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seien die quantitativen Unterschiede – qualitative sind nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist (der bishe-
feststellbar). Im spanischen Bürgerkrieg, in der französischen rigen Politik mit gewaltsamen, militärischen Mitteln). Denn
Resistance, im jugoslawischen und sowjetischen Partisanen- die Erscheinungen der Kriege prägen nicht deren Wesen;
krieg wie nicht zuletzt im sogen. Volkssturm (in Deutschland in dieser Hinsicht sind sie Peripherie – eben eine Farbe des
am Ende des II. Weltkriegs, zuvor bereits die Rekrutierung „Chamäleons“ unter vielen anderen, nicht aber das „Chamä-
Jugendlicher als sogen. Flackhelfer und ihre Verwendung leon“ selbst. Ein neues Chamäleon gibt es nicht. Das macht
zu quasimilitärischen, insbesondere logistischen Einsätzen) eine Definition „Krieg“ so kompliziert. Den Charakter des
– um nur einige Fälle zu nennen – gehörten solche Einsätze jeweiligen Krieges jedoch aus dem Wesen seines politischen
zum bewusst kalkulierten strategischen Kalkül. Kontextes herzuleiten, bietet die Möglichkeit, die Malaise
mit dem Krieg gegen Null zu reduzieren. Dann wäre auch
((7)) Widerspruch sei auch angemeldet hinsichtlich der The- eine weitere Chance gegeben: Eine Bestimmung des Charak-
se, dass „demokratisch“ verfasste Staaten keine Kriege füh- ters von Krieg sollte nicht abgekoppelt werden vom Wesen
ren ((13)). Als Hinweis möge genügen, dass z.B. die USA des Friedens, der ihm voraus geht bzw. ihm folgt. Frieden
in ihrer wenig mehr als 200 Jahre währenden Existenz weit schaffen als Primat der Politik, Ursachen von Kriegen be-
mehr als 200 Kriege geführt haben – meist dazu noch als heben, laufende Kriege eindämmen und befrieden, bedeutet
Interventions- und Aggressionskriege. „Alte“ wie „neue“ zuvörderst, dass man die asymmetrischen Determinanten der
Kriege haben am demokratischen Charakter des sie tra- jeweiligen Prozesse, in denen es zur Fortsetzung der bishe-
genden Gemeinwesens keinen Anstoß genommen – umge- rigen Politik mit gewaltsamen, militärischen Mitteln kommt,
kehrt: Politik, scheinbar demokratisch begründet und legiti- durch gemeinsame Sicherheitspolitik nachhaltig in den Griff
miert, hält das „Recht auf Krieg“ ideologisch und praktisch bekommt. Kriegsführungskonzepte jedweder Couleur, inclu-
aufrecht, wenn es der kriegsführenden Partei zweckmäßig sive des „strategischen Spiels“ mit den Asymmetrien, verbie-
erscheint und ihren Machtambitionen dient. Nicht erst die ten sich von daher. Friedensstiftung, Friedensstabilisierung,
Angriffskriege, militärischen Aggressionen in den letzten Friedensevolution verlangen insofern eine neue Politik, eine
Jahren und in jüngster Zeit belegen die Vorherrschaft des po- qualitativ andere Politik, eine, die der praktischen Dominanz
litischen Umgangs mit dem „Recht auf Krieg“ gegenüber der des Völkerrechts und der Menschenrechte zum Sieg verhilft.
ideologischen und praktischen Ignoranz bezüglich des Völ- Ohne eine solche kopernikanische Wende im Krieg-Frieden-
kerrechts. Kaum etwas Anderes im Verlauf der Geschichte Verständnis wird die Menschheit keine lebenswerte Zukunft
bis heute besitzt eine solche Kontinuität tödlicher Asym- haben.
metrie. Einstmals war es der „Erzfeind“ gegenüber dem der Zumindest methodologisch – praktisch ohnehin - besitzt also
Bruch jeglichen Rechts (auch sogen. Kriegsrecht) legitimiert auch bei der theoretischen Behandlung des Krieges der Frie-
wurde; aktuell sind es die „Schurkenstaaten“, deren Nomi- den als Lebens- und Entwicklungsgrundlage der Menschen
nierung und Liquidierung allein in den Händen einer sogen. das Primat – und im realen Funktionieren des Systems der in-
Supermacht liegt – unter Missachtung der UN-Charta, aber ternationalen Beziehungen – als Ausgangs- und Bezugspunkt.
in Gottes Namen (!) – auch nicht „neu“.
