Sei sulla pagina 1di 7
Utopien Ein Lesebuch Herausgegeben von Nicola Bardola Fischer Taschenbuch Verlag oer) Orne ‘erat im cher Tachenbuch Veg cinem Unternehmen derS, Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, Juni 2012 © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012 Satz: Darlemann Satz, Lemforde Druck und Bindung: CPI ~ Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-596-99391-7 Unsere Adresse im Internet: fischerverlage.de Inhalt ‘Txonas Morus: Bei den Utopiern Francis Bacow: Eine Stadt des »Hauses Salomons« . JonarHan Swrer: In Lilliput . Dantet Deroe: Auf der Insel Jonann Gorrrnten Scunaset: Eine finstre Héhle . Joues Verwe: Am Ufer des Grant-Sees Samuet Burter: Brewhon .... 2. Epwarp BettaMy: Die StraBen Bostons H.G. Wetts: Im Tal der weilten Sphinx ‘Avrreo Kusty: Das Traumland JewGenty Sansyarin: Der Binzige Stat AtrRep Déstin: Die Gewalbe der Turmaline Atpous Hoxtev: In einer wohlgeordneten Gesellschaft Franz Werret: Auf dem Rubelager des Comptoirs Georce Orwett: Links vom Teleschirm Ennst Jénoer: An Bord des »Blauen Aviso Ray Brapsury: Die Feuerwache Anno Script: IRAS . Atty Conpre: Im Museum Nachwort Quellenverzeichnis . . cos to SSE ESE TOT SamUEL BUTLER Erewhon Im folgenden Kapitel sollen ein paar Beispiele dafiir angefihrt werden, wie die Erewhonier das behandeln, was bei uns Un- gliick, Schicksalsschlag oder Krankheit heift; zuerst méchte ich jedoch darauf zurtickkommen, wie sie in Fillen verfahren, die bei uns unter das Strafgesetz fallen. Dergleichen ist hier, wie gesagt, rechtlich nicht strafbar; hingegen wird nicht bestritten, daf es unerwiinscht ist, Infolgedessen gibt es die Psychortho- piden, die sogenannten Seelenstrecker, wrtlich »einer, der das Kramme zurechtbiegte. Diese tiben ihren Beruf ungefihr so aus wie bei uns die Arzte und erhalten bei jedem Besuch halb ver- stohlen ein Honorat, Man hat ebensowenig ein Geheimnis vor ihnen wie bei uns vor dem Arzt und befolgt willig ihre Anwei- sungen, weil jedermann wei, da es in seinem eigenen Interesse liegt, maglichst bald gebessert zu sein, und daB sie deswegen nicht scheel angeschen werden, wie es bei kérperlichen Stérun- gen der Fall ware, wenn sie sich auch einer sehr schmerzhaften Behandlung unterziehen miissen. ‘Wenn ich sage, da8 sie nicht scheel angesehen werden, heitft das nicht, da® cin Erewhonier nicht gesellschaftlich darunter zu leiden hat, wenn er, sagen wir, Betriigereien begangen hat. Freunde werden ihn meiden, weil der Verkehr mit ihm nicht mehr so erquicklich ist, genau wie wir wenig Lust haben, mit denen zu verkehren, die arm oder krinklich sind. Niemand, der seine Selbstachtung bewahren will, wied sich gefahlsmafig auf gleich und gleich stellen mit denen, die schlechter wegge- kommen sind als er beziiglich ihrer Herkunft, Gesundheit, Ver- magensverhilenisse, kérperlichen Vorziige, Tiichtigkeit und so weiter. Es ist ganz natiirlich, ja, von der Gemeinschaft aus gese- hen erwiinscht, dal der gut Weggekommene dem schlecht Weg- gekommenen gegeniiber einen Widerwillen oder sogar Abscheu 7 empfindet, jedenfalls gegeniiber dem, der ein ausgesprochener Pechvogel ist. Das gilt fir die Wele der Menschen ebenso wie fiir das Tierreich. Die Tatsache, da® fiir die Erewhonier das