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Binti Sammelband
Binti Sammelband
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Binti Sammelband

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About this ebook

Der Nebula-Award-Gewinner BINTI endlich in einem Sammelband, der alle drei Romane ALLEIN, HEIMAT und NACHTMASKERADE beinhaltet.

Ihr Name ist Binti und sie ist die erste Himba, die jemals an der Oomza Universität, einer der besten Lehranstalten der Galaxis, angenommen wurde. Aber diese Möglichkeit wahrzunehmen bedeutet, dass sie ihren Platz innerhalb ihrer Familie aufgeben und mit Fremden zwischen den Sternen reisen muss, die weder ihre Denkweise teilen, noch ihre Bräuche respektieren.

Die Welt, deren Teil sie werden möchte, hat einen langen Krieg gegen die Medusen hinter sich und Bintis Reise zwischen den Sternen lässt sie dieser Spezies näherkommen als ihr lieb ist. Wenn Binti das Vermächtnis eines Krieges überleben will, mit dem sie nichts zu tun hatte, wird sie die Gaben ihres Volkes brauchen und die Weisheit, die sich in der Universität verbirgt - aber zuerst muss sie es bis dorthin schaffen, lebendig.
LanguageDeutsch
PublisherCross Cult
Release dateSep 3, 2018
ISBN9783959816571
Binti Sammelband
Author

Nnedi Okorafor

Nnedi Okorafor is an award-winning novelist of African-based science fiction, fantasy, and magical realism. Born in the US to Nigerian immigrant parents, Okorafor is known for weaving African cultures into creative settings and memorable characters. Her book, Who Fears Death has been optioned by HBO, with Game of Thrones' George R.R. Martin as executive producer. Okorafor is a full-time professor at the University at Buffalo, New York (SUNY).  

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    Book preview

    Binti Sammelband - Nnedi Okorafor

    BINTI

    Nnedi Okorafor

    Ins Deutsche übertragen von

    Claudia Kern

    Ebenfalls bei Cross Cult:

    LAGUNE

    WER FÜRCHTET DEN TOD

    DAS BUCH DES PHÖNIX

    von Nnedi Okorafor

    Die deutsche Ausgabe von BINTI

    wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

    Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern,

    Übersetzung: Claudia Kern; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde;

    Lektorat: Kerstin Feuersänger; Korrektorat: André Piotrowski;

    Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Umschlag-Artwork: Greg Ruth.

    Titel der Originalausgabe:

    BINTI

    Copyright © Nnedi Okorafor 2018. All rights reserved.

    German translation copyright © 2018, by Amigo Grafik GbR.

    eISBN 978-3-95981-653-3 (September 2018)

    WWW.CROSS-CULT.DE

    Inhalt

    ALLEIN

    Widmung

    Binti Allein

    HEIMAT

    MENSCHEN. DIE STÄNDIGEN DARSTELLER

    ABFLUG

    ZU HAUSE

    DIE WURZEL

    NACHTMASKERADE

    BLUT

    HINTERLAND

    DAS SCHICKSAL IST EIN HEIKLER TANZ

    LÜGEN

    GOLDENES VOLK

    DIE ARIYA

    INITIATIVE

    NACHTMASKERADE

    Widmung

    Kapitel 1 AUSSERIRDISCHE

    Kapitel 2 ORANGE

    Kapitel 3 WENN ELEFANTEN KÄMPFEN

    Kapitel 4 HEIMKEHR

    Kapitel 5 HEIMGANG

    Kapitel 6 MÄDCHEN

    Kapitel 7 DIE WURZEL

    Kapitel 8 IM ALL

    Kapitel 9 WACH

    Kapitel 10 DIE STEINE DES SATURN

    Kapitel 11 NTU-NTU-KÄFER UND SONNENSCHEIN

    Kapitel 12 PRÄSIDENTIN HARAS

    Kapitel 13 UNTERSUCHUNG

    Kapitel 14 GESTALTWANDLER

    Danksagungen

    Über die Autorin

    ALLEIN

    Ich widme diese Geschichte der kleinen blauen Qualle, die ich an einem sonnigen Tag in der Khalid-Lagune in Sharjah, Vereinigte Arabische Emirate schwimmen sah.

    Ich aktivierte den Transporter und betete stumm. Ich wusste nicht, was ich tun würde, sollte er nicht funktionieren. Mein Transporter war billig, deshalb reichte ein Tropfen Feuchtigkeit oder, was wahrscheinlicher war, ein Sandkorn, um einen Kurzschluss auszulösen. Meistens aktivierte er sich erst nach zahlreichen Fehlversuchen. Bitte nicht jetzt, bitte nicht jetzt!, dachte ich.

    Der Transporter erbebte im Sand und ich hielt den Atem an. Er war winzig und so flach und schwarz wie ein Gebetsstein. Er summte leise und erhob sich langsam aus dem Sand. Endlich hatte er genügend Energie aufgebaut, um seine Last anzuheben. Ich grinste. Ich würde es bis zum Shuttle schaffen. Ich wischte mir mit dem Zeigefinger Otjize von der Stirn und kniete nieder. Dann berührte ich mit dem Finger den Sand und verrieb den süß riechenden roten Lehm darin. »Danke«, flüsterte ich. Der Weg über die dunkle Wüstenstraße war eine halbe Meile lang. Da der Transporter funktionierte, würde ich mein Ziel rechtzeitig erreichen.

