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Sind die Kirchen noch zu retten?: Die europäischen Christen vor den Herausforderungen durch den Kulturwandel
Sind die Kirchen noch zu retten?: Die europäischen Christen vor den Herausforderungen durch den Kulturwandel
Sind die Kirchen noch zu retten?: Die europäischen Christen vor den Herausforderungen durch den Kulturwandel
Ebook176 pages1 hour

Sind die Kirchen noch zu retten?: Die europäischen Christen vor den Herausforderungen durch den Kulturwandel

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Alle Umfrageergebnisse der letzten Jahrzehnte zur christlichen Religion in Mitteleuropa enthalten die gleiche Botschaft: Die Kirchenaustrittszahlen liegen seit Jahrzehnten hoch, die Zustimmungs-Werte zu den Kernthemen des traditionell formulierten christlichen Glaubens und die Teilnahme an den religiösen Praktiken der Kirchen sinken, und zwar mit zunehmender Tendenz. Daraus wird der Schluss gezogen: Nicht nur der christliche Glaube, sondern die Religion generell sei in der Krise. Die Kirchen versuchen diesem Aderlass mit europäischen „Evangelisations-Offensiven“ entgegen zu wirken. Andere reagieren darauf mit Rückbaumaßnahmen oder wirtschaftsstrategisch mit neuen Marketing-Konzepten.
Die Kirchen sollten ihren Plausibilitätsverlust im Zusammenhang mit dem Paradigmenwechsel in der europäischen Kultur verstehen lernen und darauf so reagieren, wie sie zu allen Zeiten auf den Wechsel oder Wandel der Kultur reagiert haben, indem sie nämlich ihre Botschaft in den sprachlichen und geistigen Plausibilitätsstrukturen ihrer Zeitgenossen zum Ausdruck bringen. Dafür wird die längst anstehende öffentliche Reflexion der Gottesfrage in den Gemeinden notwendig sein.
LanguageDeutsch
Release dateOct 13, 2015
ISBN9783739259987
Sind die Kirchen noch zu retten?: Die europäischen Christen vor den Herausforderungen durch den Kulturwandel
Author

Helmut Fischer

Helmut Fischer wurde 1929 in Nordmähren geboren. Er studierte Theologie, Philosophie und Psychologie und wurde im Fach Systematische Theologie zum Dr. theol. promoviert. Von 1958 bis 1976 war er vier Jahre Pfarrer im Westerwald und danach in Frankfurt/Main. Dort war er auch Dozent am Theologischen Konvikt. Von 1976 bis 1991 lehrte er als Professor am Theologischen Seminar in Friedberg/Hessen sprachliche Kommunikation/Homiletik und Gottesdienstgestaltung. Danach war er in der Lehrerfortbildung und Erwachsenenbildung tätig und ist es noch als Lehrer der Ikonenmalerei und als Autor theologischer Bücher.

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    Sind die Kirchen noch zu retten? - Helmut Fischer

    gab.

    1 Zur Einführung

    1.1 Der Ist-Zustand

    Alle Umfrageergebnisse der letzten Jahrzehnte zur christlichen Religion in Mitteleuropa enthalten die gleiche Botschaft: Die Austrittszahlen liegen seit Jahrzehnten hoch, die Zustimmungs-Werte zu den Kernthemen des traditionell formulierten christlichen Glaubens und die Teilnahme an den religiösen Praktiken der Kirchen sinken, und zwar mit zunehmender Tendenz. Daraus wird der Schluss gezogen: Nicht nur der christliche Glaube, sondern die Religion generell sei in der Krise. Eine Kirche versucht diesem Aderlass mit „europäischen Evangelisations-Offensiven entgegen zu wirken. Andere sehen darin ein „fröhliches Gesundschrumpfen oder sie entzünden kurzlebige „Leuchtfeuer oder sie reagieren darauf technokratisch mit Rückbaumaßnahmen oder wirtschaftsstrategisch mit neuen Marketing-Konzepten. Die Selbstentschuldung der Kirchen funktioniert perfekt, denn sie suchen Schuld und Ursachen für die diagnostizierte „Religionsverdunstung bei anonymen gottfeindlichen Mächten wie der Säkularisierung, bei der Konsum- und Genussgesellschaft, bei den Ego-Ideologien u. v. a. m. Die aufgezählten Begründungen für den vermeintlichen Religionsverlust erklären freilich wenig, denn sie schildern nur gedeutete Symptome.