Verbrechen lingst nicht so schimpflich ist wie ein Gebrechen, hinder demnach die Selbstsiichtigeren unter ihnen nicht daran, einen Freund 2u mei- den, der beispielsweise eine Bank ausgeraubt hat, bis er vallig wwiederhergestell ist; es hindert sie aber daran, einem Verbrecher gegeniiber jenen verichtlichen Ton anzuschlagen, als wollten sie sagen, »ich bin doch ein besserer Mensch als dus, ein Ton, den sie demjenigen gegeniiber fiir angezeigt erachten, der mit einem kérperlichen Gebrechen behafter ist. Infolgedessen sucht einer, der krank ist, dies mit allen Mitteln der List und Verstellung zu verheimlichen, wahrend er gar kein Hehl daraus macht, wenn er seelisch aus dem Gleichgewicht gerit, was bei diesem Volk aller- dings selten vorkommt. Ziwar gibt es auch unter ihnen den see- lischen Schwachratikus, der sich dadurch licherlich mache, da er stindig in Angsten schwebs, er sei ein goustrflich schlechter Mensch, wihrend er doch sein Leben lang ein ganz leidlicher Mensch ist. Dies ist jedoch eine Ausnahme, und im allgemeinen sprechen sie sich tiber ihr sittliches Befinden ebenso unumwun- den aus wie wir uns tiber unseren Gesundheitszustand. Die Gruformen, die bei uns gang und gibe sind (»Wie geht's?« und dergleichen), gelten deshalb als Zeichen einer schlechten Kinderstube; in den besseren Kreisen wird nicht ein- mal cine so gewohnliche Artigkeit geduldet wie die, da einer dem andern sagt, er sehe gut aus. Sie griiRen mit den Worten: »Hoffentlich bist du rechtschaffen heute morgen«, oder »hof- fentlich hast du dich von der Gereiztheit erholt, die dich plagte, als wir uns das letztemal sahen«, und wenn der Betreffende nicht rechtschaffen war oder immer noch gereizt ist, dann macht er kein Hehl daraus, worauf ihn der andere seiner Anteilnahme versichert. Die Psychorthopiiden sind sogar so weit gegangen, allen bekannten Formen seelischer Strung Namen zu geben, aus der hypothetischen Sprache (wie sie an den Hochschulen der 68 Unvernunft gelehrt wird), und sie nach einem eigenen System cinzuteilen, das ich zwar nicht verstand, das sich aber in der Pra- xis zu bewahren schien; jedenfalls kénnen sie einem Menschen immer sagen, was ihm fehl, sobald sie seine Geschichte gehirt haben, und ihre Vertrautheit mit den Fremdwértern gibt ihm die Gewahr, da8 ihnen sein Fall nichts Neues ist. Wie man sich denken kann, wurden die Gesetze hinsichtlich der Krankheie hiufig umgangen, mittels anerkannter Notliigen, liber die sich jedermann im klaren war, obwohl es als hdchst unmanierlich gegolten hitte, sich etwas anmerken 2u lassen. So sagte mir eine der vielen Damen, die mich nach meiner Ankunft bei den Nosnibors aufsuchten, ihr Gatte lasse sich entschul- digen; er habe leider nicht kommen kénnen, da er am Vormittag bei einem Gang auf dem offentlichen Markt ein Paar Socken ge- stohlen habe, Man hatte mir bereits eingescharft, niemals Uber- raschung zu verraten; so driickte ich denn blo& mein Mitgefiihl aus und setzte hinzu, ich sei zwar noch nicht lange hier, hitte aber bereits um ein Haar eine Kleiderbiirste gestohlen, und ob- wohl ich bisher der Versuchung widerstanden hatte, konne es jederzeit geschehen, wenn mir etwas in die Augen stiche, was nicht zu hei noch zu schwer sei, daf ich den Seclenstrecker