tagen gesehen haben. Ver
scheucht wurde mein böser Dämon durch Ihre Gegen
wart ; aber er lauschte im Winkel, um mich zu überlas
schen , sobald Sie sich in den Wagen gesetzt hatten und
fortgefahren waren. Jetzt besitzt er mich wieder wie
vorher und ich kan ihn nur dadurch auf eine Zeitlang
fortjagen, daß ich zuweilen mit Herrn Meusel und Herel
über die bösen Skribenten lache, zuweilen die Gesellschaft
G 5 in
io6 Sechster Brief.

in dem Hause des Herrn B. besuche, in welcher wir so


vergnügt waren , und wenn ich allein bin entweder an
Sie und meine andern Freunde denke und schreibe, oder
den Kunstlichtern diese kritischen Briefe hinwerfe, in
welchen ich alles sage, was ich seit einigen Jahren nur
zu denken gewagt habe. Bey diesen Briefen begnüge
! ich mich bloß mit dem Vergnügen , welches uns die Zeus
^ gung geistlicher Kinder verschaffet ; übrigen,« gebe ich ihs
nen meinen väterlichen Segen und überlaße sie dem
Schicksale, was sie verdien«,. . - - « '

Wenn ich nicht daray dachte , daß dieser Brief


sollte gedruckt werden und baß dem Publicum mit
PrivatAngelegenheiten der Schriftsteller wenig gedient
* ist; so würde ich mit Ihnen von nichts als von uns
serer Freundschaft reden , die uns ohngefehr seit einem
Jahre ( denn so lange ist es , wo ich nicht irre ) meis
ne Tage versüßt hat. Jetzt bereue ich erst die Zeit,
die ich vor acht Jahren an einem Orte mit Ihne»
ohne Sie zugebracht habe, ohne Sie anders als von
Person und durch Ihre Schriften zu kennen; und ich
ärgere mich , dasjenige sieben Jahre entbehrt zu haben,
was ich erst seit Einem Jahre genieße.

Gern wollte ich , um Ihnen keinen leeren Brief


zu schreiben, einen kleinen Amor mit einschließen) von
der Art, wie Herr Gleim und unser Jacobi einander
, Sechster Brief. 107

sie zuschicken. Aber Sie wißen es selbst, wie wenig


dieser lose Gott für mich gemacht ist und wie sehr er
für meinein Schreibetische erschrickt , wo er lauter Ge
genstände antrift, die für einen so leichtsinnigen Bu
ben nicht gemacht sind.

Vor mir, mit meinem Hutcheson,


Mit Lamberts tiefen Organen',
Mit meinem lieben Mendelssohn
Und Lock und Al>bt und Jselin , ,
Muß jeder kleiner Amor fliehn,
Fliehn zu Jacobi, oder Gleim;
Und flöh er nicht zu dem, so flöh mich auch der
Reim.

Aber statt des Amors schicke ich Ihnen einen kleinen


Satyr, zur Gesellschaft des größern, der Sie immer
begleitet. Ich kan ihn, seitdem ich eine philosophische
Bibliothek schreibe, nicht weiter brauchen; aber Sie
wird er vielleicht mit seinen drollichten Sprüngen bei?
müßigen Stunden belustigen. Ein Tausendkünstler ist
er; geschickt, sich alle mögliche Gestalten zu geben und
zu seyn, wie man ihn haben will.

Oft hat ers Bandeln nachgemacht;


Ost Schönaichs Hermann ausgelacht;

Oft
io8 Sechster Brief., ^

Oft spielet er den Amikritikus ,


Und (mit Erlaubnis)) auch manchmal)! den Kri
tikus,
Und oft den MetaphysicuS.
Trotz Wagnern , kan er demonstriren ;
Wie Hudemann, durch Trauerspiele rühren;
Trotz Bodmern antikxitisiren ; ,
Wie Schwarz, Virgile travestiren;
Un?, wie der andre Schwarz in Xanten,
recensiren.

„ Auch schlechte Verse schmieren ? „ werden Sie sagen.


Mag ich doch.' Genug den Satyr sollen Sie behal
ten, Sie mögen wollen, oder nicht. Aber nicht ihn
allein schicke ich; damit Sie ihn beßer kennen lernen,
so sende ich Ihnen zugleich seine ganze Genealogie;
an seine Anverwandten , die Sie ohnehin schon ken
nen, darf ich Sie nur wieder erinnern.

Seine Vorfahren waren anfangs wild und


schwärmten in den Wäldern herum. Die ärgerliche
Chronik der damaligen Zeiten beschuldiget sie, daß sie
den Nymphen nachgegangen waren, wovon aber mei
ne Nachrichten nichts zuverlässiges melden. Das weiß
ich, daß sie, ohngefehr im dreysigsten Jahrhunderte
der Welt, mit den Musen eine Bekanntschaft errichte
ten.
Sechster Brief. ,09

ten, die so vertraulich war, daß sie das Vorurthett


widerlegte, als waren diese Frauenzimmer beständige ^
Jungfern geblieben. Ihre Winkelehen waren sehr
fruchtbar und die meisten von den erzeugten Kindern,
die gerade Mitteldinge zwischen der Rauhigkeit ihrer
Väter und der Artigkeit ihrer Mütter waren , gesellten
sich ^ zu den MenschenKindern, wandelten unter ihnen ^
und verspotteten sie. DaS letzte thaten sie durch ihre ^
Freunde, die sie sich, so sehr sie auch noch Bockfüßs
ler waren, mit ihrer einschmeichelnden Drollichkeit alle;
mahl zu erwerben wüsten. Der Genius, welcher dem
/Sokrates immer gegenwärtig war und ihm seine Ein.' ^
fälle ins Ohr sagte , war , wie ich gewis weiß , nichts
anders, als ein kleiner Satyr, welchen sein Vater,
deßen Namen ich in meinen Papieren nicht finde, mit
der Muse Lraro gezeugt hatte. Sokrales gewann
ihn lieb, weil er ein guter Knabe war , leichtfertig
ohne Boßheit, lustig ohne Ausgelaßenheit, spöttisch,
um zu beßern nicht um zu beleidigen. Ein anderer
von diesem Geschlecht« , welchen Thalia gcbohren hatte,
verband sich auf eine geistige Weise mit dem Aristo?
phanes und lehrte diesem das grobe komische, womit
er uns manche Grille , und manchem ernsthafteren
Manne Wehklagen abtreibet. Ein dritter, CalliopenS
Sohn, wagte es, den erhabenen Homer umzuschaffen Zi
und seine Leyer zu Scherz und Laune herab zustimmen.
Es gelang ihm und Homer sang, mit Erlaubnis aller
Kunstrichter die daS Gegentheil sagen , nach dem Zor?
ne
110 Sechster Brief.

ne des Achills den Krieg der Frösche mit dem Mckm


sen. Ein vierter, der Sohn der Euterpe, verbarg sich
lange, um die Welt ungesehen betrachten zu können,
biß es ihm endlich einfiel, sich mit einem Römer zu
1^ verbrüdern. Er war es, welcher dem^Lucilius die Ver-
' se vorsagte , die dieser für seine eigene Arbeit ausgab ;
und wenn diese Verse schlecht sind , so muß man He-
, denken, daß es die UebungsStücke eines Satyrs was
rcn, der jetzt erst anfieng, eine menschliche Sprache
zu reden.

Dies sind die vier Stammväter unsers ganzen


heutigen satyrischen Geschlechts, deren Abkömmlinge
sich durch alle poetische Welttheile verbreitet haben.
Diogenes, Aristipp,, Petronius, Lucian,, Apulejus,
Julian , Rabelais , Scärrön , Cervantes , Buttler ,
Swift, Fielding, Sterne, Voltare, la Fontäne und
von Unfern Landsleuten Schupp, Moscherosch , Liscow,
Nabener und Wieland — dies sind die glücklichen
Sterblichen, mit welchen sich die Kinder und Kindes.'
> kinder des /.sokralischen Dämons) verbrüderten, unter
welchen einige die erste Gestalt ihres AnHerrn unver
ändert behielten , andere aber sie unter verschiedenen
Mummereyen versteckten. Vom Satyrs Lucilius wurs
den gezeugt Horaz, Persius , Juvenal , Regnier, Boi-
leau, Churchill, Rachel, Caniz, Haller, und unter
seine Angehörigen rechnen sich auch Catull, Martial,
Owen, Wernike, Kastner und Leßing. Tasso, Pope,
. ' Zach«
Sechster Brief. m

Zachariä und Dusch kommen an« den Lenden de« lu


stigen Homerischen Genius. Und Menander, Plans
tus, Terentius, Moliere, Goldoni, Weiße und eine
Menge anderer Namen sind durch den Satyr des^Ari-
stophanes berühmt worden, deßen Nachkommen unter
der Zucht dieser Männer verfeinert und zur guten Le
bensart gewöhnt worden.

Alle Catonen und ernsthafte Weise mit Barten


und' ohne Bärte, die Zenonen, die Chrysippe, die
Seneca und, mit Erlaubniß, auch die Basedowe bitte
ich um Vergebung, daß ich es gewagt habe, den klini
schen Diogenes in die sokratische Gesellschaft zu brin-
gen und seine hündische Laune als ein Erbstück des
weisesten unter allen Sterblichen zu betrachten. Wenn
man viel Wiz haben muß , um die Menschen auf eine
solche Art an zubellen, wie Diogenes; so gehört zugleich
viel Selbstverleugnung dazu , in eine solche Lage sich zu
versetzen, wo man gewis weiß, daß das erste Gelächter
nothwendig auf uns selbst zurückfallen muß. Von beyden
Seiten ist mir Diogenes ein merkwürdiger Mann , wenn
gleich sein Satyr zuweilen auf dem Karren des Thes-
pis herum fuhr , wenn er gleich gute Sitten verwarf,
um Tugend zu predigen , wenn gleich unter feinem zer-
rißenen Mantel eine ehrgeizige Seele gewohnt und er
den Hochmuth de« Plaw nur durch einen andern Hoch
muts) mit Füßen getreten hätte ; oder, mit andern
Worten ; wenn er gleich bey aller seiner Laune und Phi
lo
li5 Sechster Brief.

losophie noch ein Mensch war, mit einem menschli


chen Herzen und mit menschlichen Fehlern.

Wer aber den Bettler nicht sehen mag , dem wird


vielleicht der Philosoph nach der Mode, der Hofmann,
der Kenner der feinen Welt , dem wird Aristipp un
streitig beßer gefallen , der Diogenes im seidenen Rocke,
so wie Diogenes ein Aristipvus im Schmutze war.
Wen» verschiedene Weg« nach einein Orte führen, so
wählet sich ein jeder denjenigen , welcher für ihn nach
seiner besonder« Neigung und Denkungsart der beq^m-
sie ist und welchen ihm seine Umstände am ersten er
lauben.

Der wehrt den Fliegen mit dem Stock; und je


ner mit dem Fächer;
Der trinkt sein Waßer aus der Hand , der Wein
aus seinem Becher.

Diogenes war zu unbiegsam , zu wenig zum Zwange


geschaffen , um seine Lebensart in die Falten des Hofs,
der Mode und des willkührlichen Wohlstandes zu brin
gen. Aristipp war zu zärtlich gebildet, um auf dem
Markte, oder in einer Halle zu übernachten und dje
Schimpfreden des niedrigen Pöbels und die Verach
tung des Vornehmern zu ertragen. Beyde hatten viel
leicht im Grunde ein gutes Herz, welches noch immer
mit einer, oft selbst ausschweifenden , Ehrbegierde ver
gesellschaftet seyn tan. Dieft trieb beyde , sich hervor-
zu
Sechster Brief. uz

zulhun, und jenes, ihre Mitbürger zu beßern und Gus .


tes zu stiften. Der eine wählt sich zum Schauplatze den
Hof des Dionysius und der andere fein Faß. Die Laus
ne eines jeden Menschen ist ein Chamäleon , welches von
.den umliegenden Gegenständen eine Farbe annimmt; sie
wird also auf der Oberfläche eine Verschiedenheit zeigen,
da sie doch im Grunde einerlei) ist.

Dies ist die Ursache , weswegen launische Schrift


ten vielleicht unter allen am schwersten zu beurtheilen
sind. Humour ist überhaupt thörichte Wcißheit ; und
was uns andern oft der gröste Fehler scheint , das ist viels
leicht in Rücksicht auf die Lage des Verfaßers zweckmäßig
und bey ihm die gröste Schönheit. O

Man hat den petroniUS wegen der schlüpfrigen


Bilder und Erzählungen getadelt, die sein Buch für die
Jugend gefährlich machen. Ein billiger Richter wird
diesen Autor leicht entschuldigen , der mitten in dem G«
tümmel der Höflinge eines einfältigen Claudius und eines
viehischen Nero lebte, der selbst eine Zeitlang der Auf?
seher über die Lustbarkeiten des Hofs war und der noch
weit unreiner müste geschrieben haben , um seine Schil«
derungen den Originalen völlig ähnlich zu machen. Für
uns mag immer sein Buch allzu unzüchtig seyn ; der un
terste Cammerjunker in Neronö Gefolge wird geurtheilt
Hab,en, daß es viel zu züchtig fey. '

H Vers
n4 Sechster Brief.

Nergleichen Sie, meinSreund, brey Schriftsiels


Kr mit einander, die über ähnliche Sachen, oder in eis
ner ähnlichen Laune geschrieben haben ; den Esel des
ApulejuS mit dem Eftl von Lucian und die Gespräche
Fe« leztern mit Julians Kaysern. ApulejuS, erst in den.
Geheimnißen der aberglaubischett Priester eingeweiht,
dann Sachwalter zu Rom, gab seinen Schriften aus der
heiligseynsollenden Mythologie der heydnischen Pfaffen
und dem AdvocatenGeschmacke der Römer, eine vermischte
Tinktur, die durch den Mechanismus seines eigenen Kopfs
ziemlich originell ward. Daher feine Dämonischen Ers
Zählungen vom Akratischen Genius iin Ernste , und seine
Hexenmährgen im Scherze ; daher die Weitschweifigkeit im
Denken und im Schreiben; daher endlich auch einige Chi'
eanerien im Schließen, die ich für nichts anders als für
AdvocatenStreiche annehmen kan. Ein plumper Scri-
bent scheint er uns allemahl, wenn wir ihn mit dem
Samosatenser vergleichen, der sich frühzeitig gute Eins
sichten in die feiner« Künste erworben, statt,Hieroglyphe
scher Mummereien die beßern Werke des Alterchums und
die Welt studirt und dadurch seinen Geschmack ausgebil
det hatte. Eben die Fabel , welche dem ApulejuS Stoff
zu einem ziemlichen Bande gegeben hatte , erzählt Lucia»
auf einigen Blättern , weniger verwickelt, aber auch we:
niger ermüdend und mit mehrern Salze Julian hat
ihn unstreitig gut nachgeahmt ; allein Julian war nicht
bloß Schriftsteller, der feine Kayser von fern betrachtete;
er war das selbst , was jene gewesen waren ; ein anderer
hätte das Gespräch nicht schreiben können, nicht fchr«!
Sechster Brief. 1,5

ben*dürfe». Erurtheilt also geradezu, wo sich Lucian


hinter die Ironie würde versteckt haben ; und streut hie«
nächst Erläuterungen und Lehren ei» , die jener uns
würde hinzudenken laßen. Sich zweifle, ob der Merkur
in der Feder des Samosatensers den pathetischen Abschied
würde genommen haben, mit welchem er sich dem Jus,
lian empfiehlt : X« F5 FeF««« T-ov v«^e^>« Kl<Ä^«v

««/ >zv««« «v ev«uH5v «?r<ev«< //e?-« «>)/«-

Immer einen kleinen Sprung, den kleinsten den


ein Briefschreiber machen kan , vom Julian und Lucian
herunter zum Rabelais. Wenigsten« ist es gewis , daß
kein Lucianischer Esel poßirlicher seyn kan , als der große
Gargantua und Meister Janvt von Braccamado. Wer
anders zu den Zeiten des Rabelais durfte es wohl was
gen die Pedanterey der Gelehrten , den Stolz der Hers
ren vom Schlüssel und vom Degen , das lächerliche ver«
schiedener Moden und andere Ungereimtheiten in ihrer
wahren Gestalt zu zeigen , als der lustige Doctor Franz,
der gern andere .über sich lachen ließ, um desto sicherer
über sie zu lachen? *) Scarron ist gewis weit unter
ihm ;

5) Sogar SischortS deutsche Übersetzung des Rabes


laiS ist mit Vieler Laune gemacht ; nämlich Laune
H 2 wie
ii6 Sechster Brief.

ihm ; seine schöne Frau und sein häßlicher Cörper waren


zwey Dinge, die er sehr nöthig hatte, um andere zu
belustigen, und in seinen Schriften ist er derjenige
Scarron nicht, der wie eine MarionnetenCarrikamr auf
dem Tische saß und mit Marquis umgeben war.*) So«
lange bis die Franzosen einen beßern bekommen, soll iuil
mer Rabelais ihr Cervantes scyn. Der Spanier ist
regelmäßiger, weniger ausschweifend, correkter ; seine
Ironie ist feiner, gleichförmiger, witziger und sein Held
wahrscheinlicher, als der obentheuerliche Gurgelsiroßa.
Dafür hat der Franzose mehr Feuer ; seine Phantasie ist
lebhafter und selbst in ihren Ausschweifungen ergötzvid,
und die Drolligkeit seiner Schreibart hat eigne Reize
für den, welcher die Sprache versteht. Ich möchte ihn
mit

wie wir sie von Huldreich EUoposcleron im Jahre


1617 verlangen können. Ich wünschte, d«ß der
deutsche Ucbersetzer des Hudibras dies« affenrheurli«
che, naupengeheurliche Geschichtklitterung ge«
lesen und studirt hätte ; der deutsche Mittler würde
noch einmahl so komisch geredet haben, als er jetzt
spricht. »
*) Ein Urtheil, mit dem das französische Publicum üver-
. einstimmt, welches seinen Rabelais noch immer liebt
und Scarrons Werke fast vergessen hat. Ich will lie
ber die Briefe des l7>r»n« von Lergersc und seinen
BouteillenRitt lesen, als den komischen Roman, web
eher zu ScarronS Zeiten so sehr bewundert wurde.
Sechster Brief. ,17

mit Buttlern vergleichen , wenn ich doch einmahl ver-


gleichen soll ; Sie aber, mein Freund, wißen meine
Pradilection für den Hudibras , die leicht bey einer Pas
rallele dem Pantagruel schaden möchte. Sie wißen, wie
lange ich schon an einer deutschen Versart, gekünstelt habe,
durch welche man denjenigen Ton ausdrücken könnte , den
ich nicht anders als den Hudibrastischen zu nennen
weiß. Aber auch das wißen Sie, daß es mir nicht ges
lungen ist ; die Strophen , welche ich vor einiger Zeit
Ihnen zuschickte, sind zu nichts nütze und ich bitte Sie,
das Ding ganz zu unterdrücken. Vielleicht waren nur
die drey Zeilen erträglich :
Jndeß posaunt Her Psaff ,ins Land ,
Und schlägt die Trommel mit der Hand
G
Auf seinem. Csnzelpult.
Aber auch hier ist der Sinn des Originals nicht vollkoms
men übergetragen ; und der Ton der Kriegslieder ist
nicht der, in welchen die Buttlerische Muse deutsch sins
gen muß. Vielleicht waren zu dieser Absicht unsere Knit
telverse am meisten geschickt; allein der Deutsche ist z«
delicat und wer würde unter uns ein Werk lesen wollen,
welches aus zwölftausend Knittelversen zusammengesetzt
wäre. Sastriren müste man den Dichter ohnehin , da«
mit der feinere Geschmack und der Wohlstand nicht be
leidiget tvürde. Aber dann wäre unser Ritter Ucht Hm
dibras mehr, wenn man ihm z. B. das Pack von seinen
Hintern nehmen wollte, welches er auf dem Rücken trug,
oder seine Speisekammer , die ich nicht nennen mag
Hz -und
nz Sechster Brief.

und in welcher er^so viele und mancherley Lebensmittel


verbarg, daß es uns bey der Erzählung ganz schlimm
wird. ^

Den unsterblichen Swift hat jemand den engs


K'schen Rabelais genenm; ein anderer hat es übel g«
nomine»^ nun kan ein dritter kvlmnen und den erste»
«ertheidigen. Freylich war der Dechant nicht der Lw
stigmacher in Gesellschaften wie der Doktor; jener ist
reicher an mannichfaltigen Erfindungen, beißender in
seinen Satiren, tiefer und eindringender, weniger pS<
belhoft und überhaupt klaßischer. Aber bey bevden ist,
im Großen betrachtet, einerley Wendung des Kopfs,
die Dinge immer vomoer lächerlichen Seite zu betrach«
ten, und eine Laune, für welche auch die unwichtig-
ftrn Dinge wichtig werden. Nur lacht Rabelais fast
immer selbst; Swift aber sieht fein einfältig ernsthaft
aus und läßt seine Leser lachen.

