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ORTHODOXES FORUM

Zeitschrift des Instituts für Orthodoxe Theologie


der Universität München

Das Heilige und Große Konzil der Orthodoxen Kirche


(Kreta 2016)

31. Jahrgang – 2017 – Hefte 1+2


Orthodoxes Forum

Zeitschrift des Instituts
für Orthodoxe Theologie der Universität München
Gegründet von Prof. em. Dr. phil., Dr. theol., Dr. h.c., Dr. h.c. Theodor Nikolaou

Herausgegeben von Prof. Dr. Konstantin Nikolakopoulos


und Prof. Dr. Athanasios Vletsis

Schriftleitung: Prof. Dr. Konstantin Nikolakopoulos (Redaktion)


Dr. Dr. Anargyros Anapliotis

Manuskripte, redaktionelle Zuschriften und Besprechungsexemplare sind zu richten an:


„Orthodoxes Forum“
Institut für Orthodoxe Theologie der Universität München
Ludwigstr. 29
D – 80539 München
Tel.: (089) 2180-5778
Fax: (089) 2180-2402
E-Mail: Orthodoxe.Theologie@orththeol.uni-muenchen.de
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Layout, Typographie und Nachbearbeitung: Mönchs-Diakon Hiob (Dipl. theol. John Bandmann)

Nachdruck nur mit Genehmigung der Schriftleitung.


Bücher für Besprechungen werden direkt angefordert. Unverlangte Rezensionsexemplare können nicht
zurückgesandt werden; sie werden, falls sich kein Rezensent findet, der Institutsbibliothek zugeführt.
Bezugsbedingungen: Das  „Orthodoxe Forum“ erscheint zweimal im Jahr und kann beim Verlag
oder  bei allen Buchhandlungen bestellt werden. Jahresabonnement 42,–  € zuzüglich Versandkosten.
Einzelheft 24,–  €. Abbestellungen können mit  dreimonatiger Kündigungsfrist nur zum  Jahresende
angenommen werden.
Gesamtherstellung: EOS Druckerei, D – 86941 St. Ottilien
ISSN 0933-8586
3

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S
Geleitwort 5
Athanasios Vletsis, Ansprache - Begrüßung bei der Eröffnung der Tagung
der Ausbildungseinrichtung zum Panorthodoxen Konzil (24. Nov. 2016) 7
Viorel Ioniţă, Der Weg zur Einberufung der (Panorthodoxen)
Heiligen und Großen Synode der Orthodoxen Kirche 15
Kyrillos (Katerelos), Bischof von Abydos, Der Dienst der Einheit in
der Orthodoxie: Die autokephalen Kirchen als Stolperstein unterwegs zur
Panorthodoxen Synode 29
Assaad Elias Kattan, Das Patriarchat von Antiochien und das Konzil von Kreta.
Ein Kommentar 43
Bojidar Andonov, Das Panorthodoxe Konzil von 2016: Die Entscheidungen der
bulgarischen orthodoxen Kirche – mit politischem Beigeschmack 47
Sergii Bortnyk, Die Absage der russischen orthodoxen Kirche:
Ein Bruch in der Orthodoxie? 55
Nino Sakvarelidze, Die Stellungnahme der orthodoxen Kirche Georgiens
zur Panorthodoxen Synode auf Kreta 2016 63
Bischof Andrej (Ćilerdzić), Die Panorthodoxe Synode von Kreta 71
Konstantinos Delikostantis, Die Enzyklika der Heiligen und Großen Synode
der Orthodoxen Kirche 75
Stylianos Ch. Tsompanidis, Orthodoxe Kirche und Ökumenische Bewegung
nach der Heiligen und Großen Synode 81
Rade Kisić, Die Sendung der Kirche in der Welt von heute 89
Anargyros Anapliotis, Autonomie und die Weise ihrer Erklärung 95
Anastasios Kallis, Die orthodoxe Kirche im Spannungsfeld ihres Heiligen
und Großen Konzils 103
Ioan Moga, Rezeption als Chance zum Aufbruch.
Perspektiven der Orthodoxen Kirche nach der Synode auf Kreta 119
Barbara Hallensleben, Die Panorthodoxe Synode auf Kreta 2016
aus katholischer Perspektive 127
Andreas Müller, Die Heilige und Große Synode aus Evangelischer Sicht 141
Athanasios Vletsis, Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens
in der Orthodoxie? 153

DOKUMENTE
1. Botschaft des Heiligen und Großen Konzils der Orthodoxen Kirche 179
2. Enzyklika des Heiligen und Großen Konzils 180
3. Der Auftrag der Orthodoxen Kirche in der heutigen Welt 193
4. Die Bedeutung des Fastens und seine Einhaltung heute 201
5. Die orthodoxe Diaspora und die Geschäftsordnung der Bischofsversammlungen 205
6. Autonomie und die Methoden ihrer Erklärung 210
7. Das Sakrament der Ehe und seine Hindernisse 211
8. Beziehung der Orthodoxen Kirche zu der übrigen christlichen Welt 214

REZENSIONEN
Jan G. van der Watt / R. Alan Culpepper / Udo Schnelle (Edd.), The Prologue of
the Gospel of John. Its Literary, Theological, and Philosophical Contexts
(Sotirios Despotis und Panagiotis Stamatopoulos) 219
Thomas Bremer / Assaad Elias Kattan / Reinhard Thöle (Hgg.), Orthodoxie
in Deutschland (Athanasios Basdekis) 223
Hildegard Schaeder, Impulse für die evangelisch-orthodoxe Begegnung.
Ausgewählte Schriften von 1949 bis 1972 (Peter Schüz) 227
Peter Schüz, Mysterium tremendum. Zum Verhältnis von Angst und Religion
nach Rudolf Otto (Konstantin Mallat) 229

C H RO N I K 235

EINGESANDTE SCHRIFTEN 263

AU TO R E N 265

ABKÜRZUNGEN 267
153

Das Ende oder der Beginn des synodalen


Lebens in der Orthodoxie?

Hoffnungen und Sorgen eines orthodoxen Theologen


nach dem Panorthodoxen Konzil (Kreta: 19.-26.06.2016)

von Athanasios Vletsis, München

Auf der Insel Kreta in Griechenland (in den Räumen der Orthodoxen Akademie von Kreta)
wurde im Juni 2016 (19.-26.06.2016) die seit vielen Jahrzehnten vorbereitete „Heilige und Große
Synode der Orthodoxen Kirche“ – so die offizielle Benennung – abgehalten.1 Das große und längst
ersehnte Ereignis im Leben der Orthodoxen Kirche wurde leider von der Weigerung von vier ortho-
doxen autokephalen Kirchen (der Kirchen von Bulgarien, Georgien, Antiochien und Russland)
überschattet, am Konzil teilzunehmen. Nichtsdestotrotz konnten die versammelten Bischöfe aus
den anderen 10 autokephalen Kirchen eine Reihe von wichtigen Dokumenten verabschieden, die
u.a. den Weg der Orthodoxen Kirche in ihrer Beziehung zu den anderen christlichen Kirchen,
zu anderen Religionen und zur Welt von heute z.T. neu bestimmen soll. Der folgende Beitrag ist
eine Zusammenfassung von Thesen des Autors, die in verschiedenen Tagungen/Veranstaltungen
in München kurz vor und v.a. nach dem Panorthodoxen Konzil vorgetragen worden sind, und
versteht sich zugleich nicht nur als eine kommentierende Präsentation der einzelnen Dokumente
des Konzils, sondern auch als eine Einführung zu den einzelnen in diesem Heft publizierten
Beiträgen der zwei Tagungen (siehe das Vorwort von Herrn Konstantin Nikolakopoulos), zumal
aus verschiedenen, v.a. organisatorischen Gründen nicht alle Konzilsdokumente in den zwei
Tagungen durch besondere Referate präsentiert und damit abgedeckt werden konnten. Dies soll
andererseits nicht die Mühe ersparen, auch einen selbstkritischen Blick sowohl auf die Dokumente
als auch auf das Prozedere des Konzils zu werfen. Vor allem will aber unser Beitrag die Fragen
gestellt haben, mit denen sich die Orthodoxen in der nächsten Zeit nun intensiver zu befassen
haben, wollen sie denn, dass dieses Konzil nicht in Vergessenheit gerät und dass es durch einen,
wenn auch langjährigen Rezeptionsprozess Teil der eigenen Kirchengeschichte und Theologie wird.

I. Was ist eine Synode? Hat die Orthodoxie das synodale Leben verlernt?
Der lange Weg zur Einberufung der Panorthodoxen Synode2
„Die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge, Orthodoxie und Häresie ist nicht
immer einfach. Selbst die Häretiker glaubten und glauben immer noch, dass sie die Wahrheit

1 Die Benennung „Synode“ oder „Konzil“ bereitet einigen, konkret im deutschsprachigen Raum,
Kopfzerbrechen. S. dazu die Ausführungen im Beitrag von A. Kallis in diesem Heft. Barbara
Hallensleben hat in ihrer Ausgabe der Dokumente des Konzils in deutscher Sprache den griechischen
Titel „Synode“ bevorzugt; s. B. Hallensleben, Einheit in Synodalität. Die offiziellen Dokumente der
Orthodoxen Synode auf Kreta 18. bis 26. Juni 2016, Münster 2016. Ich neige dazu, den Begriff
Konzil bevorzugt vor jenem der Synode in diesem Beitrag zu verwenden, obschon ich meine, dass
der Unterschied nicht theologischer oder ekklesiologischer, sondern rein kontextueller Natur ist.
2 Teile dieses Beitrages wurden während der ersten Tagung der Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe
Theologie zur Panorthodoxen Synode (am 3./4. Juni 2016, mitveranstaltet von der GSCO)

Orthodoxes Forum 31 (2017) Hefte 1+2


154 Athanasios Vletsis

besitzen, und es wird immer Leute geben, die diejenigen als Häretiker bezeichnen werden,
die nicht ihre Ansichten teilen. Die Orthodoxe Kirche anerkennt in diesem Fall eine einzige
Autorität3: Die Synode ihrer kanonischen Bischöfe. Ohne einen synodalen Beschluss ist die
Unterscheidung zwischen Orthodoxie und Häresie nicht möglich. Alle Dogmen und die
Hl. Kanones der Kirche tragen das Siegel der Synodalität. Die Orthodoxie ist die Kirche der
Synodalität.“
U.a. mit diesen Worten wollte der ökumenische Patriarch Bartholomaios die Mitglieder
seiner Kirche, und darüber hinaus alle Orthodoxen, im März 2016 (20.03.2016) über
die Einberufung des Panorthodoxen Konzils informieren.4 Damit wollte er offensichtlich
diejenigen Stimmen zwischen den Orthodoxen zur Besinnung auf das synodale Leben der
Kirche aufrufen, die seit geraumer Zeit und noch intensiver seit der Bekanntmachung der
Einberufung des Konzils und eigentlich bis heute nicht aufhören, das Konzil aus verschie-
denen Gründen abzulehnen oder gar als Verrat am orthodoxen Glauben und als Häresie zu
attackieren.5
Andererseits, wenn wir nun die Seite wechseln wollten, würde das Axiom der
Wahrheitsfindung folgendermaßen lauten: „Bei uns konnten weder Patriarchen, noch
Synoden jemals etwas Neues einführen, denn der Wächter der Religion (des Glaubens) ist der
Leib der Kirche selbst, d.h. das Volk, und das Volk will, dass sein Glaube ewig unverändert
bleibt und dem Glauben seiner Väter stets gleich“. Dieses Zitat aus einer Enzyklika von vier
Orthodoxen Patriarchen von 1848 wurde im Vor- und im Nachfeld des Konzils von denje-
nigen Kreisen gern und wiederholt zitiert, die das Panorthodoxe Konzil polemisieren:6 Sie,
nämlich, beanspruchen das Volk Gottes zu vertreten, das seinen Glauben in jener Echtheit

präsentiert. Der hier publizierte Text wurde noch mit der Kommentierung der Konzilsdokumente
ergänzt.
3 Im Originaltext ist die Rede von „authentian“, was in der ekklesialen Wahrnehmung der Orthodoxie
auf die Echtheit und die Authentizität des Zeugnisses verweist und weniger auf seine juridische
Sicherung (Autorität).
4 Die Enzyklika des Ökum. Patriarchats s. in: http://www.ec-patr.org/docdisplay.
php?lang=gr&id=2140&tla=gr (dieser und alle weiteren Verweise auf Internetseiten wurden
aufgerufen am 30.08.2017).
5 Kritische bzw. total ablehnende Stimmen zum Panorthodoxen Konzil wurden in den folgenden, für
die orthodoxe Welt bekannten Portalen verbreitet, die auch oft Bücher und andere Publikationen
gratis online stellen; für die griechischsprachige Orthodoxie, die auch weiterhin eine Hochburg
der Proteste gegen das Konzil bleibt: www.romfea.gr (für allgemeine kirchliche Nachrichten
und viele vollständige Texte von bekannten Theologen) und die Zeitungen/Zeitschriften: www.
orthodoxostypos.gr, www.theodromia.gr (u.a.) für die sehr kritische-ablehnende Haltung zum
Konzil; für die russischsprachige Orthodoxie: www.pravoslavie.ru; in englischer Sprache kritische
Beiträge in: http://orthochristian.com/, oft mit Übersetzungen von bekannten Gegnern des Konzils
aus der ganzen orthodoxen Welt (u.a. des Metropoliten Hierotheos Vlachos: http://orthochristian.
com/94354.html), und https://orthodoxethos.com. Für eine akademisch-nüchterne Analyse in
englischer Sprache s. die Beiträge in: https://www.firstthings.com/tag/pan-orthodox-council. Positiv
zum Konzil haben orthodoxe Theologen im Auftrag von „The Orthodox Theological Society in
America“ (OTSA) bereits die Vorlagetexte kommentiert: https://publicorthodoxy.org/category/
otsa-special-project-on-the-holy-and-great-council/.
6 Mit dem Verweis auf diese Äußerung des Dokuments von 1848 beginnt z.B. ihre zum Konzil
ablehnende Lektüre die folgende mehrseitige Publikation mit Beiträgen von bekannten Kritikern
des Konzils (u.a. der Proff. (em.) T. Zisis und D. Tselengides): https://synaxiromion.files.wordpress.
com/2016/09/cebcceb5ceb3ceaccebbceb7-cf83cf8dcebdcebfceb4cebfcf82_periodikocover.pdf.
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 155

und Form weiter tradieren will, die auch von seinen Kirchenvätern überliefert worden sind.
Es geht bei diesem Anspruch nicht einfach um die Bildung von Mehrheiten, denn gerade
nach der Ansicht von diesen („zelotischen“) Kreisen kann eigentlich die Wahrheit nicht
durch eine synodale Abstimmung erfasst werden; verbindlich kann das letzte Urteil nur das
Gewissen (fronema) der Gläubigen treffen, die „den Kirchenvätern treu bleiben“.7 Wie und
wann, nach welcher Prozedur dieses Urteil getroffen werden kann, wird nicht weiter erläutert.
Hat die Orthodoxe Kirche etwa das synodale Leben verlernt oder braucht sie gar so etwas wie
ein Panorthodoxes Konzil nicht, wenn die Wahrheit sowieso nicht von synodalen Organen
definitiv und verbindlich zum Ausdruck gebracht werden kann, sondern eher von charisma-
tischen Trägern der Kirche erlebt wird, wie v.a. von den erwähnten Kreisen behauptet wird?
In früheren Jahren wurde dieser Satz von 1848 immer wieder gern von vielen Theologen
und Hierarchen zitiert, die auch die sog. „Amtskirche“ vertreten. In der letzten Zeit ist diese
Tendenz in diesen Kreisen eher rückläufig geworden. Ist also das Problem der Orthodoxen
Kirche ein Problem der Entscheidungsfindung?8
„… Dennoch ist die gegenwärtige Stimmung in Kreta friedlich und konzentriert. Die
Kirchen, die bereits angekommen sind und für den offiziellen Beginn am Sonntag noch anrei-
sen, arbeiten schon am Entwurf der Botschaft des Konzils (message) zur Veröffentlichung am
Ende des Konzils. Diese sind natürlich zutiefst und aufrichtig betrübt darüber, dass einzelne
Kirchen durch ihre grundlose oder zumindest nicht vertretbare Kursänderung Turbulenzen
ausgelöst haben. Das Konzil wird fortfahren und tagen und seine Beschlüsse werden autori-
tativ und bindend sein, wie es mit den Entscheidungen eines jeden Konzils in der Reihe der
authentischen Konzile im Laufe der Geschichte der Fall war, wenngleich es dem traditionel-