auf- suchen miisse. Frau Nosnibos, die immer darauf achtgab, was ich sagte, lobte mich sehr, nachdem die Dame weggegangen war. Ich hatte meine Sache nicht besser machen kénnen, meinte sie, nach den hiesigen Anstandsregeln, Dann erklirte sie mir, ein Paar Socken gestoh- len haben oder, mehr umgangssprachlich, »die Socken haben sei die landliufige Art 2u sagen, jemand sei unpilich. “Trotz alledem waren sie sehr fiir die Lebensfreude zu haben, die dem entspringt, was wir ein gutes Gewissen, sie aber ihr »Wohlbefinden« nennen, Sie geben viel auf seelisches Wohl- befinden und lieben es an andern, auch tun sie alles, soweit es mit ihren andern Aufgaben vereinbar ist, um sich selber dessen zu erfreuen, In seelisch ungesunde Familien einzuheiraten ist bei ihnen verpant. Wenn sie etwas Verwerfliches begangen haben, 69 lassen sie sofort den Strecker kommen, manchmal sogar schon, wenn sie glauben, im Begriff zu sein, etwas Derartiges zu be- gehen; und obscon die Kur oft auGerst unangenehm ist ~ ‘wochenlanger Hausarrest, in gewissen Fallen héchst grausame kérperliche Martern ~, habe ich nie von einem verniinftigen Erewhonier gehdrt, der sich geweigert hatte, die Anweisungen seines Seelenstreckers 2u befolgen, ebensowenig, wie ein ver- niinftiger Mensch bei uns sich weigert, eine hchst schmerzhafte Operation iiber sich ergehen zu lassen, wenn der Arze ihm sage, sie sei notwendig. Wir schrecken nie davor zuriick, einem Arzt 2u sagen, was uns fehlt, blo® aus Angst, er kdnnte uns weh tun, Wir lassen uns ohne Murren die schrecklichsten Dinge gefallen, weil wir nicht scheel angeschen werden, wenn wir krank sind, und weil wir wissen, daf der Arzt sein Bestes tut, uns 2u heilen, und da er unseren Fall besser beurteilen kann als wir selber. Falls man aber mit uns verfahren wiirde, wie man mit den Erewhoniera verfihrt, wenn ihnen etwas fehlt, dann wiirden auch wir jegliche Krankheit verheimlichen, so wie wir jetzt seelische und geistige Strungen verheimlichen. Wir wiirden hachst unverfroren Wohlbefinden vortiuschen, bis man uns dahinterkime, und eine Tracht Priigel als Heilverfahren ware uns peinlicher als die Amputation eines Anmes oder Beines falls sie uns in aller Freundschaft verabreicht wiirde, um uns aus unserer Not herauszuhelfen, und falls wir bei unserem Arzt die Einstellung voraussetzen kénnten, da ex es nur seiner zufilligen Veranlagung verdanke, wenn er nicht in derselben milichen Lage sei. So nehmen die Erewhonier eine wochentliche Tracht Priigel hin und lassen sich monatelang auf Wasser und Brot setzen, falls ihr Seelenstrecker ihnen das ver- schreibt. Selbst mein Gastgeber, der eine vertrauensselige Witwe um ihr ganzes Vermégen tetrogen hatte, mute wohl nicht mehr leiden, als wenn einer bei uns sich einem Arzt anvertraut. Dabei mu es ihm doch recht schlimm ergangen sein. Die Klagelaute, die ich vernabm, zeigten mir zur Gentige, daf es ein sehr schmerzhaftes 7 Verfahren wat, und doch schreckte er nie davor zuriick, sich ihm zu unterzichen, Et war tiberzeugr, es tue ihm gut, und ich glaube, er hatte recht. Es scheint mir unwahrscheinlich, da8 dieser Mann je wieder Geld unterschlagen wird. Ausgeschlossen ist ¢s nicht; aber es wird lange dauern, bis er es wieder tur. Schon wihrend meiner