Mein Steckenpferd darf ich nicht vergessen, wenn


Sie gleich nicht völlig damit zufrieden sind^ meinen
lieben Sterne. „Aber der Tristram Shandy ist ei»
„ abentheuerliches Buch. „ — Gut .' laßen Sie mir ein?
mahl einen Menschen alle seine Einfälle ; seine ProjeK
te, seine Gedanken, seine Wünsche, seine Luftschlößer
aus seiner Seele abschreiben; zur Probe nur einige
Wochen — und sagen Sie dann, ob Sie nicht einen
neue»
Sechster Brief.- „5

neuen Tristram haben werden , nur freylich auf eine


andere Art. Aus diesem Gesichtspunkte betrachte ich
da« Buch : es ist ein Beytrag zu einem Register über >
das menschliche Herz, und ich kenne Leute, 6,>wehr
Psychologie daraus wollen gelernt haben, als aus dit
cken Bänden , in welchen man die Empfindung vorher
tödet, um sie hernach mtt mehrerer Muße zu anatos
miren. Ein jeder Humorist setzt bey dem Leser gewisse
Stunden voraus, in welcher er muß' gelesen werden,
um zu gefallen. ' Swift selbst macht mich zu gewißen
Zeiten ernsthaft; und Sternen nchme ich dann zur
Hand, wenn ich so mürrisch bin, daß selbst Buttler
mich nicht bis zum Lachen kützeln kan. Bin ich Witt
der aufgeheitert, so ist Fielding für mich ein vortreft
licher Mann und ich finde in ihm oft die Räder von
Ser Uhr , deren Zisserblat mir Sterne gewiesen hatte;
«ft ist es umgekehrt; oft ist der eine der Commentar
über'den andern, und oft sind sie nur dadurch verschi«
den, daß Sterne die kleine» Thorheiten, FieldinK
aber die größern abschildert, welche in das ganze Glück
und Unglück deS Menschen einen Einfluß hgben. Der
Romandichter vergrößert die Tugenden und der Satins
kus die Laster der Menschen. Fielding erwählt de«
Mittelweg und giebt uns das menschliche Herz, so wie
<< ist , in seiner wahren Gestalt , mit allen seinen
Mängeln, ohne daS Gute zu verschweigen, was sich
noch immer daran befindet. Pamela rührt mich , aber
sie beßert mich mcht, weil ich fast die Unmöglichkeit
H4 , fühle.
»c. Sechster Brief.

fühle , sie zu erreichen. Ueber den Ritter von der trau


rigen Gestalt lacht man: aber nur selten denkt man
die Beziehung, welche die Satire auf uns haben kan,
und mancher ist selbst Donquichott«, der Donquichott
ten verlacht. Aber TomJones rührt, belustiget uns
zuweilen und thut, weil wir ihn überall mit unserm
Gefühl begleiten können , eine weit dauerhaftere Würs
kung auf unser Herz; er kZn es bester«.

Wenn die Franzosen keinen Stevn, keinen Fiel


ding ^haben, vielleicht nicht haben können) so wollen
wir ihnen dafür ihren Lafontäne lasien, mit dem der
Engelländer keinen Landsmann vergleichen kan. Fom
tSnens Laune ein bloßeS Werk und Meisterstück der
Natur , gefällt , ohne gefallen zu wollen. Er verbirgt
Weisheit unter Einfalt, wird oft ernsthaft, wo er nur.
spielen will, und lustig, wo er die ernsthafte Miene
annimmt; er spottet, ohne es sich vorgeseht'zu Höben,
und salirisirt, ohne zu beleidigen. Ihn nachahmen,
ohne seine natürliche Laune zu haben , das Heist mit
einer männlichen Gestalt und Stellung die Posituren
eines Kindes am' Gängelwagen nachmachen.

Wer Voltärens Candide noch nicht gelesen hat,


der soll ihn lesen * ) , um sich zu überzeugen , daß auch
«in

*) Wenn gleich hundert Kunstrichter hundert Fehs


Kr darin« gefunden haben, wenn er gleich voll
von
Sechster BrNf.

ein Franzdse eine Art von brittischer Laune haben kan.


Hierzu seinen jungen Huronen, seinen Vade und ans
dere Produkte seines unerschöpflichen Genies.' Aechte
Ironie, sokraiische Würze und' attisches Salz kan man
einem Voltäre nicht absprechen, ohne zu verrathen,
daß man es selbst nicht kennt. Seine Charaktere sind
gewiS nicht unnatürlich, wenn man das übertriebene
abziehet, welches der Satirikus hinzuzusetzen befugt ist.

Ob aber auch die Deutschen Laune haben ? diese


Frage scheint ziemlich überflüßig zu seyn, nachdem wir
die «Schriften der Liscowe *) der Rabener, der Wie
lande

von falschen Schlüßen ist, die ein Logiker in die


Form bringen und auf das bündigste widerlegen
kan , wenn er gleich Spöttereyen wider berühmte
Lehrer und allerhand andere Auswüchse des G«
nies enthält; das Heist, wenn er gleich eine
Schrift von Voltären ist. »

*) Liscow «erdient eö nicht, daß er vergeßen wird.


Sein Leben ist so sonderbar, als seine Schriften.
Die letzten könnten bey einer neuen Auflage noch
mit «inigen ungedruck:en Stücken , z. E. einem
Heldengedichte auf Sievers, dem auf der Canzel
ein Unglück begegnet war, vermehret werden ; und
« * - das
i!2 sechster Brief.

lande, der Möser, von Thümmel, Hennes und am


derer bekommen haben. Allein H getraue mir die
Frage dennoch mit ja zu beantworten, geseht auch,
diese unsterblichen Werke wären niemahlS erschienen.
Der Deutsche hat wenige Laune im Charakter; dafür
«ber ist er der biegsamste Mensch und der gelenkigste
Nachahmer, .
Vt I«U8 ett «r»e , mollis eeclenkque leqü,tur. ' '
Leicht wird es ihm also ^ ' sich in einem, fremden
Charakter zu setzen und Hmnorift als Schriftsteller zu
werden, wenn er es als Mensch auch nicht ist. In
einem Verzeichnis satirischer Schriften finde ich ewige
hundert Deutsche Skribenten, die fast niemand mehr
nennt, und unter diesen manche, die nicht zu verach'
ten sind *). Hans Michael Moscherosch von Wils
städt sah wunderliche und wahrhaftige Gesichte, in wel
chen aller Welt Wesen, aller Menschen Händel, mit
ihren natürlichen Farbe» der Eitelkeit, Gewalt, Heus
- cheley,

das erste werde ich in einer besondern Schrift er/


zählen , wenn ich zu den Nachrichten, die ich
schon habe, noch einige wenige erhalte», die mir'
fehle«.
s * ) Das Buch Heist : Schreiben eines guten Freun
des an seinen guten Freund, worinnen er ihm
«Wen Beytrag zu seiner edirenden LibkiotKe» L>>
t?rieo moM mittheilet. 1746.
Sechster Brief. »z

cheley, Thorheit bekleidet, öffentlich auf die Schau g«


führt, als in einem Spiegel dargestellt und gesehen
werden. Und Johann Balthasar Schupp, welche«
wir wohl merken wollen , eifriger Seelsorger zu
Hamburg schrieb Satire«, welche viele Kännrniß der
damaligen Welt, ziemliche Gelehrsamkeit und Erfahr
rung , einen guten Witz und oft eine sehr ursprüngliche
Laune verrathen. Von diesen Materien rede ich weit'
läufiger in der Geschichte der Laune, die ich Ihnen,
mein Freund, vor einiger Zeit versprochen habe.

Lucilius hob eine neue Epoche der Satire an-

Lile velut i?ri6t« y»ot!« l.ueiln>, srclev«


Intremuit , rubet «uciitor , ciii irißicl» mens eil
Crnninibu5, tseits K,cl«tt prueeoräis nil^«.
Incie >r,e et Iserimse.

Mag ihn doch wmer Horaz gescholten haben; wir


lieben ihn, ohne ihn sehr zu kennen, weil ohne ihit.
vielleicht selbst Horaz , als SatiricuS , ein Unding wäre.
Und den wollen wir nicht entbehren, den Mann mit
dem philosophischen Köpft ^ mit dem sanften Scherze
und der sokratischen Laune, der oft in einem schleichen«
den Tone uns unsre Wahrheiten wie im Vorbeygehen
sagt. Vielleicht läsen wir eben so gern den persius,
wenn wir nur von allen den kleinen Anekdoten untere
richtet wären, auf die er anspielt, und von Roms än
ger
»4 Sechster Brief.

gerlicher Chronik, die er immer im Sinne zu haben


scheint. Es ist zu bewundern, daß. dieser Autor öhne
einen solchen Commentar, wie der über die Duncias»
auf die Nachwelt gekommen ist ; denn persönlich« Sa,
tiren pflegen sonst zu verschwinden und bald unterzu
gehen , so gros auch die Begierde war , mit welcher sie
anfänglich gelesen wurden *). Mit einer solchen Er
klärung aber würden wir ihn höher schätzen und viel!
leicht ihin eine Stelle neben unserm Horaz einräumen.
Iuvenal ist für mich kein SatiricuS ; er ist ein auf-
gebrachter Prediger, der sehr oft wider solche Laster
schreyt, die für den bürgerlichen Richter, nicht für das
Forum des- Satiricus, gehören. Die Geisel der Sa
tire sey eigentlich daS Supplement der ordentlichen ge-
schlichen Strafen ; wo diese aufhören , dort fange jene
an. Uberhaupt wollen wir über Thoren unS nicht eben
ärgern; wir wollen über sie lachen.

Wenn es gcwis ist, was einige französische Kunst-


rlchter uns versichern , so haben sie an ihrem Boileau,
mehr als die Römer an allen ihren Satirenfchreibern
zusammengenommen. Ich vermiße an ihm die Philo«
sophie und die feine Laune des einen, das Kirnigte
und Nachdrucksvolle des andern, und das Feuer des
dritten.

5) Persius wurde anfangs fast verschlungen und fand


so vielen Beyfall, vt eclitum librum contiinio Ko-
min« mirari et äiripere eoeperint.
Sechster Brief. 12;

dritten. Was ihm übrig bleibt, ist die feine Versisi-


kation, durch welche er Sentenze in Einen oder we-
«ige Verse einschließt, denen die Nation in der Folge
daS Bürgerrecht ulWrr ihren Sprüchwörtern ertheilt
hat; und nächst der Versifikation der gute gesunde
Menschenverstand in den Urlheilen, die er über die
Gegenstände seiner Satiren, besonders die elenden Poes
ten , ergehen läßt. Regnier war vielleicht ein größe-
rer satirischer Kopf als Boileau, nur der Mangel an
kritischen Freunden und das noch unaufgeklärte Sc?
culum hinderten ihn, ein größerer Schriftsteller zu
werden, «

In diesem Jahrhunderte haben wir unter unser»


brittischen Nachbaren einen Dichter gesehen, deßen
erste Versuche in der schildernden Dichtkunst nichts we
niger als einen zweeten Horoz ankündigten, und der
nach einiger Zeit mit so starken Schritten auf der
horazischen Laufbahn forteilte, daß er seinen Vorlau
fer einhohlte und, wie einige wollen, überlief. Es ist
Pope, der unter allen Gattungen der Dichtkunst,
- in welchen er gearbeitet hat, gewis nächst der lehren
den, in dieser am meisten Pope ist; nicht so attisch,
wie Horaz, aber philosophischer als dieser, tiefdenken-
der und ein beßerer Versifikateur. Churchill überrrift
> ihn nur an . Galle und an Verwegenheit ; und dies«
Eigenschaften können leicht das Gute , was er würklich
hat, mit in die Vergeßenheit hinabschleppen.
Scha-
126 Sechster Brief.

Schade für unfern Rachel, daß « nicht in die«


fen Zeiten zu leben bestimmt war, in welchen der G«
schmack der Deutschen feine Bildung erHaken hat. Für
unfern Regnier hat man ihn erkaHnt; er konnte mehr
als Boileau werden, wenn er in beßere Tage gekom«
men wäre. Jetzt muß uns Caniz statt aller feyn:
denn Haller fatirisirt als Lehrdichter nur im Vorbei«
hen und die Satire ist ihm das, was dem SatiricuS
die moralische Sentenz ist; Löwen ist in eincm an,
der» Fache glücklicher und fcheint überhaupt feinen
Satyr Verabschiedet Zu haben ; und von jüngern Dichs
teriz müßen wir es erst erwarten , ob sie durch beßere
Werke die gute Meinung bestätigen werden« die wir
durch das günstige Unheil der Kunstrichter von ihnen
zu faßen sind bewogen worden. .

Wir wollen immer in diese satirische Legion auch


die Epigrammatisten rechnen. Denn ihre meisten Ein«
fälle sind beißend und nvn pollimt, prurisnt,
«re. Vielleicht können es hier die Deutschen am er«
sten mit den Ausländern, selbst vielleicht mit den Al«
«n, annehmen. Die Anthologie enthält uiuer «ie«
len vortreflichen Stücken auch viele mittelmäßige. Ca«
Mll ist vielleicht der naivste Sinndichter ; aber oft wird
seine Naivete' Grobheit und er unternimmt es umsonst,
sich durch den sophistische» Unterschied zwischen der
Keuschheit des Dichters und des Gedichts zu verthe«
bigen.
Sechster Brief. 127

bigen. Ihm zu Ehre« verbrannte Naugerius den


Martial; in Meinem Schranke stehen sie bepde neben
einander und vertragen sich gut. Dagegen habe ich
den Owen hinweggeworfen, in welchem man, zu viel
Wortspiele und schlechten Witz durchwaten muß , um
etwas zu finden , was die Mühe belohnet. Wenn nch
nun diese in die Eine Wagschale lege und noch das hin?
zu., was die Franzosen und Jtaliän« erträglichst hcu
den; Dann in die andere unsern Loga», Wernicke,
Kastner, Leßing, Ewald und verschiedene andere, so
denke ich ein ziemliches Gleichgewicht zu erhalten.

Ich verlaße diese Gesellschaft; denn ich höre in


Gedanken eine Stimme , die mir in einem feyerlichen.
Tone zuruft !

'Lv^s/u5vs? /ueLSTrsovo' e? ««?« A«Xssö-«i,


Hk>? 5V D«7^«x,o«7<v «j'/z'svs'Slt'/s? e^s-sev«

Nämlich Homer, nachdem er den Zorn des Achilles,


und Ulyßes Abentheure besungen hatte, ward ernst«
haster Gesänge überdrüßig ; er ließ also die Leyer zwar,
wie sie vorher gestimmt war, sang aber, auf Anrathe»
ves Satyrs, der sich zu ihm gesellte, statt «haben«
Thaten, Kleinigkeiten' und unwichtige Begebenheiten
hinein : und so entstand di« komische Epopöe. Ich weiß
, ,. / Nicht,
l« Sechster Brief.

nicht, ob die Batrachomyomachie allegorisch ist; bat


weiß ich ^. daß sie <s in dem Verstände, wie sie Herr-
mann von der Hardt erklärt hat, gewis nicht ist:
ich sehe» daS Gedicht für ein Spielwerk des Poeten
an, welches er gemacht hat, da seine epische Muse ou<«
ruhte und der kleine scherzende Satyr ihre Stelle ven
trat. Was unterdessen von der Hardt über den Hos
mer sagt, *) das gilt mit beßerm Rechte vom Tassoni.
Das geraubte Siegel, welches den Streit zwischen den
zwo kleinen italiänischen Republiken verursachte, hat
Smollet gesehen; es wird als ein Siegeszeichen und
Palladium aufbewahrt. Ein Siegel und ein Eimer
heißen beyde 5ecrKis; dies gab dem Dichter anlaß zu
seiner komischen Erfindung und sein ganzes Stück ward
allegorisch. Der Pult hingegen von Boileau ist wieder
nur eine einfache Handlung , bloß mit Maschinerien

«en

') d»,,t«t ttomeru« Koc niticlulo (Armine Orsecorum


bellum , A/xs»?»/« inter et 7>«ik»/s,. — ?r.« tz.
milinri veceris orki, »Iliilione, «zun« — er nomi»
„um son« — elegant« Kineret Äppellsrion« , ^lv«,
^>«nenles z ?oet« vo«t1//v5?, mm« , 1°^«.
^iv/o« nominzki ^«7^>«^v/, ranze — vti qnonckin
luüim in Li ssiniim , qui Ksrbsriem sri «s« ,t , ,^«>.
Eine feine Erklärung, die dem Homer,
wenn sie wahr wckre , gerade so' viele Ehre mas
chen würde, als sie jetzt dem Geschmack« ihres
Erfinders macht!
Sechster Brief. i^y

verziert , und ohne fernere Bedeutung. Vielleicht ober


war Despreaux zu etwas anders als zur scherzhaften
Epopäe geschaffen. Seine Maschinen sind gezwungen,
die ganze Ausführung ermüdend und der Scherz nicht
selten steif. Verschiedene Männer von Geschmack ha
ben mich versichert, daß es ihnen unmöglich sey^ den
Lütrin ganz zu lesen ; mir geht es , im Vertrauen ges
sagt, beynahe eben nicht besser.

Pope ist hier wieder Original, soviel man es seyn


tan. Selbst seine Maschinen sind neu , sein Plan von
treflich, sein Scherz trögt das Gepräge der guten Les
bensart und ist höflich , ohne matt zu werden. Zacha-
riä und Dusch haben diesen Weg unter uns betreten und
nebst der Anlage gröstentheils auch die popische Maschi
nerie beybehalten. Der eine hat sein gebührendes Lob
schon von andern erhalten ; der zweete ist vielleicht zu
strenge beurthcilt worden : und beyde haben durch mehre
re Werke des WitzeS sich so viele Verdienste uin unsere
Litterarur erworben, daß ihr Ruhm nicht eben auf eini
gen gelungenen oder mislungenen Scherzen beruhet.

Der dramatische Satyr unterscheidet sich noch


auf verschiedene Weise von den bisher beschriebenen Ge-
schlechtern. Aus den Händen des Cratinus und Eupolis
empfieng ihn Aristophanes, zog ihn gros und gab ihm
I einige
lzo Sechster Brief.

einige Sitten, ob er gleich noch immer Spuren seiner


Ausgelassenheit zeigte. Mit Gunst der Herren Cicero,
Plutarch, Rapin, Brümoy und anderer , möchte ich doch
wohl den Aristophanes wider die meisten Vorwürfe ver?
theidigen, die man ihm zu inachen pflegt.

Ich finbe seine Schreibart den Sachen überaus ange>


messen, wenn sie gleich Plutarch strotzend und schwankend
nennt. Madame Dacicr, als Frauenzimmer, mochte
behaupten, imm könne ihn kaum ohne Beleidigung der
Ehrbarkeit und Schamhaftigkeit übersetzen ; konnte der
heiii« Chrysostomus ihn lesen > warum wir nicht?
Daß seine Satiren persönlich sind, verdenke ich ihm
desto weniger, weil er in diesem Punkte der damali
gen Gewohnheit folgte. Sein

vergebe ich ihm auch ; was andere scurrilisch nennen ,


das dünkt mir das starke komische zu seyn, und so blies
be mir nur allenfalls fein Ausfall auf den Sokratcs,
noch zu rechtfertigen übrig , den ich aber nicht rechtfer
tigen mag, ob ich gleich in den Wolken noch immer
viele Züge finde, für die ich den Verfaßer küßen möch
te. Wenn zum Beyspiel im zweeten Auftritte Strep-
siadcs, nachdem er das ganze System von der Floh-
musik angehört hat, daraus den naiven Schluß ziehet:

ferner
Sechster Brief. izr

ferner einen Ausruf von der Glückseeligkeit desjenigen


hinzufügte, der dieses Instrument finden würde und
endlich alles auf seine eigene Umstände anwendet ; so
möchte ich den Cato sehen , den diese Stelle nicht zum
Lachen bewegen könnte. Aristophanes ist beißend, aber
fast immer auf eine lustige Art ; 'lächerliche Gegenstän
de weiß er von der lächerlichsten Seite vorzustellen und,
welches man fast allein mit Grund an ihm tadeln
möchte, oft solchen Dingen ein komisches Ansehn zu
leihen, die an sich wichtig und ernsthaft sind. Wenn
seine Stücke nicht «ach den Regeln des Hedelin ge
bildet sind, so muß man bedenken, daß Aristophanes
einige Jahre vor diesem gelebt hat und also gcnöthigt
war, der bloßen Natur zu folgen.

Die Zcugniße der Alten den Menander bettest


send, wie sie Clericus *) gesammelt hat, gehen mir
wenig an; aus seinen Fragmenten zu urtheilen, war
er correkter, moralischer, regelmäßiger, «ls Aristopha
nes, reicher an Sentenzen, vielleicht aber ärmer an
Genie. Wenn Aristophanes seine Bemerkungen aus
den Tiefen des Menschlichen Herzens heraushebt, so
gau<

5) Er hatte zu dem Schwalle von Schriftstellern


immer auch den lustinus Klarer hinzusetzen kön
nen, cls UonarcK!» z>. m. 8i> 42.

Ä2 .
'/7—

,Z! Sechster Brief.

gaukelt mir dafür Menander. nach Antithesen, die oft


seicht oben abgeschöpft, oft ganz falsch sind. Folgen.'
de Maxime fallt mir sogleich in die Augen, da ich
das Buch aufschlage:

Ho)^»? e7f0<>Z<75V >7«L ?v

Es ist also bcßer , wir sterben alle , weil wir doch


einmahl Menschen sind, die niemals ohne alles Uns
gemach leben können.