Adresse
((8)) Der „neue“ Krieg werde durch eine veränderte Öko-
Dr. Bernd P. Löwe, Ella-Kay-Str. 32, D-10405 Berlin
nomie des Krieges ((31)) gekennzeichnet, die keine Milita-
risierung der Wirtschaft kenne. Wenn aber das, was in den
betreffenden Fällen überhaupt als Wirtschaft (z.B. Opium-
produktion und Opiumhandel) zu bezeichnen ist, existentiell
nahezu ausschließlich auf dem fortwährenden Krieg beruht, Der kleine Krieg
ihm dient, ihn „lukrativ“ für letztlich alle Beteiligten macht,
dann ist doch nicht davon abzusehen, dass es wiederum an-
dere, „befreundete“ Staaten sind, die mit ihrer Rüstungsin- Thomas Rid
dustrie etc. solches ermöglichen, eigennützig „helfend“ ein-
greifen (siehe: Entwicklung der Beziehungen zwischen den ((1)) Die enge Verknüpfung von politischen Handlungen und
USA und den Taliban). Der Missbrauch von Potentialen der begrifflicher Ordnung ist der Ausgangspunkt von Herfried
„Hilfsorganisationen“ (mit humanitärer Dienstleistung als Münklers Analyse. Dass es bisher nicht gelungen sei, global
Ziel) ist diesbezüglich moralisch empörend; hinsichtlich der eine „auf länger angelegte politische Ordnung“ herzustel-
Qualität des Krieges aber eine Randerscheinung. Der Weg- len, führt Münkler auf den Mangel an prägnanten Begriffen
fall der Möglichkeit, sich der „Hilfsgüter“ zu bemächtigen, für das Kriegsgeschehen zurück. Er wirft insbesondere der
sich mittels dieser zu bereichern bzw. die erzielten Gewinne „jüngeren Forschung“ in Deutschland vor, „an die Gegen-
wieder in die Kriegsführung einfließen zu lassen, würde den wart gekettet“ zu sein (2). Ihr Kriegsbegriff sei daher zu
jeweiligen Krieg jedenfalls nicht beenden. Quellen für den eng und nicht generalisierbar. Diesen Fallstricken versucht
Erhalt und den Ausbau von Kriegsführungsfähigkeiten sind Münkler erstens durch den Rekurs auf Carl von Clausewitz’
vielfältiger – außerdem austauschbar. Begrifflichkeit zu entwischen (3-7). In Anwendung Clause-
witzscher Gedanken entwickelt Münkler zweitens das Theo-
((9)) Im Fazit resp. zur angekündigten Deduktion: Das We- rem der „Neuen Kriege“ (13-18). Neu seien der „strategische
sen des Krieges ist auf den Charakter der ihn bestimmenden, Gebrauch der Asymmetrien“ sowie dessen politische Folgen
tragenden, zu verantwortenden Politik zurück zu führen (29). Der Text enthält zahlreiche kreative Elemente – etwa
– ganz im klassischen Sinne von Clausewitz, dass der Krieg die prähistorische Anwendung von Clausewitz (11). Im Fol-
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genden soll ein kurzer Blick auf eine von Münkler sowie ((5)) Carl von Decker war einer der frühesten preußischen
der von jüngeren Forschung stark vernachlässigte Thematik Autoren, der sich mit dem „kleinen Krieg“ befasste. In den
gerichtet werden: koloniale Kriegführung. Sie macht blinde 1820er Jahren lehrte der spätere General unter Clausewitz’
Flecken der vorgelegten Analyse deutlich. Leitung „Taktik“ an der Kriegsschule in Berlin.8 1840 reiste