    Als ich mich aufrichtete, hielt ich inne und schloss die Augen. Nun spürte ich die Last meines Lebens, die auf meinen Schultern lag. Zum ersten Mal widersetzte ich mich dem traditionellsten Teil in mir. Ich verließ sie mitten in der Nacht, und sie wussten von nichts. Meine neun Geschwister – bis auf einen Bruder und eine Schwester waren alle älter – ahnten nichts. Meine Eltern hätten sich in einer Million Jahren nicht vorstellen können, dass ich so etwas tun würde. Bis sie erkannten, was ich getan hatte und wohin ich wollte, würde ich den Planeten bereits verlassen haben. In meiner Abwesenheit würden meine Eltern knurren, dass ich nie wieder ihr Heim betreten dürfe. Meine vier Tanten und zwei Onkel, die die Straße hinunter wohnten, würden schreien und untereinander tuscheln, dass ich ein Skandal für die gesamte Blutlinie sei. Ich würde eine Ausgestoßene sein.

    »Los!«, flüsterte ich dem Transporter zu und stampfte mit dem Fuß auf. Die dünnen Metallringe, die ich an beiden Knöcheln trug, klirrten laut, aber ich stampfte erneut auf. Der Transporter funktionierte am besten, wenn ich ihn nicht berührte. »Los!«, wiederholte ich. Schweiß trat mir auf die Stirn. Als sich nichts bewegte, wagte ich es, die beiden großen Koffer, die auf dem Kraftfeld standen, anzustupsen. Sie setzten sich in Bewegung, und ich atmete erneut erleichtert auf. Das Glück war zumindest ein bisschen auf meiner Seite.

    Fünfzehn Minuten später kaufte ich eine Fahrkarte und betrat das Shuttle. Die Sonne lugte gerade erst über den Horizont. Als ich an den Passagieren vorbeiging, die bereits ihre Plätze eingenommen hatten, war ich mir des Umstandes, dass die buschigen Enden meiner vielen geflochtenen Zöpfe über ihre Gesichter strichen, nur allzu bewusst. Ich senkte den Blick. Unsere Haare sind dick und meine waren schon immer sehr dick gewesen. Meine alte Tante nannte sie »Ododo«, weil sie so wild und dicht wie Ododo-Gras wuchsen. Kurz bevor ich das Haus verlassen hatte, hatte ich meine geflochtenen Haare mit frischem süß riechenden Otjize eingerieben, den ich für diese Reise angerührt hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich auf diese Leute, die mein Volk nicht so gut kannten, wirkte.

    Eine Frau beugte sich mit verkrampft wirkendem Gesicht von mir weg zur Seite, als ich vorbeiging, so als hätte sie etwas Ekliges gerochen. »Entschuldigung!«, sagte ich, den Blick auf meine Füße gerichtet. Ich versuchte die Tatsache, dass mich fast alle Passagiere in dem Shuttle anstarrten, zu ignorieren. Doch ich konnte der Versuchung, mich umzusehen, nicht widerstehen. Zwei Mädchen, die ein paar Jahre älter als ich zu sein schienen, bedeckten ihren Mund mit Händen, die so blass wirkten, als hätte die Sonne sie noch nie berührt. Alle sahen aus, als sei die Sonne ihr Feind. Ich war die einzige Himba im Shuttle, stellte ich rasch fest, als ich zu einem freien Sitz ging.

    Bei dem Shuttle handelte es sich um eines der neuen, schlanken Modelle, die aussahen wie die Gewehrkugeln, mit denen meine Lehrer an der Schule ballistische Koeffizienten berechnet hatten. Sie konnten dank einer Mischung aus Auftrieb, Magnetfeldern und exponentieller Energie sehr schnell über Land fliegen und ließen sich, wenn man die Teile und die Zeit hatte, relativ leicht bauen. Sie waren außerdem praktisch in heißen Wüstenregionen, wo die Straßen, die aus den Städten führten, in einem sehr schlechten Zustand waren. Mein Volk verließ seine Heimat nicht gerne. Ich setzte mich in den hinteren Teil des Shuttles, damit ich aus dem großen Fenster sehen konnte.

    Ich entdeckte die Lichter, die zum Astrolabiengeschäft meines Vaters gehörten, und das Sandsturmanalysegerät, das mein Bruder auf dem Dach der Wurzel angebracht hatte – so nannten wir das große, große Haus meiner Eltern. Sechs Generationen meiner Familie hatten dort schon gelebt. Es war das älteste Haus in meinem Dorf, vielleicht das älteste der Stadt. Es bestand aus Stein und Zement, war nachts kühl und tags heiß. Solarzellen und lumineszente Pflanzen, die bis kurz vor Sonnenaufgang leuchteten, bedeckten es. Mein Zimmer befand sich im obersten Stockwerk des Hauses. Das Shuttle setzte sich in Bewegung, und ich starrte das Haus an, bis es hinter mir verschwand. »Was tue ich hier?«, flüsterte ich.