G
Im ganzen Scaligcr habe ich kein geschmackvol
leres UrtKeil gelesen, als das über den plamvS und
über den Termz. Man betrachtet ihre Werfe entwe-
der von der Seile der komischen Kunst , oder der
Schreibart. Wir die wir das Genie eines Verfaßers
in seinen Schriften auegedrückt lesen wollen, werden
allemal den Plautus bewundern, in der Anlage und '
Ausbildung seiner Fabel, in den Charakteren, selbst
im Dialog ; Terenz mus bey einer Vergleich«»«., die
aus diesem Gesichtspunkte angestellt wird, nochwendig
verlieren. Wenn wir aber Latein lernen wollen, so
sind wir genökhigt, den ganzen Sprachschatz aus den
alten Schriftstellern zusammen zu betteln, und dann
ist der correkte Terenz freylich mehr Werth , als Plau
tus
Sechster Brief. izz

Ms mit seinem Salze, welches oft für uns unschmack-


Haft ist. (Zimntlim praeter ziiimi vol»pi«tem tribnerent ^
?>zut« priici, tsntuin netz» nostr» «b linguae culcum
l'erenti'o. Iiis igilur illormn teciinclg snrtims common»
(latus, Kie nokirs mileria mzZnlis sz6tus est. >Izm e<zni»
ciem ?I.int»m vt domienm , l'ei eittilim vt loquutorem
zclmirzbor. <^>igmqnzm ne ?Isut« czniclem cznic^usm
est, czuvli «biieizs praeter zniiczuitZtem. 8vi rizniczus
temporie Iiominibus fzbnlzs cZeclir ille. 1'erentilis ver«,
ne zblcecleret »b illz, cjuzm skeörimitz pmikste; cliscel»
iit »b ez , <zu.iiu rilzelZzre oportnit^ comitgie- vt rebus
verb» ?I,,utns , Kic res vcrliis «ccommocl.ille vicles»
Kir.

Fast möchte ich «ine ahnliche Parallele ziehen zwi


schen Möllere und seinen Nachfolgern auf dem fram
zösischen Theater , zwischen Shakspcar und gewißen
correktern englilHen Dichtern. Mit Voilcaus Erlaub,'
nis, selbst Scapin mit seinem Sacke gefällt mir und
ich wage es nicht, deswegen einen Poeten zu tadeln,
der unter andern Absichten auch die haben mus, po>
piilo vt plz«ret. Was der deutsche Hanswurst auf
eine fo launische Art zur Vertheidigung seiner PriK
sche und seines Steckenpferdes , des Grokcsk'ekomis
schen gesagt hat, zu einer Zeit, da ihn Gottsched aus
den Provinzen Deutschlands in die Hauptstadt ven
wiesen und dafür seinen Afterbruder mit Bedientens

I Z Mon-
,Z4 Sechster Brief.

Montur auf das Theater gebracht hatte; damit rechts


fertige ich seinen Grosvater Scapitt und seinen nahen
Anverwandten Falsraff, der sich fürchtete, in der Them
se aufzuschwellen und ein Berg von Menschenfleisch zu
werden. Hanswurst ist gerade der Diogenes, der sich
närrisch stellt, um die Thorheiten anderer desto lebhaf-
ter zu mahlen, wie ein kluger Vater die unanständi
gen Posituren seines Kindes nachmacht, damit es wie
im Spiegel sich sehe und beßere. „ Wollte Gott,
daß Hanswurst seine Person allein aus dem Theater
vorstellte! Aber wie viele große Aufzüge auf dem Schau
platze der Welt hat man nicht in allen Zeiten mit
Hanswurst, oder welches noch ein wenig ärger ist,
durch Hanswurst, aufführen gesehen l „ — Warum soll
nun der arme Harlekin nicht auf der Schaubühne er
scheinen, da er auf dem Theater der Welt eine so her
vorsiechende Rolle spielet.

>/ '
Wenn wird einmahl der deutsche Mokiere , «der
Goldoni aufstehen ? Oder wenn er aufstehen sollte ,
wie bald wird er durch unsere fchlersuchende, allzude-
lic«e und allzukrittsche Kritik wieder zu Boden gedrückt
werden? Gellert, Schlegel , Leßing, Weiße, Löwen,

KrS
Sechster' Brief. izj

Krüger stehen nahe am Ende der Laufbahn ; aber was


sind ihre wenigen Stücke gegen die Heere unserer Nach-
baren? Dagegen haben wir aber, dem Himmel sey
Dank, andere Schätze, deren keine Nation außer der
unsrigen sich rühmen kan, politische Schauspiele und
theatralische Schriften von Johann Jacob Bod->
mex. — .

Hier haben Sie, mein Freund, die ganze Sippz


schaft des kleinen Satyrs, den ich Ihnen übersende ;
fragen Sie ihn selbst, zu welcher Linie er gehöret. Er
ist ein feiner geschmeidiger Junge , nimmt allerley Ge,
stalten an, wie der Amor, deßen Geschichte Sie so
unnachahmlich beschrieben haben 5 macht bald eine ernst
hafte Mine, als wenn er predigen wollte und niemand
glaubt , daß es sein Ernst sey; bald scherzt er sanft,
aber mit einem schalkhaften Lächeln; bald zeigt er ein
CarricaturGesicht , wie der Oncle Toby ; und bald
dringt er sich in die Gemeinde der Thoren , drückt die
Augen zu, peitscht mitten unter sie und lacht, wenn
einer schreyt, der sich getroffen fühlt. Machen Sie
nun aus ihm, was Sie wollen.

I 4 Sind
,;6 Sechster Brief.

Sind Sie froh , daß ich mit meiner Rhapsodie


von einem Briefe zu Ende bin? Vermuthlich haben
Sie in Lauchstedt angenehme Gesellschaft; denn seit
vierzehn Tagen habe ich keine Zeile von Ihnen geses
hen. Vergeßen Sie mich nicht und leben Sie
wohl I

Sie-
Siebenter Brief

0» den Herrn HosmH

Kästner.
Siebenter Brief

an den Herrn Hofrath

Kästner.

;Wem anders als Ihnen könte ich die folgende


Erzählung von den Schicksalen unserer Litt
teratur zueignen und von den Perioden des
deutschen Geschmacks? Sie sind von den meisten Veräns
derungen und Begebenheiten selbst ein Augenzeuge gewes
sen; und da Sie sich weder auf die Seite der Whigs,
noch der Torrys in der poetischen Republik gelenkt haben,
so können Sie am besten beurtheilen , ob ich ein aufrichs
tiger Geschichtschreiber bin , oder nicht bin. Sie sind
mir überdies in der Rechtfertigung eines Mannes zuvor
gekommen, dessen wahre Verdienste man nicht «erkennen
i4<s Siebenter Brief.

sollte ; Gottscheds , welchen ins Gesicht zu lachen , seit


zwanzig Jahren modisch gewesen ist- Wenn ein Klopf
fechter den andern abprügelt , so laufen insgemein
dem Ueberwundenen die Jungen nach und zischen ihn
aus. So gieng es dem Manne , der bey allen seinen
Fehlern doch noch' immer die Ehre hat, den Geschmack
der Deutschen verfeinert und in ihnen einen Eifer für
die schönen Wissenschaften erweckt zu haben. Doch ich
will keinen Anachronismus begehen und lieber meine
Geschichtr'litterung ganz von oben anfangen.

Die Barden sangen erst in Ehrsurchlvollen Grüns


den ; ^
Die Götter wohnten da verschlossen in den Rinden,
Die nie das Beil verwundt, das Jagdhorn nie er
schreckt ;
Das Wild gieng unbesorgt, so weit der Wald ge
streckt
Der Erden hohlen Schooß in krause Schatten
hüllte
Und ein verruchtes Herz mit Furcht und Schrecken
füllte.
Wo heute Saat und Trift am ofnen Himmel sieht.
Der Bauer mit dem Pflug, die Heerde weiden
: geht.
Sic sangen einen Held, der für die rohen Sitten
Und wilde Strengigkcit der Vorderwelt gestritten.

Der
Siebenter Brief. 14,

.Der Höflichkeit und Pracht mit Abscheu von sich


stieß.
Der Kunst und Wißenschaft den Weg zur Knecht
schaft hieß,
Sie sangen das Revier , die Inseln voller Wonne ,
Wo der verblichne Geist in einer andern Sonne
Sich auf das neue regt, so daß der fahle Tod
Ein Weg zum Leben sev, ein Ausgang aus der
Noch,
Mit diesem schmeichelnden , pvlilschem Aberglau
ben^
Den allerletzten Feind des Stachels zu berauben.
Denn wenn auch nach dem Tod ein Leben in uns
wohnt ,
Wer ist so weibisch feig, der dieses Leben schont?
Wer darf nicht in den Tod mit festen Schrillen
gehen ? > -
Wer darf dem Scheusal nicht ftey unter Augen
sehen?
Sie haben Rom zuerst vor Schreken bleich ge
macht ,
Wenn durch ein feurig Lied die Deutschen aufge/
bracht
Der Waffen strengen Sturm herunter fallen lies-
sen , , .
Um
,42 Siebenter Brief.

Um des Poeten Lob ihr Leben zu vergießen.


Der Inhalt ihres Lieds kan nicht erhabner seyn.
Ob auch der Ausdruck groß, das Maas der SO
ben rein.
Bleibt ewig unbekannt. Die grauen Stunden
haben
Den Dichter und Gesang in dunkle Nacht be,'
grabe».

Ich nenne diesen Zeitraum die dunkle Periode der


deutschen Poesie. Man dichtete dainahls für dus Be
dürfnis , nicht für das Vergnügen. Unsere AnHerrn
lebten in der Wildheit, oder zu reden mit dem Bürger
von Genf, in dem glückseligen Stande der Natur;
nur das hinweggerechnet, daß sie nicht Eicheln, son
dern Brod aßen und Bier tranken. Die Geschichte
ihrer' Vorfahren muste mündlich auf sie fortgepflanzet
werden; die Natur selbst gab ihnen den Kunstgriff, sie
in Verse zu bringen , die man, so schlecht sie auch seyn
mögen, immer eher als Pres« 4m Gedachtniße behal
ten kan. Durch die tapfer,, Thaten ihrer Vater wur,
den sie zur Nachahmung angefeuert und durch Gesänge
suchte man sie^ wider ihre Feinde zu erhitzen, den
Patriotismus anzufachen und sie zur Handhabung ih
rer Hrcyheit zu bewegen. Wenn die Thirc selbst nicht
ohne alle Gesetze leben, wie konnten eS unsere Rous
seauischen Menschen ? Ihr Gesetzbuch war nicht ge
schrieben; eS bestand vennuthlich aus wenigen Sitten-
. , . sprü-
Siebenter Brief. 14z

sprächen, die sie, so gut sie konnten, versificirt hatten


und ihren Kindern vorsagten. Ihre Priester die Bar
den, besorgten ihnen einen Catechismus in lieblichen
Neimen von ihrer Art, deßen abergläubischer Inhalt
mit ihrer ganzen Denkart nach und nach zusammen^
schmelzte und getreulich , wie die Mahrgen der Am
men, auf ihre Nachkommen vererbt wurde.

Geschichtspoesie , Kriegspoesie , Gefetzpoesie und


Poesie der Religion; dies sind also, soviel man vcr<
muthen kan , die vier Gattungen der altdeutschen Dicht!
kunst. Nun mag Vater Boviner weiter erzählen :

Die Mönche kamen drauf , der Barden schlimm,


res Blut,
Und erbten ihren Haß: Sic übten ihre Wuth
Nicht an der Stadt allein und an der Römer
Landern ;
Daßelbe Schicksal sollt auch den Geschmack ver,'
ändern ;
Gelehrsamkeit und Witz und Künste untergehn
Und bey der Tiranney der Aberglaube stehn.
Sie schloßen ,mit dem Leib auch die Vernunft in
Banden ;
Man glaubte destomehr , jeminber man verstanden.

Nach
l44 Siebenter Brief.

Nach ihrer Meinung war die Dummheit Fröm-


migkeit; <
Sie herrschten viele Jahr in tiefer Dunkelheit.

Ueber diese Periode will ich gern hinwegspringen. Uns


sere Vorfahren, nicht zufrieden, daß unter ihnen kei
ne Muse fang, erdrückten auch noch die Gelehrsam
keit in Italien und würgten die römischen Schwäne.
Aber so will es das Schicksal der Litteratur, daß Nacht
auf Tag folge, Unwißenheit auf Verstand und Wild
heit auf feinere Sitten.

Nach langem sah man sich ein schwaches Licht


entzünden:
Die Sprache fing sich an mit Regeln zu ver
binden.
Man schloß den neuen Vers in mehre Silben ein ;
Die durften aber kurz, lang, oder beydes seyn,
Falls sie nur den Accent recht auf den Abschnitt .
setzten ,
Ob alle Worte sonst die Quantität verletzten.
Sie plagten -sich nicht selbst mit selbstgesuchter
Pein,
Worinn die Deutschen jetzt so schädlich sinnreich
seyn.
Sie lehrten ihren Vers noch nicht auf Füßen
gehen.
Und
Siebenter Brief. 145'

Und wüsten auch kein Wort von Jamben' und Tro


chäen,
So wenig sie Florenz zum Wohlklang nöthig acht.

Von Hohenstaufens Haus, das Krön und Apfel


führte
Und auch Sicilien mit starker Faust regierte , .
Entsprang aus finstrer Nacht der ungewohnte Stral
Und schimmerte von da durch Deutschlands weiten
Saal.

Friedrich der Rothbart setzte die Dichtkunst unter die ritt


terlichen Uebungen und ordnete eine Art von poetischen
Turnieren an, in welchen die Sieger ihre Belohnung
aus den Händen der vornehmsten Damen empfiengen.
Ehrenvoll wird jetzt der Name eines Singers und die
angestellten Spiele brachten den Trieb der Nacheiferung
unter dem deutschen Adel hervor , der sichs nicht für eine
Schande halten kvnte , nachzudichten , wenn Könige ihm
vorsangen. Unter dem aufgeklärten Kayser Friedrich
dem zwecken scheint diese Singkunst den höchsten Gipfel
erreicht zu haben. Man nennt noch die Namen eines
Hesso von Rinach , Chunzo von Rosenberg , Harlmann
von Ouwe,*Eschilbach,5Kristan von Hamle, Gottfried
von Strasburg , Walter von Brisach ; und mitten um
ter ihnen stimmte Winsbecks Frau ihre Laute an.
Mit zärtlichem Affekt, worin der Geist noch gliim
inet.
' K Wenn
146 Siebenter Brief.

Wenn man im Stande ist , die Sprache dieser Dichter


zu verstehen, so wird man die Artigkeit ihrer Gedanken,
die Feinheit in ihren Empfindungen und die Naivete
ihres Ausdrucks bewundern. Wir wollen deswegen nicht
eben den Zeitraum, in welchen, sie lebten, ein göldenes
Alter nennen, ein solches erfordert zugleich eine vollkoms
mcn ausgebildete Sprache ; wir betrachten ihre Gedichs
te nur als antike Stücke , die schon wegen ihres Alter:
thums ehrwürdig sind und aus welchen wir noch immer
etwas lernen können , wenn wir wollen. Wer wollte es
dem neuern Dichter verbieten, einige veraltete, aber
gute Wörter und eine Menge von artigen Wendungen
aus den Minnesingern zu entlehnen und unsere jetzige
Sprache damit zu bereichern ? WunnicKIicK . 2er Werl-
texvunne, nnioten und viele andere vcrzeßene Wörter
scheinen mir gewisze seine Schattirungen des Gefühls
treffender auszudrücken, als diejenigen, welche wir an
ihre Stelle gesetzt haben. Und was kan naiver und sei
ner gewendet sepn , als folgende Verse :

IcK will mener kroven nnioten,


vsls li mir geneiliS ti.
Oer vil reinen , <Ier vil groten
W.ier ick gerne nsne bi. , H
>Vss Kiltet cKK ick Kriege cl»r
Hnc? KrenKe minen I.ib.
8i nimt min sl?e Kleine viir ,
vu mir iti sur ell^ «!^.
Klei-
Siebenter Brief. ,47

Kleinst micK ,vin üowe ,1s ick lZ Weine,


8« wn<I min gout rst.
Klin clieneli clunket tie ?e Kleine ;
Os le^ ick guoten Hillen ^er l'Kst,

Diese Zeit, in welcher die Deutschen schon so fein eim


pfänden und nach ihrer Art so glücklich dichteten , war
vielleicht geschickt, ihre goldene Periode zu werden; hätte
nicht der Dämon des Kriegs zu früh den snnftern Genius
«erscheucht und die wackern Ritter zu andern Beschäftig
gungen aufgefordert, als zu den Spielen der Musen.
Kein Walther der Regelweide <kein Freyherr von Wen;
gen , kein Reimers von Zwccer, kein Marners, kein
Siegehere dichtete mehr ; ihre Kinder fochteii und übers
ließen das Geschäfte ihre Thaten z« singen einer elenden
Gilde von Meistersängern , die schon Otto der zweete mit
Freyheiten begnadiget hatte und welche aus der Poesie,
die vorher eine ritterliche Uebung war , ein schnödes
Handwerk machten und ein Mittel, zur Ernährung ihres
Magens täglich einige Pfennige zu erwerben. Ihr Ge:
schlecht soll sich noch in Nürnberg erhalten haben, wo
ehmals der berühmte Hans Sachse
mit Dint und Pech besudelt, Vers'
erdacht
Und manchen Schuh zu kurz und Fuß zu lang ge>
' macht;
ein Mann , der übrigens , mit Erlaubnis unserer jehi,
gen Dichter, viele unter diesen an Gelehrsamkeit weit
Übertraf. Daß Deutschland in seiner geschmacklosen
K » Epo,
,48 Siebenter Brief.

Epoche Meistersanger gehabt hat, ist nichts wunderbares ;


aber dies ist seltsam , daß sie Italien , das aufgeklarte
Italien bis jetzt noch hat. Nichts ander« als Meisters
sanger sind die venetianischen Ksconteiirsz die c«n psr«»
Is ScKiette und mit der ganzen Beredsamkeit ihres Kör
pers öffentlich unglaubliche Dinge erzählen. Das

Ihr Leute höret an ,


Was sich hat zugetragen,
womit die Nürnbergischen Meister ihre Erzählungen am
fangen, ist gewis eben soviel Werth, als die Coptatio
benevolentia der Venetianer:
Lißiior cke zlcolr, uns gr»n coli, ,
D»s coli, ttupenck.
Einige Verdienste kan man doch unsern deutschen Brodz
sangcrn nicht absprechen. Sie bewahrten der Na
tion wenigstens das Andenken einer einheimischen Poes
sie, die man vielleicht ohne sie gänzlich vergeßen hätte.
Und ihrer Veranlaßung haben wir selbst unsere ältesten
Kirchenlieder zu danken , von welchem sogar einige aus
der Zunft dieser Leute sich herschreiben. Ich hatte hier
einige Anmerkungen über die Beschaffenheit dieser Lies
der gemacht, über ihre so nörhige Verbeßcrung, über
die Bemühungen der Herren Weiße, Zollir'ofev und
anderer, über die feine Manier, mit welcher man ih
nen ihre Arbeit verdankt hat u. s. w. Allein —

W<nn
Siebenter Brief. 149

Wenn Opitz nicht selbst einer unserer grösten


Dichter wäre, so würde er schon als der Vater der
deutschen Poesie das Andenken aller Jahrhunderte vers
dienen. Genährt von dem Geiste der Alten und durch
ihre Welke entzückt, versuchte er es, ihnen im Deuts
schen nachzusingen und es gelang ihm. Sein feines
Ohr sagte ihm, daß die Zeilen, welche man bis auf
ihn Verse nennte, keine Verse, nur gereimte Reihen
von Worten waren: es lehrte ihn, die Verschiedenheit
der Silben in Betracht ihrer Kürze und Länge , und
den natürlichen*) Rhythmus, wodurch die Poesie auch
im Aeußerlichen Poesie wird, Wohlklang und Haltung
bekommt. Seine eigene Dichtcrgabe vereinigte sich mit
seinem richtigen Geschmacke und bevde setzten ihn in
den Stand, zu zeigen.
Daß nur ein Kopf der Sprache,
Die reiche Redensart und Nachdruck nicht gebräche.
Daß sie gelenkig ist, Verstellung leiden kan.
Nicht starr an Hals und Stirn.

Seine eigenen Gedichte müßen noch immer gelesen


werden. Sie sind voll Geist und Nachdruck ; die Fehler,
welche man ihnen vorwirft, sind Fehler der Zeit und der
Sprache , und nicht des Dichters.
K z Es

5) So natürlich, daß so gar Voßius die wichtige


Entdeckung von dem Takte seines Barbiers mas
chen konnte , der ihn bald in Anapästen, bald
in Dactylen kämmten
i;e> Siebenter Brief.

Es ist das Talent des großen Genies , sich von sich


selbst und durch sich selbst zu erwecken; es brennt, so?
bald es Luft findet und entzündet dann andere, die,
ohne öde Köpfe zu seyn) doch in eine niedrigere Klaße
gehören. Opitz , der keinen deutschen Vorgänger gehabt
hatte, föchte durch sein, glänzendes Beyspiel verschied«
ne mittlere Genies an, ihm auf der Laufbahn nach-
zurennen: sie thaten es, mit ungleichem Glücke.

Der ältere Gryphius hatte bey einer beßern Kannte


niß des Theaters ein deutscher Aristophanes werden
können; jetzt ist er fast nur ein Thespls, ohnqeachtet
sei"es muntern Kopfs , und seiner weitläufigen Gelehrt
samkcit. Der jüngere halt keine Vergleichnng mit
ihm aus und, einige Sinngedichte ausgenommen, sind
seine poetischen Wälder unerträglich und ermüdend.