Decker nach Algerien, um die dortige französische Kriegfüh-
((2)) Die Vielseitigkeit und Produktivität der Clausewitz- rung zu beobachten. Die Reise verdeutlichte dem General-
schen Theorie schöpfe sich, so Münkler, aus der Kombinati- Major, dass die europäische Theorie zu eng war: „aber dort
on der drei Grundelemente des Krieges: dem Naturtrieb, der am Fuße des Atlas ist ja alles anders!“ Bei seiner Ankunft
Seelentätigkeit, und dem bloßen Verstande. Also, zeitgemäß in Algiers begegnete Decker einem französischen Offizier:
übersetzt, aus Brutalität, Kreativität, und Rationalität. Clau- „Sie haben doch hoffentlich alle europäischen Ideen drüben
sewitz nennt dies die Dreifaltigkeit des Krieges. Die drei in Toulon gelassen?“ scherzte der Seemann. Zuerst verstand
Elemente sind gewissermaßen seine Grundfarben: je nach Decker nicht. Aber bereits nach Tagen wurde ihm klar: „man
Mischverhältnis wechselt der Krieg sein Erscheinungsbild, muß sodann alle Theorien, die für Afrika unbrauchbar sind,
wie ein „wahres Chamäleon.“ Münkler plädiert nun dafür, freiwillig über Bord werfen, muß erst theoretisch verarmen,
dieses Abstraktionsniveau aufrecht zu erhalten. Clausewitz um praktisch wieder reich werden zu können.“9 In Anspie-
beging jedoch denselben Fehler, den Münkler vor allem der lung auf Clausewitz schreibt er: „die feinsten Kunstgriffe un-
deutschsprachigen Konfliktforschung vorwirft: er blieb in serer neusten Kriegstheoretiker verlieren dort ihre magische
der eigenen Gegenwart verhaftet (2). Mehr noch: der Preuße Kraft.“10
blieb in der eigenen europäischen Gegenwart stecken. Der
Kriegsphilosoph gibt zwar dem heutigen Analytiker eine ((6)) Militärisch sowie kriegstheoretisch ein Schlüsseler-
reichhaltige Palette an Begriffen an die Hand.1 Diese hat eignis war die französische Eroberung Algeriens und die
jedoch nie ausgereicht, um den kleinen Krieg in all seinen anschließende Niederwerfung eines nationalistisch-funda-
Schattierungen zu erfassen.2 Vor allem nicht den kleinen mentalistischen Aufstandes. Für ein ganzes Jahrzehnt ver-
Krieg außerhalb Europas. Clausewitz, der als Major 1810 suchten verschiedene Generale und Marschalle die Rebel-
eine 156-teilige Vorlesungsreihe zum „Kleinen Krieg“ hielt, lion niederzuschlagen. Das Problem, analysierte Decker,
betrachtete diesen als Fortsetzung des großen Krieges mit war die Abwesenheit europäischer Konstanten: Es gab keine
anderen Mitteln.3 Aber dass der Kleinkrieg „politische Grün- Hauptstadt, deren Fall den Sieg einleiten würde, keine Ar-
de“ haben kann, „berührt uns hier gar nicht,“ schrieb er in mee, deren Vernichtung entscheidend gewesen wäre, keine
Vom Kriege.4 Kommunikations- und Versorgungslinien, „auf die man hät-
te marschiren [sic]“ können. Konsequenz war, dass schwe-
((3)) Die im Wiener Kongress 1815 hergestellte „Vermei- re Großverbände, Kavallerie und Artillerie, die Vehikel des
dung des Kleinkriegs“, schreibt Münkler, habe bis zum ersten Sieges in Europa, nutzlos waren.