Haft und dann unterwegs hatte ich mancherlei in Erfahrung gebracht; aber alles kam mir immer noch héchst befremdlich vor, und ich fiirchtete stets, irgend- wie anzuecken, da es mir schwerfiel, die Dinge vom Standpunkt der Erewhonier aus 2u sehen. Nach ein paar Wochen bei den Nosnibors war ich indessen schon bedeutend besser im Bilde, besonders nachdem ich von den Beschwerden meines Gast- gebers gchért hatte, von denen er mir mehrmals ausfithrlich er- zahlte Danach war er seit Jahren an der Bérse titig und hatte ein ge- waltiges Vermégen zusammengerafft, ohne bei seinen Geschif- ten diber das hinauszugehen, was zu rechtfertigen oder zum mindesten rechtmiiig war; mit der Zeit hatte er jedoch verschie- dentlich einen Hang an sich beobachtet, durch betriigerische Machenschaften zu Geld zu kommen, und war sogar zwei- oder dreimal mit gewissen Betrigen auf eine Art verfahren, bei der ihm selber nicht ganz wohl war. Leider hatte er das auf die leichte Achsel genommen und seine Beschwerden als bedeu- tungslos abgetan, bis er nach einiger Zeit in die Lage kam, in gro- Rem MaRstab zu betriigen ~ er erzahlte mir alles genau, und es ‘war ungeliihr so schofel, wie es nur sein konnte, aber ich brauche hier nicht darauf einzugehen -; er benutzte die Gelegenheit und merkte erst, als es zu spit war, da’ mit ihm etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Er hatte seinen Zustand zu lange ver- nachlissigt. Sogleich fur er nach Hause, brachte es seiner Frau und seinen ‘Téchtern so schonend als méglich bei und lief einen der be- rrihmtesten Seelenstrecker des Landes zu einer Besprechung mit dem Familienbetreuer kommen, da es sich offenbar um einen schweren Fall handelte. Als der Strecker eintraf, setzte er ihm nm den Fall auseinander, wobei er der Befiirchtung Ausdruck gab, es stehe sittlich sehr schlecht mie thm. Der hochberiihmte Mann machte ihm mit ein paar beschwich- tigenden Worten wieder Mut und begann dann den Fall genauer zu untersuchen. Er erkundigte sich nach Nosnibors Eltern war ihr sitdicher Zustand gut gewesen? Seinen Eltern, versicherte Nosnibor, habe eigentlich nie etwas gefehle, dagegen sein Gro8- vater miitterlicherseits, mit dem er angeblich eine gewisse Ahn lichkeit habe, ausgemachter Schurke gewesen und habe im Spital gender, wahrend ein Bruder seines Vaters, der jahre- lang ein hachst verwerfliches Leben gefiihrt habe, schlieBlich ge- heilt worden sei, und zwar von einem Vertreter der neuen Rich- tung, die, wenn ich recht verstand, zur alten ungefiihr im selben Verhiltnis stand wie Hom@opathie zur Allopathie. Der Strecker schiittelte den Kopf und erwiderte lachend, der Mann sei wohl von selber wieder gesund geworden. Nach ein paar weiteren Fragen stellte er ein Rezept aus und empfahl sich. Ich habe das Rezept geschen. Es verordnete eine an den Staat zu entrichtende Bue in der doppelten Hhe des unterschlage- nen Betrags, nichts als Mileh und Brot fiir die Dauer von sechs Monaten und ¢inmal monatlich eine tiichtige Tracht Priigel fiir die Dauer eines Jahres. Erstaunlicherweise kam von der Bue nichts der armer. Frau zu, deren Geld unterschlagen worden war; als ich meine Verwunderung dariiber ausdriickte, erfuhr ich, daB sie wegen unangebrachten Vertrauens vor Gericht