Rist , Flennning, Tschernmg und andere waren,


wenn es hochkömmt, mittelmäßige Genies ^id eben
deswegen für Ausschweifungen sicher. Einige erträg?
kiche Einfälle, die zuweilen so ziemlich in dm Reim
passen, geben ihnen noch keinen Anspruch auf den ehr,
würdigen Dich'terNamen. Man muß ein großes Ge^
nie und einen richtigen Geschmack haben, um ein gm
ter Dichter zu werden '; gebt einem Menschen, jenes
allein ohne diesen, so schweift er aus und wird ohns
gefehr mehr , oder weniger , als Hofmsnnswatdau
war.

Dieser mar gewiß kein schlechter Kopf; selbst in sei


nen Herolden stehe» Verse, die ein ehrlicher Mann
wohl
Siebenter Brief. 151

wohl mochte gemacht haben. Seine Prose ist männs


lich und stark und man darf einige Stellen aus seinem
sterbenden Sokrates kühnlich mit dem Phäoon deS
Herrn Moses vergleichen. Sein Fehler war der Fehs
ler der Seneka, der Plinius und der griechischen So,'
xhisien zu den Zeiten des fallenden Roms. Wie diese
ihre Vorgänger, so suchte er, Opitzen zu übertreffen;
er überspannte seine Phantasie, erhitzt durch einige
Jtaliänische Dichter und übertraf ihn glücklich durch
Bombast und Schwulst. Der geistarme Mühlpfort
lief ihm nach; aber Lohenstein hat ihn noch über,
höhlt.

Bewundrer fehlten nicht ; der hochgefarbte Schein


Nahm bald das junge Volk von leichten Sin«
nen ein;
Den Lohcnstein zuerst, der von dem Neid be
sessen . ' .
Den Kranz ihm von dem Haupt zu reißen sich
vermeßen ,
Und in der Eisersucht , zu seiner eignen Schand ,
(Verlust war rühmlicher) unglücklich überwand.

Es giebt Philosophen , die sichs zur Ehre rechnen,


von allem dem, was man insgemein glaubt, nichts zu
glauben. Es giebt Dichter, die dadurch erst ihren
Cranz zu verdienen gedenken, daß sie niemals so res
den,, wie man insgemein spricht. Dies war Lohens
steins Fall;
K 4 K,
152. Siebenter Brief.

Ks cou'cl not ops


ttis ^soutK^ but out tkere gev s l'rope.

Lllt, wken Ks ple«'ii t« ske«?'t, Kis 8^>eecK


In LoKinels o5 8o»ii(j wss rick z

WKicK ksürneii ?eclsnt« muck sne5t;


!t w»s s pzrt/-c«l«ur'cl Orels
O5 pstek'ct »n.^ p/-bsll'ci I.»ngi,Zßes.

Deutliche Gedanken durch gesuchte Metaphern zu ve«


dunkeln, niemals eigentlich zu reden und einheimische
Bilder mit indianischen Farben und Schmuck aus der
neuen Welt unkenntlich zu machen; dies waren die
Kunstgriffe seiner Poesie. Die Gottscheds haben ihn
dafür gezüchtiget; es war aber eininahl auch Zeit, sei?
nem Genie Gerechtigkeit wiederftchren zu laßen, und
es ist geschehen. Unterdeßen war er zu seiner Zeit
ein gefährlicher Mann; sein Beyspiel war desto anst«
ckender, je glänzender es war, und er verführte das
junge Dichtervolk, die edle Einfalt zu verlaßen und
mit einer unbändigen Phantasie nach Galimathias zu
gaukeln.

In diese Periode gehören einige Gesellschaften,


die die Verbeßerung unserer Sprache und Poesie zur
Absicht hatten; die fruchtbringende Gesellschaft, durch
Cas
Siebenter Brief. zzz

Caspar «sn Teutleben gestiftet: kllipz» von Zesen teutsch-


gesinnte Genoßenschaft : Harsdörfers gekrönter Blu-
menorden an der Pegnitz: und Rists Schwanengesell-
schaft an der Elbe. Die lächerlichen Grillen dieser
deutschübenden Gemeinden haben ihre guten Würkun-
gen in Vergeßenheit gebracht; durch sie wurde doch
immer die feinere Litteratur ausgebreitet und selbst an
den Höfen und in den Palästen fieng man von neuem
an, die Musen zu liebkosen und ihre Günstlinge zu
ehren.

IVeise, der das Genie unter das Joch der Me


thode zwang, that mehr Schaden, als zwanzig Lohen
steine; nicht durch sein Beyspiel: denn es giebt Stun
den, wo man einige von seinen Schriften noch wohl
zur Roth lesen mag; sondern durch seine Lehren. Die
Muse flieht, sobald sie ihre Leyer nach einer Chrie
stimmen soll; und wer zu seiner Dichter«) eine Wei
sische Topik und locos cou/munes nöthig hat, der soll
ein Gelegenheitssanger werden, ein Dichter wird er
nicht. — Nach Weise« haben die Talander, die Me-
nanteS, die Uhsen ähnliche poetische und rhetorische
Gängelwagen verfertiget, gut und nützlich zu gebrau
chen für Kinder, die nicht gehen können; der Mann
geht allein.

Es giebt zwischen den Lohenstnnischen Klippen


und den Weisischen Sümpfen einen Mittelweg, der
. . K 5
«54 Siebenter Brief.

gerade nach dem Tempel des Geschmacks führt durch


blumigte Wiesen, wo man noch hin und wieder die
Austritte der Virgile und Horaze wahrnehmen kon.
Hier wandelten, Hand in Hand jeder mit seiner Mus
se, Rachel, von Loga« , Wernike, Caniz und Günther,
sahen über sich die jungen Lohensteine Junonen suchen
und Wolken umarmen, und hörten zur Linken in der
Tiefe Frösche singen und die Schüler des Rectors zu
Zittau löbliche Oden , durch Antecedens und Conse-
quens disponirt, herlallen. Ohne Anführer giengen sie
mit starken Schritten auf der Laufbahn fort und strau
chelten nur zuweilen , doch ohne zu fallen. Wenn Ra
chels Leyer einige Mistöne hören läßt, so müßen wir
bedenken, daß er keinen hinlänglich aufgeklärten Freund
hatte , der ihm ein Horrigs loci« ! hätte zurufen kön
nen. Was kan Loga« dafür, daß kein Rainler und
Leßing seine Gedichte feilte, ehe sie gedruckt wurden?
Lverniken sagte sein eigener Geschmack, ohne Bat-
teux und Home , daß Postel ein Stümper sey ; und
sein Genie dictirte ihm außer den Epigrammen, die
ihn zn unsern Martial machen, das vortrefliche Hel
dengedicht auf den hochmetaphorisch einherbrausenden
Stelpo , Caniz und Günther — beyde würden mehr
gewesen seyn, als sie waren, der erste mit Günthers
Genie und der letzte mit Canizens Weltkönntniß und
poetischen Sitten. Günther war zu sehr Student ,
um nicht zuweilen einen Strich mit Bierc *) zu ma
chen ;

«) in seiner Ode auf den Prinz Eugen.


Siebenter Brief. 15;

chen; und CanizenS sanfter Busen entbrannte nur


selten zu dein Enthusiasmus, der das Eigcnthum eines
Dichters der ersten Größe ist. Dafür ist er correkter,
als jener und seine Gedichte, verglichen mit den Güns
therischen , locken uns den Wunsch ab, daß er mehr,
und Günther weniger möchte geschrieben haben. Sie
beyde, nebst Spitzen und einem Paar anderen dürften
wohl bey der Nachwelt eine Periode unserer Dichtkunst
Von beynahe hundert Jahren charakterisiren. Denn
die Morhofe, die Menke, Neumeister, Neukirche, Am-
thore, Pietsche, Nicheye, und ohne Zweifel auch die
Brockse, Beßcr und Könige wird man nächstens ver<
gcßen.

Morhof war eher zum Polnhistor als zum "Dich


ter geschaffen, philander von der Linde konnte
nur im Jahre 172z. einiges Aufsehen machen. Neu«
Meister wird noch gesungen, nicht aber gelesen. ^Zeu-
kirchS Lobredner sind gestorben, oder vergeßen. Von
A'Mhoren spricht niemand mehr. Unter allen Verl
scn, die piersch gemacht hat, sind etwa fünfzig, die
ein deutscher Stobäns aufbehalten möchte. Richey
und weichmann follen noch in Hamburg einige Vers
ehrer haben. BrokeS verdiente wegen seiner Andacht
und seines edlen Herzens auf die Nachwelt zu kommen;
aber diese Eigenschaften verewigen einen Dichter fo
wenig, als die ekeln immer mit einförmigen Betrach
tungen bekrönntm Schilderungen von Dingen, die
man
i;6 Siebenter Brief.

man täglich selbst sehen kan. Beßer hat manchmal


gute Einfalle ; aber
^clpureiit rari nsntes in Zurgike vall«.
Und RönigS Heldengedicht auf eine Coinödie von
Heldenthaten ist für die Nachwelt zu wenig intereßant
und zu schwach.

Die Namen dieser Mckrmer sollen unsere Enkel


doch noch nennen, wenn sie auch ihre Werke nicht le
sen; sie sollen sie als Lichter in der Finsterniß und
als Vorboten betrachten, durch welche die große Res
volution des deutschen Geschmacks im achtzehenten Jahr
hunderte angckündiget wurde.

Wenn unsere Litteratur in diesen Zeiten so empor


gestiegen ist, daß wir nicht hoch über uns sehen dür
fen, um unsere Nachbarn, um selbst die Alten zu er
blicken; so darf ich behaupten, daß die Schweizer,
Gottsched und die Berliner an dieser glücklichen Um
bildung des Geschmacks gleichen Antheil haben. Die
Schweizer legten den Grund; Gottsched breitete den
Geschmack aus und erweckte das Genie in seinen Schü
lern, wenn er gleich selbst keines hatte, wie ein Wez
stein,
Keclciere czuse vslet zentum kerrunl exlors ipl»
leezncli.
Die Berliner traten zwischen beyde Parteyen, verbeßer-
ten
Siebenter Brief. 157

ten die eine durch die andere, polirten und verfeinere


ten den Geschmack.

Schon im Jahr 1721. schrieb Bodmer seine


Discurse der Mahler zur Nachahmung des englischen
Zuschauers; ein Buch, welches ich allemahl lieber lesen
will, als seine 8>n<lg„tK und seine politischen Schau-
spiele. Dieses Wochenblat enthält, außer moralischen
Betrachtungen , zugleich verschiedene kritische Aufsatze
von einer Gattung , die man bisher in Deutschland noch
nicht gekannt hatte. Bodmer war damahls drey und
zwanzig Jahr alt, und seine Kritik war also die jung«
ste, so wie er der jüngste Kunstrichter war. Bey ei
nem mittelmäßigen Feuer besaß er doch Patriotismus
genug, um den Geschmack der Deutschen umschaffen
zu wollen ; und wenn dieses nicht anders als durch eine
gewiße Göhrung in der litterarischen Republik bewürkt
werden kan, so müßen wir es Bodinern allerdings
verdanken, daß er dazu das erste Ferment hergegeben
hat. Er ist der erste Kunstrichter Deutschlands im
eigentlichen Verstände; wer Gottscheden dafür hält, der
irrt sich.

Als Bodmer sich schon auch außer der Eidg«


noßenschaft einen Namen gemacht hatte, fieng Gott«
sched in Leipzig zuerst mit UebungsStücken an. Man
kan einen hohen Sinn haben , ohne ein großer Geist
,^8 Siebenter Brief.

zu seyn; den ersten hatte Gottsched ohne Widerrede.


Wolfs Beyfpiel, ^der durch die Umgießung der Phil«
sophie berühmt wurde, lockte den Magister in Leipzig,
etwas ähnliches in einem andern Fache zu versuchen
und das für die schönen Wissenschaften zu werden, was
Wolf für die speculativischen schon war. Bodmers
Kritiken zeigten ihm den Weg , den er betreten muste.

Einige Husarenkriege zwischen Gottsched, Hallbam


ern und Fabricius hat man in unsern Tagen gänzlich
vergeßen. Sie hatten das Ende der römischen Trimm
virate, bey welchen nicht allemahl der größere Held
am Ende die Oberhand erhielt. Hallbaucr gieng zu
früh in daS theologische Feld über; doch ist die Re
dekunst, die er vorher schrieb, nach seinen Zeiten gut
«,id auch in den unsrigen nicht ganz zu verachten. F«
bricius und Gottsched wechselten Pasquille, in welchen
sogar die Wäschermädgen nicht verschwiegen wurden.
Der erste räumte das Feld, gieng von Leipzig nach
Jena und überließ seinem Feinde den Wahlplatz.

Dieser erwarb sich sehr bald ein dittatormZßiges


Ansehen, zu welchem seine reine deutsche Schreibart,
die an sich nicht zu verachten ist, vielleicht das wenig-
fte beytrug. Er war fein genug, die Schweizer zu
liebkosen, die seinen Bemühungen zur WiederhersteK
lung des guten Geschmacks von fern her zujauchzten.
Man
Siebenter Brief. 159

Man lobte sich wechselsweise und jede Parte» trug das


ihrige zum Ruhme der andern bey. Dazu stiftete er
eine Gesellschaft zur Verbesserung der deutschen Sprache,
und versammelte dadurch um sich herum eine Menge
von gelehrten Leuten und guten Köpfen. Er selbst
schrieb eine Poesie und Redekunst und veranstaltete die
kritischen Bcytrage , in welchen man über vielen mittels
maßigen Aufsätzen die guten nicht vergeßen sollte.

Zu dieser Zeit stunden zween Dichter auf, erweckt


durch ihr eigen Genie , und lehrten die Deutschen , was
die deutsche Muse vermag. Es gereicht Gottschede«
zur Ehre , daß er wenigstens im Anfange Hallers un
sterbliche Gedichte rühmte; zur Schande, daß er sich
unterstand, Hagedornen mit Stoppen, bemiahe zum
Vortheil des letztern, zu vergleichen.

Bodmer und Breiting« waren unterdeßen auch


nicht müßig gewesen. Im Jahre 1727. erschien ihre
Anklage des verderbten Geschmacks und diese kleine
Schrift, in welcher der Hamburgische Patriot und die
vernünftigen Tadlerinnen ziemlich derb beurtheilt werden,
legte ohne Zweifel den Grund zu dem großen Kriege
zwischen ihnen und dem Kunstrichter in Leipzig, obt
gleich die Fehde erst nach verschiedenen Jahren aus«
brach. Im Jahre 172«. machten die Schweizer eine
Abhandlung von dem Gebrauche der Einbildungskraft
zur
i6o Siebenter Brief.

zur Verbeßerung des Geschmacks bekannt; auf diese


folgten 1752,. die Charaktere der deutschen Gedichte und
l?z6. der Briefwechsel von der Natur des poetischen
Geschmacks. Nach solchen Vorläufern erschienen ihre
größere Werke; die kritische Dichtkunst, und die Ab
handlungen von dem Wunderbaren, von den poeti
schen Gemahldcn und von der Natur der Gleich-
niße *). Man kan ihnen das Lob nicht absprechen,
das gethan zu haben, was NZurarori »pplicsre con
zccurzteü?» Zl'iillegnzmenti iiiiiverlsli z i Isvori psrtico»
Izri, e sn<l»re minut» mente «llervzncl« il tutt« e le
p»rti per ilcopriroi le proporTioni I» novit» e I'sltre vn>
tu ciells innteiiz et llel zrtig^i« nennet. Aber eben die
se Schriften zündeten auch das Feuer an , welches für
unparteiische Zuschauer ein wahres Lusiseuer und der
Gründung unseres Geschmacks in allen Rücksichten vor-
theilhast war.

Bodmer und Gottsched bestrebten sich beyde, ein


kritisches Monopolium zu erhalten und da ihre Stinij
men nicht selten getheilt waren , so konnten sie unmög,-
lich friedfertige Mitregenten bleiben. Zuerst folgte
auf die vorige Freundschaft ein gewißer Kalksinn ; man
nennte einander nicht mehr, und der eine that, als
wenn er den andern nie gekannt hätte. Auf den Kalt
sinn kamen Sticheleyen, halbverdeckte Anzapfungen und
«uf diese der völlige Krieg.
Pod-

5) S. die Hallischen Bemühungen, drittes Stück S.


217.
Siebenter Brief. ,6r

Bodmer hatte den Milton übersetzt und prieß ihn,


ohne Gottscheden sehr um Erlaubnis zu fragen , öffent
lich an« Dieser mochte es nicht vertragen, daß die
Deutschen an einem Dichter Geschinack finden sollten,
der gerade sein Antipode war. Sein Geschäft war ab
so, das verlohrne Parodieß zu verschrcven und MiK
tonen zu der Klaße der Lohensteine zu erniedrigen.
Halb gelung es ihm und er kritisirte würklich viele»
ehrlichen Leute den Milton aus den Hönden , biß ends
lich Bodmer zur Vertheidigung seines LieblingsAutors
die Abhandlung vom Wunderbaren schrieb, in welcher
er Zwar vornehmlich nur Voltaire« und Magny z«
widerlegen vorgab , aber in der That Gottscheden mein«
te. Nun erhob dieser seine Stimme laut, that in den
kritischen Beyträgen einen Ausfall auf die Bodmerische
Schrift und Breitingers Dichtkunst muste bey dieser
Gelegenheit auch mit an den Tanz.

Gottscheds damaliger Freund, der verdienstvolle Arzt


Triller gab Gelegenheit zu einer neuen Schlacht« Seil
ne Fabeln wurden von dem Verfaßer der zürchischen
Dichtkunst nicht schön gefunden; er setzte eine heftige
VertheidigungsSchrift auf, die Herr Ernesti unter-
drücken half, von welcher aber eine Abschrift in die
Hände der Schweizer kam, die der wohlgelahrte Herr
Erlenbach mit erbaulichen Noten herausgab. Zugleich
^ wagte fein BusemsFreund Effinger einen Ausritt auf
Gottscheden und ließ der kritischen Dichtkunst dieses
L Mam
r6; Siebentex Brief.

Mannes nicht viele Ehre. Die Schweizer machten als


so den Anfang, mit Satiren zu streiten; Gottsched,
der bisher immer ernsthaft gesprochen hatte , wurde
durch ihre hönischen Angrisse berechtiget. Gleiches mit
Gleichem zu vergelten, und er fand bald eine Gele
genheit, die ihm sehr willkommen war.

Gottsched war groß in seinen Schülern. Er er


weckte in diesen einen dichterischen Geist , den er
selbst nicht hatte ; er führte sie auf die Lectüre der Al
ten, die er selbst nicht lesen konnte , und seinem Eiser
haben wir es zu dankcn , daß viele junge Genies an
fingen, sich zu fühlen und die Laufbahn anzutreten,
zu welcher sie bestimmt waren. Einige unter diesen
vereinigten sich mit Herrn Schwabe, Belustigungen,
des Verstandes und Witzes zu schreiben, in welchen man
den Auslandern zeigen wollte, was der deutsche Witz
vermöchte. Wenn diese Monatsschrift viele platte Aus
satze enthält, so weiß man ja, daß es die Uebungs-
stücke junger Dichter waren ; aber zur Schadloßhaltüng
findet man darinnen noch immer verschiedene Abhand
lungen und Gedichte , die eine beßere Stelle verdienten
und welche zu lesen man begierig seyn muß, sobald man
ihre Verfaßer kennt, einen Geliert, Schlegel, Zemitz
und Sie, mein Theurester Herr — denn jetzt, nach
dem die antigottschedische Wiith unserer Kunstrichter mit
dem Tode des Mannes erloschen ist, knn man es sagen
daß
Siebenter Brief. ,H

daß es eben keine Schande für einen ehrlichen Mann


ist , an den Belustigungen gearbeitet zu haben. — Di«
se Schrift war zugleich von Gottscheden , der freye Höne
de darin» hatte, zum Kampfplätze wider die Schweizer
bestimmt Er selbst machte den sogenannten Dichter«
krieg, ein prosaisches Gedicht, in welchem einige gm
te Einfälle sind ; aber mtelix «peri« llimmz. Sein Zök
gling pitschel schrieb Anmerkungen über das Ergänzungs:
Stück der Trillert en Vorrede, die schlecht sind und
von welchen man glauben sollte , daß sie würklich , wie
der Verfaßer vorgiebt , in einer Krankheit entstanden
wären. Er schrieb sie, und starb.

Nun hatten die Zürcher Gelegenheit, ihren Witz


zu üben. Sie brüteten die Satiren haufenweise auS
und setzten den Leipziger Belustigungen ihre Sanunlung
kritischer und geistvoller Schriften entgegen , in welcher
sie, wie in ihren Satiren, alles angreissen, was nicht
mit ihnen war, l'ros Kuc»>„s„e tu»t.

Der Sieg zwischen beyden Parteyen wäre noch


immer zweifelhaft geblieben, wenn sich nicht verschiede;
ne zufällige Umstände zu Gottscheds Falle vereiniget
hätten. Rost und Äscorv, ein Paar vortrefliche K5>
pfe , stunden unvermuthet wider ihn auf, der eine griff
ihn mit einer lachenden Mine an und der andere so
ernsthaft, als er noch ntemahls gesprochen hatte. Das
L » Von
,64 Siebenter Brief.