Weltkrieg gehalten (8). Die europäischen Kolonialmächte
führten jedoch in den etwa hundert Jahren zwischen den Na- ((7)) Dies war die Situation, die Thomas-Robert Bugeaud
poleonischen Kriegen und dem ersten Weltkrieg mehr Klein- vorfand. Wenige Soldaten hatten mehr Einfluss auf den klei-
kriege als jemals zuvor oder danach. Tatsächlich machte der nen Krieg als jener Veteran des napoleonischen Krieges ge-
irreguläre Krieg im neunzehnten Jahrhundert seine wich- gen den spanischen Widerstand von 1808-14 (24). Als der
tigste Metamorphose durch: weg von einer gegner- oder ter- Feldmarschall 1840 in Algerien eintraf, stellte er die Opera-
ritorialzentrierten Kriegführung, hin zum bevölkerungszen- tionsführung radikal um: „Wir müssen diese orchestrierten
trierten Krieg – die neue Form der Operationsführung passte dramatischen Schlachten vergessen, die zivilisierte [europä-
jedoch nicht ins Selbstverständnis modernisierter Streitkräf- ische] Völker gegeneinander ausfechten,“ sagte er zu seinen
te und hat daher für Reformer wie Clausewitz, Helmuth von versammelten Offizieren. „Unkonventionelle Taktiken sind
Moltke oder Emory Upton, dem wahrscheinlich einfluss- die Seele dieses Krieges.“11 Bugeaud stellte sodann die Or-
reichsten Befürworter des preußischen Systems in den USA, ganisation seiner Einheiten auf mobile, leichte Verbände um.
schlichtweg nicht existiert, weder auf dem Papier noch auf Die sogenannte Razzia war Bugeauds Wiederentdeckung,
dem Schlachtfeld.5 Anders jedoch in den Kolonien. eine alte vorislamische Raubzugtaktik: In Europa, sobald
man zwei, drei Bevölkerungszentren kontrolliert, ist das
((4)) 1830 eroberte die geschwächte Bourbonenmonarchie ganze Land erobert, schrieb General Louis de Castellane aus
unter Karl X Algerien. Abd el-Kader, der Emir von Mas- Algerien. „Aber wie erreicht man eine Bevölkerung, die nur
cara, sollte für viele Jahre ein formidabler Widerstands- durch die Heringe in ihren Zelten ans Land gebunden ist?“
kämpfer gegen die französische Armee werden. Dieser neue Es gäbe kein anderes Mittel „als ihnen das Korn zu nehmen,
Krieg hat zahlreiche französische Theoretiker inspiriert.6 das sie ernährt, die Herden, die sie bekleiden: Krieg auf die
Ihre namhaftesten Vertreter sind Thomas-Robert Bugeaud, Silos, Krieg auf das Vieh, la razzia.“12 In solchen „Schre-
Joseph-Simon Galliéni, und Louis-Hubert Lyautey. Prägnant ckenszügen,“ wie Decker sagte, wurden widerspenstige Dör-
formuliert entwickelte sich die Doktrin von Bugeauds bru- fer kurzerhand niedergerissen, Vorräte zerstört, die kampffä-
taler Razzia der 1840er Jahre zu Lyauteys feinsinniger Tache hige männliche Bevölkerung umgebracht, selbst Frauen und
d’huile der 1890er Jahre. Diese Denkbewegung, in der jün- Kinder wurden nicht immer verschont.13 Bugeaud erlangte
geren Kriegsforschung nahezu vollständig ignoriert, prägt grausige Berühmtheit im Zusammenhang mit der Grottenaf-
die heutige irreguläre Kriegführung der Briten, Franzosen färe von Dahra: einer seiner Offiziere, Amable Pélissier, hat-
und Amerikaner stärker, als alle Clausewitzschen Ideen, ob te etwa 500 arabische Dorfbewohner in einer Grotte durch
alt oder „neu.“7 ein Feuer ersticken lassen. Aber Bugeaud hatte einen ersten
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wichtigen Schritt getan, der in der Zukunft nachgeahmt wer- re Raumlogik. Klare Fronten gibt es hier nur selten. Beim