7 Vgl. den Beitrag von D. Tselengides (s. Anm. 6), S. 65: „Kriterium für die Orthodoxe Kirche ist demnach
nicht, dass die gesamte Orthodoxe Kirche zusammenkam und etwas mehrheitlich beschlossen
hat. Es könnten theoretisch alle Bischöfe sein und einer, zwei, drei oder ganz wenige würden eine
gegenteilige Meinung vertreten. Nicht das, was die große Mehrheit der Bischöfe sagt, kann eine
Garantie für die Wahrheit werden, was dann vom gesamten Kirchenvolk obligatorisch akzeptiert
werden sollte; nein, es werden die Dinge in der Kirche nicht so aufgestellt. Kriterium der Wahrheit
ist es, wenn das, was in den kirchlichen Synoden gesagt wird, dem Prinzip „den Kirchenvätern
folgend“ treu bleibt. Es ist eine Sache der ganzen Kirche in der Zukunft, synodal, theologisch und
verbindlich, über die Entscheidungen dieses Hierarchen-„Kongresses“ ein Urteil zu treffen“ (gemeint
ist hier das Panorthodoxe Konzil). Bezüglich des Prinzips der Treue zu den Kirchenvätern s. die sehr
ausführliche und exzellent begründete Stellungnahme von Gregorios Larentzakis (in zwei Teilen):
http://www.amen.gr/article/h-methodos-ton-ieron-pateron-tis-ekklisias-kai-ton-oikoumenikon-
synodon-se-adidiastoli-pros-tous-arnites-tis-agias-kai-megalis-synodou-a-meros und http://www.
amen.gr/article/h-methodos-ton-ieron-pateron-tis-ekklisias-kai-ton-oikoumenikon-synodon-se-
adidiastoli-pros-tous-arnites-tis-agias-kai-megalis-synodou-v-meros (griech.). Eine gründliche und
ausführliche (auf 105 Seiten) dogmengeschichtliche Untersuchung als Antwort auf die Ablehnung des
Konzils hat der Bischof von Abydos und Prof. an der Universität Athen Kyrillos Katerelos unter dem
Titel „Die Heilige und Große Synode auf Kreta: eine neue Ekklesiologie oder Treue zur Tradition?“
publiziert (griech.), in: http://www.ec-patr.org/docdisplay.php?lang=gr&id=2316&tla=gr (Webseite
des ökum. Patriarchats von Konstantinopel).
8 A. Kallis sieht in seinem Beitrag ein Grundproblem, das auf seine Lösung durch das Panorthodoxe
Konzil harrt, darin, die richtige Mitte zwischen Freiheit und Ordnung zu definieren. Grundsätzlich
würde ich dem zustimmen, wenn unter dem Begriff Freiheit die Öffnung von progressiven Kräften
auf den vielfältigen Dialog hin gemeint werden sollte, und unter dem Begriff Ordnung: die Treue zur
Tradition und die Neudefinierung einer verbindlichen Methodologie für die Entscheidungsfindung
in der Orthodoxie.
156 Athanasios Vletsis

len Prozess der Rezeption durch das Volk Gottes, den frommen Gläubigen der Orthodoxen
Kirche, unterzogen wird. Die Orthodoxe Kirche ist und beansprucht die Kirche der Konzile
zu sein, indem sie die Authentizität ihres Glaubens und die Autorität ihrer Lehre auf die
frühkirchlichen Konzile des ersten Jahrtausends bis hin zum Apostelkonzil in Jerusalem
zurückführt.“9 Mit diesen Worten hat dann am 18. Juni u.a. der Erzdiakon John Cryssavgis,
als Pressesprecher des Konzils und des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, über
den Beginn des Panorthodoxen Konzils die Presse informiert. Die Absage der beachtlichen
Anzahl von vier autokephalen orthodoxen Kirchen, kurzfristig vor dem Beginn des Konzils
(in der Reihenfolge ihrer Absage: Bulgarien am 01.06.; Antiochien am 06.06.; Georgien
am 10.06. und Russland am 13.06.2016), hat den Pressesprecher nicht irritiert, sondern er
sagte, dass dies doch ein PanOrthodoxes Konzil sein wird, das die Fortsetzung des konziliaren
Lebens der Orthodoxen Kirche garantieren und unter Beweis stellen kann. Die Abwesenheit
der vier genannten Kirchen, die noch dazu, rein zahlenmäßig, die Hälfte und vielleicht sogar
mehr der orthodoxen Gläubigen vertreten, über die der ökumenische Patriarch Bartholomaios
bei seiner Eröffnungsansprache am 20. Juni seine Enttäuschung zum Ausdruck brachte10,

9 Aus: Rev. John Chryssavgis, Director of the Press Office for the Holy and Great Council of the
Orthodox Church, interviewed by „Il Sismografo“: „The current mood in Crete is peaceful and
focused“: http://ilsismografo.blogspot.com/2016/06/grecia-rev.html.
10 Der Ökumenische Patriarch hat bei seiner Eröffnungsansprache zum Konzil sein Bedauern über
die Abwesenheit von der Synode zur Sprache gebracht: „… nachdem deren Einberufung bereits
von uns allen bejaht und unterzeichnet worden ist, ist unsere Integrität und Ernsthaftigkeit infrage
gestellt zum Schaden des ganzen Bildes unserer heiligen Kirche, nach innen wie nach außen“. Den
ganzen Text s. B. Hallensleben, S. 29. Dieser Ansicht scheint die Stellungnahme des Patriarchats von
Antiochien zu widersprechen, wenn in seiner Stellungnahme vom 27.06.2016 behauptet wird: „The
fathers ask how can this consensus be achieved with the refusal of the Antiochian Church to the
decisions of the aforementioned synaxis (2014) and the Chambésy Synaxis (2016)? How could this
consensus be achieved in Crete in the absence of four Orthodox Churches? … The acceptance of
Antioch by economia to participate in the preparatory works does not mean concession on Her part
about the aforementioned positions. Rather, Her participation was an effort to remove all obstacles
which was, and still is, preventing the convocation of the Council.“ S. den Text des Patriarchats
von Antiochien in: http://antiochpatriarchate.org/en/page/statement-of-the-secretariat-of-the-holy-
synod-of-antioch-balamand-27-june-2016/1448/. Der Ökum. Patriarch Bartholomaios steht jedoch
mit seiner Aporie nicht im Unrecht, denn mit der Bekanntmachung der Entscheidungen der Synaxis
von Chambésy (vom 27.01.2016), durch die die Einberufung des Konzils bekannt wurde, wurden
keine Auflagen oder sonstigen Vorbedingungen verknüpft. Und wenn der Vertreter des Patriarchats
von Antiochien bei dieser Synaxis, Ende Januar 2016, seine Unterschrift zum Communiqué der
Entscheidungen der Synaxis für die Einberufung des Konzils verweigert hat (u.a. war die Kirche
Antiochiens sowohl mit der Textvorlage des Ehe-Dokuments als auch mit der Satzung des Konzils
nicht einverstanden), wie als Beweis für die fehlende panorthodoxe Einstimmigkeit zur Einberufung
des Konzils immer wieder von Gegnern des Konzils vorgeführt wird (s. http://www.romfea.gr/
patriarxeia-ts/patriarxeio-antioxeias/8929-ntokoumento-i-antioxeia-pote-de-sumfonise-na-ginei-i-
agia-sunodos), warum haben dann die anderen Kirchen aus Solidarität nicht entsprechend sofort
reagiert, wie im Monat Juni 2016, und warum wurden doch zur nächsten Sitzung des Panorthodoxen
Sekretariats für die Vorbereitung der Synode in Chambésy (am 29./30. März 2016) wiederum
Vertreter des Patriarchats von Antiochien geschickt und im Communiqué (s. http://www.romfea.gr/
diafora/7316-anakoinothen-tis-panorthodojou-grammateias-gia-tin-megali-sunodo) dieser Sitzung
(wie auch von folgenden) kein Vermerk über evtl. Voraussetzungen für den weiteren Weg bis zum
Beginn des Konzils notiert? Aber weder eine detaillierte Auflistung der Ereignisse bis zum Beginn
des Konzils, noch die Gründe der Absage von den vier Kirchen können in diesem Beitrag weiter
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 157

hat die anderen orthodoxen Kirchen nicht daran gehindert, das Konzil abzuhalten. Und
selbstverständlich entspricht dem Selbstbewusstsein eines derartigen Konzils, dass seine
Entscheidungen Verbindlichkeit von allen orthodoxen Kirchen beanspruchen, auch von
abwesenden.
Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios hat die Einheit der Orthodoxen Kirche
in seiner Predigt, während der Eröffnungsliturgie am 19. Juni in Heraklion, u.a. mit den
Worten beschworen, dass diese (Einheit) weder der Einheit eines Bündnisses von Kirchen
entspricht, noch wird sie begründet durch die Ansammlung rund um eine einzige Person:
sie hat ihre Quelle im gemeinsamen Glauben an den „König der Könige“.11 Was aber wenn
dieser Glaube nicht von allen Kirchen verbindlich zum Ausdruck gebracht werden kann?
Denn inzwischen haben sich zwei von den vier abwesenden Kirchen zu Wort gemeldet (die
orthodoxe Kirche von Bulgarien und Antiochien), in ihren Stellungnahmen die verabschie-
deten Dokumente abgelehnt und die Synode bloß zu einer „Zusammenkunft/Konferenz auf
Kreta“ oder höchstens zu einer „Präliminaren Konferenz der Heiligen und Großen Synode
der Orthodoxen Kirche“ (so Antiochien) degradiert.12 Eine offizielle und ausführliche
Stellungnahme von den anderen zwei auf Kreta nicht anwesenden orthodoxen Kirchen steht
noch bevor.13 Und hier will ich gar nicht alle jene zelotischen oder rigoristischen Kreise

verfolgt werden. Man kann sicherlich davon ausgehen, dass es mit der Einstimmigkeit spätestens
bei der, wenn auch so kurzfristig bekannt gewordenen, Ablehnung der Teilnahme am Konzil vorbei
war. Und dieser Bruch einer scheinbaren Einstimmigkeit hat doch auch etwas Befreiendes, wie ich
noch zeigen will.
11 Die Predigt des Patriarchen (engl.) siehe in: https://www.orthodoxcouncil.org/web/
ecumenical-patriarchate/-/2016-06-19-homily-pentecost?_101_INSTANCE_NrbYUGIG0n1r_
languageId=en_US.
12 Die Entscheidung des Patriarchats von Antiochien vom 27.06.2016 s. in: http://antiochpatriarchate.
org/en/page/statement-of-the-secretariat-of-the-holy-synod-of-antioch-balamand-27-
june-2016/1448/. Die Entscheidung der Bulgarischen Orthodoxen Kirche vom 29.11.2016 s. in:
http://www.pravoslavie.ru/english/99098.htm. Die Russische Orthodoxe Kirche hat, nach einer
ersten vorsichtigen allgemeinen Stellungnahme zum Konzil, für die Prüfung der Dokumente des
Konzils eine Kommission beauftragt: https://mospat.ru/en/2016/07/16/news133743/.
13 Eine Reihe von am Konzil beteiligten Kirchen versucht nun ihr Kirchenvolk über die Ergebnisse zu
informieren. Die Kirche Griechenlands hat sich inzwischen mit einem Rundschreiben an das Volk
gewandt, um die Entscheidungen des Konzils kurz zu kommunizieren (s.: http://www.ecclesia.gr/
greek/holysynod/prostolao/47.pdf ). Leider ist aber die Informationspolitik der Kirche Griechenlands
fehlerhaft und sicherlich lückenhaft, wie G. Larentzakis zurecht attestiert hat: http://www.amen.
gr/article/gia-poia-agia-kai-megali-synodo-pliroforei-to-anakoinothen-tis-isynodou-tis-ekklisias-
tis-ellados. Nicht nur Kirchen versuchen nun ihr Kirchenvolk zu informieren bzw. zu beruhigen,
dass sie den Orthodoxen Glauben beim Konzil nicht verraten haben (vgl. dazu die Stellungnahme
des Rumänischen Patriarchats: http://patriarhia.ro/let-us-keep-the-peace-and-unity-of-the-church--
9128-en.html), auch einzelne Bischöfe melden sich zu Wort und versuchen ihre Haltung und v.a. ihre
Stimme am Konzil zu erläutern: Von denjenigen Bischöfen, die ihre Unterschrift zum „Ökumene-
Dokument“ des Konzils verweigert haben, verdient besondere Beachtung die Stellungnahme
des renommierten Bischofs von Novi-Sad (Serbien) Irinej Bulović, der sicherlich eine Reihe von
ernsthaften Fragen stellt, wie z.B. bzgl. des Modus der Abstimmung in Blöcken, als autokephale
Kirchen und nicht als einzelne Personen; er versucht aber seine Weigerung zu unterschreiben v.a.
mit dem Verweis zu begründen, dass im Dokument eine Differenzierung zwischen den anderen
nicht-orthodoxen Kirchen (der Katholischen und den „Kirchlichen Gemeinschaften“, wie er die
Kirchen aus der Reformation nennt) fehlte: infolge dieser Differenzierung hätte die Orthodoxe
158 Athanasios Vletsis

in der orthodoxen Welt in Erwägung ziehen, die dieses Konzils als eine „Räubersynode“
bezeichnen, bzw. seine Resultate als null und nichtig erklären.14
Die offizielle Begründung ihrer ablehnenden Haltung zum Panorthodoxen Konzil haben
diese Kirchen auf z.T. sehr unterschiedlichen Gründe zurückgeführt,15 die hier nicht im
Einzelnen aufgeführt werden können: u.a. wurde bemängelt, a. dass der Vorlagetext zur Ehe
nicht von den Kirchen Antiochiens und Georgiens mitgetragen wurde; b. dass die Satzung der
Heiligen und Großen Synode nicht von der Kirche Antiochiens unterschrieben worden war
und c. v.a. dass Korrekturvorschläge zu den Vorlagetexten, insbesondere zum „Ökumenetext“
der Synode (die „Beziehung zu der übrigen christlichen Welt“) gar nicht berücksichtigt
wurden; last but not least, d. dass die Unterbrechung der Eucharistiegemeinschaft zwischen
den Kirchen von Antiochien und Jerusalem wegen der jurisdiktionellen Zuordnung der
Region von Katar der Eucharistiegemeinschaft, die die Orthodoxe Kirche beansprucht
zu praktizieren, einen Strich durch die Rechnung machen würde.16Diese und weitere