Vorspiel machte Gottscheden in Leipzig lächerlich; und


die Vorrede zum deutschen Lona.ii? erinnerte ihn, baß
er ein Mensch wäre , wie alle Menschen und Dingen sich
unterzogen hätte, für die seine Schultern zu schwach
wären. Deutschland wurde durch seinen Swift aufmerk
sam gemacht, und war schon ziemlich geneigt, Gott,
scheden für einen Oldmiron zu erklären.

Das schlimmste für ihn war, daß bald darauf ihn


selbst der größte Theil seiner Bundesgenoßen verließ.
Die guten Köpfe aus feiner Schule sahen die schwache
Seite ihres Meisters; sie sagten ihm ab, vereinigten
sich unter sich selbst und ihnen haben wir die Bremi
schen Beyträgc zu danken ; eine Sammlung von reife
ren Aufsätzen, durch welche unser Geschmack seine be
ste Hülfe bekam.

Jetzt sähe sich Gottsched von allen Seiten ver


laßen und von allen Seiten angegriffen; sein Vorur-
theil für sich selbst erlaubte ihm nicht, nachzugeben und
diese Unbiegsamk«t vollendete den Fall seines Ruhms.
Mit Unrecht war er vorher gelobt worden; mit Unrecht
wurde er nun gescholten ; der Name eines Gottschedia<
ners ward ein Schimpfwort und es gehörte zum Mo-
deTone einen Mann zu verspotten , der doch immer die
Deutschen so weit gebracht hatte, daß sie ihn mit Ge-
schmack verspotten konnten. Er unterdeßen war in sei
ner
Siebenter Brief. 165

ner Einbildung glücklich und stark genug, das zu vers


achten , was er nicht hindern konnte. Er fuhr fort für
unsere Litteratur mit wahrem Patriotismus zu arbeite» ;
seine deutsche Sprachkunst beweißt es ; mit allen ihren
Fehlern die beste, die wir noch haben.

Weder Gottscheden noch den Schweizern haben wir


einige vortrefliche Dichter zu danken, die schon in dies
ser Periode sich berühmt machten. Lange sang einige
«öllig horazische Lieder und hauchte seiner Gattin mit
der Liebe zu ihm die Liebe zur Dichtkunst ein. Gleim
ward unser Anakreon, oder, wenn dies Herr Herder
nicht leiden will, für uns das, was Anakreon für die
Griechen war. Und Utz, von dem wir vvr kurzen uns
gern erfahren musten, daß er seine Leyer verabschiedet
hat, war schon damahls ein Lieblingsdichter seiner Na<

ti«N'

Dies war die Werfaßung unserer Litteratur, als


ein unerwartetes Phänomenen aller Augen auf sich zog
und eine neue Epoche machte. Klopstock erschien miv
den ersten Gesängen seiner Meßiade und verursachte ein
L z. bei«
,66 Siebenter Brief.

bellum omuimn »chierlus omn«, ein Gewühl, wo alle


durch einander und Wide? einander liefen , um sich auf
die eine, oder auf die andere Seite zu stellen. Die
Schweizer betrachteten den neuen Dichter, als ihr Ge
schöpf; und er war es nicht. Gottscheds Parteygöns
ger feindeten ihn an ; und er antwortete nicht. An:
der? schrieben lange Apologien für ihn ; und er laß sie
nicht ; er dichtete fort. Klopstok hatte die Ehre , wenn
es anders eine Ehre ist, selbst Bodmern zum Nachah.'
wer zu haben , der die Welt mit feinen 5xnlM,tKen übers
schwemmte. Die mittelmäßigsten Köpfe überhüpften
ganz hurtig den Pfad des guten Geschmacks und giem
gen den Augenblick von einem Abwege nach dem andern,
von dem wäßerichten Wesen zu dem ätherischen. Rauhe
Herametrisch seyn sollende Nimrodiaden und ähnliche
Lieder durchschnarrten den deutschen Parnaß und die ven
scheuchten Dkufen konnten nur noch öey einigen Mit«
teldichtern , die weder Whigs noch Torrys waren ,
ihre Zuflucht finden. Da. sangen, den Rangstreit bey
Seite gesetzt, die Zacharia. die Dusche, die Cramer,
die Gemminge, die Huber, die Namler, die Schlegel,
die Kästner (ich mus Sie in einem .Briefe «n Sie

. selbst
Siebenter Brief. 167

selbst nennen) die Leßinge, die Kleiste, die Gelierte,


die Lichtwehre, die Withose ihre Lieder, die der Jüng
ling jetzt auswendig lernt , uin sie als Mann seinen
Söhnen und Töchtern vorzusagen.

Ein Genie erwachte zu dieser Zeit, mit welchem


wir allen Auslandern Trotz bieten können; ein Jüngling,
der im siebzehenten Jahre Gedichte schrieb, die man
kaum von einem Manne hätte erwarten sollen, und von
welchem wir in unsern Tagen, da er ein Mann ist,
Werke bekommen haben , die man dem feurigsten Jüng,
linge kaum zutrauen sollte ; so voll sind sie von Frücht
ten einer blühenden Phantasie und eines unerschöpflichen
Witzes. Kaum kan man es glauben, daß die Natur
der Dinge, die Sympathien, der Cyrus, die Briefe
der Verstorbenen und dann die comischen Erzählungen,
Agathon, Don Sylvio, Musarion und Jdris Einen
Verfaßer haben. Ich schmeichele mir , daß mein Nas
me wenigstens mit dem ersten Buchstaben auf die Nach-
welt kommen wird, da mein, Freund es für gut befum
den hat, ihn seinem Jdris vorzusehen; auf klaßische
Werke, wenn ich sie schreiben könnte, würde ich mir
weniger einbilden.
L 4 Noch
,68 Siebenter Brief.

Noch bis in das Jahr 1755. nennte man die bey-


den Parteyen der Schweizer und der Gottfchedianer ;
man fragte auch wohl einen angehenden Dichter, zu
welcher Sekte er sich gerechnet wrßen wolle , um nach
seiner Antwort das Lob , oder den Tadel zu bestimmen ,
der ihm gebührte. Auf etnmahl trat eine neue Parte»
ins Mittel, schlug auf beyden Seiten um sich herum.:
verdrängte die bisherigen Rotten und sprach das Recht
allein. — Mit Unrecht vielleicht nennt man sie Baum-
garrenianer. Es sey , daß sie Baumgartens Philoso
phie adoptirt und seine notiones clireetric« zur Grund
lage ihres kritischen Systems gemacht Habens den fei
nen Geschmack, den ihre Arbeiten vevrathen, konnte
ihnen Baumgarten nicht geben, er, der bloß Philosoph
»ar und der selbst Geßners Thesaurus aufschlagen mu-
ste , um Beyspiele zu feinen Theorien zu finden. — Ich
wandere über seine Aesihetik hinweg , weil ich schon
in dem ersten dieser Briefe meine aufrichtige Meinung
davon gesagt habe. Gewis nicht ihr, fondern den gm
ten Köpfen der bauingartenfchen Schüler, und ihrer Be
lesenheit in den Werken des Geschmacks ist das Ver?
dienst zuzuschreiben , was man den Nicolaischen Briefen,
der Bibliothek der schönen Wissenschaften und den Lit-

tera.
Siebenter Brief. 165

teraturbriefen nicht absprechen kan. Antikritik? gab


es damahls genug; es gieng ihnen auch, wie den je
tzigen : man zischte sie aus und ihr Geschrey nahm ein
trauriges Ende. Die Verfaßer der Litteraturbriese mach
ten , daß Gottsched mit Bodmern vergeßen würde ; sie
allein führten den Scepter und die übrigen Kunstlicht
ter wurden entweder verlacht , oder sie beteten ganz ans
dZchtig die Aussprüche nach, welche ihre Befehlshaber
dictirten.

In unfern Tagen ist ein neuer Krieg entstanden,,


der — — — — "
— — ich bin zu friedfertig , um das drucken zu laft
fen, was ich über diese Materie niedergeschrieben habe.
Daß die berlinischen Kunstrichter mit Männern von
vielen Verdiensten zuweilen unbillig umgegangen sind,
wer will da« leugnen? Cramer, Dusch, Wieland und
andere sind schon wider sie von andern Kunstrichtern
vertheidigr worden; da« Publicum und die Nachwelt
würde sie ohnehin vertheidigt haben. — Das Gute,
was aus allen diese» Kriegen nttstehen wird, ist viel,
leicht das, was man am wenigsten vermuthet — eine
L 5 VöM
,7« Siebenter Brief.

völlige Anarchie. Vielleicht sink auch die Deutschen


von Natur allzu phlegmatisch, um ohne Neranlaßung
tüchtige Werke zu liefern ; kritische Kriege sind also die
Instrumente, ihre Genies aufzuwecken, und wenn nun
der Endzweck erreicht ist, so wirft man das Instrument
hinweg.

Und hiermit Gott befohlen.' Urtheilen Sie nun,


mein Herr, über diese Skizze von einer Geschichte der
Critik und Dichtkunst unter den Deutschen. Ich men
ge mich unter die Zuschauer und verlange weiter kein
Lob, als das Lob der Aufrichtigkeit, welches mir aber
von manchem Kunstrichter mit bittern Salzen dürfte gez
würzt werden. Ich bin u. s. w.

Ach.
Achter Brief

an Herrn

Nicolai

in Berlin.
A ch t e r B r i e f

an Herrn

Nicolai

in Berlin.

Es ist wahr, was Sit mir schreiben: unter als


len Arten von gelehrten Arbeiten ist das R«
censiren dm undankbarste. Der Geist wird
dadurch wenig genährt, und am Ende hat man für alle
seine Mühe nichts als Undank und Feindschaft zu erwar
ten. Ich habe es nur einmal im Kleinen versucht, eini
gen Winkelschriftstellern , die bey aller ihrer Wenigkeit
glaubten, sie wären etwas, die Wahrheit zu sagen, und
meine Aufrichtigkeit wurde schlecht belohnet. Ohne mich
zu rühmen , darf ich doch wünschen , daß alle meine Cols
legen von Schrifstellern mein Phlegma besäßen. Belei?
diget mich jemand, so habe ich die Gabe zu lachen, und
belehrt
174 Achter Brief.

belehrt er mich, diejenige, mich zu beßern. Bey


dieser Gesinnung bin ich so ziemlich glücklich , so sehr,
als ein Autor es seyn kan.

Aber es giebt noch eine Gattung von Recensionen , die


immer eine angenehme Arbeit für ihre Werfaßer und
belehrend für das Publicum sind, solche die nicht Ein
Werk allein betreffen ; die aus einem Werke verglichen
mit andern allgemeine Aussichten hinbreiten , den gan
zen Zustand einer Wissenschaft abschildern, ihre Granzen
bestimmen und die Lücken anzeigen , welche hier , welche
da noch zu füllen sind. Wie wäre es, wenn man auf
diese Art die ganze Verfaßung unserer Litteratur recensir-
te und die Polhöhe bestimmte, wohin sie gestiegen ist; sie
ganz als ein Originalwerk betrachtete, welches auS den
Versuchen unserer besten Köpfe, wie aus einzelnen Ca
ppeln und Paragraphen , zusammengesetzt ist und so die
Frage beantwortete : Wie weit sind die Deutschen gekom
men ? Ich wage es nicht , dieses zu thun ; Sie vielleicht,
mein Herr , thun es in der neuen Auflage Ihrer Briefe ;
aber doch ist es einem ehrlichen Biedermanne erlaubt,
seine Stimme auch hinzugeben und es freymüthig zu sa
gen , . was er für Blicke in die Welt schickt- und wie er
seine Zeitgenoßen und ihre Bemühungen aus seinem Win
kel heraus betrachtet.

Außer der eigenen Lectüre, sind noch drey Quel


len, aus welchen man Urtheile über den Geschmack un.
serer
Achter Brief. ,75

serer Nation und den Zustand ihrer Litterarur schöpfen


tan : der Meßcatalogus , das Mechanische der Buchhand!
lung und die Journale.

Es war eine Zeit , wo die sogenannten Vernünf


tigen Gedanken, die Einleitungen, die Entwür
fe, die ^«mmeiitZtiones metkoä« lcienkikc» conlcriptse,
die Llementz, die Sxttemut» und andere philosophischen
Schriften den größten Thcil des Catalogus anfüllten.
Es folgten darauf die Abhandlungen vom Dünger, von
der Brache, von Getraice, von der Viehzucht, und
neben diesem her trabten vermischte Gedichte, poe«
tische Nebenstunden , römische Heldengedichte,
Patriarchaden , Sauren, Wochenschriften , Män
ner, Frauen, Menschen und Thiers. Diese wur
den durch eine Menge von Schriftstellern in der Ein
samkeit theils abgelößt , theils verdränget ; einige Em
pfindungen schlichen ihnen nach. Aus der Einsam
keit gieng man in die glänzendste unter allen Gesellschaf
ten , in die Feenwelt ; und da man sich ganz erschöpft
sähe ; so that man das , was man immer gethan hatte ;
man übersetzte. Sobald ich im Meßcatalogus all
zuviel? Titel aus Einem und demselben^ Fache , in ei
nerlei) Gattung erblicke, so schließe ich — gerade das
Gegentheil, von dem was man vermuthen sollte —
ich schließe , daß dieses Fach in seiner Abnahme ist ; so
wie eine Courtisane , die allzuviele Anbeter auf einmghl
hat, bald keine mehr haben wird.
Der
,76 Achter Brief.

Der Buchhändler ka» den Geschmack seiner Zeit-


genopen mit vieler Nichtigkeit bestimmen; noch genauer
den Geschmack deS Ortes , an welchem er lebet. Hier
verlangt der gröste Theil der Käufer witzige Schriften
in Taschenformate ; dort Compendia ; an einnn dritten
Orte Abhandlungen über ökonomische Dinge ; an einem
vierten etwas anders. Zu gewißen Zeiten waren Uhk
stns, HübnerS, Menantes, Picanders Schriften wich^
tige VcrlagsArtickel ; jetzt haben sie ihre tödliche Perio
de erreichet und es ist ihnen eben so gegangen , wie
es den Comvendien unserer Philosophen noch gehen wird.

. Um den Modegeschmack fest zusetzen , darf man


endlich nur anmerken, welche Bücher am ersten und
liebsten von den nwdisthett Runstrichtcrn beurcheilt
werdeil und von welchen sie das meiste Eure und das
meiste Böse sagen. Wenn, zum Beyspiel, in unsern
Tagen ein neuer Dichter aufsteht, so versammlen sich
alle Journalisten um ihn herum und predigen sein
Lob, nachdem sie glauben, daß er es verdienet habe;
oder wenn er mittelmäßig ist , so kauert ihm in /edem
Winkel Deutschlandes ein allzeitsertiger Kunstrichter auf
den Dienst. Wenn aber ein wackerer Professor eine
lateinische Logik , oder Metaphysik schreibt , so schweigt
man still, als wüste man es nicht, oder man springt
so schnell darüber hinweg, daß ich den ehrlichen Mann
bedauern muß , der für seine Mühe so schlecht belohnet
Wird.
Wenn
Achter Brief. ,77

Wenn nun ein reisender Chineser , der mit seinen


zwey Augen ganz Deutschland übersehen hätte, bey
seiner Zurückkunft nach Peking seine Landsleute mit
einer Schilderung der deutschen Litteratur, so wie sie
jetzt ist, beschenken wollte; wie müste diese ohngefehr
ausfallen, um getroffen zu seyn ? — Der Chineser mag
selbst reden:

„ Die 'Deutschen habe» noch nie die Empfindung


so fleißig studirt, und fast nie so wenig empfunden, als
jetzt. Sie wißen vollkommen, was die Lust sey und
woher sie entstehe; dabey vergeßen sie aber, sie zu ges
nießen. „

„ Sie wißen auf das genaueste, die Regeln der


Kunstwerke euch vorzusagen ; sie erklären , was Peripes
tie, Catastrophe, Thesis, Lysis und Analvsis sey; sie
Verstehen alles , was zu eiiür Epopcke gehöret z aber sie
machen keine. „

„ In der That wünschen sie zwar, daß alle die


Lücken in ihrer Litteratur noch möchten ergänzt wers
den; täglich hört man Klagen über obwaltende Män
gel und Gebete zum Apollo um neue Dichter ; so bald
aber endlich einmahl einer erscheint, so wetteifern die
Kunstrichter, wer ihn für seine Kühnheit am besten
zu züchtigen vermag. Er tritt also, wenn er klug ist,
von öer Scene ab und kommt nicht wieder. „

M ,,U«
i7? Achter Brief.

„ Ueberhaitpt sind unter den Deutschen mehr Res


geln, als Genies, mehr Critik, als Kunst. In Einer
Metze standen vor kurzem vier neue Theoristen auf;
kein einziger neuer Dichter. Die Journalisten füttern
ihre Landsleute, die sich um sie herum stellen, mit
Critiken, die begierig verschlungen werden, weil siö
leichter zu verdauen sind, als die Gerichte, welche das
Genie zubereitet hat. ,/

„ Nächstdem haben sie eine besondere Gewöhn-


heit, von den Werken der Mahlerey und der Bildhauers
kunst zu sprechen , ohne etwas davon zu verstehen.
Ein Paar unter ihnen, sie nennen sie Hagedorn und
Winkelmann, hatten sich durch geschmackvolle Bemer
kungen über Kunstsachen einen großen Namen gemacht ;
sogleich lief ihnen jedermann nach, ohne zu wißen, wo
hin der Weg gehen würde*. Man bewies sogar schon
aus der Metaphysik und aus den Categorien, wie und
was,
<zuis ? yu!<I ? vbi ? <zuibus «iixilii» Z cur ? quomoclo ?

man mahlen sollte, und alle Schulen ertönten vom


Helldunkel, vom Colorit, von Composittonen, Grup
pen, Skizzen und Carricaturen. „

„ Ein jeder modischer Schriftsteller muß wenig


stens 2z bis 24. Künstler Namen auswendig wißen ;
aus
Achter Brief. ,79

aus jedem Buchstaben des deutschen Alphabets einen.


Mit einem Angelo, Bibiena , Coypel, Dürer, Elzs
haimer, Fresnoy, Gvido, Holbein, Julius, Kranach,
Lucas von Liyden, Mengs, Natter, Poussin, Qvais
ni, Raphael, Solimene, Titian, Vandyck, Will und
Zucchero kan ein wackerer Schriftsteller, der von allen
diesen Dingen nichts weiß, doch immer sein Glück
machen; dieses Recept pflegte einer meiner deutschen
Freunde das goldene A. B. C. zu nennen. „

„ Unter den Kunstlehrern demonstriren einige ganz


trotzig in die Empfindung ihrer Landesleute hinein ,
was ihnen gefallen und nicht gefallen müße. Andere
machen, ohne zu demonstriren, ihre Empfindung zur
einzigen Richtschnur, fremde Empfindungen zu beurthei?
le« und allgemeine Regeln festzusehen. Wenige andes
re suchen ihren Geschmack durch die Lectüre , und durch
den Geschmack anderer erst zu verbessern, ehe sie es
unternehmen, Gesetzgeber zu seyn. Die letzten sind inst
gemein die bescheidensten unter allen.,,

„ Die Critik — — — *)

„ Die Poesie der Deutschen scheint in Abnahme


zu seyn; ihre guten Genies haben fast alle die Leyer
M 2 verk

5) Das Urtheil meines Chinesers über unsere Crft


tik behalte ich hier zurück , weil ich davon im
folgenden Briefe Gebrauch machen werde.
iFO Achter Brief.

verabschiedet, und seit geraumer Zeit ist, einen einzigen


ausgenommen , kein neuer Dichter von Beträchtlichkeir
erschienen. Vielleicht sind sie aber selbst Schuld da-
rqn. De.nn die Natur thut nichts durch einen Sprung, ^ </, >
und gleichwohl verlangen die Deutschen, daß ein Dich,
ter gleich bey seinem ersten Hervortritt« ein Mann
sty. Ob sie auch seine Uebungs^tücke^nicht lesen wo^
len , so könnten sie ihm doch grosgünstig erlauben,
daß er sie drucken läßt, wenn sie wüsten, wie sehr
ein junges Genie, dadurch daß es sich gedruckt sieht,
aufgemuntert wird , sich immer mehr zu vervollkomm- I
nen. „

„ Sie nennen ein Heldengedicht von Klopstocken,


einem ihrer grösten Poeten ; es ist noch nicht vollendet
und für den Chineser völlig unverständlich. „

„ Vielleicht' aber werden die Deutschen ein voll,'


kommenes Heldengedicht nie haben , nie haben können.
Weil sie den Begrif der Epopäe aus dem Homer schös
pfen, so erfordern, sie zu einem solch?« Werke aöemahl
etwas Wunderbares, welches durch die Einwürkung
übernalürlicher Kräfte, die sie Maschinen nennen, er?
halten wird. Woher nun den Stoff des Gedichts und
woher die Maschine« ? Nicht aus der neuern Zeit ;
denn Wunderwerke sind nicht mehr Mode und selbst
der Dichter hat nicht das Recht, Dinge einzuführe»,
die dem gemeinen Glauben so sehr entgegen sind.
^ . Nichc
Achter Brief. ,8l