den würde: die Zivilbevölkerung und ihre Unterstützung als Übergang von regulären zum irregulären Krieg im Irak im
strategisches Ziel zu betrachten und die militärischen Wirk- Sommer 2003 konnten die Amerikaner diesen Wandel mit-
mittel darauf auszurichten. Die Form sollte sich freilich än- erleben: „Von Tag zu Tag verschwindet das Konzept einer
dern. Front,“ schrieb Oberst William G. Adamson an seine Vorge-
setzten. Stattdessen nehme die Gewalt die Gestalt eines „360-
((8)) Einer der bekanntesten französischen Offiziere des spä- Grad Krieges“ an.17 Im kleinen Krieg weicht der Gegner in
teren Kolonialkriegs ist Hubert Lyautey, der seit 1961 im einen psychologischen Raum aus, der ungleich schwerer zu
Invalidendom neben Napoleon ruht. Sein Sarkophag fällt beherrschen ist als der physische Raum. “Das Terrain, das
dem Besucher aufgrund goldener arabischer Schriftzüge wir sichern, ist menschliches Terrain, nicht physisches Ter-
auf. Lyautey war in der Tat als Militärverwalter und résident rain,” erklärt David Kilcullen, ein enger Berater des Ame-
général in mehreren Kolonien von der lokalen Bevölkerung rikanischen Generals David Petraeus im Irak.18 Sich nur zu
hoch geschätzt, zuletzt in Marokko. Sein Betrag zur Theorie orientieren in diesem menschlichen Raum erfordert, lokale
des kleinen Krieges ist bemerkenswert. Lyauteys Metapho- Dialekte zu sprechen, kulturelle Eigenheiten zu kennen, um
rik erinnert an Mao: Der Partisan (Lyautey spricht von „le religiöse Bräuche zu wissen, ethnische Gruppen voneinan-
pirate“) sei „wie eine Pflanze, die nur in einem bestimmten der unterscheiden zu können, Anthropologie und Geschichte
Terrain wächst.“ Die sicherste Methode seiner Bekämpfung des Landes zu kennen. Den psychologischen Raum zu do-
sei daher, diesen Boden unfruchtbar zu machen. „Um den minieren stellt klassische Militärtheoretiker vor unlösbare
von den wilden Kräutern befallenen Landstrich zu kultivie- Fragen.
ren,“ schreibt Lyautey, „muß man, nach dem Pflügen, die
Erde isolieren und sodann eine neue Kultur anlegen.“14 Die ((11)) David Galula, ein pied noir und ein Veteran des Alge-
Erde steht für die Bevölkerung, auf deren Unterstützung die rienkrieges, schrieb während eines Aufenthaltes bei der Rand
Rebellen angewiesen sind. Nicht durch brutale Gewalt und Corporation in den USA in den 1960er Jahren zwei Bücher,
Terror, sondern durch Anreize und politische Zusammenar- Counterinsurgency Warfare und The Pacification of Alge-
beit, wollten die Kolonialadministratoren der Armee „die ria. Der französische Oberstleutnant entwickelte eine Rei-
Bevölkerung zu unserem wichtigsten Unterstützer machen.“ he interessanter Konzepte – etwa jenes des asymmetrischen
Märkte wurden eröffnet und der Handel unterstützt, anstatt Krieges – und ist heute wohl der meistgelesene Theoretiker
die gegnerischen Ressourcen zu zerstören; Telegraphen und zur Aufstandsbekämpfung in den USA. Die wichtigste An-
Eisenbahnlinien wurden errichtet, anstatt Kommunikations- forderung für einen erfolgreichen Aufstand, argumentiert
linien zu kappen; lokale Verteidigungsanlagen verstärkt, statt Galula, ist der Beweggrund, der Zweck, die Motivation
Dörfer niederzubrennen; Ziel war es, das Vertrauen und die – „the cause.“ Eine kleine Gruppe von Aktivisten kann frei-