    1.2 Die Handlungsmöglichkeiten der Kirche

    Gewiss gibt es eine Reihe von kulturellen Faktoren, die zum Plausibilitätsverlust kirchlicher Inhalte und Frömmigkeitspraktiken beitragen. Eine Kirche, die diesen Plausibilitätsverlust wahrnimmt und ernstnimmt, sollte aber nicht zuerst nach externen Gründen dafür suchen, sondern danach fragen, wo ihr eigener Anteil an dem Problem liegt, und sich darauf konzentrieren, die eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen, der kirchlichen Entfremdung aktiv zu begegnen. Jene schlichte Klampfentheologie, die Gottes Liebe „wie Gras und Ufer" in einem schwedischen Urlaubsparadies anpreist, wird dazu kaum ausreichen. Bischofsworte oder Präsidentenbriefe zu Weihnachten und Ostern lösen das Problem ebenfalls nicht. Sie dokumentieren es allerdings als eine tiefe Krise der Sprache christlicher Verkündigung. Auch wenn die folgenden Ausführungen für das anstehende Problem nicht bereits die fertigen Lösungen vorlegen können, so versuchen sie doch zu zeigen, wo der Handlungsbedarf und die Handlungsmöglichkeiten der Kirche liegen, um dem beklagten Verlust von Religion aktiv entgegenzuwirken.

    1.3 Zum Charakter des Buches

    1.3.1 Ein Kurztext ohne Virenschutz

    Dieser bewusst kurze Text ist mit der Absicht verfasst worden, ein für die christliche Verkündigung dringliches Thema ins Gespräch zu bringen, und zwar auf möglichst vielen Ebenen der Kirche. Es geht dabei nicht um die Kirche selbst, sondern um ihren Auftrag in der Welt. Ein Kurztext enthält zugespitzte Formulierungen, die er nicht gegen alle nur möglichen Missdeutungen absichern kann. Er setzt auf Leserinnen und Leser, die in der Lage und willens sind, seine Aussagen und Anregungen gemäß seinen Prämissen, seiner Intention und seiner Logik zu verstehen und weiterzudenken. Er geht davon aus, dass die Leser die Reduktion auf Wesentliches nicht mit Reduktionismus gleichsetzen, und das, was nicht erwähnt wird, als Ablehnung oder Ausblendung werten. Gegen die Missachtung der Intention des Textes und gegen falsches Hochrechnen seiner Prämissen zu einer gewollten conclusio oder reductio ad absurdum gibt es außerhalb eines kultivierten Dialogs keinen Virenschutz.

    1.3.2 Was Thema und was nicht Thema ist

    Die hier vorgetragenen Überlegungen gehen von der vielfach abgesicherten Erkenntnis aus, dass die Mehrzahl der deutschsprachigen Zeitgenossen ihre Welt und ihr Leben nicht mehr im Rahmen des monotheistischen Paradigmas (Denkmodells) verstehen und deuten, wonach ein allmächtiger und alsPerson vorgestellter Schöpfergott die Geschichte der Welt und auch jedes persönliche Leben lenkt. Dieser ernüchternde Tatbestand ist mit seinen vielfältigen Konsequenzen von der Kirche endlich wahrzunehmen und ernstzunehmen.

    Es ist nicht Sache der Kirche, Religion im Sinne einer Kultpraxis oder Weltanschauung zu pflegen und theologische Systeme zu verkünden. Die Existenz einer christlichen Kirche liegt in ihrem Auftrag begründet, die Botschaft Jesu den Menschen ihrer Welt und Zeit nahezubringen. Damit ist die Frage gestellt, wie die im theistischen Paradigma verfasste und überlieferte Botschaft jenen Zeitgenossen nahegebracht werden kann, die, aus noch anzudeutenden Gründen, die Welt und ihr Leben nicht mehr theistisch denken und verstehen. Allein dies ist Thema der folgenden Ausführungen. Die theistische Redeweise für die, die darin zuhause sind, ist damit weder abgewertet noch abgetan noch in ihrem Recht grundsätzlich bestritten. Der Fokus des Nachdenkens ist hier freilich auf jene Mehrheit gerichtet, denen theistisches Denken fremd geworden ist.

    Ausdrücklich sei betont, dass in diesem Text nicht verhandelt wird, wie Gott vorzustellen, zu denken, zu definieren sei. Dazu hat sich der Verfasser in anderen Veröffentlichungen geäußert.