Kirche das gleiche nun für sich behaupten und beanspruchen sollen, was die Römisch-Katholisch
mit LG 8 behauptet (den Text hat Bischof Irinej vorerst in griech. Sprache verfasst: http://www.
romfea.gr/patriarxeia-ts/patriarxeio-serbias/9264-mpatskas-eirinaios-giati-den-upegrapsa). Von den
Befürwortern des Panorthodoxen Konzils möchte ich die gründliche Publikation des Metropoliten
von Messinia (Kalamata/GR) und Prof. an der Universität Athen Chrysostomos Sabbatos zitieren:
Die Hl. und Große Synode der Orthodoxen Kirche als Ausdruck der synodalen Bewusstseins
der Orthodoxen Kirche, Athen 2017. Metropolit Sabbatos schlägt bzgl. des strittigen Ökumene-
Dokuments eine Differenzierung zwischen dem bloßen Namen „Kirche“ und seiner substanziellen
Tragweite, auch gemäß einem alten patristischen Prinzip, vor: „… nicht in den Worten, sondern in
der Sache (pragma)“ entscheidet sich die Frage nach der Wahrheit. Die Substanz der „Sache“ Kirche
versucht er dann apophatisch zu schützen, nachdem „weder die biblische noch die kirchenväterliche
Tradition jemals eine Definition für die Kirche geliefert“ haben, sondern nur eine Beschreibung in
Bildern (s. bes. S. 128-146). Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, hier eine ausführliche
Kommentierung sowohl von einzelnen Dokumenten als auch von Stellungnahmen von Dritten
(Kirchen oder einzelnen Bischöfen) zu unternehmen. Bezüglich nur des II. Vatikanums möchte ich
auf meinen früheren Beitrag verweisen: Das II. Vatikanum und die Orthodoxie: ein Beispiel zur
Nachahmung?, in: Catholica 66 (2012) 161-179.
14 Die meisten von den kritischen Stimmen (von Texten und kirchlichen Portalen) hat Eva Synek
berücksichtigt und kommentierend zitiert: s. E. Synek, Das „Heilige und Große Konzil“ von Kreta,
Freistadt 2017. G. Vlantis hat ebenso einige Argumente der Gegner des Konzils in seinem Beitrag
analysiert: Die Angst vor dem Geist. Das Heilige und Große Konzil und die orthodoxen Anti-
Ökumeniker, in: Ökumenische Rundschau 66 Heft 1 (2017) 33-41.
15 Für die Gründe der Absage ihrer Teilnahme am Panorthodoxen Konzil der vier autokephalen
Kirchen siehe die Beiträge in diesem Heft der Kollegen Andonov, Bortnyk, Kattan, Sakvarelidze.
Die Interpretation und die Kommentierung der ablehnenden Haltung der vier Kirchen kann sehr
unterschiedlich ausfallen. Vgl. dazu die folgenden Beiträge im dem Konzil gewidmeten Heft der
Zeitschrift: Religion und Gesellschaft in Ost und West 44 Heft 11 (2016): S. Tchapnin für die Russische
Orthodoxe Kirche (S. 11-13), M. Illert für die Bulgarische Orthodoxe Kirche (S. 14-16) und M.
Gamrekelashvili für die Georgische Orthodoxe Kirche (S. 20-21). Während die ersten zwei Autoren
(Tschapnin und Illert) die Gründe für die Absage eher in einer Kapitulation dieser Kirchen (ROK
und Bulgariens) vor fundamentalistischen Kreisen suchen, bekommt die Ablehnung der Kirche
Georgiens in der Interpretation von Gamrekelashvili einen sehr stark politischen Beigeschmack.
16 A.E. Kattan hat eigentlich Recht, wenn er die Unterbrechung der eucharistischen Gemeinschaft
zwischen den Patriarchaten von Antiochien und Jerusalem als den ausschlaggebenden Grund der
Absage der Kirche Antiochiens am Konzil hervorhebt. Doch andererseits muss auch die Frage
nach der Rechtmäßigkeit dieses überzogenen Schrittes gestellt werden, welchen das Patriarchat
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 159

Versäumnisse hätten nicht mehr eine einstimmige (unanimously–omofonos) Entscheidung


in der Orthodoxie garantieren können, was aber ein Grundaxiom der Entscheidungsfindung
auf dem Weg der Einberufung dieses Panorthodoxen Konzils war, so der Grundtenor der
Einwände. Auf die Frage der Einstimmigkeit komme ich wieder unter den Punkten III und
IV zu sprechen.17 An dieser Stelle sei aber eine kurze Gegenrede zu den Einwänden erlaubt:
Hätte man die Korrekturvorschläge zu den strittigen Fragen in einzelnen Dokumenten
alle im Voraus durch die Arbeit von interorthodoxen Vorkonziliaren Kommissionen und
Konferenzen klären können, fragt man sich, welche Rolle das Konzil noch zu spielen hätte,
ja wäre dann ein Panorthodoxes Konzil noch notwendig? Und überhaupt, können eine oder
auch mehrere Kirchen die anderen sozusagen als Geisel benutzen, bis sie ihre Version von
der Wahrheit durchsetzen können? Haben also die orthodoxen Kirchen die Methode ver-
lernt, Entscheidungen synodal zu treffen, und wie wollen sie dann behaupten, dass sie die
Kirche der Ökumenischen Konzilien sind, die Kirche des synodalen Systems? Oder ging
es vielleicht doch um den Antagonismus von anderen kirchenpolitischen Mächten, für die
u.a. die jurisdiktionelle Zuordnung von Katar ein vorgeschobener Grund wäre?18 Wird
somit z.B. aus dem Streit der Kirche von Antiochien mit der Kirche von Jerusalem zu einem
„stellvertretenden Krieg“ zwischen den Thronen von Konstantinopel und Moskau – um eine
Terminologie aus der profanen Welt dafür zu gebrauchen? Sicherlich hat die geostrategische
„Großwetterlage“, mit dem seit Jahren andauernden Krieg in Syrien, ihre Schatten auf die
Prozedur der Einberufung der Panorthodoxen Synode geworfen.
Man sollte an dieser Stelle nicht außer Acht lassen, dass die politische und auch gesell-
schaftliche Lage in der östlich-christlichen Welt nach der Eroberung der alten Hauptstadt
der orthodoxen Christenheit, der Stadt Konstantinopel, durch die Osmanen (im Jahr 1453)
eine sehr schwierige, ja oft eine prekäre war. Trotzdem konnten die orthodoxen Kirchen
in einer Reihe von überregionalen Synoden wichtige Themen ihrer Zeit aufgreifen und im
jeweiligen Kontext eine klärende Antwort suchen. Viele von diesen Synoden wurden in der
Enzyklika des Konzils (§ 3) namentlich erwähnt19 und ihre Entscheidungen mit allgemeiner

von Antiochien (aus eigener Initiative) getan hat, auf Grund eines für das reale Leben der Kirche
eigentlich marginalen Problems (nicht zu vergessen: die Unterbrechung der Eucharistiegemeinschaft
wurde vom Patriarchat von Antiochien im April 2014 verhängt, nachdem im März 2014 der Termin
für die Einberufung des Panorthodoxen Konzils während der Synaxis der Orthodoxen Vorsteher
in Konstantinopel bekannt gemacht wurde). Man kann sicherlich von einer Unterschätzung der
Dynamik dieses Ereignisses seitens des Ökumenischen Patriarchats sprechen. Wäre andererseits nur
dieser der einzige Grund für die Absage der Kirche Antiochiens, hätte allein diese Katar-Frage eine
Annullierung des seit Jahrzehnten vorbereiteten Konzils rechtfertigen können?
17 Bemerkungen zur Entscheidungsfindung und zum Abstimmungsmodus habe ich in meinem Beitrag:
Mehrheit oder Konsens? Wie werden die Entscheidungen der zukünftigen großen Synode der
Orthodoxie getroffen?, in: Synaxis, Heft 133 (2015) 65-67 (griech.). Elemente dieser Stellungnahme
lasse ich auch in diesen Beitrag einfließen.
18 Eine kurze aber sehr inhaltsreiche Darstellung von Argumenten pro und contra für die Einberufung des
Konzils, welche auch stark auf die Rolle des politischen Faktors fokussiert, liefert der Beitrag von P. L.
Gavrilyuk, Can anything good come out of an panorthodox council? A response to detractors, in: https://
publicorthodoxy.org/2016/01/21/can-anything-good-come-out-of-a-pan-orthodox-council/.
19 In der Enzyklika des Konzils (§ 3) werden die folgenden allgemeinen Synoden als authentische
orthodoxe Stimme kommemoriert: 879, 1341, 1351, 1368, 1484, 1638, 1642, 1672 1691, 1872.
Der Ökum. Patriarch Bartholomaios hatte zuvor, in seiner Eröffnungsansprache (am 20.06.2016),
diesen Katalog etwas erweitert und folgende Synoden als Zeugnis der synodalen Anstrengung im
160 Athanasios Vletsis

Autorität („katholikon kyros“)20 geehrt; in diesem Sinne kann man von einer Rezeption
ihrer Entscheidungen sprechen. Die Notwendigkeit der Einberufung von allgemeinen (oder
panorthodoxen) Synoden ist also keine neue Erfindung unseres globalisierten Zeitalters und
ist keinesfalls auf innerhalb der östlichen Kirchen begrenzt.
Selbst im ersten christlichen Millennium gab es nach 787 eine weitere gemeinsame, große,
allgemeine Synode des Westens und des Ostens: in der Tat kam im Jahr 879 die Christenheit
des Ostens und des Westens zusammen und hat einvernehmlich nicht unwichtige Beschlüsse
gefasst und darin u.a. das Prinzip der „Vielfalt in der Einheit“ bejaht.21 Diese Synode wurde
aber später im Westen nicht mehr als eine ökumenische (szs. als die achte) anerkannt. Auch
im zweiten christlichen Millennium gab es gemeinsame Synoden des Ostens und des Westens
(= Unionskonzile), die den Anspruch hätten erheben können, sie wären ökumenisch; der
Osten hat wiederum ihre Resultate im Nachhinein nicht anerkannt, weil sie alle unter poli-
tischem Druck stattfanden.
Die schwierige politische Lage, in der sich viele orthodoxe Kirchen während des allmäh-
lich zusammenschrumpfenden Byzantinischen Reiches befanden – eigentlich bereits nach
den arabischen Eroberungen seit dem 8. Jh., und dann insbesondere nach dem Druck der
Osmanen im Osten und der Politik der Kreuzzüge aus dem Westen nach dem 11./12. Jh.,
wurde nicht einfacher nach der Befreiung aus der osmanischen Herrschaft vieler Teile der
orthodoxen Welt (v.a. der Regionen in den Balkanländern); denn die neue Freiheit wird für
viele orthodoxen Kirchen ab dem 19. Jh. und bis fast in der Mitte des 20. Jh.s zur Gründung
einer Reihe von neuen, selbstständigen, d.h. autokephalen Kirchen führen, was das synodale
Leben der Orthodoxie mit in Leidenschaft gezogen und unheimlich verkompliziert hat. Die
Einberufung eines panorthodoxen Konzils wurde zwar prinzipiell in der orthodoxe ekkle-
siologische „Theorie“, nämlich die Synode als oberste Instanz in der Orthodoxen Kirche

Osten in schwierigen Zeiten angeführt: die Synoden des 14. Jh.s, die („Palamitischen“) Synoden von
1638, 1672, 1691, 1727, 1838, 1872, 1895 in Konstantinopel und die Synode in Iaşi 1642, sowie
die Enzykliken der orthodoxen Patriarchen des Ostens von 1716/1725 und 1848. Einerseits stellt
sich die Frage, ob auch diese vom Patriarchen Bartholomaios angeführten Synoden ein „katholikon
kyros“ beanspruchen, und wenn nicht, welche sind die Kriterien der differenzierten Rezeption des
synodalen Lebens der Orthodoxie im zweiten christlichen Millennium. Eine kritische Reflexion und
damit auch Rezeption, die eine Art Kodifizierung der von den aufgelisteten Synoden thematisierten
Lehren unternehmen wird, bleibt für die Orthodoxe Kirche eine wichtige Zukunftsaufgabe.
20 Larentzakis (s. die Verweise in der Anm. 13) macht an dieser Stelle korrekt darauf aufmerksam
und korrigiert die Interpretation der Kirche Griechenlands, die in ihrem Rundschreiben „an das
Volk“ den Ausdruck „katholikon kyros“ mit Ökumenizität der zitierten Synoden gleichsetzt.
Kallis kritisiert in seinem Beitrag in diesem Heft die undifferenzierte Aufzählung von vergangenen
allgemeinen Synoden, die den Unterschied zwischen dem internen Leben der Orthodoxen Kirche,
nach der Spaltung von Rom, und den wirklich ökumenischen Synoden (zu denen er die Synode von
879 zählt) verkennt. Er hat auf jeden Fall darin recht, dass der ekklesiale Status der anderen Kirchen
und christlichen Gemeinschaften auch vom Panorthodoxen Konzil nicht beantwortet wurde. Vgl.
auch unsere Bemerkung in der Anm. 19.
21 Der Ausdruck („Vielfalt in der Einheit“) gehört zur Betrachtung dieses Konzils durch den
Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios, der in seiner Festrede anlässlich der Verleihung des
Ehrendoktortitels der Universität Graz noch folgendes notiert hat: „Es wäre also der Mühe wert
zu untersuchen, ob wir heute das Konzil von Konstantinopel des Jahres 879-880 gemeinsam als
das 8. Ökumenische Konzil des Ostens und des Westens rezipieren könnten, das wir sogar als
Versöhnungskonzil bezeichnen würden. Dies wäre eine ökumenische Tat von größter Bedeutung“,
in: Ökumenisches Forum 26/27 (2003/2004) 22-29.
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 161

zu betrachten, nicht vergessen, nicht aber von allen gleichermaßen als eine dringende
Notwendigkeit eingestuft.
Die Zeichen der Zeit erkennend hat das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel,
bereits ab dem Jahr 1902, allen orthodoxen Kirchen den Vorschlag unterbreitet, nach
Wegen einer intensiveren und effektiveren Kommunikation zu suchen. Hiermit kann man
eigentlich, in unserer modernen Zeit, die Bemühungen datieren, dieses große und heilige
Konzil der Orthodoxie einzuberufen. Konkret wurden jedoch die Vorbereitungen mit den
Panorthodoxen Konferenzen ab dem Jahr 1961 eingeleitet. Der Themenkatalog wurde
bereits im Jahre 1976 während der I. Vorkonziliaren Panorthodoxen Konferenz (in Genf/
Chambésy) festgelegt (siehe Anhang).22 Aus diesem Katalog wurden dann durch die Arbeit
der Panorthodoxen Vorkonziliaren Konferenzen Vorlagetexte für die Heilige und Große
Synode der Orthodoxen Kirche erstellt zu den Themen, die im nächsten Kapitel (II.) kurz
präsentiert werden.23
Es geht nun bzgl. dieses Panorthodoxen Konzils um einige grundlegende Fragen, die den
Kern ekklesialen Lebens tangieren, wie v.a. um die Beziehung zu den anderen christlichen
Kirchen; vor allem aber wird das synodale Leben der Kirche auf der universalen Ebene auf
eine harte Probe gestellt, und zwar wie dies in der ganz neuen Konstellation der Orthodoxie
nach der Gründung von neuen autokephalen Kirchen und auch mit der im 20. Jh. rapid
zugenommenen Zahl von orthodoxen Gemeinden in der Diaspora funktionieren kann; denn
auf der zweiten regionalen Ebene, nämlich der Ebene einer Landes-/autokephalen Kirche,
hat das synodale Leben nicht aufgehört, schlechthin die Struktur ekklesialen Lebens von
orthodoxen Kirchen zu prägen. Wie wird es aber sein, wenn nun dies, was auf der Ebene von
unseren autokephalen Kirchen bereits – in der Regel – mit akzeptablen Erfolgen praktiziert