    Anderthalb Stunden später traf das Shuttle am Raumhafen ein. Ich verließ es als Letzte, was gut war, da mich der Anblick des Raumhafens so überwältigte, dass ich einige Momente lang nur reglos dastand. Ich trug einen langen roten Rock, der sich so seidig wie Wasser anfühlte, ein helloranges Top, das ein wenig steif war und den Wind abhielt, dünne Ledersandalen und meine Knöchelringe. Niemand außer mir trug solche Sachen. Ich sah nur leichte weite Kleidung und Schleier; man konnte bei keiner Frau die Knöchel sehen und schon gar keine Knöchelringe aus Stahl, die bei jedem Schritt klimperten. Ich atmete durch den Mund und spürte, wie ich errötete.

    »Dumm, dumm, dumm«, flüsterte ich. Wir Himba reisen nicht. Wir bleiben. Das Land unserer Vorfahren ist unser Leben. Wer sich davon entfernt, verdorrt. Wir bedecken sogar unseren Körper mit ihm. Otjize ist rotes Land. Hier am Raumhafen sah ich hauptsächlich Khoush und ein paar andere Menschen, die keine Himba waren. Hier war ich eine Außenseiterin; ich war draußen. »Was habe ich mir dabei gedacht?«, flüsterte ich.

    Ich war sechzehn Jahre alt, war noch nie außerhalb meiner Stadt gewesen und hatte noch nie einen Raumhafen gesehen. Ich war allein und hatte gerade meine Familie verlassen. Meine Heiratsaussichten hatten bei hundert Prozent gelegen, nun lagen sie bei null. Kein Mann würde eine Frau heiraten, die davongelaufen war. Ich würde kein normales Leben führen. Doch ich hatte bei den planetaren Prüfungen eine so gute Note in Mathematik erzielt, dass die Oomza-Universität mich nicht nur angenommen, sondern versprochen hatte, alles zu bezahlen, was ich brauchte, um mein Studium dort zu absolvieren. Egal welche Entscheidung ich traf, ein normales Leben würde ich sowieso nicht führen.

    Ich sah mich um und wusste sofort, was ich zu tun hatte. Ich ging zum Informationsschalter.

    Der Reisesicherheitsbeamte scannte mein Astrolabium, und zwar komplett. Ich war so schockiert, dass mir schwindelig wurde. Also schloss ich die Augen und atmete durch den Mund, um mich zu beruhigen. Ich musste ihnen, nur um den Planeten verlassen zu können, Zugriff auf mein gesamtes Leben gewähren – auf mich, meine Familie und all meine Zukunftsaussichten. Ich stand wie erstarrt da, während ich die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf hörte: »Unser Volk besucht aus gutem Grund nie diese Universität. Oomza Uni will sich an dir bereichern, Binti. Wenn du diese Schule besuchst, wirst du zu ihrer Sklavin.« Unwillkürlich fragte ich mich, ob das vielleicht stimmte. Ich war dort noch nicht einmal angekommen, musste ihnen aber schon mein gesamtes Leben überlassen. Ich wollte den Beamten fragen, ob er das bei jedem machte, aber da er bereits fertig war, traute ich mich nicht. In dieser Situation konnten sie mit mir machen, was sie wollten. Es war besser, sie nicht zu provozieren.

    Als der Beamte mir mein Astrolabium reichte, wollte ich es ihm aus der Hand reißen. Er war ein alter Khoush, so alt, dass er den schwärzesten Turban und den schwärzesten Schleier tragen durfte. Seine zitternden Hände hatte Arthritis so verkrümmt, dass er das Astrolabium beinahe fallen gelassen hätte. Er war so krumm wie eine verdorrende Palme, und als er »Du bist noch nie gereist. Ich muss einen vollständigen Scan durchführen. Warte hier!« sagte, war seine Stimme trockener als die rote Wüste, die meine Stadt umgab. Doch er las mein Astrolabium so schnell aus wie mein Vater, was mich auf der einen Seite beeindruckte, auf der anderen jedoch verängstigte. Er öffnete es geschickt, indem er ein paar ausgesuchte Gleichungen murmelte, und seine auf einmal ruhigen Hände bedienten die Regler so sicher, als sei dies sein eigenes Astrolabium.

    Als er fertig war, sah er mich aus hellgrünen, stechenden Augen an, die noch mehr über mich herauszufinden schienen als der Scan des Astrolabiums. Hinter mir standen Leute und ich hörte ihr Flüstern, leises Lachen und das Murmeln eines kleinen Kindes. Es war kühl im Terminal, aber ich fühlte mich so sehr unter Druck gesetzt, dass mir heiß war. Meine Schläfen schmerzten und meine Füße kribbelten.

    »Herzlichen Glückwunsch!«, sagte der Beamte mit seiner ausgetrockneten Stimme und reichte mir mein Astrolabium.