Kooperation der Bevölkerung zu erlangen, nicht sie zu ter- lich ohne Causa die Macht in einem Plot oder Putsch an sich
rorisieren. „Das ist der bessere Bugeaud,“ schrieb Lyautey.15 reißen, aber eine Überrumpelung ist keine Rebellion. Sie ist
Wie ein Ölfleck, tache d’huile, sollte sich der gesicherte letztlich jenes Merkmal, das organisierte Kriminalität von
Landkreis langsam ausdehnen. irregulärer Kriegführung unterscheidet. Die Bedeutung der
gemeinsamen Sache nimmt mit zunehmender Stärke eines
((9)) Lyauteys Raummetapher verdeutlicht jedoch ebenso Aufstandes proportional ab.19 Der politische Beweggrund
eine Grundproblematik, die sich durch die westliche Mili- ist letztlich jenes Mittel, das dem Widerstandskämpfer das
tärgeschichte seit Napoleon zieht. Der moderne zwischen- psychologische Terrain der Bevölkerung zugänglich macht,
staatliche Krieg, der „große Krieg“, stellt einen Wettkampf gewissermaßen der ideologische Dünger der wilden Kräuter,
um die Kontrolle physischen Raums dar. Die Strukturierung um in Lyauteys Bild zu bleiben.
der Streitkräfte in drei Komponenten im letzten Jahrhundert,
in Marine, Heer, und Luftwaffe, folgte einer Raumlogik: je- ((12)) Im Mai 1898 dekretierte General Galliéni – Lyauteys
weils eine Teilstreitkraft sollte See, Land, und Luft domi- Mentor – an seine Truppen im neu besetzten Madagaskar:
nieren. Doktrinär sprach man von drei „Dimensionen“ der „Das beste Mittel, um die Befriedung unserer neuen Kolonie
Kriegführung; in jüngerer Zeit kam in diesem konventio- zu erreichen, ist die Kombination aus politischer und mili-
nellen Denken noch die vierte und fünfte Dimension hinzu, tärischer Aktion.“20 Wenn ein Offizier tatsächlich gegen be-
also der Weltraum sowie der elektronische Raum (beide sind wohnte Stadtzentren operieren müsse, so sollte er sich seiner
oft der Luftwaffe zugeordnet). Seit der industriellen Revo- ersten Pflicht bewusst bleiben: den Wideraufbau voranzutrei-
lution hat sich zudem die Geschwindigkeit erhöht, mit der ben, Märkte zu schaffen, Schulen aufzubauen. Die Rolle des
westliche Streitkräfte auf dem Raum zugreifen. Die wich- Soldaten müsse progressiv übergehen in jene des Verwalters:
tigsten Neuerungen haben den Wettkampf um den Zugriff „Die politische Handlung ist um ein vielfaches wichtiger; sie
auf Raum verschärft: das Dampfschiff, die Eisenbahn, me- muß sich vor allem auf die Kenntnis des Landes und seiner
chanisierte Verbände, der Telegraph, welcher erstmals Kom- Einwohner stützen,“ insistierte Galliéni.21 Mit militärischen
munikation von Transport getrennt hat, und schließlich mo- Mitteln sei die Bevölkerung nicht ausreichend beeinfluss-
derne Kommunikationsmedien. Die moderne Manöver- und bar. Seine tache d’huile bezeichnet einen solchen psycholo-
Kriegstheorie hat sich ausführlich an diesen Technologien gischen oder politischen Raum, nicht nur einen physischen
und ihren Verwendungen in den fünf Dimensionen des kon- Raum.
ventionellen Krieges abgearbeitet.16
((13)) Die Evolution moderner Streitkräfte zeichnet sich je-
((10)) Im unkonventionellen kleinen Krieg greift eine ande- doch durch einen Arbeitsteilungsprozess und eine Speziali-
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sierungslogik aus. Seit der großen preußischen Heeresreform 9 Carl von Decker, Algerien und die dortige Kriegsführung, Berlin:
Friedrich August Herbig 1844, S.161.