22 Die Geschichte des Konzils wird akribisch von Viorel Ioniţă in seinem Beitrag rekonstruiert, der auch
wertvolle Informationen zur Einbeziehung von einigen Dokumenten liefert, insbesondere im letzten
Stadium der Vorbereitung des Konzils. Ebenso wichtig für die geschichtliche Entwicklung des Konzils
ist der Beitrag von Bischof Kyrillos Katerelos, der seinen Text eher thematisch in Grundthemen
strukturiert, die das Prozedere des Konzils beschäftigt haben: die Entscheidungsfindung und
die Punkte auf der Tagesordnung des vorbereiteten Konzils (darunter hat er auch die Themen
berücksichtigt, die dann das Konzil nicht mehr hatte behandeln können). Einige Wiederholungen
in diesen zwei Eingangs-Referaten sind unvermeidbar, denn sie werden durch den unterschiedlichen
Kontext der zwei Tagungen verursacht: Bischof Katerelos hat seinen Beitrag während der ersten
Tagung (3./4. Juni), d.h. noch vor der Abhaltung des Panorthodoxen Konzils, V. Ioniţă erst in der
zweiten Tagung, d.h. nach dem Abschluss des Konzils, gehalten. Wichtige Punkte des geschichtlichen
Prozesses unterwegs zur Einberufung des Konzils hat auch A. Kallis in seinem Beitrag aufgegriffen,
wie auch Fragen gestellt, die einzelne Dokumente des Konzils in ihrer Interpretation aufwerfen. Der
Kontext des Beitrags von A. Kallis ist jedoch ein anderer: wie auch von der Thematik der zweiten
Tagung vorgesehen (s. Ansprache), sollte er einen weitreichenderen Blick auf die Rezeption des
Konzils werfen und eine Zukunftsvision für die Orthodoxe Kirche entwerfen.
23 Es sei hier daran erinnert, dass die Themen Nr. 8 und 9 (s. dazu die im Anhang dieses Beitrags
aufgeführte tabellarische Übersicht) zu einem einzigen Dokument zusammengefasst sind. Für die
Themen 2, 4 und 5 konnten keine Vorlagetexte erstellt werden und ihre Bearbeitung wurde, auch
gemäß dem Beschluss der Versammlung (Synaxis) der Orthodoxen Vorsteher in Chambésy (Ende
Januar 2016), verschoben, ja die Kalenderfrage wurde überhaupt aus dem Katalog gestrichen.
S. weiter die Ausführungen zu den Gründen der nicht Berücksichtigung dieser Themen in den
Beiträgen von Ioniţă und Katerelos.
162 Athanasios Vletsis

wird, auch auf der Ebene der Weltkirche angewandt werden soll?24 Sind die Mechanismen
der Einberufung von allgemeinen (auch von „ökumenischen“) Konzilen, wie sie sich im ers-
ten Jahrtausend herauskristallisiert haben, und auch teilweise in der geänderten politischen
Konstellation im zweiten christlichen Millennium weiterhin ihre Gültigkeit beanspruchen
konnten, im dritten christlichen Millennium noch tauglich?25
Die Anstrengung für eine panorthodoxe Verständigung wurde aber nicht nur auf der
Ebene von Kirchenleitungen unternommen, auch die Theologen führten (und führen wei-
terhin) einen Streit über das Wesen und die Notwendigkeit des synodalen Lebens: wenn
nämlich einige die Synode als ein charismatisches Ereignis bezeichnen, welches nur dann
stattfindet, wenn der Hl. Geist die Kirche dazu führt, eine offensichtlich bedrohliche Häresie
abzuwenden oder andere akute (kanonische) Probleme zu lösen, und andere wiederum
die Synode, auch eine allgemeine, als eine ständige Institution betrachten, die das ganze
Leben der Kirche begleiten soll.26 Nichts Geringeres als diesen Lernprozess hatte und hat die
Orthodoxe Kirche zu bestehen. Ja, in diesem Sinne ist die einberufene „Heilige und Große
Synode der Orthodoxen Kirche“ wahrlich ein großes Ereignis, wodurch die Weichen für

24 Kallis versteht ein ökumenisches Konzil nicht als eine ständige Institution, sondern als ein
charismatisches Ereignis im Leben der Kirche. Ansonsten befürchtet er, dass ein allgemeines
institutionalisiertes Konzil als ein „Papst-Kollektiv“ agiert, eine Sorge, die ich nicht teilen kann
und für die orthodoxe Welt als inkompatibel betrachte. Seine Bemerkung, dass der Kanon 5 des
ersten Ökumenischen Konzils eigentlich die „Provinzialsynoden“ meint, ist korrekt; andererseits
zielt der Verweis des Ökumenischen Patriarchen in seiner Eröffnungsansprache gerade auf diesen
Kanon als einen Hinweis für die Wichtigkeit des synodalen Lebens im Leben der Kirche ab; damit
wollte Patriarch Bartholomaios offensichtlich die Ansicht bekräftigen, die eigentlich von Anfang
an den langen Prozess der Einberufung des Panorthodoxen Konzils begleitet hat, dass nämlich
diese Art des synodalen Lebens dem Wesen der Kirche und konkreter noch der Orthodoxen Kirche
entspricht. Vgl. dazu die Stellungnahme des Metropoliten Meliton in seiner Eröffnungsansprache
als Vorsitzender der I. Vorkonziliaren Panorthodoxen Konferenz (Chambésy, 22.11.1976): „Die
Einberufung des Heiligen und Großen Konzils sollte beschleunigt werden unter der Voraussetzung,
dass dieses Konzil nicht als das einzige zu betrachten sei, das die Einberufung von gleich großen
Konzilien in der Folgezeit ausschließt.“ Zitat bei A. Kallis, Auf dem Weg zum Konzil, S. 410. Vgl.
auch C. Sabbatos (s. Anm. 13), 83. Über das Konzil als eine ständige Institution vgl. auch die Zitate
von führenden Orthodoxen Hierarchen bei E. Synek (s. Anm. 14), 108-109.
25 Eine neue Konzilstheologie in der Orthodoxie hätte z.B. die Rolle zu untersuchen, die der König
(Basileus) in der römisch-byzantinischen Zeit gespielt hat, nicht nur bezüglich der Einberufung eines
ökumenischen Konzils, sondern auch danach, bezüglich der Geltendmachung der Beschlüsse als
Staatsgesetze. Über die Rolle der politischen Macht bei der Einberufung eines ökumenischen Konzils
s. F. Lauritzen, Who convenes a Synod in Byzantium, in: Theologia 86 Heft 2 (2015) 105-116.
26 Die Spannung zwischen charismatischem Ereignis und Institution lässt sich auch im persönlichen
Bericht von Bischof Andrej (Ćilerdzić) in diesem Heft verfolgen, der als Synodaler das Konzil als
charismatisches Ereignis erlebt hat. Dieselbe Fragestellung greift auch B. Hallensleben in ihrem
Beitrag auf, die in der Äußerung der Botschaft, das Konzil alle sieben oder zehn Jahren einzuberufen,
eindeutig die institutionalisierte Dimension priorisiert sieht. Vgl. auch Anm. 61. Auf die Vielfalt der
orthodoxen Ansichten bzgl. der Wahrnehmung eines Ökumenischen Konzils als ein charismatisches
Ereignis oder als eine Institution habe ich versucht, in meinem folgenden Beitrag hinzuweisen:
Autorität oder Authentizität? Das Ringen der orthodoxen Theologie um die Erkenntnis und die
Träger der kirchlichen Lehre vor der Herausforderung des dritten Millenniums, in: Christoph
Böttingheimer / Johannes Hofmann (Hgg.), Autorität und Synodalität. Eine interdisziplinäre und
interkonfessionelle Umschau nach ökumenischen Chancen und ekklesiologischen Desideraten,
Frankfurt/M 2008, S. 147-167.
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 163

einen neuen Weg der orthodoxen Kirchen im dritten Jahrtausend gestellt worden sind. Das
Risiko, das v.a. das Ökumenische Patriarchat eingegangen ist, die Panorthodoxe Synode trotz
der Abwesenheit von den vier autokephalen Kirchen nicht mehr zu verschieben und doch an
den geplanten Daten abzuhalten, was dann auch von den anderen am Konzil teilnehmenden
Kirchen mitgeteilt und mitgetragen wurde, war m.E. die einzige mögliche Antwort, die die
Orthodoxie aus ihrer selbstverschuldeten Isolation und introvertierten Haltung hätte her-
ausholen können. Ob sich dieser Schritt wirklich gelohnt hat, werden erst die Früchte des
Konzils zeigen. Bis zu ihrer Reife sollte man noch abwarten.27 Jedenfalls ist nun ein „weiter
so“, wie in den vergangenen Jahrzehnten der Vorbereitung des Konzils, nicht mehr möglich.
Das Studium der Texte des Konzils sollte darum nicht nur als eine rein akademi-
sche Angelegenheit betrachtet werden, sondern als eine wichtige Etappe der intensiven
Anstrengung, die Idee des synodalen Lebens in der Praxis zu erproben.

II. Eine neue Ekklesiologie in der Orthodoxie?


Kurze Vorstellung der vom Konzil beschlossenen Dokumente
Ich versuche im Folgenden in wenigen Worten, fast stichwortartig, die wichtigsten positi-
ven Inhalte, aber auch die m.E. noch offenen „Baustellen“, der bereits offiziell beschlossenen
Dokumenten des Konzils28 kommentierend zusammenzufassen und zugleich diese mit den
Vorlagetexten kurz zu vergleichen. Bleiben die beschlossenen Texte hinter den Vorlagetexten
zurück?29 Hat die Orthodoxe Kirche letztendlich vor den fundamentalistischen Kreisen

27 Vgl. dazu den Beitrag von I. Moga in diesem Heft: „Nicht die Uniformität sollte das Ziel sein,
sondern ein panorthodoxer Reifeprozess, der sich diesmal nicht auf auserwählte Kreise reduziert“.
28 Die Dokumente des Konzils wie auch die Vorlagetexte, sogar in allen amtlichen Sprachen des Konzils,
sind zu lesen in: www.holycouncil.org. Die verabschiedeten Dokumente wurden in deutscher
Sprache vollständig vorerst im Band von B. Hallensleben publiziert (s. Anm. 1); eine Reihe von
Dokumenten auch in den Heften der Zeitschrift der OBKD „Orthodoxie aktuell“. Übersetzungen
von einigen Texten hat auch E. Synek geliefert (s. Anm. 14).
29 Die Entwicklung der Vorlagetexte kann mit Hilfe des Grundwerkes von A. Kallis sehr detailliert
studiert werden, in dem auch die einzelnen Schritte zur Einberufung des Konzils bis 2011 vom
Autor ausführlich und scharfsinnig kommentiert werden: A. Kallis, Auf dem Weg zum Konzil. Ein
Quellen- und Arbeitsbuch zur Orthodoxen Ekklesiologie, Münster 2013. V. Ioniţă hat in englischer
Sprache wichtige Texte und Stationen unterwegs zum Panorthodoxen Konzil aufgezeichnet:
Towards the Holy and Great Synod of the Orthodox Church. The Decisions of the Pan-Orthodox
Meetings since 1923 until 2009, Basel 2014. Den ersten Teil dieses Weges der Vorbereitung des
Panorthodoxen Konzils hatte A. Jensen konstruktiv erforscht: Die Zukunft der Orthodoxie,
Konzilspläne und Kirchenstrukturen, Zürich (u.a.) 1986. Die ökumenischen Implikationen auf
dem Weg zum Panorthodoxen Konzil hat Th. Meimaris präsentiert: The Holy and Great Council
of the orthodox Church and the ecumenical Movement, Thessaloniki 2013. In einer Reihe von
interessanten Tagungen in den letzten Jahren kurz vor und auch nach der ersten verbindlichen
Ankündigung über die Einberufung des Konzils (im März 2014) wurden wertvolle Impulse für
das weitere Studium von panorthodoxen Dokumenten geliefert. An dieser Stelle sollte besonders
die Tagung in Paris (im Institut Saint Serge) im Okt. 2012 hervorgehoben werden. Die wichtigen
Beiträge, die sich mit allen Themen des Konzils befassen, wurden publiziert vorerst auf Französisch
in der Zeitschrift Contacts. Revue Française de l´ Orthodoxie 65 Nr. 243 (Jul.-Sept.) (2013) 297-
640 und dann auf Griechisch: P. De Mey / M. Stavrou (Hgg.), „Die Zeit ist nun kurz …“. Die
zukünftige Panorthodoxe Synode, Athen 2015. Vgl. dazu auch den Beitrag von N. Ruffieux, Das
Panorthodoxe Konzil: Vorbereitung, Durchführung und Rezeption, in: Catholica 67 Heft 2 (2013)
101-120. Wertvolle Kommentare, nicht nur von orthodoxen Autoren, denen teilweise sogar ein
164 Athanasios Vletsis

kapituliert? Eine weitere leitende Frage wird sein: Kreist alles doch nur um die Ekklesiologie
und ist die Orthodoxe Kirche dabei, sich selbst als Kirche neu zu definieren? War nun dieses
Konzil ein rein ekklesiologisches Konzil?