    Ich runzelte verwirrt die Stirn. »Wozu?«

    »Du bist der Stolz deines Volkes, Kind.« Er sah mir in die Augen. Dann lächelte er breit und klopfte mir auf die Schulter. Er hatte gerade mein gesamtes Leben gesehen. Er wusste, dass ich von der Oomza-Universität angenommen worden war.

    »Oh!« Tränen brannten in meinen Augen. »Danke, Sir«, sagte ich rau, als ich mein Astrolabium nahm.

    Ich ging rasch durch die Menschenmenge im Terminal. Ihre Nähe war mir unangenehm. Ich dachte darüber nach, auf die Toilette zu gehen, mehr Otjize aufzutragen und meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenzubinden, ging dann aber weiter. Die meisten Leute in dem vollen Terminal trugen die schwarze und weiße Kleidung der Khoush – Frauen trugen weiße Kleider mit farbenfrohen Gürteln und ebenfalls weißen Schleiern, die Männer trugen Schwarz wie mächtige Geister. Ich hatte sie oft im Fernsehen und ab und zu auch in meiner Stadt gesehen, aber ich hatte noch nie in einem Meer aus Khoush gestanden. Dies war der Rest der Welt, und ich hatte sie endlich betreten.

    Als ich vor den Sicherheitskontrollen anstand, spürte ich, wie jemand an meinen Haaren zog. Ich drehte mich um und entdeckte einige Khoush-Frauen. Sie starrten mich an; alle Leute hinter mir starrten mich an.

    Die Frau, die an meinem Zopf gezogen hatte, betrachtete ihre Finger und rieb sie stirnrunzelnd aneinander. Mein Otjize hatte sie orange gefärbt. Sie roch an ihnen. »Das riecht nach Jasminblüten«, sagte sie überrascht zu der Frau, die links neben ihr stand.

    »Nicht nach Scheiße?«, fragte eine zweite Frau. »Ich habe gehört, dass es nach Scheiße riecht, weil es Scheiße ist.«

    »Nein, das riecht definitiv nach Jasminblüten. Es ist allerdings so dick wie Scheiße.«

    »Sind ihre Haare echt?«, fragte eine andere Frau die, die sich die Finger rieb.

    »Keine Ahnung.«

    »Diese ›Schlammduscher‹ sind ein ekliges Volk«, sagte die zweite Frau.

    Ich wandte mich mit hängenden Schultern ab. Meine Mutter hatte mir beigebracht, nichts zu sagen, wenn Khoush in der Nähe waren. Wenn Khoush-Händler in unsere Stadt kamen, um Astrolabien zu kaufen, machte mein Vater sich immer so klein wie möglich. »Wenn ich das nicht tue, würde ich einen Krieg mit ihnen anfangen und nicht aufhören, bis ich ihn gewonnen habe.« Mein Vater hielt nichts vom Krieg. Er sagte, dass der Krieg schrecklich sei, aber dass er, sollte der Krieg kommen, ihn genießen würde wie Sand einen Sturm. Dann sprach er ein Gebet, in dem er die Sieben bat, keinen Krieg zu bringen, und ein zweites, in dem er sie bat, seine Worte zu vergessen.

    Ich zog meine Zöpfe nach vorn und berührte das Edan in meiner Tasche. Ich zwang meinen Geist, sich darauf zu konzentrieren, auf sein seltsames Metall, seine seltsame Sprache, das seltsame Gefühl, wenn man es berührte. Ich hatte das Edan fünf Jahre zuvor gefunden, an einem Nachmittag, als ich die Hinterwüste erkundet hatte. »Edan« war ein Oberbegriff für alle Geräte, die so alt waren, dass niemand mehr wusste, wofür sie einst gedient hatten. Man betrachtete sie nur noch als Kunstwerke.

    Mein Edan war interessanter als jedes Buch und jeder neue Astrolabium-Entwurf, den ich im Geschäft meines Vaters anfertigte und für den die Frauen hinter mir wahrscheinlich getötet hätten. Und es gehörte mir. Es steckte in meiner Tasche, und die Frauen hinter mir würden nie davon erfahren. Diese Frauen redeten über mich, die Männer wahrscheinlich auch. Aber keiner von ihnen wusste, was ich hatte, wohin ich ging und wer ich war. Sollten sie doch tuscheln und mich verurteilen. Zum Glück versuchten sie nicht noch einmal, meine Haare anzufassen. Ich halte auch nichts vom Krieg.

    Der Sicherheitsbeamte sah mich düster an, als ich vortrat. Hinter ihm sah ich drei Eingänge; der mittlere führte zu einem Schiff namens »Dritter Fisch«. Damit wollte ich nach Oomza Uni fliegen. Durch die große runde Tür konnte ich einen langen, von blauen Lichtern sanft erhellten Gang sehen.

    »Vortreten!«, sagte der Beamte. Er trug die gleiche Uniform wie alle einfachen Raumhafenmitarbeiter – ein langes weißes Gewand und graue Handschuhe. Ich hatte diese Uniformen bisher nur in Streaming-Geschichten und Büchern gesehen, und trotz allem hätte ich beinahe gekichert. Er sah so albern aus. Ich trat vor, und alles wurde warm und rot.