wurde die militärische Klasse immer professioneller und
spezialisierter, mit kriegswissenschaftlichen Ausbildungen 10 Ibid., S.162.
in Offiziersschulen, ausdifferenzierten Laufbahnen, Gene- 11 Bugeaud, zitiert in Porch, „Bugeard, Galliéni, Lyautey: The Develop­
ralstäben, mit separaten sozialen Regeln, Riten und Normen. ment of French Colonial Warfare“, S. 378.
Der irreguläre Krieg in seiner französischen Lesart wider- 12 Louis Charles Pierre de Castellane, Souvenirs de la vie militaire en
Afrique, Paris: Victor Lecou, 1852, S.258.
sprach dieser Spezialisierungslogik aufs Schärfste und stellte
somit das Selbstverständnis einer modernen Bürokratie in- 13 Zur Beschreibung einer Razzia durch einen Teilnehmer siehe Dawson
Borrer, Narrative of a Campaign Against the Kabaïles of Algeria, London:
frage. Nicht ein enges, rein militärisches Qualifikationsprofil Longman, Brown, Green, and Longmans, 1848, S.109–110.
ist gefragt im kleinen Krieg, sondern breite, politische, admi-
14 Hubert Lyautey, „Du rôle colonial de l‘armée“, Revue des Deux Mondes,
nistrative, und kulturelle Fertigkeiten. 1900.
15 Hubert Lyautey, Lettres du Tonkin et de Madagascar: 1894-1899, Pa-
((14)) Die saubere Trennung zwischen zivil und militärisch, ris: A. Colin, 1921, S.112-3.
zwischen Kombattanten und Non-Kombattanten, wird im 16 Thomas Rid, War and Media Operations. The US Military and the
kleinen Krieg also auf beiden Seiten unterminiert. „Vergeb- Press from Vietnam to Iraq, London: Routledge, 2007.
lich sucht man nach der Demarkierung,“ schrieb Lyautey 17 Rick Atkinson, „Left of Boom (Series)“, Washington Post, 30 Septem-
trocken.22 Die Geschichte moderner, industrialisierter Streit- ber 2007, S. A13.
kräfte, von Scharnhorst bis Shinseki, kann als permanente 18 Kilcullen, David, in The Small Wars Journal, an electronic discussion
Verdrängungsbewegung gelesen werden mit dem Ziel, den forum, <http://smallwarsjournal.com/blog/2007/06/understanding-current-
operatio/>, 26 June 2007.
professionellen großen Krieg vom unprofessionellen kleinen
Krieg zu isolieren und damit die heutige Architektur moder- 19 David Galula, Counterinsurgency Warfare: Theory and Practice, New
York: Praeger, 1963, S.12-15.
ner Streitkräfte erst auf Dauer zu stellen. Seit 1807 schöpfte
diese Bewegung ihre gewaltige Energie aus europäischem 20 Joseph-Simon Galliéni, Neuf ans a Madagascar, Paris: Librairie Ha-
chette, 1908, S.326.
Großmachtstreben, seit 1919 ebenso aus dem aufziehenden
21 Ibid., S.326.
Kalten Krieg. Seit 2003 fehlt jedoch eine starke Triebfeder.
Mehr noch: ein „Krieg gegen den Terrorismus“ mit offenem 22 Lyautey, Lettres du Tonkin et de Madagascar: 1894-1899, S.631.
Ende droht den irregulären – und damit politischen – Krieg
als Daueraufgabe für reguläre Armeen zu institutionalisie- Adresse
ren. Der Rückgriff auf Clausewitz sowie prägnante Begriffe
Dr. Thomas Rid, Rand Corporation, 1200 South Hayes Street, Arlington,
wie Entstaatlichung (15), Privatisierung (20), oder Ökono- Virginia 22202 E-mail: thomas.rid@gmail.com
misierung des Krieges (30) eignen sich schlecht, um diese
Politisierung ins Blickfeld zu rücken. Wie moderne Staaten
und ihre industrialisierten Streitkräfte auf die neu gestellte
Herausforderung reagieren werden, bleibt eine der interes-
santesten zeitgenössischen Fragen. Zurück zum Faustrecht?