Nicht aus den alten deutschen Geschichten ; denn


die Wunder dieser Zeiten und die altbardischen Gott?
Heiken kennt das lesende publicum zu wenig ; und eis
ne jede andere Mythologie wäre an diesem Orte uns
schicklich. Nicht von den Ausländern; selbst nicht
aus dem ReligionsSystem der Griechen; denn mit
diesem verbindet ein Mann , der den Lucian und Wiek
land gelesen hat, so viele lächerliche Ideen, daß die
griechischen Götter keine ernsthafte Würkung mehr thun
können. Das ganze Ding ist für unsere Zeiten zu uns
warscheinlich, als daß es der Dichter in einem großen
ernsthaften Werke gebrauchen dürfte. Nicht aus der
christlichen Religion ; denn diese ist theils nicht sinn
lich genug , und theils ist die christliche Mythologie des«
wegen nicht für den Dichter gemacht, weil dieser Gottt
heilen bedarf, die schon sattsam charakterisirt sind,
wo jede ihre eigenthümlichen Beschaffenheiren und Hands
lungen hat. Wo ist aber der individuelle charakteristis
sche Unterschied unter den Engeln , den der Dichter
schon voraussetzen könnte? Soll ihn der Poet erst selbst
erschaffen , so muß er allcmahl von den Homeren übers
troffen /werden , deren Mythologie schon ganz fertig
vor ihnen lag. Nicht endlich aus der Allegorie;
denn die Personen in der Epopae müßen handeln , und
allegorische Wesen als handelnd vorgestellt, mit würk«
lichen Wesen gemischt, sind in einem ernsthaften Wer<
ke unerträglich.,,

„Außerdem ließt man zuweilen noch N chrichten


von andern Epop«» der Deutschen, von einem Her;
M z mann.
'8! Achter Brief.

mann, Nimrod, Lucifer, einer Sündfluth; allein dies


ft Gedichte selbst werden nicht mehr gelesen. „

„ Sie klagen auch über den Mangel an einem


guten Theater und an den Werken, die für daßelbe
verfertiget werden. Vielleicht fehlt es ihnen an eins
heimischen' Charakteren, weil die deutschen Laster und
die deutschen Tugenden einander auf der Oberfläche
allzu ähnlich sehen. Vielleicht studiren ihre Poeten
mehr die Ausländer, als ihre eigene Nation und bil
den sich also Schilderungen, wozu man die Original
le jenseit des Meers suchen muß. Da sie überdies
wenige reelle Belohnung zu hoffen haben, so können sie
durch nichts aufgemuntert werden, als durch den Beys
fall der Zuschauer; und der Geschmack des Pöbels auf
dem Parterre und des Pöbels in den Logen ist an den
meisten Orten so schlecht, daß der Beyfall der Menge
für den guten Dichter eine wahre Demüthigung ist. In
mancher Stadt keimt auch vielleicht ein großes dramas
tisches Genie; allein es kan sich nicht fühlen, weil zum
Unglück in dieser Stadt kein Theater ist, oder wenig?
stens sich nicht ausbilden. Für die Tragödie fehlt
manchem Dichter die Größe des Geistes, durch welche
hohe Gesinnungen erzeugt werden könnten , die bey
aller Erhabenheit nicht in das Abentheuerliche fallen;
und dem Publica oft die Reeeptivität, das Große, das
Erhabene und Pathetische z» empfinden. Mit dies
sen Umständen vereiniget sich das Vorurtheil für die
Ausländer, welches unter den Zuschauern und unter
den
Achter Brief. iz;

den Schauspielern herrschet. Die Deutschen haben


zween große dramatische Dichter Weißen und Leßin«
gen; aber statt ihrer vortreflichen Stücke spielt man
zu Leipzig den Golooni ; ein vornehmer Mann versi
cherte mir , und schlug dabey auf die Dose , das Corneil-
lens schlechtestes Stück beßer wäre, als der Romeo
und Julie, und wvhl eher habe ich süße Herren und
Damen gesehen, die bey MißSara Snmpson von gan-
zen Herzen gelacht haben.,,

„ Zu lehrenden Gedichten scheinen die Deutschen


ein vorzügliches Geschick zu haben; und hier finden
sie auch das weiteste Feld vor sich und eine Aussicht,
die immer weiter wird , je mehr man fortschreitet. Sie
haben Haller, Hagedorne, Dusche, Wielande, Uhe,
Withofe ; Poeten, die alle in ihrer Art vortreflich
sind.,,

„ Wenn ihre Odenbichter so fortfliegen, wie sie ans


gefangen haben, fo werden sie bald sich in den Wol
ken «erliehren. Dödalus Ramler , der ihnen die FW
tiche gab , wird es nicht thun ; aber wie mancher junge
Jcarus will ihn überfliegen, schmelzt an der Sonne
und stürzt in die See! — Einige aus diesem Poe
tenvolke glauben von Ramlern den Gebrauch der grie
chischen Mythologie gelernt zu haben, und nun wer
den die Götter auf Göttinnen gehaufet , auf daß eine
Ode daraus werde, und oft in einem solchen Anputze
M 4 zur
,84 Achter Brief.

zur Schau gestellt , in welchem sie selbst sich nicht wie/


der erkennen würden. Ein anderer hat gehört, man
müße die Alten nachahmen ; geschwind mißt er den
Tact einer horazischen Ode ab, und hüpft dem Latei-
ner so steif nach , wie der bürgerliche Edelmann seinem
Tanzmeister. Ein dritter sieht, daß Ramler zuweilen
den Gedanken am Ende der einen Strophe abbricht,
um ihn in der folgenden fortzuführen; flugs ordnet
er also seine wenigen Ideen , schiebt immer von jeder
die eine Hälfte nach der andern heraus und schiebt
solange, biß in jeder Strophe zwey halbe Gedanken
stehen , in keiner ein ganzer. Ein vierter will alle ans
dere übertreffen, will neu, will originell denken, hascht
also nach dem ungewöhnlichen in der Idee und im Aus
druck und wird allenfalls ein Meteor, welches der PK
bel angafft , wie Wunder und Zeichen ; der Verstandi
ge gehet vorbey. „

„ Die ernsthafte deutsche Nation ist gerade dieje


nige, welche am meisten tändelt. Ihre Dichter singen
von Wein , ohne zu trinken , von Liebe , ohne zu lie
ben; nur Utz , Gleim, Jacobi und Gerstenberg tän
deln mit Anstände: denn sie haben den Grazien ge
opfert. „

/, Einen Dichter haben die Deutschen, auf welchen


sie mit Recht stolz sind. Als Jüngling sang er aus
dem Himmel ätherische Lieder herab, in welchen auch
, seine
Achter Brief. ,85

seine strengsten Kunstrichter das große Genie immer


erkannt haben ; als Mann stieg er zur Erde hernieder
und spottete in komischen Gedichten mit attischer Feins
heit und öchter sokratischer Laune.,,

„ Die andern Spötter haben geschwiegen und es


scheint , daß unter den Deutschen der Stoff zur Sa
tire durch Nabenern bereits erschöpft ist; ihre Thorheit
ist, wie ihre Weisheit, weder groß, noch mannigfaltig
genug, um viele Luciane zu ernähren.,,

„ Nachdem sie das Vorurtheil abgelegt hatten,


welches ein Mann mit Namen Gottsched vertheidig-
te , daß sie mit ihrer Litterotur allen Ausländern Trotz
bieten könnten , so sind sie in den entgegengesetzten Fehs
ler verfallen, in ein Mistrauen gegen sich selbst, wel
ches sie erniedriget und macht, daß sie alles Fremde
für beßer und vollkommener halten, als das einheimis
sche. Sie vergleichen ihre Dichter mit den Alten, mit
den Ausländern, und bekennen die Vortreflichkeit der
letztern auf Unkosten ihrer Landsleute. Dadurch wird
das Genie zu einer gewißen Furchtsamkeit gewöhnet,
welche es von großen und kühnen Unternehmungen zu
rückhält. Wenn die Jugend einbildischer ist, als das
Alter und dieses furchtsamer als jene; so muß der
deutsche Genius gewiß schon in seinen abnehmenden
Jahren seyn, und bald werden vielleicht die Tage kom§
wen, von welchen es heißt: sie gefallen uns nicht.,,

Ms „ We,
i«6 Achter Brief.

„ Wenigstens laßen die heutigen Prosaisten so et-'


was vermuthen , einige Kunstrichter nicht ausgeschloßen,
die durch öftere Klagen über das kraftlose, unkörnigte,
unpoetische Wesen der deutschen Sprache andere zu
ihrer Verbeßerung auffordern.,,

„ Oder Verschlimmerung ? — Die Deutschen hat


ten bisher gute prosaische Skribenten gehabt, die auch
ihre Gedanken ganz menschlich auszudrücken suchten.
Moßheim, Sulzer, Geliert , Rabener, Spaltung, Jse-
lin, Zimmermann, Wieland, Cramer, Winkelmann,
Moses und einige andere haben doch eine Sprache ge?
redet, deren sie sich nicht zu schämen haben und die
man schön findet, wenn sie gleich ganz deutlich ist und
nichts übermenschliches an sich hat. Aber hinweg mit
diesen Schriftstellern, die so plan, so deutlich schrei^
ben — so waßericht — beynahe wie Cicero ! Wir wol?
len, sagten einige, eine neue Sprache für uns allein
erfinden; Hieroglyphen, deren hohen geheimen Sinn
ein Ungeweihter zu saßen nicht vermag; eine Sprache
»oll von Anspielungen auf den Talmud und Koran
desto vorrreflicher, je schwerer sie zu erklären sind,
voll von einem schwerfaßlichen Witze , wo von bey jedem
Gedanken der Leser zwanzigmal mehr brauchet, um ihn
zu verstehen, als der Werfaßer, um ihn zu erfinden;
voll von neuen ungewöhnlichen Wendungen, die noch
in keines Menschen Ohr kommen sind; und voll end
lich von Fremdlingen, denen wir Kraft unsers gedruck.
ten
Achter Brief. «7

ten Briefs das Bürgenecht ercheilev. Sie sprachen


es und gleich — „ wurden die Balsamdüfte vom öthes
„ tischen Tische der Alten , mit einigen Vapeurs der
„ Gallier und dem Brodem der brittischen Laune ver«
„ mischt, zu einer Wolke. „ — Sie hatten ihre Nach
ahmer; aber Seneca hatte die seinigen auch und Ci«
eeros majestätische Sprache wurde fast über den schim-
Mernden Antithesen der römischen und vergeßen.
Damahls war das göldene Alter der Lateiner vorbey;
ihre Litteratur war im Abnehmen und ihrem gänzlichem
Falle nahe. — Wo sind nun wohl die Deutschen? „

„ Wenn das göldene Alter für ihre Sprache das


hin ist , so ist es vielleicht für die übrigen Künste noch
zu erwarten , wofern nicht die künftigen 'winkelman
ne, Mengse und Wille ferner expatriiren, wie die
bisherigen gethan haben. Fast sind nun die Augspu«
gischen und Nürnbergischen TSndelarbeiten , so wie ihs
re Haupts und Staats -Aktionen, gänzlich verdrängt;
die Kunst hat sich über das handwerksmäßige erhoben
und wird ihren höchste» Gipfel erreichen, sobald die
wörtlichen Genies an mehrern Orten, wie es an ei
nigen bereits geschiehst , solche Belohnungen , oder Auf
munterungen zu erwarten haben , daff sie nicht genöthi-
gct sind , mit ihrem Pinsel , oder Grabstichel nach T<u
gewerken zu arbeiten.,,

„ Die Philosophie der Deutschen ist der Hut,


welcher immer eine andere Form bekömmt; vor drey-
hundert
M Achter Brief.

hundert Jahren noch völlig scholastisch ; bann >ynz<r,«?


aristotelisch; dann ramistisch; dann zwischen allen ein
Mittelding; dann rartesianisch ; bann bald thomasisch,
buddeisch, rüdigerisch, bald etwas anders; ferner wol«
fisch und bemonstr«tivisch ; wieder ein wenig eklektisch,
und endlich so süß, so tändelnd, so säuselnd, wie ein
kleiner loser Zephyr , der von Blume zu Blume hüpft
und aus keiner lange verweilet. In den Schulen der
Deutschen sind noch einige demonstrativische Köpfe ; «K
lein da viele unter diesen sehr unwißend und pedantisch
sind , so werden sie von der feinern Welt alle mit ein:
ander vermenget und zusammen ausgezischt. Einige
wenige eigensinnige Männer, die Moses, Flögel, Jses
line, Abb« wagen es, in der Mitte zu gehen; aber
da sie sich zu keiner Partey halten wollen, so verder
ben sie es mit allen. Außerdem ist es merkwürdig ,
daß viele unter den deutschen Philosophen sich eine
Ehre und ein Verdienst machen, von allem dem, was
man insgemein glaubet, nichts zu glauben^ — „

Der Chineser könnte noch vieles erzählen; allein


vielleicht ist dieses wenige schon zu beleidigend für im,-
fern Geschmack. Man muß es ihm vergeben; er ist
ein Fremdling und kennt unsere Tugenden nicht so gut,
«lS wir selbst.

Der Bogen ist voll und n«n kan ich diesen chin«
fischen Brief auf d«S feierlichste beschließen. Ich bin
u. s. w.

Neun«
Neunter Brief

an de» Herrn Tanonicus

Gleim.
Neunter Brief

an den Herrn Canonicus

Gleim.

lAo eben streiche ich ein halb Dutzend schlecht


te Verse wieder aus , die ich so hingereimt
hatte , weil ich auch einmahl den Einfall
bekam, an einen Poeten poetisch zu schreiben. Lieber,
mein theurester Freund, will ich es Ihnen in Prose
sagen, wie sehr ich Sie liebe, verehre und hochschätze,
wie heilig ich Ihre vortreflichen Briefe bewahre. Und
wie entzückt ich noch taglich an den Tag zurückdenke,
da ich Eleimen jum erstenmahl sah und küßte. Sie
wißen es noch, mit welchen Augen ich damals Ihr
Gesicht, Ihre ganze Mine verschlang, um nur das
liebenswürdigste Bild Anakreons nie wieder zu vergeft
s,n. Noch jetzt steht es da, vor mir, mit dm blauen
Au?
19! Neunter Brief.

Augen , in denen der Himmel sich aufthut , mit dem


GrazienMunde , mit dem sanften Lächeln, das meine
ganze Seele dahin zog; umarmen wollte ich eS, an
meine Brust drücken, seinen Athem in mich ziehen;
aber es verschwand« -

Schelten Sie mich immer einen Schwärmer ; ich


bin es nur, wenn ich den Geliebten, den Freund mir
gedenke, und dann wage ich es, stolz auf einen En
thusiasmus zu seyn , der wenigstens zunächst unter den
poetischen eine Stelle verdient. Aber bald werden Sie
mich wieder kaltsinnig, unfühlbar, ernsthaft^ und milz
süchtig sehen- Denn ich rede mit ihnen in diesem Brie
fe von dem kalksinnigsten, unfühlbarsten, ernsthaftesten
und milzsüchtigsten Volke unter der Sonnen — von
den Runsrrichrern.

Einer Ihrer LieblingsSchriftsteller gicbt mir den


Text zu der folgenden Predigt, welcher also lautet: ')
„ Einem großen Manne kleine Fehler abzulauten: nur
höckcrigte Auszüge seiner Gedanken zu geben : ihn
wie durch ein Vorurtheil seines Namens zu preisen;
freilich das sind leichte und rühmliche Verrichtungen,
die aber nichts helfen, und öfters schaden. Was knn
es einem Leser helfen, daß er durch solch einen regels
mäßigen, oder krüppelhaften Auszug durchwischet? der
, , Geist
*) Ueber Abbts Schriften, S. l«.
Neunter Brief.

Geist des Autors ist weg aus diesem Gerippe! Was


kan es helfen, daß ich meinem Autor ein Paar «ige,
ne Gedanken anflicke und sie ihm wie Höcker aufbün
de? Muß es nicht äußerst schaden, das Auge eines
Lehrlings daran zu gewöhnen, daß es zuerst Fehler
sucht; sein Gefühl für die Schönheiten zu verhärten,
und seine Seele damit zu verstümmeln, daß er tadelt,
statt nachzueifern? Muß es nicht fchaden, wenn wir,
geleitet vom Vorurtheile des Namens, alle Gedanken
in guten Büchern, für göttlich, und gute Gedanken in
mittelmäßigen Büchern für schlecht halten ? — Und
siehe ! dies sind die Vortheile unserer Gelehrsamkeit aus
Journälen ! Wir laufen durch Auszüge hin : sehen viel,
und nichts ganz, und erwerben uns ein Compendium
des Verstandes. Wir lesen Urtheile, die uns entweder
irre führen, oder doch gemeiniglich leer laßen; , so wie
6er Schein des Mondes leuchtet, aber nicht erwärs
met. Wir lernen Fehler finden, statt Schönheiten zu
kosten , und erreichen es also , gelehrt scheinen zu köns
nen , ohne selbst ein Sohn der Weisheit zu seyn. In
der That, so wie in der bürgerlichen Weit der arti?
ge Umgang, sich von nichts unterhalten zu können, daS
wirkliche Commercium menschlicher Geister und Herzen
merklich geschwächt hat : so geben sich unsere Kunstrichl
ter Seelen auch alle Mühe, durch ihre Gelehrsamkeit
und Scharfsinn die süßen Augenblicke uns zu rauben,
da wir den Geist des andern sehen , und uns nach
ihm bilden. „ ,,

N Ick
,94 Neunter Brief.

Ich will nicht enthusiastisch für, oder wider die


Kunstrichter urtheilen ; sondern unparteyisch , als wenn
mich keiner unter ihnen gelobt, keiner getadelt hätte,
den Nutzen ihrer Critiken gegen den Schaden abwägen,
welche dadurch gestiftet wird.

Es ist die Rede von öffentlichen Critiken, nicht


von solchen , die der Freund seinem Freunde macht.
Kunstrichter der letztern Gattung sind von je her gewe
sen und sie sind desto nothwendiger, je leichter ein Va
ter aus allzugroßer Zärtlichkeit gegen seine Kinder ihre
Fehler übersieht. Aber Herolde, die es in die Welt
hineinschreyen , l> <znis psuperiein tecills dicstur, die
öffentlich schelten und öffentlich loben und über lebende
Skribenten richten; diese sind eine Art von neuerlich
entstandenen Geschöpfen ^die die Alten noch nicht ge
kannt haben.

Das Amt eines solchen Kunstrichters hat zwo Sei


ten ; wir wollen es zu erst von der guten betrachten.

Es ist nicht zu läugnen, daß > wir die wichtigsten


Untersuchungen, die besten Aussichten, durch welche in
u»sern Tagen das Gebiete der Litteratur erweitert wor
den , unscrn Kunstrichtern zu danken haben. Während
der Lesung eines Buchs entstehen in unserer Seele ei
ne Menge Gedanken, die wir vorher noch nicht gehabt
ha
Neunter Brief.

haben , die aber fast immer so schnell wieder «erschwing


den, als sie entstanden sind. Weiß der Kunstrichter
diese zu erhaschen , festzuhalten und seinen Lesern in
den Kopf zu spielen; so kan es nicht fehlen, seine Re<
eension muß SamenKörncr und Pflanzen enthalten , die
das Genie groß ziehen kan, daß sie tausendfältige Früch?
te tragen. Wie> viel denkt ein aufmerksamer Mann
bey Klopstoks Meßias! Oder bey Shakspears Tragö^
dien! welche Blicke thut er da in das menschliche Herz.'
Er zeige seinen Lesern die Dinge, die er gesehen hat
und die nicht jedermann sieht ! Vielleicht entdecken diese
eben das, vielleicht mehr, vielleicht etwas anders; in
allen Fällen ist der Fingerzeig, den ihnen der Kunst,
richter gegeben hat, ein nützlicher Wegweiser, der sie
zu Betrachtungen führt, die nun ihnen eigen sind, nach-
dem sie ihr Gepräge darauf geschlagen haben.

Deswegen wird auch die Theorie der Kunst uns


gemein durch eine vernünftige Critik befördert. Fast
nur aus einzelnen Anmerkungen, ist das unsterbliche Hol
mische Werk zusammengewachsen ; nun sammle mir je
mand alle gute Beobachtungen unserer deutschen Kunst
richter über einheimische Werke ; er ordne , vergleiche ,
beurtheile und vermehre sie mit seinen eigenen, und
dann werden wir deutsche Grundsätze der schönen
Wissenschaften bekommen. Die gründlichen Urtheile aus
allen guten , oft widrigen , Journalen zusammen gesetzt,
N 2 aus
196 Neunter Brief.

aus den Litteraturbriefen , den drey jetzlebenden Bis


bkiotheken, den Fragmenten und wie sie weiter heißen; —
wäre das nicht ein feines Magazin, aus welchem ein
denkender Kopf die Materialien zu einem neuem Ges
bäude herhohlen könnte ? Die Herren Herder und
Schmid haben uns Proben einer solchen Arbeit geges
ben; dieser mit einer größer« Känntniß der Litkerarur,
und jener mit einem größer« philosophischem Geiste.