    Als der Körperscanner seine Arbeit mit einem Piepen beendete, griff der Sicherheitsbeamte in meine linke Tasche und holte mein Edan heraus. Er sah es mürrisch und misstrauisch an.

    Ich wartete. Was wusste er darüber?

    Er betrachtete den mit Zacken versehenen Würfel und drückte auf die vielen Spitzen. Er musterte die seltsamen Symbole, die ich seit zwei Jahren vergeblich zu entschlüsseln versuchte. Er hob den Würfel hoch, um die blauen und schwarzen und weißen Muster besser erkennen zu können. Sie erinnerten mich an die Spitze, die man jungen Mädchen auf den Kopf legte, wenn sie nach ihrem elften Geburtstag zum Elften Ritual gebracht wurden.

    »Woraus ist das gemacht?«, fragte der Beamte, während er den Würfel über einen Scanner hielt. »Ich kann das Metall nicht zuordnen.«

    Ich hob die Schultern. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass die Leute, die hinter mir in der Schlange standen, mich anstarrten. Auf sie wirkte ich wahrscheinlich wie die Menschen, die in Höhlen tief in der Hinterwüste lebten und durch die Sonne so schwarz geworden waren, dass sie wie aufrecht gehende Schatten wirkten. Leider fließt auch in meinen Adern etwas Wüstenvolkblut. Das stammt von den Vorfahren meines Vaters und sorgt dafür, dass meine Haut besonders dunkel und meine Haare besonders buschig sind.

    »In deiner Identität sehe ich, dass du eine Harmonistin bist, eine sehr gute, die einige der besten Astrolabien herstellt«, sagte er. »Aber dieser Gegenstand ist kein Astrolabium. Hast du ihn hergestellt? Und wieso weißt du nicht, woraus er besteht, wenn du ihn hergestellt hast?«

    »Ich habe ihn nicht hergestellt«, antwortete ich.

    »Wer sonst?«

    »Das ist … das ist nur ein altes, altes Ding. Es macht nichts und darin fließt kein Strom. Das ist nur ein kaputter, alter computerisierter Apparat, den ich als Glücksbringer benutze.« Das war nur die halbe Wahrheit. Doch selbst ich wusste nicht genau, wozu er in der Lage war.

    Der Mann schien mir noch weitere Fragen stellen zu wollen, tat es aber nicht. Innerlich lächelte ich. Die Sicherheitsbeamten der Regierung besuchten die Schule nur bis zum zehnten Lebensjahr, aber aufgrund ihrer Position waren sie daran gewöhnt, Menschen herumzukommandieren. Und Leute wie mich behandelten sie besonders herablassend. Anscheinend waren diese Beamten überall gleich, egal zu welchem Stamm sie gehörten. Ich hatte keine Ahnung, was ein »computerisierter Apparat« war, aber er konnte nicht zugeben, dass ein armes Himbamädchen gebildeter war als er. Nicht vor all diesen Leuten. Also winkte er mich rasch durch. Endlich stand ich vor dem Eingang des Schiffs.

    Ich konnte das Ende des Gangs nicht sehen, also betrachtete ich den Eingang. Das Schiff war eine wundervolle Konstruktion aus lebender Technologie. Dritter Fisch war eine Miri 12, ein Schiffstyp, der eng mit einer Garnele verwandt war. Miri 12er waren stabile, ruhige Wesen mit einem natürlichen Exoskelett, das dem lebensfeindlichen All trotzte. Man hatte sie genetisch verbessert, sodass es in ihren Körpern drei Atmungskammern gab.

    Wissenschaftler siedelten schnell wachsende Pflanzen in diesen drei gewaltigen Räumen an. Die verwandelten nicht nur CO2, das aus anderen Bereichen des Schiffs abgepumpt wurde, in Sauerstoff, sondern absorbierten auch Benzol, Formaldehyd und Trichlorethylen. Das war die fantastischste Technologie, von der ich je gehört hatte. Sobald ich mich auf dem Schiff eingelebt hatte, würde ich jemanden bitten, mir einen dieser Räume zu zeigen. Doch momentan dachte ich nicht über die Technologie des Schiffs nach. Ich stand an der Grenze zwischen meiner Heimat und meiner Zukunft.

    Ich betrat den blauen Gang.

    So fing das alles also an. Ich fand meine Kabine. Ich fand meine Gruppe – elf weitere neue Studenten, alles Menschen, alles Khoush im Alter von fünfzehn bis achtzehn Jahren. Eine Stunde später baten meine Mitstudenten und ich einen Schiffstechniker, uns eine der Atmungskammern zu zeigen. Ich war nicht die einzige neue Oomza-Studentin, die unbedingt einmal diese Technologie in der Praxis sehen wollte. Die Luft in dem Raum roch nach den Dschungeln und Wäldern, die ich nur aus Büchern kannte. Die Pflanzen hatten dicke Blätter und wuchsen überall, an der Decke, den Wänden und auf dem Boden. Sie blühten, und ich hätte den weichen, angenehmen Duft gern tagelang geatmet.