Anmerkungen
Werner Ruf
1 Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur
Asymmetrie, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, 2006.
2 Maßgeblich für die deutsche Debatte zum kleinen Krieg ist Christopher
((1)) Der sehr dicht geschriebene Aufsatz von Herfried
Daase, Kleine Kriege, große Wirkung, Baden-Baden: Nomos, 1999. Münkler zum gewaltigen Thema „Krieg“ ist in vier Teile ge-
3 Walter Laqueur, Guerrilla. A Historical and Critical Study Vol. 4, Bo- gliedert. Angesichts der Komplexität des Gegenstands wäre
ston: Little, Brown, 1976, S.110. es für den Leser hilfreich gewesen, diese Teile wären mit
4 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Berlin: Ullstein, 1832, 1980, S. 529. Zwischenüberschriften versehen worden. Dem Politologen
5 Emory Upton, The Military Policy of the United States, Washington:
und/oder Friedensforscher dürfte es jedoch gelingen, zu de-
Government Printing Office, 1917, siehe auch Samuel Huntington, The chiffrieren, worum es in diesen Teilen im Wesentlichen geht.
Soldier and the State, Cambridge, MA: Harvard University Press, 1957, So behandelt der Autor – aus Sicht des Rezensenten – in Teil
S.222ff.
I. den Begriff „Krieg“ vor allem unter Bezugnahme auf die
6 Im neunzehnten Jahrhundert waren französische Offiziere konzeptuell Westfälische Ordnung. In Teil II. geht es um den Begriff
– wenn auch nicht immer operativ – ihren britischen Konkurrenten weit
voraus. Beispiele sind Thomas-Robert Bugeaud, Le Mière de Corvey, Al- „Frieden“, wobei dieser schon auf das zentrale Theorem der
bert Ditte, Joseph Simon Galliéni, Louis Hubert Lyautey, oder Christophe „neuen Kriege“ hinführt. Im Teil III. wird dann nochmals
Roguet. Siehe Douglas Porch, „Bugeard, Galliéni, Lyautey: The Develop- auf den institutionellen Flächenstaat, den klassischen Inha-
ment of French Colonial Warfare“, in Peter Paret (ed.) Makers of Modern
Strategy, Princeton: Princeton University Press, 1986. Charles Callwell war ber des Gewaltmonopols verwiesen, um ihn zu kontrastieren
1898 einer der ersten Briten, die doktrinär anspruchsvoll über den kleinen mit Formen des Krieges, die nicht in diese Kategorie pas-
Krieg schrieben. Charles Edward Callwell, Small Wars: Their Principles sen, wie die Bürgerkriege aller Art und eben auch die „neuen
and Practice, Lincoln: University of Nebraska Press, 1896, 1996, Ian Fre-
derick William Beckett, Modern Insurgencies and Counter-Insurgencies, Kriege“, für die Territorialität nicht mehr entscheidend ist.
London: Routledge, 2001. Teil IV. schließlich widmet sich ausschließlich den „neuen
7 Thomas Rid, „Der degradierte General. Clausewitz und zivil-militäri­ Kriegen“ und, in einer Art Nachspann, der Rolle der Medien,
sche Beziehungen in den USA“, Berliner Debatte Initial, 2007, vol. 18, 3. die, so der Autor, in der Zeit der „neuen Kriege“ von Bericht-
8 Eberhard Kessler, Moltke, Stuttgart: Koehler, 1957, S.42, siehe auch erstattern selbst zu Akteuren geworden sind.
Laqueur, Guerrilla. A Historical and Critical Study, S.114-5.

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