A. Die Sendung der Kirche in der heutigen Welt.


Der Beitrag der Orthodoxen Kirche zur Vorherrschaft von Gerechtigkeit, Freiheit,
Geschwisterlichkeit und Liebe zwischen den Völkern und zur Überwindung von
Diskriminierungen aufgrund der Rasse oder aus anderen Gründen30
Positiv: Die Öffnung auf einen interreligiösen Dialog mit allen Menschen guten
Willens, als Beitrag (u.a.) zur Überwindung von jeder Art von Diskriminierung; Freiheit
in Verantwortung für die ganze Welt wahrnehmen; der Krieg wird als Übel geächtet, offen
gelassen wird aber die Haltung der Kirche in Fällen, in denen Gläubige um ihr Leben und ihre
Freiheit kämpfen (müssen): wann ist z.B. ein Krieg „unvermeidbar“ und was alles beinhaltet
die kirchliche „Seelsorge“ für die Gläubigen, die „in kriegerische Handlungen verstrickt sind“?
Der Wert und die Würde der menschlichen Person werden uneingeschränkt bejaht; ebenso
wird grundsätzlich die Fähigkeit des Menschen, die Welt wissenschaftlich zu erforschen,
begrüßt, Vorsicht ist aber geboten bei einigen Entwicklungen (insbesondere) im Bereich der
Biotechnologie.31
Offen bzw. nicht thematisiert: Die Anthropologie wird in diesem Text nicht entfaltet: sehr
vereinfacht und ohne tiefere Reflexion wird alles Böse und Übel in der Welt auf die „geistige
Erkrankung“ des Menschen zurückgeführt, die lediglich als „Ungehorsam“ und „Autonomie“
dem göttlichen Gebot gegenüber aufgefasst wird, die in sich „die Gefahr des Falls“ einschlie-
ßen; dieser Fall wird, obwohl nicht direkt, mit einem ersten Fall Adams in Verbindung
gebracht. Dabei fehlt gänzlich eine Konkretion in Bezug auf die Gegenüberstellung zu neuen
Herausforderungen: so der Umgang mit den biogenetischen Wissenschaften oder Themen

ganzes Heft gewidmet ist, wurden von den folgenden bekannten deutschsprachigen Zeitschriften
geliefert: Una Sancta 70 Heft 2 (2015); Ökumenische Rundschau 66 Heft 1 (2017); Catholica 71
Heft 1 (2017); Religion und Gesellschaft in Ost und West 44 (2016) in zwei Heften: 6-7 und 11, und
in einem dritten Heft noch vor der Einberufung des Konzils: 42 Heft 11-12 (2014). Das wichtige
Ereignis der Orthodoxie wurde mit kleineren Beiträgen auch in anderen theologischen Zeitungen
und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum berücksichtigt (u.a. Herder Korrespondenz,
Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim) und etwas vereinzelt auch in der
sonstigen Medienlandschaft (v.a. auf Internetportalen). A. Müller beklagt jedoch in seinem Beitrag,
ein mangelndes Interesse für das Konzil in der Evangelischen Presselandschaft. In griechischer
Sprache vgl. die guten Beiträge, gewidmet dem panorthodoxen Konzil, in den folgenden Heften
von zwei bekannten theologischen Zeitschriften: Theologia 87 Heft 1 (2016) und 86 Heft 4 (2015);
Synaxis Heft 133 (2015) und 140 (2016). Auf der speziellen Homepage des Ökumenischen
Patriarchats zum Panorthodoxen Konzil wird auch eine allgemeine Literaturliste empfohlen: https://
www.orthodoxcouncil.org/bibliography.
30 Die Reihenfolge der hier vorgestellten Dokumente ist jene, in der sie auch vom Konzil diskutiert und
verabschiedet worden sind. Eine Besprechung der Literatur würde den Rahmen dieses einführenden
Beitrages sprengen. Es wird hier lediglich auf die einzelnen Beiträge dieses Heftes weiter verwiesen,
die konkrete Dokumente des Konzils vorstellen und interpretieren.
31 R. Kisić bemerkt in seinem Kommentar, dass die Themen des Dokuments „Die Sendung der
Kirche in der Welt“ keine Überraschungen beinhalten und dass das Konzil hier nach dem Motto
„Sicherung der Fundamente“ gearbeitet hat; damit wurden aber die Herausforderungen unserer Zeit
im Dokument nicht mehr aufgegriffen, sondern sie wurden erst in der Enzyklika, wenn auch kurz,
thematisiert.
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 165

der Umwelt, aber auch eine Analyse der Fragen zu sozialen Problemen, wie u.a. die Kluft zwi-
schen Reichtum und Armut, die im Dokument nur kurz aufgegriffen werden. Die Beziehung
Kirche – Staat, die für Verwirrung in der langen Geschichte der Ostkirchen gesorgt hat und
heutzutage in vielen autokephalen Kirchen viele Fragen offen lässt, wurde im Dokument
nicht thematisiert. Erst in der Enzyklika der Synode (§ 16) wird auf die Notwendigkeit der
Entwicklung eines „neuen konstruktiven Zusammenwirkens („Synallilie“) mit dem säkularen
Rechtsstaat“ hingewiesen, ohne näher diese „Synallilie“32 zu beschreiben.
Vergleich: Die Koinonia von menschlichen Personen als Abbild der Koinonia der
göttlichen Personen in der Trinität wird nicht mehr, wie im Vorlagetext, aufgegriffen. Der
beschlossene Text legt besonderen Akzent auf die Pflicht der Kirche zur Evangelisierung der
Welt, was im Vorlagetext fehlte, als Korrektiv zu einer (vermeintlichen) Annahme, die Kirche
würde bei ihrem Dialog mit der Welt und bei ihrer prinzipiellen Offenheit den Anderen
gegenüber diese ihre primäre Aufgabe vergessen.

B. Die Orthodoxe Diaspora


Positiv: Die Gründung von Bischofsversammlungen, die bereits von der IV. Vorkonziliaren
Panorthodoxen Konferenz (Genf/Chambésy 2009) vorgeschlagen wurde und bereits
vielerorts provisorisch Realität geworden ist, hat sich inzwischen bewährt und wird im
Dokument hervorgehoben als Ausdruck des Willens aller autokephalen Kirchen zur Lösung
des Diaspora-Problems. Die Kompetenz und die Funktionalität von den bereits gegründeten
Orthodoxen Bischofsversammlungen (im deutschsprachigen Raum hat sich der Begriff
„Bischofskonferenzen“ etabliert) soll noch erweitert werden; ihre konkreten Satzungen
können noch auf Grund der nun neu beschlossenen Muster-Satzung ergänzt werden; ihre
Entscheidungen, die im Konsensverfahren einvernehmlich („einstimmig“ – „omofonia“)
getroffen werden, sollen die Stimme der Orthodoxen Kirche vor Ort stärken.
Offen: Die endgültige („kanonische“) Lösung des Problems der Diaspora ist, nach der
Feststellung des Konzilsdokuments, noch nicht in Sicht und wird in die Zukunft verlegt;
denn die orthodoxen Bischöfe bleiben in der Diaspora weiterhin ihren „Mutterkirchen“
nicht nur jurisdiktionell, sondern auch sonst zu eng verbunden, wenn sie z.B. die Ansichten
ihrer Kirchen auch in der Diaspora vertreten müssen. Wie diese „kanonische“ Regelung der
orthodoxen Diaspora aussehen mag, wird im Dokument nicht weiter ausführlich erläutert,
sondern lediglich auf die Notwendigkeit der „Existenz nur eines Bischofs an demselben Ort“
hingewiesen.33
Vergleich: Es wird nun nicht erlaubt, Bischöfen den gleichen hierarchischen Titel einer
bereits existierenden Diözese zu verleihen. In der Praxis bedeutet dies eine Differenzierung in
der Titulatur, die getroffen wird zwischen dem Metropoliten (auch in der Regel Vorsteher der
Bischofskonferenz) des Ökumenischen Patriarchats und den anderen orthodoxen Bischöfen,
die an demselben Ort wirken.

C. Die Autonomie und die Weise ihrer Proklamation


Positiv: Die Gründung von autonomen Kirchen innerhalb der jurisdiktionellen Grenzen
jeder autokephalen Kirche kann die eigene Verantwortung und damit den Auftrag für die

32 Vgl. T. Nikolaou, Das Ideal der Synallilie. Staat und Kirche aus orthodoxer Sicht, in: Orthodoxes
Forum 16 (2002) 123-136.
33 Sehr interessant und innovativ finde ich die Interpretation dieses Kanons im Beitrag von A. Kallis.
166 Athanasios Vletsis

Mission der Orthodoxie stärken; die verschiedenen Formen der Autonomie, die bereits in
den autokephalen Kirchen vorhanden sind, werden bejaht.
Offen: Die autonomen Kirchen werden bei panorthodoxen Treffen durch ihre
„Mutterkirchen“ repräsentiert; es dürfen keine autonomen Kirchen außerhalb der „kanonisch-
jurisdiktionellen Grenzen“ der Mutterkirche, sowie „auf dem Gebiet („geographical areas“) der
orthodoxen Diaspora“ errichtet werden. Aber genau dieses Thema der kanonischen Grenzen
einerseits und der geographischen Ausdehnung der orthodoxen Diaspora andererseits wird
in der Orthodoxie nicht immer einvernehmlich definiert, wie den Eingeweihten bekannt
sein dürfte, was immer wieder Zerwürfnisse verursacht, die bis hin zur Unterbrechung der
eucharistischen Gemeinschaft führen können. Die Prozedur der Schlichtung im Streitfall, die
im Dokument vorgesehen ist, kann keinesfalls eine befriedigende Lösung herbeiführen, wie
das Beispiel der Orthodoxie in Estland gezeigt hat, wo zwei voneinander getrennte autonome
Kirchen existieren.34
Vergleich: Es ist kein Unterschied zum Vorlagetext festzustellen.

D. Die Bedeutung des Fastens und seine Befolgung heute


Positiv: Fasten wird als Versinnbildlichung der gesamten geistigen Anstrengung des
Menschen aufgefasst; die Freiheit, nur nach den eigenen Kräften den Fastenvorschriften zu
folgen, wird zwar eingeräumt, dadurch verlieren aber die alten Fastenregeln keinesfalls ihre
Gültigkeit und Verbindlichkeit; ein letztes Urteil zu den einzelnen Fastenvorschriften wird
den jeweiligen autokephalen Kirchen unter der Anwendung der „Oikonomia“-Regelung
überlassen.
Offen: Das Fasten wird nicht in Verbindung mit der Not (z.B. Hunger) in der Welt
gesetzt. Die geltenden (alten) Fastenvorschriften werden überhaupt nicht angetastet bzw.
geändert.
Vergleich: Es wird nun ein – eigentlich freiwilliges – Fasten von drei Tagen vor dem
Empfang der Kommunion empfohlen, was vielerorts in der Orthodoxie bereits praktiziert
wird.35

E. Das Sakrament der Ehe und seine Hindernisse


Positiv: Die Ehe wird bereits im „Paradies“ als ein heiliges Sakrament gestiftet, womit,
so will ich schlussfolgern, jene Betrachtung entkräftet wird, die den geschlechtlichen Akt als
ein Resultat des Sündenfalls interpretiert. Die Koinonia der Ehe steht im Dokument sogar
höher als die vereinsamte, individuelle Existenz, denn in ihr wird auch die Koinonia der drei
göttlichen Personen abgebildet, womit die Ehe in ihrer institutionalisierten Form der Familie

34 Im Beitrag von A. Anapliotis werden detailliert die unterschiedlichen Konzeptionen der Autonomie
vorgestellt, die auch nicht ohne weiteres ihre Harmonisierung innerhalb der Panorthodoxie erlauben.
35 Dieses Fasten wird nur empfohlen und nicht als eine neue Fastenregel verordnet, wie J. Oeldemann
zu behaupten scheint: Nach dem Konzil. Zum Ertrag der „Heiligen und Großen Synode der
Orthodoxen Kirche“ auf Kreta, in: Herder Korrespondenz 70 Heft 9 (2016) 32-35, hier S. 33: „Eine
strengere Regelung wurde auch in das Dokument über das Fasten eingefügt, insofern jetzt davon die
Rede ist, dass man vor dem Empfang der Kommunion eigentlich ‚drei oder mehr Tage‘ fasten müsse
und nur bei einem regelmäßigen Kommunionempfang eine Abstinenz ab Mitternacht ausreichend
sei.“ Ebenso wurde die Abstinenz vor dem Kommunionempfang nicht korrekt verstanden, die
nicht neu eingeführt oder gar modifiziert wurde („bei einem regelmäßigen Kommunionempfang“),
sondern ihre uralte Geltung wurde noch einmal unterstrichen: Dieser alte Kanon gilt weiterhin und
zwar unabhängig vom empfohlenen dreitätigen Fasten vor dem Kommunionempfang.
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 167

als Sinnbild der gesamten Gesellschaft fungieren und im spezifischen Sinn die Beziehung
Christi zu seiner Kirche widerspiegeln kann.36
Offen: Die Ablehnung von „neuen Formen“ des ehelichen „Zusammenlebens“, u.a. einer
gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, wird kurz thematisiert (das wurde auch im Dokument
über „die Sendung der Kirche“, wenn auch mittelbar, aufgegriffen); als Begründung wird u.a.
das Leiden von Kindern aufgeführt, das Thema aber nicht näher erläutert. Die Zivilehe wird
lediglich als eine „vom Staat anerkannte legalisierte Form des Zusammenlebens“ gesehen,
ohne auf die tiefere Natur dieses Zusammenlebens, auch unabhängig von einer kirchlichen
Segnung, zu reflektieren. Die Möglichkeit der Schließung einer konfessionsverschiedenen
Ehe („Mischehe“) wird gemäß der akribischen Einhaltung der Kanones nicht eingeräumt,
aber diese Frage wird der synodalen Entscheidung in den autokephalen Kirchen überlassen,
die nach der Anwendung der „kat' oikonomian“ Regelung (= Zugeständnis zur menschlichen
Schwäche und Philanthropie walten lassen) die Eheschließung erlauben können. Dies ist
ein eindeutiges Zugeständnis an jene orthodoxen Kirchen, die eine Mischehe klar ablehnen,
mindert aber zugleich die bereits bewährte Praxis von vielen anderen orthodoxen Kirchen,
die eine solche Ehe segnen. Unklar bleibt weiterhin, wie weit die „Berücksichtigung“ der
staatlichen Gesetzgebung zur Eheschließung durch die kirchlichen Kanones reichen kann;
ein Kapitel etwa zu den Scheidungsgründen könnte wertvolle Dienste leisten, denn zu unter-
schiedlich wird die Frage der Ehescheidung in den verschiedenen orthodoxen Kirchen geregelt,
gerade angesichts der in jedem Land anderen geltenden standesamtlichen Bestimmungen.37
Wie bekannt, wird in der Orthodoxie auch noch eine zweite und eine dritte Eheschließung
kirchlich gesegnet, nachdem die erste Ehe (auch von der Kirche) als geschieden erklärt wurde.
Die Eheschließung von Priestern nach ihrer Priesterweihe wird untersagt, ebenso wird die
Eheschließung von orthodoxen Christen mit nicht Getauften überhaupt nicht gestattet.
Vergleich: Die Entscheidung bzgl. der Segnung einer konfessionsverschiedenen Ehe wird
nun den synodalen Organen der jeweiligen autokephalen Kirchen zugeschoben. Es werden
aber dann im Dokument keine weiteren Auflagen diesbezüglich gemacht, z.B. bzgl. der Taufe
der Kinder aus einer konfessionsverschiedenen Ehe, wie im Vorlagetext.