    Einige Stunden später begegneten wir unserem Gruppenführer. Er war ein strenger alter Khoush, der uns zwölf musterte und nach einer Pause zu mir sagte: »Warum bedeckt roter, fettiger Lehm deine Haut, und wieso belastest du deine Knöchel mit Stahlringen?« Als ich ihm sagte, ich sei eine Himba, antwortete er kühl: »Ich weiß, aber das ist keine Antwort auf meine Frage.« Ich erklärte ihm, wie mein Volk traditionell seine Haut pflegte und dass die Stahlringe an den Knöcheln vor Schlangenbissen schützten. Er betrachtete mich lange, und die anderen Studenten starrten mich wie einen seltenen, bizarren Schmetterling an.

    »Trag deinen Otjize«, sagte er, »aber nicht so viel, dass du das Schiff verschmutzt. Und wenn diese Ringe dich vor Schlangenbissen schützen, dann brauchst du sie ja nicht mehr.«

    Ich streifte alle Ringe bis auf zwei an jedem Knöchel ab. So klimperten sie immer noch bei jedem Schritt.

    Ich war die einzige Himba auf einem Schiff, das fast fünfhundert Passagiere beförderte. Mein Stamm ist von Innovation und Technologie fasziniert, doch er lebt zurückgezogen, und wie ich schon sagte, verlassen wir die Erde nicht gern. Wir erkunden das Universum lieber durch Reisen nach innen, nicht nach außen. Kein Himba hat je Oomza Uni besucht. Es war also nicht überraschend, dass ich die Einzige meines Stammes an Bord war. Doch etwas, das einen nicht überrascht, kann trotzdem schwer sein.

    Das Schiff war voller Menschen, die den Blick nach außen richteten, Mathematik und Experimente liebten, gerne lernten, lasen, erfanden, studierten und enthüllten. Die Leute auf dem Schiff waren keine Himba, aber ich erkannte schon bald, dass sie trotzdem meine Leute waren. Ich fiel als Himba auf, aber unsere Gemeinsamkeiten überwogen. Ich fand rasch Freunde. Und nach einer Woche im All waren sie gute Freunde.

    Olo, Remi, Kwuga, Nur, Anajama, Rhoden. Nur Olo und Remi gehörten zu meiner Gruppe. Die anderen lernte ich im Speisesaal oder im Lernraum kennen, in dem die Professoren an Bord des Schiffs Vorlesungen hielten. Alle waren junge Frauen, die in großen Häusern aufgewachsen, nie durch die Wüste gegangen und nie im trockenen Gras auf eine Schlange getreten waren. Sie hielten die Strahlen der irdischen Sonne nur aus, wenn sie durch verdunkelte Fenster fielen.

    Doch sie alle wussten genau, was ich meinte, wenn ich von »verästeln« sprach. Wir saßen in meinem Zimmer (weil ich so wenig Gepäck hatte, dass dort am meisten Platz war) und spielten ein Spiel, bei dem wir die Sterne betrachteten und uns die komplexeste Gleichung vorstellten, die uns einfiel. Dann teilten wir sie in zwei Teile und dann noch einmal in zwei Teile und noch einmal. Wenn man mathematische Fraktale lang genug übte, dann verästelte man sich so sehr, dass man sich in den Tiefen des mathematischen Ozeans verlor. Keine von uns wäre an der Uni aufgenommen worden, wenn wir das nicht gekonnt hätten, aber es war nicht leicht. Doch wir waren die Besten und feuerten einander an, um »Gott« immer näherzukommen.

    Dann war da noch Heru. Ich hatte noch nie mit ihm gesprochen, aber wir lächelten uns beim Essen über den Tisch hinweg an. Er stammte aus einer Stadt, die so weit von meiner entfernt war, dass sie auch aus meiner Fantasie hätte stammen können. Es gab dort Schnee, und Männer ritten auf riesigen grauen Vögeln und Frauen sprachen mit diesen Vögeln, ohne den Mund zu bewegen.

    Einmal stand Heru mit einem seiner Freunde hinter mir in der Schlange vor dem Buffet. Ich spürte, wie jemand einen meiner Zöpfe anhob. Während ich herumfuhr, baute sich bereits Wut in mir auf. Dann sah ich ihn an und er ließ meine Haare rasch los. Lächelnd hob er die Hände. »Ich konnte nicht anders«, sagte er. Mein Otjize färbte seine Fingerspitzen rot.

    »Du hast dich nicht in der Gewalt?«, fuhr ich ihn an.