    1.3.3 Warum die historische Einführung nötig ist

    Da es hier nicht um das schnelle Rezept, sondern um ein begründetes Konzept geht, ist es nötig, sich die langfristigen kultur- und geistesgeschichtlichen Prozesse zu vergegenwärtigen, in die christliche Verkündigung zu allen Zeiten eingebunden war und auch heute eingebunden ist. Die historischen Ausführungen verdeutlichen lediglich die entscheidenden religionsgeschichtlichen Weichenstellungen und dass die Herausforderungen, vor denen die christliche Verkündigung steht, zu allen Zeiten strukturell die gleichen waren. Wie zu zeigen sein wird, ist der Umbruch des Denkens, der sich kollektiv im letzten Jahrhundert vollzog, tiefergreifend als in den Jahrtausenden davor.

    Bis ins 19. Jahrhundert haben sich alle Veränderungen im Weltverständnis nach Inhalt und Ausdruck innerhalb des theistischen Paradigmas vollzogen. Das kulturgeschichtlich Neue, das auch von der Verkündigung neue Lösungen forderte, hat sich seit der Aufklärung zunächst bei Wissenschaftlern und Philosophen und erst seit der Mitte des letzten Jahrhunderts bei der Mehrzahl der mitteleuropäischen Zeitgenossen durchgesetzt, nämlich der Umbruch von dem theistischen zu einem nontheistischen Paradigma des Welt- und Selbstverständnisses. Der Blick in die Geschichte zeigt, wie dringlich, notwendig und groß die Aufgabe ist, vor der die christliche Verkündigung heute steht. Und Verkündigung ist nicht allein an die verbeamteten Prediger zu delegieren; sie ist Sache jeder Gemeinde und derer, die sich zu ihr zählen.

    1.3.4 Zwischen Gestalt und Gehalt des christlichen Glaubens unterscheiden

    Traditionelles kirchliches Denken neigt dazu, den Inhalt der Botschaft Jesu, wie sie uns in den Sprachformen der Bibel, der Dogmen und der Bekenntnisse vorliegt, für alle Zeit festgeschrieben zu sehen, d. h. Gehalt und Gestalt der Botschaft gleichzusetzen. J. Ratzinger steht nicht allein da, wenn er als Professor und als Papst bis in seine letzte Enzyklika und in seine private Veröffentlichungen keine Gelegenheit ausgelassen hat, jeden Hinweis darauf, dass unsere sprachlichen Äußerungen in die jeweilige Sprache, Kultur und politischen Umstände eingebunden sind, als „Relativismus" zu diffamieren. Wer hinter die Einsicht zurückfällt, dass wir geistige Inhalte immer nur in den Denkmustern, Anschauungsformen und Symbolen einer bestimmten Sprache und vor dem Hintergrund unserer Zeit – also sprach- und zeitgebunden – formulieren können, der schließt sich selbst aus dem Dialog mit seinen Zeitgenossen aus und verzichtet darauf, sie mit seiner Botschaft zu erreichen. In der Verkündigung gilt es nicht, seine erlernten oder gewohnten Glaubensvorstellungen zu bekennen, sondern das zu tun, was Paulus bereits 1Kor 9,10 ff. so ausdrückte: den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche zu werden, d. h. die Botschaft im Denkhorizont und in der Sprache der jeweiligen Adressaten auszudrücken, um sie in ihrer Welt zu erreichen.

    1.4 Eine Leseempfehlung

    Zum gleichen Problem gibt es stets unterschiedliche Zugänge. Ein schriftlicher Sachtext bemüht sich um systematische Entfaltung seines Themas. Leserinnen und Lesern, die einen pragmatischen Zugang zumThema haben, sei empfohlen, mit Kapitel 6 zu beginnen und sich den Begründungen in den historischen Kapiteln 2 bis 5 erst zuzuwenden, wenn sich Fragen dazu einstellen.

    Aus langer Gesprächserfahrung mit der Thematik dieser Schrift habe ich Anlass zu der Feststellung, dass ich für das verantwortlich bin, was ich geschrieben habe, nicht aber für das, was Leserinnen oder Leser aus diesem Text heraus- oder in ihn hineinlesen.

    2 Was ist Religion?

    2.1 Die Herkunft unseres Religionsbegriffs

    Klärungsbedarf besteht bereits bei dem Begriff „Religion". Dieses Wort haben wir von den

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