F. Beziehungen der Orthodoxen Kirche zu der übrigen christlichen Welt38


Positiv: Die Öffnung und Bereitschaft für den ökumenischen Dialog zur Wiederherstellung
der Einheit der Christen, was prinzipiell bejaht wird, entspricht der wahren Natur der
Kirche; als Basis hierfür soll der Glaube und die Tradition der „alten Kirche der sieben öku-

36 Vgl. auch den Kommentar von orthodoxen Theologen im Auftrag der OTSA (s. Anm. 5): https://
publicorthodoxy.org/tag/patrick-viscuso/.
37 Auf den offenen Dissens zwischen den staatlichen und den kirchlichen Scheidungsgründen hat A.
Anapliotis im folgenden Beitrag hingewiesen: Ehescheidung und Oikonomia im kanonischen Recht
der Orthodoxen Kirche, in: Markus Graulich – Martin Seidnader (Hgg.), Zwischen Jesu Wort und
Norm. Kirchliches Handeln angesichts von Scheidung und Wiederheirat, Freiburg im Breisgau
2014, S. 127-144.
38 J. Oeldemann übersetzt den Titel dieses Dokuments etwas anders: „Beziehungen der Orthodoxen
Kirchen mit der übrigen christlichen Welt“ und will davon eine prinzipielle Öffnung der Orthodoxen
Kirche auf den ökumenischen Dialog ableiten. S. auch seinen Beitrag: Konzil auf Kreta. Die lang
erwartete Panorthodoxe Synode tritt im Juni 2016 zusammen, in: Herder Korrespondenz 70 Heft
3 (2016) 25-28, hier S. 28. Die englische Version dieses Dokuments (with) würde vielleicht diese
deutsche Übersetzung (mit) erlauben, der griechische Text eher weniger, denn das Wort πρός ist
akribisch mit zu ins Deutsche zu übertragen.
168 Athanasios Vletsis

menischen Konzilien“ gelten; sehr verhalten ist nun (im Vergleich zu vorherigen Entwürfen)
die „Akzeptanz“ der „geschichtlichen Benennung der anderen Kirchen und Konfessionen“;
trotzdem wird die Teilnahme an ökumenischen Institutionen, wie v.a. ÖRK, KEK, bejaht; ein
(ökumenischer-bilateraler) Dialog wird fortgesetzt, auch wenn eine autokephale Kirche aus
diesem Dialog austritt; der Abschluss eines Dialogs wird erst im orthodoxen Konsensverfahren
erklärt; die Beteiligung – z.B. durch Informationen – des Kirchenvolkes wird positiv auf-
gegriffen und zugleich wird die Wichtigkeit des synodalen Lebens der Orthodoxen Kirche
bekräftigt, das als oberste Instanz in Fragen des Glaubens gilt; kein Proselytismus oder kon-
fessioneller Antagonismus ist erlaubt, zugleich distanziert man sich von fundamentalistischen
Kreisen (§ 22; dies geschieht expressis verbis im Text der langen Enzyklika des Konzils § 17).
Offen: Die Notwendigkeit der Klärung der „ekklesiologischen Frage“ (darunter: Gnade,
Sakrament, Amt, apostolische Sukzession) und damit die Aufstellung von ekklesiologischen
Kriterien der Wahrnehmung der anderen Kirchen als Kirchen wird in die Zukunft verschoben;
eine „Gleichheit der Konfessionen“ wird nicht akzeptiert; die Toronto-Erklärung39 soll jedoch
als Richtschnur gelten; Grundfragen kirchlichen Lebens, wie die Wiedertaufe, werden nur
mittelbar angesprochen (z.B. unter Verweis auf den 95. Kanon des Quinisextum/Penthekti,
691/92).40 Wird auch eine Rückkehr zur Orthodoxen Kirche mittelbar propagiert? (s. § 4)
Vergleich: Der Vorlagetext war viel offener (und jener wiederum eindeutig konserva-
tiver im Vergleich zu den vorherigen Vorlagetexten, z.B. zum Text der III. Vorkonziliaren
Konferenz, Genf 1986): die Rede von der „Wiederherstellung der verlorenen Einheit“ (Text
von 1986) ist nun vom Tisch und auch die „Anerkennung der geschichtlichen Existenz der
anderen Kirchen“ wird reduziert auf die Äußerung der „Akzeptanz“ der „geschichtlichen
Benennung“ dieser Kirchen als Kirchen, was genau so viele Diskussionen hervorrufen wird,

39 Ich betrachte es als sehr wichtig, einen Absatz (§ IV.3.) aus dieser Toronto-Erklärung von 1950
zu zitieren, die wirklich Sprengstoff für die traditionelle (exklusivistische) Wahrnehmung der
orthodoxen Ekklesiologie beinhaltet, was offensichtlich nicht allen Synodalen im Panorthodoxen
Konzil ersichtlich wurde: „Die Mitgliedskirchen erkennen an, dass die Mitgliedschaft in der Kirche
Christi umfassender ist als die Mitgliedschaft in ihrer eigenen Kirche. Sie sind deshalb darauf
bedacht, mit denen außerhalb ihrer eigenen Reihen in lebendigen Kontakt zu kommen, die Jesus
Christus als Herrn anerkennen. Alle christlichen Kirchen einschließlich der Kirche von Rom sind
der Meinung, dass die Mitgliedschaft in der Einen Heiligen Kirche sich nicht vollständig mit der
Mitgliedschaft in ihrer eigenen Kirche deckt. Sie erkennen an, dass es Mitglieder der Kirche „extra
muros“ gibt, und dass diese „aliquo modo“ zur Kirche gehören oder sogar, dass es eine „ecclesia extra
ecclesiam“ gibt. Diese Anerkennung kommt darin zum Ausdruck, dass die christlichen Kirchen mit
ganz wenigen Ausnahmen die von anderen Kirchen vollzogene Taufe als rechtmäßig annehmen.“ §
IV.4. „Die Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates sind der Meinung, dass die Frage nach dem
Verhältnis anderer Kirchen zu der Heiligen Katholischen Kirche, die in den Glaubensbekenntnissen
bekannt wird, eine Frage ist, über die ein gemeinsames Gespräch notwendig ist. Trotzdem folgt
aus der Mitgliedschaft nicht, dass jede Kirche die anderen Mitgliedskirchen als Kirchen im wahren
und vollen Sinne des Wortes ansehen muss.“ (Text aus: Hans-Ludwig Althaus (Hg.), Ökumenische
Dokumente. Quellenstücke über die Einheit der Kirche, Göttingen 1962, 104-113). Vgl. dazu auch
den Kommentar von J. Oeldemann, Die Heilige und Große Synode der Orthodoxen Kirche auf
Kreta. Eine erste Einordnung aus katholischer Sicht, in: Ökumenische Rundschau 66 Heft 1 (2017)
48-58, hier S. 53.
40 Dieser Hinweis auf den Kanon 95 des Quinisextum im Absatz 20, der im griechischen Vorlagetext
integriert war, fehlt in der griechischen und in der französischen Version des angenommen
Dokuments, wird aber in Englischen und in Russischen Version berücksichtig. Siehe: https://www.
holycouncil.org/-/rest-of-christian-world.
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 169

wie das berühmte „subsistit“ des II. Vatikanums (Lumen Gentium 8).41 Dieser Text hätte
eigentlich noch länger sein und eine konkrete Bilanz aus den vielfältigen Dialogen ziehen sol-
len. Unter dem Gesichtspunkt der heftigen Reaktionen, die gerade dieser eigentlich dürftige
Text verursacht hat, und wenn man bedenkt, dass einige Kirchen eindeutig die „Rückkehr zur
Orthodoxen Kirche“ gefordert haben und die anderen Kirchen überhaupt nicht als Kirchen
ansprechen wollten, kann man sagen, dass auch dieser Text doch ein Teil-Erfolg war.

G. Die Enzyklika des Konzils


Viele halten diesen Text als den besten Beitrag des Großen Konzils, gerade was den
Dialog der Orthodoxen Kirche mit der heutigen Welt anbetrifft. In der Enzyklika werden
viele von den Themen, die teilweise auch in den einzelnen Dokumenten behandelt werden,
nun offener auf den Dialog neu aufgestellt: das genaue Studium dieser Enzyklika, wie auch
ihrer verkleinerten Edition, der Botschaft der Synode42 – die während der Abschlussliturgie
in Chania, am 26. Juni verlesen wurde –, und ein Vergleich dieser Texte mit den ande-
ren Dokumenten soll noch eingehender erarbeitet werden; wahrlich eine aufwendige und
zugleich notwendige Prozedur, die den Orthodoxen bevorsteht, unterwegs zur Rezeption
der Heiligen und großen Synode der Orthodoxen Kirche. Wichtig ist bereits an dieser Stelle
hervorzuheben, dass der Text der Enzyklika sich dem Dialog mit dem modernen Weg kons-
truktiv öffnet, wenn z.B. der Fundamentalismus auch in den eigenen Reihen klar abgelehnt
wird, die Institution der Menschenrechte bejaht wird, wie auch der vielfältige Dialog mit
Wissenschaft, Technik, anderen Kirchen und Religionen und der säkularen Welt. Dieser
Dialog befindet sich in seinen Anfängen und hat einen langen Weg vor sich, wenn z.B. die
„Ideologie des Säkularismus“ verurteilt wird, weil sie „die volle Autonomie des Menschen
von Christus und dem geistigen Einfluss der Kirche“ propagiert. Ein oft unterschwellig
apologetischer Ton wirkt sicherlich kontraproduktiv für den unvoreingenommen Dialog der
Kirche mit der heutigen Welt. Vielversprechender können jedenfalls die ekklesiologischen
Ausführungen der Enzyklika klingeln, auch und gerade im Vergleich zum Text über die
Beziehung zu der übrigen christlichen Welt, wenn eine exklusive Ekklesiologie nicht mehr
so vertreten wird, wie im „Ökumene“-Dokument, und dies ohne zugleich die vertrauten
Fundamente orthodoxer Ekklesiologie zu verlassen. 43

41 S. Tsompanidis analysiert in seinem Beitrag sehr treffend dieses Dokument und vergleicht sehr
informativ zwischen den verschiedenen Versionen von Vorlagedokumenten.
42 Die Entstehung der zwei Grundtexten des Konzils, der Enzyklika und der Botschaft hat souverän K.
Delikostantis, der auch Mitglied des Sekretariats des Konzils war, in seinem Beitrag in diesem Heft
präsentiert.
43 Zu diesem Ergebnis, bzgl. dem allgemeinen Stellenwert der Enzyklika wie auch bzgl. der Ekklesiologie,
kommen sowohl der orthodoxe Theologe Ioan Moga, (s. seinen Beitrag: Die Orthodoxe Kirche nach
dem Konzil auf Kreta, in: Religion und Gesellschaft in Ost und West, 44 Heft 1 [2016] 8-10) als
auch der katholische Theologe J. Oeldemann, Nach dem Konzil (s. Anm. 35), S. 35: „Der Begriff
„authentische Fortsetzung“ vermeidet eine exklusivistische Identifizierung der Orthodoxen Kirche
mit der Kirche Jesu Christi und lässt Raum für theologische Reflexionen über den ekklesiologischen
Status der anderen christlichen Kirchen.“ Eine unterschiedliche Auffassung vertritt zu diesem Punkt
A. Müller, der das „Ökumene“-Dokument „hingegen in vielem ausgewogener als die Enzyklika und
die Botschaft“ findet.
170 Athanasios Vletsis

III. Verrat an der Orthodoxie: Was wird diesen Texten vorgeworfen?


Nicht nur vor, sondern auch während und jetzt nach dem Ende des Konzils wird von einer
Reihe von Kirchen und v.a. von einzelnen Personen, darunter auch von einigen Bischöfen,
die am Konzil teilgenommenen und einzelne Dokumente nicht mitunterschrieben haben,
laut Kritik geäußert. Die Kritik wurde öffentlich vorgetragen, v.a. auf der Homepage von
bekannten kirchlichen Portalen, womit sich ein großer Teil des Kirchenvolkes zwischen den
vorgetragenen Argumenten hin und her gerissen sieht. Die Palette der Stimmen reicht von
der Kritik an einzelnen Konzilsdokumenten bis hin zur pauschalen Ablehnung des Konzils.
Vereinzelt ist aber auch von Stimmen zu hören, die diese Kritik erwidern, das Autokephalie-
System der Orthodoxie als einen verkappten „Ethnophyletismus“ anprangern und diese
Mentalität der Absonderung in die eigene vertraute Nische verantwortlich für die Probleme
in der Orthodoxie machen.44 Von ökumenisch gesinnten Stimmen in der Orthodoxie, die
dem Konzil seine Kapitulation vor fundamentalistischen Kreisen attestieren, ist bis jetzt eher
vereinzelt zu hören.45 Auch im Folgenden kann nur stichwortartig auf die m.E. wichtigsten
Kritikpunkte eingegangen werden.
III. 1. Vorerst wird von den Kirchen, die am Konzil nicht teilgenommen haben, aber
auch von anderen Kreisen die Vernachlässigung bzw. Nicht-Einhaltung der „Einstimmigkeit“
als Methode der Entscheidungsfindung kritisiert, wie sie auch in der ganzen Zeit der
Vorbereitung des Konzils galt und was auch in der Satzung des Konzils vorgesehen ist (§ 11,
2). Gerade dieser Punkt macht jedoch die Klärung der nicht immer einheitlich verwendeten
Terminologie erforderlich: Einstimmigkeit–omofonia–consensus–unanimously. Wenn die
Orthodoxe Kirche die Methode des Konsenses gerade als Bedingung für ihre Beteiligung
dem ÖRK aufgedrängt hat, warum ist sie nicht fähig, dieses Verfahren auch innerorthodox
anzuwenden?46 Was nun, wenn die Suche nach einer sehr eng gefassten Einstimmigkeit die
Entscheidungsfindung in der Kirche total lähmt? Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios
hat in seiner Rede (22.01.2016) während der Versammlung (Synaxis) der Orthodoxen
Vorsteher in Chambésy genau auf diesen Punkt hingewiesen und für die offene Interpretation
der Konsens-Entscheidungsfindung plädiert,47 was auch zum Teil während der Synode prakti-