Wer spricht mir ben Journalen das Lob ab, daß


dadurch der gute Geschmack hergestellt und erhalten,
und die seichttn Urtheile über das Gute und Schöne
erdrückt werden ? Selbst Gottscheds Neuestes aus der
anmuthigen Gelehrsamkeit hat an verschiedenen Orten,
wo sonst ein pöbelhafter Witz von der Canzel an bis
an den Nachttisch , herrschte , gute Dienste gethan.
Beßere thaten die LitteraturVriefe; und der Biblio
thek der schönen Wissenschaften, die selbst in Wien mit
Beyfall gelesen wird , hat man, fo wir den Bemühum
gen des Herrn von Sonnensels , daS Aufkommen vers
schiedener guten Köpfe in den dortigen Gegenden zu
verdanken. Ein Journal ist dazu gemacht, in mehre
re Hände zu kommen, als andere Schriften; der Jüng
ling, der oft nicht die Gelegenheit hat, viele Bücher
selbst zu lesen, urtheilt dem Kunstrichter nach, formt
seinen Geschmack nach dem Geschmacks seines Anag«
nosten, (denn der Journalist ist ei» Anagnost, der
uns aus jedem Buche das Beste und das schlechteste
vorließt) und wird weife, wenn dieser weise war.
Zu
Neunter Brief. 197

Zu unterdrücken die schlechten Schriftsteller und


hervorzuziehen die guten, die ohne eine solche Benhüls
fe vielleicht unbekannt geblieben wären : eine neue Pflicht
des Kunstrichters und , wenn er sie erfüllet , ein neues
Verdienst ! Er ist der Censor , der jedem seinen ges
bührenden Rang anweißt , den Duns von dem Throne
herabjagt, aus welchen er sich eigenmächtig gesetzt hat,
und zu dem gcmishandelten und umerdrückten Genie
sagt: steige herauf! Er bcßert den angehenden Autor,
zeigt ihm seine Bestimmung und das Fach , für welches
er gemacht ist , prägt ihm Behutsamkeit ein , macht ihn
demüthig, wenn er zu stolz, und kühn, wenn er zu
furchtsam war , feuert ihn zu ferner« Arbeicen an und
muntert ihn auf, dereinst Werke zu liefern, die ihn
überlebe» können.

Selbst der Geschmack des Lesers > wird durch das


Urtheil des Kunstrichters noch mehr befestiget. Oft
lese ich in der Stille und urtheile in der Stille; mei
ne Sentenz scheint mir zu verwegen, ich wage es nicht,
sie öffentlich zu sagen; nicht einmahl, ihr für mich als
lein völlig zu trauen. Jetzt tritt der Critikus aus,
sagt eben das , was ich gedacht habe und bestätigt mich
dadurch in meiner Meinung ; oder er sagt das Ge?
gentheil und veranlaßt mich, diese genauer zu prüfen,
um endlich zu einer Art von Gewisheit zu gelangen.
Lange hatte ich heimlich mir selbst zugemurmelt , daß
Lohenstein der verächtliche Mann nicht sey, für den
N z ihn
!Y8 Neunter Brief.

ihn die Gottschedische Schule gehalten hat, daß Wie?


lands Shaksvear und Duschens Pope allerdings in
Deutschland Nutzen schaffen können , daß Voltärens
Henriade und verschiedene französische Trauerspiele nicht
das Lob verdienen, womit man sie überschüttet; !bis
in Ewigkeit würde ich es gemurmelt, nur halb geglaubt,
nie laut gesagt haben, wenn ich nicht hörte, daß Abbt,
Klotz, Home, Leßing eben so urtheilren, als ich.

Ueberhaupt erleichtern die Journale allemahl die


Bekanntschaft mit deriLitteratur. In ihnen übersehen
wir, wie mit Einem Blicke, den ganzcn Zuwachs, wel
chen sie von Zeit M Zeit erhält ; wir familiarisiren uns
mit den Namen der besten Schriftsteller und lernen
selbst ihr Genie einigermaßen und wenigstens so ken
nen, wie das Gesicht eines Menschen aus seinem Por
trät, oder wie den Gang eines Frauenzimmers, die
man von fern sieht. Wir hören auf , Fremdlinge in
unserm Vaterlande zu seyn, wie es unsere Väter wa
ren ^ die oft den unbekanntesten griechischen Scholiasten
beßcr kannten, als ihren eigenen Landsmann; wir wer<
den bekannter mit unsern einheimischen Produkten und
wißen nunmehr, was die Deutschen geleistet haben, und
waö sie leisten könnten.

Sogar die Kriege der Kunstrichter unter einander


sind eine nützliche Währung, durch welche mancher Vor
theil
Neunter Brief. 199

thkil gewürkt wird. Das zuschauende Publicum sieht


endlich, auf welcher Seite das Uebergewicht ist . und
entdeckt ohne Mühe die kritischen Kunstgriffe , mit wel
chen man es bisher hintergangen hat. Dann springt
plötzlich zwischen bcyden Streitern ein dritter hervor,
verdrängt beyde, und fangt an zu regieren , so lange
bis er wieder auf eine ahnliche Weise gestürzt wird.
Der zweete wird immer sich hüten , daß er nicht in
die Fehler des erstem verfalle ; der dritte vermeidet
die Versehen des zwreten, unH so wird immer der vor
hergehende durch den nachfolgenden verbeßert, biß end
lich der Geschmack der Nation durch diese fortdauren-
den Bemühungen seine Festigkeit erhält.

Freylich durch magere Auszüge wird das Publi


cum nicht genährt , nicht gebeßert. Wer diese z« ver
fertigen im Stande ist,der sey ein Registermacher biß
an sein Ende ; Kunstrichter ist er nicht. Und wer sie
lesen kan, dem empfehle ich die Bande der unschuldi
gen Nachrichten, die deutschen ^6ts erucktorum und
viele der heutigen französischen Journale, wo er bey
dem Lxtruit Premier geruhig einschlafen und bey dem
Lxtrsit teconci u. s. w. sich wieder munter lesen kan.
Bloß die Gedanken des Verfaßers, ohne eigenes Ur-
theil, abzuzeichnen, und sie nach Gutbefinden mit ein
ander zu verknüpfen ; das Heist einen Körper das Fleisch
Nehmen und die Knochen mit Drat zusammen heften.
Das Neue, das Wichtige, das Eigne, das vorzüzli-
N 4 che
20« Neunter Brief.

che Schöne, das Falsche und Häßliche , daS Unbe


stimmte anzuzeigen, auf die Lücken zu deuten, die der
Verfaßer gelaßen hat, die Auswüchse abzusondern; dies
ist eigentlich das Geschäft eines Journalisten , der mit
dem Kopfe und nicht mit der Hand, kritisirr.

„ Aber wo finden wir den ? Und wenn wir ihn ge-


„ funden hatten , wird seine Arbeit auch alle die Herr-
„ lichen Früchte hervorbringen , die man von ihr ruh-
„met? Und wenn sie diese hervorbrächte, wird nicht
„ dör Nutzen weit durch den Schaden überwogen, der
„ nothwendig aus öffentlichen Critiken über lebende
„ Schriftsteller entstehen muß ? „

Ich will aufrichtig seyn, das Bild des Kunstrichters


herumdrehen , ihn von der schlimmen Seite betrach
ten und nichts von dem Schaden verschweigen, der
auch durch gute Critiken gestiftet wird ; denn von schlech
ten ist ohnehin die Rede nicht.

Und wenn der Kunstrichter sich heiser ruft und hy


pochondrisch schreibt, wird er wohl jemals das Unge
ziefer des Helicons vertilgen , die Brut der elenden
Skribenten völlig ausrotten, oder ihre Schriften den
Lesern aus den Händen recenstren? Herr Ziegra schreibt
seine Wansbeckische Zeitung schon, seit vielen Jahre»
und verkauft gewis so viel Eremplarien davon, als
Herr
Neunter Brief. 201

Herr Nicolai von der allgemeinen Bibliothek. Bän


del läßt seine« stummgewesenen Advocaten immer fort
plaudern. Westerniann singt ununterbrochen Sonna-
ten ab ; wilke schreibt Einen Beytrag über den ans
dern; und von dem Antikritikus habe ich bereits das
sechste Stück — nicht gelesen — sondern gesehen. Was
hilft nun alle Critik? Solange es elende Leser giebt,
muß es auch elende Schriftsteller geben ; und wenn wir
kein Mittel wißen , die ersten hinwegzuschassen , so sind
hundert Kunstlichter nicht hinreichend , Einen einzigen
bösen Skribenten völlig zu erdrücken.

Dafür erheben sie manchen Autor, der es nicht


verdient ; junge Genies schlagen sie oft zur Ungebühr
nieder und oft machen sie selbst altere furchtsam und
tödten in ihnen den Much , der zu OriginalWerken
' erforderlich ist. Ich kenne Knaben, deren erste Wer
ke noch nicht an das Mittelmäßige reichten ; sie wurs
den dennoch in eine sehr hohe Claße der schrifcftellerü
fchcn Rangordnung gesetzt, weil sie das Glück hatten,
mit denen in Verbindung zu stehen , die Lob und Ta-
del nach Gefallen ertheilen. Stolz auf ein Lob, wel
ches ihnen nicht gebührte, und voll von Zutrauen auf
ihre Kräfte, verfäumten sie es, ihren ftlgenden Wen
ken die gehörige Vollkommenheit zu geben und fielen
dadurch desto tiefer, je mehr sie vorher waren erhöhet '
worden. Ich kenne Jünglinge, die auch auf die Spi
tze des Parnaßus hinauf klimmen wollten; der Kunst-
N 5 richter
!Ol Neunter Brief.

richter stieß sie zu unbarmherzig hinab in die Tiefe ,


und sie verzweifelten. Durch die allzustrenge Critik
wurden sie zu .sehr gcdemürhiget; alle Zuversicht, alles
Zutrauen zu sich selbst war verschwunden; sie wagten
es nicht , wiederzukoimnen in ein Publicum , wo man
sie so schlecht begrüßt hatte: erstickt lagen nun die be
sten Talente da und verlohren war der Bürger , der
künftig dein litterarischen Staate zur Ehre gereicht hat
te. Ich kenne Männer, denen man, in einem hefti-
gen, bittern und unhöflichen Tone, die Feile angeprie
sen hatte : sie nahmen sie und feilten , und feilten mit
jedem Fehler zwo Schönheiten aus ihren Gedichten her-
aus, die nun zwar so korrekt wurden, daß sie selbst
die strengsten Tadler mit Verbeugungen bewillkommten ;
aber dahin war der holdselige Reiz, der auch bey min»
derer Regelmäßigkeit, mehr anziehendes hat, als eine
untadelhafte Schönheit ohne Leben, ohne Grazie.

Durch allzuvieles, Kritisiren wird überhaupt die


Ausübung gehemmt; man unterdrückt das Gefühl der
Schönheit , lehrt nur nach Fehlern haschen , und was
«Hut der Lehrling lieber? Kritisiren ist immer leichter
als selbst machen; Fehler suchen gemächlicher als ver
deckte Schönheiten entziffern: man thut also das, wo-
bey man seine Rechnung am besten findet; halb gelesen,
nichts empfunden, alles getadelt, flugs ist der Kunstlich
ter fertig. Manchen vortreflichen Kopf reißt der Strom
mit sich fort und wenn er denn nicht außerordentlich
arbeit
Neunter Brief. 20;

arbeitsam ist, so wird er durch die kritischen Bemühuin


gen «n der Ausfertigung eigener OriginalWerke verhim
dert, die dann noch leben würden, wenn alle Jour
nale vergeßen sind.

Dies ist der Schaden der Critik auf Seiten der


Schriftsteller ; größer noch ist er auf Seiten der Leser.

Es giebt Menschen , die keinen eigenen Kopf, keü


nen eigenen Geschmack , kein eigenes Unheil und keine
eigene Gelehrsamkeit zu habe» scheinen ; ihr Kopf, ihr
Geschmack, ihr Urtheil und ihre Gelehrsamkeit — alles
gehört den Journalisten zu, von welchen sie es empfan
gen haben. Sie denken , wie diese , sie empfinden , sie
richten wie diese ; ihre ganze Kanntniß ist eine Kannte
niß der periodischen Schriften und der Urtheile, die in
diesen gefällt werden.

„ Was halten Sie von Abbts Buch über das Vers


„ dienst? „
„ Es macht eine neue Epoche in der Philosophie ;
„ die Schreibart ist vorrreflich, und der gute schlich«
„ te Menschenverstand , welcher in dem Buche
„ herrscht, macht es eigentlich zu einer Schrift
„ für den Bürger.,,

„ Wie gefällt Ihnen Wielanös Urbersetzung vom Shak-


„spear?,,
, „ Sie
204 Neunter Brief.

„ Sie ist steif und geschmacklos und dieser große eng-


„ lische Dichter wird dadurch völlig entstellet.,,

„ Wie der deutsche Pope von Dusch ? „


Er wimmelt von Schnitzern und Pope ist in der
„ wäßerigten Prose nicht mehr zu erkennen. „
„ Vermuthlich besitzen Sie diese Bücher selbst?,,
„ Uin Vergebung ! Ich habe sie nur recensirt gelesen —

Aehnliche Gespräche habe ich mehrmahls gehört,


und ich glaube, daß unter tausend Lesern eines Jour
nals richtig allemahl neun hundert find, die auf eine
solche Art blindlings dem Kunstrichter nachtappen und
ihm nach über Bücher urtheilen, die sie in den mei
sten Fällen nicht einmahl gesehen haben. Sie geben sich
durch ihre Belesenheit in den kritischen Schriften das
Ansehen einer weitlauftigen Känntniß und mancher ehr
liche Mann, der dann nur über ein Buch urtheilt,
wenn

*) Auch ähnliche Critiken gelesen — Ein neuerer


Kunstrichter, der noch zu sehr taumelt, um den
Namen eines philosophischen Kopfs zu verdienen,
wirft einen verächtlichen Seitenblick auf den Don
Sylvio von Nosalva , den er nicht gesehen hat,
weil er ihn Don Antonio nennet — So straf
te die Critik ihren untergeschobenen Sohn durch
sein eigenes Gedachtniß.
Neunter Brief. 205

wenn er es gelesen und geprüft h^t, muß still im Win?


kel sitzen und sich von der großen Weisheit dieser VieK
wißer überschreyen laßen. Wird nun nicht eben das
Institut, welches zur Ausbreitung der wahren Gelehr,
samkeit dienen sollte , ein Mittel ihre Auskunst zu vcr?
hindern? Der junge Mensch will sich von dem Kunst
lichter gute Bücher empfehlen laßen , und über der
Empfehlung vergißt er das Buch selbst.

Und wie nun, wenn ihn sein Wegweiser verführt?


So irrt er ihm also nach, schimpft Wielanden, weil
ihn der Kunstrichter geschimpft hat, und lobt alle die "
mittelmäßigen Köpfe, die dieser herausstrich. — Auf
diese Art kan ein Journal durch das Ansehen , in welk
chem es bey dem nachlallendem Theile des Publicum
stehet, eben so wohl, als es den guten Geschmack be
fördern sollte, eine falsche Mode machen; nicht durch
die Urtheile allein, auch durch den Ton, in welchem
diese abgefaßet werden- Die bunte Schreibart, die
man seit einiger Zeit für schön gehalten hat, wurde
durch einige aber maßige Auswüchse des Stylö in den
Litteratur Briefen veranlaß« ; durch einige Fehler , die
hernach die Verfaßer selbst misbilligtcn, die aber ant
dere für Schönheiten verschlangen, verdauten und, mit
ihren eigenen Zusätzen vermehrt , wieder von sich gaben.
Und so entstand, wie selbst ein Kunstrichter bemerkt
hat, ein Ungeheuer von Styl.
A L«b>IonisK Dislect,
VVM'eK learneli keclimti Much stteÄ >,.»,.
V, ' >. So

> ^,
2O6 Neunter Brief.

So ist keine Myde^des Geschmacks so abentheuer-


lich, die nicht einen Obergelehrten zum Urheber und
eine Menge Untergelehrte zu gefälligen Dienern hätte !

Kein Lustspiel kan lustiger seyn, als die Verwir


rung, welche durch kritische Kriege unter den Haufen
der Nachlispler gebracht wird. Der Eine nimmt Pars
tey, ficht für den Altar und für den Heerd, ehe er
noch weiß, wovon die Rede ist, und zankt sich mit
dem zweeten, der eben so unwißend ist, als der erste.
Ein dritter wankt, und da er in der Bestürzung nicht
weiß , wohin er sich wenden soll , so läßt er sich durch
den ersten Haufen, der ihm aufstößt, mit fortschlep
pen — ,/ Wohin Herr Sancho ? „ — daß weiß Gott
und mein Esel!

Die Verwirrung wird noch vermehrt durch die ge-


Heimen Verbindungen unserer Schriftsteller und Kunst-
richter unter einander. Fürs erste die guten Köpfe
auf der Einen, und die elenden Schriftsteller auf der
andern Seite im beständigen Kriege; denn Rotten un
ter den letzter«, und, entgegen gesetzte Schulen unter
den ersten : ein Krieg aller wider alle : komm Hob«
heS und richte dein Reich auf! — Ich würde mehr
hinzusetzen , wenn ich nicht zu einer gefährlichen Zeit
schriebe, wo das litreralWe Publicum in Deutschland
beynah in einer solchen Währung ist, als das bürger
lich« vor hundert Jahren in Engelland,
Wliea
Neunter Brief. 107

^VKen civil Oxilgeon Lrlt zre« KigK,


Ancl Klei, 5e» out tliex Kne«? not vliv;
Wken Ksrci Worci, , leslouli« »ncl ?e«rs,
8et ?o!K« togetker bv tke Lsrs.

Nicht selbst will ich den Schluß aus allen diesen PrS-
mißen ziehen , um den Werth unserer Critik zu bestim
men. Vielleicht ist sie ein entbehrliches Gut ; vielleicht
ein nothwendiges Uebel : mag sie doch seyn , was sie
will! Weil wir einmahl Kunstrichter 'haben, so träu
me ich mir ein Ideal vor, von dem besten unter allen
möglichen Kunstrichtern, dem billigsten, einsichtsvollsten
und würdigsten, der nur zu denken ist; — wenn die
Natur nie eine mediceische Venus , oder ein Kind wie
Coypels Amor hervorbringen wird, kan man sie ankla
gen, daß sie uns einen Kunstrichter versagt, der nur
ein Geschöpf der Einbildungskraft ist?

Dieser Kunstrichter ist, fast wie Thomasens Po-


liticus, ein Mensch ohne Freunde, ohne Feinde und
ohne Verbindungen, unbekannt, ohne Amt, entfernt von
der Welt und sitzend in einem Winkel, aus welchem
er geruhig umherschauen kan.

Kein System hat ihn gefeßelt; alle fremde Ideen


legt er ab, oder prägt sie zu eigener Münze um. Um
alles hinwegzuschaffen, was an die Vorurtheile grZnzt,
Vergißt er auf einige Zeit sein Vatexllnd, die Gesin

nungen
7oz Neunter Brief.

nungen seiner Nation und alle Meinungen, die ihm


der Lehrmeister angcklebet hat.

Er ist selbst kein Schriftsteller ; er will es nicht


seyn. Unparteyisch ist er, auch gegen sich selbst, nicht
steif beharrend auf seinen Urtheilen, nicht eigensinnig
im Lesen und Schmecken.

Gebildet hat er seinen Geschmack durch das Stu«


dium der Alten, der Ausländer und der besten unter
seinen Landsleuten , ohne für eine Partei) eingenommen
zu seyn. Er stellt alle neben einander, um aus allen
zu lernen; aber er parallelisirt sie nicht, um die Alk
ten auf Unkosten , der Neuern, oder umgekehrt, zu er,
heben.

Patriotisch für fem Vaterland kan er immer seyn;


er soll es seyn! Er liebt seine Landsleute, straft sie
brüderlich, wo sie irren, und winkt ihnen freundschafk
lich, wenn sie auf dem rechten Wege sind. Ihre Litt
teratur kennt er von der starken und von der schwa
chen Seite; historisch: er weiß, was sie gechan und
nicht gethan haben; philosophisch: er weiß, was sie
thun könnten.

Er
Neunter Brief. 109

Er ist ein gcdultiger Mann, hat Enthusiasmus zu


lesen, Phlegma mit Bedacht zu lesen, Scharfsinn zu
prüfen und Phantasie, sich in die Stelle des Verfaßers
zu fetzen, um feinen ganzen Geist zu erhaschen.

Er ist ein bescheidener Mann , der feine Urtheile


problematisch vorträgt , keinem Leser sie aufdringt , und
nicht jedem die Pritsche vorhält, wer anders zu urthe«
lcn sich unterwindct.

Er ist ein standhafter und freymüthiger Mann,


der die Warhcit mit Anstand sagt, und es vorherweiß,
daß er durch Wahrheiten beleidigen wird.

Er sagt sie, bald mit der ernsthaften'Mlne eines


Mentors, bald in einer sokratischen Laune dahin, ist
froh, daß er sie gesagt hat, und seine Zufriedenheit
hängt so sehr von ihm selbst ab, daß er nie mit sich

oder mit andern unzufrieden ist, wenn es andere mir


ihm sind.

0 Er
Neunter Brief.

Er vereiniget sich mit Männern , die ihm ähnlich


sind, und diese zusammen schreiben ein Journal —
welches in Ewigkeit nicht wird geschrieben werden.

Dieser Traum beschließe den Brief an meinen

Gleim? Ich wünsche seine Erfüllung, und hoffe sie


nicht. Leben Sie wohl , mein theuerster Freund , und

denken Sie zuweilen an Ihren u. s. w.

Zeh"-
Zehnter Brief

l de» Herrn GchcimenHoftath

von Thülnmcl.
Zehnter Brief

an den Herrn GeheimenHofrath

von Thümmel.

MM
^'W^ntweder Herr Harles, oder Herr Leder hat
^^^^ mein Stillschweigen bey Ihnen cntfchuldü
get. Ich wartete auf den Abdruck dieses
gedruckten Briefs, um einen geschriebenen beyzulegen:
da sind sie nun beyde mit einander !