ge- stellt worden ware, wenn sie nicht kurz nach Entdeckung ihres Verlusts der Schlag geriihrt hitee. Was Nosnibor anbetraf, hatte er am Tage meiner Ankunft seine elfte Tracht Priigel bezogen. Ich sprach am Nachmiteag nochmals mit ihm, und er sah etwas mitgenommen aus; aber die Vorschrift des Streckers mute wohl oder ibel eingehalven wer- den; das sogenannte Gesundheitsamt versteht nimlich keinen Spa; wenn der Strecker dahinterkommt, daf seiner Vorschrift nicht nachgelebt wird, muf der Patient in ein Spital (wie die Armen), wo es ihm noch viel schlechter gegangen ware. So lautet 7 jedenfalls das Gesetz; aber es erweist sich kaum je als ndtig, es anzuwenden. Spiter war ich einmal bei einer Besprechung zwischen Nosni bor und seinem Strecker dabei, dem es oblag, die Durchfithrung der Kur zu tiberwachen. Was mir autfiel, war das Zartgefiihl, mit dem er es vermied, auch nur den Anschein zu erwecken, daf das kérperliche Wohlbefinden seines Patienten ihn etwas angehe, obwohl eine gewisse gelbliche Firbung um die Augen meines Gastgebers den Schlu8 nahelegte, da er es mit der Galle zu tun hatte. Es wire jedoch ganz gegen die beruflichen Verhaltens- regeln gewesen, wenn der Strecker davon Notiz genommen hatte. Zovar habe ich mir sagen lassen, er halte es manchmal fiir richtig, sich beilaufig nach der Méglichkeit einer leichten Sté- rung des kérperlichen Befindens zu erkundigen, falls er es fir unerlaflich erachtet, um zu einer Diagnose zu gelangen; allein, die Antworten, die er erhalt, sind meistens unwahr oder aus- weichend, so da8 er sich jeweils selber ein Urtei bilder, so gut er kann. Es ist schon behauptet worden, und zwar von zustindiger Scite, dak dem Seelenstrecker jedes kérperliche Leiden, das mit dem Fall etwas zu tun haben kénnte, im Vertrauen mitgeteilt werden sollte; doch niemand tut das gern; man méchte doch nicht in seiner Achtung sinken, und auferdem versteht er nicht das geringste von medizinischen Dingen. Nur einmal hérte ich von einer Frau, die sich erkihnte, die Vermucung auszuspre- chen, ein krasser Anfall von Launenhaftigheit und Gereiztheit, ‘um dessentwillen sie den Strecker aufgesucht hatte, kénnte mit einem leichten Unwohlsein zusammenhingen. »Sie diirfen sich nicht so gehenlassen«, meinte dieser freundlich, aber tiefernst, fiir das kérperliche Befinden unserer Patienten kénnen wir nichts tun, dergleichen schlige nicht in unser Fach, und ich machte davon lieber nichts mehr héren.« Die Frau brach in Tri- nen aus und gelobte, nie wieder unpalilich sein 2u wollen. Doch zurtick zu Nosnibor. Im Laufe des Nachmittags fuhren viele Wagen vor mit Besuchern, die sich erkundigen wollten, wie ihm die Tracht Priigel bekommen sei. Sie war sehr schmerzhaft 73 gewesen; aber die allgemeine Teilnahme freute ihn, und er ge- stand mir, er méchte sich am liebsten nochmals vergehen, nach- dem wihrend seiner Genesung jedermann so freundlich und be- sorgt gewesen sei. Dies sagte er natirlich nur zum Spa. ‘Wahrend meines Aufenthalts in diesem Lande war Nosnibor stindig geschaftlich tatig und vermehrte sein ohnehin groves Vermégen noch betrichtlich; doch habe ich nie das geringste raunen hdren, er seiriickfallig geworden. Dagegen teilte mir spa- ter jemand im Vertrauen mit, man habe Grund