44 Vgl. dazu den Beitrag von Bischof Kyrillos Katerelos in diesem Heft, sowie auch das zitierte Buch
von E. Synek (s. Anm. 14).
45 S. den Beitrag von G. Vlantis in diese Richtung (Anm. 14).
46 Im Abschlussbericht der Sonderkommission für die Zusammenarbeit der Orthodoxen
im Ökumenischen Rat der Kirchen (angenommen im Jahr 2002) wird die Prozedur
der Entscheidungsfindung durch Konsens sehr ausführlich erläutert. Den Text der
Sonderkommission siehe in: https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/
assembly/2006-porto-alegre/3-preparatory-and-background-documents/final-report-of-the-special-
commission-on-orthodox-participation-in-the-wcc?set_language=de .
47 „… the concept of consensus, and not unanimity, internationally signifies that if one or more
delegations disagree with a specific proposal and choose to formulate their own, an effort must be
made to accept the opinion or proposal of these delegations; however, in the case where consensus is
not achieved on the counter-proposal, then this disagreement – should those disagreeing persist – is
recorded but does not invalidate the original position that resulted in the disagreement, while those
disagreeing sign the original text and, should they so wish, record their disagreement. If someone
declines to sign the text, this would imply veto, which would lead to an impasse. A second matter
that requires clarification is whether consensus refers to those present during the deliberations
‚of a body or requires the physical presence of all members of the body‘. If we accept the latter,
then any absence or else voluntary and deliberate absenteeism of some members would lead to
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 171

ziert wurde; denn die abweichenden Meinungen von den Bischöfen, die gewisse Dokumente
nicht mit unterzeichnet haben, wurden protokolliert. Man darf dann gespannt sein auf die
Publikation der Akten des Konzils.
III. 2. Absolute Zielscheibe der Kritik von fundamentalistischen Kreisen ist der Text über
die Beziehung der Orthodoxen Kirche „zu der übrigen christlichen Welt“ (s. oben: II. F.):
Wenn die Orthodoxe Kirche die anderen „Heterodoxen“ als Kirchen anerkennt, dann wird ihr
Selbstbewusstsein preisgegeben, die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche zu sein,
was im Dokument ja auch behauptet wird; wenn das zweite zutrifft – und darüber besteht unter
den Orthodoxen kein Zweifel: die eigentliche Frage ist aber, wie dieses „Selbstbewusstsein“
interpretiert wird: exklusivistisch? –, dann bliebe, nach diesen Kreisen, nur eine Lösung
übrig: die Rückkehr der von der Orthodoxen Kirche abgespaltenen Gliedern. Wie sich
diese Kreise die Rückkehr zur Orthodoxie vorstellen, wird aber nirgendswo erklärt: weder
wurde jemals von allen Orthodoxen Kirchen ein Katalog von „Häresien“ erstellt,48 denen
die anderen „Konfessionen“ abzuschwören hätten (vorausgesetzt: würden sie einmal nicht
mehr „häretisch“ sein wollen), noch wurde im positiven Sinn dargelegt, wie denn strukturell,
und damit auch sichtbar, eine solche „Rückkehr“ zu gestalten sei. Die nicht Thematisierung
bzw. das bewusste Verschweigen des bisher im ökumenischen Dialog Erreichten und die
Unkenntnis dessen, was alles als Modelle der Kircheneinheit in den ökumenischen Dialogen
diskutiert wird, ist gravierend. Hier sehe ich den größten Nachholbedarf, denn diese totale
Ignoranz dessen, was Ökumene bedeutet und durch die ökumenischen Dialoge erreicht
werden kann, ist in der Orthodoxen Welt größtenteils selbstverschuldet, wenn z.B. Bischöfe
oder Priester, die der Ökumene gegenüber offenstehen, ihr Kirchenvolk nicht entsprechend
informieren wollen.
III. 3. Ebenso wird dem Text über „die Sendung der Kirche in der heutigen Welt“
Verrat an der Orthodoxie vorgeworfen, wenn auch hier die Kritik weniger scharf ausfällt:
die Orthodoxe Kirche, nach diesen Vorwürfen, gibt ihren Hauptauftrag auf, die anderen,
nicht gläubigen Christen, Angehörigen von anderen Religionen oder einfach Atheisten zu
missionieren, was im Dokument nur sehr verhalten zum Ausdruck kommt.
III. 4. Eine nächste Welle von massiven Vorwürfen betrifft die Satzung und konkret
die Repräsentation von Kirchen und konkreter von Bischöfen am Konzil: weder ist die
Gesamtkirche vertreten, – die Anzahl von nur 24 Bischöfen aus jeder autokephale Kirche

dissolution of the body on the premise of lack of consensus.“ Die Rede des Ökum. Patriarchen
Bartholomaios in Chambésy: https://www.orthodoxcouncil.org/web/ecumenical-patriarchate/-/
keynote-address-by-his-all-holiness-ecumenical-patriarch-bartholomew-to-the-synaxis-of-the-
primates-of-the-orthodox-churches-geneva-22-01-2016-.
48 In der Enzyklika von 1848 von vier Patriarchen (Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und
Jerusalem), als Antwort an die Adresse der Römisch-Katholischen Kirche, wurden eine Reihe von
„Häresien“ dieser Kirche aufgelistet, von denen jedoch die meisten im Prozess des ökumenischen
Dialogs bereits geklärt sein sollten. Kann diese Enzyklika als eine verbindliche panorthodoxe
Stellungnahme wahrgenommen werden, die immer noch heute, ohne Berücksichtigung ihres
Kontextes und ohne jegliche Aktualisierung, ihre Geltung beanspruchen? Diese Enzyklika wurde
jedenfalls nicht zwischen den anderen früheren synodalen Entscheidungen vom Panorthodoxen
Konzil kommemoriert bzw. „sanktioniert“. G. Larentzakis bekräftigt die Meinung, die auch von
anderen Orthodoxen Theologen geteilt wird (Larentzakis verweist u.a. auf V. Pheidas), dass „die
Römisch-Katholischen, die Altkatholischen, die Anglikaner und die Protestanten Gläubigen nicht
durch einen amtlichen Akt von der Orthodoxen Kirche als Häretiker verurteilt worden sind“: G.
Larentzakis, Häresie und Schisma heute, in: Synaxis, Heft 143 (2017) 5-18 (griech.).
172 Athanasios Vletsis

schließt die große Mehrheit von ihnen aus –, noch entspricht die „Blockabstimmung“,
nämlich nach autokephalen Kirchen, der Praxis der alten Konzilien und dem „Ethos“ der
Orthodoxie. Diese Art der Repräsentation und Abstimmung degradiert die Große Synode
lediglich zu einem „Patriarchenkonzil“49, alle anderen Synodalen werden dann einfach zu
„Marionetten“ ihrer Patriarchen bzw. Kirchenoberhäupter. Während des Konzils wurde
jedoch keinem Bischof, der sich auf der Rednerliste eingetragen hat, das Wort verweigert.
Auch spontan, wie es berichtet wurde, konnten viele Bischöfe das Wort ergreifen und
zur aktuellen Debatte Diskussionsbeiträge liefern, darüber hinaus konnten sie mit ihrer
Unterschrift die Annahme von Einzelnen Dokumenten bestätigen oder auch nicht. Gewiss
bleibt die Art der Repräsentation und der Abstimmung ein offener Punkt, auf den ich noch
unter IV.4. zurückkommen will.
III. 5. Der Personbegriff ist für die Kritiker nicht in der Anthropologie anwendbar, son-
dern nur in der Triadologie/Christologie. Die Defizite der Klärung von Grundprämissen
einer theologischen Anthropologie sind hier, insbesondere zwischen diesen Kreisen, groß.
Es geht aber dabei, wie man aus den Lektüren der Literatur und des Briefwechselns den
Eindruck gewinnt, nicht nur um theologische Debatte, sondern auch um stark persönlich
akzentuierte Auseinandersetzungen, die nicht frei von einer gewissen Eitelkeit sind.50
III. 6. Die beschlossenen Texte können nicht das reale Leben der Kirche widerspiegeln: für
die konservativen Kreisen sind diese Themen längst in der kanonischen Überlieferung, bzw.
vom „Phronema“-Gewissen der Kirche beantwortet worden; für die progressiven Kreisen
wiederum werden aktuellen Themen vermisst, zu denen sich ein Panorthodoxes Konzil
gerade heute hätte positionieren sollen, wie z.B. die Rolle der Frau in der Kirche51 oder
die konkrete Stellungnahme zu einer Reihe von Herausforderungen, die von den modernen
Wissenschaften gestellt werden. Eine andere Welle von kritischen („progressiven“) Stimmen
richtet sich gegen eine (vermeintlich?) antimodernistische Haltung der Orthodoxie, die sich
schwer tut, einen konstruktiven Dialog mit der (postmoderne) Welt zu führen.52 Man vergisst

49 Repräsentativ dafür ist die Stellungnahme von Bischof Irinej Bulović. (s. Anm.13.). Vgl. auch J.
Oeldemann in seinem Beitrag in der Ökumenischen Rundschau (s. Anm. 39).
50 Die Gründe für diese Ablehnung hat der federführende Metropolit von Nafpaktos Hierotheos (Vlachos)
in mehreren Texten, gerichtet an die „Hl. Synode der Kirche Griechenlands“, dargelegt: http://www.
parembasis.gr/index.php/el/menu-agia-megaln-suvodos oder s. direkt seinen Text: http://www.
parembasis.gr/images/AGIA_MEGALH_SYNODOS_2016/04-NI-IS-AMSOE_05-03-2016.pdf.
Nach seiner Interpretation führt uns der Begriff Person (in der Anthropologie) zu „Arianismus,
Nestorianismus und Monothelitismus“ zurück, weil die Natur mit Notwendigkeit und Zwang
identifiziert und die Person mit dem Willen und der Liebe verbunden wird, wenn z.B. die Anhänger
dieser Person-Anthropologie von einem hypostatischen Willen (thelisis), hypostatischer Energie etc.
sprechen, wo hingegen in der patristischen Theologie der Willen der Natur zugeordnet wird. In den
Dokumenten des Konzils ist jedoch nirgendwo eine solche Interpretation dieser Begriffe zu finden.
Außerdem ist die Palette um die Interpretation des Person-Begriffs in der neueren orthodoxen
Theologie sehr reich, so dass diese verkürzte Wahrnehmung der Sache, um die es hier geht, nicht
gerecht wird.
51 Vgl. N. Vasilevich, Die Stille der Frauen am Heiligen und Großen Konzil, in: Religion und Gesellschaft
in Ost und West 44 Heft 11 (2016) 22-24.
52 S. dazu den Beitrag von V. Makrides, Zwischen Tradition und Erneuerung. Das Panorthodoxe Konzil
2016 angesichts der modernen Welt, in: Catholica 71 Heft 1 (2017) 18-32. So hat auch treffend
B. Hallensleben in ihrem Beitrag bemerkt: „In dieser Perspektive könnte auch aus orthodoxer
Perspektive eine differenziertere Würdigung der ‚säkularen Welt‘ möglich werden.“
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 173

jedoch dabei, dass die Themen auf der Tagesordnung des Konzils längst ausgewählt worden
waren; es ist gut verständlich, dass in einer so langen Zeit der Vorbereitung des Konzils neue
Themen auftauchen oder Prioritäten anders gesetzt werden. Dafür konnte die Enzyklika die
ersten Weichen einer redlichen Aufnahme eines Dialogs mit der Welt stellen; konkrete und
konstruktive Arbeit könnte in panorthodoxen Kommissionen weiter geleistet werden.
III. 7. Die kritischen Stimmen zur Autokephalie-Struktur (in) der Orthodoxie sprechen
von einem Wiederaufleben des „Ethnophyletismus“, was von vielen orthodoxen Patriarchen
synodal (bereits 1872) verurteilt worden ist. Sie schlagen jedoch keine Alternative vor, welche
andere ekklesiale Struktur das System der autokephalen Kirchen ersetzen könnte.53

IV. Rezeptionsprozess als „Deus ex machina“54?


Was erhofft sich ein Orthodoxer aus dem panorthodoxen Konzil?
„Die Orthodoxe Kirche verurteilt jeden Bruch der Einheit der Kirche unter dem
Vorwand der Verteidigung der echten Orthodoxie. Das Aufbewahren des echten orthodo-
xen Glaubens wird nur durch das synodale System gewährleistet, das von alters her in der
Kirche der verbindliche und letzte Richter zu Themen des Glaubens ist“ (s. im Dokument
„Beziehungen...“, § 22.). Was aber nun, wenn dieses synodale Leben sich als unfähig erweist,
den Bruch im Schoß der Kirche zu vermeiden? Den durch die Absage von vier autokephalen
Kirchen entstandenen Riss in der Orthodoxie sollte man gar nicht ignorieren, ja man ist gut
beraten, dies sehr ernst zu nehmen und Schritte für die Beilegung des Konflikts einzuleiten.
Tröstlich kann jedenfalls aus der Geschichte von ökumenischen Konzilien die Lektion sein:
die Entscheidungen, auch und gerade von (den sieben „kanonisierten“) Ökumenischen
Konzilien, wurden immer durch einen oft langen Prozess der Rezeption ins Leben der Kirche
integriert. In dieser Hinsicht soll man dann offen sein und noch nicht das letzte Wort spre-
chen, aber doch tüchtig und konsequent weiter die Bemühungen intensivieren.
Den Lernprozess auf diesem langen Weg meiner Kirche möchte ich folgendermaßen
zusammenfassen:
IV. 1. Die Orthodoxie ist sich ihrer globalen Dimension und zugleich auch ihrer
Verantwortung bewusst geworden, ja sie ist durch diese langjährige Prozedur (der Einberufung
des panorthodoxen Konzils) eine „Weltkirche“ geworden, auch mit ihren Brüchen und
Rissen.55
IV. 2. Die Beziehungen zwischen den orthodoxen Kirchen wurden durch diese langen
Anstrengungen nicht nur auf eine harte Probe gestellt, sondern zugleich neu entdeckt und
thematisiert: die Orthodoxen nehmen nun konkret Kenntnis von einander, sei es auch (nicht