Sie, gnädiger Herr, sind ein Hofmann, der zu


keiner gelehrren Partei) gehöret ; ein Zuschauer des Ge-
wühls auf dem Theater, wo Gladiatoren, Kunstrichter
und wilde Thiers kämpfen ; ein Ehrenmitglied des Pui
blicum, welches Sie ganz übersehen und welches stolz
darauf seyn muß , daß Sie sich zuweilen' unter den Haus
sen der Schrifsteller herab begeben , die es bewundert :
O - Jh
2l4 Zehnter Brief.

Ihnen also sey diese Rhapsodie, die Sie am besten beun


theilen können , diese Betrachtung über unser Publicum
gewidmet , von welchem ich fragen darf : Ist es ? und
Wo?

Vom Monzambano an bis auf Mosern * ) zankt


man sich über dje politische Verfaßung Deutschlandes,
für die man noch immer keinen festen Namen gefunden
haben will. Nicht anders ist unser litterarisches Publi
cum, ein monstrum Korren^um, und leider ! wenigstens
zuweilen , cui lumen »clemtum.

5) Als ein Bürger meines Vaterlandes gebe ich meis


ne Stimme für diesen vortreflichen Mann wider
diejenigen , welche „ es nicht untersuchen wollen,
„ wie weit Vielschreiberey , veränderte Situationen
„ und halbverstandne ReligionsScktze ihn hatten
„ bringen können. „ — Ich will es auch nicht
untersuchen, wie weit das Urtheil Eines Kunstrichs
ters den andern bringen kan ; nur darf ich wün
schen , daß man nicht das NationalZnteresse und
den Enthusiasmus für einen gewißen Monarchen
zur Richtschnur mache, das Verdienst eines Schrift,
stellers zu beurtheilen.
Zehnter Brief. 215

Gesammelte Stimmen machen eigentlich das publi«


cum aus; Stimmen verschiedener Instrumente, die in
Ein Concert zusammenfließen ; Urtheile verschiedener
Köpfe, die nach Einer Direktion hinlaufen. Wir ha
ben also nicht Ein Publicum; sondern (darf ich fo res
den ? ) so viele Publica , als eS Urtheile mehrerer Areos
pagiten giebt , die einander widersprechen. Das Eine
fällt eine richtige Sentenz, wenn es jedem wiederfahren
laßt , was er mit seinen Thaten verdient hat. Das ans
dere urtheilt unrichtig , wenn es den Schuldigen los-
spricht und den Unschuldigen verdammt.

Wo ist nun dasjenige Publicum , deßen Ausspruch


gelten und von welchem man behaupten kan , daß es den
Werth der Schriftsteller und ihre Rangordnung be
stimme?

Ist es in einer Stadt , in einem Lande ? in Ber


lin, in Leipzig, in Copenhagen, oder in Zürch?

Nichtsweniger! Wir haben keine gemeinschaftliche


Hauptstadt; keinen Mittelpunkt, in welchem der Kern
unserer guten Köpfe versammelt wäre , auf deßen End

S4 un
!I<5 Zehnter Brief.

lirtheil die Peripherie lauerte; Deutschland ist ein weites


in mehrere Provinzen zertheiltes Reich , die für sich be
stehen, ihr eigenes Jntereße haben , welches oft dem Jn<
keresse des Ganzen zuwider ist : da ist kein ResidenzSrt
für die Gesetzgeber des Geschmacks ; kein Reichstag aus
Dcputirten aller Landstande zusammengesetzt ; ' sondern
überall Anarchie. . ,

Wenn der Berliner den Enthusiasmus für seinen


König selbst in die Werke der Muscn einfließen laßt;
wenn der Schweizer BürgerLieder singt, denen er den
Geist der Freiheit einhaucht ; wenn der Däne über den
Gräbern der Skalden Beschwörungen murmelt, wie die
Frau von Endor, und ein Ding herausbannet, welches
aussieht wie Samuel und nicht Samuel ist : dann lesen
die Berliner, die Schweizer, die Danen, und ihre Urs
theile durchkreuzen sich. Wer hat nun recht ?

Ablöschen wollen wir also die Tinctnr/ welche der


Geschmack eines jeden durch den besondern NationalGeist
erhält ; und dann in ganz Deutschland herumwandern
und die zerstreuten Glieder des Publicum aus allen Lan
den zusammensuchen,

Ver-
'Zehnter Brief. 217

Wermuthlich werden es die Runstrichter seyn, von


den berlinischen, hallischen und leipziger» an biß auf
den jenaischen Dreyen Beurtheiler und den hamburgi
schen Nachrichter? da sey Gott für! Nie können ihre
Stimmen die Stimme des Publicum seyn, so lange
sie mehr ihrem Eigensinne, als ihrer Empfindung fol
gen , so lange sie weniger die Dollmetscher einer freyen
Nation, als die Herolde ihrer eigenen Verdienste sind.
Die Urtheile der guten Kunstrichter, zuweilen selbst der
elenden, treffen nicht selten mit den Urrheilen' des Pu
blicum zusammen ; aber das Forum ist noch immer
verschieden. Was für arme Schriftsteller wären (Ziu»
r>z»Iti Wieland, Dusch, Cramer, Löwen, Michaelis*)
und andere , wenn das Publicum nicht anders urtheil-
te, als die Kunstrichter, selbst diejenigen, die fein tro
tzig austhun, als wenn sie Sonderlinge wären und gar
nicht zu der übrigen kritischen Nation gehörten? Und
du armer Tod Adams, den ein Gleim versificirt, aus
welchem der Gallier und der Dritte es lernten,
daß auch ein Deutscher ein Original seyn könnte, der
noch im Jshr 1767 von den Französen nachgeahmt
O 5 . wird>

5) Siehe die neue Auflage der Fragmente über die


neuere deutsche Littercttur.
218 Zehnter Brief.

wird, wo ist deine Schönheit, wenn sie aus der Be-


siimmung der Kunstrichter beruhen soll ?

So sind es vielleicht die Autoren selbst , deren ge


sammelte Stimmen das Publicum ausmachen? Auch
diese nicht ; wenigstens soll keiner in demjenigen Fache
ein Votum haben , wo er selbst Autor ist. Die Ei
genliebe ist ein Dame, die uns alle andere Schönhei
ten verächtlich, oder gleichgültig macht. Wir liebe»
uns selbst, mit unserer Familie und unfern Kindern,
und sehen die Kinder unserer Nachbarn entweder ganz
kaltsinnig vor dem Fenster vorübergehen, oder wir be,
merken allerhand Unarten an ihnen, die wir an dc»
unsrigen weder sehen, noch sehen wollen. Schweigen
sollen wir also von unfern Mitgenoßen; und wenn wir
ja reden wollen, so gelten unsere Urtheile — nichts.

Noch bleiben die Leser übr,g, und diese müßen


das Publicum vorstellen, dafern wir eines haben sol
len. Aber ums HimmeH willen nicht alle! Nicht der
Gelehrte von Profession , der wegen eines gelehrten
Endzwecks ließt, der ein Buch durchgehet, um Ein
wort
Zehnter Brief/ 2,9.

wort zu finden, oder mitten unter Bänden schwitzt,


um Collectanea zu sammeln.' Nicht der Jüngling, der
zum Lesen geht, wie zum Balle, um sich zu zerstreuen,
und die lange Weile fortzuschaffen! Nicht die Dame
am Nachttisch mit ihren Vapeurs , die sie in Ermange
lung eines Cicibeo durch Gleimen will veriagen last
sen! Nicht der süße Herr, der aus sechs Büchern sechs
Brocken sammelt, die er in allen Gesellschaften hinwirft,
um gelehrt zu scheinen, und wieder aufhebt, um einen
Vorrath für die Zukunft zu haben. — Es giebt noch
in Deutschland von Wien an bis nach Hamburg eine
Menge geschmackvoller Manner und Männinnen, die
da lesen , ihren Geist zu nähren , die sich den fühlen
den Busen voll lesen und dann urtheilen , ohne urthei-
len zu wollen. Diese sind unser liebstes Publicum und
eigentlich diejenigen, auf deren Beyfall, wenn ich ein
Dichter wäre, ich am meisten stoltz seyn würde; stol
zer als aus das schülerhafte Lob der Journale und auf
die Menge der Editionen. Ein Hofmann, der sich
dem Getümmel entreißt , um zurückzukehren in die Ge
fellschaft der Wielande, der Utze, der Gleime; eine
Matrone, die ihren Kindern den Gelle« vorsagt, biß
sie ihn auswendig können; ein geschmackvoller Mann
außer
2!« Zehnter Brief.

außer dem gelehrten Stande, der es mir gesteht, daß


er bey Romeo und Julie geweint hat : — lauter bras
«e Leute, die keine Kunstrichtcr sind, auf deren Sem
timent ich aber mehr baue, als auf die Decrete der
kritischen Parlaments Herrn : „ Wir haben gelesen —
„ Wir urthcilcn — wir glauben — wir rathen dem
„ Vcrfaßer — und das von Rechtswegen ! ,,

Man spielt mit dem Worte publicum, wie mit


einem Zahlpfennige ; und fast möchte ich durch die Be
stimmung des verschiedenen Sinnes, welchen man die,
sein Ausdrucke gicbt, einen kleinen Bcutrag zu einem
deutschen Wörterbuche liefern.

„ Das publicum hat sehr günstig von mir


geurtheilt „ das ist verdollmctschet : Einige meiner
guten Freunde, die Journale schreiben, haben es der
Welt, de.- sie mein Buch anlobten, auf eine vcrblülw
te Art gesagt, daß sie meine Freunde sind.

„ Das publicum hat meine Schrift gut auf<


genommen. „ — Das Heist : mein Verleger hat sie
verkauft, für Geld, oder für Waare; und er glaubt,
auch noch die zwootc Auflage verkaufen zu können, die
ich jetzt veranstaltet habe.
„ Die
- Zehnter Brief. 221

/, Dieses Vuch ist von dem publicum langst


verlacht worden. „ ^- weil es nämlich in den Aus
gen einiger Kunstrichter ein Stein des Anstoßens war.

„ Es sind dies nicht die Urtheile einzelner


„ Personen, sondern die Urtheile des publicum
„ von ganz Deutschland „ — das ist zu übersetzen :
die Kunstrichter, welche hier urrheilen , wohnen nicht
alle in Einem Hauße, in Einer Stadt; aber ihre Geis
ster sind immer getreulich bei) einander.

,/ Ich übergebe hiermit dem Publicum die<


„ se Briefe. „ — Nämlich alle Personen, die einen
Gulden zuviel haben und ihn für dieses Buch dahin
geben wollen, sollen mein Puhlicum seun.

In diesem Tone mag ich nicht fortfahren ; man


hat es mir ohnehin vorgeworfen, daß ich zur Unzeit
lustig wäre*); was kan ich dafür, wenn ich muß?
Bey gewißen Gegenstanden kan man nicht ernsthaft seyn.

Dies weiß ich nun, daß aus den harmonischen


Stimmen geschmackvoller Leser die Stimme des Pus
blicums

*) S. die Vorrede zu der Theorie, verglichen mit

der ,D. Bibl. der sch. W.


NT Zehnter Brief.

blicums zusammentönet. Aber wer berechnet mir die


Mehrheit der Stimmen ? Kan ich mich auf diese ver-
laßen? Und wie soll ich daraus die gute oder schlechte
Beschaffenheit eines Buchs erkennen?

Glücklich waren wir, wenn wir eine Urne hak


ten, in welche nur geschmackvolle Leser ihre wen
sen dürften: zählen könnten wir dann diese, und dar
aus wenigstens mit einer moralischen Gewisheit den
Werth der Schriftsteller bestimmen. — Aber Verwirs
rung herrscht durch unser Vaterland; es giebt verschieb
dene Tribunale von zusammenlaufender Gerichtsbarkeit;
jeder schenkt seine Stimme , wohin er will — der Klus
ge votirt unterdeßen in der Stille und sein Votum
wird oft überschrieen und gilt — nichts.

Bey allgemeinen Schriftstellern, die für die gan


ze Nation schreiben, für den Greiß, den Mann und
den Jüngling, für die Matrone und die Demoiselle,
für den Gelehrten und für den Bürger, ist die Sache
leichter zu entscheiden. Leset Gellerrs Fabeln dem B«
ron vor; er wird sagen: sie sind schön. Im Winkel
steht sein Diener und denkt: mein Herr hat Recht; ein
Urtheil , welches er oft sagt und selten denkt ! Gebt
sie der gnädigen Frau und dem Cammermädgen , dem
Capitain und seinem Fourier , dem Prediger und dem
Bauer: sie sind für alle gemacht, und alle werben sie
schön
<

Zehnter Brief. 22z

schön finden, wenn sie nicht ganz von der ungütigen


Natur verwahrloßt sind. — Hier habe ich meine Ge
währleister, wenn ich sage: dieses Buch ist von dem
Publicum gekostet, geschmeckt und gelobt worden; es
ist also gut und, wenigstens für unsere Zeiten, Rus
sisch.

Aber schwerer ist es, das Urtheil deS Publicum


über eine solche Schrift zu erfahren, die nur für einis
ge Leser gemacht ist; über Sympathien, Meßiaden,
Lehrgedichte von der Natur der Dinge , allegorische
Oden , theoretische Schriften und Rhapsodien über die
Empfindung. Die Stimmen müßen allemahl nothwen«
big getheilt seyn , wenn der Autor nicht allen allerlei) ist.
Und wer soll da entscheiden?

Nicht die Mehrheit der Stimmen : denn man kan


immer voraussetzen , daß die klügere Partey die kleinste
ist. — Nicht derjenige Thcil, welcher am meisten schreyt,
man ist auch schon bey den Zänkereyen des Pöbels ge
neigt, derjenigen Partey günstig zu seyn, die die gelas
senste ist. — Nicht endlich allemahl der gelehrteste
Haufen: denn selten ist eine sehr weitläufige Gelehn
samkeit mit dem guten Geschmacks vergesellschaftet.

Ein solcher Autor, der nicht für alle schreibt, hat


«lsa sein eigen Publicum für sich, zusammen gesetzt aus
V «»pars
^4 Zehnter Brief. '

unparteyischcn Richtern , die ihn vernünftig beurrheilen


können und wollen. Ein empfindungsvoller Buseu, der
aufschwillt bey den Sympathien; eine klopsende Brust
bey der Episode, der Cidli; ein feuriges Auge, aus wel
chem die Phantasie blitzt bey der Natur der .Dinge :
sehet da beßere Richter ohne Kunst, als alle Kunstrich
ter. Eine Menge wackerer Leute vom Berge Jura
an biß an das baltische Meer sind ein Publicum, wel
ches einen Autor schon für seine' Mühe belohnen kan,
wenn es will: und Ein Journalist, welcher dagegen
schreyt, kann .'ivr aus den Ohren solcher, die alles glam
ben, was er ihnen versagt, die Stimme dieses Publi
cum hinwegschreyen.

„ Aber das Publicum urtheilt oft heute so, mor-


„ gen Knders; wie soll man sich nun aus sein Urtheil
„verlaßcn?,/

Das wird die Zeit lehren! So wie wir immer


die neueste Mode für die schönste halten; wie die Demoi-
sclle bey dem Bilde der Grvsmama lacht, die noch die
Fontange trug : so blendet uns oft in Werken der Kunst
das Email, welches zu unsern Zeiten gewöhnlich ist,
und da jedermann es schön findet, so fallt es uns nicht
einmahl ein , das Gegentheil zu meinen. Da steht nun
der arme Alte> wie einer der seiner Schönheit beraubt
ist; wir aber gaffen einander an und rufen uns wech
selsweise, das Li'Le ! belle ! zu. — Die Nachwelt sieht
uns
Zehnter Brief. uz

uns von fern ; sie ist unbestechbar und entscheidet UN.'


fern Werth, bestimmt das Korn und das Schrot um
sers Jahrhunderts beßer und aufrichtiger, als die Wa«
radeinö unserer Zeiten. Vor ihrem Tribunal also sol«
len sich dereinst noch unsere Schriftsteller versammeln
und ihr Urtheil zum Leben , oder zum Tode erwarten.
Ganz elende Schriften können schon wir hinwegsich
ten; aber von solchen, über deren Vortreflichkeit^, oder
Mittelmäßigkeit die Vorwelt sich zankt, muß die
Nachwelt das Recht sprechen.

Ich weiß es, daß Leßing , Klopstok, Wieland,


Gleim, Rabener gute Scribentcn sind ; aber wie soll ich
es einem andern beweisen, de» nicht in meine Brust
schauen und in der seinigen nicht fühlen kan ? Hier
verläßt mich meine Logik und Aesthetik : gehe hin , sage
ich, und koste und wenn du nichts schmeckest, was kan
ich dafür!

Nicht die Menge der Auflagen und der Käufer,


nicht das Lob der Journale, nicht die Größe des Soll
des, welchen der Autor empfängt, nicht die Anzahl der
Zuhörer, die seine Schrift verlangt haben, nicht sein
Titel , selbst nicht sein Ruhm können den Werth seine,
Schrift bestimmen.
P „ Un-
2i6 . Zehnter Brief.

„ Unsere Schriften ( sagt ein seyntvollender elem


der Scribent im Namen seiner lieben Brüder) „mk
„ gen beschaffen feyn, wie sie wollen, so finden sie doch
„allemahl einen Verleger, Käufer und Leser:

ils trouvent pourtsnti qiioiczu'on en puille clire ,


vi, KKrcKsnck pour les vendre et des tot!, pour le; lire.

„ Man frage nur die Buchhändler , ob nicht die


„ Postillen, Romane, Briefsteller, poetische Handbii-
„ cher und Trichter, Reimregister, Notariatkünste, Com/
„ plimentierBüchlein, der Eulenspiegel und dergleichen
„ schöne und nützliche Werke den besten Abgang haben?
,/ Wie begierig sind nicht Happels und Menantes Schrift
„ ten gekauft worden? «Und Uhsens wohl informn'tcr
„ Redner ist wenigstens neunmahl Aufgelegt. „

Wie viele Leser finden sich nicht noch zu unsern


Zeiten für gewiße pragmatische Geschichtsschreiber in
Qvarto , für die Statistiken der vereinigten Niedersank
de und selbst für die Gedichte des seeligen Herrn Ar'
chidiaconus Zimmermanns .' RlStz hat seine meisten
Schriften an die Buchhändler verschenkt; aber Dona?
tius in Lübeck ist so grosmüthig, mehrere Thaler für die
Bogen des Antikritikus zu bezahlen. Wer ist mehr in
Journalen getadelt worden, als Wieland, und wer
ist
Zehnter Brief. 227

ist ein beßerer Scribent , als er ? Wer hat mehr auf


Verlangen seiner Zuhörer geschrieben , als** und wer
schreibt schlechter, wZßerichter /weitschweifiger, und auf
eine so unerträgliche Art deutlich, als eben er?

Wer also nicht selbst empfinden kan , dem soll man


es auch nicht beweisen, daß ein Autor gut, oder elend
ist; man kan es nicht. Wer die musicalische Poesie
in Rammlers Jno nicht hört, dem sage ich, mit Liscow,
daß seine Ohren nicht Werth sind, an einem Menschen
Kopfe zu stehen.

Für die Anmerkungen , die ich noch über unser


deutsches Publicum insbesondere gemacht hatte, ist eine
andere Stelle bestimmt. Denn ich vermuthe , daß Sie
kein Freund von langen und von hypochondrischen Brie
fen sind. Ich bin u. s. w.

gedruckt mit Hellers Schriften.


Folgende 'Druckfehler beliebe der geneigte Leser zu ver-
- beßern^ oder nicht zu verbeßern, nachdem er es für
gut befindet.

S. z. — politische — lies — politischen. S. 4. —


kritisch — lies — kritisches. I" der Note — dies
ftn — lies — diesem. S. ?. — lacherlichen —
lies — lächerlichstem. S. 7- scoptisch — lies —
sccptisch — wird ihm eine Regel — lies — ward
u. s. w. S. 9. — in welcher — lies — in well
chen. S. 11. der nur ein Trauerspiel — lies —
, Her mir u. s. w. S. iz. Hervistische — lies — he-
vristische. S. 16. Vorurtheile — lies — Vorcheile
— schlißt — lies — schließt. — müßen alle Mens
schen — lies — müßten. S. 17. Skeptiker —
lies — Skeptiker. S. 18. System hier — lies
— Systemlein. S. 25. KezcliiiZ g««c! — lies —
riding co»t. S. zo. York — lies — Yorik. S. 4).
die Schönheit — lies — da u. s. w. — daß
ihm — lies — weil ihm. S. zz. zu begehen —
lies — zu begehren. S. 78. wir alle — lies
wie alle. S. 8«. gelesen werden — lies — gelesen
zu werden. S. 85. Corbillon — lies — Crebillon.
S. 106. die uns ohngefthr — lies ,— die nun u. s.
w. S. Ii«. Tasso — lies — Tassoni. S. m.
gewöhnt werden — licö — gewöhnt worden. S. uz.
Fifchorts — lies — Fischans. S. 12,1 berühmte
Lehrer — lies — Lehren. S. 122. erhalten
lies — erhalte. S. 12z. Lsse — lies — Lnle. S.
l28. Smollet — lies — Großlen. S. 154. nach
Stelpo ein Punctum. S. 156. lies :
Acutum
Ke^äere ^usie sernim v»Iet ex5«r« i^5» tccancii.

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