    »Du hast genau einundzwanzig Zöpfe«, sagte er. »Und sie sind zu tessilierten Dreiecken geflochten. Ist das eine Art Code?«

    Ich wollte ihm erklären, dass es sich um einen Code handelte, dass das Muster die Blutlinie meiner Familie, unsere Kultur und Geschichte darstellte. Dass mein Vater das Muster entworfen und meine Mutter und meine Tanten mir gezeigt hatten, wie ich es in meine Haare einflechten musste. Doch als ich Heru ansah, pochte mein Herz und mir wollten keine Worte einfallen, also zuckte ich nur mit den Schultern und wandte mich ab, um mir eine Schale Suppe zu nehmen. Heru war groß und hatte die weißesten Zähne, die ich je gesehen hatte. Und er war sehr gut in Mathematik; nur wenigen wäre der Code in meinen Haaren aufgefallen.

    Aber ich konnte ihm nicht mehr erklären, dass das Muster in meinen Haaren die Geschichte meines Volkes erzählte. Denn was geschah, geschah. Es passierte am achtzehnten Tag der Reise, fünf Tage vor unserer Ankunft auf dem Planeten Oomza Uni, der wichtigsten und innovativsten Universität der Galaxis. Ich war so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben und weiter weg von meiner geliebten Familie, als ich es je gewesen war.

    Ich saß am Tisch und aß genüsslich einen gallertartigen, milchigen Nachtisch, in dem kleine Kokosnussstückchen steckten. Ich sah Heru an, der mich nicht ansah. Ich legte die Gabel weg und nahm mein Edan in die Hand. Ich spielte damit herum, während ich zusah, wie Heru mit dem Jungen, der neben ihm saß, redete. Der leckere, cremige Nachtisch zerfloss kühl auf meiner Zunge. Neben mir sangen Olo und Remi ein traditionelles Lied aus ihrer Stadt, weil sie Heimweh hatten. Man musste das Lied mit einer wässrigen Stimme singen, als sei man ein Wassergeist.

    Dann schrie jemand, und Herus Brust platzte auf. Sein warmes Blut bespritzte mich. Hinter ihm stand ein Meduse.

    In meiner Kultur gilt es als blasphemisch, unbelebte Gegenstände anzubeten, doch ich tat das trotzdem. Ich betete zu einem Metall, das selbst mein Vater nicht hatte bestimmen können. Ich drückte es an meine Brust, schloss die Augen und betete zu ihm: Ich stehe unter deinem Schutz. Bitte beschütze mich! Ich stehe unter deinem Schutz. Bitte beschütze mich!

    Ich zitterte so sehr, dass ich mir auf einmal vorstellen konnte, wie es sich anfühlen musste, wenn man vor Angst starb. Ich hielt den Atem an. Ihr Gestank lag mir immer noch auf der Zunge und steckte in meiner Nase. Herus zähflüssiges Blut klebte an meinem Gesicht. Ich betete zu dem geheimnisvollen Metall, aus dem mein Edan bestand, weil ich glaubte, dass nur es mich in diesem Moment vor dem Tod bewahrte.

    Ich atmete schwer durch den Mund und riskierte einen kurzen Blick. Dann schloss ich die Augen gleich wieder. Die Medusen schwebten nur dreißig Zentimeter von mir entfernt in der Luft. Einer hatte sich auf mich geworfen, doch war nur wenige Zentimeter vor mir erstarrt. Einen Tentakel hatte er nach meinem Edan ausgestreckt, der färbte sich nun aschgrau, während er austrocknete wie ein totes Blatt.

    Ich hörte die anderen. Ihre halbfesten Körper raschelten, während sich ihre transparenten Hauben bei jedem Atemzug aufblähten und wieder zusammenfielen. Sie waren so groß wie erwachsene Männer, das Fleisch ihrer Hauben war so dünn wie feine Seide, und ihre langen Tentakel hingen zu Boden wie riesige, geisterhafte Nudeln. Ich presste das Edan fester an mich. Ich stehe unter deinem Schutz. Bitte beschütze mich!

    Alle im Speisesaal waren tot. Mindestens einhundert Menschen. Ich ahnte, dass alle an Bord tot waren. Die Medusen waren in den Saal gestürmt und hatten moojh-ha ki-bira begangen, bevor jemand hatte reagieren können. So nennen das die Khoush. Wir hatten im Geschichtsunterricht diese Tötungsmethode der Medusen gelernt. Die Khoush bauten die Lektionen in Geschichts-, Literatur- und Kulturunterricht in unterschiedlichsten Regionen ein. Die Khoush wollten, dass jeder sich an ihren Erzfeind und dessen größte Ungerechtigkeit erinnerte. Im Mathematik- und Wissenschaftsunterricht lernten wir sogar etwas über die Anatomie der Medusen und über die Grundlagen ihrer Technologie.

    Moojh-ha ki-bira bedeutet »große Welle«. Die Medusen bewegen sich wie Wasser, wenn sie im Krieg sind. Es gibt kein Wasser auf ihrem Planeten, aber sie verehren das Wasser wie eine Gottheit. Ihre Vorfahren kamen vor langer Zeit aus dem Wasser. Die Khoush lebten in den wasserdurchsetztesten Gegenden auf der Erde, einem Planeten, der hauptsächlich aus Wasser bestand. Sie betrachteten die Medusen als minderwertig.