zur Annahme, durch die Behandlung, die ihm der Strecker angedeihen liek, habe seine Gesundheit erheblich gelitten; aber seine Freunde steckten da nicht gerne ihre Nase drein, und als er wieder seinen Geschiften nachging, wurde dies allgemein tibergangen als kaum strafbar bei cinem, dem das Schicksal sonst so tibel mitge- spielt hatte. Kérperliche Leiden werden nimlich desto cher als verzeiblich angesehen, je mehr sie auf Ursachen beruhen, die mit der Veranlagung des Betreffenden nichts zu tun haben. Richtet ciner 2um Beispiel seine Gesundheit durch Véllerei zugrunde, dann gchdrt das gewissermaken 2u dem seelischen Knacks, der ihn dazu geftdhet hat, und wird als unerheblich betrachtet; hin- gegen haben sie gar kein Erbarmen mit Dingen wie Fieber oder Katarrh oder Lungenkrankheiten, fiir die der Betreffende nach unserer Auffassurg nichts kann, Nur bei jungen Leuten lat man Milderungsgrinde gelten; die Masern zum Beispiel be- trachtet man als eine Art jugendlichen Leichtsinns; schlielich will die Jugend sich austoben; wenn sie es nicht zu bunt reibt und Reue bezeigt, indem sie sich wieder véllig erholt, ist man bereit, Nachsicht zu iiben. Es braucht kaum betont 2u werden, da der Beruf des Psych- orthopiden eine lange und griindliche Ausbildung erfordert. Selbstverstindlich muf einer, der sich anheischig macht, sittliche Leiden zu heilen, diese aus Erfahrung kennen, Wer sich auf den Beruf des Seelenstreckers vorbereiten will, ist deshalb gehalten, alle Laster der Reihe nach auszuiiben, zu eigens dazu bestimm- ten Zeiten, welche »Fastenzeits genannt werden und von dem 74 betreffenden Studenten einzuhalten sind, bis er findet, er kone alle landlaufigen Laster bei sich selber wirksam bekimpfen, so daf er seinen Patienten dann aus eigener Erfahrung raten kann, Diejenigen, die Spezialisten werden wollen, widmen sich cin- gehender dem Gebiet, auf dem sie spiter zu praktizieren geden- ken, Manche dieser Studenten haben sich gendtigt geschen, das Praktikum ihr ganzes Leben lang fortzusetzen, und einige, die sich ganz der Wissenschaft verschrieben, sind sogar gestorben als Martyrer der Trunksucht, der Vollerei oder welches immer das Gebiet war, das sie sich zum Spezial-Studium ausgesucht hatten, Die Mehrzahl indessen leidet keinen Schaden durch ihre Abstecher auf die verschiedenen Gebiete des Lasters, mit denen sie sich vertraut machen mu. Die Erewhonier sind nimlich der Auffassung, es sei nicht gut, uneingeschrinkter Tugend zu frdnen, Ich wurde auf mehr als einen Fall aufmerksam gemacht, wo dic tatsichlichen oder ver- meintlichen Tugenden der Eltern heimgesucht wurden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Die Strecker meinen, von der Tugend lasse sich héchstens sagen, da sehr viel fiir sie spricht und daft es im allgemeinen besser ist, auf ihrer Seite 2u stehen als dagegen zu sein; sie behaupten jedoch, es kursiere viel unechte Tugend, die geeignet sei, den Leuten das Leben zu ver- pfuschen, bevor ihnen die Augen aufgehen. Am besten seien die dran, die weder durch Laster noch durch Tugend hervorstechen. Ich erzahlte ihnen von Hogarth und seinem faulen und flei8igen Lehrling, aber der fleiBige Lehrling schien ihnen nicht sehr sym- pathisch zu sein, ra)

Potrebbero piacerti anche