53 A. Kallis wagt in seinem Beitrag wirklich ganz neue Vorschläge bzgl. einer neuen Formierung der
Panorthodoxie zu unterbreiten. Vgl. auch die Ausführungen in seinem Buch „Auf dem Weg zum
Konzil“ (s. Anm. 29), S. 629-641.
54 Der Ausdruck ist eine bewusste Anspielung auf und zugleich eine Differenzierung zum folgenden
Text von A. Kallis, Auf dem Weg zum Konzil (s. Anm. 29) 640: „Insofern geht die ungeduldige
Frage, wann die orthodoxe Kirche zu ihrem Konzil kommen wird, von einem unorthodoxen
Konzilsverständnis aus, nach dem das Konzil als eine Instanz betrachtet wird, die einem Deus
ex machina oder Papstkollektiv gleich, die anstehenden Probleme löst und auf alle Fragen eine
verbindliche Antwort gibt.“
55 Die Rede von „Weltkirche“ geht zurück auf den bereits zitierten Beitrag von J. Oeldemann in: Herder
Korrespondenz 70 Heft 3 (2016) 27 (s. Anm. 38): „… Die Orthodoxe Kirche hat sich im 20. Jh.
zu einer weltweiten Kirche entwickelt, die nicht mehr auf die ‚traditionell‘ orthodoxen Länder
beschränkt ist.“
174 Athanasios Vletsis

selten) im negativem Sinn, wie die Vorwürfen von den vier vom Konzil abwesenden Kirchen
anschaulich machen. Aber auch aus dieser Negation kann man lernen, sogar viel56: Mag
sein, dass kurzfristig die Tendenz zur Isolation im eigenen kirchlichen „Territorium“ bei
einigen die Oberhand gewinnt; längerfristig wird das Zurückziehen in die eigene Nische
nicht mehr einfach fallen – es sei denn die politische „Großwetterlage“ torpediert gänzlich
den Weltfrieden, was auch die Einheit der Orthodoxen Welt noch weiter gefährden könnte.
IV. 3. Das Gleiche gilt auch hinsichtlich aller Misserfolge auf dem Weg zur Einberufung
der Panorthodoxen Synode – und dies sind nicht gerade wenige. Aus den nicht fertiggestellten
Vorlagetexten (v.a. zur Autokephalie-Proklamation und zu den Diptychen), aus den offe-
nen „Baustellen“ (Kalenderfrage), aus den Missverständnissen bzgl. Entscheidungsfindung
(„Einstimmigkeit“ – Konsens-Methode), aus den heute brennenden Fragen, die gar nicht
thematisiert wurden etc., kann nun eine neue Verantwortung wachsen, die zu mehr
Sensibilität füreinander führt.
IV. 4. Die Engpässe bzgl. der Entscheidungsfindung (Repräsentation von Kirchen
– Abstimmung in Blöcken) sind eigentlich in der Orthodoxie hausgemacht; denn die
Formierung der Orthodoxie in eine Reihe von autokephalen Kirchen bringt die Spannung
mit sich, welche oft ein gutes Stück der Spannung von realpolitischen (sehr oft geostrate-
gischen) „Blöcken“ widerspiegelt. Dennoch: dieser Kompromiss-Modus der Abstimmung
(„Konsens“ bzw. Einstimmigkeit auf der Ebene von autokephalen Kirchen, die aber zuvor
intern, nach dem Mehrheitsprinzip, ihre Entscheidungen getroffen haben; außerdem tragen
die synodalen Bischöfe die beschlossenen Text mit ihrer Unterschrift mit, oder auch nicht)
kann auch eine Chance sein für die Artikulierung der Sorgen von kleineren Kirchen. Wenn
jedoch die Konsens-Methode angewandt werden soll, so wie diese der Ökum. Patriarch
Bartholomaios in seinem Eingangsreferat in der Synaxis in Chambésy beschrieben hat, dann
sehe ich keinen Grund, warum nicht auch die Abstimmung nach autokephalen Kirchen
ersetzt werden kann. Die Möglichkeit, dass alle synodalen Bischöfe persönlich ihre Stimme
abgeben, stets im Rahmen des Konsens-Verfahrens, d.h. wo die abweichenden Stimme
protokolliert werden, ohne mit einem Veto-Recht die Entscheidung zu blockieren, kann
sogar eine Chance sein, die engen Grenze der eigenen Autokephalie zu überwinden und
interorthodoxe Allianzen quer durch die autokephalen Kirchen zu bilden. Eine Gefahr, dass
somit eine größere autokephale Kirche ihren Willen einer kleineren aufdrängen wird, sehe ich
nicht, jedenfalls solange alle autokephalen Kirchen durch die gleiche Anzahl von synodalen
Bischöfen vertreten werden. Sicherlich wäre die Anwesenheit von allen Bischöfen ein gutes
Ideal, dann stellt sich aber die Frage nach einer breiteren Repräsentation der Kirche auch und
gerade durch das Kirchenvolk, wie dies z.B. der Fall bei der Wahl von Oberhirten in einigen
autokephalen Kirchen ist. Auf diese radikalen Schritte, die u.a. eine Überwindung der Ängste
um die Macht der Jurisdiktionen oder die Macht der Zahlen voraussetzen, ist jedoch die
Orthodoxe Welt noch nicht vorbereitet. Eine Lösung würde sich evtl. mit einer ganz neuen
Formierung des Autokephalie-Systems in der Orthodoxie anbahnen, die insbesondere eine
unmittelbare Wirkung auf die Diaspora hätte; oder vielleicht hätte eine neue Formierung der
Diaspora zu einer neuen Strukturierung auch der Gesamt-Orthodoxie beitragen können57;
denn gerade die Diaspora-Frage wird in der Orthodoxie als die erste große Zukunftsaufgabe

56 In seinem Beitrag plädiert I. Moga gerade auf eine nicht triumphalistische Wahrnehmung des Konzils,
was den Orthodoxen nur helfen kann, auch die eigenen Risse und Versäumnisse zu thematisieren.
57 Vgl. dazu meinen Beitrag: Fragmentierung oder ökumenische Öffnung der Orthodoxie? Plädoyer
für eine neue Beziehung zwischen Universalität und Lokalität der Kirche, in: Catholica 71 Heft 1
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 175

markiert: Vielleicht ist aber diese Aufgabe, nämlich einer neuen Formierung von lokalen
(d.h. „Autokephalen“) Kirchen nicht innerorthodox zu bewältigen, sondern nur im Kontext
der Gesamtchristenheit durch eine neue Wahrnehmung des Dienstes an der Einheit von
christlichen Kirchen, die große Aufgabe einer wahrlich ökumenischen Kirche.
IV. 5. Die Orthodoxe Kirche lernt allmählich, ihre Lehre positiv zur Sprache zu bringen
und sie nicht lediglich apophatisch schützen zu wollen. Gewiss kann der Weg bis hin zur
Gestaltung einer Art „Weltkatechismus“ für orthodoxe Kirchen sehr lang sein, ist aber auch
unausweichlich, will die Kirche ein Zeugnis ihres Glaubens verständlich heute in der Welt
ablegen.58 Die Beteiligung des Kirchenvolkes markiert in jeder Hinsicht ein großes Defizit
in der orthodoxen Welt;59 die Schuld ist aber hier geteilt: nicht nur die Hierarchen und die
Priester, die sicherlich die erste Verantwortung tragen, ihr Kirchenvolk zu informieren, sind
gefragt, sondern auch die einfachen Gläubigen, die sich so einfach zurückziehen in einer
hesychastischen Schau des Glaubens, und sich damit einfach von eifrigen Heilsbotschaften
und Heilsversprechern manipulieren lassen, die oft sehr fragwürdige und unüberschaubare
Ziele verfolgen.
IV. 6. Damit kann man aber von der berechtigten Hoffnung getragen werden, dass dieser
Weg nicht das Ende ist, sondern gerade der Anfang, ja jedes Mal ein neuer Anfang der
Erneuerung der „Hoffnung in uns“.60 Das synodale Leben kann somit das ganze Leben der
Kirche zu einem konziliaren Prozess verwandeln. Für diejenigen, die eine ideale Lösung von
allen Teilfragen vor der Einberufung des Konzils erwartet haben, muss man betonen, dass
unter den gegebenen Umständen der kirchenpolitischen Konstellation, und nicht zuletzt
unter der mangelhaften Vorbereitung des Kirchenvolkes, das Endresultat sich wahrlich sehen
lassen kann. Es wurde aus der Stagnation und der Blockadepolitik von einigen Kirchen ein
Weg geöffnet, der nicht mehr zur Isolation zurückführen kann, denn das was v.a. auf dem
Spiel stand und steht, ist die Synodalität der Orthodoxie wieder zu beleben und funktionie-
ren zu lassen.

(2017) 44-51; dort habe ich versucht, die Lösung des Problems der Diaspora als einen möglichen
Katalysator für eine neue Strukturierung der Orthodoxen Kirche zu interpretieren.
58 Inzwischen hat die ROK auf ihrer Homepage den Entwurf eines Katechismus der Orthodoxen
Kirche hochgeladen zur Kenntnisnahme und zur Positionierung auch des orthodoxen Volkes,
wahrlich ein sehr mutiger Schritt (s.: http://theolcom.ru/images/2017/%D0%9A%D0%B0%D1
%82%D0%B5%D1%85%D0%B8%D0%B7%D0%B8%D1%81%D0%A1%D0%91%D0%9
1%D0%9A_%D0%9F%D1%80%D0%BE%D0%B5%D0%BA%D1%82.pdf ). Man fragt sich
jedoch, als Mitglied einer anderen orthodoxen Kirche: Welche Verbindlichkeit kann dann dieser
Katechismus innerhalb der gesamten Orthodoxie beanspruchen? Ist nicht gerade dieser Schritt die
Aufgabe eines Panorthodoxen Konzils?
59 Treffend bemerkt dazu I. Moga in seinem Beitrag: „Dazu gehört auch eine Bildungsoffensive, damit
das im ökumenischen offiziellen Dialog Erreichte zumindest in den Grundzügen kritisch vermittelt
wird.“
60 In dieser Richtung sehr ermutigend finde ich den Kommentar von B. Hallensleben in ihrem
Beitrag in diesem Heft. „Die panorthodoxe Synode ist nun möglich, weil sie wirklich geworden ist“,
bemerkt sie scharfsinnig, und weiter: „Die Wirklichkeit sollte nicht negiert, sondern konstruktiv in
die Zukunft geführt werden. Dann ist es auch nicht mehr nötig, die Synode von Kreta zu einem
‚vorläufigen‘ Schritt auf dem Weg zur ‚wahren‘ panorthodoxen Synode zurückzustufen, denn jeder
unserer Schritte ist vorläufig im Hinblick auf das Eschaton.“
176 Athanasios Vletsis

Ein Folge-Panorthodoxes Konzil wurde inzwischen, wenn auch nicht ganz verbindlich,
ins Auge gefasst: in der Botschaft ist die Rede von sieben bzw. von zehn Jahren.61 In ver-
änderten Zeiten sollte man auch nach neuen Lösungen im synodalen Leben und in der
Kommunikation der Kirchen suchen; die Vergangenheit kann diesbezüglich nicht immer
behilflich sein. Sicherlich ist dies keine einfache Aufgabe, es ist aber das Gebot der Stunde,
damit die Kirche in einer einheitlich agierenden Welt ihr Zeugnis von der von ihr getragenen
Hoffnung ablegen kann. Die Arbeit an einer besseren Koordination zwischen den orthodoxen
Kirchen soll auf jeden Fall intensiviert werden, um den vorhandenen Dissens zwischen den
autokephalen Kirchen beizulegen. Eine Teil-Lösung wäre es, die Arbeit von panorthodoxen
Kommissionen zu konkreten Fragen, wie Bioethik etc., zu kultivieren und zu intensivieren,
was erst recht dieses synodale Leben beflügeln und somit das Leben der Kirche in einen
ständigen konziliaren Prozess verwandeln kann, der stets weitere Kreisen zieht. In diesem
Sinn kann nach dem bekannten Sprichwort gelten; „Der Weg ist das Ziel“.62
Wie der Sprecher des Ökum. Patriarchats, Erzdiakon John Chryssavgis, treffend in einem
Interview am 15.06.16 bemerkte: „Einheit ist das Ziel/Ende, nicht der Startpunkt; keine
Synode ist zusammengekommen, um lediglich ihre Einheit zu feiern, sondern um die Einheit
größer werden zu lassen; diese wird vom Hl. Geist gefüllt und vervollkommnet, der das
Fehlende ersetzt.“63
Die Wahrheit ist nicht ein ideologischer (Glaubens-)Satz. Die Wahrheit in jeder christli-
chen Kirche ist ihr Herr (vgl. Joh 14,6). Wahrheit wird erst dann richtig in Koinonia erlebt
und demgemäß auch kommuniziert und formuliert. Die Wahrheit wird immer in dem Maße
breiter erfasst, wie diese Koinonia sich öffnet, gerade als Koinonia aller Kirchen Jesu Christi.
Und die Christen sollten auf dem Weg zum Reich Gottes auch nicht vergessen: „… wir sehen
jetzt durch einen Spiegel, undeutlich, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne
ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, gleichwie auch ich erkannt worden bin“ (1
Kor 13,12).
Die Orthodoxe Kirche, wie auch jede Kirche, lebt weiterhin mitten auf ihrem Weg zum
Reich Gottes nicht nur aus den eigenen Anstrengungen, sondern vorerst aus dem Reichtum
der empfangenen Gnade: Die Orthodoxie hat gelernt, diesen Reichtum v.a. in gottes-
dienstlichen Formen zu prägen, die als „Refugium“ das Leben für jene letzte Transzendenz

61 Der Text der Botschaft (message) des Konzils, Punkt 1., lautet in der englischen Version: „During
the deliberations of the Holy and Great Council the importance of the Synaxes of the Primates
which had taken place was emphasized and the proposal was made for the Holy and Great Council
to become a regular Institution to be convened every seven or ten years.“ Merkwürdigerweise fehlt
im griechischen Text die konkrete Angabe von Jahren (es fehlt der Satzteil: to be convened every
seven or ten years). Ionita zitiert in seinem Beitrag aus der Eröffnungsansprache des Rumänischen
Patriarchen Daniel, der in dieser Richtung eines Nachfolgekonzils konkrete Vorschläge unterbreitet
hat.
62 Damit möchte ich etwas modifiziert den letzten Satz im Buch von A. Kallis (s. Anm. 29) aufgreifen:
„Dieser Hoffnung auf Erkenntnis, der die ungeduldige Eile der Konzilsinitiatoren widerstrebt, ist
auch die vorliegende Dokumentation gewidmet, darum gilt sie dem Weg – nicht dem Ziel“. Man
sollte an dieser Stelle daran erinnern, dass Kallis sein Buch im Jahr 2013 publiziert hat, lange vor der
letzten intensiveren Phase der Einberufung des Konzils, die mit der Synaxis in Konstantinopel (März
2014) eingeleitet wurde.
63 Das Interview zu lesen (griech.) unter: http://www.romfea.gr/epikairotita-xronika/8905-i-agia-
sunodos-tha-einai-i-megaluteri-sugkentrosi-tis-orthodojis-ekklisias?tmpl=component&print=1&p
age=
Das Ende oder der Beginn des synodalen Lebens in der Orthodoxie? 177

offenhalten können, die Gott von uns gläubigen Menschen fordert. Der weitere Lernprozess
der Entfaltung und Artikulierung des Glaubens im jeweiligen Jetzt ist eigentlich eine unend-
liche Aufgabe. Auch das wenige Gewonnene ist viel, denn es wird zu einem Mehrwert addiert
auf dem Weg zum Reich Gottes.

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