    Die Probleme zwischen den Medusen und den Khoush basierten auf einem alten Kampf und einer noch älteren Meinungsverschiedenheit. Irgendwie hatten sie sich darauf geeinigt, keine Schiffe mehr anzugreifen. Doch hier begingen die Medusen moojh-ha ki-bira.

    Ich hatte mit meinen Freundinnen geredet.

    Meinen Freundinnen.

    Olo, Remi, Kwuga, Nur, Anajama, Rhoden und Dullaz. Wir hatten so oft bis spät in die Nacht über unsere Angst, Oomza Uni könnte zu schwer und fremd für uns sein, gelacht. Wir alle hatten verzerrte Vorstellungen von der Universität, die sehr wahrscheinlich falsch waren … oder höchstens halb richtig. Wir hatten so viel gemeinsam. Ich dachte nicht an mein Zuhause oder wie ich es hatte verlassen müssen, und ich dachte auch nicht an die schrecklichen Nachrichten, die meine Familie einige Stunden nach meiner Abreise an mein Astrolabium geschickt hatte. Ich richtete den Blick auf meine Zukunft, und ich lachte, weil sie so vielversprechend war.

    Dann kamen die Medusen in den Speisesaal. Ich sah Heru gerade an, als der rote Kreis an der oberen linken Seite seines Hemds auftauchte. Das Ding, das sich wie ein Schwert hindurchschob, war so dünn wie Papier … und beweglich und nicht gegen Blutflecken gefeit. Die Spitze wackelte und krümmte sich wie ein Finger. Ich sah, wie sie sich in das Fleisch nahe Herus Schlüsselbein grub.

    Moojh-ha ki-bira.

    Ich weiß nicht mehr, was ich tat oder sagte. Meine Augen waren geöffnet und nahmen alles in sich auf, doch mein restliches Gehirn schrie. Ohne Grund konzentrierte ich mich auf die Zahl fünf. Immer und immer wieder dachte ich 5-5-5-5-5-5-5-5, während der Schock aus Herus Blick verschwand und er leer wurde. Aus seinem geöffneten Mund drang ein würgendes Geräusch, dann quoll rotes, mit Speichelblasen vermischtes Blut daraus hervor. Er fiel nach vorn. Sein Kopf traf mit einem dumpfen Knall auf den Tisch. Sein Hals war zur Seite gedreht, daher konnte ich seine offenen Augen sehen. Seine linke Hand krampfte sich zusammen und lag dann still. Doch seine Augen waren immer noch offen. Er blinzelte nicht.

    Heru war tot. Olo, Remi, Kwuga, Nur, Anajama, Rhoden und Dullaz waren tot. Alle waren tot.

    Der Speisesaal stank nach Blut.

    Niemand aus meiner Familie hatte gewollt, dass ich die Oomza-Universität besuchte. Selbst mein bester Freund Dele hatte mich nicht gehen lassen wollen. Doch kurz nachdem ich von meiner Aufnahme an die Universität erfahren und meine ganze Familie Nein gesagt hatte, scherzte Dele, wenn ich ginge, müsste ich mir wenigstens keine Sorgen wegen der Medusen machen, weil ich die einzige Himba an Bord des Schiffs sein würde.

    »Selbst wenn sie alle anderen umbringen, werden sie dich nicht einmal sehen«, hatte er gesagt. Dann hatte er laut gelacht, weil er sich sicher war, dass ich ohnehin nicht gehen würde.

    Nun erinnerte ich mich an seine Worte. Dele. Ich hatte die Gedanken an ihn verdrängt und seine Nachrichten nicht gelesen. Ich konnte nur weitermachen, indem ich die Menschen, die mir etwas bedeuteten, ignorierte. Als ich das Stipendium für ein Studium an der Oomza Uni bekommen hatte, war ich in die Wüste hinausgegangen und hatte stundenlang geweint. Vor Freude.

    Ich hatte das gewollt, seit ich wusste, was eine Universität war. Oomza Uni stand unangefochten an der Spitze, nur fünf Prozent der Bevölkerung waren Menschen. Was für eine Vorstellung, zu diesen fünf Prozent zu gehören, mit ihnen zusammen über Wissen, Schöpfung und Entdeckungen zu sprechen. Dann ging ich nach Hause, erzählte meiner Familie davon und weinte vor Entsetzen.

    »Du kannst nicht gehen«, sagte meine älteste Schwester. »Du bist eine Harmonistenmeisterin. Wer soll denn sonst Vaters Geschäft übernehmen?«

    »Sei nicht so egoistisch!«, spie mir meine Schwester Suun entgegen. Obwohl sie nur ein Jahr älter war als ich, glaubte sie, sie könne über mein Leben bestimmen. »Jage nicht dem Ruhm hinterher, sondern sei realistisch. Du kannst nicht einfach abhauen und durch die Galaxis fliegen.«

    Meine Brüder hatten gelacht, weil sie die Vorstellung nicht ernst nehmen konnten. Meine Eltern sagten gar nichts, sie gratulierten mir noch nicht einmal. Ihr Schweigen war Antwort genug. Und mein bester Freund Dele? Er gratulierte mir und sagte, ich sei schlauer als

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